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Kitabı oku: «Herz und Wissen», sayfa 19

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Capitel XL

Als der Wagen vom Hause des Rechtsanwaltes abfuhr, sah das Mädchen nach der Uhr und sagte zu Carmina: »Wir werden heute beinahe eine Stunde zu spät nach Hause kommen.«

»Das ist meine Schuld, Johanne. Wenn meine Tante fragt, so sagen Sie ihr nur die Wahrheit; ich werde darum nicht schlechter von Ihnen denken, wenn Sie den Befehlen Ihrer Herrin gehorchen.«

»Nein, ich würde lieber meine Stelle verlieren, als Sie in Ungelegenheiten bringen, gnädiges Fräulein«, antwortete das Mädchen, das Carmina durch ihr liebenswürdiges freundliches Wesen ganz für sich gewonnen hatte. Und der Blick besorgten Interesses, mit dem sie die junge Dame betrachtete, während sie schnell dahinfuhren, bewies, daß sie es wirklich so meinte und fühlte, wie sie sagte.

Statt wie gewöhnlich heiter zu Plaudern, war Carmina heute schweigsam und ernst. Der Besuch bei dem Anwalte hatte sie bestimmt, den verzweifelten Schritt zu unternehmen, den ihr Miß Minerva vorgeschlagen hatte.

Hätte Mr. Mool die Behauptung ihrer Tante, daß sie als Vormünderin und Pflegerin unbeschränkte Macht über sie habe, für unstichhaltig erklärt, so wäre Carmina – das hatte sie sich vorgenommen – bis zur Rückkehr Ovid’s unter der Botmäßigkeit derselben geblieben, vorausgesetzt, daß ihr erlaubt worden wäre, nach der Ankunft ihrer alten Amme, mit dieser zurückgezogen zu leben. Dieser Wohnungswechsel würde ein Aneinandergerathen ihrer Tante und Teresa’s verhindert und ihr Leben so ruhig und friedlich gemacht haben, wie sie nur wünschen konnte.

Aber jetzt, da der Rechtsanwalt die Auffassung ihrer Tante von ihrem Verhältnisse zu derselben bestätigt hatte, war alle Hoffnung, ein derartiges Arrangement auszuführen, verschwunden. Wollte sie sich nicht einem Leben voll herzloser Verfolgung und ewiger Ungewißheit aussetzen, so blieb ihr nichts weiter übrig, als sofortige Flucht zu Ovid’s schützender Liebe.

Der Plan zur Flucht war bereits fertig. Jener kurze Blick auf das Gesicht Mrs. Gallilee’s im Spiegel hatte die Gouvernante in ihrem Entschlusse sich einzumischen, befestigt, und während sie am Sonntag Morgen mit Carmina eingeschlossen gewesen, hatte sie den Fluchtplan vorgeschlagen, der selbst Mrs. Gallilee’s Wachsamkeit und Schlauheit Trotz, bieten sollte. Pecuniäre Schwierigkeiten standen nicht im Wege, da auf Mr. Mool’s Rath die erste Vierteljahresrente von 125 Pfund bereits ausgezahlt worden und genug übrig geblieben war, um – auch ohne die Mittel der Amme in Anspruch zu nehmen – das zur Reise Nöthige zu beschaffen und die Reise Beider bis Quebec bestreiten zu können.

Mittlerweile war das Glück dem Mädchen Mrs. Gallilee’s günstig; es wurden weder Fragen gestellt noch wurde überhaupt von der späten Rückkehr Notiz genommen.

Fünf Minuten vor der Rückkehr des Wagens hatte Mrs. Gallilee einer Verabredung gemäß von einer gelehrten Freundin vom Lande Besuch bekommen. Am folgenden Dienstag Nachmittag stand nämlich ein Ereigniß von größtem wissenschaftlichen Interesse bevor: ein neuer Professor wollte einen Vortrag über »die Materie« halten und in demselben seine umstürzenden Ansichten zu Tage fördern. Dem Vortrage sollte eine allgemeine Discussion folgen, und an dieser beabsichtigte Mrs. Gallilee – unter gewissen Bedingungen – sich zu betheiligen.

