Kitabı oku: «Lichtenstein», sayfa 10

Yazı tipi:

"Mit Verlaub", unterbrach ihn der fette Herr, "dem ist nicht so, sondern Götz ist in der Tat gefangen und sitzt in Heilbronn. Aber nicht, weil er erlegen ist, denn sein Schloß in Möckmühl ist nicht erstürmt worden, sondern die Bündischen hatten ihm und den Seinigen freien Abzug versprochen, wie er aber aus dem Tor kam, wurde er überfallen, seine Knechte getötet und er gefangen. Seht, das ist nicht recht, und da hat der Bund schändlich gehandelt."

"Da muß ich doch bitten, Herr" sprach der Lange. "Daß man nicht so von den Bundesobersten spricht; ich kenne viele Herren davon genau, wie z.B. Herr Truchseß von Waldburg mein geneigter Herr und Freund ist."

Der fette Herr schien etwas erwidern zu wollen, spülte aber das, was ihm auf der Zunge lag, mit einigem Wein hinunter. Jedoch die Bürger brachen bei Erwähnung so vornehmer Bekanntschaften in ein Gemurmel des Staunens aus und lüfteten ehrerbietig ihre Mützen.

"Nun, wenn Ihr beim Bund so bekannt seid", sagte der Zerlumpte mit etwas trotziger Miene, "so werdet Ihr uns die beste Nachricht geben können, wie es um Tübingen aussieht und was weiter zu erwarten ist."

"Es pfeift aus dem letzten Loch", antwortete der Gefragte, "ich war vor kurzer Zeit dort und sah die vortrefflichen und schrecklichen Anstalten zur Belagerung."

"Ei—so—wie", flüsterten die Bürger und rückten näher zusammen, als erwarteten sie wichtige Kunde.

Der hagere Mann lehnte sich an die Lehne seines Stuhles zurück, steckte die langen Finger in die Degenkuppel, streckte die Beine um einige Zoll länger aus und sprach: "Ja, ja, Ihr Leute, dort sieht es arg aus; alle Ortschaften in der Nachbarschaft sind in großem Schaden, denn die Obstbäume sind alle abgehauen, man schießt mit aller Macht auf Stadt und Schloß, und die Stadt hat sich schon ergeben; im Schloß liegen vierzig Ritter, aber sie können die paar Mäuerlein nicht mehr lange halten!"

"Was? Ein paar Mäuerlein?" rief der fette Herr und setzte seine Kanne klirrend auf den Tisch. "Wer je das Schloß von Tübingen gesehen hat, kann nicht von ein paar Mäuerlein reden. Hat es nicht auf den Seiten, wo es an den Berg stößt, zwei tiefe Graben, daß die Bündler mit keiner Leiter hinaufkönnen, und Mauern zwölf Schuh dick, und Türme, aus welchen sie ihre Feldschlangen nicht übel spielen lassen."

"Umgeschossen, umgeschossen" rief der lange Mann mit so greulich hohler Stimme, daß die erschrockenen Bürger die Türme von Tübingen krachen zu hören glaubten, "den neuen Turm, den der Ulrich neulich aufbaute, hat der Frondsberg umgeschossen; wie wenn er nie dagestanden wäre."

"Aber damit ist noch nicht alles hin", antwortete der Zerlumpte. "Die Ritter machen Ausfälle aus dem Schloß und haben schon manchen auf dem Wörth am Neckar schlafen gelegt. Und dem Frondsberg haben sie den Hut vom Kopf geschossen, daß er heute noch Ohrensummen hat."

"Da seid Ihr falsch berichtet", sprach der Hagere nachlässig, "Ausfälle? Dafür haben die Belagerer leichte Reiter wie die Teufel; es sind Griechen, ich weiß nicht vom Ganges oder Epiros, man heißt sie Stratioten; die haben einen Obersten, den Georg Samares, der läßt keinen Hund aus dem Loch ausfallen."

"Der hat halt auch ins Gras beißen müssen", entgegnete der zerlumpte Mann mit einem höhnischen Seitenblick. "Die Hunde, wie Ihr sie nennt, sind dennoch ausgefallen, obgleich der Grieche vor dem Loch stand, und haben ihn gebissen und gefangen, und—"

"Gefangen? Den Samares?" rief der Lange, aus seiner vornehmen Ruhe aufgeschreckt. "Freund, das habt Ihr falsch gehört!"

"Nein", antwortete jener sehr ruhig, "ich habe die Glocken läuten hören, als man ihn in Sankt Jörgenkirche begraben hat."

