Kitabı oku: «Herz und Wissen», sayfa 14
Capitel XXIX
Die letzten Zeilen Carmina’s an ihre alte Amme waren am siebzehnten August geschrieben und noch am selben Abend zur Post gegeben. Der folgende Tag sollte für Carmina und ihre Tante denkwürdig sein, und auch Doktor Benjulia hatte Gründe, sich desselben zu erinnern.
Mrs. Gallilee hatte über dem Brüten nach Mitteln und Wegen, wie sie das Vertrauen zwischen Ovid und ihrer Nichte untergraben könnte, eine schlaflose Nacht verbracht und ließ am Morgen ihr Mädchen das zur gewöhnlichen Zeit bei ihr erschien, wieder gehen, mit der Anweisung, nicht eher wiederzukommen, bis sie klingeln würde. Sie pflegte sonst zeitig aufzustehen, um die bei der ersten Austragung ankommenden Briefe in Empfang zu nehmen und eigenhändig zu sortieren, ehe sie dieselben durch den Diener an die betreffenden Mitglieder des Haushaltes austeilen ließ. An diesem Morgen schlief sie aus reiner Erschöpfung noch ein wenig, und als sie zwei Stunden später als gewöhnlich das leere Frühstückszimmer betrat, fand sie nur Briefe an sie selbst vor. Sie klingelte sofort nach dem Mädchen.
»Waren noch andere Briefe da?« fragte sie dasselbe.
»Zwei für den Herrn.«
»Weiter keine?«
»Nein, gnädige Frau – mit Ausnahme einer Depesche an Miß Carmina.«
»Wann kam dieselbe an?«
»Bald nach den Briefen.«
»Hast Du dieselbe meiner Nichte gebracht?«
»Ja, da es eine Depesche war, glaubte ich, ich müßte sie sofort zu Miß Carmina bringen.«
»Schön. Du kannst gehen.«
Während sie darüber nachsann, mit wem Carmina eine Correspondenz unterhalten könnte und was für Sachen von Wichtigkeit da vorliegen möchten, die nicht auf dem gewöhnlichen Wege des Briefwechsels abgemacht werden könnten, schenkte sie sich eine Tasse Thee ein und sah ihre Briefe an, von denen in ihrer momentanen Stimmung nur einer ihre Aufmerksamkeit besonders erregte. Derselbe war von Benjulia, welcher sich wie gewöhnlich über die gewohnte Form der Adresse hinwegsetzte und lautete:
»Ich habe von einem meiner Freunde in Canada einen Brief über Ovid bekommen. Derselbe enthält eine Anspielung von der höflichen Art auf ihn, die ich durchaus nicht verstehe und um die ich Sie fragen möchte. Ich habe aber keine Zeit zum Visite machen übrig, da ich mit meinen Experimenten gerade auf einem zu kritischen Punkte bin, um jetzt davon fortzugehen. Sie haben einen Wagen und Ihre vornehmen Bekannten sind außerhalb. Wenn Sie also eine Ausfahrt machen wollen, dann kommen Sie zu mir und bringen Sie Ihren letzten Brief von Ovid mit.«
Mrs. Gallilee entschied sich dafür, diesen charakteristischen Vorschlag erst später in Ueberlegung zu ziehen; ein wichtigeres Interesse führte sie nach oben zu dem Zimmer ihrer Nichte.
Carmina war ausgestanden und lag in ihrem weißen Morgenrocke auf dem Sofa in ihrem Wohnzimmer. Bei dem Eintritte ihrer Tante fuhr sie auf und schauderte zusammen, welche Zeichen nervöser Abneigung Mrs. Gallilee aber entgingen, da deren Aufmerksamkeit sofort durch einen Reisesack in Anspruch genommen war, der wie zum Gepackt werden geöffnet war. Das Telegramm lag in Carmina’s Schooße; und der Zusammenhang beider, des Reisesacks und des Telegramms, lag, wie Mrs. Gallilee glaubte, auf der Hand. Es war aber gerade das Gegentheil von ihrer Vermuthung der Fall: die Depesche hatte Carmina davon abgehalten, das Haus zu verlassen.
