Kitabı oku: «Das Mitternachtsschiff», sayfa 3

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Das Blau im Fenster war dunkler geworden. Vom Hapi stieg die Dämmerung in die Gärten, am östlichen Ufer band sie schon die Erde an Nut, den kemetischen Himmel. Re gab dem Ostgebirge sein letztes Licht. Thot, der hilfreiche Mondgott, wies die letzte Barke zum abendlichen Ufer. An einer Torsäule des Wohnhauses lehnte Merit-Re, Neferheres Zofe.

»Chain!« lockte sie, »Chain!« Sakinu brachte ihr die Katze. »Chain!« Merit-Re streichelte das gelbe Fell des Tieres.

Abdi-ashirta verließ sein Zimmer und ging zu dem Syrer. »Uliliya ist in der Gesindestube«, meldete der Soldat. Er setzte den Helm auf, den er am Wasserbecken abgelegt hatte. Merit-Re lief ins Haus.

»Welch eine Villa! Selbst Würdenträger wünschen sich so ein Haus nur in heimlichen Gebeten. Sakinu, hast du schon einmal ganze Tage innerhalb der Mauern verbracht?« Der Seemann betrachtete den Garten, dessen Dattelpalmen, Granatäpfel und Eselsfeigen, Gemüsebeete, Fischteiche und Gehege mit Fasanen und Gänsen das Anwesen von Menfes Märkten unabhängig machten. »Ein Haus mit einem Obergeschoss betrat ich noch nie. Allein die Mittelhalle mit ihrer Dachtreppe ist so groß wie mein Heim in Zor.«

Verlegen hörte der Gardist seinem Gebieter zu, nie hatte ein Herr solche Worte an ihn gerichtet. Er zupfte an den Metallplatten seines Lederwamses, den Schild hatte er an die Beine gelehnt, das Kurzschwert drückte gegen die nackten Oberschenkel.

»Erzähle mir, wie du als Söldner nach Kemet kamst!«, forderte der Admiral.

»Ich … ich weiß nicht, was …«

»Rede, als wäre ich Uliliya.«

»Kemets Soldaten …« Der Gardist zögerte, fasste dann aber Mut. »Kemets Elitetruppen ritten durch unser Dorf. Aus dem Hinterhalt durchbohrten Pfeile den Standartenträger. Vielleicht geschah es aus Rache. Die Soldaten drangen in die Häuser ein.«

»Wie erging es deiner Mutter, der in Sidon Geborenen?«

»Als die Reiter in die Berge entschwunden waren, kamen wir zurück. Ich fand sie hinter dem Haus, auf der Erde liegend. Ein Blatt bedeckte ihre Lippen, es bewegte sich nicht. Ihr Sterben war wohl ein Versehen. Kemeten töten im Krieg keine Frauen und Kinder, wie sie auch keine Bauern töten, müssten sie doch im nächsten Jahr hungern wie das Volk, das sie erobert haben. Später brachte man mich als Gefangenen nach Menfe. Pharao brauchte Gardisten.«

»Geh zur Ruhe, Sakinu. Mich schützt die Nacht.« Abdi-ashirta setzte sich auf eine der Bänke am Brunnen und dachte an sein einsames Leben in Zor. Bei seinen Ankünften hatten ihn stets nur die Schiffseigner begrüßt.

»Du bist allein?«, fragte eine Frauenstimme.

»Merit-Re?«

»Merit-Re ist im Haus. Das Haus ist nun still.«

Abdi-ashirta sprang auf. Neferheres weißes Gewandt streifte das Gras. Im Licht der Hausfackeln bannten ihre großen Augen den Sidoner. Sie trug keine Perücke. Ruhig lagen die in ihre Haarsträhnen geflochtenen Tonkügelchen auf den Schultern. Abdi-ashirta nahm die Hände zur Stirn und verneigte sich.

