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Kitabı oku: «Die Heirath im Omnibus», sayfa 23

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Fünftes Kapitel

Am vierten Tage nach ihrem Tode stand ich allein auf dem Kirchhofe an Margarethens Grabe.

Es war mir beschieden gewesen, ihren letzten Augenblicken beizuwohnen, und durch mich sollten ihr auch die letzten Pflichten erwiesen werden. Wer hätte mir am Tage unserer verhängnißvollen Vermählung gesagt, daß die einzige Wohnung, in die ich sie einführen würde, das Grab wäre?

Ihr Vater hatte mir einen Brief geschrieben, den ich sofort nach dem Empfange vernichtete, und den ich hier nicht mittheilen will. Es sprach daraus Nicht« als die Wuth über die Vereitelung seiner habsüchtigen Pläne.

Ralph war nach London zurückgekehrt, sobald er den mir von Mr. Bernard geschriebenen Brief erhalten hatte. Er bot mir bei Erfüllung der mir zugefallenen letzten Pflichten seine Mitwirkung mit einer Hingebung an, die ich noch nicht bei ihm gefunden hatte.

Mr. Bernard aber hatte sich großmüthiger Weise schon bereit gezeigt, mir Alles abzunehmen, was durch Andere eben so gut als durch mich selbst besorgt werden konnte, und ich hatte daher bei dieser Gelegenheit nicht erst nöthig, die Gefälligkeit meines Bruders in Anspruch zu nehmen.

Ich stand allein an Margarethens Grabe. Mr. Bernard hatte Abschied von mir genommen. Die Todtengräber und Zuschauer hatten sich ebenfalls entfernt. Es war kein Grund für mich vorhanden; es nicht eben so zu machen wie sie; dennoch aber blieb ich immer noch, heftete die Augen auf die frisch aufgeworfene Erde zu meinen Füßen und dachte an die Todte.

Nach einigen Augenblicken zog ein Geräusch von sich nähernden Tritten meine Aufmerksamkeit aus sich.

Ich blickte auf und sah einen Mann in einen langen Mantel gehüllt. Ueber den Augen trug er eine Art Schild oder Schirm, der den oberen Theil des Gesichts verdeckte. Auf einen Stock gestützt kam er langsam auf mich zu.

Am Fuße des Grabes blieb er stehen; gerade mir gegenüber, der ich zu Häuptern desselben stand.

»Kennen Sie mich noch? Kennen Sie noch Robert Mannion?«

Und indem: er seinen Namen nannte, hob er den Schirm.

Bei dem Anblick dieses entsetzlichen, verstümmelten bleichen Gesichts mit seinem unveränderlichen Ausdruck wilder Bosheit, welches mich jetzt in dem hellen Sonnenscheine anschaute und ganz denselben satanischen Ausdruck von Wuth und Triumph zeigte, den ich bei jenem Blitzstrahle darauf hatte leuchten sehen, stand ich stumm und wie angewurzelt. Nie ist dieses Bild wieder aus meiner Erinnerung geschwunden.«

»Kennen Sie mich noch – mich, Robert Mannion?« wiederholte er. »Kennen Sie noch das Werk Ihrer Hände? Wohlan, kennen Sie es? Ohne Zweifel finden Sie mich sehr verändert. »Ihr Vater hätte den meinen ohne Zweifel ebenfalls sehr verändert gefunden, wenn er ihn am Morgen nach seiner Hinrichtung mit der über sein Gesicht herabgezogene schwarzen Kappe am Galgen, hätte hängen sehen.

Ich war noch immer keines Wortes und keiner Bewegung mächtig. Nur das entsetzen hatte mich bewogen, die Augen von ihm abzuwenden, und ich hielt sie auf den Boden geheftet.

Er schlug seinen Schirm wieder herunter, setzte einen Fuß auf das Grab und sagte:

»Unter dieser Erde, hier unter diesem Hügel auf welchen Sie jetzt Ihre Blicke heften, ruht mit der hier Begrabenen der letzte Einfluß, welcher ihnen einen Tag Frist oder Erbarmen hätte erwirken können. Dachten Sie an diese einzige Aussicht, welche Sie verloren, als Sie kamen, um sie sterben zu sehen? Ich beobachtete Sie, mein Herr, eben so wie Margarethen Alles, was Sie gehört haben habe auch ich gehört – ich habe gesehen, was Sie gesehen haben; ich weiß eben so gut als Sie, wann und wie sie gestorben ist – ich habe ihre letzten Augenblicke mit Ihnen getheilt bis ans Ende. Mein Wille ist, gewesen, sie Ihnen nicht allein zu überlassen, nicht einmal auf ihrem Sterbebette, eben so wie es mir jetzt beliebt, Ihnen nicht zu gestatten, allein an ihrem Grabe zu stehen, als ob ihre Leiche Ihr Eigenthum wäre.«

Während er diese letzten Worte sprach, war meine ganze Kaltblütigkeit zurückgekehrt; aber dennoch war ich nicht im Stande, zu sprechen wie ich gern gesprochen hätte. ich konnte mich bloß entfernen, indem ich ihm den Platz räumte.