Die Bürger schauten aufmerksam nach dem langen Fremden, um zu erforschen, was für einen Eindruck diese Nachricht auf ihn mache. Er ließ seine buschigen Augenbrauen herab, daß von seinen Augen nichts mehr zu sehen war, zwirbelte seinen langen dünnen Knebelbart, schlug mit der Hand auf den Tisch und sagte: "Und wenn sie ihn auch in zehn Stücke zerhauen hätten, den Griechen, es hilft doch nichts! Das Schloß muß über, da hilft nichts, und hat man Tübingen, dann gute Nacht Württemberg! Der Ulrich ist zum Land hinaus, und meine gnädigen Herren und Gönner sind Meister."

"Wer steht Euch dafür, daß er nicht wiederkommt? Und dann?" sagte der kluge, fette Herr und klappte den Deckel zu.

"Was? Wiederkommen!" schrie jener. "Der Bettelmann! Wer sagt das, daß er wiederkommt? Wer wagt es? He?"

"Was geht es uns an?" murmelten die Gäste unmutig. "Wir sind friedliche Bürger, uns ist's einerlei, wer Herr im Land ist, wenn nur die Steuern anders werden.—Wenn man in der Herberge ist, wird doch auch noch ein Wort erlaubt sein." So sprachen sie, und der Hagere schien zufrieden, daß ihm keiner etwas Ernstliches entgegnete. Er sah einen um den anderen mit stechendem Blick an, zog dann sein Gesicht in freundlichere Falten und sagte: "Es war nur zur Erinnerung, daß wir den Herzog fürder nicht mehr brauchen; mein' Seel', mir ist er wie Gift und Operment, darum gefällt mir auch das Paternoster so gut, das einer auf ihn gemacht hat, ich will es einmal singen." Die Bürger sahen finster vor sich hin und schienen nicht sehr begierig auf den Spottgesang, der ihrem unglücklichen Herzog galt. Jener aber befeuchtete seine Kehle mit einem guten Trunk und sang mit heiserer, unangenehmer Stimme:

 
"Vater Unser,
Reutlingen ist unser;
Der Du bist in dem Himmel,
Eßlingen wölln wir bald gewinnen;
Geheiligt werde Dein Nam',
Heilbronn und Weil wölln wir auch han;
Zu uns komme Dein Reich"
Der Ulmer Bund sieht uns keinem gleich;
Dein Will' geschehe,
Die Münz' hat gereit ein ander Gepräge;
Gib uns unser täglich Brot,
Wir haben Geschütz für alle Not;
Vergib uns unsere Schuld,
Wir haben des Königs von Frankreich Huld;
Als wir vergeben unsern Schuldigern,
Wir wölln dem Bund das Maul zusperr'n!
Laß uns nicht geführt werden,
Wir wölln bald Kaiser werden,
In keine Versuchung, sondern erlös uns
von allem Übel. Amen.
So behalten wir des Kaisers Namen."
 

Er schloß seinen Gesang mit einem fatalen, zitternden Schnörkel, der weiter keinen Effekt hervorbrachte, als daß die Bürger einander heimlich anstießen und über die jämmerlichen Töne des Sängers die Achsel zuckten. Er aber schaute stolz im Kreis umher, als wolle er in den Mienen seiner Zuhörer den gerechten Beifall lesen.

"Ihr habt da ein gar frommes Lied gesungen", sagte der Zerlumpte, "so fein kann ich's nicht, aber doch weiß ich auch ein neues Lied und will es mit Eurem Verlaub singen."

Der Hagere sah ihn scheel und spöttisch an, die Bürger aber nickten ihm zu, und er begann mit einem angenehmen Tenor, indem er die Augen halb zuschloß, aber doch hin und wieder auf den langen Mann hinüber schielte, als beobachte er, welchen Eindruck sein Gesang mache:

 
"Oh weh, wo bleibet Deine Kraft,
Württemberg, Du arme Landschaft;
Ich klag Dich billig hart und sehr,
Denn der Bader von Ulm, der ist Dein Herr.
 
 
Der zu Nürnberg die Wetschger macht,
Der Weber von Augsburg treibt auch sein Pracht,
Der Salzsieder von Schwäbisch Hall,
Von Ravensburg die Krämer all.
 
 
Von Rottweil die neuen Schweizerknaben
Wollten der Gans auch ein Feder haben,
Und der Schneider von Memming ist in der Sach'
Und auch der Kürschner von Biberach."
 

