Kitabı oku: «Lichtenstein», sayfa 6

Yazı tipi:

Kapitel 10

Georg fühlte sich leichter, als er auf seinem Zimmer über das Vorgefallene nachdachte. Jetzt war ja entschieden, was zu entscheiden er so lange gezögert hatte, entschieden auf eine Weise, wie er sie besser nicht hätte wünschen können. So hatte er jetzt einen guten Grund, das Heer sogleich zu verlassen, und der Oberst-Feldleutnant mußte die Schuld sich selbst beimessen.

Wie schnell hatte sich doch alles in den vier Tagen gewendet; wie verschieden waren die Gesinnungen, mit denen er in diese Stadt einzog, von denen, die ihn aus ihren Mauern hinaustrieben! Damals, als der Donner der Geschütze, der feierliche Klang aller Glocken, die lockenden Töne der Trompeten ihn begrüßten, wie schlug da sein Herz dem Kampf entgegen, um Marien zu verdienen! Und als er das erste Mal vor jenen Frondsberg geführt wurde, wie erhebend war der Gedanke, unter den Augen dieses Mannes zu streiten, aus seinem Mund sich Ruhm zu erwerben!—Und wie erkaltete bald darauf sein Eifer, als der Bund in seinen Augen jenen Glanz verlor, mit welchem ihn seine jugendliche Phantasie umgeben hatte; wie schämte er sich, sein Schwert für die zu ziehen, die, nur von Eigennutz und Habgier getrieben, das schöne Land sich zur Beute ausersehen hatten! Wie schrecklich war ihm der Gedanke, Marie und die Ihrigen auf der feindlichen Seite zu wissen, treu ergeben dem unglücklichen Fürsten, den auch er aus seinen Grenzen zu jagen helfen sollte? Um eine solche Sache sollte er jenes teure Herz brechen, das unter jedem Wechsel treu für ihn schlug? "Nein! Du hast es wohl mit mir gemeint", sprach er, indem sein Auge dem Strahl der Abendsonne, der durch die runden Scheiben hereinfiel, hinauf zu dem blauen Himmel folgte, "Du hast es wohl mit mir gemeint; was jedem anderen, der heute an meiner Stelle stand, zum Verderben gewesen wäre, hast Du für mich zum Heil gelenkt!" Jene Heiterkeit, die, seit er wußte, wie furchtbar sich das Geschick zwischen ihn und die Geliebte stellte, einem trüben Ernst gewichen war, kehrte wieder auf seine Stirn, um seinen Mund zurück; er sang sich ein frohes Lied, wie in seinen frohesten Augenblicken.

Erstaunt betrachtete ihn der eintretende Herr von Kraft. "Nun, das ist doch sonderbar", sagte er, "ich eile nach Haus, um meinen Gast in seinem gerechten Schmerz zu trösten und finde ihn so fröhlich wie nie; wie reime ich das zusammen?"

"Habt Ihr noch nie gehört, Herr Dietrich", entgegnete Georg, der es für geratener hielt, seine Fröhlichkeit zu verbergen, "habt Ihr nie gehört, daß man auch aus Zorn lachen und singen kann?"

"Gehört hab' ich es schon, aber gesehen nie bis zu diesem Augenblick", antwortete Kraft.

"Nun, und Ihr habt also auch schon von der verdrießlichen Geschichte gehört?" fragte Georg. "Man erzählt es sich gewiß schon auf allen Straßen?"

"Oh nein", antwortete der Ratsschreiber, "man weiß nirgends etwas davon, man hätte ja zugleich Eure geheime Sendung nach Württemberg damit ausposaunen müssen. Nein! Ich habe, Gott sei Dank, so meine eigenen Quellen und erfahre manches noch in der Stunde, wo es getan oder gesprochen wurde. Aber nehmt mir's nicht übel, Ihr habt da einen dummen Streich gemacht!"

"So", antwortete Georg lächelnd, "und warum denn?"