»Halt!« rief er, »was; ich noch zu sagen habe, betrifft Sie. Ich habe Ihnen noch in’s Gesicht und an diesem Grabe zu sagen, daß ich Alles thun werde, was ich Ihnen gesagt habe, und noch mehr. Durch mich soll Ihr ganzes künftiges Leben nur eine lange Buße für diese Entstellung« – er zeigte auf sein Gesicht – »und für diesen Tod« – er setzte den Fuß abermals auf das Grab – »sein. So sicher Ihr Vater aus mir einen Pariah der Gesellschaft gemacht hat, eben so gewiß werde ich, ich schwöre es, einen Pariah aus Ihnen machen. Gehen Sie, wohin Sie wollen – dieses Gesicht, welches Sie mir gegeben, Wird Sie verfolgen; diese Zunge, welcher Sie niemals Schweigen gebieten können, wird gegen Sie den schlafenden Aberglauben und die Grausamkeit der ganzen Menschheit wachrufen – durch diese Zunge werden die schmachvollen Geheimnisse der Nacht, in welcher Sie uns nachfolgten, ans Licht kommen und alle Genossen Ihres Lebens weit von Ihnen hinweg scheuchen. Sie glauben vielleicht, daß ich unsinnige Reden führe wie ein Thor, der Alles möglich glaubt? Das nächste Mal, wo wir uns, begegnen, werden Sie mit Ihrem eigenen Munde gestehen, daß ich so handeln kann wie ich spreche. Nun, da Sie mich gehört haben, gehen Sie und verfolgen Sie Ihren Weg, wie ich den meinigen. Unsere Wege werden, sich Kreuzen, trotz aller Ihrer Bemühungen, sie von einander fern zu halten. Leben Sie jenes freie Leben welchem Margarethe Sherwin Sie durch ihren Tod zurückgegeben hat. Sie werden bald sehen, daß es das Leben Kains ist.«

Er entfernte sich von dem Grabe, indem er denselben Weg zurücknahm, auf welchem er gekommen war; aber das scheußliche Bild seiner Erscheinung und die Erinnerung an die Worte, welche er gesprochen, hörten nicht auf, mich zu verfolgen und zwar nicht bloß während der Zeits die ich noch allein auf dem Kirchhofe verweilte, sondern auch nachher, während ich mir einen Weg durch die Menge bahnte, welche in den Straßen wimmeln.

Sein Dämonengesicht schwebte mir noch vor Augen, das Gift seiner teuflischen Worte träufelte sich noch in mein Ohr, als ich in meine Wohnung zurückkehrte.

Hier traf ich Ralph, der mich ungeduldig in meinem Zimmer erwartete.«

»Nun, da bist Du endlich wieder!« rief er. »Ich war entschlossen, nicht eher,fortzugehen, als bis ich Dich gesehen hätte. Aber, Sidney, was ist Dir? Bist Du vielleicht in eine neue Schwierigkeit gerathen, die schlimmer ist als die alte?«

»Nein, Ralph, nein; aber was hast Du mir zu sagen?«

»Etwas, was Dich überraschen wird, Sidney. Ich habe, Dir zu sagen, daß Du Dich unverweilt von London entfernen mußt.«

»Von London entfernen? Was sagst Du?«

»Ja, sowohl in Deinem Interesse als in dem Interesse unser Aller. Unser Vater hat erfahren, daß Claras bei Dir gewesen« ist.«

»Gerechter Himmels, wie hat er es denn erfahren"?»