Lärmender Beifall und Gelächter unterbrach den Sänger; sie langten über den Tisch herüber, schüttelten dem Zerlumpten die Hand und lobten sein Lied. Der Hagere sprach kein Wort, sondern warf finstere Blicke auf die Gesellschaft; man war ungewiß, ob er den Beifall des Zerlumpten beneidete oder ob der Gegenstand des Liedes ihn beleidigte. Der fette Herr aber sah ungemein klug aus, brummte die Weise des Liedes mit und nickte bei jeder Kraftstelle mit dem Haupt.—Der Sänger mit dem ledernen Rücken fuhr fort:

 
"Den Saymer von Kempten ich Euch meld'
Und Holzhauer von dem Herdtfeldt.
Und andere, die ich nicht nennen will,
Der Haufen ist groß und wird gar zuviel.
 
 
Und auch der ist in dem Strauß,
Der richt' alles mit Ungeld aus,
Ich mein' Junker Ermlich und sein Gesind,
Des reichen Barchetwebers Kind."
 

"Daß Euch der Kuckuck in den Hals fahr, Ihr Lumpenhund!" fuhr der lange Mann auf, als er die letzten Worte hörte. "Ich weiß wohl, wen Ihr mit dem Barchetweber meint, meinen gnädigen Gönner, den Herrn von Fugger. Den soll mir ein solcher Landläufer verunglimpfen?" Er begleitete diese Worte mit einem ausdrucksvollen Mienenspiel und mit schrecklicher Gebärde.

Doch der mit dem ledernen Rücken ließ sich nicht einschüchtern; er stellte seine ungemein muskulöse Faust vor sich hin und sagte: "Den Landläufer könnt Ihr für Euch behalten, Herr Calmus, man weiß wohl, wer Ihr seid; und wenn Ihr nicht augenblicklich Euer Maul haltet, so will ich Euch Eure Rührlöffelarme vom Leib schlagen."

Der Hagere stand auf und bedauerte sich selbst, daß er in so gemeine Gesellschaft geraten sei; er zahlte seinen Wein und ging vornehmen Schrittes aus der Trinkstube.

Kapitel 18

Als dieser Mann das Zimmer verlassen hatte, sahen die Gäste erstaunt einander an, es war ihnen, als hätten sie ein schweres Gewitter aufsteigen sehen, es hätte gekracht, als ob die Erde bersten wolle, ja, als wäre ein erschrecklicher, tötender Blitz auf sie herabgefahren, und siehe da, es war nur ein "kalter Schlag". Dem Mann mit dem Lederrücken dankten sie, daß er den ungezogenen übermütigen Gast so schnell entfernt habe, und fragten, was er wohl von dem hageren Fremden wisse?

"Den kenne ich wohl", antwortete dieser, "das ist unseres Herrgotts Tagdieb, ein fahrender Arzt, der den Leuten Pillen verkauft gegen die Pest, den Hunden den Wurm schneidet und die Ohren stutzt, die Mädchen von dicken Hälsen befreit und den Weibern Augenwasser gibt, daß sie blind werden. Er heißt eigentlich Kahlmäuser, aber weil er ein Gelehrter sein will, heißt er sich Doktor Calmus. Er nistet sich bei allen großen Herren ein, und wenn ihn einer einmal einen Esel geheißen hat, so meint er schon, er sei sein bester Freund."

"Mit dem Herzog muß er aber nicht gut stehen", bemerkte der schlaue Herr, "denn er hat doch lästerlich über ihn geschimpft."

"Ja, mit Herrn Ulrich steht er freilich nicht gut; das ging aber so: Der Herzog hatte einen schönen dänischen Jagdhund, der hatte sich im Schönbuch einen Dorn tief in die Pfote getreten. Den Herzog dauerte der Hund; er forschte nach einem geschickten Mann, der das Tier heilen könnte, und zufällig war der Kahlmäuser da und bot sich mit wichtigem Gesicht dazu an. Er bekam im Schloß in Stuttgart alle Tage gut zu essen und eine Maß Wein; das schmeckte ihm nun so gut, daß er über ein Vierteljahr an der Hundspfote dokterte. Da ließ ihn eines Tages der Herzog samt dem Hund rufen und fragte, was er ausgerichtet habe. Er soll viel gelehrtes Zeug geschwatzt haben, doch der Herr hat nicht darauf geachtet, sondern die Pfote selbst untersucht, und da fand es sich, daß sie schon ganz schwarz und brandig war. Da nahm der Herzog den Kahlmäuser, so lang er war, trug ihn an die lange Treppe, auf der man bis in den zweiten Stock hinaufreiten kann, und warf ihn hinunter, daß er halb tot unten ankam. Und seit der Zeit ist der Doktor Calmus nicht gut auf den Herzog zu sprechen. Andere sagen auch, er sei der Kundschafter gewesen zwischen dem Hutten und Frau Sabina und habe nur deswegen den Hund übernommen, weil er dadurch ins Schloß kam."