»Es wird kühl«, sagte die Hausherrin, »gehen wir in die Kammern.«

Abdi-ashirta genoss das gewärmte Wasser im Granitbecken des Erdgeschosses. Brennendes Öl in Kupferkesseln schickte geheizte Luft durch die Kanäle unter den Bodenplatten. Die Stunden mit Neferheres hatten den Seefahrer kaum ermüdet. Seine Lehrer in Zor besaßen die gleichgültigen Stimmen alter Männer, die der morgige Tag wenig interessierte.

»Wie der Boden eines Tempels sich um Stufen erhöht, gliedert sich das Volk der Kemeten. Wie die Gottheiten vom Dunkel des Allerheiligsten verborgen werden, regiert Pharao jenseits alles Vorstellbaren, getragen von der Liebe und Verehrung beider Kemet. Diese Liebe und Verehrung sind wie die Pfeiler, von denen die Dächer der Tempel gehoben werden, dass sie die Wohnungen der Götter berühren.«

So hatte die singende Stimme der hohen kemetischen Frau gesprochen. Der Seefahrer hatte den betörenden Seerosenduft ihres Salbkegels geatmet und kaum den Blick von der schönen Gastgeberin lösen können.

»Pharao trägt nicht die rotweiße Krone beider Kemet, wundere dich nicht. Seinen Kopf bedecken Schwären, er verhüllt sein Haupt.«

Der Seerosenduft war stärker geworden, die Lotosblüte hatte ihren Abendwind in das Mitternachtszimmer gesandt.

»Vor drei Schemu berief Pharao Kaufleute in den Obersten Rat, Säule einer neuen Zeit und ein Ergebnis von Unruhen früherer Tage. Die Priester achteten auf ihren Ruf als treue Diener der Macht. Jetzt aber lerne kennen, was Sterbliche zu tun haben, wenn sie sich dem Göttergleichen nähern dürfen.«

Neferheres sprach noch, als Chons Licht bereits das Zimmer besuchte. Dann aber hatte sie bemerkt, wie der Mann vor ihr sie nicht als Lehrmeisterin wahrnahm, sondern als Frau. Wenig später hatte eine Bedienstete das Bad gerichtet.

Abdi-ashirta streckte sich in dem angenehmen Wasser. Er glaubte Neferheres Stimme zu hören und erinnerte sich, dass eine ungewöhnliche Zuneigung in ihren Worten war, wenn sie über den Pharao sprach. »Ich verstehe es nicht«, sagte er laut. Eine Nubierin kam mit neuer Kleidung und reichte ihm das Trockentuch.

Als er sich wieder zur Hausherrin setzte, trug er den dreimal gewickelten Rock der Oberschicht. Sein sidonisch geschnittenes Haar hatte die dunkelhäutige Frau mit Bienenwachs bestrichen, den Kopf bedeckte eine Rundperücke, wie sie die Oberen Menfes seit der Herrschaft Psammetichs trugen.

»Ich grüße den Kemeten Udjahoresnet.« Die Frau lächelte.

Sie beugte sich vor und berührte das Gesicht des Sidoners mit den Fingerspitzen. »Als ich klein war, erschreckte meine Bewahrerin mich mit Geschichten von Pheneschs. Sie beschrieb euch mit schrecklichen Worten. Die nächtlichen Fantasien eines Mädchens verwandelten die Räuber in kühne Eroberer. Nun sehe ich, die ungestümen Träume wurden dem Kind von Ma’at gegeben. Welch ein Leben ihr führt! Wie interessant du es erzählst!«

Abdi-ashirta lehnte sich zurück. Der niedrige Klappstuhl war unbequem. Die Gänseköpfe, in denen er endete und deren Schnäbel in die Querstreben bissen, drückten gegen seinen Rücken. Winzige Gazellen sprangen in die Eckverbindungen der Tischplatte, die Intarsien schienen sich im flackernden Lampenlicht zu bewegen. Der Kampfergeruch erinnerte ihn an die aus den Ländern jenseits der Ostströme wiederkehrenden Karawanen, deren Holz sie nach Zor brachten. In daraus gefertigten Truhen hielt sich zu Bewahrendes für lange Zeit. Auch Menfes Kammern waren damit ausgestattet.

