Kitabı oku: «Wilhelmine von Bayreuth: Erinnerungen der Prinzessin Wilhelmine von Preußen», sayfa 3
Zar Peter
Ich vergaß, von dem Besuche Peters des Großen in Berlin zu erzählen, der sich im Jahre zuvor ereignete. Was sich da zutrug, ist merkwürdig genug, um in diese Memoiren aufgenommen zu werden. Der Zar, der sehr gerne auf Reisen ging, kam aus Holland. Er hatte sich in Kleve wegen einer Fehlgeburt der Zarin aufhalten müssen. Da er sich weder aus Festlichkeiten noch aus der Etikette etwas machte, ließ er den König bitten, ihn in einem Lusthaus der Königin, das in einem Vorort von Berlin lag, wohnen zu lassen. Der Königin missfiel dies sehr, sie hatte dort ein sehr hübsches Haus bauen lassen und es prachtvoll ausgestattet. Die Porzellangalerie, die dort zu sehen war, sowie alle Spiegelzimmer waren wunderschön, und da dies Haus als ein wirkliches Kleinod gelten durfte, wurde es auch Monbijou genannt. Der reizende Garten zog sich dem Flusse entlang, was seine Vorzüge noch erhöhte.
Um dem Schaden, den die Herren Russen überall, wo sie gehaust, angerichtet hatten, vorzubeugen, ließ die Königin alle Möbel sowie alle zerbrechlichen Dinge wegschaffen. Der Zar, seine Gemahlin und ihr ganzer Hof kamen einige Tage später auf dem Wasserweg in Monbijou an.
Monbijou
Der König und die Königin empfingen sie am Ufer. Der König reichte der Zarin die Hand, um sie ans Land zu führen.
Zarin Jekatarina
Sobald der Zar gelandet war, streckte er dem König die Hand entgegen und sagte: „Ich freue mich, Euch zu sehen, lieber Bruder Friedrich.“ Er näherte sich dann der Königin und wollte sie umarmen, aber sie wehrte sich dagegen. Die Zarin küsste erst die Hand der Königin und tat es zu verschiedenen Malen. Dann stellte sie den Herzog und die Herzogin von Mecklenburg vor, die sie begleitet hatten, und 400 sogenannte „Damen“ ihres Gefolges. Es waren zumeist deutsche Mägde, die den Dienst von Kammerjungfern, Köchinnen und Wäscherinnen vertraten. Fast eine jede dieser Kreaturen trug ein kostbar gekleidetes Kind im Arm; und als man sie fragte, ob es ihre eigenen wären, antworteten sie, indem sie sich in allerlei russischen Verbeugungen ergingen, der Zar sei Vater derselben, er hätte ihnen diese Ehre erwiesen. Die Königin wollte diese Kreaturen nicht grüßen. Die Zarin dagegen begegnete den königlichen Prinzessinnen mit ausgesuchter Arroganz und ließ sich nur mit Mühe durch den König bewegen, sie zu grüßen.
Ich sah diesen ganzen Hofstaat tags darauf, als der Zar und seine Gattin die Königin besuchten. Diese empfing sie in den großen Empfangsräumen des Schlosses und kam ihnen bis zum Saale der diensttuenden Wache entgegen. Die Königin reichte der Zarin die Hand, ließ sie rechts gehen und geleitete sie in den Audienzsaal. Der König und der Zar folgten ihnen. Sobald dieser mich sah, erkannte er mich wieder, da er mich fünf Jahre zuvor gesehen hatte. Er nahm mich in seine Arme und kratzte mich mit seinen Küssen im ganzen Gesicht. Ich schlug auf ihn los und wehrte mich mit allen Kräften, indem ich ihm sagte, dass ich solche Vertraulichkeiten nicht dulde und er mir meine Ehre raube. Er lachte hellauf über diese Idee und unterhielt sich lange mit mir. Ich war gut unterwiesen worden; sprach also von seiner Flotte und seinen Siegen, was ihn so freute, dass er mehrmals zur Zarin sagte, er gäbe eine seiner Provinzen her, um ein Kind wie mich zu haben. Auch die Zarin war sehr zärtlich mit mir. Die Königin und sie nahmen, jede auf einem Sessel, unter dem Baldachin Platz; ich neben der Königin und die königlichen Prinzessinnen ihr gegenüber.
