Kitabı oku: «Ängste von Kindern und Jugendlichen», sayfa 4
2.2.2.3 Soziale Phobie
Johanna, 17 Jahre, ist seit der Kindergartenzeit zurückhaltend, schüchtern und introvertiert. Die Probleme nahmen mit den Jahren zu. In der Grundschule und später in der Hauptschule hat Johanna sich immer mehr verschlossen. Sie geht nicht auf Menschen zu und knüpft keine Kontakte, vermeidet jegliche Konfliktsituation und traut sich kaum, eine eigene Meinung zu äußern. Die Jugendliche hat in allen Lebensbereichen Angst davor, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen, sich peinlich zu verhalten. Johanna schämt sich, in der Öffentlichkeit zu essen oder mit jemandem zu reden und zeigt inzwischen generell Angst, sich außerhalb des häuslichen Rahmens aufzuhalten. Die Patientin hat das Gefühl, dass alle sie bewerten und denken, wie dick, hässlich und dumm sie sei. Johanna mochte nie ihren adipösen Körper, aber jetzt sagt sie, sie hasse ihn. In sozialen Situationen zeigt sie physiologische Symptome wie Zittern, Schwitzen und Erröten; seit Kurzem verstummt sie in angstbesetzten Situationen völlig. Im Übrigen klagt Johanna über eine gedrückte Stimmung, Freudlosigkeit und übermäßige Müdigkeit.
Mit der zunehmenden Fähigkeit, Situationen aus der Perspektive eines anderen zu betrachten und zu beurteilen, treten bei Kindern, die auf die Pubertät zugehen, Ängste vor sozialer Beurteilung als Teil der normalen Entwicklung auf. Sie stellen sich zunehmend die Fragen »Wer bin ich?« und »Wie sehen mich die anderen?«. Es tauchen dann auch Selbstzweifel auf und Sorgen darüber, wie sie nach außen wirken und was andere über sie denken könnten. Derartige Episoden sozialer Angst sind Teil der normalen Entwicklung. Die Kinder und Jugendlichen entwickeln in diesen Auseinandersetzungen das Erleben einer eigenen Identität und eine wachsende Unabhängigkeit von ihren Eltern.
Von einer sozialen Phobie kann erst gesprochen werden, wenn Kinder oder Jugendliche eine dauerhafte, unangemessene Furcht vor sozialen Situationen oder Leistungssituationen zeigen. In diesen Situationen oder bei ihrer gedanklichen Vorwegnahme treten physiologische Reaktionen auf in Form von Herzklopfen, Zittern, Schwitzen, Erröten, Kälteschauern, Schwächegefühl, Übelkeit und einer veränderten Atmung. Die Kinder und Jugendlichen entwickeln als kognitive Reaktionen eine Flut negativer Gedanken über eigene Unzulänglichkeiten und die daraus folgende Unfähigkeit, mit der jeweiligen sozialen Situation umzugehen. Die sozialen Ängste drücken sich beispielsweise aus in Stottern, geringem Augenkontakt und Nägelkauen. Viele Jugendliche glauben, dass die anderen an ihren körperlichen Reaktionen ihre verborgenen Gefühle ablesen können, wodurch sie noch ängstlicher werden und in einen Teufelskreis zunehmender Angst geraten.
Die häufigste Angst von Kindern und Jugendlichen mit sozialer Phobie besteht darin, vor anderen Menschen etwas falsch zu machen: Sie fürchten, dass etwas Peinliches geschieht und dass sie für dumm oder schwach gehalten werden. Sie haben Angst, sich in der Schule zu melden, weil sie fürchten, eine falsche Antwort zu geben und ausgelacht zu werden. Sie fürchten Prüfungen in der Schule, das Reden vor einer Gruppe, oft mit der Folge sinkender Schulleistungen aufgrund mangelnder mündlicher Beteiligung und aufgrund von Prüfungsängsten. Die Unterhaltung mit Gleichaltrigen wird vermieden aus Angst, nicht mitreden zu können oder verlacht zu werden. In Reaktion darauf werden die Interessen der Gleichaltrigen häufig als »unreif« und »oberflächlich« bewertet, womit die Vermeidung solcher Kontakte gerechtfertigt wird. Ebenfalls wird vermieden, an einer Veranstaltung teilzunehmen oder zu einer Party zu gehen. Mitunter kann auch die Befürchtung auftreten, in einer bestimmten Situation, beispielsweise beim Einkaufen oder in der Schule, einzunässen oder sogar einzukoten. In den meisten Fällen erkennen die Kinder oder Jugendlichen, dass ihre Angst übertrieben oder unbegründet ist.