"Bot sich Euch nicht die schönste Gelegenheit, Euch auszuzeichnen? Wem wären die Bundesobersten mehr Dank schuldig als—"

"Sagt es nur heraus", unterbrach ihn Georg "als dem Kundschafter in des Feindes Rücken. Es ist nur schade, daß mein Vater und die Ehre meines Namens mich vor und nicht hinter den Feind bestimmt haben, es sei denn, daß er vor mir fliehe."

"Dies sind Bedenklichkeiten, die ich nicht bei Euch gesucht hätte. Wahrlich, wenn ich so bekannt in jener Gegend wäre wie Ihr, man hätte es mir nicht zweimal sagen dürfen."

"Ihr habt hierzulande vielleicht andere Grundsätze über diesen Punkt" sagte Georg nicht ohne Spott, "als wir in unserem Franken, das hätte Truchseß von Waldburg bedenken und einen Ulmer schicken sollen."

"Ihr bringt mich da eben noch recht auf etwas anderes. Der Oberfeldleutnant! Wie habt ihr ihn Euch so zum Feind machen mögen, denn daß dieser Euch das Geschehene in seinem Leben nicht verzeiht, dürft Ihr gewiß sein."

"Das ist mein geringster Kummer", antwortete Georg "aber eines tut mir weh, daß ich den übermütigen, der schon meinem Vater Böses getan, wo er konnte, nicht vor meine Klinge stellen und ihm zeigen kann, daß der Arm nicht so ganz zu verachten ist, den er heute von sich gestoßen hat."

"Um Gottes willen", fiel Kraft ein, "sprecht nicht so laut, er könnte es hören. Überhaupt müßt Ihr Euch sehr zusammennehmen, wenn Ihr ferner im Heer unter ihm dienen wollt."

"Ich will den Herrn Truchseß von meinem verhaßten Anblick bald befreien. So Gott will, habe ich die Sonne zum letzten Mal in Ulm untergehen sehen."

"So wäre es wahr", fragte Herr von Kraft mit Staunen, "was man noch dazu setzte und was ich nicht glauben konnte: Georg von Sturmfeder wolle wegen dieser Kleinigkeit unsere gute Sache verlassen?"

"Verletzung der Ehre ist nirgends eine Kleinigkeit", antwortete Georg ernst, "am wenigsten bei einem Stand wie dem unsrigen. Was aber Eure gute Sache betrifft, so habe ich nachgerade eingesehen, daß ich weder für eine gute Sache noch für eine gute Meinung, sondern für ein paar große Herren und für ein paar Mauern voll Spießbürger mich schlagen sollte."

Der unangenehme Eindruck, den besonders die letzten Worte auf den Ratsschreiber machten, entging ihm nicht, er fuhr daher, indem er seine Hand ergriff und drückte, ruhiger fort: "Nehmt mir meine scharfen Worte nicht übel, mein freundlicher Wirt, weiß Gott, ich habe Euch nicht damit beleidigen wollen. Aber aus Eurem eigenen Mund habe ich die Gesinnungen und Zwecke der verschiedenen Parteien in diesem Heer erfahren. Schreibt es Euch selbst zu, wenn ich meinen eigenen Weg einschlage, da Ihr mir die Binde von den Augen genommen habt."

"Ihr habt so unrecht gerade nicht, guter Junker. Es wird bunt hergehen, wenn die Herren erst das schöne Land da drüben unter sich teilen. Aber da habe ich gedacht, es geht ja in einem hin, Ihr könntet Euch auch Euer Scherflein dabei verdienen. Man sagt, Ihr dürft es mir aber nicht übelnehmen, Euer Haus sei etwas herabgekommen, das meinte ich—"

"Nichts davon!" fiel Georg rasch ein, gerührt von der Gutmütigkeit seines Gastfreundes. "Das Haus meiner Väter zerfällt, unsere Tore hängen auf gebrochenen Angeln, auf der Zugbrücke wächst Moos, und auf dem hohen Wartturm hausen Eulen. In fünfzig Jahren steht vielleicht noch ein Turm oder ein Mäuerchen und erinnert den Wanderer, daß hier einst ein ritterliches Geschlecht hauste. Aber wenn auch die morschen Mauern über mir zusammenstürzen und den letzten meines Stammes unter ihren Trümmern begraben, niemand soll von mir sagen: Ich habe für ungerechtes Gut das Schwert meines Vaters gezogen."

