Kitabı oku: «Verbergen und Suchen», sayfa 25
Obgleich er das Schreiben selbst nun bis zu Ende las, so fiel es ihm doch schwer, die Aufmerksamkeit auf die letzten paar Zeilen zu richten. Sie begannen so:
»Bevor ich schließlich noch etwas sage über den Verkauf unseres Geschäfts, meines Bruders Tod und über das Leben, was ich seit jener Zeit geführt habe, muss ich noch kurz über die wenigen Sachen berichten, welche meine Nichte zurückließ, als sie in die Fremde ging. Umstände mögen eines Tages diese Notwendigkeiten übergeben. Ich konstatiere hier, dass jedes ihr gehörende Ding in einem ihrer Koffer, der sich jetzt in meinem Besitze befindet, erhalten ist, just so als sie es verließ. Als bei der erwähnten Reparatur unseres Hauses die mit A. C. unterzeichneten Briefe entdeckt wurden, warf ich sie in den Koffer. Sie werden beweisen, dass mein erster Verdacht, den mein Bruder nicht beachtete, sehr gegründet war. In Bezug auf Geld und andre Wertsachen muss ich erinnern, dass meine Nichte bei ihrer Flucht alle Ersparnisse mitnahm. Ich wusste, in welchem Koffer sie dieselben bewahrte, und fand denselben offen stehen, als ich ihre Flucht entdeckte. In Hinsicht ihrer Kostbarkeiten sah ich, dass sie ihren Schmuck Lene Grough gab; ihre Ohrringe trug sie stets, und ich vermute auch, dass sie ihr Haarbracelet mitgenommen hat, denn ich fand es nirgends.
»Bei Gott! Da ist es wieder!« rief Mat, voll Erstaunen den Brief fallen lassend, sein einziger Gedanke war nur das Haarbracelet.
Kaum hatte er seinen Ausruf der Verwunderung geäußert, als er die Haustür hastig auf- und zuschlagen hörte. Zack war eben eingetreten. —
»Ich bin erfreut, dass er kommt«, murmelte Mat, nahm schnell den Brief vom Fußboden auf und steckte ihn in die Tasche. »Da gibts noch ein anderes Geheimnis, das ich aufhellen muss, bevor ich weiter gehe – und Zack hat das rechte Maul, mir zu helfen.«
Suchen und Finden
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Erstes Kapitel – Noch einige Entdeckungen
Als Zack in das Zimmer trat und seinen wunderlichen Freund mit gekreuzten Beinen, die Hände in den Taschen, in seiner gewöhnlichen Ecke gravitätisch sitzen sah, auf der einen Seite eine Branntweinflasche und auf der andern ein Licht, brach er in ein schallendes Gelächter aus und stampfte so ungestüm mit dem Fuße auf, dass das kleine dünne Häuschen in seiner Grundfeste zu zittern schien. Mr. Marksman ertrug all dieses Geräusch und Gelächter, sowie den nachfolgenden Spott und die Scherzhaftigkeit, – dass er seine Passion für Madonna in der Branntweinflasche ertränke – mit der ruhigsten, musterhaftesten Geduld. Die so dargelegte Selbstbeherrschung ging nicht ohne Lohn vorüber. Zack wurde der Spaß, als sie keine Wirkung übten, und ebenso der Erzählung alberner Geschichten müde, die unbeachtet blieben. Er wendete sich nun auf einmal von dem fantastischen zum praktischen Mr. Marksman, indem er plötzlich eine ganz unerwartete und sehr wichtige Neuigkeit mitteilte.
»Nebenbei, Mat«, sagte er, »wir müssen die Stube kehren, alles reinigen vor morgen Abend und uns ein respektables Ansehen geben, so gut wir können. Denn mein Freund Blyth will morgen einen ruhigen geselligen Abend mit uns verleben. Ich blieb zurück, bis alle Besucher verschwunden waren, um noch mit ihm zu reden.«
»Meinst Du, dass er kommt, um mit uns beiden ein Glas Grog zu trinken und eine Pfeife Tabak zu rauchen?« fragte Mr. Marksman etwas erstaunt.
