Kitabı oku: «Armee ohne Auftrag», sayfa 2
Weltpolitische Klimaverschlechterung
Alle reden vom Klima und sind besorgt über den globalen Klimawandel. Das betrifft nicht nur das Wetter, sondern auch das politische Klima. Als sich die ohnehin immer brüchiger gewordene Ost-West-Bipolarität um 1990 aufgelöst hatte, drängten sich neue Schlüsselbegriffe zur Kennzeichnung der weltpolitischen Entwicklung auf: Paradoxe Globalisierung, Verblassen des internationalen Regelkonsens, Überdrehung der Finanzmärkte, Staatsabschwächung und Staatsverfall auf mehreren Kontinenten, Scheitern der US-amerikanisch geführten Weltordnungspolitik, Aufstieg der Volksrepublik China, wachsendes Destruktionspotenzial religiös begründeter Politik, neue Formen der Kriegsführung. Wahrlich unübersichtlich, das alles! Oder anders gesagt: Die Welt von heute hat es mit einem höheren Maß an Gefahren und Unsicherheit zu tun. Das trifft auch dann zu, wenn man in Rechnung stellt, dass die direkte nuklearstrategische Konfrontation der damaligen weltpolitischen Vormächte USA und UdSSR in dieser Form heute nicht mehr existiert.
Zugleich hat sich in den letzten Jahren die Zahl jener existenziellen Weltprobleme erhöht, die mit Aussicht auf Erfolg nur mittels gemeinsamer Politik gelöst oder wenigstens gemildert werden können. Aber wie sollen zum Beispiel umwelt- und klimapolitische Ziele erreicht werden, wenn die – metaphorisch so bezeichnete – weltpolitische Klimaverschlechterung weiter anhält?
Kleiner historisch-politologischer Exkurs
Weltpolitik, die diesen Namen sozusagen geografisch zu Recht trägt, gibt es noch gar nicht so lange, erst seit drei, vier Jahrhunderten. In den Zeiten davor blieb die im Bewusstsein der Menschen und für die Politik eines Staates relevante Außenwelt in der Regel territorial beschränkt. Die »Welt« umfasste noch nicht den gesamten Globus. Die Erde als politisch vorstellbare Einheit gab es noch nicht. Die Menschen kamen erst langsam dazu, global zu denken. Trotzdem existierten und konkurrierten kleine und große Reiche, gab es expansive Kulturen; und freilich jede Menge Kriege und Feldzüge. Manche, wie etwa die Alexanders des Großen, halfen, das Weltbewusstsein der Zeitgenossen erheblich zu erweitern.
Wenn sie das gesamte Beziehungsgefüge der Staaten und anderer grenzüberschreitend aktiver Organisationen und Akteure beschreiben, benutzen die Politologen den Begriff des internationalen Systems. Er ist zunächst rein formaler Natur und soll ein Gebilde kennzeichnen, dessen Zusammenhang und Zusammenhalt inhaltlich auf der allgemeinen Anerkennung eines mal kleineren, mal etwas größeren Minimums von Regeln und Umgangsformen der beteiligten Staaten besteht. Daraus ergibt sich schon rein aus Gründen der wechselseitigen Betroffenheit, der Macht des Faktischen, die Notwendigkeit zur Kommunikation untereinander. Die muss nicht freundlich sein, denn die Konkurrenzen und Interessenkonflikte bestehen ja auch innerhalb eines solchen internationalen Systems. Aber ein Mindestmaß an gültigen Regeln, rechtlich fixiert oder informell, darf nicht unterschritten werden.
Früher blieben internationale Systeme groß-regional beschränkt, etwa das der griechisch-römischen Zeit des Mittelmeerraums. Seit dem 15./16. Jahrhundert expandierte das eurozentrische internationale System des Mittelalters schrittweise über den ganzen Erdball. Es führte im 17. Jahrhundert festere rechtliche und politische Umgangsregeln ein und wurde im 19. und frühen 20. Jahrhundert zu dem ersten wirklich globalen, d. h. erdumspannenden internationalen System.
