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Kitabı oku: «Herz und Wissen», sayfa 15

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Capitel XXXI

Die erwähnte schmeichelhafte Anspielung auf Ovid, welche Benjulia nicht zu verstehen vermocht hatte, kam in einem Briefe von Mr. Morphew vor. »Ich muß Ihnen aufrichtig danken«, hieß es in demselben, »daß Sie uns mit Herrn Doctor Ovid Vere bekannt gemacht haben. Jetzt, da er wieder fort ist, ist uns wirklich, als ob wir einem alten Freunde Lebewohl gesagt hätten. Einen selbstloseren Mann habe ich nie gesehen – und ich sage dies nach wirklicher Erfahrung. In meiner unvermeidlichen Abwesenheit übernahm er freiwillig einen ernsten, von entsetzlichen Umständen begleiteten Fall – und zwar zu einer Zeit, wo ihm seine zerrüttete Gesundheit die strengste Enthaltung von jeder Berufsausübung auferlegte. Solange er dem Patienten das Leben erhalten konnte – und er that wirklich Wunder in dieser Beziehung – saß er jeden Tag an dessen Lager, einem vollständig Fremden zu Liebe sein eigenes Wohlbefinden hintenan setzend. Ich sehe Sie bei Ihrer Abneigung gegen lange Briefe schon nach dem Schlusse sehen. Unbesorgt; ich habe wenig Zeit übrig, da ich auch mit dieser Post einen Brief an Ihren Bruder Lemuel schreiben will.«

War dieser »ernste, von entsetzlichen Umständen begleitete Fall« ein Fall von Gehirnkrankheit?

Das war die Frage, die sich Benjulia bei seinem eingewurzelten Argwohn gegen Ovid als einen Nebenbuhler, der in das Entdeckungsgebiet eindringen konnte, das er für sich allein zu behalten entschlossen war, vorlegte. Er nannte den Doctor Morphew einen Einfaltspinsel, weil derselbe das Papier mit gedrechselten Phrasen beschmiert habe, anstatt einfach zu sagen, worin die Krankheit bestanden. Nach der Beschreibung zu urtheilen, schienen bei dem Falle außer dem medicinischen Interesse noch weitere Elemente des Interesses vorzuliegen, deshalb war es, möglich, daß Ovid der Sache in seinen Briefen an seine Mutter Erwähnung gethan hatte. Wenn Benjulia daher diese Briefe sehen konnte, so war bei Ovid’s Präzision im Ausdruck anzunehmen, daß seine Zweifel gehoben würden. In dieser Absicht hatte er an Mrs. Gallilee geschrieben.

Ehe er die Feder niederlegte, sah er Morphew’s Brief noch einmal an, und da fiel ihm ein, daß vielleicht der Brief an Lemuel die gewünschte Auskunft enthalten könnte. Es empfahl sich also, an seinen Bruder zu schreiben, um so vielleicht das Gewünschte herauszubringen, falls Mrs. Gallilee’s Brief ihm keinen Aufschluß geben sollte.

Was ihn einzig und allein zögern ließ, war seine Abneigung gegen seinen jüngeren Bruder, eine so tief wurzelnde Abneigung, daß er selbst vor brieflichem Verkehr zurückschrak. Beide Brüder hatten nie mit einander sympathisiert, aber erst vor einem Jahre war auf Seite des Doctors aus der Gleichgültigkeit offene Feindschaft geworden, als Lemuel durch einen Zufall, der durch die Zerstreutheit des Doctors infolge eines erfolglosen Experimentes herbeigeführt worden, in den Besitz des gräßlichen Geheimnisses desselben gekommen war. Der einzige Mensch, welcher wußte, womit er sich in seinem Laboratorium wirklich beschäftigte, war sein Bruder.