»Ich meine, er kommt ganz sicher hierher, aber Pfeife und Grog berührt er gar nicht. Er ist der beste und prächtigste Kerl in der Welt, aber ich muss bekennen, dass er Limonade und Tee vorzieht. Rauchen macht ihn sogleich krank, und was Grog betrifft, so glaube ich, dass er von einem Jahre zum andern auch nicht einen Tropfen über die Zunge bringt. Ein schwacher Kopf zum Trinken«, schloss Zack und gab sich hierbei ein gewisses Air der Überlegenheit in den Bacchanalien.
Mr. Marksman schien wieder in seine gewöhnliche Gedankenversunkenheit gefallen zu sein. Er gab keine Antwort, hielt aber die Branntweinflasche vors Licht, um zu sehen, wie viel Spiritus noch darin vorhanden war.
»Quält Euren Kopf nicht mit Sorgen über den Branntwein! Ihr bedürft keines Tropfens für Blyth«, scherzte Zack, als er seines Freundes Bewegung sah. »Ich sage, alter Knabe, dass Ihr das beste Werk in der Welt tatet, als Ihr Valentins Gemälde rettetet. Ihr habt dadurch sein Herz ganz gewonnen. Er war verteufelt argwöhnisch über meine Freundschaft mit Euch; aber jetzt – beim Jupiter! – glaubt er, dass die Sprache kein Wort habe, das gut genug für Euch sei. Er sagte, dass er außerordentlich erfreut sein würde, Euch noch einmal danken zu können. Erzählt ihm einige Eurer herrlichen Geschichten. Ich habe ihm schon durch ein paar Nacherzählungen in Erstaunen versetzt. Erzählt ihm, als Ihr und die andern Personen dem Hungertode nahe wart und eben das Los werfen wolltet, wer zur Nahrung der andern getötet werden sollte. Herr Gott! Wie bleich er werden wird, wenn er dies hört! Und wie gastfreundlich wir ihn behandeln werden – werden wir nicht? Ihr macht ihm das Haar zu Berge stehend und ich – ich mache ihm einen Tee.«
»Was macht er mit seinen Gemälden?« fragte Mr. Marksman. »Verkauft er sie? —«
»Versteht sich!« antwortete Zack ganz zuversichtlich, »und bekommt schreckliche Summen Geldes dafür.« Sobald Zack Gelegenheit fand, eines Freundes Wichtigkeit zu vergrößern, erhob er sie sogleich zu einer großartigen Tatsache, welche unbestreitbar sei.
»Er bekommt viel Geld dafür?« fuhr Mr. Marksman fort. »Da sammelt er wohl Schätze?«
»Er sammelt Geld?« gab Zack zurück. »Ihr machtet wohl niemals eine schlechtere Vermutung in Eurem Leben. Ich glaube nicht, dass er jemals nur fünf Groschen gesammelt hat. Wenn Mrs. Blyth sich nicht in ihn verliebt hätte, so würden gewiss nicht dreißig Taler von einem Jahre zum andern bei ihm zu finden sein.«
Es trat eine kleine Pause ein. Mr. Marksman schloss seine Kiste zu und dachte: »Ich wundere mich, ob —«
Zack sprach aber weiter: »Er ist der freigebigste Mann in der Welt und der beste Zahler; fragt nur irgendjemand unter seinen Geschäftsleuten.« Dabei zündete er sich eine Zigarre an, während Mr. Marksman seine im Geiste begonnene Konjektur fallen ließ und bald zu andern Fragen überging. Einen Teil der gewünschten Auskunft hatte er vom jungen Thorpe bereits erhalten. Er wusste nun, dass, als Mr. Blyth am Tage der Gemäldeschau sein Bureau bei Annäherung Mr. Gimbles so plötzlich rasch verschloss, dies nicht des Geldes wegen geschah, wie er zuerst vermutet hatte.
»Gedenkt er morgen Abend noch jemand mitzubringen?« fragte Mr. Marksman.
»Jemand? Jemand? – Wen zum Teufel soll er mitbringen? Warum? – Ihr alter Barbar erwartet wohl, dass er Madonna in unsere lustige Junggesellen-Kneipe mitbringt, um beim Grog und Tabakrauchen zu präsidieren? – Erwartet Ihr das? —«
»Wie alt ist das junge Frauenzimmer?« fragte Mat, indem er nachdenkend das Licht mit den Fingern putzte.