"So? Mit dem Hutten hat er es gehalten?" sagte einer der Bürger. "Das hätten wir wissen sollen, so hätten wir ihm das Fell recht gegerbt, dem Lumpendoktor! Der Hutten ist doch an all dem unseligen Krieg schuld mit seiner Liebelei, und der dürre Kahlmäuser hat ihm dazu geholfen?"

"De mortuis nil nisi bene; man muß die Toten schonen, sagen die Lateiner", entgegnete der fette Herr, "der arme Teufel hat es mit dem Leben teuer genug bezahlt."

"Aber es ist ihm recht geschehen", rief jener Bürger mit großer Hitze, "an des Herzogs Stelle hätt' ich's gerade auch so gemacht, ein jeder Mann muß sein Hausrecht wahren."

"Reitet Ihr zuweilen mit dem Vogt auf die Jagd?" fragte der fette Herr mit überaus schlauem Lächeln. "Da habt Ihr die beste Gelegenheit, ein Schwert habt Ihr ja, und eine Eiche wird sich auch finden, wohin Ihr seinen Leichnam hängen könnt."

Ein schallendes Gelächter der Bürger von Pfullingen belehrte den Gast im Erker, daß jener eifrige Verteidiger des Hausrechts in seinem eigenen Haus nicht so ganz strenge Justiz üben müsse. Er errötete und murmelte einige unverständliche Worte in seinen Becher hinein.

Der Zerlumpte aber, der als Fremder nicht mitlachen wollte, nahm sich seiner an: "Ja, wohl hat der Herzog ganz recht gehabt; denn er hätte den Hutten auf der Stelle hängen können, ohne daß er erst mit ihm focht; er ist ja Freischöff vom westfälischen Stuhl, vom heimlichen Gericht, und darf einen solchen Ehrenschänder ohne weiteres abtun. Und er hatte die besten Beweise gleich bei der Hand."

Das Gespräch der Bürger sank jetzt zum Geflüster herab, und Georg glaubte zu bemerken, daß sie über ihn ihre Glossen machten. Auch die freundliche Wirtin schien neugierig zu wissen, wen sie in ihrem Erkerlein beherberge. Sie setzte die Speisen, die sie ihm bereitet hatte, vor ihn hin, nachdem sie ein schönes Tafeltuch über den runden Tisch ausgebreitet hatte. Dann nahm sie selbst an der entgegengesetzten Seite Platz und befragte ihn, wiewohl sehr bescheiden, über das Woher? Und Wohin?

Der junge Mann war nicht gesonnen, ihr über den eigentlichen Zweck seiner Reise genaue Auskunft zu geben Das Gespräch der Gäste an der langen Tafel hatte ihn belehrt, daß es hier nicht minder gefährlich sei, zu gar keiner Partei zu gehören, als sich für irgendeine bestimmt zu erklären; er sagte daher, er komme aus Franken und werde noch weiter hinauf ins Land, in die Gegend von Zollern reisen, und schnitt somit jede weitere Frage ab; denn die Wirtin war zu bescheiden, als daß sie sich den Ort, wohin er gehe, noch näher hätte bezeichnen lassen. Es schien ihm aber eine gute Gelegenheit, sich nach Marien zu erkundigen, denn er war glücklich, wenn ihm die Wirtin zum goldenen Hirsch auch nur ihren Namen nennen, nur den Saum ihres Kleides beschreiben würde. Er fragte daher nach den Burgen umher und nach den ritterlichen Familien, die in der Nachbarschaft wohnen.

Die Wirtin schwatzte gerne. Sie gab ihm in weniger als einer Viertelstunde die Chronik von fünf bis sechs Schlössern aus der Gegend, und bald kam auch Lichtenstein an die Reihe. Der junge Mann holte bei diesem Namen tiefer Atem und schob die Schüssel weit weg, um seine Aufmerksamkeit ganz der Erzählerin zu widmen.

"Nun, die Lichtensteiner sind gar nicht arm, im Gegenteil, sie haben schöne Felder und Wälder, und keine Rute Landes verpfändet. Da ließe sich der Alte lieber seinen langen Bart abscheren, obgleich er gar nicht viel darauf hält und ihn immer streichelt, wenn er mit den Leuten spricht. Er ist ein strenger, ernster Mann. Was er einmal haben will, das muß geschehen, und sollte es biegen oder brechen. Er ist auch einer von denen, die es so lange mit dem Herzog hielten. Die Bündischen werden es ihm übel entgelten lassen."

"Wie ist denn seine…, ich meine, Ihr sagtet, er habe eine Tochter, der Lichtenstein?"