Das war der wahre Grund des Tones bitterer Verachtung in welchem Benjulia damals Ovid gegenüber von seinem nächsten Angehörigen gesprochen hatte. Allerdings verdiente Lemuel’s Charakter in mancher Hinsicht ein strenges Urtheil, denn wenn er auch in seiner Stellung als erster Commis einer Verlagshandlung ständig und pünktlich seinen Pflichten nachkam, so gewannen doch in seinen freien Stunden seine sinnlichen Neigungen die Oberhand über ihn, und seine eifersüchtige Frau hatte ihre Gründe zum Klagen. Die Ansichten seiner Bekannten über ihn gingen weit auseinander, denn während die Einen in Uebereinstimmung mit seinem Bruder von ihm wenig mehr als von einem Narren hielten, meinten die Anderen, daß er ein von Natur begabter Mensch, aber zu träge, oder vielleicht auch zu schlau sei, seine Gaben anzustrengen. Im Comptoir ließ er sich eine reine Maschine nennen – und vermied es dadurch, mit Arbeiten überladen zu werden, was die Gewandteren über sich ergehen lassen mußten. Erklärten ihn seine Frau und deren Verwandten für ein reines Thier, so nahm er das ruhig hin – und erlangte dadurch den Ruf eines Menschen, an den jeder Tadel weggeworfen sei. Unter dem Schilde dieses nichts weniger als beneidenswerthen Charakters sagte er manchmal mit einfältiger Miene die empfindlichsten Sachen. Als der Doctor ihn im Laboratorium entdeckt hatte, hatte er ihm wüthend zugeschrieen: »Es ist Dein Tod, wenn Du irgend einem lebenden Wesen sagst, was ich thue!« Lemuel aber hatte mit einem Blicke stupiden Staunens geantwortet: »Beruhige Dich; ich würde mich schämen, darüber zu sprechen.«

Nach weiterem Nachdenken entschied sich Benjulia zum Schreiben, da er es aber nicht über sich zu gewinnen vermochte, Lemuel mit der gewöhnlichen Höflichkeit zu behandeln, selbst wenn er ihn um eine Gefälligkeit anging, so schrieb er einfach: »Ich höre, daß Morphew Dir mit der letzten Post geschrieben hat, und wünsche den Brief zu sehen.« Das genügte dem Zwecke und genügte dem Doctor seinem Bruder gegenüber.

Capitel XXXII

Als Benjulia am nächsten Nachmittage zwischen ein und zwei Uhr in seinem Laboratorium bei der Arbeit war, vernahm er die Glocke, welche die Ankunft eines Besuches im Hause meldete. Ihn in anderer Weise bei seinen Studien zu stören, war den Dienern unter allen Umständen verboten.

Widerstrebend gehorchte er dem Rufe, die Thür hinter sich abschließend. Da um diese Zeit in geordneten Häusern das Zwischenmahl eingenommen wurde, so konnte er nicht annehmen, daß Mrs. Gallilee ihm jetzt einen Besuch machte. Als er die Front des Hauses in’s Auge bekam, sah er einen Mann auf den Thürstufen stehen, in dem er, näher kommend, Lemuel erkannte.

»Holla!« rief er.

»Holla!« antwortete der jüngere Bruder wie ein Echo.

Dann standen Beide und sahen sich mit der argwöhnischen Neugier zweier fremden Katzen an. Zwischen Beiden war eben soviel Aehnlichkeit, um vermuthen zu lassen, daß sie mit einander verwandt seien. Der jüngere Bruder war nur ein wenig über gewöhnliche Größe, eher dick als schlank, trug Schnurr- und Backenbart, kleidete sich adrett, und machte den Eindruck eines Mannes, der ganz mit sich zufrieden ist. Aber er hatte denselben zigeunerartigen Teint wie sein Bruder und auch in Form und Farbe dessen Augen.

»Wie gehts Dir, Nathan?« sagte er.

»Was zum Teufel bringt Dich hierher?« war die Antwort.