»Belohne den nicht, der deine Hand küsst, statt sie zu füllen.«

Neferheres hob die Augenbrauen, als der Sidoner laut die altkemetische Tischinschrift vorlas. Sie beugte sich vor. »Iss von den Granatäpfeln, lege dir den Samen der Lotosblüte auf die Zunge.«

Abdi-ashirta hob dankend die Hände. Sie reichte ihm den Weinbecher. »Gib von dem Honig in dein Glas. Er schenkt dir Ruhe.« Die Frau blickte zur Tür. Die Katze kam und legte sich der Herrin zu Füßen. »Chain«, flüsterte die Frau zärtlich, »meine Chain.« Merit-Re brachte einen neuen Leuchter. Neferheres erhob sich. „Es ist spät. Morgen erwartet dich der Göttergleiche. Wir aber werden noch viele gemeinsame Abende haben.«

Abdi-ashirta floh der Schlaf. Das Lager war ungewohnt weich, die Schnüre des Holzrahmens und die federgefüllte Auflage gaben jeder Bewegung nach. Er betastete die geschnitzte Katzengöttin der Kopfstütze und berührte die Wand. »Schön ist ihr Antlitz« schrieb er Neferheres Namen in seiner Sprache. Er strich über den Kalk, der glatt war wie zuvor.

»Du wirst kein Preis sein. Meine Fahrt für den Pharao wird deine Liebe gewinnen.« Er sprach aus, was er dachte, eine Gewohnheit von Kindheit an. Die fremde Welt vor dem Fenster war in die Nacht gesunken. Die Gebete für den neuen Tag in Menfe waren gesprochen. Der Mondgott ließ sein Licht hinter Schleiern, die der Wind der Lotosblüte zum nubischen Haus schickte. Ein Lufthauch bauschte das Fensterleinen, der Atem des Hapi mischte sich mit Neferheres Seerosenduft. Die Eindrücke der im Lichte Res gleißenden Königsgräber, der Palastfeuer und der Weingärten an Menfes Hängen wichen den Erinnerungen des Sidoners an die Farben des Wassers hinter den Säulen des Melkart, als eine starke Strömung sein Schiff auf einen langen Weg in das Abendhaus gerissen hatte. Er sah sich wieder an den milden Ufern jenseits der nördlichen Meerengen, dessen ferne Wälder den Himmel berührten. Er sah das Gesicht Hir-Rectars in jener stürmischen Nacht von Zor und hörte dessen Worte: Niemand fährt nach so einer Fahrt noch einmal auf das Meer.

»Morgen liege ich vor dir. Wohin schickst du mich, Göttergleicher?« Noch während er die Worte zum dunklen Geviert des Südfensters sprach, ahnte er, dass es kein Auftrag war, den Menschen je ausgeführt hatten. In dieser Stunde vor dem Schlaf spürte er in seinem Inneren etwas, das er so stark noch nie erfahren hatte. Es war die Sorge, für eine fremde Welt nicht stark genug zu sein. Endlich gab ihm der Wein Ruhe, er sah im Traum Neferheres Gesicht und hörte ihre Worte.

»Ich kenne deinen Auftrag, Phenesch!«

Er schreckte hoch und wusste nicht, ob sie es in den letzten Stunden so gesagt hatte. Ma’at war an diesem Tag, den Nut nun beendete, eine gütige Göttin, die eine erschreckende Wahrheit verschwieg.

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»Beruhige dich!« mahnte der Offizier. Abdi-ashirta lief von Fackel zu Fackel und schlug gegen die Halterungen. Geisterhaft tanzten die Schatten der Wachen an den Wänden. Das gedankenlose Spiel füllte die leere Zeit.

»Zum dritten Mal! Folge mir! Hat ein Gott dich mit Taubheit geschlagen?« Der Sidoner erschrak, er hatte den Ruf des Priesters erst jetzt gehört.

Die Fenster des Audienzsaales waren mit gelb-blauen Stoffen verhängt. Trompeten verkündeten das Nahen des Herrschers, dann unterbrach allein noch das Knistern der Öllampen die Stille. Die Portalwächter schwenkten ihre Hellebarden zur Seite. Licht füllte den Raum, als trete Gott Re selbst durch die Mauern. Der Oberste Rat warf sich zu Boden. Als Abdi-ashirta zögerte, drückte ihn Kerifer-Neiths Hand nach unten.