Die Zarin war klein und gedrungen, sehr gebräunt, unansehnlich und ungraziös. Man brauchte sie nur anzusehen, um ihre niedrige Abkunft zu vermuten. Man hätte sie ihrem Aufzug nach für eine deutsche Komödiantin gehalten. Ihr Gewand war wohl von einer Trödlerin gekauft. Es war ganz altmodisch, mit viel Silber und Schmutz überzogen; die Vorderseite ihres Rockes mit Steinen besetzt. Sie bildeten ein seltsames Muster: einen Doppeladler, dessen Federn mit den kleinsten Diamantensplittern besetzt und sehr schlecht gefasst waren. Sie trug ein halb Dutzend Orden und ebenso viele Heiligenbilder und Reliquien, die längs der Verzierungen ihres Kleides angebracht waren, und wenn sie ging, glaubte man, es käme ein Maultier daher: All die Orden an ihr klirrten wie Schellen zusammen. – Der Zar hingegen war sehr groß und ziemlich gut gewachsen; sein Gesicht war schön, aber der Ausdruck hatte etwas Raues und Furchteinflößendes. Er trug einen matrosenartigen Anzug ohne jegliche Tressen. Die Zarin, die sehr schlecht Deutsch sprach und nicht gut verstand, was die Königin ihr sagte, rief ihre Närrin herbei und unterhielt sich auf Russisch mit ihr. Diese beklagenswerte Kreatur war eine Fürstin Galitzin und hatte sich zu diesem Amte bequemen müssen, um ihr Leben zu retten. Da sie bei einer Verschwörung wider den Zaren beteiligt war, hatte man ihr zweimal die Knute gegeben. Ich weiß nicht, was sie der Zarin sagte, aber diese brach in helles Gelächter aus.
Man ging endlich zu Tische, wo der Zar neben der Königin Platz nahm. Bekanntlich war gegen ihn in seiner Jugend ein Vergiftungsversuch unternommen worden, mit einem feinen Gift, das die Nerven schädigte, so dass er sehr oft in konvulsivische Zustände geriet, denen er nicht gebieten konnte. Das Übel befiel ihn bei Tische, seine Bewegungen wurden unsicher, und da er gerade mit einem Messer gestikulierend der Königin damit sehr nahe kam, erschrak diese und wollte sich immer wieder erheben. Der Zar beruhigte sie und bat sie, keinerlei Angst zu haben, weil er ihr nichts antun würde; zugleich erfasste er ihre Hand, die er so heftig drückte, dass die Königin aufschreien musste; darüber lachte er nun sehr herzhaft und sagte ihr, sie habe noch zartere Knochen als seine Katharina.
Nach dem Bankett war alles für den Ball bereit, allein der Zar machte sich alsbald nach der Tafel davon und ging allein zu Fuße nach Monbijou zurück. Tags darauf zeigte man ihm alle Sehenswürdigkeiten von Berlin, u. a. das Münzenkabinett und die Sammlung antiker Statuen. Unter diesen soll sich eine befunden haben, die, wie man mir sagte, eine heidnische Göttin in sehr indezenter Haltung darstellte, man stellte solche Statuen zur Zeit der alten Römer gern in den Hochzeitsgemächern auf. Das Stück galt für sehr selten und für eins der schönsten, die es gab. Der Zar bewunderte diese Statue sehr und befahl der Zarin, sie zu küssen. Diese wollte sich sträuben, er wurde aufgebracht und sagte in schlechtem Deutsch: „Kop ab“, was so viel heißt als: Ich werde Sie enthaupten lassen, wenn Sie nicht gehorchen. Die Zarin erschrak so sehr, dass sie alsbald gehorchte. Er verlangte nun ohne weiteres diese und mehrere andere Statuen vom König, der sie ihm nicht verweigern konnte. Desgleichen wollte er ein Schränkchen haben, dessen ganzes Getäfel aus Amberholz und einzig in seiner Art war. Es hatte dem König Friedrich I. Unsummen gekostet. Ihm ward nun zum allgemeinsten Bedauern das traurige Los beschieden, nach Petersburg gebracht zu werden.
Dieser barbarische Hofstaat zog zwei Tage später endlich fort. Die Königin begab sich sogleich nach Monbijou. Dort herrschte die Zerstörung von Jerusalem; ich habe Ähnliches nie gesehen. Alles war derartig ruiniert, dass die Königin fast das ganze Haus neu herrichten lassen musste.
Ich komme aber jetzt auf mein Thema zurück, von dem ich lange abwich.