"Jeder nach seiner Weise", antwortete Dietrich, "es klingt dies alles recht schön; aber ich für meinen Teil würde mir schon etwas gefallen lassen, um mein Haus anständig und wohnlich wiederherzustellen.– Mögt Ihr übrigens Euren Entschluß ändern oder nicht, auf jeden Fall hoffe ich, werdet Ihr es Euch noch einige Tage bei mir gefallen lassen."

"Ich erkenne Eure Güte", antwortete Georg, "aber Ihr seht, daß ich unter den gegenwärtigen Umständen nichts mehr in dieser Stadt zu tun habe. Ich gedenke mit Anbruch des Morgens zu reiten."

"Nun, und man kann Euch Größe mitgeben?" fragte der Ratsschreiber mit überaus schlauem Lächeln. "Ihr reitet doch den nächsten Weg nach Lichtenstein?"

Der junge Mann errötete bis an die Stirn hinauf. Es war zwischen ihm und seinem Gastfreund seit Mariens Abreise dieser Gegenstand noch nicht zur Sprache gekommen, um so mehr überraschte ihn jetzt die schlaue Frage seines Gastfreundes. "Ich sehe", sagte er, "daß Ihr mich noch immer falsch versteht. Ihr glaubt, ich habe dem Bund nur deswegen den Rücken zugewandt, um mich an die Feinde anzuschließen? Wie mögt Ihr nur so schlimm von mir denken?"

"Ach, geht mir doch!" entgegnete der kluge Ratsschreiber. "Niemand anders als mein reizendes Bäschen hat Euch von uns abwendig gemacht. Ihr hättet wohl zu allem, was der Bund getan, ein Auge zugedrückt, wenn der alte Lichtenstein auch mitgemacht hätte. Nun er auf der anderen Seite steht, glaubt Ihr auch schnell umsatteln zu müssen!"

Georg mochte sich verteidigen, wie er wollte, der Ratsschreiber war zu fest von seiner eigenen Klugheit überzeugt, als daß er sich diese Meinung hätte ausreden lassen. Er fand diesen Schritt auch ganz natürlich und sah nichts Böses oder Unehrliches darin. Mit einem herzlichen Gruß an die Base in Lichtenstein verließ er das Zimmer seines Gastes. Doch auf der Schwelle wandte er sich noch einmal um. "Fast hätte ich das Wichtigste vergessen", sagte er, "ich begegnete Georg von Frondsberg auf der Straße. Er läßt Euch bitten, heute abend noch zu ihm in sein Haus zu kommen."

Georg hatte sich zwar selbst vorgestellt, daß ihn Frondsberg nicht ohne Abschied werde ziehen lassen, und doch war ihm bange vor dem Anblick dieses Mannes, der es so gut mit ihm gemeint und dessen freundliche Pläne er so schnell durchkreuzt hatte. Er schnallte unter den Gedanken an diesen schweren Gang sein Schwert um und wollte eben seinen Mantel zurechtlegen, als ein sonderbares Geräusch von der Treppe her seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Schwere Tritte vieler Menschen näherten sich seiner Tür, er glaubte Schwerter und Hellebarden auf dem Estrich seines Vorsaales klirren zu hören. Er machte schnell einige Schritte gegen die Tür, um sich von dem Grund seiner Vermutung zu überzeugen.

Aber noch ehe er die Tür erreicht hatte, ging diese auf. Das matte Licht einiger Kerzen ließ ihn mehrere bewaffnete Kriegsknechte sehen, die seine Tür umstellt hatten. Jener alte Kriegsmann, der ihn heute vor dem Kriegsrat empfangen hatte, trat aus ihrer Mitte hervor.