Anders als Erwachsene sind Kinder zuweilen nicht in der Lage, den Grund ihrer Ängste zu benennen. Als Anzeichen einer sozialen Phobie im Kindesalter gelten folgende Verhaltensweisen: Abfall in den Schulleistungen, Schulverweigerung, Vermeidung von altersgemäßen sozialen Aktivitäten, Trotzreaktionen und Wutanfälle, Klagen über Kopf- und Bauchschmerzen, das Vermeiden sozialer Kontakte.
Im Alter von acht bis zwölf Jahren treten sozialphobische Verhaltensweisen am häufigsten in der Schule auf. Sie betreffen vor allem die dort stattfindenden alltäglichen Bewertungssituationen durch Gleichaltrige und Lehrer (Prüfungssituationen). Sozial ängstliche Kinder sind in der Regel wenig aggressiv, wenig impulsiv und zeigen wenig dissoziale Verhaltensweisen. Sie sind in ihrem Verhalten relativ angepasst und regelorientiert und bringen Erwachsene nicht unter unmittelbaren Handlungsdruck. Manche Kinder und Jugendliche entwickeln »einsame Hobbys«, etwa das Programmieren von Computern und das Spielen an Computern.
Die aktuelle Studienlage spricht für einen Einfluss innerfamiliärer Lernerfahrungen auf die Entwicklung sozialphobischen Verhaltens. Familiäre Regeln zum Umgang mit sozialen Situationen, eine hohe innerfamiliäre Kohärenz und das Vermeiden sozialer Kontakte oder aber die Überbewertung sozialer Normen scheinen die Entwicklung sozialer Ängste zu begünstigen.
Das Konzept der sozialen Angst ähnelt dem der Schüchternheit. Schüchterne Kinder haben ein ausgeprägtes Interesse am Kontakt zu anderen, weisen aber gleichzeitig eine starke Vermeidungstendenz in sozialen Situationen auf. Schüchternheit als ein Gehemmtsein gegenüber Fremden wird als ein relativ stabiles, bereits ab dem zweiten Lebensjahr erkennbares Merkmal angesehen und scheint weitgehend unabhängig von der jeweiligen Lernerfahrung, damit auch von dem Erziehungsstil der Eltern oder vom Ausmaß des Kontaktes zu anderen Menschen zu sein. Im Fall von Schüchternheit aus Angst vor Ablehnung bilden Kinder zumeist aufgrund schlechter Erfahrungen die Erwartung aus, dass andere Kinder sie auch in Zukunft ablehnen werden. Diese Schüchternheit beruht also auf Lernerfahrungen und ist weniger stabil, stellt aber einen Risikofaktor für ein negatives soziales Selbstwertgefühl dar. Der Unterschied zwischen sozialer Phobie und Schüchternheit scheint darin zu bestehen, dass Schüchterne in sozialen Situationen zwar mit ähnlichen Gefühlen reagieren, dann aber überprüfen, was tatsächlich passiert und ob die anderen ihnen nicht doch freundlich gesinnt begegnen.
2.2.2.4 Generalisierte Angststörung
Jonas, bei der Vorstellung neun Jahre alt, zeigte sich bereits im Kindergarten ängstlich, unsicher und zurückhaltend. In den Folgejahren trat dieses Verhalten immer stärker auf; der Junge entwickelte eine ängstlich sorgenvolle Grundstimmung. Seit etwa zwei Jahren reagiert er auf alle neuen Situationen mit Angst und Sorgen und daraus resultierenden psychosomatischen Beschwerden (Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Schwitzen und Müdigkeit). Er äußert Angst, die Bezugspersonen zu verlieren, und ständig quält er sich mit dem Gedanken, dass »jederzeit etwas passieren kann«. Darüber hinaus spricht er über seine Angst vor schulischem Versagen, obwohl seine Leistungen in der Schule relativ gut sind. Die Familie berichtet von einem Urlaubsflug in die Türkei. Schon vor dem Flug habe Jonas Angst geäußert und sei sehr aufgeregt gewesen. Im Flugzeug habe er über Bauchschmerzen geklagt und sich übergeben. Während des zweiwöchigen Aufenthalts in der Türkei sei diese Problematik ab und zu aufgetaucht, immer wenn sie neue Aktivitäten unternommen und wenn sich neue Situationen ergeben hätten. Während des Rückflugs habe er die gleichen Probleme gezeigt. Seitdem betone er immer wieder, dass er zu Hause bleiben und nicht mehr zur Schule gehen möchte.
