Kitabı oku: «Aus der Praxis», sayfa 9
X. Kapitel
Frau Bankier Weber hatte mit glühender Ungeduld auf Pauls Ankunft gewartet und, als er eingetroffen, stellte sie ihn sogleich ihrem Manne vor.
Herr Weber, der um Jahre älter war als seine Frau, empfing den Maler, wie es einem reichen Manne geziemt; doch merkte Paul sehr bald, dass der alte Herr sich nicht durch hohe Geistesgaben auszeichnete, und dass ihm vorher durch seine Frau mühsam allerlei Floskeln über Kunst und Wissenschaft beigebracht worden waren, die er dann pflichtschuldigst fallen ließ, wie einer, der auf der Flucht begriffen, sich allmählich allen lästigen Gepäcks entledigt. Im Lauf des Gesprächs zeigte der dicke, mit ungewöhnlich breiten Kinnladen gesegnete Herr zuweilen kleine, unangenehme Angewohnheiten, die ihm Frau Weber jedes Mal mittelst Stirnrunzeln, ja mittelst Ausrufen, verwies, so dass hierdurch die ganze Unterredung für den fein empfindenden Paul allmählich einen recht peinlichen Charakter annahm. In anderer Stimmung würde er vielleicht darüber gelacht haben, wenn er bemerkte, wie der einfältig lächelnde Gemahl rasch die Hand von der breiten Nase zog, an der er sich gekratzt, sobald ihm die hübsche Frau einen entrüsteten Blick zuwarf, oder wie er verschämt aus den Backen, die er eben erst froschartig aufgeblasen, die eingesogene Luft entleerte, wenn Frau Weber ein strenges: »aber Karl!« hören ließ. In seiner jetzigen Gemütsverfassung berührte ihn die Beaufsichtigung des armen Schwachkopfs nur unangenehm, und er war sehr froh, als der Unselige, durch einen sichtlich empörten Blick seiner Frau aufmerksam gemacht, mit Entsetzen gewahrte, dass er in seiner Toilette sich hatte einen unverzeihlichen Fehler zuschulden kommen lassen. Dieser nicht zugeknöpfte Knopf zwang ihn, sogleich das Zimmer zu verlassen.
Frau Weber wandte sich mit feuchten Augen zu Paul:
»Sie glauben nicht, was ich mit ihm ausstehe,« sagte sie, »ich musste ihn geradezu erziehen.«
Und Paul hatte trotz seiner ernsthaften Stimmung Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken, da ihn nach der Ausweisung des Gatten der sentimentale Blick der kleinen Frau streifte. Nun erst, da ihn diese Szene ein wenig aus seiner schwermütigen Versunkenheit gerissen, bemerkte der Maler, wie geschmackvoll, um nicht zu sagen verführerisch, sich Elisabeth gekleidet.
Auch fiel ihm ihre Erregtheit auf, die Blässe ihres Gesichts, die sich zuweilen ohne jede Veranlassung in helle Röte verwandelte. Was er schon oft getan, tat er jetzt, da er sich wieder als Herr seiner selbst fühlte, mit aufrichtiger Innigkeit noch einmal, er dankte seiner Pflegerin in warmen Worten für ihre treue Sorgfalt, welchen Dank Frau Elisabeth mit glückseligem Lächeln einsog und wofür sie ihn mit einem vielsagenden, seelenvollen Blick belohnte.
»Sie glauben es nicht,« sagte sie, »aber es waren die glücklichsten Stunden meines Lebens, die ich an Ihrem Krankenlager verbrachte.«
Paul wurde nachdenklich; diese Worte beschämten ihn fast und es stieg jetzt erst die Ahnung in ihm empor, dass dies Weib ihm mit zärtlicheren Empfindungen entgegenkomme, als erlaubt war. Sie lächelte zu ihm empor und dies ein wenig affektierte und doch innige Lächeln verglich Paul unwillkürlich mit Emmas ernster Vornehmheit. Er kam zu keinem Resultat, wem von beiden er den Preis zuerkennen solle, doch fühlte er der mehr üppigen als schönen Elisabeth gegenüber wahrhafte Dankbarkeit, schwesterliche Zuneigung.