»Sollte er versuchen«, erklärte sie, »sich auf die Wechselwirkung gesonderter Atome zu beziehen, so werde ich ihm verwehren, das zu thun, ohne das Vorhandensein eines steten materiellen Mediums im Raume anzunehmen. Und wird dieser Gesichtspunkt akzeptiert – folgen Sie mir hier! – was ist die Folge?« rief Mrs. Gallilee, sich aufgeregt erhebend. »Kurz herausgesagt, daß wir die Idee von den Atomen fallen lassen!«

Die Freundin sah aus, als ob sie sich durch diese Aussicht unendlich erleichtert fühlte.

»Nun geben Sie Acht!« fuhr Mrs. Gallilee fort. »Dann werde ich aufpassen, ob der Professor Thomson’s Theorie adoptiert. Sie kennen dieselbe? Nein? Dann will ich sie Ihnen kurz«auseinandersetzen. Bloße Verschiedenartigkeit, zusammen mit der Gravitation, genügt, die ganzen, scheinbar unharmonischen Gesetze der Molecularkraft zu erklären. Sie verstehen? Schön. Geht er einfach über Thomson hinweg, dann stehe ich auf und vertrete Folgendes.«

Und während Mrs. Gallilee ihrer Freundin darlegte, was sie zu vertreten beabsichtigte, fuhr der Kutscher den Wagen zu den Ställen, ging das Mädchen nach unten zum Thee, und Carmina in’s Schulzimmer zu Miß Minerva, ohne daß die ganz von ihrer Comödie der Atome in Anspruch genommene Hausherrin etwas davon bemerkte.

Am Montag Morgen empfing Carmina einen Brief aus Rom – nicht von Teresa, sondern von dem alten Priester Pater Patrizio – dessen Inhalt Miß Minerva’s Besorgnisse bestätigte.

»Mein liebes Kind« – so lautete derselbe – »Unsere gute Teresa verläßt uns heute, um nach London abzureisen, nachdem sie voll Ungeduld die gesetzlichen Ceremonien durchgemacht hat, die nothwendig waren, weil ihr Mann kein Testament gemacht hat. Von dem, was derselbe an Geld hinterlassen, ist nach Bezahlung der Begräbnißkosten und der paar kleinen Schulden kaum etwas übrig geblieben. Was aber wichtiger ist – er lebte und starb als guter Christ. Ich war in der Sterbensstunde bei ihm. Bete, mein Kind, für den Frieden seiner Seele.

»Teresa erklärte allerdings, Tag und Nacht reisen zu wollen, um desto eher zu Dir zu kommen; aber so stark die gute Frau auch ist, glaube ich doch, daß sie wenigstens eine Nacht unterwegs ausruhen müssen wird. Darum denke ich, daß mein Brief eher ankommen wird. Ich habe Dir etwas von ihr zu sagen, und es ist gut, wenn Du das vorher weißt.

»Glaube nicht, daß ich Dich tadele, weil Du Teresa von der unfreundlichen Aufnahme erzählt hast, die Dir von Seite Deiner Tante und Vormünderin zu Theil geworden zu sein scheint. Wem solltest Du Dich wohl anvertrauen, wenn nicht ihr, die die Stelle einer Mutter bei Dir vertreten hat? Und habe ich Dir nicht von Jugend an stets Achtung vor der Wahrheit eingeprägt? Du hast in Deinen Briefen die Wahrheit geschrieben; ich lobe Dich deshalb und empfinde innig mit Dir.

»Aber der Eindruck auf Teresa ist nicht so, wie wir ihn wünschen könnten. Wie es eine ihrer Tugenden ist, daß sie Dich mit aufrichtigster Ergebenheit liebt; so ist es andererseits ein Fehler an ihr, daß sie so heftig und hartnäckig in ihrem Zorne ist. Deine Tante ist ihr ein Gegenstand förmlichen Hasses geworden; und wenn ich auch glaube, dies unchristliche Gefühl erfolgreich bekämpft zu haben, so ist sie doch jetzt außer dem Bereiche meines Einflusses, und ich bitte Dich daher, das gute Werk, das ich angefangen habe, fortzusetzen. Besänftige diese ungestüme Natur; halte den wilden Geist zurück. Dein milder Einfluß, Carmina, hat eine Macht über diejenigen, die Dich lieben – und wer liebte Dich wie Teresa! – die Du vielleicht selbst nicht kennst.