Da mein Bruder im Monat Januar in sein siebentes Jahr getreten war, fand der König es für ratsam, ihn den Händen der Frau von Roucoulles zu entziehen und ihm Gouverneure zu geben. Die Kabalen fingen jetzt von neuem an. Die Königin wollte sich die Wahl selbst vorbehalten, aber die beiden Günstlinge wollten ihre Kreaturen anstellen. Beide Parteien gewannen den Sieg. Die Königin mit dem General, späterem Marschall Grafen von Finkenstein, einem sehr ehrenwerten Mann, der sowohl seiner Ehrlichkeit wie seiner kriegerischen Fähigkeiten halber allgemein geachtet wurde, dessen sonstige Talentlosigkeit ihn jedoch außerstand setzte, einen jungen Fürsten richtig zu erziehen. Er gehörte zu jenen Leuten, die sich viel auf ihren Geist einbilden, die Politiker abgeben wollen und, mit einem Wort, gewaltig räsonieren, ohne etwas zu erreichen. Er hatte die Schwester der Frau von Blaspiel geheiratet. Diese Dame besaß zum Glück mehr Geist als ihr Mann und beherrschte ihn vollkommen. Der Fürst von Anhalt bestellte den zweiten Gouverneur. Er hieß Kalkstein und war Oberst eines Infanterieregiments. Diese Wahl war ihres Urhebers würdig. Herr von Kalkstein ist ein Intrigant, der bei den Jesuiten studierte und sich ihre Lehren wohl zu Herzen nahm; er legt viel Frömmigkeit, ja Bigotterie an den Tag, hebt immer seine Rechtlichkeit hervor und hat Leute genug gefunden, die daran geglaubt haben. Er ist von schmiegsamer und einschmeichelnder Art, birgt aber unter diesem schönen Schein die schwärzeste Seele. Durch die argen Schilderungen, die er täglich von den unschuldigsten Handlungen meines Bruders entwarf, wusste er den König wider seinen Sohn aufzubringen und zu erbittern.
Ich werde des Öfteren in diesen Memoiren auf diesen Mann zu sprechen kommen. Die Erziehung meines Bruders wäre also in sehr schlechten Händen gewesen, wenn der König nicht einen dritten Lehrer den beiden andern noch zugesellt hätte: einen Franzosen, namens Duhan, der ein geistreicher und verdienstvoller junger Mann von großem Wissen war.
Duhan
Ihm verdankt mein Bruder seine Kenntnisse und die guten Grundsätze, die er hatte, solange jener arme Mensch ihm zur Seite stand und Einfluss auf ihn behielt.
So endete das Jahr 1718. Ich gehe zum nächsten über, wo ich anfing in die Welt zu treten und zugleich ihre Verkehrtheiten erfahren lernte. Der König verbrachte den Winter größtenteils in Berlin und wohnte jeden Abend den Gesellschaften bei, die in der Stadt veranstaltet wurden. Die Königin musste den ganzen Tag im Zimmer des Königs verbringen, der es so haben wollte, und hatte meinen Bruder und mich als einzige Gesellschaft.
Wir aßen mit ihr zur Nacht im Beisein der Frau von Kamecke, ihrer Oberhofmeisterin, und Frau von Roucoulles. Die erstere war aus Hannover von meiner Mutter mitgenommen worden; und obwohl sie vorzügliche Eigenschaften besaß, schenkte ihr die Königin keinerlei Zutrauen. Diese war jetzt fortwährend tief melancholisch, und man fürchtete für ihre Gesundheit, besonders da sie guter Hoffnung war. Dennoch kam sie glücklich mit einer Prinzessin nieder, die den Namen Sophie Dorothea erhielt.
Das traurige Leben, das die Königin führte, trug zu ihrer Schwermut bei. Sie kam sich seit dem Verlust ihrer Vertrauten ganz vereinsamt vor. Vergebens hatte sie nach jemandem gesucht, dem sie ihre Gunst zuwenden könnte; denn obgleich sich unter den Damen ihres Hofes durchaus verdienstvolle befanden, fühlte sie sich keiner zugeneigt. Dies zwang sie, aller Politik zum Trotze, sich an mich zu wenden; doch bevor sie mir ihr Herz eröffnete, wollte sie gewissen Verdachtmomenten, die sie gegen die Leti hegte, auf den Grund kommen; auch war ihr manches hinterbracht worden. Als ich eines Tages bei ihr saß und lieb zu ihr war, fing sie mit mir zu scherzen an und fragte mich, ob ich denn nicht bald heiraten möchte. Ich gab ihr zur Antwort, dass ich nicht daran dächte und zu jung dazu sei. Aber wenn es sein müsste, meinte sie, wen würde ich dann vorziehen: den Markgrafen von Schwedt oder den Herzog von Gloucester? „Obwohl mir die Leti immer sagt, dass ich den Markgrafen von Schwedt heiraten würde, kann ich ihn nicht leiden“, erwiderte ich; „er ist ein bösartiger Mensch, also ziehe ich den Herzog von Gloucester vor.“ „Aber“, entgegnete die Königin, „woher wissen Sie, dass der Markgraf böse ist?“ „Von meiner guten Amme“, sagte ich. Sie stellte dann noch mehrere, die Leti betreffende Fragen an mich und wollte wissen, ob es wahr sei, dass sie mich zwänge, ihr alles zu hinterbringen, was sich im Gemach des Königs und der Königin zutrüge. Ich zögerte, unschlüssig, was ich antworten sollte; aber sie kam mir von so verschiedenen Seiten bei, dass ich ihr endlich alles gestand. Die Mühe, die es ihr bereitet hatte, mich dazu zu bringen, machte, dass sie etwas auf meine Diskretion hielt. Sie vertraute mir erst zum Schein einiges an, um zu sehen, ob ich es für mich behalten würde; und da sie sah, dass ich nichts davon verraten hatte, hielt sie nicht länger vor mir zurück.