»Der Göttliche will eure Augen sehen, und ihr sollt die Ohren öffnen. Das sagt euch Ptah-hotep, Oberster Priester des Ptah und Mund des Stadtgottes von Menfe. Ptah-hotep, der neben dem Herrn steht.«

Der rote Zeremonialmantel hob den Göttergleichen aus der Kahlheit des Raums, sein Kopf war verhüllt, wie Neferheres es gesagt hatte. Er öffnete den Mund, noch bevor er zu sprechen begann, bewegten sich die Hände in heftigen Gesten. Lobpreisungen Kemets folgte die Schmähung Babylons, Worte schufen Bilder in den Farben des Hasses. Die Stimme wurde laut, schrie beschwörend auf die Herren des Rates ein.

»Da nun Re im Sternbild des Hundes wanderte, ward Hor, dem Seher, die Gnade eines göttlichen Traumes zuteil. Am Ufer eines Wassers, das nicht Meer war und nicht Fluss, reifte der Emmer auf fruchtbarer Erde. Bauern schnitten die Ähren, bereiteten Mehl, die Heimat zu ernähren. Im Wind der wogenden Felder tanzten Frauen zu klingenden Harfen. Doch jäh stiegen Vögel auf. Ihre Schatten fielen auf das Land und versetzten die Menschen in Schrecken. Schiffe mit krummnasigen Männern teilten das Wasser, an ihrem Bug die Zeichen von Sidon und Zor. Sie hatten Mäuler! Mäuler wie Tore, größer als Häuser, groß wie der Schlund von Abdju. Die Schiffe fraßen den Emmer Korn um Korn in unersättlicher Gier. Den Feldern folgten Menschen, den Menschen alles, was Kemet ist. Alles! Alles!«

Speichel rann Necho über das Kinn. Der mächtige Leib zuckte, in den Schläfen pulsierte das Blut. Die Schnabelschuhe traten den Stein.

»Ich habe den Stier geschlagen. Ich habe Ptah geopfert. Ich habe das Orakel der Priester gehört. Ich gebe dem Obersten Rat der Stadt Menfe und beiden Kemet bekannt: Der Kanal nützt unseren Feinden. Sein Bau wird eingestellt. Aber Osiris hat mich auserwählt, Kemets Ruhm in alle vier Häuser zu tragen. Eine Gesandtschaft wird unbekannte Meere befahren. Ihr Admiral wird Abdi-ashirta sein. Abdi-ashirta aus Zor, Seefahrer dieser Stadt. Sidonien wird Kemet dienen, an uns gebunden und nicht an die Feinde.«

»Ein Traum! Nur ein schrecklicher Traum!« Der Mann neben Abdi-ashirta kniete nicht wie die anderen. Er hatte die Stirn auf den Granit gelegt. »Es ist zu Ende. Mein Geschäft! Ich habe Knoblauch an den Kanal geliefert. Osiris!«

Sandalen scharrten über den Steinboden. Hinter Ptah-hotep bewegte sich ein Vorhang. Papyrusrollen fielen zu Boden. Die zitternden Hände des Beamten griffen dreimal danach.

»Osiris!« ächzte wieder der Kaufmann. »Es ist vorbei, vorbei, vorbei …« Er reihte das Wort bis Pharao sein Zepter auf den Thronsockel stieß. Jeder Laut erstarb.

»Verkündet eure Meinung!«

Die Männer wiesen mit offenen Händen auf ihren Herrn, den gottgleichen Necho, der sich verächtlich abwandte.

»Euer Denken ist Kemet würdig«, sprach Ptah-hotep und entbot einen Gruß. Die Männer verließen den Saal. Der letzte von ihnen verhielt den Schritt, als könne eine Fügung der Götter sie zurück rufen. Dann fiel das eichene Tor zu. Sie liefen den Weg, den sie gekommen waren. Worte brachen sich Bahn. Erstaunt blickten die Wachen zu den Erregten, deren Gesten die gewohnte Vornehmheit fehlte. Die den Kanal verteidigten, verstummten unter den Reden der Mehrheit.