Gebrauche diese Macht vorsichtig, und ich habe mit dem Segen Gottes und seiner Heiligen keine Besorgniß wegen der Folgen.

»Schreibe mir, mein Kind, wenn Teresa angekommen ist, und laß mich hören, daß Du glücklicher und wohler seist. Auch schreibe mir, ob Deine Hochzeit bald in Aussicht steht. Nach dem Wenigen, was ich weiß, zu urtheilen, hängen Deine theuersten irdischen Interessen von der Entfernung sich diesem heilsamen Wechsel in Deinem Leben entgegenstellender Hindernisse ab. Empfange meine besten Wünsche und meinen Segen, und wenn Dir ein armer alter Priester, wie ich, von irgendwelchem Nutzen sein kann, so vergiß nicht Deines Pater Patrizio.«

Als Carmina diesen Brief gelesen hatte, war alles Zögern, welches sie vielleicht bis jetzt noch empfunden haben mochte, verschwunden. Der gute Pater und der gute Rechtsanwalt hatten sie unschuldigerweise bestimmt, der Autorität ihrer Vormünderin Trotz zu bieten.

Capitel XLI

Nach dem Vormittagsunterricht zeigte Carmina den Brief des Priesters der Gouvernante, die denselben, nachdem sie gelesen, schweigend zurückgab.

»Was sagen Sie dazu?« fragte Carmina.

»Nichts. Sie kennen meine Meinung bereits. Der Brief besagt, was ich gesagt habe – nur mit größerer Autorität.«

»Er hat mich bestimmt, Ihrem Rathe zu folgen, Frances.«

»Dann hat er etwas Gutes» gethan.«

»Und sehen Sie«, fuhr Carmina fort, »Pater Patrizio spricht von Hindernissen, die meiner Heirath im Wege ständen. Teresa hat ihm jedenfalls meine Briefe gezeigt. Glauben Sie, daß dieselbe die gleiche Besorgniß empfände wie ich, daß meine Tante Mittel finden möchte, uns zu trennen, selbst wenn Ovid wieder hier ist?«

»Sehr wahrscheinlich.«

Miß Minerva sprach in schwachen müder Stimme, gleichgültig in den Stuhl zurückgelehnt, so daß Carmina sie fragte, ob sie die Nacht wieder schlaflos verbracht habe.

»Ja«, war die Antwort, »ich habe wieder eine schlechte Nacht gehabt, und dann das gewöhnliche Märtyrerthum mit den Kindern. Ich weiß nicht, was mich am meisten anekelt: Zoe’s unverschämte Dummheit, oder Maria’s unerträglicher Humbug.«

So hatte sie noch nie von Maria gesprochen, selbst ihre Stimme schien verändert zu sein. Statt der gewöhnlichen verdrossenen Abgebrochenheit lag in den kalten Tönen eine grenzenlose Verachtung. Als sie in der entstandenen Pause aufsehend Carmina’s Augen besorgt und freundlich auf sich gerichtet sah, sagte sie:

»Jeder außer Ihnen würde mich für unangenehm und grob halten – und das mit vollem Rechte. Ich habe mich nicht einmal nach Ihrem Befinden erkundigt. Sie sehen blässer aus, als gewöhnlich Haben auch Sie eine schlechte Nacht gehabt?

»Ich schlief gegen Morgen ein. Ach! und ich hatte solch einen wunderschönen Traum, daß ich fast wünschen könnte, nie aufgewacht zu sein!«

»Von wem träumten Sie?« Sie stellte diese Frage mechanisch, während sich ihre Stirn wie über einen von dem Gehörten eingegebenen Gedanken zusammenzog.

»Ich träumte von meiner Mutter«, antwortete Carmina.