Einige gewöhnliche Fragen: wie Carmina die Nacht verbracht, ob das Mädchen ihr auch das Frühstück besorgt und ob sie irgend etwas für dieselbe thun könne, bereiteten den Weg für die nothwendige Ausforschung Carmina antwortete mit einem Widerwillen, den sie nicht zu verbergen vermochte; aber Mrs. Gallilee ging ohne Bemerkung über diesen kalten Empfang hinweg und zeigte mit gütigem Lächeln auf die Depesche.
»Hoffentlich keine schlechten Nachrichten?«
Schweigend überreichte Carmina ihrer Tante das Papier; die durch die Ankunft der Depesche veränderten Umstände machten ja eine Verheimlichung überflüssig. Ihren Argwohn zurückhaltend, öffnete Mrs. Gallilee die Depesche, welche in Rom von der alten Fremden, Namens »Teresa«, aufgegeben war und die Worte enthielt:
»Mein Mann ist heute Morgen gestorben. Erwarte mich jeden Tag in London?«
»Warum kommt diese Person nach London?« fragte Mrs. Gallilee.
»Das solltest Du doch wissen!« antwortete Carmina scharf, von der insolenten Fassung der Frage verletzt.
»So?« meinte Mrs. Gallilee »Vielleicht gefällt es ihr hier?«
»Im Gegentheil, London ist ihr verhaßt! Du hast sie hier im Hause gehabt und uns zusammen gesehen. Glaubst Du, daß sie jetzt, da sie ihren Mann verloren hat, es aushalten könnte, von der, die sie am meisten auf der Welt liebt, getrennt zu leben?«
»Liebes Kind, auf solche bloße Gefühlssachen verstehe ich mich nicht«, erwiderte Mrs. Gallilee. »Es ist eine kostspielige Reise von Italien nach England. Was war denn ihr Mann?«
»Er war Meister in einer Fabrik für Künstlerfarben, bis er krank wurde.«
»Und dann ging ihm das Geld aus«, schloß Mrs. Gallilee. »Ich verstehe. Hat seine Wittwe eigene Hilfsquellen?«
»Sie hat sich in unserem Dienste etwas erspart. Aber darauf kommt nichts an; meine Börse ist auch die ihrige.«
»Sehr freigebig, das muß ich sagen! Selbst die aller bescheidensten Wohnungen sind hier in der Gegend theuer. Indessen mit Deiner Hilfe mag Deine alte Dienerin ja im Stande sein, irgendwo in der Nähe ein Unterkommen zu finden.«
Nachdem diese Sache erledigt war, wandte sich Mrs. Gallilee wieder dem Hauptgegenstande ihres Argwohns zu, indem sie den Reisesack aufnahm.
Caimina aber sah sie mit der Nachgiebigkeit äußerster Verwirrung an. Teresa war stets ihre Gesellschafterin gewesen und als solche auch mitaufgenommen, als sie zu ihrer Tante kam; daher hatte sie es für ganz natürlich gehalten, daß dieselbe jetzt wieder als Mitglied des Haushaltes angesehen werden würde. Der Gedanke an Teresa hatte sie nur dazu vermocht, sich zu entschließen, bis zu Ovid’s Rückkehr bei dessen Mutter zu bleiben: und jetzt ward ihr in nicht mißzudeutenden Worten mitgetheilt, daß dieselbe sich eine Wohnung für sich suchen müßte, wenn sie nach London zurückkehrte! Ueberraschung, Enttäuschung, Unwillen machten sie sprachlos.
»Dies wird Dir hier nur im Wege sein«, sagte Mrs. Gallilee, den Reisesack aufnehmend; »ich will ihn deshalb mit unseren eigenen Taschen und Koffern auf die Bodenkammer bringen lassen. Uebrigens kommt es mir vor, daß Du – was bei Deinem Alter ja ganz natürlich ist – unsere gegenseitige Stellung hier im Hause nicht ganz richtig auffaßt. Die Autorität Deines seligen Vaters, mein Kind, ist auf mich, Deine Vormünderin übergegangen, und ich werde hoffentlich nie genöthigt sein, dieselbe auszuüben – besonders, wenn Du Dir gütigst zweierlei Vergegenwärtigen wirst. Ich erwarte von Dir, daß Du mich bei der Wahl Deines Umgangs um Rath fragst und erst meine Zustimmung einholst, ehe Du Arrangements triffst, die – nun, laß mich sagen, die es nöthig machen, den Reisesack ans der Bodenkammer holen zu lassen.«
Ohne auf Antwort zu warten, ging sie auf die Thür zu; blieb aber, nachdem sie dieselbe geöffnet hatte, noch einmal stehen und wandte sich mit der Frage an Carmina.