Der Bankier besaß eine kleine Gemäldesammlung, die zu besichtigen Elisabeth nun den Maler aufforderte. Bald wandelten beide in dem geschmackvoll dekorierten, mit Oberlicht versehenen Saale umher und Elisabeth frug mit kindlich sein sollender Neugier den jungen Maler über allerlei Technisches der Malerei, wobei sie eine drollige Miene affektierte und sich absichtlich unverständiger stellte als sie war, um Pauls Redseligkeit zu wecken. Dieser, dem nun freilich die gekünstelte Naivität der Frau keineswegs gefiel, gab sich doch, da er wieder in seinen stumpfen Trübsinn zu verfallen drohte, ihrem spielenden Wesen ohne Arg hin.
Es war ihm seltsam gedämpft zu Mut, ganz als lebe er in einem Traum, aus dem ihn die geringste Bewegung, das leiseste Wort aufschrecken könne. Die Abendsonne spielte, in einem langen Streifen durch das Oberlicht fallend, mit den Staubteilchen und vergoldete die Rahmen der Bilder: rings in den Sälen herrschte die weihevollste Stille, nur zuweilen unterbrochen von einem fern herüberhallenden Hämmern.
Die Worte, welche die beiden wechselten, riefen träumerisch die Echos der Räume wach, ihre Schritte hallten verloren von ferneren Wänden zurück; es schwebte eine eigentümliche Sonntagnachmittagsstimmung durch diese verlassenen Räume. Der Maler bemerkte, wie Elisabeth seinen Auseinandersetzungen mit leuchtenden Augen folgte, wie sie ihm immer Recht gab, und das Gefühl, auf diese glühende Art bewundert zu werden, reizte ein wenig seine Eitelkeit, er sprach mehr als er wollte und schüttelte gewaltsam das geistige Ermüdungsgefühl ab, das ihn noch immer beklemmte.
Als beide vor die Kopie einer Tizianischen Venus traten, bemerkte der junge Mann, wie Elisabeth, tief errötend, und nicht ohne Koketterie den Kopf wegwandte. Da sie stehenblieb, blieb auch er stehen, bis sie, da das beiderseitige Schweigen peinlich zu werden drohte, sich langsam zu dem nächstfolgenden Bilde wandte.
Von jetzt ab sprachen beide überhaupt weniger, auch begann der junge Mann es allmählich überflüssig zu finden, die feinsten Bemerkungen über Zeichnung und Kolorit an ein Ohr zu verschwenden, das dieselben doch nur halb oder schief auffasste. Mehrere Äußerungen Elisabeths, die sie auf allerlei Ausstellungen Pauls getan, zeugten von einer so kindischen Unkenntnis und Verständnislosigkeit, dass der Maler sich seiner Redseligkeit zu schämen begann. Um abzulenken frug er, wann er mit seiner Arbeit beginnen könne.
»Wollen Sie sich nicht einmal,« entgegnete ihm Elisabeth, »das Gerüst ansehen? Wir haben es genau nach Ihren Angaben aufschlagen lassen, aber Sie müssen selbst nachsehen, ob man es, wie es für Ihre Zwecke tauglich, hergerichtet.«
Als man den Gartensaal, der am südlichen Ende des Parks lag, erreicht, prüfte Paul das Gerüst, an dem noch gearbeitet wurde. Ein flüchtiger Blick an die hochgewölbte Decke genügte ihm; er könne, wie er sehe, bald beginnen.
»Und hier oben unter der Decke wollen Sie malen,« rief Elisabeth, als sie die Höhe des Saales und das Balkenwerk, zu dessen oberster Bretterlage Leitern emporführten, mit dem Auge gemessen.
Paul lachte.
»Es ist freilich ziemlich unbequem, stundenlang auf dem Rücken dicht unter der Decke zu liegen,« sagte er, »was tut man aber nicht, um seinen Leidenschaften zu frönen. Meine Leidenschaft ist’s nun einmal, ein richtiges Deckengemälde zu vollenden.«
»Sie leiden doch nicht am Schwindel?« frug Elisabeth ängstlich.