"Georg von Sturmfeder!" sprach er zu dem Jüngling, der mit Staunen zurücktrat. "Ich nehme Euch auf Befehl eines hohen Bundesrates gefangen."

"Mich? Gefangen?" rief Georg mit Schrecken "Warum? Wessen beschuldigt man mich denn?"

"Das ist nicht meine Sache", antwortete der Alte mürrisch, "doch wird man Euch vermutlich nicht lange in Ungewißheit lassen. Jetzt aber seid so gut und reicht mir Euer Schwert und folgt mir auf das Rathaus."

"Wie? Euch soll ich mein Schwert geben?" entgegnete der junge Mann mit dem Zorn beleidigten Stolzes. "Wer seid Ihr, daß Ihr mir meine Waffen abfordern könnt? Da muß der Rat ganz andere Leute schicken als Euch, so viel verstehe ich auch von Eurem Handwerk!"

"Um Gottes willen, gebt doch nach" rief der Ratsschreiber, der sich bleich und verstört an seine Seite gedrängt hatte. "Gebt nach! Widerstand kann Euch wenig nützen. Ihr habt es mit dem Truchseß zu tun", flüsterte er heimlicher. "Das ist ein böser Feind, bringt ihn nicht noch ärger gegen Euch auf."

Der alte Kriegsmann unterbrach die Einflüsterungen des Ratsschreibers. "Es ist wahrscheinlich das erste Mal, Junker", sagte er, "daß Ihr in Haft genommen werdet, deswegen verzeihe ich Euch gerne die unziemlichen Worte gegen einen Mann, der oft in einem Zelt mit Eurem Vater schlief. Euer Schwert mögt Ihr auch immerhin behalten. Ich kenne diesen Griff und diese Scheide und habe den Stahl, den sie verschließt, manchen rühmlichen Kampf ausfechten sehen Es ist löblich, daß Ihr viel darauf haltet und es nicht in jede Hand kommen lassen mögt. Aber aufs Rathaus müßt Ihr mit, denn es wäre töricht, wenn Ihr der Gewalt Trotz bieten wolltet."

Der Jüngling, dem alles wie ein Traum erschien, ergab sich schweigend in sein Schicksal, er trug dem Ratsschreiber heimlich auf, zu Frondsberg zu gehen und diesen von seiner Gefangenschaft zu unterrichten. Er wickelte sich tiefer in seinen Mantel, um auf der Straße bei diesem unangenehmen Gang nicht erkannt zu werden, und folgte dem ergrauten Führer und seinen Landsknechten.

Kapitel 11

Der Trupp, den Gefangenen in der Mitte, bewegte sich schweigend dem Rathaus zu. Nur eine einzige Fackel leuchtete ihnen voran, und Georg dankte dem Himmel, daß sie nur sparsame Helle verbreitete; denn er glaubte, alle Menschen, die ihm begegneten, müßten es ihm ansehen, daß er ins Gefängnis geführt werde. Nächst diesem beschäftigte ihn unterwegs vorzüglich ein Gedanke: Es war das erste Mal in seinem Leben, daß er in ein Gefängnis geführt wurde, er dachte daher nicht ohne Grauen an einen feuchten, unreinlichen Kerker. Das Burgverlies in seinem alten Schloß, das er als Knabe einmal besucht hatte, kam ihm immer vor das Auge. Er war einige Male im Begriff, seinen Führer darüber zu befragen, doch drängte der Gedanke, man möchte es für kindische Furcht ansehen, seine Frage immer wieder zurück.