Lemuel ließ die Grobheit unbeachtet, und nur ein boshaftes Lächeln zog seine Mundwinkel in die Höhe, als er erwiderte:

»Ich dachte, Du wünschtest meinen Brief zu sehen.«

»Konntest Du mir denselben nicht per Post senden?«

»Meine Frau wünschte, daß ich die Gelegenheit benutzen sollte, Dich einmal zu besuchen.«

»Das ist eine Lüge«, sagte Benjulia ruhig. »Suche eine andere Ausrede, oder sprich die Wahrheit.«

Wiederum schien Lemuel – wenigstens dem Aeußeren nach zu urtheilen – sich nicht verletzt zu fühlen. »Wenn Du es denn haben willst«, sagte er, »eine Dame meiner Bekanntschaft, der ich Dich, nebenbei gesagt, gern vorstellen werde, wenn Du wünschst, hat in der Villa nebenan Sommerwohnung genommen, und da ich einmal in die Nachbarschaft kam, so dachte ich, ich könnte den Brief ebenso gut vorbringen —«

Ohne auf Weiteres zu warten, ging Benjulia nach dem Zimmer voran, in welchem er Ovid empfangen hatte, und fragte hier:

»Wie kamst Du denn aus dem Comptoir fort?«

»Es ist in dieser Jahreszeit nicht schwierig, einmal frei zu bekommen» Das Geschäft ist flau, alter Junge —«

»Halt! Ich erlaube Dir nicht, in dieser Weise mit mir zu sprechen.«

»Nimm’s nur nicht übel, Nathan!«

»Ich nehme einem Narren nie etwas übel, sondern weise ihn einfach zurecht.«

Von der Gasse her, welche in der Nähe des Hauses hinführte, ließ sich das entfernte Bellen eines Hundes vernehmen. Der Ton schien Benjulia zu ärgern und er fragte: »Was ist das?«

»Es ist mein Hund«, antwortete Lemuel, der eine Gelegenheit sah, seinem Bruder für den ihm bereiteten Empfang etwas zurückzugeben; »und es ist ein Glück für Dich, daß ich denselben in der Droschke gelassen habe.«

»Weshalb?«

»Nun, er ist das gutmütigste Thier von der Welt, hat aber den einen Fehler, daß er Gelehrte mit Deiner Art Beschäftigung nicht ausstehen kann.« Dann pausierte er und zeigte auf die Hände seines Bruders. »Wenn er das wittern sollte, möchte er vielleicht versuchen wollen, Dich mit den Zähnen zu viviseciren.«

Die Blutflecken, welche Ovid einst an Benjulia’s Stocke gesehen hatte, waren jetzt an seinen Händen. Mit ruhiger Gelassenheit sah derselbe diese Flecke, die stummen Zeugen entsetzlicher Tortur an und antwortete:

»Wozu brauche ich mir erst die Hände zu waschen, wenn ich gleich wieder an meine Arbeit zurückgehe?«

Dann wischte er sich die Finger am Rockschooße und bemerkte: »So, wenn Du also den Brief bei Dir hast, so laß mich denselben sehen.«

Lemuel zog den Brief heraus. »Es sind einige Stellen darin, die Du am besten nicht liest; das ist der Grund, weshalb ich ihn selbst bringe«, erklärte er. »Lies die erste Seite, dann werde ich sagen, was Du überschlagen sollst.«

Auf der ersten Seite stand nichts, was sich auf Ovid bezog, und als Benjulia umschlug, zeigte sein Bruder auf die Mitte der zweiten Seite und bemerkte: »Lies bis dahin, und dann überschlage bis zum letzten Absatz am Ende.«

Erst auf der letzten Seite wurde Ovid erwähnt, und zwar als »ein reizender Mann, der sich durch ein Empfehlungsschreiben von Ihrem Bruder bei mir einführte« – damit schloß der Brief. In der ersten Bitterkeit der Enttäuschung empfand Benjulia einen Argwohn in Betreff der Partien des Briefes, die er nicht lesen sollte.