»Hast Du über das nachgedacht, was ich Dir gestern Abend gesagt habe?«
Empfindlich berührt, nahm Carmina ihre Willenskraft zusammen und antwortete: »Ich habe mein Möglichstes gethan, um es zu vergessen.«
»Auf Miß Minerva’s Anlaß?«
Carmina ließ die Frage unbeachtet.
»Hast Du auf irgend welche Weise mit Miß Minerva verhandelt?« beharrte Mrs. Gallilee; bekam aber wiederum keine Antwort. Sich beherrschend trat sie auf den Flur und rief nach Miß Minerva. Die Gouvernante antwortete von dem obersten Flur.
»Bitte, kommen Sie herunter«, sagte Mrs. Gallilee.
Miß Minerva gehorchte; ihr Gesicht war bleicher als gewöhnlich; die Augen hatten etwas von ihrem durchdringenden Glanze verloren. Draußen vor Carmina’s Thür blieb sie stehen, und Mrs. Gallilee forderte sie aus, einzutreten.
Nach einem Augenblick – nur einem Augenblick – des Zögerns überschritt Miß Minerva die Schwelle, warf einen schnellen Blick auf Carmina, senkte aber die Augen wieder, ehe der Blick erwidert werden konnte. Mrs. Gallilee, die kein stummes Zeichen des; Einverständnisses zwischen beiden entdeckte, fragte sie:
»Sind Sie heute Morgen schon hier gewesen?«
»Nein.«
»Hat zwischen Ihnen und meiner Nichte eine Entfremdung stattgefunden?«
»Soviel ich wüßte, nicht, gnädige Frau.«
»Warum sprechen Sie dann nicht mit ihr, wenn Sie in’s Zimmer kommen?«
»Miß Carmina ist krank gewesen. Ich sehe sie auf dem Sofa liegen – und will sie nicht stören.«
»Auch nicht durch einen Guten Morgen?«
»Auch nicht dadurch!«
»Sie sind außerordentlich vorsichtig, Miß Minerva.«
»Ich habe einige Erfahrung mit Kranken hinter mir, gnädige Frau, und es gelernt, vorsichtig zu sein. Darf ich fragen, weshalb Sie mich herunter gerufen haben?«
Um ihre Nichte und die Gouvernante auf die letzte Probe zu stellen, antwortete Mrs. Gallilee. »Ich möchte, daß Sie den Unterricht auf eine oder zwei Stunden aussetzten.«
»Gewiß. Soll ich es den Mädchen sagen?«
»Nein; ich werde es selbst thun, wenn ich nach meinem Zimmer gehe.«
»Und was soll ich thun?«
»Ich möchte, daß Sie hier bei meiner Nichte bleiben.«
Hätte Mrs. Gallilee ihre Nichte statt der Gouvernante angesehen, so würde sie bemerkt haben, wie dieselbe, ihrer Selbstbeherrschung mißtrauend, ihr Gesicht nach der Wand zu abwandte. So aber forderten Miß Minerva’s Haltung und Blick eine Erklärung, und sie flüsterte ihr deshalb zu: »Ich will Ihnen an der Thür ein Wort sagen.«
Miß Minerva folgte ihr also nach draußen, während Carmina sich wieder umwandte und sie ängstlich beobachtete.
»Ich bin heute Morgen mit ihrem Aussehen durchaus nicht zufrieden«, sagte Mrs. Gallilee draußen »und möchte sie nicht allein lassen. Ich muß meinen Pflichten im Haushalte nachgehen. Wollen Sie meinen Platz am Sofa solange einnehmen, bis der Doctor kommt?«
»Jetzt werde ich es sehen, ob Eifersucht unter ihnen vorhanden ist«, dachte sie bei sich. Aber sie sah nichts: die Gouvernante verbeugte sich ruhig und ging zu Carmina zurück. Ebensowenig hörte sie etwas, obgleich ihr die nur halbgeschlossene Thür Gelegenheit zum Horchen bot. Und so ging sie wieder, um nichts klüger, als sie gekommen war.