Wenn Kinder und Jugendliche übermäßige und unkontrollierbare Sorgen äußern, sich von diesen Ängsten überwältigt fühlen und Stunden damit verbringen, darüber nachzudenken, was während des vorangegangenen Tages passiert ist und was morgen passieren könnte, spricht man von einer generalisierten Angststörung. Inhalte der Sorgen und Ängste sind die Qualität ihrer Leistungen, die Fähigkeiten in der Schule oder beim Sport, die Pünktlichkeit, Naturkatastrophen wie Erdbeben, der Einschlag eines Kometen, Kriege oder mögliche Fehler, die vorausgesehen werden, und Schwierigkeiten, in die sie geraten könnten. Sie können beispielsweise jeden Tag große Angst davor haben, dass ein Krieg ausbrechen könnte, dass die Eltern vielleicht krank werden und sterben oder sie selbst einen Unfall haben. Wenn diese Kinder einen Fernsehbericht über einen Mordfall anschauen, kann es geschehen, dass sie beginnen, sich darüber Sorgen zu machen, selbst umgebracht zu werden. Sie scheinen nicht zu bemerken, dass ein Eintreten der Ereignisse, über die sie sich Sorgen machen, sehr unwahrscheinlich ist. Die Angst geht zumeist einher mit Ruhelosigkeit, Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten, Reizbarkeit, Muskelverspannungen und Schlafstörungen.
Die Kinder werden von den Eltern häufig als »Grübler« beschrieben. Sie denken, dass sie wenig Einfluss auf den Ausgang einer Situation nehmen können. Manche Kinder verfügen über eine außerordentliche Fähigkeit, sich negative Ausgänge einer Situation vorzustellen, die höchst unwahrscheinlich sind. Die Kinder »nerven« Eltern und Lehrer mit ständigen Fragen über zukünftige Ereignisse oder die Beurteilung ihrer Leistungen. Sie sind ständig darum bemüht, Anerkennung und Bestätigung vor allem von Erwachsenen einzuholen. Wenn eine Klassenarbeit ansteht oder ein Referat gehalten werden soll, suchen sie den Schulbesuch zu vermeiden. Oft auch rufen sie aus der Schule an, klagen über psychosomatische Beschwerden und fordern, von den Eltern abgeholt zu werden. Die Kinder haben wenig Selbstvertrauen und eine geringe Selbstwirksamkeitsüberzeugung.
Einigermaßen zuverlässige Angaben über Häufigkeit, Geschlechterverteilung und ein spezifisches Auftretensalter liegen derzeit nicht vor.
Risikofaktoren
Die derzeit vorliegende Forschung verweist darauf, dass insbesondere Verhaltenshemmung, aber auch ein Temperament, das mit hoher Erregung und Emotionalität einhergeht, das Risiko eines Kindes für die Ausbildung von Angststörungen erhöhen. Ein Erziehungsstil, der durch hohe Kontrolle und Überbehütung gekennzeichnet ist, scheint Angststörungen zu fördern. Zudem scheinen Kinder, die eine generalisierte Angststörung zeigen, von den Eltern zur Wahl von Vermeidungsstrategien eher ermuntert zu werden. Mütter ängstlicher Kinder zeigen ein Überengagement sowohl gegenüber dem ängstlichen Kind als auch gegenüber den nicht auffälligen Geschwistern. Das Erleben belastender Ereignisse in der Kindheit steht in einem deutlichen Zusammenhang mit einem erhöhten Risiko für die Entwicklung einer generalisierten Angststörung.
Schutzfaktoren
Zumindest nach dem Auftreten belastender oder traumatisierender Ereignisse scheinen sowohl soziale Unterstützung durch die Eltern als auch soziale Unterstützung durch die Alterskameraden die Kinder und Jugendlichen vor einer hohen Ausprägung von Angst zu schützen. Ein zweiter Schutzfaktor ist die Fähigkeit eines Kindes, problemfokussierende Bewältigungsstile einzusetzen, während vermeidende Bewältigungsstrategien mit einer höheren Ausprägung von Angst und Depression bei Jugendlichen assoziiert scheinen (nach Lyneham u. Rapee 2004, S. 205 ff.).