»Was hat Morphew Dir zu sagen, das ich nicht lesen darf?« fragte er.

»Willst Du mir nicht erst sagen, was Du in dem Briefe suchst?« entgegnete Lemuel. »Morphew ist gleich Dir Arzt – ist es etwas Medicinisches?«

Benjulia nickte.

»Ueber Vivisection?« fragte Lemuel verschlagen.

Sofort gab Benjulia den Brief zurück und zeigte nach der Thür. »Das genügt; mach’ Dich mitsamt dem Briefe fort.«

»Ah«, gab Lemuel zurück, »ich freue mich, daß Du ihn nicht weiter zu sehen wünschst. Du hast ein häßliches Temperament, Nathan – und es sind Dinge darin, die das reizen könnten.«

Bei jedem Andern hätte Benjulia eingesehen, daß diese schlauen Bemerkungen nur den Zweck hatten, ihn zu reizen; aber von seiner Ueberzeugung von der Beschränktheit seines Bruders irre geführt, hielt er es jetzt für möglich, daß die überschlagenen Partien wohl der Beachtung werth sein könnten. Deshalb hielt er denselben an der Thür zurück. »Warte, ich möchte den Brief noch einmal sehen.«

»Das solltest Du lieber unterlassen«, meinte Lemuel. »Morphew will ein Buch gegen Euch schreiben und bittet mich, es hier verlegen zu lassen. Ich bin auf seiner Seite, wie Du weißt, und werde ihm nach Möglichkeit beistehen – Literaten habe ich bei der Hand, die seinem Stile den nöthigen Schliff geben werden. Er wird Euch riesig an den Pranger stellen!«

Da Benjulia aber noch die Hand hinhielt, so knöpfte er mit übertriebenem Widerstreben seinen Rock wieder auf. Als er dann seinem Bruder den Brief wieder überreichte, ließ sich von neuem das Hundegebell aus der Ferne vernehmen. »Entschuldige, bitte, das gute alte Vieh«, sagte er mit wimmernder Zärtlichkeit, »es scheint zu wissen, daß ich seine Partei bei dem Streite nehme. Wauwau heißt in seiner Sprache soviel wie, »Pfui den grausamen Händen, die uns Löcher in den Schädel bohren und uns das Rückgrat zersägen«. Ach Nathan, hast Du etwa dort in dem abscheulichen Gebäude Hunde, so streichele sie und gieb ihnen ihr Fressen! Du hast mich nie in dieser Weise sprechen hören – nicht wahr? Ich bin ein ganz anderer Mensch geworden, seitdem ich der Gesellschaft gegen die Vivisection beigetreten bin. O, hätte ich nur die Gabe des Schreibens!«

Die Wirkung dieses Experimentierens mit der Geduld seines Bruders erfüllte seine Erwartungen nicht, bei dem Gegenstande seiner eigenen Untersuchungen war vielmehr das Interesse des Doctors erwacht.

»Es ist wahr«, sagte Benjulia ernst, »ich habe Dich nie vorher so sprechen hören. Komm’ an’s Licht.« Damit führte er seinen Bruder an’s Fenster, betrachtete ihn mit größter Aufmerksamkeit und prüfte sorgfältig den Puls desselben, während dieser lächelte. »Ich scherze nicht«, sprach Benjulia ernst. »Sage mir, hast Du kürzlich Kopfschmerzen gehabt? Merkst Du, daß Dein Gedächtniß abnimmt?«

Bei diesen Fragen dachte er in vollem Ernste: »Erweicht sich Sein Gehirn? Ich wollte, ich hätte ihn auf meinem Tische!«

Lemuel, der seinem Bruder die Grobheit noch nicht vergeben hatte und aus Erfahrung die schwache Stelle kannte, an der es ihm möglich war, denselben anzugreifen, blieb dabei, sich von der sentimentalen Seite zu zeigen.