Miß Minerva erhob sich. Was für ein Gedanke ihr auch gekommen sein mochte, jetzt war sie davon frei. Es war wieder etwas Leben in ihren Augen und in ihrer Stimme, als sie jetzt sagte: »Bringen Sie mich auf andere Gedanken, und erzählen Sie mir Ihren Traum.«

»Es ist gerade nichts Besonderes; man sieht ja oft geliebte Todte im Schlafe. Ich sah meine Mutter wieder, wie ich sie ais Kind immer Abends in der Kinderstube gesehen – groß und schön, mit dem langen dunklen Haar, das über den weißen Schlafrock bis zur Taille fiel. Sie beugte sich über mich, küßte mich, und sagte verwundert: »Was machst Du hier in einem fremden Hause, mein kleiner Engel? Ich will Dich zurückbringen zu Deiner Wiege neben meinem Bette.« Ich war weder überrascht noch erschrocken, sondern schlang meine Arme um ihren Hals, und so schwebten wir durch die kühle Sternennacht, bis wir wieder zu Hause waren. Ich sah meine Wiege mit den hübschen weißen Vorhängen und rosa Bändern; hörte meine Mutter mir ein englisches Märchen aus dem Buche, welches mein Vater ihr gegeben hatte, erzählen. Ihre herzliche Stimme wurde schwächer und schwächer, während ich immer müder wurde und wie in jener glücklichen Zeit sanft einschlief. Als ich erwachte, weinte ich. Träumen Sie auch manchmal von Ihrer Mutter?«

»Ich? Gott behüte!«

»O Frances, wie können Sie so schrecklich sprechen!«

»Ist es schrecklich? Ich dachte aber so, als Sie erzählten – und aus gutem Grunde. Ich war die Letzte von einer großen Familie – die Häßlichste von Körper und Temperament; die Last, die es noch schwerer machte, Geld genug zur Bestreitung der Kosten des Haushaltes anzuschaffen. Mein Vater verwünschte meine Mutter, weil sie mich geboren, und sie gab ebenso bittere Schmähungen zurück und ließ dann ihre schlechte Laune an meinem unglücklichen Körper aus. Die Zeit des Schlafengehens war für mich die Zeit, wo ich Schläge bekam. Sprechen Sie von Ihrer Mutter – nicht von der meinigen! Sie waren noch sehr jung, als dieselbe starb, nicht wahr?«

»Ja, noch zu jung, um mein Unglück zu empfinden, aber schon alt genug, um mich noch der holdesten Frau, die je gelebt hat, zu erinnern. Sehen Sie hier ihr Portrait, von meinem Vater gemalt. Sieht man es nicht an dem Gesichte, was für ein Engel sie war? Sie hatte etwas Verzauberndes, das alle Kinder empfunden. Ich kann mich noch eben einiger Gespielen erinnern, die in unsern Garten zu kommen pflegten. Es waren noch andere gute Mütter bei uns, aber die Kinder sammelten sich immer um meine Mutter; diese mußte mit ihnen spielen; wenn sie Geschichten erzählte, schlugen sie sich um die Plätze an ihrem Schooße, und Manche weinten und sträubten sich, wenn es Zeit war, daß sie fort mußten. O, wozu das Leben! wozu das Sterben! Auch ich habe oft bittere Gedanken, Frances Für mich ist der Tod etwas Schreckliches – und er ist mir nie so schrecklich vorgekommen, als in der letzten Zeit, seitdem ich Ovid kennen gelernt habe. O, wie glücklich würde ich sein, wenn meine Mutter noch lebte! Wie würden beide, Ovid und sie, einander lieben!«

Schweigend, mit aufrichtigem Interesse und Theilnahme hatte Miß Minerva zugehört, so lange Carmina von ihrer Mutter gesprochen, als dieselbe aber ihres Geliebten erwähnte, traten die verrätherischen Linien im Gesichte der Gouvernante wieder hervor; sie lehnte sich wieder in den Stuhl zurück, und ihre unruhigen Finger glätteten den Saum ihrer schwarzen Schürze und zerknitterten ihn wieder. Carmina aber war zu sehr von ihren Gedanken in Anspruch genommen und zu voll von Eifer, dieselben zum Ausdruck zu bringen, als daß sie diese warnenden Zeichen beachtete.