»Gar nicht,« erklärte Paul, »auch ist hier keine Gefahr vorhanden, sehen Sie nur diese starken Balken —«
»Das ist mir ein schrecklicher Gedanke, Sie auf diesen schwankenden Brettern in solcher Höhe zu wissen,« sagte Elisabeth besorgt, »prüfen Sie doch vorher stets die Stricke, Klammern und Leitersprossen, ehe Sie sich droben niederlegen.«
Paul suchte sie zu beruhigen und nach kurzer Besichtigung verließen beide den Raum. Er bemerkte nicht, wer durch dies Gespräch aufmerksam gemacht, sich nun langsam nach ihm umwendete und ihm mit düsteren Blicken nachstarrte. Der Schreiner Heinrich, der Bräutigam Louisens war es, der, hinter einem Balken stehend, in seiner Arbeit innegehalten, sobald die Stimme Pauls sein Ohr berührt. Er murmelte etwas in den rötlichen Bart, schlug einmal mit dem Hammer durch die Luft, starrte geistesabwesend vor sich nieder, warf dann einen scheuen, fast irren Blick über das Gerüst und riss fluchend den Nagel, den er eben einschlagen wollte, wieder aus dem Balken, einen neuen einzusetzen.
»Das trifft sich seltsam,« murmelte er hämisch und fügte dann, einen scheelen Blick nach der Tür werfend, durch die Paul gegangen, hinzu: »Dir wollen wir’s eintränken.«
Darauf krempelte er die vorgefallenen Hemdärmel zurück und wandte sich zu seiner Arbeit, die er mit einer wahren Wut von neuem aufnahm.
Als es zu dunkeln begann, schickte er seine Arbeiter fort, tat auch, als eile es ihm ebenfalls, nach Hause zu kommen. Der Mond stand bereits fahl am dämmernden Himmel, als Louise ihn abzuholen kam.
»Sage doch,« begann sie, als beide sich auf den Heimweg begaben, »ist’s wahr?«
»Was?«
»Malt der Herr Paul Steinacher hier im Saal?«
»Woher weißt du, dass der hier Arbeit hat?« frug Heinrich misstrauisch.
Die Dirne erzählte, sie habe es vermutet, da sie Paul eben im Gespräch mit Frau Weber gesehen.
»Denkst du noch immer an den Kerl?« fuhr Heinrich auf, als sie unaufhörlich von Paul, seinem besseren Aussehen, seiner Krankheit, weiter erzählte.
»Warum soll ich nicht an ihn denken,« gab sie schnippisch zurück.
»Du willst ihm wohl auch hier Modell stehen – he?« knirschte er.
»Wenn er’s will, warum nicht?« warf sie hin.
»So?«
»Kann sein!«
»Gut, ganz gut,« brummte et vor sich hin, indes sie ein Gelächter anstimmte und ihn bat, doch nicht eifersüchtig zu werden, sie stehe dem Steinacher gar nicht Modell.
»Glaub’s, soll auch jetzt ein End’ haben,« sagte er halb lachend, »glaub mir’s, es soll ein End’ nehmen.«
Dann schien er gute Lust zu haben, lustig zu werden, begann allerlei freche Lieder zu singen und schwieg endlich oder gab manchmal so verwirrte Antworten auf die Fragen des Mädchens, dass diese lachend meinte, ob er etwa zu reichlich dem Bieruhr-Kümmel zugesprochen. Nach einiger Zeit stummen Nebeneinanderwandelns, behauptete er plötzlich, er müsse sich erkältet haben, er friere, blieb stehen, untersuchte sein Handwerkszeug und entdeckte, dass er eine wichtige Feile in dem Gartensaal zurückgelassen. Er besann sich, ob er bleiben solle, fuhr sich in seltsamer Erregung durch die Stirnhaare, wollte die Feile bis morgen liegen lassen, sprach dann von einer Arbeit, zu der er sie notwendig brauche und eilte darauf zurück, sie zu holen.