Diese Expansion beruhte auf politischen, wirtschaftlichen und technologischen Impulsen, allesamt in sich konfliktreich. Der Erwerb von Kolonien und ihr Zusammenbinden in überseeische Besitztümer ging nicht ohne brutale Eroberungs- und Unterwerfungskriege ab, zugleich aber auch nicht ohne Kriege zwischen den konkurrierenden europäischen Mächten um die Vorherrschaft in Europa. Historiker wie Paul Kennedy haben diesen quasipermanenten Streit um die Vorherrschaft und die Anstrengungen der einzelnen Staaten, sich in der Rangfolge der mächtigsten Staaten besser oder sogar möglichst ganz oben zu positionieren, als einen der Gründe ausgemacht, warum gerade das europäische internationale System sich globalisiert hat.
Jedoch ist die Bezeichnung dieses internationalen Systems als europäisch nur insofern korrekt, als Europa sein Ursprungskontinent ist. Die hier entwickelten Vorstellungen über Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur fassten auch auf anderen Kontinenten Fuß, hauptsächlich über die Migration (aus sehr unterschiedlichen Gründen) und die Übernahme dieser Vorstellungen in manchen der sich früh von Europa politisch emanzipierenden Kolonien. Die »amerikanische Revolution« von 1775/1776 ist dafür das leuchtende Beispiel.
Weltordnung, allgemein
Der französische Politikwissenschaftler Raymond Aron definierte ein internationales System als die Gesamtheit politischer Einheiten, welche untereinander reguläre Beziehungen unterhalten und in einen allgemeinen Krieg hineingezogen werden können. Über die Art der regulären Beziehungen ist damit noch nichts ausgesagt. Angesichts der Verschiedenheit politischer Einheiten, was ihre territoriale Ausdehnung, ihren Ressourcenreichtum und ihre militärische Macht angeht, kann man sich jedenfalls gut vorstellen, wie kompliziert es ist, solche Beziehungen auf längere Dauer aufrechtzuerhalten. In der Regel geht das nicht ohne eine durchsetzungswillige und -fähige Ordnungsmacht. Tatsächlich lehrt ein Blick in die Geschichte, dass es immer wieder solche Ordnungsmächte gab, die dem jeweiligen internationalen System – entweder im Alleingang oder mit einer anderen Macht konkurrierend, entweder eher kooperativ oder durch Zwang – ihre Ordnungsvorstellungen aufprägen wollten.
In der Rangfolge von Staaten stehen solche Ordnungsmächte ganz oben. Sie streben nach Hegemonie, auch weil sie ihren Rangplatz nicht verlieren wollen. Hegemonie kann aber auf längere Zeit nur funktionieren, wenn sie nicht nur der Vormacht selbst, sondern auch den anderen Mächten etwas einbringt, wirtschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten etwa und Sicherheit im doppelten Sinne des Wortes – als Verlässlichkeit der Beziehungen untereinander und als ein gewisser Schutz vor Bedrohungen von außerhalb des internationalen Systems. Den Begriff der Weltordnung kann man entweder sozusagen inhaltsneutral als den gerade bestehenden Zustand des internationalen Systems verstehen. Oder als durch Ordnungsmächte durchgesetzte, von bestimmten und weitgehend akzeptierten Welt- und Wertvorstellungen charakterisierte, also inhaltlich bestimmte Ordnung.
Seit dem 17. Jahrhundert war das europäische internationale System mit seinen überseeischen Außenstellen, sprich: Kolonien und sonstigen Einflussgebieten, als Staatensystem definiert, das auf der (rechtlich definierten) souveränen Gleichheit der Staaten und dem daraus folgenden Grundsatz der Nicht-Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten beruhte. Auch eine gewisse, wenn auch nicht sehr wirkungsvolle Einhegung des Krieges war ein Element dieses »Westfälischen Systems der internationalen Beziehungen« (benannt nach dem Westfälischen Frieden am Ende des 30jährigen Krieges). Der Krieg galt im Übrigen als ein völlig legitimes Mittel zur Durchsetzung staatlicher Interessen, auch expansiver Interessen.