Abdi-ashirta bemerkte nicht Kerifer-Neiths Zeichen, er hörte die Stimme Sin-hos, Vorsteher des Seefahrtsamtes in Zor und Hir-Rectars Vertrauter, der den Kanal als Straße nach Punt bezeichnet hatte, dessen Wasser die Truhen der Stadt füllen wird. Sin-ho, was für eine Nachricht wird dich bald erreichen! Der Sidoner fror in der Kühle des Palastes, die Nischen beunruhigten ihn, hinter den Vorhängen standen Gardisten.

»Phenesch!« drohte Ptah-hoteps Stimme. Abdi-ashirta warf sich vor die Thronstufen. Nach dem dritten Befehl erhob er sich, wie es Neferheres ihn gelehrt hatte.

Necho zog die Lippen zwischen die Zähne, wischte sich über den Mund und roch an den Fingern. An seinem rechten Auge kroch eine Fliege über den Tränensack, er spürte es nicht, die Haut war tot. Seine Hand rieb das Gewand zwischen den Beinen. Die Sinne schienen in die Ferne zu schweben, er bewegte sich, als wäre er allein.

»Was fühlst du, Phenesch?« schrie er plötzlich. »Du schweigst? Hat man dich auf diese Frage nicht vorbereitet?« Die Schuhspitzen wippten, eine Kokosmatte dämpfte die Geräusche.

»Göttergleicher, du erhebst meine Seele … aus dem Staub, du … du bist der Wind der vier Häuser. Du bist …«

Der Pharao riss an den Bordüren seines Sessels. »Sprach ich zu einem Weib? Küsse mir nicht die Füße, Phenesch! Ich will den Mann hören, der das Äußere Meer befuhr, nicht den, der die Stelle leckt, auf die ich spuckte. Lass die Hüllen, zeig Gedanken und keine leeren Bilder!« Die Faust schlug auf die Lehne. »Geblähte Worte von Höflingen!«

Die Gesichter der beiden Priester waren reglos geblieben. Necho ächzte, lautlos öffnete er mehrmals den Mund und fragte dann noch einmal: »Was fühlst du, Phenesch?«

Abdi-ashirta reckte den Kopf. »Freude!«, rief er.

Kerifer-Neith stöhnte. Der Pharao schlug sich auf die Knie.

»Freude! Er freut sich, der Phenesch! Und warum freut sich ein Phenesch, wenn er vor Kemets Herrscher liegt?« Ein Glucksen kam aus seiner Kehle. Der Pharao lachte. Abdiashirta blickte in die kranken Augen.

»Ich bezwang das Äußere Meer. Ich durchfuhr die Tore des Melkart. Nicht Worten bin ich zugetan, ich strebe nach unbekannten Ufern.« Er richtete sich auf. »Du bist kein Gott für mich! Du bist der Wind, der Segel füllt, du bist die Kühnheit. Von solchem Mann einen Auftrag zu erhalten, vollendet das Leben. Was kann es Besseres geben, als in den Dienst Nechos zu treten, der bei Bast den Bau des Kanals begann. Wie soll ich mich da nicht freuen?«

Er hielt inne, sah Kerifer-Neiths heftige Zeichen. Der Name des Herrschers durfte nicht ausgesprochen werden, dreimal hatte Neferheres es ihm verboten.

»Weiter!«, forderte Pharao mit heiserer Stimme. Abdi-ashirta zögerte.

»Bitte, Göttergleicher, zürne mir nicht. Deine Vorfahren, türmten Steine und schufen Welten, die ihre Namen in die Ewigkeit tragen. Ich legte meine Schiffe an viele Küsten. Sprachen dort die Menschen von ihren Herrschern, färbte oft Angst die Worte. Wenn das künftige Volk Kemets von seinen Toten spricht, wird dein Name mit Liebe genannt werden, da es ihn mit goldenen Farben im Herzen trägt. Du wirst also die Welt nicht verlassen, denn du hast sie verändert. Der Kanal …«

»Sein Bau ist eingestellt!«, rief Ptah-hotep. »Der Gott hat es verkündet!« Die Stirn des Priesters durchzogen Falten, die Hände, die einen König führten, zitterten.