»Das weiß ich nicht. Er wollte es mir nicht sagen aber erfahren hat er es, und Du kannst Dir denken, ob er damit zufrieden ist. Ich weiß nicht, was ich denken soll.«

»Aber sage mir, Ralph wie erträgt sie das Mißfallen meines Vaters?«

»So gut als es sich ertragen läßt. Nachdem er ihr bestimmt und rund heraus verboten hat, jemals wieder in dieses Haus zugehen, giebt er ihr sein Mißfallen nur noch durch sein Schweigen zu erkennen, und Du begreifst, daß gerade, dies sie am Meisten bekümmert. Schwankend zwischen dem unbedingten Gehorsam, den sie ihrem Vater schuldig ist, und den schwesterlichen Gesinnungen, die sie gegen Dich hegt, fühlt sie sich höchst unglücklich. Ich scheue mich, zu muthmaßen, was aus allem Diesem für sie hervorgehen kann, und Du weißt selbst, daß ich vor Kleinigkeiten mich nicht scheue. Höre mich daher, Sidney. Dir kommt es zu, allem Diesem ein Ende zu machen, und mir, Dir zu sagen, wie es geschehen kann.«

»Ich werde Alles« thun, weiß Du willst – Alles für Clara.«

»Nun, dann hast Du weiter Nichts zu thun, als, wie ich Dir schon gesagt habe, London zu verlassen. Dies ist das einzige Mittel, diesem Unglücklichen Kampfe zwischen ihren Pflichten und Neigungen ein Ende zu machen. Wenn Du es nicht thust, so ist mein Vater im Stande, sofort mit Ihr aufs Land zurückzureisen, obschon ich weiß, daß wichtige Geschäfte ihn in diesem Augenblicke in London Zurückhalten. Du wirst an Clara einen Brief schreiben, in welchem Du, ihr sagst, Du seiest im Interesse Deiner Gesundheit abgereist, um andere Luft zu athmen, um Dich zu erholen – mit Einem Worte abgereist, um wiederzukommen, wenn bessere Zeiten eingetreten sein werden. Sage ihr nicht, wohin Du gehst, und auch mir sage es nicht; denn wenn ich es weiß, so wird sie mich darnach fragen, und zuletzt würde ich es ihr sagen. Dann würde sie an Dich schreiben und dies würde ebenfalls entdeckt werden. Wenn Du ihr Deine; Abwesenheit erklärst, so wird sie sich niemals dadurch so beunruhigen, wie sie sich jetzt beunruhigt, das ist wohl zu erwägen. Wenn Du Dich entfernst, so dienst Du übrigens Deinen eigenen Interessen ebenso wie denen Clara’s, und dies ist eine zweite Erwägung.«

»Was sprichst Du von meinen Interessen? Clara! Ich denke nur an Clara.«

»Aber Du hast doch auch Interessen, die man nicht vergessen darf. Ich habe unserm Vater den Tod der armen. Margarethe erzählt, sowie Deine edle Handlungsweise gegen die Sterbende. Unterbrich mich nicht, Sidney. Es war edel – ich hätte nicht gethan, was Du gethan hast, das gestehe ich offen. Ich sah, daß auch unser Vater gerührt. war, obschon er es sich nicht merken lassen wollte, und übrigens wünschte er auch nicht, daß ein Zufall seine Ideen in Bezug ans Deine Handlungsweise sobald verändern sollte. Er sprach. davon, das er niemals wieder Vertrauen zu Dir haben könne, und noch mehr dergleichen. Nichtsdestoweniger kannst Du mir glauben, daß die unerwartete Wendung, welche die Dinge genommen haben, einen tiefen Eindruck aus sein Gemüth gemacht hat. Laß diesen Eindruck sich nur befestigen, Sidney, und Du bist gerettet. Wenn Du ihn aber dagegen dadurch, daß Du hier bleibst, zerstörst und Clara ihrer schmerzlichen Verlegenheit nicht entreißest, so sage ich Dir einfach, daß Du Dir die beste Hoffnung raubst, weil Du dann unserm Vater zu trotzen scheinst, während Du, wenn Du Dich entfernst, ihm ein volles und unumschränktes Zugeständniß machst.«

»Ich werde gehen, Ralph, denn ich muß – dies hast Du mir so eben bewiesen. Ich werde schon morgen früh abreisen. Aber wohin?«

»Du hast den ganzen Tag, um Dich zu fragen, wo Du Dich eine Zeit lang zerstreuen kannst; höchstwahrscheinlich aber gehen unsere Begriffe über die Art und Weise des Zerstreuens sehr auseinander. Magst Du übrigens hingeben, wohin Du gefällst, so werde ich Dir im Nothfalle stets Geld zugehen lassen. Nach Verlauf einiger Zeit wirst Du mir schreiben und ich werde Dir antworten, sobald ich Dir gute Nachrichten mitzutheilen habe. Vor der Hand bleibe bei Deinem gegenwärtigen Entschlusse Sidney, und wenn Du dies thust, so stehe ich Dir dafür, daß Du, ehe noch viele Monate verflossen sind, Dich wieder bei uns in Deinem Arbeitskabinette sehen wirst.«