Die Detailgeschichte dieser, wenn man so will, »Westfälischen Weltordnung«, ihrer inneren Widersprüche, ihres Wandels infolge von Revolutionen und anderer Umbrüche, des Abfalls, aber auch des Auf- und Ausbaus vieler zunächst nur als Wirtschaftsobjekte wahrgenommener Kolonien zu Imperien, der imperialen Konkurrenz, die in zwei Weltkriegen kulminierte, all das ist spannend zu verfolgen, aber hier nicht unser Thema. Festzuhalten gilt, dass der Zusammenhalt eines internationalen Systems, gleichviel ob er mehr auf einer Balance mehrerer Mächte oder der Dominanz einer einzigen Ordnungsmacht beruht, immer gefährdet ist. Das Wohlergehen und die Sicherheit der Menschen können niemals garantiert, allenfalls auf Zeit stabil gehalten werden.
Paradoxe Globalisierung
Hier kommt ein weiterer Begriff ins Spiel, die Globalisierung. Also die Ausdehnung des ursprünglich europäischen internationalen Systems mit seinen Ordnungselementen und -versprechungen über den gesamten Globus. Dieser Prozess hat alle anderen politischen, sozialen und kulturellen Veränderungen auf der Erde in der einen oder anderen Weise in Mitleidenschaft gezogen. Seine Dynamik hat in den letzten Jahrzehnten weiter zugenommen und wird sich in den vor uns liegenden Jahrzehnten voraussichtlich kaum verlangsamen. Das private, berufliche und das öffentliche Schicksal von immer mehr Menschen wird weltweit mindestens indirekt, meist jedoch direkt von der Globalisierung beeinflusst. Sie hat die verschiedensten Lebensbereiche erfasst, von der Wirtschaft, deren Märkte zu »Weltmärkten« werden, und der Politik, über die Unterhaltungsindustrie, den Tourismus, Wissenschaft und Forschung bis hin zu der Entgrenzung von Kriminalität und Terrorismus. Ihre Antriebsmomente sind in erster Linie mobilitäts- und kommunikationstechnische Neuerungen.
Es darf dabei erstens nicht übersehen werden, dass die Globalisierung nicht überall auf die gleiche Weise wirkt. Ihre Auswirkungen sind in den Kernregionen der Welt, etwa in den riesigen und weiter ungestüm wachsenden metropolitanen Stadt-Konglomeraten, viel offensichtlicher als in den ländlichen Regionen der Welt. Aber die Menschen und ihre Lebenswelten an den dortigen Peripherien werden ebenfalls von ihr betroffen, oft sogar ziemlich dramatisch (Abholzung des Amazonas-Regenwalds, Land Grabbing in Afrika usw.)
Zweitens ist zu konstatieren, dass die Globalisierung nicht nur vereinheitlichend wirkt, sondern auch Bruchlinien und Differenzen verschärft. Tatsächlich hat sie insgesamt höchst widersprüchliche Konsequenzen. An manchen Orten überwiegen positive Folgen, an anderen die schädlichen Konsequenzen. Die Vorstellung von der Erde als einem »globalen Dorf« suggeriert jedenfalls eine völlig realitätsferne Idylle. Die große Vereinheitlichung, eine handlungsfähige »internationale Gemeinschaft« von Staaten einschließlich humanitärer und anderer Nichtregierungsorganisationen, der Siegeszug kooperativer Politik und die Ausbreitung des »demokratischen Friedens«, all das ist nicht über erste Ansätze hinausgelangt und hat sogar Gegenbewegungen ausgelöst. Die Globalisierung von Produktion, Handel und Finanzspekulation hat eine Menge Gewinner, aber auch unzählige Verlierer zur Folge gehabt. Die viel zitierte Schere zwischen Arm und Reich hat sich weit geöffnet. So ist es kein Wunder, dass viele Menschen die Globalisierung strikt ablehnen, sie anhalten und zurückfahren wollen.