»Ich besitze alle Briefe meiner Mutter an meinen Vater«, fuhr sie fort, »die er ihr von seinen zum Skizzen sammeln unternommenen Excursionen geschrieben hat. Da Sie noch etwas Zeit haben, so möchte ich Ihnen gern einige davon vorlesen. Einen habe ich gestern Abend gelesen – daher vielleicht mein Traum. Er handelt von einem Gegenstande, der jeden interessiert. In der Abwesenheit meines Vaters begegnete nämlich einem sehr guten Freunde von ihm ein Unfall, und meiner Mutter fiel es anheim, dessen Frau auf die Unglücksbotschaft vorzubereiten – ach, dabei fällt mir ein, daß ich Ihnen noch etwas zu sagen wünschte.«

»Ueber Sich selbst?« fragte Miß Minerva.

»Nein, über Ovid. Ich möchte Sie um Rath bitten.«

Da die Gouvernante schwieg, so fuhr Carmina fort: »Wegen des Schreibens an Ovid.«

»Schreiben Sie, natürlich!« erwiderte Miß Minerva scharf.

»Ich habe Sie doch nicht verletzt?« fragte Carmina.

»Unsinn! Lassen Sie mich den Brief Ihrer Mutter hören.«

»Jawohl – aber ich möchte Ihnen erst die Umstände erzählen.«

»Das haben Sie ja schon gethan.«

»Nein, nein! Ich meine in Bezug auf meine Angelegenheit. Ich will leise sprechen fuhr Carmina fort, nachdem sie ihren Stuhl näher an den Miß Minerva’s gerückt hatte – »es könnte draußen Jemand vorbeigehen. Je mehr ich darüber nachdenke, desto nothwendiger scheint es mir, Ovid auf meine Ankunft vorzubereiten, ehe ich heimlich fortgehe. Als wir darüber sprachen, sagten Sie —«

»Kümmern Sie sich nicht um das, was ich sagten.«

»O, doch! Sie meinten, ich könne zu den Banquiers Ovid’s in Quebec gehen, und dann, wenn ich seine Adresse wüßte, an ihn schreiben. Ich habe mir das überlegt – und es scheint mir sehr bedenklich. Wenn er nun an demselben Tage, an welchem ich dort ankäme, gleichfalls dahin zurückkehrte – wenn er mir auf der Straße begegnete! Ich mag gar nicht daran denken, was für Folgen eine derartige Ueberraschung für seine zarte Gesundheit haben könnte. Und dann befände ich mich in der schrecklichen Nothwendigkeit, ihm zu sagen, daß mich seine Mutter zu diesem verzweifelten Schritte getrieben habe. Meinen Sie nicht auch, daß das schriftlich zarter abgedacht werden könnte?«

»Ja!«

»Ich könnte zum Beispiel morgen schreiben, da morgen ein Postdampfer abgeht. Der Brief würde in Anbetracht des umschweifigen Weges, den Teresa und ich aus Furcht vor Entdeckung einschlagen müssen, lange vor uns nach Canada kommen. Ich würde in einem Hotel in Quebec absteigen, und Teresa könnte jeden Tag nach der Bank gehen, um sich zu erkundigen, ob Ovid seine Briefe habe abholen lassen, oder ob er etwa bald zurückkommen und selbst wegen derselben vorsprechen würde. Dann wäre er doch vorbereitet, und wenn wir uns dann begegnen —!«

Die Gouvernante stand auf und zeigte auf die Uhr.

»Haben Sie Schmerzen?« fragte Carmina, sich gleichfalls beunruhigt erhebend.

»Ja – Neuralgie denk’ ich. Ich habe die Arznei in meinem Zimmer; halten Sie mich nicht auf, liebe Carmina Ihre Tante darf mich nicht noch einmal hier finden.«

Wiederum zuckte es schmerzlich in ihrem Gesichte; aber ihre Gefühle unterdrückend, ging sie auf die Thür zu. Doch dann übermannte sie der Schmerz wieder, und als sie die Thür schloß, entrang sich ihr ein leiser Aufschrei. so daß Carmina ihr nacheilte.

»Frances, was ist Ihnen?«

»O nichts!« entgegnete die Gouvernante in mildem Tone, den Kopf zurückwendend während sie langsam die Treppe hinaufging. »Seien Sie unbesorgt.«

Carmina that einen Schritt vorwärts, um ihr zu folgen, ging dann aber wieder in’s Zimmer zurück.