Das Mädchen, das am Gartenausgang auf ihn wartete, konnte bald, da er ungewöhnlich lang ausblieb, dem Trieb, ihm zu folgen, nicht widerstehen. Sie schritt den mondbeschienenen Kiespfad entlang, bis ihr inmitten der Taxushecken die hohen Fenster des im Rokokostil erbauten Saals entgegenschimmerten, in deren Scheiben das letzte Rot des Sonnenuntergangs mit dem ersten Strahl des Mondes um die Herrschaft rang. Der junge Schreiner, der indessen den Saal betreten, hatte, zwar klopfenden Herzens und mehrmals wie trunken taumelnd, aber ohne Verzug das Gerüst bestiegen. Statt jene Feile zu suchen, lockerte er an der obersten Bretterlage mit gewaltsamer Anstrengung eine Eisenklammer, bedachte sich dann, den Schweiß von dir Stirne wischend, einen Augenblick und zog darauf eines der Bretter, über welches man notwendig schreiten musste, um unter die Decke zu gelangen, weit über die Balkenunterlage.
Als er, mit dem Fuße prüfend, auf das Brett trat, schlug es sofort um und er würde, wenn er sich nicht vorgesehen, unrettbar in die Tiefe auf den Steinboden des Saals gestürzt sein.
»Jetzt ist’s gut,« murmelte er keuchend, »jetzt werd’ ich Ruhe haben.«
Die Ruhe schien aber zu zögern, er betrachtete noch einige Zeit hindurch stirnrunzelnd sein Werk, legte das Brett dann wieder in die sichere Lage, die es vorher eingenommen, rückte es erst nach langem Bedenken wieder in die gefährliche Schwebe und schien noch nicht recht einig mit sich selbst werden zu können. Endlich kletterte er herab. Als er wieder bei Louise ankam, fragte diese, was er denn auf dem Gerüste zu tun gehabt; er sähe ja ganz erhitzt aus und blicke wie ein Narr um sich.
»Du hast mich gesehen?« fragte er verwirrt.
»Nun ja.« sagte sie, »durchs Fenster.«
»Die Feile lag oben,« entgegnete er zögernd und es schien, als besänne er sich, ob er nicht wieder umkehren solle. »Ich wäre oben beinahe ausgeglitten, deshalb ist mir noch ganz heiß.«
Sie sagte nichts, betrachtete ihn aber zuweilen prüfend von der Seite.
* * *
Einige Wochen waren verstrichen. Paul musste den Beginn seiner Arbeit noch um einige Zeit verschieben, da er mit seinen Skizzen noch nicht ganz ins Reine gekommen, auch noch nicht die nötigen Farben besaß; doch hoffte er morgen die Vorarbeiten an der Decke in Angriff zu nehmen. Der junge Maler saß heute Abend neben Elisabeth auf dem Sofa und legte ihr seine verschiedenen Skizzenbücher vor, deren Blätter er umwandte, indes sie, sich über seine Schulter beugend, herabsah, bald den Entwurf einer heiligen Familie, bald den einer ganz unheiligen Bacchantenszene bewundernd. auch pflichtschuldigst errötend, wenn das Blatt etwa unbekleidete Männergestalten zur Schau stellte. Herr Weber war in seinem Klub, im Hause herrschte tiefe Stille; die Lampe verbreitete ein, vom Schirm gedämpftes rosarotes Licht durch das behaglich ausgestattete Gemach; das noch auf dem Tisch stehende Teegeschirr duftete den pikanten, die Erinnerung weckenden Teegeruch aus. Elisabeth trug ein sehr bequemes Hauskleid, ein weites, dünnes Gewand, das ihre bisquitfarbigen Arme, ihren Hals bis zum Busen herab fast freiließ, und Paul, dessen Phantasie sich an der abweisenden Strenge Emmas nun einmal entzündet, konnte nicht anders, er musste, trotz seines Widerwillens, seinen Blicken Nahrung geben, musste dem süßschmerzlichen Triebe der Sinne wenigstens durch Schauen nachgeben, zumal, da Elisabeth alle Verführungskünste spielen