Geräuschlosen Schrittes näherte sich Miß Minerva dem Sofa, auf dem Carmina still und schweigend lag, und blieb dann in wartender Haltung stehen. Keine von beiden sah der Anderen in die Augen. Die Aeltere litt ihre Qual im Geheimen; des Mädchens liebliche Augen füllten sich langsam mit Thränen. So vergingen einige Minuten; dann streckte Carmina schweigend die Hand aus, und schweigend nahm Miß Minerva dieselbe und küßte sie.
Capitel XXX
Wie gewöhnlich gab Mrs. Gallilee der Wirthschafterin ihre Anweisungen für den Tag. »Sollte noch etwas vergessen sein«, sagte sie am Schlusse, »so muß ich es Ihnen überlassen; denn ich wünsche, für die nächsten Stunden nicht gestört zu werden. «
Einige von ihren Briefen waren noch uneröffnet, andere mußten sofort beantwortet werden; aber die sonst so übergeschäftige Frau zeigte heute nicht den gewohnten Pflichteifer, sondern saß zum ersten Male müßig da und dachte.
Selbst ihre einbildungsfreie Natur begann am Rande des Aberglaubens zu zittern. Zweimal war ihr der Versuch mißlungen, sich in die beabsichtigte Heirath ihres Sohnes einzumischen; einmal, als sie den Musiklehrer hatte benutzen wollen, Ovid eifersüchtig zu machen, und das andere Mal, als sie geplant hatte, mit Hilfe der Eifersucht bei Carmina Mißtrauen gegen Ovid zu erwecken. Waren denn die Leute, die an eine Schickung glaubten, doch nicht so thöricht, wie sie bis jetzt geglaubt hatte? Doch wozu mit solchen Fragen die Zeit verschwenden? Was konnte sie zunächst thun?
Von dem unwiderstehlichen Instincte der Selbsterhaltung getrieben, nach Gründen suchend, um trotz alledem noch hoffnungsvoll in die Zukunft zu sehen, einerlei wie werthlos diese Gründe an sich selbst wären, stieg die gelehrte Mrs. Gallilee zu dem geistigen Niveau des unwissendsten Hausmädchens hinunter und überließ sich unbewußt dem Pöbelglauben an das Glück. Sie wollte es zum dritten Male versuchen!
Den vor ihr auf dem Tische liegenden Brief Benjulia"’s wieder aufnehmend, las sie ihn noch einmal, und dabei fiel ihr die seltsame Anspielung Ovids’s auf seinen Collegen am Tage seiner Abreise wieder ein. Hatte er nicht gewünscht, daß Carmina gerade Benjulia nicht sehen sollte? Und was hatte er auf die Frage nach seinen Gründen geantwortet? »Ich erachte Benjulia nicht als passenden Gesellschafter für ein junges Mädchen.«
Warum nicht? Viele Männer im reiferen Alter sind keine passenden Gesellschafter für junge Mädchen – das sind aber entweder Männer, die junge Mädchen verachten, oder bewundern. Benjulia gehörte weder zu der einen, noch zu der anderen Klasse, denn die Mädchen waren ihm absolut gleichgültig – mit der einzigen Ausnahme der zehnjährigen Zo. Wohl hundertmal war Mrs. Gallilee mit ihm in Gesellschaften zusammen gewesen, aber nie hatte sie ihn mit jungen Damen sprechen oder dieselben beachten sehen. Es lag also auf der Hand, daß Ovid’s Einwand eine plumpe Ausrede war.
Wie damals kam sie wieder auf den Gedanken, daß etwas dahinter stecken müßte; und ohne diesen Gedanken weiter zu verfolgen, klingelte sie und gab den Befehl, daß ihr Wagen um drei Uhr Nachmittags bereit sein sollte.