Necho zog sich aus dem Stuhl, seine Finger umklammerten das Holz. »Gott! Gott! Gott! Ich rede hier nicht als Gott.« Schwerfällig stieg der Pharao die Thronstufen hinab und stellte sich neben den Sidoner auf die Platten. »Der schreckt dich mit Göttern, als wärest du ein Sklave! Höre, Phenesch! Priester! Meine Jugend gehörte ihnen. An den Wassern des Hapi und unter den Dächern des Palastes ging ich nie allein. Den Knaben regierte die Angst, ihr Missfallen zu erregen. Sie befahlen mein Leben ihrem Plan. Meine Zunge wurde ihre Zunge. Ich sehe mit ihren Augen. Den Kanalbau einzustellen, war ihr Wille. Ihr Denken lehnt auch die Gesandtschaft ab, die sie mir boten wie dem Kind ein neues Spielzeug. Ich habe mich zu euren Weissagungen bekannt, Ptah-hotep. Doch diese Stunde gehört mir! Keiner wage es, mich zu hindern. Keiner!« Schnaufend mühte sich der Pharao zum Thronsessel und fiel schwer in die Polster. Er leckte sich die Finger und glättete seine Brauen. Statt der Hand bewegte er den Kopf. Necho, der Göttliche, war ein Mensch.

»Die Karte!« schrie er. Kerifer-Neith brachte eine Rolle. Der König öffnete den Papyrus. Er schaute den Sidoner an, als sein Finger die Ostküste Libyens nachzog.

»Punt?« fragte Abdi-ashirta, »aber Punt ist doch hier … ein Nachbar. Die Küste … so weit nach Süden … und hier biegt sie sich nach Westen … die Gelehrten von Zor … sie kehrt zum Anfang zurück!« Abdi-ashirta stieg das Blut in den Kopf. »Ich soll …« Er stöhnte und presste die Hände an den Mund. »Der Kreis! Ihr Götter! Der Kreis!«

Der Pharao schloss die Augen, er lächelte.

Der Seefahrer sah Bilder seiner Schiffe, die toten Gesichter früherer Fahrten, die bleichen Nebel des Nordmeeres, die schweren Wasser der Großen Bucht. Unfähig zu einem lauten Wort flüsterte er: »Ich soll den Kreis … Hirams Fahrten nach Punt … wie klein … wie klein.« Zors Admiral grub die Nägel in die Haut, der Plan des Herrschers über Kemet war der Traum eines Wahnsinnigen. Der Tod hatte sein Gesicht.

»Das willst du von mir?«, schrie er auf. Ein Gardist sprang aus der Nische und riss ihn zu Boden.

»Das hat noch niemand getan! Das nicht!« Er lag auf den Knien. Necho erhob sich, drückte die Schultern nach hinten und genoss den Anblick des zerstörten Mannes zu seinen Füßen.

»Lass ihn oder du hängst an der Mauer!« Der erschrockene Soldat trat wieder hinter den Vorhang. Nechos Arme schienen Wände zu verrücken. »Alles wurde ein erstes Mal getan. Wer vermaß zuerst die Felder am Hapi? Wer wies dir deine Wege in die Meere? Admiral! Vollbringe das Einmalige! Umsegele Libyen! Die Königshäuser sind stolze Geschichte, ich will lebendige Werke. Phenesch, aus dir hat meine Seele gesprochen. So höre mich doch, Admiral!«

Necho rüttelte den Sidoner an der Schulter.