ließ. Seine Gewissenhaftigkeit sträubte sich zwar dagegen, diesem doch weit unter ihm stehenden, schwachherzigen Weibe entgegenzukommen, er vermied ihre Berührungen, wich dem Druck ihrer Arme, dem heißen Hauch ihres Atems aus; ja, er versuchte sogar zuweilen aufzustehen, um sich zu entfernen. Doch war er zu sehr Künstler, zu sehr von seiner Phantasie abhängig, um hier völlig Herr seiner selbst bleiben zu können. Und dann, sobald er an Emmas gleichmütige, erniedrigende Kälte dachte, stieg ein Trotzgefühl in ihm empor, das all seine Bedenken und guten Vorsätze zu Schanden machte. ›Das ist die einzige Art, wie du dich an ihr rächen kannst,‹ sagte ihm sein Stolz; ›sie hat es nicht besser verdient, als dass du das, was sie dir nicht bieten wollte, nun an dem Busen einer anderen suchst, sie soll sehen, dass du fähig bist, Liebe einzuflößen, dass du sie nicht nötig hast, um glücklich zu sein; du musst sie demütigen. Vielleicht, dass ihr alsdann erst klar wird, wen sie in dir verloren, vielleicht, dass sie sich dann deinen Wünschen, deiner Überlegenheit fügt.‹
»Paul,« sagte nun die leichtfertige, aber gutmütige Frau Weber mit drolligem Ernst und stützte ihr kleines Haupt graziös auf den Arm, von welchem der Ärmel völlig herabsank, »denken Sie noch recht oft an Ihre Gattin?«
»Ich habe im Augenblick an sie gedacht,« erwiderte Paul schwermütig.
»Ei und in welcher Weise dachten Sie an Emma?« frug Elisabeth neugierig lächelnd, zu dem jungen Mann aufblickend und mit dem Blatt des Skizzenbuchs spielend, um ihre schönen Finger ins richtige Licht zu setzen.
»Ich dachte, ich wollte mich an ihr rächen!« entgegnete Paul errötend.
»Sie Böser,« lächelte Elisabeth, nun auch errötend und sogar ein wenig zitternd, »in welcher Weise rächen?«
»Vielleicht dadurch, dass ich mich einer anderen zuwende,« entgegnete er, mit den Blicken ihre fingernde Hand verschlingend.
»Das ist ein guter Gedanke,« stieß sie hervor, den in träumerische Sinnlichkeit Versunkenen groß anblickend, »damit könnten Sie die Stolze, Emanzipierte strafen.«
»Ich sollte ihr wohl verzeihen,« sagte er, als ihn das Zittern der Frau peinlich berührte.
ES entstand hierauf eine Pause; Paul blätterte, trüb vor sich hin sinnend, im Skizzenbuch, sie betrachtete ihn mit feuchten, leuchtenden Blicken. Nach einiger Zeit begann Elisabeth von neuem:
»Wissen Sie,« sagte sie, »dass Sie mir eigentlich lieb sind wie ein Kind? Seit ich Sie hilflos, krank sah, habe ich gar keinen Respekt vor Ihnen. Ach, wie Sie so schön waren, während Sie krank darniederlagen – ja, lachen Sie nur. Es war so. Sehen Sie, hier auf der Wange —« sie deutete ihm, den verschwimmenden Blick auf ihn gerichtet, zart auf die Wange – »sehen Sie, hier waren Sie so blass und das stand Ihnen so gut —«
Sie brach ab, betrachtete mit feucht werdenden Augen den erstaunt Lächelnden und neigte sich immer mehr zu ihm hin. Ihr schmachtender, tränenvoller Blick rührte ihn; es ward ihm zur Gewissheit, dass dies Weib ihn liebte, und er neigte sich ihr, ihre kleine Hand dankbar fassend, mit zärtlichem Blick entgegen. Da fühlte er sich plötzlich mit beiden Händen an der Wange ergriffen, gab dem sanften Zuge nach und hielt sie, ehe er sich dessen bewusst war, umschlungen. Erst als der Kopf des Weibes an seiner Brust lag, beengte ihn ein wehes Gefühl, er hätte auf springen und ihr entfliehen mögen, deren Zärtlichkeit ihm auf einmal einen gewissen Widerwillen einflößte.