Die bloße, wenn auch noch so zweifelhafte, ja mehr als zweifelhafte Aussicht, etwas zu haben, was sich vielleicht gegen Carmina gebrauchen lassen könnte, gab Mrs. Gallilee ihr Gleichgewicht zurück, so daß sie wieder fähig war, ihre Correspondenz zu besorgen.
Der eine von den Briefen war von ihrer Schwester in Schottland und bezog sich unter anderem auch auf Carmina. »Warum willst Du das liebe Kind nicht zu uns kommen lassen?« fragte Lady Northlake. »Meine Töchter sehnen sich nach einer solchen Gesellschaft; und meine beiden Söhne werden Ovid um sie beneiden, sobald sie sie gesehen haben. Wenn Du wieder an meinen Neffen schreibst, so sage ihm, wie ganz ich es verstände, daß er sich gleich beim ersten Anblick in ein so holdes Wesen verliebt habe.«
Es mußte auf alle Fälle verhindert werden, daß Lady Northlake einen der ersten Plätze im Herzen Carmina’s einnähme, und sie in dem Gedanken an eine Heirath mit Ovid befestige; da war ja die Krankheit der letzteren eine passende Entschuldigung. Mrs. Gallilee fühlte beinahe eine fromme Neigung zum Dank gegen die Vorsehung, daß das Schloß ihrer Schwester im Hochlande am einen Ende Großbritanniens und ihre eigene Villa am anderen lag.
Allerdings dachte Mrs. Gallilee augenblicklich noch nicht daran, London zu verlassen; und sie konnte nicht daran denken, solange ihr Gemüth nicht von den schweren Sorgen, die jetzt darauf lasteten, befreit war, solange noch Ereignisse eintreten konnten – sei es in Bezug auf ihre drohenden Gläubiger, oder die Heirath – die ihre Berechnungen durchkreuzen und ihre Gegenwart in London im eigenen Interesse wichtig machen konnten. Auch Miß Minerva stand ihr wieder im Wege. Mitnehmen wollte sie dieselbe auf keinen Fall nach der Insel Wight, und gegen eine sofortige Entlassung – die vielleicht das Gerathenste gewesen wäre sprachen auch zwei Gründe. Erstens konnte Carmina, wenn die Freundschaft zwischen beiden wirklich anhielt, mit der Entlassenen in heimlicher Verbindung bleiben; und zweitens konnte sich Mrs. Gallilee bei ihrem Grolle und ihren Prinzipien von Sparsamkeit nicht dazu verstehen, Miß Minerva ihr Salair auszuzahlen, ehe diese es sich verdient hatte. Nein! von welcher Seite sie die Sache auch ansehen mochte, es war das Gerathenste, in London abzuwarten, was kommen würde.
Eben hatte sie die Feder ergriffen, um den Anforderungen ihrer Correspondenz nachzukommen, als sie durch das Erscheinen eines Dieners in ihrem Boudoir gestört wurde.
»Nun, was heißt das? Hat Ihnen die Wirthschafterin nicht gesagt, daß ich nicht gestört werden wollte?«
»Verzeihen Sie, gnädige Frau. Der Herr —«
»Was will der Herr?«
»Er möchte Sie sprechen, gnädige Frau.«
Dies war etwas so ganz Beispielloses in der Geschichte des Hauses, daß Mrs. Gallilee vor reinem Erstaunen die Briefe fortschob und sagte: »Führe ihn herein.«
Mr. Gallilee betrat das Zimmer seiner Frau mit denselben Gefühlen, wie er vor fünfzig Jahren das Arbeitszimmer seines Schullehrers betreten hatte, um eine Tracht Schläge zu bekommen – denn damals war es noch nicht Sitte gewesen, die Knaben durch einen Appell an ihr Ehrgefühl zu bestrafen. Und bei seinem »Guten Morgen, liebe Frau«, trug sein Gesicht genau denselben Ausdruck wie damals bei seinem: »Bitte, bitte, Herr Lehrer, schenken Sie es mir noch einmal!«
»Nun«, fragte Mrs. Gallilee, »was wünschst Du?«
»Nur ein Wörtchen. Wie gut Du aussiehst, meine Liebe!«
Mrs Gallilee sah nach einer schlaflosen Nacht und der darauf folgenden Niederlage in Carmina’s Zimmer häßlich und alt aus und wußte das Und ihr unglücklicher Gatte erinnerte sie jetzt wieder daran. »Fahre fort!« antwortete sie streng.