Gleich von zwei Seiten her wird die Globalisierung attackiert: Aus kapitalismuskritischer Perspektive und als lautstarke Anklage gegen den Neoliberalismus sowie von den Anhängern bestimmter identitätspolitischer Konzepte, die ethnische, nationale oder religiöse Homogenität und Souveränität politischer Einheiten anstreben, was zugleich jede Form von Multikulturalität oder die Anerkennung universeller Werte ausschließt. Auf die Staatenwelt – organisiert und in gewisser Weise repräsentiert durch die Vereinten Nationen samt ihren Unter- und Sonderorganisationen – wirkt sich der Globalisierungsprozess auf paradoxe Weise aus. Denn er stärkt keineswegs den internationalen Zusammenhalt. Im Gegenteil, er hat in den letzten Jahren zwei gegenläufige Entwicklungen angestoßen, die zusammen ein neuartiges Sicherheitsproblem darstellen. Einerseits eine deutliche Re-Nationalisierung auf allen Stufen der Macht-Rang-Skala der gegenwärtig um die 200 Staaten. Andererseits eine nicht exakt zu quantifizierende, aber unübersehbare Staatsabschwächung bis hin zum Staatsverfall. Dieses auch häufig mit dem Begriff der fragilen Staatlichkeit bezeichnete Phänomen hat sich zu einem der gewichtigsten Sicherheitsrisiken der gegenwärtigen internationalen Beziehungen ausgewachsen. Denn diese Fragilität drückt sich nicht zuletzt im Nichtfunktionieren wesentlicher Ordnungsaufgaben des Staates in seinem Innern aus – mit Folgen nicht nur für die eigene Bevölkerung und die unmittelbaren Nachbarstaaten, sondern potenziell weltweit. In den betreffenden Territorien herrschen Gewalt und Gegengewalt. Sie werden so zu Brutstätten für organisierte Kriminalität, Korruption, Repressionen aller Art, für internen und nach außen gerichteten Terrorismus. Dies wiederum ist ein nachhaltiger Antrieb für Massenmigrationen in die Nachbarländer, deren politische Stabilität ihrerseits dadurch auf die Probe gestellt wird, oder in jene Länder, die, oft irrtümlicherweise, als reich und Schutz gewährend wahrgenommen werden.
Demokratieverfall
Auch hat sich als Illusion herausgestellt, dass die Globalisierung quasi automatisch den in den westlichen Ländern bewusstseins- und verfassungsmäßig vergleichsweise fest verankerten Werten wie Demokratie und Menschenrechte zur universellen Gültigkeit verhelfen würde. Während optimistische Politologen in den 1990er-Jahren eine »dritte Welle der Demokratisierung« wahrzunehmen glaubten, ausgelöst durch den Untergang der sowjetsozialistischen Regime, muss man heute im Gegenteil konstatieren, dass wir es mit einer Welle der Entdemokratisierung zu tun haben. Die allermeisten Konzepte und Programme für einen »Demokratie-Export« westlicher Länder in andere Teile der Welt oder für eine »externe Demokratieförderung« haben sich, ähnlich wie die Politik der Entwicklungshilfe, als untauglich erwiesen. Inzwischen gibt es Anzeichen dafür, dass nicht nur in den post-kommunistischen Transformationsgesellschaften die Begeisterung für die Regeln der Demokratie und für entsprechende Verhaltenscodes abgeflaut ist, sondern dass diese auch in den Kernländern des Westens mit ihrer oft langen demokratischen Tradition nicht unbedingt respektiert werden. Nicht von den Regierungen und nicht von den Bevölkerungen.
Unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten ist diese Verfallsentwicklung deshalb so problematisch, weil mit ihr die Vorstellung verbunden ist, erfolgreiche Politik beruhe auf der möglichst umstandslosen Durchsetzung des Rechts, nein: der Macht des Stärkeren. Die materielle Basis eines solchen »Rechts« sind Geld und Waffen. Sie wird ausgeschmückt mit den unterschiedlichsten Ideologien zur Rechtfertigung von deren Einsatz. Als verkümmerter und verdorbener Rest von Demokratie bleibt dann die – mittels medialer Manipulationen herbeigeführte – Massenbegeisterung, die insbesondere den Einsatz von Streitkräften legitimieren soll, wie kürzlich am Beispiel russischer Interventionen in der Krim, der Ukraine und am Beispiel der Türkei in Nordsyrien demonstriert.