Seine feine, pflichttreue Natur fühlte sich von dieser unschönen Glut der Leichtfertigen verletzt; Emmas Bild stieg in ihm empor, er sah sie vor sich in jenem Augenblick, da sie Dr. Kahlers Liebesannäherungen abwies, er sah sie vor sich, als sie im Gefühl, ihres Gatten Liebe verloren zu haben, verzweiflungsvoll aufschluchzend auf den Stuhl sank, und berauscht von den Küssen Elisabeths, deren Glut sein allzu entzündliches Künstlergemüt nicht widerstehen konnte, empfand er ein nagendes Mitleid mit dem müden, resignierten Blick Emmas, den dieselbe beim Abschied auf ihn gerichtet.
Er löste leise die Arme Elisabeths von seinen Schultern, stand auf und schritt durch die offene Glastüre, auf die dunkle Veranda hinaus. Vor ihm glänzte im matten Silberglanz des Mondes der Weiher, umgeben von den schwarzen, unheimlichen Gestalten der Bäume. Weiter hin dämmerte eine duftverschleierte Wiese; ein kleiner Tempel hob sein feucht schimmerndes Dach in die Nacht empor; die Blätter rauschten verschlafen im Wind, der zuweilen kühl an den Vorhängen der Veranda vorbeistreifte. Es lag ihm so seltsam schwer in den Gliedern, eine dumpfe Müdigkeit bedrückte ihn und doch pochte sein Herz so lebhaft; es war ihm, als müsse er einschlafen und doch hielt ihn eine Fieberhitze, die ihm in den Adern kochte, wach. Unwillkürlich kam ihm der Gedanke. ›Wie, wenn dies Weib, das dich eben umschlungen, jene andere wäre, wenn du diese Mondnacht hier von der Veranda aus mit Emma genössest —? Wärst du nicht der Glücklichste auf Erden? Und was hält dich ab, dies Glück zu genießen? Vielleicht liebt sie dich jetzt aufrichtig? Vielleicht bereut sie nicht nur, vielleicht entwuchs dieser Reue ein noch Edleres, Höheres? Aber habt ihr euch nicht jede Annäherung unmöglich gemacht? Habt ihr nicht die Brücken hinter euch abgebrochen? Nein! Du musst einsam bleiben; es ist besser, du darbst fern von ihr, als du leidest von neuem unter ihrem Hochmut.‹
Er senkte ermattet den Kopf; heiße Sehnsucht presste ihm das Herz zusammen, und als nun vom Zimmer her die Töne eines Mendelsohn’schen Lieds ohne Worte an sein Ohr schlugen, brannte es ihm in den Augen wie von Tränen. Er sah durch die Glastüre; Elisabeth saß am Klavier, in die rötliche Dämmerung des Lampenlichts getaucht, glitten ihre Finger über die Tasten. Plötzlich brach sie ab und schritt auf die Glastüre zu.
»Paul,« sagte sie, als sie vor ihm stand.
Er sah zu ihr auf.
»Du liebst Emma immer noch – ist es nicht so?« fuhr sie leise fort.
Er schämte sich: ›ja!‹ zu sagen und schwieg.
»Du liebst eine, die dich -« sie wollte fortfahren, »die dich misshandelt,« schwieg aber und setzte dann verächtlich hinzu: »O, wie schwach ihr Männer seid.«
»Schwach?« frug er trotzig, im Gefühl, dass sie nicht Unrecht hatte.
»Wie kannst du ein Weib lieben, das dich nicht liebt,« hub sie von neuem an, »das ist grenzenlos schwach.«
»Woher weißt du, dass sie mich nicht liebt,« gab Paul stirnrunzelnd zurück.