Nicht wenig war er daher überrascht, als man ihn in ein geräumiges, schönes Zimmer führte, das zwar nicht sehr wohnlich aussah, denn es enthielt nur eine leere Bettstelle und einen ungeheuren Kamin, aber im Vergleich mit den Bildern seiner Phantasie eher einem Prunkgemach als einem Gefängnis glich. Der alte Kriegsmann wünschte dem Gefangenen gute Nacht und zog sich mit seinen Knechten zurück. Ein kleiner hagerer, ältlicher Mann trat ein: Der große Schlüsselbund, welcher an seiner Seite hing und jeden seiner Schritte wie mit Kettengerassel bezeichnete, gab ihn als den Ratsdiener oder Schließer kund. Er legte schweigend einige große Scheiter Holz ins Kamin, und bald loderte ein behagliches Feuer auf, das dem jungen Mann in der kalten Märznacht sehr zustatten kam. Auf die Bretter der breiten leeren Bettstelle breitete der Schließer eine große, wollene Decke, und das erste Wort, das Georg aus seinem Mund hörte, war die freundliche Einladung an den Gefangenen sich's bequem zu machen. Die harten Brettchen, nur mit einer dünnen Decke überlegt, mochten nun freilich nicht sehr einladend aussehen, doch lobte Georg die Bemühungen des Alten und sein Gefängnis.

"Das ist halt die Ritterhaft", belehrte ihn der Schließer. "Die für den gemeinen Mann ist unter der Erde und nicht so schön, doch ist sie dafür desto besuchter."

"Hier war wohl seit langer Zeit niemand?" fragte Georg, indem er das öde Gemach musterte.

"Der letzte war vor sieben Jahren ein Herr von Berger, er ist in jenem Bett verschieden. Gott sei seiner armen Seele gnädig! Es schien ihm aber hier zu gefallen, denn er ist schon in mancher Mitternacht aus seiner Bahre heraufgestiegen, um sein altes Zimmer zu besuchen."

"Wie?" sagte Georg lächelnd. "Hierher soll er sich nach seinem Tod noch bemüht haben?"

Der Schließer warf einen scheuen Blick in die Ecken des Zimmers, die von dem unruhigen Flackern des Kaminfeuers kaum erhellt, sich bald vor-, bald zurückzudrängen schienen. Er legte das Holz zurecht und brummte: "Man spricht so mancherlei."

"Und auf jener Decke ist er verschieden?" rief Georg, den bei allem jugendlichen Mut doch ein unwillkürlicher Schauder überlief.

"Ja, Herr!" flüsterte der Schließer leise, "dort auf jener Decke ist er abgefahren. Gott gebe, daß es nicht tiefer als ins Fegefeuer ging. Wir nennen deswegen die Decke nur das Leichentuch, das Zimmer aber heißt des Ritters Totenkammer!" Mit leisen Schritten, als fürchte er, durch jeden Laut den Toten zu erwecken, schlich er aus dem Gemach, desto vernehmlicher rauschten außen seine Schlüssel im Türschloß, als feierten sie seinen Triumph, einem greulichen Spuk entflohen zu sein.

"Also auf dem Leichentuch in des Ritters Totenkammer?" dachte Georg, und fühlte, wie sein Herz lauter pochte.

Er war daher unschlüssig, ob er sich auf das Leichentuch legen sollte oder nicht. Aber er sah keinen Stuhl, keine Bank in der ganzen Totenkammer; der Boden, mit Backsteinen zierlich ausgelegt, war noch kälter als das kalte feuchte Leichentuch. Er begann sich dieser Untersuchungen, dieses Zögerns zu schämen, und bald nahm ihn das gastliche Lager des Verstorbenen auf.