So nahm sie mich denn eines Tages beiseite. „Ich bin zufrieden mit Ihnen“, sagte sie, „und da ich sehe, dass Sie anfangen, verständig zu werden, will ich Sie stets um mich haben und Sie wie eine Erwachsene behandeln. Doch soll die Leti durchaus nichts mehr erfahren dürfen; wenn sie Sie fragt, was vorging, sagen Sie, Sie hätten nicht drauf achtgegeben. Hören Sie mich wohl? Und versprechen Sie es mir?“ Ich bejahte es ihr. „Wenn dem so ist“, sagte sie, „so will ich Ihnen mein Vertrauen schenken, doch bedarf es der Vorsicht, und Sie müssen mir dafür ganz allein ergeben sein.“ Darüber gab ich ihr nun alle erdenklichen Versicherungen. Sie erzählte mir daraufhin alle Intrigen des Fürsten von Anhalt, die Ungnade der Frau von Blaspiel, kurz alles, was ich darüber berichtet habe, und fügte hinzu, wie sehr sie mich nach England zu vermählen wünschte und wie glücklich ich als die Gattin ihres Neffen sein würde. Ich brach in Tränen aus, als sie mir sagte, dass ihre Freundin in Spandau sei. Ich hatte die Dame sehr geliebt, und man hatte mir gesagt, dass sie auf ihren Gütern lebe. Meine Empfindsamkeit gewann mir der Königin Herz; sie sprach auch von der Leti und fragte mich, ob es wahr sei, dass sie jeden Tag den Oberst Forcade sähe sowie einen geflüchteten französischen Geistlichen, namens Fourneret. Ich bejahte es. „Wissen Sie den Grund?“ fragte sie mich; „– weil der Fürst von Anhalt sie für sich gewann und er sich dieser beiden Kreaturen bedient, um gemeinsam zu intrigieren!“ Ich wollte sie verteidigen, aber die Königin hieß mich schweigen. So jung ich war, stellte ich mancherlei Betrachtungen über das eben Gehörte an. Obwohl ich für die Leti eintrat, merkte ich zu verschiedenen Malen, dass die Königin wahr gesprochen hatte. Ich befand mich in großer Verlegenheit, als der Abend hereinbrach; denn ich fürchtete die Leti wie das Feuer, sie schlug und misshandelte mich sehr oft.
Sobald ich in mein Zimmer zurückgekehrt war, fragte mich die Person wie üblich aus. Ich saß mit ihr auf einer zwei Stufen hohen Estrade in einem Erker. Ich gab ihr die Antwort, welche die Königin mir vorgeschrieben hatte. Sie genügte ihr nicht, und sie stellte mir so viele Fragen, dass ich in Verwirrung geriet. Sie war zu schlau, um nicht zu merken, dass ich unterwiesen worden war; und um es zu erfahren, überschüttete sie mich mit Zärtlichkeiten. Aber da sie durch Güte nichts bei mir ausrichtete, geriet sie in einen grässlichen Zorn, schlug mich auf den Arm und stieß mich die Estrade hinab. Meine Gelenkigkeit bewahrte mich vor einem Fall, und ich kam mit ein paar Beulen davon.
Die Szene wiederholte sich am folgenden Abend, nur mit viel größerer Heftigkeit; sie warf mir einen Leuchter an den Kopf, der mich hätte töten können; mein Gesicht war ganz blutig, und mein Geschrei rief die gute Mermann herbei, die mich den Händen dieser Megäre entriss und ihr drohte, die Königin zu benachrichtigen, wenn sie nicht anders mit mir verführe. Die Leti bekam Angst. Mein Gesicht war ganz zerschunden, und sie wusste nicht, wie sie sich aus der Klemme ziehen sollte; nun beschaffte sie einen mächtigen Vorrat kühlenden Wassers und legte die ganze Nacht hindurch Kompressen auf mein armes Gesicht, und ich machte tags darauf der Königin weis, ich sei gefallen.