"Nein", antwortete die Wirtin, indem sich ihr sonst so heiteres Gesicht in grämliche Falten zog, "von der habe ich gewiß nicht gesprochen, daß ich es wüßte. Ja, er hat eine Tochter, der gute alte Mann, und es wäre ihm besser, er führe kinderlos in die Grube, als daß er aus Jammer über sein einziges Kind abfährt."

Georg traute seinen Ohren nicht. Was konnte die Wirtin gerade von Marien so Arges denken, daß sie den Vater glücklich pries, wenn er dieses Kind nicht hätte? "Was ist es denn mit diesem Fräulein?" fragte er, indem er sich vergebens abmühte, recht scherzhaft auszusehen: "Ihr macht mich neugierig, Frau Wirtin. Oder ist es ein Geheimnis, das Ihr nicht sagen dürft?"

Die Frau zum goldenen Hirsch schaute aus dem Erker heraus nach allen Seiten, ob niemand lausche. Aber die Bürger waren ruhig in ihrem Gespräch begriffen und achteten nicht auf sie, und sonst war niemand in der Nähe, der sie hören konnte. "Ihr seid ein Fremder", hub sie nach diesen Forschungen an, "Ihr reist weiter und habt nichts mit dieser Gegend zu schaffen, darum kann ich Euch wohl sagen, was ich nicht jedem vertrauen möchte. Das Fräulein dort oben auf dem Lichtenstein ist ein—ein—ja bei uns Bürgersleuten würde man sagen, sie ist ein schlechtes Ding, eine lose Dirne—"

"Frau Wirtin!" rief Georg.

"So schreit doch nicht so, verehrter Herr Gast, die Leute schauen sich ja um. Meint Ihr denn, ich sage, was ich nicht ganz gewiß weiß? Denkt Euch, alle Nacht Schlag elf Uhr läßt sie ihren Liebsten in die Burg. Ist das nicht schrecklich genug für ein sittsames Fräulein?"

"Bedenkt, was Ihr sprecht! Ihren Liebsten?"

"Ja leider, nachts um elf Uhr ihren Liebsten. Es ist eine Schande und ein Spott! Es ist ein ziemlich großer Mann, der kommt in einen grauen Mantel gehüllt ans Tor. Sie hat es zu machen gewußt, daß zu dieser Zeit alle Knechte vom Tor entfernt sind, und nur der alte Burgwart, der ihr auch in ihrer Kindheit zu allen losen Streichen half, um den Weg ist. Da kommt sie nun allemal, wenn es drüben in Holzelfingen elf Uhr schlägt, selbst herunter in den Hof, die Nacht mag so kalt sein, als sie will, und bringt den Schlüssel zur Zugbrücke, den sie zuvor ihrem alten Vater vom Bett stiehlt. Dann schließt der alte Sünder, der Burgwart, auf, die Brücke fällt nieder, und der Mann im grauen Mantel eilt in die Arme des Fräuleins."

"Und dann?" fragte Georg, der beinahe keinen Atem mehr in der Brust, kein Blut mehr in den Wangen hatte. "Und dann?"

"Ja, dann wird Braten, Brot und Wein geholt. Soviel ist gewiß, daß der nächtliche Liebste einen ungeheuren Hunger haben muß, denn er hat in mancher Nacht einen halben Rehziemer rein aufgezehrt und zwei, drei Nößel Wein dazu getrunken. Was weiter geschieht, weiß ich nicht. Ich will nichts vermuten, nichts sagen, aber das weiß ich", setzte sie mit einem christlichen Blick gen Himmel hinzu, "beten werden sie nicht."

Georg schalt sich nach kurzem Nachdenken selbst aus, daß er nur einen Augenblick gezweifelt habe, daß diese Erzählung eine Lüge, von irgendeinem müßigen Kopf ersonnen sei. Oder wenn auch etwas Wahres daran wäre, so konnte es doch nichts sein, das Marien zur Unehre gereicht hätte. Er trug diese Zweifel auch seiner Wirtin vor.

"So? Meint Ihr, der Vater wisse um die Geschichte?" sprach sie.

"Dem ist nicht so. Sehet, ich weiß das gewiß, denn die alte Rosel, die Amme des Fräuleins—"

"Die alte Rosel hat es gesagt?" rief Georg unwillkürlich. Ihm war ja diese Amme, die Schwester des Pfeifers von Hardt, so wohlbekannt. Freilich, wenn diese es gesagt hatte, war die Sache nicht mehr so zweifelhaft. Denn er wußte, daß sie eine fromme Frau und dem Fräulein sehr zugetan war.

"Ihr kennt die alte Rosel?" fragte die Wirtin, erstaunt über den Eifer, womit ihr fremder Gast nach dieser Frau fragte.