Prognose
Der Verlauf einer generalisierten Angststörung im Jugendalter hat einen hohen Vorhersagewert für eine Reihe von Angststörungen und affektiven Störungen im Erwachsenenalter. Das Vorliegen einer Angststörung scheint zudem das Risiko zu erhöhen, erst in einem vergleichsweise höheren Alter eine unabhängige, selbstständige Lebensführung zu erreichen.
2.2.2.5 Panikstörung
Der 17-jährige Max kam alleine und auf Empfehlung seiner Hausärztin zum Erstgespräch. Seit einiger Zeit verspüre er immer wieder plötzliche Angstzustände, die ihn in seinem Alltag sehr beeinträchtigen würden. Er habe dann Kreislaufprobleme, sein Herz fange an zu rasen, er schwitze, habe Atemnot und ein Erstickungsgefühl. Zum ersten Mal habe er die Symptome vor einem Jahr gehabt, sodass er mit dem Verdacht auf eine Herzmuskelentzündung ins Krankenhaus gekommen sei. Dort habe man aber bis auf einen leicht erhöhten Blutdruck keine körperlichen Auffälligkeiten feststellen können. Auch nachdem er beim Boxen – den Sport betreibe er intensiv seit mehreren Jahren – auf der Matte fast zusammengebrochen wäre, habe man keine körperlichen Ursachen feststellen können. Er glaube nun auch, dass er körperlich gesund sei; er habe aber auch keine Vorstellung, wie genau seine Psyche diese Symptome auslösen könne. Sie würden für ihn völlig unvermittelt kommen, und es fühle sich so heftig an, dass er Angst habe zu sterben. Er habe Angst vor erneuten derartigen Attacken, und es sei wichtig für ihn, dass er nachts nicht allein sei. Er nehme bei sich eine schnellere Ermüdbarkeit wahr und fühle sich durch seinen Körper »wie ausgebremst« und überhaupt sehr verunsichert. Viele Entscheidungen traue er sich nicht mehr zu.
Das Wort »Panik« geht zurück auf Pan – gemäß der bekanntesten mythologischen Version Sohn des Hermes und der Eichennymphe Dryops. Er wird stets mit Hirtenflöte, Bocksfüßen, struppigem Haar und Hörnern dargestellt. Als seine Mutter ihn nach der Geburt erblickte, erschrak sie so sehr, dass sie ihn aussetzte. Pan hat Freude an Musik, Tanz und Fröhlichkeit. Die Mittagsstunde ist ihm jedoch heilig, und er kann sehr ungehalten werden, wenn man ihn zu dieser Zeit stört. Durch sein garstiges Aussehen und laute Schreie versetzt er dann die Hirten in »panischen Schrecken«, während die Herde von jähem Massenfluchttrieb – eben von »Panik« – erfasst wird. Griechen und Römer hielten dann auch das häufig unerklärliche Fluchtverhalten von Tierherden für ein Ergebnis seines plötzlichen Erscheinens. Dieser »panische Schrecken« (terror panicus) wurde auch für eine überstürzte Flucht von Menschen verantwortlich gemacht. In der Schlacht von Marathon 490 v. Chr. soll Pan den Athenern durch sein Erscheinen geholfen haben, die Perser in die Flucht zu schlagen, indem er bei den Angreifern eine »panische Angst« auslöste. Daraufhin wurde ihm ein Heiligtum auf der Akropolis errichtet, das heute noch zu sehen ist.
Als Panikstörung werden zeitlich begrenzte Episoden akuter Angst bezeichnet. Charakteristisch ist das plötzliche, oft als nicht vorhersehbar erlebte Auftreten von Herzklopfen, Schwitzen, Atemnot und Erstickungsgefühl, Schwindel, Durchfall und abdominellen Schmerzen, Übelkeit, Zittern, Furcht zu sterben und Angst, verrückt zu werden oder die Kontrolle zu verlieren – dies die häufigsten Symptome bei Jugendlichen. Die Symptome erreichen typischerweise innerhalb von zehn Minuten ihren Höhepunkt und gehen dann im Laufe der nächsten 30 Minuten langsam zurück. Ein weiteres Kriterium ist die Erwartungsangst, also die Angst, eine erneute Panikattacke zu bekommen, welche den Patienten nicht selten in einen Teufelskreis aus Angst und Angst vor der Angst treibt. Über 90 % der ersten Panikanfälle treten an einem öffentlichen Ort auf, beispielsweise in Kaufhäusern, Kinos, öffentlichen Verkehrsmitteln oder bei Autofahrten. Die Jugendlichen vermeiden im weiteren Verlauf oft die Orte, an denen sie zuvor eine Panikattacke gehabt haben oder von denen sie fürchten, eine Panikattacke könnte dort auftreten. Sie vermeiden auch Situationen, in denen möglicherweise keine Hilfe verfügbar wäre. Sie schränken ihre Aktivitäten ein oder geben sie ganz auf. In schweren Fällen zeigen sie eine immer stärker werdende Tendenz, Alltagssituationen auszuweichen, bis sie sich schließlich weigern, das Haus überhaupt noch zu verlassen. Die meisten der Betroffenen fühlen sich nach einer Panikattacke müde, abgeschlagen und depressiv.