Auch das härteste Lager ist weich für den, der mit gutem Gewissen zur Ruhe geht. Georg hatte sein Nachtgebet gesprochen und war bald entschlummert. Aber aus dem Leichentuch stiegen wunderliche Träume auf und lagerten sich bange über den jungen Mann. Er sah deutlich wie der alte Schließer zu dem großen Schlüsselloch hereinguckte und sich segnete, daß er auf der anderen Seite der Tür stehe, denn in der Totenkammer begann es, recht unheimlich zu werden. Es fing an, wunderlich umherzurauschen, auf den Backsteinen schlurften alte Sohlen in häßlichen Tönen. Georg glaubte zu träumen; er ermannte sich, er horchte, er horchte wieder, aber es war keine Täuschung. Schwere Tritte tönten im Gemach. Jetzt wurde das Feuer heller angeschürt. Der ungewisse Schein der Flamme spielte um eine große, dunkle Gestalt. Sie bewegte sich, der Weg vom Kamin zum Bett war gar nicht weit. Die Schritte kommen näher, das Leichentuch wird angefaßt und geschüttelt. Georg, von unabwendbarer Furcht befallen, drückt die Augen zu, aber als die Decke gerade neben seinem Haupt gefaßt wurde, als eine kalte, schwere Hand sich auf seine Stirn legte, da riß er sich los aus seiner Angst, er sprang auf und maß mit ungewissen Blicken jene dunkle Gestalt, die jetzt dicht vor ihm stand. Hell flackerten die Flammen im Kamin, sie beleuchteten die wohlbekannten Züge von Frondsberg.

"Ihr seid es, Herr Feldhauptmann?" rief Georg, indem er freier atmete und seinen Mantel zurechtlegte, um den Ritter nach Würde zu empfangen.

"Bleibt, bleibt", sagte jener und drückte ihn sanft auf sein Lager nieder. "Ich setze mich zu Euch auf das Bett, und wir plaudern noch ein halbes Stündchen, denn es ist auf allen Glocken erst neun Uhr, und in Ulm schläft noch niemand als dieser Sprudelkopf, den man zur Abkühlung heute nacht recht hart gebettet hat." Er faßte Georgs Hand und setzte sich zu seinen Füßen auf das Bett.

"Oh wie kann ich diese milde Nachsicht verdienen!" sprach Georg, "Stehe ich nicht in Euren Augen als ein Undankbarer da, der Euer Wohlwollen zurückstößt, und was Ihr gütig für ihn ausgesonnen mit rauher Hand zerreißt?"

"Nein mein junger Freund!" antwortete der freundliche Mann. "Du stehst vor meinen Augen als der echte Sohn Deines Vaters. Gerade so schnell fertig mit Lob und Tadel, mit Entschluß und Rede war er. Daß er ein Ehrenmann dabei war, weiß ich wohl, aber ich weiß auch, wie unglücklich ihn sein schnelles Aufbrausen, sein Trotz, den er für Festigkeit ausgab, machten."

"Aber sagt selbst, edler Herr!" entgegnete Georg. "Konnte ich heute anders handeln? Hatte mich nicht der Truchseß aufs Äußerste gebracht?"

"Du konntest anders handeln, wenn Du die Weise und Art dieses Mannes beachtetest, welche sich Dir letzthin schon kundgab. Auch hättest Du denken können, daß Leute genug da waren, die Dir kein Unrecht geschehen ließen. Du aber schüttetest das Kind mit dem Bade aus und liefst weg."

"Das Alter soll kälter machen", erwiderte der junge Mann, "aber in der Jugend hat man heißes Blut. Ich kann alles ertragen, Härte und Strenge, wenn sie gerecht sind und meine Ehre nicht kränken. Aber kalter Spott, Hohn über das Unglück meines Hauses kann mich zum wütenden Wolf machen. Wie kann ein so hoher Mann nur Freude daran haben, einen so zu quälen?"

"Auf diese Art äußert sich immer sein Zorn", belehrte ihn Frondsberg. "Je kälter und schärfer er aber von außen ist, desto heißer kocht in ihm die Wut. Er war es, der auf den Gedanken kam, Dich nach Tübingen zu senden, teils weil er sonst keinen wußte, teils auch, um das Unrecht, das er Dir angetan, wiedergutzumachen. Denn in seinem Sinn war diese Sendung höchst ehrenvoll. Du aber hast ihn durch Deine Weigerung gekränkt und vor dem Kriegsrat beschämt."

"Wie?" rief Georg. "Der Truchseß hat mich vorgeschlagen? So kam also jene Sendung nicht von Euch?"