Weltordnung, heute
Damit sind wir schon mitten in der Gegenwart angekommen. Jede politische Lagebeurteilung, sei es aus der Perspektive eines Staates wie Deutschland, sei es aus der Perspektive nicht staatlicher Akteure wie Wirtschaftsunternehmen (zum Beispiel Volkswagen) oder humanitärer Organisationen (zum Beispiel Greenpeace), sei es aus der Perspektive eines Individuums, kommt heutzutage nicht um die Einsicht herum, dass viele, wenn nicht die meisten entscheidenden politischen Vorgänge von den Auswirkungen der Globalisierung betroffen werden. Direkt oder indirekt: Arbeitsplätze, staatliche Subventionen, Investitionsentscheidungen, Urlaubspläne. Und ganz besonders die eigene Sicherheit vor ungewollten militärischen und nichtmilitärischen Attacken, denen die unterschiedlichsten Ziele zugrunde liegen können: von politischer Einschüchterung über politische Erpressung bis hin zur Verletzung der territorialen Integrität von Staaten und die Zerstörung ganzer Gemeinschaften im Namen eines religiösen Fanatismus und Fundamentalismus.
Die Frage ist, wie diese gegenwärtige Welt geordnet ist. Gewiss auch, wie sie geordnet sein sollte, um Wohlergehen und Sicherheit überall auf der Welt zu optimieren. Was diese zweite Frage betrifft, da stößt man auf viele Antworten. Aber sie taugen nichts, solange die erste Frage, die nach dem Istzustand der Weltpolitik, unzureichend beantwortet bleibt. Wir wollen uns deshalb an dieser Stelle jedenfalls erst einmal mit dem Istzustand der Weltpolitik beschäftigen. Der sieht betrüblicherweise einigermaßen ramponiert aus. Manche Beobachter drücken das mit einem etwas klobigen Wortspiel aus, wenn sie nämlich nicht von der gegenwärtigen Weltordnung reden, vielmehr von der Weltunordnung (Marsala 2018). Manchmal werden die beiden Verneinungsbuchstaben der Deutlichkeit halber in Klammern gesetzt: Welt(un) ordnung; gelegentlich liest man auch Welt(UN)ordnung, womit zugleich auch die Enttäuschung über die geringen politischen Ordnungskapazitäten der Vereinten Nationen ausgedrückt wird.
Diese Enttäuschung hat ihren Ursprung in der weltpolitischen Entwicklung nach dem Ende des Ost-West-Konflikts, der im Rückblick als eine zwar gespaltene und hochgefährdete Weltordnung mit allerdings durchgängigen Vorteilen für die USA und ihren westlichen Verbündeten (»der Westen«) erscheint. Der Zusammenbruch des von der UdSSR geführten »sozialistischen Lagers« (1989/1990) und schließlich der UdSSR selbst (Ende 1991) schienen den Weg frei zu machen für eine einheitliche, überall auf denselben politischen und ökonomischen Grundsätzen beruhenden Weltordnung.
Zwei Visionen boten sich dafür an:
1.Die auf multinationaler Kooperation beruhende Aufwertung und Stärkung der Vereinten Nationen sowie regionaler kollektiver Sicherheitsorganisationen (zum Beispiel der KSZE/OSZE).
2.Die wohlwollende Vorherrschaft der USA als der, wie es hieß, einzig verbliebenen Supermacht.