»Ich weiß es,« stieß sie mit naiver Heftigkeit hervor, ihrer Eifersucht nachgebend, »ich weiß es! Ich habe sie während deines Krankseins beobachtet.«
»Ich glaube, hier sprichst du nicht ganz die Wahrheit,« entgegnete er ruhig; »ich habe andere Beobachtungen angestellt. Ich habe Beweise —.«
Er hielt inne.
»Und wenn sie dich auch liebte,« erwiderte Elisabeth im Ton eines trotzigen Kindes, »bedenke doch, wie sie an dir gehandelt –.« Sie brach ab, schwieg einige Zeit und sagte dann in ruhigem, schmerzlichem Ton: »Ob sie dich wohl so innig liebt, wie – eine andere?!«
Darauf kehrte sie ihm den Rücken und schritt zum Klavier zurück, wohin er ihr nach einigen Augenblicken langsam, wie schlaftrunken folgte. Als er hinter dem Klavierstuhl stand und, ohne zu wissen, was er wollte, wie traumverloren auf ihre über die Tasten gleitenden Hände herabsah, hielt sie in ihrem Spiel inne, zog aber die Hände nicht von den niedergedrückten Tasten weg.
»Paul,« sagte sie mit scheuer Stimme, ohne sich umzuwenden, »nicht wahr, ich bin nach allem, was ich tat und sprach, in deiner Achtung jetzt recht sehr gesunken?«
Da er nicht gleich zu antworten wusste, fuhr sie leidenschaftlicher fort: »Ich weiß es, ich bin kindisch, bin leichtsinnig, – aber wenn du alles wüsstest, würdest du mir wohl verzeihen, würdest du mir verzeihen, dass ich —.« Sie stockte und setzte dann zögernd hinzu: »dass ich dich liebe.«
»Wenn ich alles wüsste —?« wiederholte er mechanisch, ohne sich zu regen, während sie sich zu ihm umwendete.
»Aber ich verlange ja auch keine Gegenliebe, Paul,« fuhr sie mit tränenden Augen fort, »ich will mich nur für irgendwen begeistern, mein Herz braucht ein Herz, das mit ihm fühlt – weiter nichts. Ach! Und mein Gatte! … ich muss dir alles gestehen, damit du Nachsicht, vielleicht Mitleid mit mir hast. Sieh, wir waren unsrer sieben Kinder eines armen Konditors, der dem Trunk ergeben – —.«
Sie erzählte ihm nun mit leidenschaftlicher Hast ihre Lebensgeschichte, aus welcher Paul erfuhr, dass sie ihrer Familie das Opfer gebracht, den reichen Bankier zum Gatten zu nehmen. Diesen, der ihr so widerwärtig war, dass sie einst in seiner Gegenwart in Ohnmacht fiel, musste sie erziehen wie ein Kind, sie musste den Schwachsinnigen ankleiden, ihm das Stehen und Gehen beibringen, ihn rein halten, ihm die Zähne putzen, kurz, sie verlebte an seiner Seite ein Dasein, dessen Schmach und Jammer selbst durch allen Glanz des Reichtums nicht vergoldet werden konnte. Paul fühlte, dass es weiblicher von ihr gewesen, wenn sie ihre traurigen Lebensverhältnisse für sich behalten hätte; er fühlte, dass sie mit ihrer darbenden Seele ein wenig kokettierte, doch flößte ihm die plötzlich erwachte, fast kindische Gier nach Genuss, die aus jedem Worte der Tiefentbehrenden bebte, ein Mitleid ein , wie man es mit einem Todkranken empfinden mag, der noch einmal seine Augen der untergehenden Sonne entgegen hebt.
An ihn klammerte sie sich, von ihm verlangte sie, jede Rücksicht beiseite sehend, Rettung, Labung in der Wüste ihres verkümmerten Lebens, und ihn hielt nur noch, als er sich jetzt teilnehmend über sie beugte, der Gedanke an Emma und eine brustbeengende Scheu davon ab, sich ihr ganz hinzugeben.– – —