Die Panikstörung tritt selten vor der Adoleszenz auf. Es scheint jedoch eine enge Verbindung zwischen der Störung mit Trennungsangst im Kindesalter und der Panikstörung zu geben. Die Panikstörung beeinträchtigt das Leben der Jugendlichen meist in erheblichem Maße. Entsprechend oft suchen sie nach therapeutischer Hilfe. Kurz vor Beginn der Panikstörung ist bei vielen Patienten (bei rund 80 %) ein schwerwiegendes Lebensereignis wie der Tod oder eine plötzliche, schwere Erkrankung von nahen Angehörigen oder Freunden sowie eine Erkrankung des Patienten selbst festzustellen.
2.2.2.6 Agoraphobie
Lea, 16 Jahre, besucht die neunte Klasse eines Gymnasiums. Die Eltern berichten, dass Lea über große Ängste klage, wenn sie mit der Straßenbahn oder mit einem Bus fahren solle. Sie habe einmal in einem überfüllten Bus Angstzustände erlebt und gefürchtet, keine Luft mehr zu bekommen und den Bus nicht schnell genug verlassen zu können. Seitdem verweigere sie die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel, weil sie fürchte, die Straßenbahn oder der Bus könnte einen Unfall haben. Inzwischen meide sie beim Einkaufen Geschäfte, in denen sich viele Menschen aufhalten. Sie äußere die Befürchtung, dann beim Auftreten von Ängsten nicht schnell genug das Geschäft verlassen zu können. Lea sei schon immer ein ängstliches Kind gewesen. Zu Beginn des Grundschulbesuchs habe sie heftige Trennungsängste gezeigt, derentwegen die Familie eine Beratungsstelle aufgesucht habe. Die Mutter selbst berichtet, dass sie an gelegentlich auftretenden Panikattacken leide. Die Situation in der Familie sei aufgrund von Leas Verhalten sehr schwierig geworden. Gemeinsame Familienunternehmungen seien kaum noch möglich. Lea müsse jeden Tag zur Schule gefahren und wieder abgeholt werden. Die Kontakte zu ihren Freundinnen seien fast alle abgebrochen.
Etymologisch setzt sich das Wort »Agoraphobie« aus den griechischen Wörtern agora (»öffentlicher Platz«) und phobos (»Furcht«) zusammen. In der Literatur des 19. Jahrhunderts taucht die Agoraphobie unter dem Begriff »Platzschwindel«, in späteren Zeiten als »Platzangst« auf.
Die Agoraphobie ist gekennzeichnet durch die Tendenz, bestimmten Situationen auszuweichen, in denen Flucht oder Vermeidung nicht möglich oder Hilfe im Fall des Auftretens von Paniksymptomen nicht verfügbar ist. Charakteristisch ist die Angst vor dem Fahren in öffentlichen Verkehrsmitteln, vor dem Besuch von Räumen, in denen viele Menschen sind (Kaufhäusern, Kinos und Restaurants), sowie vor dem Autofahren oder dem Benutzen von Fahrstühlen. Die Jugendlichen fürchten beispielsweise, dass der Aufzug stecken bleiben oder im Kaufhaus ein Feuer ausbrechen könnte und sie dann nicht aus der Situation entkommen könnten. Parallel besteht die Neigung, aktiv Situationen aufzusuchen, die ein Gefühl von Sicherheit vermitteln. Letztlich werden die Situationen als bedrohlich erlebt, die eine Entfernung von einem »sicheren Ort« (meistens dem Zuhause) oder eine Einschränkung der Bewegungsfreiheit bedeuten – bildlich gesprochen, die Situationen, bei denen sie »in der Falle sitzen«. Eine solche Angst führt im Allgemeinen zu einer anhaltenden Vermeidung vieler Situationen, wodurch die Fähigkeit, zur Schule zu gehen und an Aktivitäten mit Gleichaltrigen teilzunehmen, beeinträchtigt wird. In manchen Fällen können die Betroffenen die Situationen nur in Begleitung einer anderen Person durchstehen.