"Nein", gab ihm der Feldhauptmann mit geheimnisvollem Lächeln zur Antwort, "nein. Ich habe ihm sogar mit aller Mühe abgeraten, Dich zu senden, aber es half nichts, denn die wahren Gründe konnte ich ihm doch nicht sagen. Ich wußte, ehe Du eintratst, daß Du Dich weigern würdest, dieses Amt anzunehmen.—Nun, reiße doch die Augen nicht so auf, als wolltest Du mir durch das lederne Koller ins Herz hineinschauen. Ich weiß allerlei Geschichten von meinem jungen Trotzkopf da!"

Georg schlug verwirrt die Augen nieder. "So kamen Euch die Gründe nicht genügend vor, die ich angab?" sagte er. "Was wollt Ihr denn so Geheimnisvolles von mir wissen?"

"Geheimnisvoll? Nun, so gar geheimnisvoll ist es gerade nicht, denn merke für die Zukunft: Wenn man nicht verraten sein will, so muß man weder bei Abendtänzen sich gebärden wie einer, der vom St.-Veits-Tanz befallen ist, noch nachmittags um drei Uhr zu schönen Mädchen gehen. Ja, mein Sohn, ich weiß allerlei", setzte er hinzu, indem er lächelnd mit dem Finger drohte, "ich weiß auch daß dieses ungestüme Herz gut württembergisch ist."

Georg errötete und vermochte den lauernden Blick des Ritters nicht auszuhalten. "Württembergisch?" entgegnete er, nachdem er sich mit Mühe gefaßt hatte. "Da tut Ihr mir Unrecht; nicht mit Euch zu Feld ziehen zu wollen, heißt noch nicht, sich an den Feind anzuschließen; gewiß, ich schwöre Euch—"

"Schwöre nicht!" fiel ihm Frondsberg rasch ins Wort. "Ein Eid ist ein leichtes Wort, aber es ist doch eine drückend schwere Kette, die man bricht, oder von der man zerbrochen wird. Was Du tun wirst, das wird so sein, daß es sich mit Deiner Ehre verträgt. Nur eines mußt Du dem Bund an Eides Statt geloben, und dann erst wirst Du aus Deiner Haft entlassen: In den nächsten vierzehn Tagen nicht gegen uns zu kämpfen."

"So legt Ihr mir also dennoch falsche Gesinnungen unter?" sprach Georg bewegt. "Das hätte ich nicht gedacht! Und wie unnötig ist dieser Schwur! Für wen und mit wem sollte ich denn auf jener Seite kämpfen? Die Schweizer sind abgezogen das Landvolk hat sich zerstreut, die Ritterschaft liegt in den Festungen und wird sich hüten, den nächsten Besten, der vom Bundesheer herüberläuft, in ihre Mauern aufzunehmen, der Herzog selbst ist entflohen—"

"Entflohen?" rief Frondsberg aus. "Entflohen? Das weiß man noch nicht so gewiß; warum hätte der Truchseß denn die Reiter ausgeschickt?" setzte er hinzu. "Und überhaupt, wo hast Du diese Nachrichten alle her? Hast Du den Kriegsrat belauscht? Oder sollte es wahr sein, was einige behaupten wollen, daß Du verdächtige Verbindungen mit Württemberg unterhältst?"

"Wer wagt dies zu behaupten?" rief Georg erblassend.

Frondsbergs durchdringende Augen ruhten prüfend auf den Zügen des jungen Mannes. "Höre, Du bist mir zu jung und zu ehrlich zu einem Bubenstück", sagte er, "und wenn Du etwas der Art im Schild führst, hättest Du Dich wohl nicht vom Bund losgesagt, sondern auch ferner Württembergs Spion gemacht."

"Wie? Spricht man so von mir?" unterbrach ihn Georg, "Wenn Ihr nur ein Fünkchen Liebe zu mir habt, so nennt mir den schlechten Kerl, der so von mir spricht!"