»Ich werde mir es selbst unmöglich machen, meinem Entschlusses untreu zu werden, indem ich sofort an Clara schreibe und Dir den Brief mitgeben, damit Du ihn morgen Abend üherreichst, wo ich London seit einigen Stunden verlassen haben werde.«

»Du hast Recht, Sidney, das nenne ich gesprochen und gehandelt wie ein Mann.«

Ich schrieb sofort, indem ich meine Abreise durch die mir von Raiph angerathenen Vorwände motivierte. Ich schrieb, während mein Herz von traurigen Ahnungen erfülle war, Alles, wovon ich glaubte, daß es am Besten geeignet sei, Clara zu beruhigen, und dann ohne mir Zeit zum Zögern oder Nachdenken zu lassen, gab den Brief meinem Bruder.«

»Morgen Abend soll sie ihn bekommen,« sagte er, und gleichzeitig soll auch mein Vater erfahren, warum Du die Stadt verlassen hast. Was dies betrifft, so zähle wie in allen übrigen Dingen auf mich. Und nun, Sidney, muß ich Dir Lebewohl sagen, dafern Du nicht etwa aufgelegt bist, mich in meiner neuen Wohnung zu besuchen. Ach, ich sehe schon, daß Du keine große Lust dazu hast. Auf Wiedersehen denn, Bruder. Schreibe mir wenn Du irgend Etwas brauchst. Fasse wieder Muth – werde wieder recht gesund »und zweifle nicht, daß Du in diesem Augenblicke den besten Entschluß fassest, den Du in Bezug auf Clara und Dich selbst überhaupt fassen kannst.«

Er verließ rasch das Zimmer, als ob er tiefer ergriffen wäre, als er sich merken lassen wollte.

Während des ganzen noch übrigen Tages allein, fragte ich mich mehr als ein Mal, nach welchem Lande ich den nächstfolgenden Tag abreisen würde.

Ich wußte, daß ich nichts Besseres thun konnte als England verlassen, aber es war mir, als wenn die Liebe zur Heimath sich seit einiger Zeit auf eigenthümliche Weise in mir entwickelt hätte, und je mehr ich über die Richtung, die ich nehmen sollte, nachdachte, desto weniger konnte ich mich mit der Idee befreunden, mich in ein fremdes Land zu begeben.

Während ich noch so in Zweifel befangen war, tauchten die ersten Eindrücke« meiner Kindheit wieder in meiner Erinnerung auf und unter dem Einflusse derselben dachte ich an Cornwallis.

Meine Amme war eine Cornwalliserin, die ersten Gebilde meiner Phantasie und die ersten Gefühle von Neugier waren durch ihre Geschichtchen von Cornwallis erweckt worden, durch die Schilderungen der Landschaften, der Sitten und der Menschen ihres Heimathlandes. Als ich größer ward, war es immer eins meiner Lieblingsprojecte, nach Cornwallis zu reisen und dieses wildromantische Vorgebirge durch Fußwanderungen zu erforschen.

Und jetzt, wo kein Vergnügungsmotiv meine Wahl bestimmen sollte, jetzt, wo ich allein und heimathlos der Ungewißheit, vielleicht Gefahren entgegenging, bewahrte meine alte Phantasie der früheren Tage noch ihren Einfluß und zeichnete mir meinen neuen Weg an der felsigen Küste von Cornwallis vor.

Meine letzte Nacht in London war eine Nacht, welche mir das scheußliche Bild Mannion's wieder vorführte Es erschien mir in allen meinen Träumen und verbitterte mir während meiner schlaflosen Stunden den Gedanken an den nächstfolgenden Tag, welcher mich von Clara trennen sollte.

Mein Entschluß, London um ihretwillen zu verlassen, ward jedoch keineswegs dadurch erschüttert. Als der Morgen kam, traf ich schnell und mit leichter Mühe meine Reiseanstalten und vergaß nicht, einige Bücher mitzunehmen.

Mein Weg durch die Straßen führte mich nahe an dem Hause meines Vaters vorbei. Als ichs diese mir so wohlbekannte Gegend passierte, verlor ich in so hohen Grade alle meine Herrschaft über meine Bewegungen, daß ich stehen blieb und dann meine Schritte nach unserem Hause lenkte, in der Hoffnung, Clara noch ein Mal zu sehen.

Indem ich mich vorsichtig und zögernd näherte, hob ich die Augen zu dem Hause empor, welches nicht mehr das meine war, und blickte nach den dicht neben einander befindlichen Fenstern des Wohn- und Schlafzimmers meiner Schwester. Sie war aber nicht am Fenster und eben sowenig sah ich sie aus einem Zimmer in das andere gehen.