"Ich? Sie kennen? Nein, erinnert Euch nur, daß ich heute zum ersten Mal in diese Gegend komme. Nur der Name Rosel fiel mir auf."

"Sagt man bei Euch nicht so? Rosel heißt Rosina bei uns, und so nennt man die alte Amme in Lichtenstein. Nun seht, diese hält viel auf mich und kommt hie und da zu mir, dann koche ich ein süßes Weinmüschen, was sie für ihr Leben gerne ißt, und zum Dank vertraut sie mir allerlei Neues. Von ihr habe ich auch, was ich Euch sagte. Der Vater weiß gar nichts von diesen nächtlichen Besuchen; denn er geht schon um acht Uhr zu Bett. Die Amme schickte das Fräulein jedes Mal um acht Uhr in ihre Kammer. Das fiel nun nach ein paar Tagen der guten Rosel auf. Sie stellte sich, als gehe sie zu Bett, und siehe da, was geschieht? Kaum ist alles ruhig im Schloß, so macht das Fräulein, das sonst keinen Span anrührt, eigenhändig ein Feuer auf dem Herd, kocht und bratet, was sie kann und weiß, holt Wein aus dem Keller, holt Brot aus dem Schrank und deckt in der Herrenstube den Tisch. Dann schaut sie zum Fenster hinaus in die kalte schwarze Nacht, und richtig, wenn es drüben elf Uhr schlägt, rasselt die Zugbrücke nieder, der nächtliche Geselle wird eingelassen und geht mit dem Fräulein in die Herrenstube. Sie hat auch schon gehorcht, die Rosel, was wohl drinnen vorgehe, aber die eichenen Türen sind gar dick. Dann lugt sie auch einmal durch's Schlüsselloch, sah aber nichts als den Kopf des Fremden."

"Nun, und ist er schon alt? Wie sieht er aus?"

"Alt? Wo denkt Ihr hin! Die sieht mir auch danach aus, daß sie es mit einem Alten hätte! Jung ist er und schön, wie mir die Rosel sagt. Er hat einen dunklen Bart um Mund und Kinn, schönes gerolltes Haar auf dem Kopf und sah recht freundlich und liebreich aus."

"Daß ihm der Satan den Bart Haar für Haar auszwicke!" murmelte Georg und strich mit der Hand über sein Kinn, das noch ziemlich glatt war. "Frau, besinnt Euch, habt Ihr denn dies alles so recht gehört von der Frau Rose!? Hat sie dies alles so gesagt? Macht Ihr nicht noch mehr dazu?"

"Gott bewahre mich, daß ich über jemand lästere! Da kennt Ihr mich schlecht, Herr Ritter! Das alles hat mir Frau Rosel gesagt, und noch mehr hat sie vermutet und mir ins Ohr geflüstert, was eine ehrliche Frau einem schönen jungen Herrn nicht wieder sagen kann. Und denkt Euch, wie recht schlecht das Fräulein ist, sie hat noch einen anderen Liebhaber gehabt, und dem ist sie also untreu geworden!"

"Noch einen?" fragte Georg aufmerksam, denn die Erzählung schien ihm mehr und mehr an Wahrscheinlichkeit zuzunehmen.

"Ja, noch einen. Es soll ein gar schöner, lieber Herr sein, sagte mir die Rosel. Sie war mit dem Fräulein einige Zeit in Tübingen, und da war ein Herr von—von—ich glaube Sturmfittich heißt er—der war auf der hohen Schule. Und da lernten sich die beiden Leutchen kennen, und die Amme schwört, es sei nie ein schmuckeres Paar erfunden worden im ganzen Schwabenland. Sie hat ihn auch ganz schrecklich liebgehabt, das ist wahr, und sei sehr traurig gewesen um ihn, als sie von Tübingen ging. Nun ist sie dem armen Jungen untreu geworden, das falsche Herz, und die Amme heult, wenn sie nur an den schönen, treuen Herrn denkt. Er soll noch viel, viel schöner gewesen sein als der, den sie jetzt hat."

"Frau Wirtin, wie oft laßt Ihr mich denn klopfen, bis ich einen vollen Becher bekomme", rief der fette Herr aus der Trinkstube herauf; denn die Frau Wirtin hatte über ihrer Erzählung alles übrige vergessen.

"Gleich, gleich!" antwortete sie und flog an den Schenktisch hin, den durstigen Herrn mit seiner besseren Sorte zu versehen. Und von da ging es zum Keller, und Boden und Küche nahmen sie in Anspruch, so daß der Gast im Erker gute Weile hatte, einsam über das, was er gehört hatte, nachzusinnen.