So verging der ganze Winter. Ich wurde keinen Tag mehr in Ruhe gelassen, und mein armer Rücken erhielt täglich seinen Teil. In der Gunst der Königin stieg ich dagegen so hoch, dass sie mir nichts mehr vorenthielt. Sie bat den König, ob ich sie nicht überallhin begleiten dürfe. Er willigte mit Freuden ein und wünschte, dass auch mein Bruder mit ihm ginge. Wir machten unsere erste Ausfahrt im Juni, als der König und die Königin nach Charlottenburg fuhren, einem prachtvollen Landsitz in der Nähe der Stadt.
Schloss Charlottenburg
Die Leti blieb von dieser Reise ausgeschlossen, und Frau von Kamecke ward mir statt ihrer zugeteilt. Ich habe schon erwähnt, dass diese Dame die trefflichsten Eigenschaften besaß; obwohl sie sich aber stets in der großen Welt bewegt, hatte sie die Manieren derselben nicht angenommen: Sie durfte eher für eine etwas bäuerliche, vernünftige, aber geistlose Person gelten. Sie war sehr fromm, und ich musste zwei bis drei Stunden lang Gebete verrichten, was mich sehr langweilte; dann kam der Katechismus daran und die Psalmen, die ich auswendig lernen musste, aber ich legte dabei so große Zerstreutheit an den Tag, dass sie mich jeden Tag auszankte.
Der König feierte meinen Geburtstag, gab mir sehr schöne Geschenke, und abends war Ball. Ich ging jetzt in mein elftes Jahr, war für mein Alter ziemlich reif und fing an zu beobachten. Von Charlottenburg fuhren wir nach Wusterhausen. Die Königin vernahm am Abend ihrer Ankunft durch eine Stafette aus Berlin, dass mein zweiter Bruder an Dysenterie (Ruhr – eine entzündliche Erkrankung des Dickdarms bei einer bakteriellen Infektion) erkrankt sei. Diese Nachricht versetzte sie in große Bestürzung, und der König und die Königin wollten sich nach der Stadt begeben, doch hielt sie die Furcht vor der Ansteckung zurück. Tags darauf kam eine zweite Stafette, dass auch meine Schwester Friederike von demselben Übel ergriffen sei. Diese Krankheit wütete in Berlin wie die Pest, die meisten Menschen starben am dreizehnten Tage daran. Man verbarrikadierte selbst die Häuser, in denen die Krankheit herrschte, um ihrer Verbreitung entgegenzuwirken. Die Königin war noch nicht am Ende ihrer Leiden. Einige Tage später erkrankte der König selbst an denselben schweren Koliken, von denen er einige Jahre früher in Brandenburg befallen worden war.
Nie hatte ich so viel auszustehen als während dieser Zeit. Die Hitze war außerordentlich, so groß wie sie in Italien vorkommt. Im Zimmer, in dem der König lag, waren alle Fenster geschlossen, und dabei brannte ein mächtiges Feuer. So jung ich noch war, musste ich den ganzen Tag hier verweilen; man hatte mich neben den Kamin gesetzt, ich war wie vom heftigen Fieber ergriffen und mein Blut so in Aufruhr, dass mir die Augen fast herausstanden. Ich war so erhitzt, dass ich keinen Schlaf finden konnte. Des Nachts machte ich so viel Spektakel, dass Frau von Kamecke davon erwachte; um mich zu beruhigen, gab sie mir Psalmen zu lernen, und als ich entgegnete, es fehle mir die Fassung dazu, schalt sie und sagte der Königin, dass ich nicht gottesfürchtig sei. Darüber kam es zu neuem Zank. Endlich erlag ich all der Mühsal und dem Ungemach und erkrankte nun meinerseits an Dysenterie. Meine getreue Mermann benachrichtigte erst die Königin, die es nicht glauben wollte und mich zwang, obwohl es mir schon recht schlecht ging, auszugehen, und die auf die Warnungen nicht eher achtete, als bis ich schwer darniederlag.