Dennoch konnte ich mich nicht entschließen, meinen Weg fortzusetzen. Ich dachte an die vielen Beweise süßer Freundschaft, die sie mir gegeben, und die ich erst jetzt richtig zu würdigen schien. Ich dachte an Alles, was sie meinetwegen gelitten, was sie noch litt, und die Hoffnung, sie noch ein Mal zusehen, wäre es auch nur auf einen Augenblick, bewog mich, mehrmals vor dem Hause auf- und abzugeben und vergebens nach den verlassenen Fenstern hinauf zuschauen.

Es war ein reiner, frischer Herbstmorgen. Vielleicht war Clara in den kleinen Garten hinuntergegangen. Ich erinnerte mich, daß sie dies zu dieser Stunde oft that, um zu lesen. Ich ging vor dem eisernen Gitter hin und her, spähte durch die Zwischenräume des Laubwerks nach ihr und hatte auf diese Weise beinahe die ganze Runde um den Garten gemacht, als die Gestalt einer unter einem Baume sitzenden Dame meine Aufmerksamkeit auf sich zog.

Ich blieb stehen – sah aufmerksam hin und erkannte Garn. Ihr Gesicht war beinahe vollstädig von mir abgewendet, aber ich erkannte sie an ihrer Toilette, an ihrem Wuchse, ja sogar an ihrer Haltung, so einfach dieselbe auch war.

Sie saß und hielt die Hände über einem geschlossenen Buche gefaltet, welches auf ihren Knieen lag. Zu ihren Füßen lag ein kleiner Wachtelhund den ich ihr geschenkt. Sie sah ihn an, wenigstens schloß ich dies aus der Haltung ihres vorwärts geneigten Kopfes Ich ging ein paar Schritte weiter, um womöglich ihr Gesicht zu sehen, aber die Bäume entzogen mir dieses vollständig Ich mußte mich mit dem, was ich bis jetzt gesehen, begnügen.

Ich wagte nicht, sie anzureden und Abschied von ihr zu nehmen. Ich konnte Nichts thun als schweigen und sie ansehen, bis mir endlich die Thränen in die Augen traten und meinen Blick umflorten. Ich widerstand der Versuchung, sie mir zu trocknen. Während diese Thränen mir meine Schwester verbargen und ich sie noch wiedersehen konnte, wenn ich wollte, hörte ich auf, in den Garten zu schauen, und verließ den Platz.

Unter allen den Gedanken, welche mich bestürmten, sowie ich mein väterliches Haus immer weiter hinter mir ließ, unter allen Erinnerungen an frühere Ereignisse seit dem Tage meiner ersten Begegnung mit Margarethe Sherwin bis zu dem, wo ich an ihrem Grabe gestanden, erhob sich in mir zum ersten Male ein Argwohn, dermich von diesem Augenblicke an nie wieder verließ:

»Folgte mir Mannion nicht vielleicht heimlich Schritt um Schritt?«

Sobald dieser Argwohn in mir aufstieg, blieb ich unwillkürlich stehen und schaute hinter mich. Eine unendliche Menge Gestalten bewegten sich in dem Raume, den meine Augen umfaßten, aber die Gestalt, welche ich auf dem Kirchhofe gesehen, war unter diesen durchaus nicht sichtbar.

Ein wenig weiterhin sah ich mich nochmals um und schaute wieder hinter mich, aber mit demselben Erfolge. Nun ließ ich eine ziemlich lange Zeit verstreichen, ehe ich wieder stehen blieb, dann durchforschte ich zum dritten Male mit scharfem, argwöhnischem Auge den ganzen Raum, welchen mein Blick umfassen konnte.

In einiger Entfernung hinter mir auf dem entgegengesetzten Trottoir gewahrte ich einen Mann, der gerade so wie ich unter der geschäftigen Menge stehen geblieben war.

Seine Gestalt entsprach der Mannion’s. Er trug einen Mantel von der Art, wie Mannion getragen, als er an Margarethens Grabe auf mich zukam. Ich hätte jedoch über die Straße hinübergehen müssen, um noch mehr zu erspähen, denn von dem Platze aus, wo ich stand, versperrten Wagen und Fußgänger fortwährend die Aussicht.

War es Mannion und belauerte er wirklich meine Schritte?