Lag diesem Ausdrucke des Leidens wirklich körperlicher Schmerz zu Grunde, oder war derselbe durch irgend etwas, was sie übereilt gesagt hatte, veranlaßt? Sie suchte sich Alles, was zwischen ihr und Frances vorgegangen war, zurückzurufen, und dann wandten sich ihre Gedanken Ovid zu. »Würde er«, so sagte sie sich vorwurfsvoll, »wohl einem Freunde gegenüber, dessen geheimen Kummer er kannte, den Namen einer von ihnen beiden Geliebten ausgesprochen haben?« Sein Portrait betrachtend, warf sie sich Selbstsucht und Gefühllosigkeit vor. »Wird er mich edler machen? Werde ich, wenn ich seine Frau bin, seiner ein wenig würdiger sein?«

Beim Mittagessen ließ Mrs. Gallilee sagen, daß man aus sie nicht zu warten brauche.

»Sie studiert«, sagte Mr. Gallilee mit scheuem Ausdruck, »da sie morgen eine Rede halten will. Ich kenne den armen Professor nicht, auf den sie es abgesehen hat, aber – was meinst Du, Carmina? – ich möchte nicht in seinen Schuhen stecken, und wenn man mir noch so viel böte. Der arme Teufel! Entschuldige, mein Kind – darf ich Dir einen Flügel geben? Gekochtes Geflügel und Zunge – haha! Kennst Du die Geschichte von dem Fremden, der seine Verwandten in England besuchte? Er war zu fünfzehn Diners, und jedes mal gab es gekochtes Geflügel und Zunge. Das fünfzehnte Mahl ward es ihm doch zu viel, und er rief, sich vor den Kopf schlagend: »O gütiger Himmel, schon wieder Huhn und Speck!« Aber erzähle es nicht weiter, nein? – und vielleicht denkst Du gerade so wie ich – ich habe von diesem ewigen Huhn Speck selbst genug.«

Um die gewöhnliche Zeit fuhr der Wagen vor, da der Arzt noch immer frische Luft vorschrieb. Der Hausherr zog sich dann mit gewohnter Pünktlichkeit in seinen Club zurück. Carmina war aber zu unruhig, um fortzugehen. ohne Miß Minerva vorher gesehen zu haben; deshalb ging sie nach oben zu dem Schulzimmer.

Als sie die Thür öffnete, vernahm sie drinnen keinen Laut. Miß Minerva schrieb, und die Mädchen, zum Ausgehen angezogen, saßen schweigend da, die fleißige Maria mit einem Buche, die faule Zo auf einem hohen Stuhle, die Beine schlenkernd. »Wenn Du ein Wort sprichst«, flüsterte letztere der an ihr vorbeigehenden Carmina zu, »so wirst Du ein Kobold genannt werden und mußt Dich auf einen Stuhl setzen. Ich gehe ganz bestimmt zu dem Jungen.«

»Ist Ihnen besser, Frances?«

»Viel besser, meine Liebe.« Aber das Gesicht der Gouvernante strafte diese Antwort Lügen. Dieselbe zerriß den Brief, an dem sie geschrieben und warf ihn in den Papierkorb.

»Das ist schon der zweite Brief, den Sie zerreißen«, bemerkte Zo.

»Noch ein Wort, dann bekommst Du Brod und Wasser zu Abend!« Wenn sie auch frei von Schmerz sein mochte, frei von Erregung war sie nicht; sogar Zo bemerkte, daß sie böse war.

»Ich wünschte, Sie könnten mit mir ausfahren«, sagte Carmina. »Die Luft würde Ihnen gut thun.«

»Unmöglich! Aber Sie können meine aufgeregten Nerven in anderer Weise beruhigen wenn Sie wollen.«

»Wie denn?«

»Wenn Sie mich von diesen Mädchen befreien wollten. Nehmen Sie dieselben mit. Wollen Sie?«

Mit einem Satze war Zo vom Stuhle herunter, und selbst Maria sah von ihrem Buche auf.

»Ich will sie recht gern mitnehmen. Müssen wir meine Tante erst um Erlaubniß fragen?«

»Wir wollen von dieser Erlaubniß heute absehen, da dieselbe sich in ihr Arbeitszimmer eingeschlossen und uns allen untersagt hat, sie zu stören. Ich werde es auf mich nehmen.« Dann wandte sie sich wieder in einem Ausbruch von Gereiztheit an die Mädchen.