Man brachte mich todkrank nach Berlin. Die Leti kam mir auf der Treppe entgegen. „Ah Prinzessin“, sagte sie, „Sie sind es. Haben Sie große Schmerzen? Sind Sie sehr krank? Nun seien Sie aber vorsichtig! Ihr Bruder ist heute Morgen verschieden, und ich glaube nicht, dass Ihre Schwester den Tag überleben wird.“ Diese traurige Botschaft bekümmerte mich sehr, doch war ich so krank, dass ich sie mir weniger zu Herzen nahm, als zu irgendeiner andern Zeit geschehen wäre. Acht Tage lang schwebte ich in größter Gefahr. Am Abend des neunten Tages fing mein Übel an sich zu lindern; doch erholte ich mich nur sehr langsam. Der König und meine Schwester genasen vor mir. Die Art, wie die Leti mit mir umging, verzögerte meine Genesung. Tagsüber misshandelte sie mich, und nachts ließ sie mich nicht schlafen, denn sie schnarchte wie ein Dragoner.
Die Königin kehrte indessen nach Berlin zurück, und obwohl ich noch sehr schwach war, befahl sie, dass ich ausgehen sollte. Sie empfing mich sehr freundlich, würdigte aber die Leti kaum eines Blickes. Diese Person, aufs höchste darüber aufgebracht, rächte sich an mir. Hiebe und Stöße waren mein tägliches Brot; sie erging sich in Schmähungen auf die Königin und nannte sie für gewöhnlich die große Eselin. Das ganze Gefolge dieser Fürstin hatte Spitznamen so gut wie sie. Frau von Kamecke war die dicke Kuh, Fräulein von Sonsfeld die dumme Gans usw. Solcher Art war die treffliche Moral, die sie mir beibrachte. Ich hatte so viel Ärger und Verdruss, dass mir die Galle ins Blut trat und ich acht Tage nach meinem ersten Ausgang von der Gelbsucht befallen wurde. Ich litt zwei Monate daran und genas von dieser Krankheit nur, um in eine andere, viel gefährlichere zu fallen. Sie setzte mit einem hitzigen Fieber ein und artete zwei Tage später in Scharlach aus. Ich war fortwährend im Delirium, und das Übel verschlimmerte sich so sehr, dass man mir nur noch einige Stunden gab. Der König und die Königin vergaßen in ihrer zärtlichen Sorge um mich alle Rücksicht auf ihr eigenes Wohl. Sie eilten beide um Mitternacht zu mir und fanden mich bewusstlos. Man erzählte mir später, in welch unerhörte Verzweiflung sie gerieten. Sie gaben mir ihren Segen unter tausend Tränen, und man musste sie zwingen, sich von meinem Lager zu entfernen. Ich war in einen lethargischen Zustand gefallen. Die Pflege, die man mir angedeihen ließ, sowie meine gesunde Natur wehrten den Tod von mir ab; das Fieber legte sich gegen Morgen, und zwei Tage später war ich außer Gefahr. Hätte man mich doch in Frieden von dieser Erde scheiden lassen; es wäre zu meinem Glück geschehen. Allein ich war erkoren, tausendfaches Missgeschick zu erdulden, wie der schwedische Prophet es verkündet hatte.
Sobald ich wieder imstande war, ein wenig zu sprechen, kam der König zu mir. Es beglückte ihn so sehr, mich gerettet zu sehen, dass er mir befahl, eine Gunst von ihm zu erbitten. „Ich will Ihnen eine Freude machen“, sagte er, „was immer Sie verlangen, sollen Sie haben.“ Ich war ehrgeizig und konnte es nicht leiden, dass ich immer noch als Kind galt; ich fasste Mut und beschwor ihn, mich nunmehr als eine Erwachsene zu behandeln und mich die Kinderkleider ablegen zu lassen. Er lachte sehr über meinen Einfall. „Nun denn“, sagte er, „es sei Ihnen gewährt, und ich verspreche Ihnen, dass Sie nicht mehr im kurzen Kleide erscheinen sollen.“ Ich war außer mir vor Freude. Ich erlitt fast einen Rückfall, und man hatte alle Mühe, meine erste Aufregung zu mildern. Wie glücklich ist man in diesen Jahren! Die geringste Kleinigkeit erfreut und erheitert uns. Der König hielt jedoch Wort, und was auch die Königin dagegen einwenden mochte, er befahl ihr, mir unbedingt die Courschleppe anzulegen.