Während dieser Argwohn in mir Wurzel schlug, fiel mir plötzlich eine der Drohungen ein, die ich ihn auf, dem Kirchhofe hatte aussprechen hören: »Sie können sich hinter Ihre Familie und Ihre Freunde verschanzen wie Sie wollen – ich werde Sie dennoch zu treffen wissen.«

Und diese Erinnerung erweckte einen Gedanken, welcher mich sofort bestimmte, meinen Weg weiter fortzusetzen. Dies that ich auch, ohne mich wieder ein einziges Mal umzusehen, denn ich sagte bei mir selbst: »Wenn er mir folgt, so darf und will ich ihn nicht meiden. Indem ich ihn hinter mir her locke, rette ich vielleicht meine Schwester und meinen Vater.«

Ich wich daher nicht von meinem Wege ab, sondern verfolgte ihn in gerader Richtung und schaute nicht wieder hinter ich.

Nachdem ich beschlossen, London zu verlassen, um mich nach Cornwallis zu begeben, hatte ich keine Vorsichtsmaßregeln getroffen, um meine Abreise zu verheimlichen, und obschon ich demzufolge hätte sicher sein können, daß er mir folge, so sah ich ihn doch nicht mehr und entdeckte niemals wieder, in welcher größeren oder geringeren Entfernung er meine Spur verfolgte.

»Seit dieser Zeit sind zwei Monate verflossen und ich weiß jetzt nicht mehr über ihn, als ich damals wußte.

Am 19. October. Meine Rückschau ist beendet. Ich habe die Geschichte meiner Verirrungen und meines Unglücks, des Unheils, welches ich angerichtet, und der Strafe aufgezeichnet, welche mich bis in die Gegenwart verfolgt hat. Die Blätter meines Manuscripts – welches länger geworden ist als ich es Anfangs zu machen gedachte – liegen vor mir auf meinem Schreibtische aufgethürmt. Ich wage nicht, sie durchzusehen – ich wage nicht, die Zeilen wieder zu lesen, welche meine eigene Hand geschrieben. Vielleicht giebt es in Bezug auf den Styl viel zu verbessern, aber ich habe nicht den Muth, auf meine Arbeit zurückzukommen, sie zu revidieren und genauer ins Auge zu fassen, wie ich doch thun würde, wenn meine Absicht wäre, ein Buch zu produzieren, welches noch bei meinen Lebzeiten veröffentlicht werden sollte. Meine stylistischen Fehler können auch von einer andern Hand korrigiert werden, wenn ich nicht mehr sein werde. Andern überlasse ich die Aufgabe, meine Armuth zu bereichern, die Sorge, den Block rauher Wahrheit, welchen ich hinterlasse, nach dem volksthümlichen Geschmacke des Tages zu schleifen und zu polieren, denn ich habe streng die Wahrheit gesagt, ohne Verschweigung wie ohne Uebertreibung, zuweilen mit tiefer Demuth, oft mit Thränen.

Jetzt aber, wo ich diese Blätter sammle, um sie mit dem festen Entschlusse, sie nicht selbst wieder zu öffnen, zu versiegeln, kann ich da wohl glauben, daß meine Aufgabe beendet sei und daß ich Alles erzählt habe, was zu sagen nothwendig ist? Nein. So lange Mannion lebt und so lange ich keine Stunde sicher bin, ihn wieder vor mir erscheinen zu sehen, so lange ich keine Kenntniß von den Veränderungen Habe, die in dem Hause, aus welchem ich verbannt bin, vorgehen können, verlangt diese Erzählung der Vergangenheit eine Fortsetzung, weil aus dieser Vergangenheit sich meine Zukunft gestalten wird.

Ich weiß nicht, was noch der Mühe des Erzählens Werth sein wird; ich weiß nicht, welche neue Aufregungen mich in die Unmöglichkeit versetzen können, die vor der Hand beendete Arbeit wieder aufzunehmen. Ich besitze nicht genug Vertrauen zu mir selbst- oder zu der Zukunft, welche das Schicksal mir vorbehält, um zu glauben, daß ich Zeit oder Energie genug haben werde, um in der Folge meine Erinnerungen eben so niederzuschreiben, wie ich es jetzt gethan. deshalb wird es besser sein, wenn ich Tag für Tag die Ereignisse so niederschreibe, wie sie nach einander geschehen, um auf diese Weise, möge kommen was da wolle, die tägliche Fortsetzung meiner Erzählung Bruchstück für Bruchstück bis an’s Ende zu sichern.

Zuvor aber und als natürliche Einleitung zu dem Tagebuche, welches ich zu führen gedenke, sei mir erlaubt, eine flüchtige Skizze des neuen Lebens zu geben, welches ich in meiner Zurückgezogenheit an der Küste von Cornwallis führe.