Auch die Vorstellungen einer weltumfassenden internationalen Kooperation und vom Multilateralismus basieren letztlich auf dem amerikanisch-europäischen Ordnungsmodell für die Welt. In den meisten westlichen Ländern herrschte die Meinung vor, dass die Werte und Grundkonzepte dieses Ordnungsmodells in der einen oder anderen Variante universelle Gültigkeit erlangen würden. Nur isolierte Außenseiter-Staaten, Rogue States in der Sprache von Präsident von George W. Bush (Amtszeit 2001–2009), oder kriminelle Warlords würden sich dem in den Weg stellen. Wer das wagte, würde von der geballten Macht der »internationalen Staatengemeinschaft« zur Raison gebracht. Begleiterscheinung solcher überoptimistischen und kurzsichtigen Hoffnungen war die Bereitschaft vieler westlicher Staaten, ihre Rüstungsausgaben merklich zurückzufahren und den Umfang ihrer Streitkräfte deutlich zu verringern (»Friedensdividende«).
Tatsächlich vermochte sich jedoch keine der beiden Versionen einer Weltordnung unter maßgeblichem Einfluss westlicher Ideen und Wertvorstellungen durchzusetzen.
Schon gar nicht die kooperativ-harmonische UNO-Version, denn schnell stellte sich heraus, dass die weit überwiegende Mehrheit ihrer Mitglieder ihre unterschiedlichen und oft gegenläufigen Interessen eben nicht friedlich-schiedlich abgleichen wollten. Sie betrachteten die Vereinten Nationen lediglich dann als nützlich, wenn von ihr Unterstützung für die eigenen Interessen zu erwarten war. Außerdem sträubten sich die fünf Veto-Mächte im entscheidenden UNO-Gremium, ihrem Sicherheitsrat, gegen dessen Reform, mit der die Repräsentanz anderer regionaler Mächte und Kontinente hätte erhöht werden können. Folglich achteten sie eifersüchtig darauf, dass ihre jeweiligen außenpolitischen Einflussmöglichkeiten nicht durch irgendwelche Gremienbeschlüsse angekratzt wurden. So blieben die Vereinten Nationen auch weiterhin hauptsächlich ein Forum für die Selbstdarstellung der Staaten, der Organisationsrahmen von »Weltkonferenzen« mit schön klingenden Proklamationen und Resolutionen an ihrem Ende und zuständig für die Koordination von Löscharbeiten (»Friedensmissionen«) dort, wo lokale und regionale Konflikte zu eskalieren drohten und keine Großmacht Einwände gegen ein Eingreifen zwecks Deeskalation dieser Konflikte vorbrachte.
Auch die amerikanische Vision einer neuen Weltordnung, zunächst noch mit Verve von Präsident George Bush (Amtszeit 1989–1993) antizipiert, hat sich bald in Luft aufgelöst. Der »Krieg gegen den internationalen Terrorismus«, der in Washington nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ausgerufen wurde, zeitigte zwar fast überall in der Welt (außer in einigen arabischen Ländern) große Zustimmung. Die NATO rief sogar zum ersten Mal in ihrer Geschichte den Bündnisfall aus. Der deutsche Bundeskanzler versicherte den USA seiner »uneingeschränkten Solidarität«. Überraschenderweise nahmen auch viele solcher Regierungen den Terminus vom Krieg gegen den Terrorismus auf, denen man ansonsten nicht gerade eine tiefe Verbundenheit mit den USA oder dem Westen nachsagen konnte. Sie hatten ihre Gründe.
Denn recht bald stellte sich heraus, dass die uneingeschränkte Solidarität nur eine rhetorische Formel war und dass viele Länder ihre eigenen, in der Hauptsache innenpolitisch geprägten Vorstellungen darüber hatten, wer alles als Terrorist zu gelten hatte und wie man gegen sie vorgehen sollte. So war für die Regierung in Peking klar, dass die im Westen Chinas lebenden muslimischen Uiguren als Terroristen zu bekämpfen seien; in der Türkei wurden politische Organisationen der Kurden, auch wenn sie sich von Terror-Methoden distanzierten, als Terroristen stigmatisiert usw. Mit der Terrorismuskeule wurden Gerechte und Ungerechte geschlagen. Wieder einmal traf der alte Spruch zu: »Was dem einen ein Terrorist ist, ist dem anderen ein Freiheitskämpfer.«