»Ich danke Dir für die gütige Nachfrage«, entgegnete er. »Laß Kopf Kopf sein, wenn nur mein Herz am rechten Flecke ist. Ich gebe mich nicht für klug aus, aber ich habe auch meine Gefühle und könnte verschiedene kitzelige Fragen stellen über Eure sogenannten medicinischen Untersuchungen, wenn Morphew mir beistehen würde.«

»Ich will Dir beistehen«, sagte Benjulia, den es interessierte, näheren Aufschluß über den Geisteszustand seines Bruders» zu bekommen.

»Das glaube ich nicht«, antwortete Lemuel.

»Versuche es, Lemuel.«

»Nun gut, Nathan.«

Und damit kehrten beide Brüder, die sich einmal auf dem nämlichen moralischen Niveau befanden, zu ihren Stühlen zurück.

Capitel XXXIII

Nun«, begann Benjulia, »Um was soll es sich handeln? Um den beliebten öffentlichen Popanz? Vivisection?«

»Schön. Was kann ich für Dich thun?«

»Sage mir zuerst«, sagte Lemuel, »was ist Gesetz?«

»Das weiß Niemand.«

»Nun denn, was sollte es sein?«

»Ich dächte Gerechtigkeit.«

»Warte einen Augenblick, Nathan, bis ich das im Kopfe habe.«

Und Benjulia wartete mit exemplarischer Geduld.

»Nun von Dir«, fuhr Lemuel dann fort. »Du nimmst doch nichts übel, nicht wahr? Hätte ich Recht, wenn ich Dich als einen bezeichnete, der lebende Wesen secirt?«

Benjulia’s an sich schon dunkle Farbe nahm bei der Erinnerung an den Tag, an welchem er seinen Bruder im Laboratorium entdeckt hatte, einen noch dunkleren Ton an; seine kalten grauen Augen schienen einen Ausbruch zu verkündigen Lemuel fuhr aber fort:

»Verbietet Dir das Gesetz, Deine Experimente an einem Menschen zu machen?«

»Natürlich!«

»Warum verbietet es Dir denn nicht, sie an einem Hunde zu machen?«

Benjulia’s Gesicht hellte sich wieder auf; die einzige schwache Stelle in seiner gleichsam wie mit Eisen gepanzerten Natur war noch nicht erreicht, und diese scheinbar kindische Frage wegen des Hundes schien ihn nicht nur interessiert, sondern auch überrascht zu haben. Er vergaß seinen Bruder; sein klarer Verstand brachte dessen Einwurf in bündigere logische Form und fragte, ob es eine Antwort darauf gäbe. Sein Gedankengang war folgender:

»Das Gesetz, welches Dir verbietet, einen lebenden Menschen zu seciren, erlaubt Dir, einen Hund zu seciren. Warum?«

Er gab positiv keine Antwort darauf.

Angenommen, er sagte: »Weil ein Hund ein Thier ist.« Konnte er als Physiologe leugnen, daß der Mensch auch ein Thier sei?

Angenommen ferner, er sagte: »Weil ein Hund dem Intellekte nach ein untergeordnetes Wesen ist.« Dann lag ja die Antwort auf der Hand: »Aber die niedere Klasse der Wilden und auch der Wahnsinnigen steht, was den Intellekt anbetrifft, noch unter dem Hunde, und demnach hätte doch von beiden der Hund den größeren Anspruch auf Schutz.«

Oder er sagte: »Weil der Mensch ein Geschöpf ist, das eine Seele hat, und der Hund eins, das keine Seele hat.« Das würde einfach die Frage herausfordern: »Woher weißt Du das?«

Wenn er bei dem sich so von selbst darbietenden Dilemma ehrlich sein wollte, schien folgender Schluß unbestreitbar:

Wenn das Gesetz in Bezug auf die Vivisection das Princip der Einmischung anerkennt, so hat es sich des Rechtes begeben, seiner eigenen Kraft willkürliche Grenzen zu setzen. Wenn es überhaupt ein lebendes Wesen beschützt, so ist es nach Vernunft und Gerechtigkeit gebunden, alle zu beschützen.