»Immer noch denkend an seine Tochter«, jauchzte Zack mit erneutem Gelächter. »– Sie ist älter, als sie aussieht; das kann ich Euch sagen. Ihr werdet sie etwa achtzehn oder neunzehnjährig schätzen, aber sie ist dreiundzwanzig Jahr, das ist faktisch. Ruhig! Ihr werdet sonst noch durchs Fenster wandern, wenn Ihr nicht ruhiger in Eurer wunderlichen Ecke sitzt.«
Dreiundzwanzig! Das war ja die Zahl, welche er vorhin gefunden hatte, als er an den Fingern von 1828 bis 1851 rechnete, bevor Zack erschien.
»Ich vermute, Ihr werdet nun ganz ruhig und kalt sagen, dass sie zu alt für Euch ist,« spottete Zack, »oder Ihr mögt bevorzugen, einige andre Fragen zu tun. Ich will Euch was sagen, alter rauer Eisbär, Euer inquisitiver Charakter ist —«
»Lass das Gerede!« unterbrach Mat, sprang schnell empor und nahm ein schmutziges Pack Karten vom Kamin. »Ich habe keine Fragen nötig und auch keine Antworten. Lass uns einen Schluck Grog nehmen und eine Partie Bettelmanns spielen. Komm heran!«
Sie setzten sich nieder, spielten ein paar Stunden und tranken eifrig Grog. Zack gewann, und der belebende, inspirierende Einfluss des Grogs erheiterte ihn sehr. Sein gutes Glück brachte ihm viele Groschen aus des Gegners Tasche, und bei jedem neuen Gewinn steigerte sich auch seine Freude bis zur höchsten Ausgelassenheit. Diese Fröhlichkeit schien sich sogar dem gleichgültigen und unerschütterlichen Mat mitzuteilen, denn er brach einmal beim Kartenmischen in ein grunzendes Gelächter aus.
Da sich nur äußerst selten seine innere Fröhlichkeit durch äußerliche Symptome kundgab, so war Zack, welcher eben die Karten abheben wollte, so erstaunt, dass er es unterließ und erst mit Kuriosität inquirierte, weshalb sein Freund so grunze. Zuerst weigerte sich Mat, es zu sagen, – nach fortwährendem Pressen von Zacks Seite erklärte er jedoch, dass ihm die Erinnerung an das, was Zack ihm nach Verlassen des Gemäldesaales mitgeteilt, ins Lachen gebracht habe; und endlich – als Thorpe sich auch damit noch nicht beruhigte und noch dringender inquirierte – bekannte er, dass er an das »alte Weib« gedacht, von dem Zack erzählt habe, dass es recht bösartig über ihn hergefallen sei, als er dem jungen Mädchen ein Geschenk zu geben beabsichtigte. Dieser Umstand, fügte Mat hinzu, hätte sein Zwerchfell gekitzelt und er würde einen Kronenthaler darum gegeben haben, wenn er dem ganzen Zank vom Anfang bis zum Ende mit hätte beiwohnen können. Zack, dessen Gemütszustand eben genau in der rechten Stimmung war, dass das, was seinen Freund erheiterte, auch ihn zur Fröhlichkeit trieb, ergriff mit größter Lustigkeit die von Mat angeregte humoristische Seite des Gegenstandes. Er begann sogleich mit einer Beschreibung der persönlichen Sonderbarkeiten der armen Mrs. Peckover und zwar in der allerlächerlichsten Übertreibung. Mr. Marksman horchte mit einer wahrhaft bewunderungswürdigen Aufmerksamkeit auf Zacks Schilderung und schien sich dabei sehr erstaunlich über jedes Wort zu amüsieren. Zack lief endlich ins Schlafzimmer, riss die zwei Kissen vom Bette und band eins vorn, das andere hinter sich, dann hüllte er sich in die gestickte Steppdecke, watschelte nun als Mrs. wieder ins Wohnzimmer und stellte jene Szene dar, wie Mrs. Peckover an jenem denkwürdigen Abende in Blyths Hause ihn an seinem Vorhaben recht mysteriös verhinderte.