Den Kopf auf die Hand gestützt, saß er da und schaute unverrückt in die Tiefe seines silbernen Bechers. So saß er am Nachmittag, so saß er am Abend. Die Nacht war schon lange eingebrochen, und er saß noch immer so hinter dem runden Tisch im Erker, tot für die Welt umher, nur hin und wieder verriet ein tiefes Seufzen, daß noch Leben und Empfindung in ihm sei. Die Wirtin wußte nicht, was sie aus ihm machen sollte. Sie hatte sich wenigstens zehnmal neben ihn gesetzt, hatte versucht, mit ihm zu sprechen aber er hatte ihr gedankenlos mit starren Augen ins Gesicht geschaut und nichts geantwortet. Es war ihr ganz Angst dabei geworden, denn gerade so hatte sie ihr seliger Mann angestarrt, als er das Zeitliche segnete und ihr den goldenen Hirsch hinterließ.

Sie beriet sich mit dem fetten Herrn, und auch der Mann mit dem Lederrücken gab seine Meinung preis. Die Wirtin behauptete, entweder sei er verliebt bis über die Ohren, oder man habe es ihm angetan. Sie belegte ihre Behauptung mit einer schrecklichen Geschichte von einem jungen Ritter, den sie gesehen und der aus lauter Liebe am ganzen Leib erstarrt sei, bis er am Ende gestorben.

Der Zerlumpte war nicht dieser Meinung. Er glaubte, dem jungen Mann sei vielleicht ein Unglück geschehen, wie jetzt oft im Krieg vorkomme, und er sei deswegen in so tiefe Trauer versenkt. Der fette Herr aber blinzelte einige Male nach dem stummen Gast im Erker hinauf und fragte dann mit sehr pfiffiger Miene, von welchem Gewächs und Jahrgang der Ritter trinke?

"Nun, ich hab' ihm Heppacher gegeben von 1480. Es ist das Beste, was der goldene Hirsch hat."

"Da haben wir es!" rief der kluge Mann "Ich kenn' den Heppacher Achtziger, den kann solch ein Junkerlein nicht führen und der ist ihm zu Kopf gestiegen. Laßt ihn sitzen, laßt ihn immer sitzen, seinen schweren Kopf in der Hand, ich wette, ehe es acht Uhr schlägt, hat er ausgeschlafen und ist wieder so frisch wie der Fisch im Wasser."

Der Zerlumpte schüttelte den Kopf und sagte nichts dazu, die Wirtin aber lobte den gewohnten Scharfsinn des fetten Herrn und fand seine Vermutung am wahrscheinlichsten.

Es war neun Uhr in der Nacht, die täglichen Zechgäste hatten schon alle die Trinkstube verlassen, und auch die Wirtin wollte sich zum Abendsegen rüsten, als der fremde Herr aus seinem Zustand erwachte. Er sprang auf, machte einige Gänge durchs Zimmer und blieb endlich vor der Hausfrau stehen. Er sah düster und verstört aus, und die wenigen Stunden vom Mittag bis jetzt hatten seinen sonst so freundlichen offenen Zügen tiefe Spuren des Grams eingedrückt.

Die Wirtin dauerte sein Anblick. Sie wollte ihm, eingedenk des klugen fetten Herrn, noch ein heilsames Süpplein kochen und ihm dann ein treffliches, weiches Bett anweisen, doch er schien für diese Nacht ein rauheres Lager sich erwählt zu haben.

"Wann sagt Ihr", hub er mit leiser, unsicherer Stimme an, "wann geht der nächtliche Gast nach Lichtenstein, und wann kommt er zurück?"

"Um elf Uhr, lieber Herr, geht er hinein, und um den ersten Hahnenschrei kommt er wieder über die Zugbrücke."

"Laßt mein Pferd satteln und besorgt mir einen Knecht, der mich nach Lichtenstein geleite."

"Jetzt in der Nacht?" rief die Wirtin und schlug vor Verwunderung die Hände zusammen. "Jetzt wollt Ihr ausreiten? Ei geht doch Ihr treibt Spaß mit mir."

"Nein, gute Frau, es ist mein Ernst. Aber sputet Euch ein wenig, ich habe Eile."

"Die habt Ihr den ganzen Tag nicht gehabt", entgegnete jene, "und jetzt wollt Ihr auf einmal über Hals und Kopf in die Nacht hinaus. Zwar die frische Luft kann nichts schaden bei solchen Kranken. Aber weiß Gott, Euer Pferd lasse ich nicht aus dem Stall, Ihr könnt mir herunterfallen oder allerlei Unglück anrichten, und dann hieße es, wo hat denn die Hirschwirtin wieder den Kopf gehabt, daß sie die Leute so laufen läßt."