»Nun«, sagte Lemuel, »soll ich eine Antwort haben?«

»Ich bin kein Rechtsgelehrter.«

Mit dieser bequemen Antwort öffnete Benjulia Mr. Morphew’s Brief und las das Ueberschlagene. Und er fand hier dieselben Fragen, mit denen sein Bruder ihn frappirt hatte, und die nämliche Schlußfolgerung, zu der er selbst gelangt war!

»Du interpretiertest eben die Sprache Deines Hundes«, sagte er ruhig zu Lemuel, »und ich nahm naturgemäß an, daß Dein Verstand schwach würde. Wie die Sachen liegen, bemerke ich, daß Dein Gedächtniß in Ordnung ist. Entschuldige, daß ich Dir den Puls gefühlt habe. Du bist mir kein Gegenstand des Interesses mehr.«

Dann las er weiter, während Lemuel ihn in zuversichtlicher Erwartung der Resultate beobachtete.

In dem Briefe hieß es weiter:

»Ihr Chef wird vielleicht geneigt sein, mein Werk zu veröffentlichen, wenn ich ihm die Ueberzeugung verschaffen kann, daß es sich an das große Publikum wenden wird.

»Wir kennen alle die falschen Vorwände, unter denen die englischen Physiologen ihre Grausamkeiten begehen. Ich will diese falschen Vorwände in der allereinfachsten Weise an den Pranger stellen, indem ich mich auf die Erfahrungen meiner eigenen ärztlichen Praxis berufe.

»Nehmen wir den Vormund, daß sich unsere Kenntniß von der Wirkung von Arzneien und Giften dadurch erweitere, wenn wir mit denselben bei Thieren Versuche anstellen. Gerade die Arzneien, deren Wirkung zu demonstrieren man Hunde und Katzen unnöthig gequält hat, habe ich in einer langen Praxis erfolgreich bei meinen menschlichen Patienten angewandt.

»Ich möchte auch fragen, was für ein Beweis vorhanden sei, daß man sich darauf verlassen könnte, daß die Wirkung eines Giftes bei einem Thiere uns mit Gewißheit Aufschluß über die Wirkung dieses Giftes bei einem Menschen gäbe. Um nur zwei Beispiele anzuführen, die den Zweifel rechtfertigen – und um diesmal Vögel zu nehmen – kann eine Taube, ohne im Geringsten dadurch afficirt zu werden, eine Portion Opium verschlingen, die bei einem Menschen den Tod zur Folge haben würde, und ebenso ist die Petersilie, die im Magen eines Menschen ein unschuldiges Kraut ist, für einen Papagei tödtliches Gift.

»In derselben Weise würde ich zeigen, was an dem anderen Vorwande ist, daß wir unsere chirurgischen Kenntnisse durch Experimente an lebenden Thieren vervollkommnen.

»Es ist noch nicht lange her, daß ich einem Hunde ein krankes Bein am Hüftgelenke abnehmen sah, ohne daß eine einzige Ader blutete. Würde man dieselbe Operation bei einem Menschen versuchen, so müßte man nothwendigerweise zwölf bis fünfzehn Adern unterbinden.

»Ferner, eine große Autorität sagt, daß das Einsperren von Hunden in Backöfen zu neuen Entdeckungen in Bezug auf die Behandlung des Fiebers geführt habe. Ich habe immer angenommen, daß die Hitze beim Fieber nicht eine Ursache, sondern eine Folge der Krankheit sei. Doch halten wir uns an die Erfahrung. Hat diese abscheuliche Grausamkeit Resultate hervorgebracht, die uns beim Scharlachfieber helfen könnten? Nein, denn die Praxis lehrt uns, daß das Scharlachfieber noch genau seinen Gang geht wie immer. Solche Beispiele kann ich hundertfach anführen, wenn ich mein Buch schreibe.