Ich konnte mein Zimmer erst im Jahre 1720 (11jährig) verlassen. Ich war selig, keine Kinderkleider mehr zu tragen. Ich stellte mich vor den Spiegel, um mich zu betrachten, und dünkte mich nicht uninteressant in meinem neuen Staat. Ich studierte alle meine Bewegungen und meine Schritte, um wie eine Erwachsene auszusehen; kurz, ich war mit meiner kleinen Person sehr zufrieden. Triumphierend ging ich zur Königin hinab und war auf einen trefflichen Empfang gefasst. Wie ein Cäsar zog ich aus, und wie ein Pompejus kehrte ich zurück. Schon als sie mich von weitem erblickte, rief die Königin aus: „Mein Gott, wie sehen Sie aus! Das ist meiner Treu eine stattliche Figur! Sie sehen auf ein Haar einer Zwergin gleich.“ Ich stand ganz betroffen, in meiner Eitelkeit sehr verwundet, und der Verdruss trieb mir die Tränen in die Augen. Eigentlich hatte ja die Königin nicht unrecht, wenn es bei dieser flüchtigen Verspottung geblieben wäre; allein sie machte mir heftige Vorwürfe, dass ich mich an den König gewandt hatte, um eine Gunst zu erbitten. Sie sagte, dass sie das nicht haben wollte, dass sie mir befohlen habe, ihr allein anzuhängen, und dass, wenn ich mich je an den König wenden würde zu irgendwelchem Zweck, ich sie aufs höchste erzürnen würde. Ich entschuldigte mich, so gut ich konnte und beteuerte ihr so lebhaft meine Ergebenheit, dass sie sich endlich besänftigte.
Ich habe bereits den Charakter der Leti deutlich genug bezeichnet, aber ich kann nicht umhin, noch einen Umstand zu berichten, der zwar geringfügig war, jedoch nicht ohne Folgen blieb. Vor den Fenstern meines Zimmers lief eine ungedeckte, hölzerne Galerie, welche die beiden Flügel des Schlosses verband. Diese Galerie war stets mit Unrat angefüllt, was in meinen Gemächern einen unerträglichen Gestank hervorrief. Die Nachlässigkeit Eversmanns, des Hausmeisters, war daran schuld. Dieser Mensch genoss die Gunst des Königs, der ja stets das Unglück hatte, nur unredliche Günstlinge zu haben. Besonders dieser war ein rechter Teufelsknecht, der nichts wie Unheil zu stiften liebte und mit allen Kabalen und Intrigen, die vorkamen, zu tun hatte. Die Leti hatte ihn mehrmals ersuchen lassen, die Galerie säubern zu lassen, ohne dass er sich dazu bequemen wollte. Da riss ihr endlich die Geduld; sie ließ ihn eines Morgens rufen und fing damit an, dass sie ihn ausschalt. Er blieb ihr nichts schuldig, und sie gerieten endlich in solchen Streit, dass sie sich beide bei den Ohren genommen hätten, wäre nicht zum Glück Frau von Roucoulles erschienen, die sie trennte. Eversmann schwur Rache, und die Gelegenheit bot sich ihm schon am folgenden Tag. Er sagte dem König, dass die Leti sich keineswegs um meine Erziehung kümmere, sie sei die Mätresse des Oberst Forcade sowie des Herrn Fourneret, mit denen sie sich den ganzen Tag eingesperrt hielte, so dass ich nichts lerne; er spräche die Wahrheit, der König möge die Sache nur untersuchen.
Der Bericht Eversmanns war in jedem Punkte zutreffend, doch war die Leti unschuldig, was die letzte Anklage betraf. Ich war sechs Monate lang krank gewesen, was mich sehr zurückgebracht hatte; und seit meiner Genesung konnte ich meine Studien nicht wieder aufnehmen, da ich mich stets bei der Königin aufhielt, zu der ich mich schon um zehn Uhr morgens verfügte, um mich erst um elf Uhr abends zurückzuziehen. Der König, welcher der Wahrheit auf den Grund kommen wollte, stellte mir eines Tages verschiedene Fragen über die Religion. Ich zog mich sehr gut aus der Sache und befriedigte ihn in allen Punkten; doch als ich ihm die zehn Gebote aufsagen sollte, verwirrte ich mich und brachte es nicht zuwege, was ihn in solchen Zorn versetzte, dass er mich fast geschlagen hätte. Mein armer Lehrer musste für den Schaden stehen. Er wurde tags darauf davongejagt. Die Leti blieb auch nicht verschont. Der König gebot der Königin, ihr einen tüchtigen Verweis zu geben und ihr die Ungnade anzudrohen, falls sie je wieder Männer bei sich empfinge; selbst Geistliche sollten ausgeschlossen sein. Die Königin gehorchte mit Freuden und begrüßte die Gelegenheit, sie zu demütigen. Die Leti verteidigte sich, so gut es ging. Sie beschwerte sich über mich; sagte, dass ich weder Ehrfurcht noch Achtung vor ihr habe, dass ich ihr stets zuwiderhandle und dass sie für mein Betragen nicht verantwortlich sein könne, da sie ja fast nie mehr in meiner Nähe sei. Die Königin behandelte mich sehr ungnädig und sagte mir so harte Worte, dass ich trostlos darüber war. Trotz meiner Jugend machte es großen Eindruck auf mich. „Wie!