»Fort mit Euch!«

Maria erhob sich mit Würde. »Es thut mir leid, Miß Minerva, wenn ich« (sie legte einen besonderen Nachdruck auf, ich und warf dabei einen Seitenblick auf ihre Schwester) – »wenn ich durch irgend etwas Ihren Unwillen erregt habe.«

Zo stürmte aus dem Zimmer und führte auf dem Flur den Tanz ihres italienischen Freundes auf. Und dabei sang sie trotz des »Schäm’ Dich!« Maria’s: »Ja – ja – ja – bella – vita ja! Heißa, juchhe! – wir fahren aus!«

Carmina, die noch erst ein freundliches Wort sagen wollte, ehe sie den Mädchen folgte, sagte:

»Sie hielten mich doch nicht für nachlässig, als ich Sie allein nach oben gehen ließ, Frances?«

»Das war das Beste, was Sie thun konnten«, antwortete die Gouvernante traurig, aber freundlich.

»Ja – aber Sie hatten Schmerzen«, sagte Carmina, die noch nicht beruhigt war.

»Sie sonderbares Kind! Ich habe jetzt keine Schmerzen.«

»Wollen Sie mich beruhigen, Frances? Geben Sie mir einen Kuß.«

»Zwei, meine Liebe – wenn Sie wollen.«

Und sie küßte Carmina auf jede Wange. »So, nun lassen Sie mich schreiben.« Dann verließ Carmina sie.

Die Fahrt mit Zo im Wagen hätte eine angenehme sein sollen. Für das Mädchen war es eine Stunde des herzlichsten Genusses; selbst Maria ließ sich ab und an zu einem Lächeln herab; nur Carmina war nicht heiter.

Bei der Rückkehr wurden sie in der Halle von Mrs. Gallilee empfangen, die sich mit den Worten an Carmina wandte: »Du wirst die Kinder nie wieder ohne meine Erlaubniß mitnehmen. Die Person, die dafür verantwortlich ist, wird Dich nie wieder verleiten.« Damit ging sie in die Bibliothek und schloß die Thür hinter sich.

Beim Anblick ihrer Mutter waren Maria und Zo nach oben geeilt, und nachdem Carmina einen Augenblick allein in der Halle gestanden hatte, ging sie gleichfalls nach oben. Ehe sie aber die Thür ihres Zimmers auf dem ersten Flur öffnete, verließ sie ihre Entschlossenheit und sie rief schwach nach oben: »Frances!« Da sie keine Antwort bekam, ging sie in ihr Zimmer. Auf dem Tische lag ein kleines, an sie adressiertes versiegeltes Packet. Beim Oeffnen desselben fiel ein Ring mit einem Rubin heraus, in welchem sie an dem Steine den Ring der Gouvernante erkannte.

Auf der Innenseite des Papiers stand in verwischter Schrift: »Ich habe versucht, Ihnen schriftlich mein Herz auszuschütten – habe aber die Briefe wieder zerrissen. Je weniger Worte, desto besser. Denken Sie an das, was ich Ihnen gestanden, so werden Sie wissen, weshalb ich Sie verlassen habe. Wenn ich Ihrer würdiger bin als jetzt, werden Sie von mir hören. Bis dahin tragen Sie meinen Ring, der Sie daran erinnern wird, wie schlecht ich einst war. F. M.«

Beim Betrachten des Ringes fiel Carmina ein, daß Frances sie früher hatte bewegen wollen, denselben als Sicherheit für die geliehenen zwanzig Pfund anzunehmen.

Dann sah sie das Geständniß an, in dem zwei Stellen unterstrichen waren: »Die Schlechtigkeit, auf welche Mrs. Gallilee rechnete, möchte noch in mir sein.« Und wieder: »Selbst jetzt, da Sie um mein Geheimniß wissen, liebe ich ihn noch. Trauen Sie mir nicht.«

Und nie hatte ihr Carmina so fest vertraut, wie in diesem bitteren Augenblicke!

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06 aralık 2019
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