Nachdem Mr. Gallilee sich die trockenen Lippen angefeuchtet hatte, sagte er: »Ich denke, ich nehme mir einen Stuhl, wenn Du erlaubst. Wie reizend!« bemerkte er dann, nachdem er sich – natürlich in respectvoller Entfernung von seiner Frau – niedergelassen hatte, sich wie ein zum ersten Male sich im Zimmer befindender Besucher in demselben umsehend. »Dieser Geschmack in der Farbe! Der Teppich ist jawohl nach Deinem eigenen Muster nicht wahr?«
»Willst Du nun endlich zum Zwecke kommen?«
»Mit Vergnügen, meine Liebe – mit Vergnügen.
»Ich rieche wohl nach Tabak?«
»Darauf kommt mir nichts an.«
Dies war für Mr. Gallilee eine so angenehme Ueberraschung, daß er sie stehend genießen mußte. »Wie gütig! Aber wirklich, wie gütig!« und dabei näherte er sich ihr vertraulich. »Und weißt Du, meine Liebe, es war eine der merkwürdigsten Cigarren, die ich je geraucht habe.«
Mrs Gallilee legte die Feder nieder und sah ihn finster an; aber er wagte sich bei seiner grenzenlosen Verwirrung näher, den unheimlichen Zauber der Schlange in dem Ausdruck dieser schrecklichen Augenbrauen empfindend. »Wie gut Du aussiehst! Wie auffallend gut Du heute Morgen aussiehst!« Und dabei schielte er seine gelehrte Gattin an und – klopfte sie aus die Schulter!
Mrs Gallilee war für den Augenblick wie versteinert. Wagte dieses dicke, schwache Geschöpf ihr jetzt mit ehelichen Liebkosungen zu kommen? Hatten seine sündigen Lippen schon so früh am Tage seinen Lieblingschampagner gekostet?
»Gallilee!«
»Ja, meine Liebe?«
»Setze Dich!«
Das geschah.
»Bist Du im Club gewesen?«
Mr. Gallilee stand wieder auf.
»Bleibe sitzen!«
Der Ehemann gehorchte. »Ich wollte Dir nur sagen, meine Liebe, daß ich Dich mit dem größten Vergnügen im Club umherführen will – wenn Du das meinst.«
»Wenn Du nicht ein zu großer Idiot bis «, sagte Mrs. Gallilee, »dann merke Dir Folgendes! Entweder Du rückst mit dem heraus, was Du zu sagen hast, oder —« damit erhob sie die Hand und ließ dieselbe auf den Tisch fallen, daß die Federn im Schreibzeuge klirrten – »oder Du verläßt das Zimmer!«
Mr. Gallilee suchte in der Brusttasche seines Rockes, zog sein Cigarrenetui heraus, steckte es aber eiligst wieder ein, suchte weiter, brachte einen Brief zum Vorschein und sah erbarmungswürdig im Zimmer umher, um Jemanden zu suchen, an den er appellieren konnte. Aber es war Niemand da, und so appellierte er an sich selbst und flüsterte: »In was für eine Laune sie nur gerathen wird.«
»Was hast Du da?« fragte Mrs. Gallilee scharf. »Einen von den Briefen, die Du heute Morgen bekommen hast?«
»Wunderbares Weib!« sagte Mr. Gallilee, sie mit Bewunderung ansehend. »Nichts entgeht ihr! Erlaube mir, meine Liebe.«
Damit erhob er sich und reichte ihr den Brief, als ob er eine Petition überreichte. Sie riß ihm denselben aus der Hand, und er ging vorsichtig zu seinem Stuhle zurück, leise vor sich hin rufend »O Gott!«
Es war ein Brief von einem der Handwerker, den Mrs. Gallilee durch eine Abschlagszahlung hatte zufrieden stellen wollen, der sich aber gezwungen sah, an Mr. Gallilee, als an den Hausherrn (!) zu appellieren. Es sei ihm unmöglich, wie er mit der größten Hochachtung schrieb, eine Zahlung anzunehmen, die noch nicht den dritten Theil der ihm seit einem Jahre schuldigen Summe betrüge.