Der junge Mann hatte ihre Rede ganz überhört, denn er war wieder in sein düsteres Sinnen zurückgesunken. Als sie aufhörte zu sprechen, schrak er auf und wunderte sich, daß sie seinen Befehl noch nicht befolgt habe.

Er ging, als sie noch immer zauderte, um sein Pferd selbst zu besorgen. Da dachte sie, daß sie doch keine Gewalt habe, ihn zurückzuhalten und daß es geratener sein möchte, ihn ziehen zu lassen. "Laßt dem Herrn seinen Braunen herausführen", rief sie, "und der Andres soll sich rüsten, heute nacht noch ein Stück Wegs zu gehen!– Er hat recht, daß er jemand mitnehmen will", sprach sie für sich weiter, "der kann ihn doch im Notfall halten. Zwar sagt man, sie haben ein paar Sinne mehr, wenn sie etwas im Kopf haben, und es falle keiner so leicht vom Pferd, wenn er auch hin und her schwankt wie der Schwengel in der großen Glocke, aber besser ist besser.—Was Ihr schuldig seid, Herr Ritter? Nun, Ihr habt gehabt eine Maß Alten, macht zwölf Kreuzer, und das Essen—nun, es ist nicht der Rede wert, was Ihr gegessen habt. Ihr habt ja mein Huhn kaum angesehen. Nun, wenn Ihr für den Stall und das Essen noch zwei Kreuzer zulegen wollt, so wird Euch eine arme Witfrau schön danken."

Nachdem die Rechnung in dem niederen Münzfuß der guten, alten Zeit berichtigt war, entließ die Wirtin zum goldenen Hirsch ihren Gast. Sie war ihm zwar nicht mehr so gewogen wie heute mittag, als er herrlich wie der junge Tag in ihre Trinkstube getreten war, aber dennoch konnte sie sich nicht verhehlen, als er beim Schein der Kienfackeln sich aufs Pferd schwang, daß sie nicht leicht einen schöneren Mann gesehen habe, und sie schärfte daher ihrem Knecht, der sie begleitete, um so sorgfältiger ein, recht genau auf ihn acht zu haben, weil es bei diesem Herrn "doch nicht ganz richtig im Kopf sei".

Vor dem Tor von Pfullingen fragte der Knecht den nächtlichen Reiter, wohin er reiten wolle, und auf seine Antwort.—"Nach Lichtenstein", schlug er einen Weg rechts ein, der zum Gebirge führte. Der junge Mann ritt schweigend durch die Nacht hin. Er sah nicht rechts, er sah nicht links, er sah nicht auf nach den Sternen, nicht hinaus in die Weite, seine gesenkten Blicke hafteten am Boden. Es war ihm wie damals, als ihn die Mörder am Weg niedergeschlagen hatten. Seine Gedanken standen still, er hoffte nicht mehr, er hatte zu leben, zu lieben und zu wünschen aufgehört. Und doch war ihm damals wohler gewesen, als ihm auf dem kühlen Teppich des Wiesentales die Besinnung schwand. Er war ja entschlummert mit dem erhebenden Gedanken an sie, und die erstarrenden Lippen hatten noch einmal einen süßen Namen ausgesprochen.

Aber jetzt war die Leuchte verlöscht, die seinen Pfad durchs Leben erhellt hatte. Es war ihm, als habe er nur noch einen kurzen Weg im Dunkeln hinzugehen und dann in lichteren Höhen als auf dem Lichtenstein seine Ruhe zu finden. Und unwillkürlich zuckte seine Rechte hie und da ans Schwert, als wolle er sich versichern, daß ihm dieser Gefährte wenigstens treu geblieben sei, als sei dies der gewichtige Schlüssel, der die Pforte sprengen sollte, die aus dem Dunkel zum Licht führt.

Der Wald hatte längst die Wanderer aufgenommen. Steiler wurden die Pfade, und das Roß strebte mühsam unter der Last des Reiters und seiner Rüstung bergan, doch der Reiter bemerkte es nicht. Die Nachtluft wehte kühler und spielte mit den langen Haaren des Jünglings, er fühlte es nicht. Der Mond kam herauf und beleuchtete seinen Pfad, beleuchtete kühne Felsenmassen und die hohen gewaltigen Eichen, unter welchen er hinzog, er sah es nicht. Unbemerkt von ihm rauschte der Strom der Zeit an ihnen vorüber, Stunde um Stunde verging, ohne daß ihm der Weg lang dünkte.

Es war Mitternacht, als sie auf der höchsten Höhe ankamen. Sie traten heraus aus dem Wald, und getrennt durch eine weite Kluft von der übrigen Erde, lag auf einem einzelnen, senkrecht aus der nächtlichen Tiefe aufsteigenden Felsen der Lichtenstein.