»Verzeih mir, Göttergleicher. Meine Gedanken waren bei Zors Gelehrten. Manche von ihnen glauben auch, dass Libyen sich biege. Münder formten frühes Wissen zu Fantasien. Angeblich beschrieben Tafeln in unserer Bibliothek Küsten südlich von Ophir. Sie sprachen von Wäldern wie Mauern, von riesigen Tieren und friedfertigen Menschen. Blaublättrige Bäume berührten den Himmel, und es gäbe Regen, als fielen Flüsse vom Himmel. Die Tafeln sind verloren, die sie einst lasen, tot. Aber wie entstand dieser Papyrus? So kenne ich die Küsten nicht, vermögen wir es doch nicht, die Gewässer im Südlichen Haus zu befahren. Der Kanal …« Abdi-ashirta blickte auf Ptah-hotep und schwieg.

Necho wies auf Kerifer-Neith. »Sein Tempel bewahrt eine alte Schrift. Sie enthält den Bericht eines kemetischen Reisenden, den einst unbekannte Winde nach Süden trieben, in einer Zeit, da Hatschepsut regierte, die Göttliche. Sein Name ist in den Jahren gelöscht, die Landschaften, die er sah, sind vergessen. Der Papyrus ist zum Teil verdorben. Unachtsamkeit der Priester. Sie wollen dieses Wissen nicht. Nach spärlichen Angaben ließ ich die Karte zeichnen. Unsere Welt ist das Band am Fluss. Wo der Sturm jetzt Sand zu Fontänen peitscht, jagten die Ahnen in dichten Wäldern. Öffne unsere Welt, Sidoner. Die Priester lieben die Macht. Sie sind zufrieden, ein Haus zu kennen und nicht die Stadt. Ich muss hinter den Horizont sehen. Fahre für mich, Held aus Zor, und bring mir eine neue Welt.«

»Seit Ewigkeiten ist die Allgewalt des Göttergleichen das Fundament, auf dem Kemet als Mitte der Erde steht.«

»Sei still, Ptah-hotep!« Der Pharao hob die Hand gegen den Priester. »Ihr seid wie die Felsen. Unbeweglich überdauert ihr die Zeit an einem Ort. Euren Augen erschließ sich nicht das Neue, denn die Welt kommt nicht zu euch. Ihr befasst euch nur mit dem, was euch nützt. Es gibt aber Dinge, die muss man um ihrer selbst willen tun. Dieser Phenesch kennt das wahre Maß. Die gestrige Sonne wärmt nicht den heutigen Tag. Ein Sklave sieht nicht die Weite. Nicht der Arm allein treibt das Schiff, es braucht den Geist, der ihm befiehlt. Admiral aus Sidonien, du wirst drei Schiffe erhalten. Erkunde Küsten, die noch kein Mann dieses Erdkreises betrat. Oder geh zurück nach Zor und vergiss! Kein Zwang soll dich leiten. Mache meinen Traum zu deinem und du wirst ein Fürst sein. Dir wird das Landgut Ift-ar gehören, ich gebe dir Neferheres, die Tochter des Nomarchen von Menfe zur Frau. Kerifer-Neith hat es so gesagt? Gut. So wird es sein. Neferheres.« Er wiederholte den Namen, zögerte und sagte noch einmal leise »Schön ist ihr Antlitz.« Er hob den Arm. »Oder verlasse Kemet noch heute. Es wird in Ehren geschehen. Du hast mein Wort.«

Im Portal zeigte sich ein Offizier. Ptah-hotep, der sich ihm zuwandte, warf einen höhnischen Blick auf den Seefahrer.

»Rede zu mir, Sothur!« Die Männer traten zum Thron. Der Gardist verneigte sich.

»Göttergleicher! Menfes Straßen hält der Pöbel in Besitz. Unterkünfte von Fremden werden zerstört. Aus den Hütten verbreitet sich Empörung. Vor den Warenlagern am Fluss rotten sich Frauen zusammen.«

»Genug!« Necho stampfte mit dem Fuß auf. »Griechische Wachen zu Neferheres, nicht unter deinem Kommando, Sothur. Ptah-hotep, kümmere dich! Syrische Hundertschaften treiben den Pöbel in die Häuser. Handle, Ptah-hotep. Sothur geht in die Garnison. Hass auf Fremde! Hass auf den Kanal! Ihr Priester schürt die Glut und freut euch über die Flamme. Geh endlich, Ptah-hotep!«