Das kleine Fischerdorf, in welchem ich die vorliegenden Blätter geschrieben, liegt an der südlichen Küste von Cornwallis, nur wenige Meilen von dem Vorgebirge Lands’ End entfernt. Ich bewohne eine von unbehauenen Steinen erbaute, mit einem Strohdache versehene Hütte, die bloß zwei Zimmer that. An Geräthschaften besitze ich Nichts weiter. als mein Bett, meinen Tisch und meinen Stuhl. Meine einzigen Nachbarn sind ein Dutzend Fischer und ihre Familien. Der Mangel des Ueberflüssigen ist mir aber eben so leicht zu ertragen als der Mangel an Gesellschaft. Seitdem ich hier bin, habe ich Alles gefunden, was ich wünschte – die vollständigste Zurückgezogenheit Bei meiner Ankunft setzte ich diese wackeren Leute ein wenig in Erstaunen, ja, ich kam ihnen sogar verdächtig vor.

Die Fischer von Cornwallis bewahren noch bis auf den heutigen Tag die plump abergläubischen Meinungen, welche ihren bescheidenen Vorvätern schon vor Jahrhunderten so theuer waren.

Meine armen, schlichten Nachbarn begriffen nicht, warum ich keinen Erwerb trieb, und mein trauriges, Müdigkeit und Abspannung verrathendes Gesicht paßte nach ihrer Meinung nicht zu meiner anscheinenden Jugend. Die Frauen ganz besonders sahen in einer Absonderung, wie ich sie liebte, etwas ganz Widernatürliches und Räthselhaftes.

Man that allerhand neugierige Fragen an mich, und eben die Einfachheit meiner Antwort, daß ich nach Cornwallis gekommen sei, um ruhig zu leben und meine Gesundheit wieder herzustellen, reizte diese Neugierde nur noch mehr. Tag für Tag, seitdem ich meine Hütte bezogen, hoffte man Briefe zu sehen, die mir geschickt würden – aber es kamen keine – oder Freunde, die mich besuchten – aber es zeigten sich auch keine Freunde.«

Das Geheimniß ward für die wackeren Leute ein immer verwickelteres. Sie begannen sich jener alten Sagen von Cornwallis zu erinnern, in welchen von geheimnißvollen Menschen erzählt wird, die vor langer Zeit in abgelegenen Gegenden der Grafschaft wohnten. Diese Menschen kamen, man wußte nicht woher; sie existierten, Niemand wußte wie – sie starben und verschwanden, ohne daß man erfuhr, auf welche Weise.

Man hatte, glaube ich, große Lust, mich als einen dieser geheimnißvollen Gäste und als ein der ganzen Menschenfamilie fremdes Wesen zu betrachten, welches durch irgend einen Fluch an diese Küste geworfen worden sei, um hier in Einsamkeit und Verlassenheit zu sterben. Selbst die alte Frau, der ich zuerst Geld gab, damit sie mir die zum Leben nothwendigen Dinge verschaffe, schien sich einen Augenblick lang zu fragen, inwieweit es erlaubt und klug sei, Etwas von mir anzunehmen.

Diese Zweifel traten jedoch allmählich in den Hintergrund und die abergläubischen Ideen meiner armen wackeren Nachbarn machten sich weniger geltend. Sie gewöhnten sich an meine einsame, träumerische und für sie unerklärliche Existenz. Einige, wenn auch unbedeutende Dienste, die ich bald nach meiner Ankunft ihren Kindern leistete, bewirkten Wunder zu meinen Gunsten, und jetzt ist das Mißtrauen in eine Art Mitleid übergegangen. Wenn der Ertrag des Fischfanges ein sehr reichlicher ist, macht man mir oft ein kleines Geschenk. Vor einigen Wochen, als ich des Morgens ausgegangen war, fand ich bei meiner Rückkehr zwei oder drei Möveneier in einem Körbchen vor meiner Thür. Sie waren von Kindern als Schmuck für das Fenster meiner Hütte hierher gebracht worden – als der einzige Schmuck, den sie zu geben hatten, als der einzige, von welchem sie jemals hatten sprechen hören.