»Damit habe ich Ihnen kurz die Methode dargelegt, in welcher ich die wissenschaftliche Barbarei hinter dem Deckmantel der medicinischen Interessen der Menschheit hervorzuziehen und in ihrem wahren Charakter zu zeigen gedenke – ebenso klar zu zeigen gedenke, wie sich die wissenschaftliche Barbarei des Auslandes von selbst zeigt. Dieselbe versteckt sich nicht hinter falsche Vorwände, fügt nicht die Heuchelei zu der Rohheit, sondern gesteht offen die Wahrheit: »Wir thun es, weil es uns gefällt!«

Benjulia erhob sich und schleuderte den Brief auf den Boden.

»Und ich gestehe die Wahrheit«, sagte er; »ich thue es, weil es mir gefällt. Es giebt noch einige Leute, welche die dumme öffentliche Meinung mit der Verachtung behandeln, die dieselbe verdient – und ich bin Einer von diesen.« Er zeigte höhnisch auf den Brief. »Dieser weitschweifige alte Narr hat Recht wegen der falschen Vorwände Veröffentliche sein Buch, und ich werde mir ein Exemplar davon anschaffen.«

»Sonderbar«, meinte Lemuel.

»Was ist sonderbar?«

»Nun, Nathan, ich bin nur ein Narr – wenn Du aber so über falsche Vorwände und die öffentliche Meinung sprichst, warum sagst Du denn Jedem, daß Dein grauenhaftes Hacken und Schneiden harmlose chemische Experimente seien? Und warum geriethest Du so in Wuth, als ich in Deiner Werkstatt dahinterkam? Beantworte mir das!«

»Laß mich Dir erst gratulieren«, sagte Benjulia. »Nicht jeder Narr weiß, daß er ein Narr ist. Und nun sollst Du Deine Antwort haben. Ehe das Jahr zu Ende ist, wird mir Jedermann willkommen sein, der meine Werkstatt besuchen und mich bei der Beschäftigung sehen will. Lemuel, als Du Dich damals durch die unverschlossene Thür geschlichen hattest, fandest Du mich auf dem Wege zu der größten medicinischen Entdeckung dieses Jahrhunderts. Du Einfaltspinsel! glaubst Du, ich machte mir etwas daraus, ob Du hinter etwas kämst? Ja, ich lebe in solch beständiger Angst, daß meine Collegen mir zuvorkommen könnten, daß ich meiner nicht einmal Herr bin, wenn ein Mann wie Du meine Arbeit sieht. In ein paar Monaten – vielleicht schon in einigen Wochen – werde ich das große Problem gelöst haben. Den ganzen Tag arbeite ich daran, und denke und träume davon des Nachts. Es wird mich noch umbringen; ja, so stark ich bin, das wird es. Was sagst Du? Ob ich mich im Interesse der Menschheit zu Tode arbeiten will? Ich pfeife auf die Menschheit. Ich arbeite zu meiner eigenen Befriedigung, zu meinem Stolze, weil es mir ein unaussprechliches Vergnügen macht, andere zu schlagen – für den Ruhm, daß mein Name noch nach hundert Jahren genannt werde. Für die Menschheit! Ich sage mit meinen fremden Collegen, die Wissenschaft ihrer selbst wegen ist der Gott, dem ich diene. Die Wissenschaft ist sich selbst Rechtfertigung und Lohn. Der tobende Pöbel verfolgt uns, über Rohheit schreiend. Wir bemitleiden seine Unwissenheit. Die Wissenschaft heiligt die Grausamkeit. Die alten Anatonien stahlen die Körper der Todten im Dienste der Wissenschaft. Wenn ich in ihrem heiligen Dienste einen lebendigen Menschen stehlen könnte, ohne daß es an’s Licht käme, so würde ich denselben auf meinen Tisch binden und nach Tagen, anstatt nach Monaten im Besitze meiner großen Entdeckung sein. Wo willst Du hin? Was? Du fürchtest Dich, in einem Zimmer mit mir zu sein? Ein Mann, der sprechen kann, wie ich, wäre ein Mann, der sich aus Nichts etwas machen würde? In solch einem Lichte betrachtet ihr Geschöpfe niederen Ranges uns? Blicke etwas höher und Du wirst sehen, daß ein Mann, welcher spricht wie ich, durch die Wissenschaft über Euch gestellt ist. Strenge Dich an und versuche, mich zu verstehen. Habe ich nicht, selbst von Deinem Standpunkte aus, Tugenden? Bin ich nicht ein guter Bürger? Bezahle ich nicht meine Schulden? Bin ich nicht gefällig gegen meine Freunde? Dir Erbärmlichem habe ich stets Geld gegeben, wenn Du etwas brauchtest. Sieh da den Brief am Boden an. Der darin Erwähnte ist einer von jenen Collegen, denen ich mißtraue. Trotz alledem handelte ich gegen ihn, wie die Pflicht verlangte; gab ihm die Auskunft, die er wünschte; gab ihm ein Empfehlungsschreiben für ein fremdes Land. Habe ich kein Gefühl, wie Du es nennst? Meine letzten Experimente an einem Affen entsetzten mich. Die Schmerzensschreie und die bittenden Gebärden desselben waren gerade so, wie bei einem Kinde, und ich würde Alles dafür gegeben haben, ihm das Leiden zu ersparen. Aber ich arbeitete weiter, arbeitete weiter an dem herrlichen Werke. Die Hände wurden mir kalt – das Herz that mir weh – ich dachte an ein Kind, mit dem ich manchmal spiele – ich litt – aber ich widerstand und arbeitete weiter. Alles für die Wissenschaft! Alles für die Wissenschaft!«