“ dachte ich, „ein Gedächtnisfehler soll so viele Vorwürfe verdienen? Ich habe der Leti nicht gefolgt, das ist wahr; ich habe nicht ihre Zuträgerin werden wollen, sie hat mir keine Geheimnisse entlockt, die mir die Königin anvertraute; ich habe allen Befehlen der Königin gehorcht, und heute macht sie mir dennoch ein Verbrechen daraus. Ich habe allen erdenklichen Verdruss ihr zuliebe erduldet, bin mit Hieben zugerichtet worden, und dies ist der Lohn!“
Im nächsten Augenblick verwünschte ich meine Güte für die Leti. Es lag nur an mir, mich über ihre schlechte Behandlung bei der Königin zu beklagen; und ich gestehe, dass ich einige Zeit schwankte, ob ich die Königin oder diese Person verraten sollte. Allein meine Herzensgüte siegte über diese rachsüchtigen Gedanken, und ich beschloss zu schweigen. Meine Lebensweise wurde jetzt eine ganz andere; meine Stunden begannen um acht Uhr morgens und dauerten bis um acht Uhr abends. Ich hatte nur die Stunden der Mittags- und Abendmahlzeiten als Pausen, und sie vergingen auch wieder unter Verweisen, die mir die Königin gab. War ich dann in mein Zimmer zurückgekehrt, so begann die Leti mit den ihrigen. Sie war sehr erbittert darüber, dass sie niemanden mehr bei sich sehen durfte, und rächte sich an mir. Es verging kaum ein Tag, an dem sie die gefürchtete Kraft ihrer Fäuste nicht an meiner armen Person erprobte. Ich weinte die ganze Nacht, wusste mich gar nicht zu beruhigt, hatte keinen Augenblick der Erholung und wurde wie verdummt. Meine Lebhaftigkeit war verschwunden; mit einem Wort, man hätte mich körperlich wie geistig nicht wiedererkannt. Sechs Monate lang dauerte dies Leben, bis wir nach Wusterhausen übersiedelten.
Ich fing an, bei der Königin wieder in Gunst zu kommen und folglich ein wenig mehr Ruhe zu haben; sie bewies mir sogar ihr Vertrauen und teilte mir alle ihre Pläne mit. Vor der Rückkehr nach Berlin sagte sie mir eines Tages: „Ich habe Ihnen allen Kummer erzählt, den ich bis jetzt erfahren habe, doch habe ich Ihnen nur den kleinsten Teil all der Gründe gesagt, die ihn verursachten; ich will sie jetzt nennen, und ich verbiete Ihnen aufs strengste, mit jenen Leuten zu sprechen noch irgendwelchen Verkehr mit ihnen zu pflegen. Erwidern Sie ihren Gruß, das ist alles, was Sie nötig haben.“ Dabei nannte sie mir halb Berlin, das, wie sie sagte, mit ihr verfeindet sei. „Zwar will ich nicht“, fügte sie hinzu, „dass Sie mich kompromittieren. Falls man Sie fragt, warum Sie mit diesen Leuten nicht sprechen, antworten Sie, dass Sie Ihre guten Gründe dafür haben.“
Ich folgte genau dem Geheiß der Königin und hatte bald alle Welt gegen mich. Die Leti jedoch fing an, sich gewaltig zu langweilen. Das Verbot des Königs hatte sie außerstande gesetzt, ihre Liebes- und Staatsintrigen weiterzuführen, zumal der Einfluss des Fürsten von Anhalt seit der Blaspiel-Affäre sehr gesunken war, so dass die Person um die Geschenke kam, die sie von dem Fürsten zu erhalten pflegte. Er erwähnte nichts mehr von einer Verbindung zwischen mir und dem Markgrafen von Schwedt. All dies veranlasste die Leti, sich an ihre Beschützerin, Lady Arlington, zu wenden, um sie zu bitten, sich ihrer bei der Königin anzunehmen, so dass sie zu meiner Hofmeisterin ernannt würde, ein Titel, der ihr manche Vorrechte brächte, falls dies verweigert würde, solle sie ihr doch um Gottes willen diese Stellung bei den Prinzessinnen von England verschaffen.