Abdi-ashirta war in den Hintergrund getreten. Sothur! Er kannte den Namen aus Merit-Res Mund, als sie im Garten mit der Herrin unter dem Eukalyptusbaum saß. War der Gardist … wie konnte er annehmen, dass Neferheres allein lebte … aber ein Gardist des Hofes … doch er sprach die Worte wie ein Gebildeter … die Gedanken verwirrten sich, er dachte an Neferheres, an ihr Lächeln, wenn sie von Necho sprach, an die altkemetische Wortweise, die sie so gern nutzte. Sothur ging an ihm vorbei, er hatte das Gesicht eines Kemeten des Südens. Er neigte unmerklich den Kopf. Verwundert sah der Sidoner diesen Gruß, den der Gardist in Gegenwart des Herrschers nicht entbieten durfte, der aber von Anerkennung sprach. Abdi-ashirta war so befangen von dieser Geste, dass er den Pharao nicht beachtete, der wieder auf seinen Thron stieg. Die Handflächen des Herrschers klatschten auf die Lehne.

»Es ist mein Wille: Die Expedition findet statt! Die Priester sagen, der Kanal gefährde Kemet. Sie flüsterten mir die Umsegelung Libyens in die Ohren, um mich von seinem Bau abzubringen. Ich aber mache die Umsegelung zu meinem Werk! Zu meinem! Der Kanal folgt einem alten Lauf. Was siehst du mich so an? Ja doch, es gab ihn schon früher einmal. Das wissen nicht viele. Unsere Umsegelung aber ist einsam. Sie gab es noch nie.« Das Gesicht Nechos verkrampfte sich, aus weiten Augen starrte er den Sidoner an. »Gib mir die Antwort, Phenesch!«

Abdi-ashirta griff in sein Gewand, die Finger rieben den Stoff, richteten den Gürtel und zerrten erneut an dem Tuch.

»Wann antwortest du, Phenesch?«

»Als Kind besuchte ich oft die Schwester meiner Mutter. Sie wohnte in einer Bergsiedlung. Viele Wege führten von dort in meine Stadt. Sie verzweigten sich an drei Stellen. Vor der letzten Biegung war ich stets nach links gegangen. Einmal flogen über mir Störche. Ich folgte den Vögeln. Ich ging den unbekannten Weg.«

»Deine Antwort!« Der Herr der mächtigsten Welt stand auf drei Schritt neben dem Sidoner.

»Ich verirrte mich, schlief über die Nacht auf fremdem Gestein. Im Morgenlicht sah ich Zor, lief durch vertraute Gassen in das Ostviertel, weinend vor Glück, denn ich war noch ein Kind.«

»Du lehnst ab?«, schrie Necho.

»Nein! Nein! Ich bin ein Seefahrer aus Zor!«

»Der Weg der Störche. Ich wusste es!«

Abdi-ashirta kniete nieder, legte sein Gesicht auf die Füße des Herren Kemets, berührte die Abbilder feindlicher Assyrer auf dessen Schuhen, wie es Neferheres ihn gelehrt hatte.

»Steh auf, Phoinikos!« Zum ersten Mal sprach der Pharao das griechische Wort. »Kerifer-Neith, den Obersten Schreiber!« Das Gesicht des Gottes lebte. »Höre heute meinen Plan, Admiral. Deine Gedanken sage mir morgen. Wer dich in Zor unsere Sprache lehrte, ich werde es ihn lohnen. Von jetzt an wirst du oft gerufen. Kerifer-Neith begleitet dich auf deinen Wegen, als wäre ich an deiner Seite. Er spricht mit meinem Mund. Ich befehle ihn, dich an den Kanal zu führen. Siehe die Kühnheit kemetischer Ideen mit deinen Augen. Admiral, wir stärken Ma’at. Bald herrscht in Kemet die Weltordnung der Großen Zeit. Später wirst du Ift-ar besuchen, siehe dort den königlichen Lohn, den ich dir biete. Sei stolz! Du bist ein Auserwählter. Kemet wird deine Heimat sein! Mein Kemet!«