Jetzt kann ich, ohne beobachtet zu werden, mit meiner Bibel oder meinem Shakespeare unter dem Arme ausgehen und aus der Schlucht heraus, in welcher unser Dörfchen liegt, mich der alten Kirche von grauem Steine nähern, welche, von verkümmertem Gebüsch umgeben, einsam am Strande steht. Wenn zufällig hier unter den zerstreut umher liegenden Leichensteinen einige Kinder spielen, so verrathen sie keinen Schrecken und laufen nicht davon, wenn sie mich auf einem dieser Steine am Eingange des Kirchhofs Platz nehmen oder um den steinernen Thurm umherirren sehen, welcher von Händen erbaut worden, die schon seit Jahrhunderten in Staub zerfallen sind. Meine Annäherung hat aufgehört, für meine kleinen Nachbarn eine furchterregende zu sein. Höchstens sehen füe mich einen Augenblick lang mit lächelnden Blicken an, um sodann sich wieder ihrem Spiele zuzuwenden.

Von dem Kirchhofe aus schweifen an schönen Tagen meine. Blicke in die Schlucht oder über das Meer. Riesige Granitfelsen überragen von jeder Seite die Fischerhütten. Der weiße Sand der Bucht funkelt im Sonnenscheine; der Bach, welcher sich von den Felsen herabstürzend, launenhaft ein Bett bahnt, glänzt stellenweise wie ein silbernes Band. Ueber mir ziehen majestätisch weiße Wolken dahin, welche violette Schatten werfen.

Das Kreischen der Seevögel, das unaufhörliche betäubende Rauschen der Brandung, das Brausen des Windes, welcher sich in den Grotten des Strandes fängt – dies sind die verschiedenen Klänge, welche mein Ohr bald vereinigt, bald getrennt hört. Die Stimme der Natur und die Schönheit der Natur – diese beiden Zauberkräfte, durch welche Gott unsere Seele läutert und erhebt, äußern in solchen Augenblicken einen lebhaften Eindruck auf mich und erfüllen mich mit süßer Freude.

Wenn der Regen fällt, wenn der Wind und das Meer sich erheben, wenn ich in einer Felsengrotte stehend, die wüthenden Wogen und ihre weißen Schaumgipfel betrachte, dann drückt das Bewußtsein unbekannter über meinem Haupt schwebender Gefahren mich nieder und ich fühle die Ungewißheit in ihrem ganzen Einsetzen. Dann gewinnen die Drohungen meines Todfeindes eine furchtbare Herrschaft über meine Gedanken. Ich sehe das düstere phantastische Bild eines Verhängnisses, welches bereit ist, sich wieder auf mich zu stürzen ich sehe dieses Bild in den seltsamen Formen des Nebels, welcher den Himmel verhüllt, bald von leuchtenden Strahlen durchzuckt wird, bald wie ein schwarzer Schatten auf den Fluthens lastet. Dann glaube ich in dem Donner der Brandung, in dem Geheule des Sturmes den Schall eines Richterspruches zu vernehmen.

Wäre es bloß mein gänzlicher Mangel an Energie, welcher in mir die wahnsinnige Ueberzeugung weckt, daß Mannion’s Auge stets auf mich geheftet sei, daß seine Tritte den meinigen fortwährend heimlich folgen? Woher kommt die Ahnung, daß diese wilden Drohungen, die ich trotz meiner Vernunft nicht bannen kann, sich verwirklichen werden?

Es ist möglich, daß die entsetzliche Art und Weise, auf welche er bis jetzt bei meinem ganzen Unglücke die Hand im Spiele gehabt, mir allzu große Furcht vor der unheilvollen Macht einflößt, die er über meine Zukunft auszuüben gedenkt. Es ist möglich, daß jeder Entschluß, ihm zu widerstehen, in mir weniger durch die Furcht vor seinem Erscheinen gelähmt wird, als vielmehr durch die Wirkung der Ungewißheit, in der ich mich hinsichtlich der Zeit befinde, wo dieses Erscheinen stattfinden wird – weniger in Folge seiner Drohungen an und für sich, als wegen des Verzögern ihrer Ausführung.

Ich kann diese verschiedenen Erwägungen; anstellen und dennoch ist die Ruhe, welche ich zuweilen dadurch gewinne, niemals von langer Dauer. Ich entsinne mich Dessen, was dieser Mann gethan, und trotz aller Raisonnements glaube ich, daß er thun wird, was er gesagt. Wie aber soll ich mich dann vertheidigen? wie soll ich ihm entrinnen?

Ohne den Trost, welchen mein Herz aus dem Gedanken an Clara schöpft, würde ich, glaube ich, dieser unaufhörlichen Reihe von Befürchtungen und grausamen Zweifeln, aus welchen mein Leben gegenwärtig besteht, erliegen. Meine Schwester! Selbst in dieser Entfernung von ihr, zu welcher ich mich habe verurtheilen müssen, habe ich ein Mittel gefunden, mich indirekt an Etwas zu knüpfen, was sie liebt.

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06 aralık 2019
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