Die Gegenwart seines Bruders war vergessen; sein dunkles Gesicht wurde bleifarben; die riesenhafte Gestalt zitterte; keuchend entrang sich der Athem seiner Brust «– es war entsetzlich, ihn zu sehen und zu hören.

Lemuel schlich aus dem Zimmer. Der Schakal hatte den Löwen geweckt; hierauf war er, als er der Eingebung seiner Bosheit folgte, nicht gefaßt gewesen. »Ich fange an, an den Teufel zu glauben«, sagte er zu sich, als er die Hausthür erreichte.

Als er die Stufen hinunterging, erschien ein Wagen in der Gasse; ein Bedienter öffnete das Thor der Umfriedung, dann fuhr der Wagen auf das Haus zu, und Lemuel erkannte eine Dame in demselben. Sofort eilte er zu seinem Bruder zurück. »Es kommt eine Dame hierher«, sagte er. »Du bist in netter Verfassung, um sie zu empfangen! Nimm Dich zusammen, Nathan – und, den Teufel, wasch Dir die Hände.«

Damit ergriff er Benjulia am Arm und führte ihn nach oben. Als er dann wieder auf den Flur kam, stieg Mrs. Gallilee die Stufen zur Thür hinauf, und er machte eine tiefe Verbeugung, eine Huldigung die den wohlerhaltenen Ueberresten einer schönen Frau galt. »Mein Bruder wird sofort bei Ihnen sein, gnädige Frau. Bitte, erlauben Sie mir, Ihnen einen Stuhl zu geben.«

Er hatte den Hut in der Hand, und Mrs. Gallilee, die ihn bei ihrer Weltkenntniß genau nach seinem Werthe taxierte, wurde ihn mit bestem Anstande los. »Bitte, lassen Sie sich durch mich nicht zurückhalten; ich werde mit Vergnügen warten.«

Wenn sie zwanzig Jahre jünger gewesen, wäre der Wink vielleicht weggeworfen gewesen, so aber zog sich Lemuel gehorsam zurück.

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06 aralık 2019
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