"Nur nicht gleich wieder so aufbrausend!" entgegnete Frondsberg und drückte die Hand des jungen Mannes. "Du kannst denken, daß, wenn ein solches Wort öffentlich gesprochen würde oder ich an diese Einflüsterungen glaubte, Georg von Frondsberg nicht zu Dir käme. Aber etwas muß denn doch an der Sache sein. Zu dem alten Lichtenstein kam öfters ein schlichter Bauersmann in die Stadt; er fiel nicht auf zu einer Zeit, wo so vielerlei Menschen hier sind. Aber man gab uns geheime Winke, daß dieser Bauer ein verschlagener Mann und ein geheimer Botschafter aus Württemberg sei. Der Lichtensteiner zog ab, und der Bauer und sein geheimnisvolles Treiben war vergessen. Diesen Morgen hat er sich wieder gezeigt. Er soll vor der Stadt lange Zeit mit Dir gesprochen haben; auch wurde er in Deinem Haus gesehen. Wie verhält sich nun diese Sache?"

Georg hatte ihm mit wachsendem Staunen zugehört. "So wahr ein Gott über mir ist", sagte er, als Frondsberg geendet hatte, "ich bin unschuldig. Heute früh kam ein Bauer zu mir und—"

"Nun warum verstummst Du auf einmal", fragte Frondsberg, "Du glühst ja über und über, was ist es denn mit diesem Boten?"

"Ach! Ich schäme mich, es auszusprechen und dennoch habt Ihr ja schon alles erraten; er brachte mir ein paar Worte von—meinem Liebchen!" Der junge Mann öffnete bei diesen Worten sein Wams und zog einen Streifen Pergament hervor, den er dort verborgen hatte. "Seht, dies ist alles, was er brachte", sagte er, indem er es Frondsberg bot.

"Das ist also alles?" lachte dieser, nachdem er gelesen hatte. "Armer Junge! Und Du kennst also diesen Mann nicht näher? Du weißt nicht, wer er ist?"

"Nein er ist auch weiter nichts als unser Liebesbote, dafür wollte ich stehen!"

"Ein schöner Liebesbote, der nebenher unsere Sachen auskundschaften soll; weißt Du denn nicht, daß es der gefährlichste Mann ist, es ist der Pfeifer von Hardt."

"Der Pfeifer von Hardt?" fragte Georg. "Zum ersten Mal höre ich diesen Namen, und was ist, wenn er der Pfeifer von Hardt ist?"

"Das weiß niemand recht; er war beim Aufstand des armen Konrad einer der schrecklichsten Aufrührer, nachher wurde er begnadigt; seit dieser Zeit führt er ein unstetes Leben und ist jetzt ein Kundschafter des Herzogs von Württemberg."

"Und hat man ihn aufgefangen?" forschte Georg weiter, denn unwillkürlich nahm er wärmeren Anteil an seinem neuen Diener.

"Nein, das gerade ist das Unbegreifliche; man machte uns so still als möglich die Anzeige, daß er sich wieder in Ulm sehen lasse; in Eurem Stall soll er zuletzt gewesen sein, und als wir ihn ganz geheim ausheben wollten, war er über alle Berge. Nun, ich glaube Deinem Wort und Deinen ehrlichen Augen, daß er in keinen anderen Angelegenheiten zu Dir kam—Du kannst Dich übrigens darauf verlassen, daß er, wenn es derselbe ist, den ich meine, nicht allein Deinetwegen sich nach Ulm wagte. Und solltest Du je wieder mit ihm zusammentreffen, so nimm Dich in acht, solchem Gesindel ist nicht zu trauen. Doch der Wächter ruft zehn Uhr. Lege Dich noch einmal aufs Ohr und verträume Deine Gefangenschaft. Vorher aber gib mir Dein Wort wegen der vierzehn Tage, und das sage ich Dir, wenn Du Ulm verläßt, ohne dem alten Frondsberg Lebewohl zu sagen—."

"Ich komme, ich komme", rief Georg, gerührt von der Wehmut des verehrten Mannes, die jener umsonst unter einer lächelnden Miene zu verbergen suchte. Er gab ihm Handtreue, wie es der Kriegsrat verlangte; der Ritter aber verließ mit langsamen Schritten die Totenkammer.