»Der Elende!« rief Mrs. Gallilee. »Ich werde ihm die Rechnung bezahlen, und ihn nie wieder beschäftigen!« Dann öffnete sie ihr Chequebuch und tauchte die Feder ein. Da ließ sich in zaghafter Stimme ein schwacher Protest vernehmen: »Bitte, nicht doch!«
In sprachlosem Erstaunen sah fie auf. Da stand er und starrte mit seinen runden Augen das Chequebuch an, während seine fetten Wangen vor Aufregung zitterten. »Du mußt das nicht thun«, sagte er, zum ersten und letzten Male seinen Muth zusammennehmend. »Gieb mir eine Minute, meine Liebe – o meine Güte! eine Minute!«
Dann suchte er wieder in der Tasche und zog noch einen Brief hervor. Seine Augen schweiften nach der Thür; Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn, und nachdem er den Brief auf den Tisch gelegt hatte, sah er seine Frau an und – rannte aus dem Zimmer.
Mrs. Gallilee öffnete den Brief, neugierig, von welchem Geschäftsmanne derselbe käme. Aber nein, das waren gefürchtetere Gläubiger als Krämer und Schlächter. Er kam von den Banquiers, die darin mittheilten, daß »das Guthaben überschritten sei.«
War das möglich? Sie nahm ihr Notizbuch und das Blatt, auf welchem sie die Bilanz gezogen hatte – sie hatte noch niemals einen Rechenfehler begangen. Und als sie Columne nach Columne die Ziffern revidierte, machte sie die demüthigende Entdeckung, daß sie sich zum ersten Male verrechnet hatte. Ihr in der Bank deponiertes Geld war verbraucht, ja mehr als daß und das nächste halbjährige Einkommen war erst zu Weihnachten fällig.
Miß Minerva’s Ansicht von dem, was ihre Beschäftigerin erwarte, bewies sich schon als richtig. Jene »anderen Hilfsquellen«, auf welche sie als auf unbekannte, in Betracht zu ziehende Möglichkeiten angespielt hatte, wurden einzig und allein durch Ovid repräsentiert, dem Mrs. Gallilee unverzüglich ein Geständniß gemacht haben würde, wenn er jetzt nicht in der canadischen Wildniß gewesen wäre. So aber blieb ihr weiter nichts übrig, als sofort zu der Bank zu gehen; und sie ließ durch den Bedienten sofort eine Droschke holen und fuhr zu den Banquiers.
Die Sache war bald zu ihrer Befriedigung geordnet, nur hatte Mr. Gallilee das letzte Wort zu sprechen. Denn mochte derselbe sich auch zu Hause nach Herzenslust seiner Autorität entäußern, außerhalb desselben, in Geschäftssachen war und blieb er der Herr. Er brauchte nur zu sagen, wie viel er zu leihen wünschte, und gewisse Papiere zu unterzeichnen, so war die Sache gethan, denn die Papiere, in denen er sein Vermögen angelegt hatte, boten ausgezeichnete Sicherheit.
Als Mrs. Gallilee, für den Augenblick von ihren pecuniären Sorgen befreit, wieder nach Hause kam, stand ihr Wagen vor der Thür.
Sie war nicht die Frau danach, leicht ihre Absichten zu ändern – und die Fahrt aufs Land mußte ihr nach dem unruhigen Morgen gut thun. Da sie hörte, daß ihr Mann noch zu Hause sei, und ein unfehlbarer Instinct ihr sagte, wo er unter gegenwärtigen Umständen zu finden wäre, ging sie nach dem Rauchzimmer. Und als sie die Thür öffnete, saß er da, den Rock abgelegt, die Füße auf einem Stuhle, und rauchte behaglich eine Cigarre. »Bleibe heute Abend zu Hause«, sagte sie, und machte die Thür wieder zu, Mr. Gallilee zurücklassend, wie er vor Erstaunen an einem Mundvoll seines eigenen Cigarrenrauches beinah erstickte.
Ehe sie in den Wagen stieg, puderte sie sich das Gesicht noch ein wenig. Benjulia’s Laune war eben etwas Ungewisses, und es konnte vielleicht nöthig sein, ihn zu bezaubern.