Die Agoraphobie ist eine Angststörung, die im Kindes- und Jugendalter sehr selten auftritt und erst im jungen Erwachsenenalter einen ersten Auftretensgipfel erreicht. Erst im DSM-III wurde sie als eigenständige phobische Störung aufgeführt, die mit oder ohne Panikattacken einhergehen kann.
2.2.2.7 Prüfungsangst
Ben, der die Klasse 5 besucht, wird vorgestellt, da er seit einem Jahr vor jeder Klassenarbeit schon morgens über Bauch- und Kopfschmerzen klagt und dann halb trotzig, halb jammernd die Eltern bittet, ihm eine Entschuldigung zu schreiben, damit er zu Hause bleiben kann. Die Nächte vor einer Klassenarbeit, so berichtet er, habe er kein Auge zugetan und immer an die Klassenarbeit denken müssen. Die letzten Arbeiten seien sehr schlecht ausgefallen, auch dann, wenn die Eltern sich zuvor überzeugt hätten, dass er den Schulstoff beherrsche. Ben berichtet weiter, dass er bei Klassenarbeiten in letzter Zeit oft vor dem Heft sitze und »ein Brett vor dem Kopf« habe, dass er »gar nichts denke« oder dass ihm ständig dieselben Gedanken durch den Kopf gehen würden, wie: »Du schaffst das sowieso nicht!« »Jetzt habe ich alles vergessen!« »Die Aufgaben sind viel zu schwer!« »Wäre ich doch nur zu Hause geblieben!« In der letzten Zeit habe Ben immer häufiger geklagt, er wolle gar nicht mehr zur Schule gehen, er sei ein Versager.
Prüfungsangst ist nach Federer (2004, S. 346 f.) ein komplexes, mehrdimensionales Konstrukt, das die individuelle Bereitschaft beschreibt, auf Prüfungssituationen mit einem Übermaß von Sorge, mit physiologischer Erregung, mit mentaler Desorganisation und mit als unkontrollierbar erlebten, selbstwertbedrohlichen Gedanken zu reagieren. Die Prüfungsangst kann zur Vermeidung von schulischen Tests führen, die bis zum Schuleschwänzen gehen kann. Anders als bei anderen Ängsten wird die angstauslösende Situation aber eher selten vermieden. Die Konfrontation mit der Prüfungssituation bewirkt jedoch nicht eine Reduktion der Angst, wie das wegen der Exposition zu erwarten wäre. Denn die Folgen der Prüfungsangst führen zu schlechten Prüfungsleistungen und damit zwar nicht zu der befürchteten Katastrophe, aber doch teilweise zum Eintreffen der befürchteten Konsequenzen.
In den Diagnosesystemen DSM und ICD wird die Prüfungsangst nicht genau zugeordnet. Sie kann ein Symptom der sozialen Phobie sein. »Soziale Phobie« beschreibt aber grundsätzlich eine Angststörung, bei welcher zahlreiche Situationen des zwischenmenschlichen Kontakts als Prüfungssituation wahrgenommen werden. Dabei steht die Angst, man könnte ein unpassendes Verhalten zeigen, mit dem man sich blamieren könnte und vor anderen als dumm, unbeholfen und schwach dastehen würde, im Vordergrund. Schneider (2004c) empfiehlt, die Prüfungsangst der Diagnose der spezifischen Phobie im Sinne einer Phobie vor schulischen Bewertungssituationen zuzuordnen. Als mögliche Alternative verweist sie auf die Diagnose der generalisierten Angststörungen, falls eine intensive und übermäßige Sorge und furchtsame Erwartung bezüglich mehrerer Ereignisse oder alltäglicher Tätigkeiten und Sachverhalte wie Pünktlichkeit, Hausaufgaben, Schulnoten, schulischer Erfolg und die eigene Zukunft im Vordergrund stehen.
Prüfungsangst ist ein weit verbreitetes Problem, über das von der Hälfte aller Kinder und Jugendlichen berichtet wird. Kinder mit Prüfungsangst weisen signifikant schlechtere schulische Leistungen auf als ihre Altersgenossen ohne Prüfungsangst. Darüber hinaus betrachten sie sich selbst als weniger sozial kompetent, haben eine geringere Selbstachtung und sorgen sich mehr als andere Kinder. Ungefähr die Hälfte der Kinder mit Prüfungsangst erfüllen die Kriterien einer Angststörung.