Zack war wirklich ein guter Mimiker; er stellte jetzt die Stimme, Manieren, den Gang und alle Sonderbarkeiten der Mrs. Peckover so charakteristisch treffend dar, – dass Mat beständig lachte, seinen großen Kopf von einer Seite auf die andere warf und mit seiner schweren Faust auf dem Tische Beifall klatschte. Ermutigt durch die außerordentliche Wirkung seiner musterhaften Darstellung, ging Zack die ganze Szene mit Mrs. Peckover vom Anfang bis zum Ende durch. Er repräsentierte das exzellente Frauenzimmer in allen ihren verschiedenen Redensarten und ahmte ihre Bestürzung nach, als er ihr drohte, treppauf zu laufen und Mr. Blyth zu fragen, ob Madonna wirklich ein Haarbracelet habe. Ihr Kauderwelsch und ihre lächerlichen Gebärden stellte er so humoristisch und belustigend hin, dass Mr. Marksman eifrig und laut erklärte, kein bezahltes Schauspiel im Theater würde ihm dies Vergnügen gewährt haben.
In diesem Moment hatte Zack den höchst möglichen Grad seiner improvisierten dramatischen Darstellung erreicht, sich aber auch abgemattet und ermüdet. Er warf Kissen und Steppdecke bei Seite und gedachte den Rest des Abends ruhig auf seinem Stuhle zu verbringen. Demgemäß mischte er sich noch ein zweites Glas Grog, zündete eine andere Zigarre an und widmete die Aufmerksamkeit, welche er von diesen beiden Genüssen noch erübrigte, einem beliebten Unterhaltungsblatt, genannt: »Bells Leben in London«. Sein Freund unterbrach ihn mit keinem Worte, erst dann, als er das Blatt zur Hand nahm, sagte Mat ganz nachlässig: er glaube das Original von Mrs. Peckover zu entdecken, wenn es ihm je in den Straßen Londons begegnen sollte. Darauf erwiderte Zack, das wäre nicht leicht möglich, weil Mrs. Peckover in Rubbleford lebe, wo ihr Mann beschäftigt sei und sie selbst eine Meierei und einen Kuchenladen habe. »Sie kommt höchstens einmal des Jahres nach London«, ergänzte Zack, als er seine Zigarre anzündete, »und dann verbringt die alte Schönheit ihre ganze Zeit in Blyths Hause.«
Mr. Marksman horchte sehr aufmerksam auf diese Antwort, machte aber nicht die geringste Bemerkung, dann ging er in das Hinterzimmer und wusch das Geschirr auf, das zum Junggesellenhaushalt gehörte, reinigte Töpfe und Kaffeeschalen, alles zu Ehren und in Erwartung von Mr. Blyths Visite.
Zack – auf dem sowohl die hohe als niedrige Literatur stets narkotisch wirkte, ward immer schlaftrunkener über seiner Zeitung; er ließ den Grog kalt werden, die Zigarre aus dem Munde fallen und verfiel endlich in einen festen Schlaf auf seinem Stuhle. Als er wieder schauernd vor Kälte aufwachte, stand seine Uhr still, das Licht war bis auf den Leuchter heruntergebrannt und das Kaminfeuer ausgegangen; auch Mr. Marksman war nicht mehr zu sehen, weder im Vorder- noch im Hinterzimmer, er war verschwunden. Der junge Thorpe kannte seines Freundes seltsame Liebhaberei, über Nacht auszugehen, um den Morgen beim ersten Lichtstrahl zu empfangen; daher war er auch nicht erstaunt, sich allein zu finden. Er wankte schlaftrunken zu Bett und gähnte noch folgende Worte: »Ich werde wahrscheinlich morgen früh den alten Knaben wiedersehen, wenn ich erwache.«
Aber diese Vermutung erwies sich am folgenden Morgen als trügerisch. Der erste Gegenstand, den Zacks Augen am folgenden Morgen erblickten, als er gegen elf Uhr langsam erwachte, war ein Arm, welcher einen Brief vorsichtig durch die nur teilweise geöffnete Tür des Schlafzimmers reichte. Obgleich keineswegs verächtlich in muskulärer Entwickelung, war dies doch nicht der behaarte Herkulesarm von Mat. Es war nur der Arm einer Dienerin der gewöhnlichen Arbeiten, welche der barbarische Mr. Marksman in solch heilsamer Furcht hielt, dass sie es noch nie gewagt hatte, ihren ganzen Körper in die verbotene Region seines Zimmers zu führen, seitdem er sie bezogen hatte. Zack sprang aus dem Bett und nahm den Brief. Er kam von Valentin und lud ihn ein, sogleich in des Malers Wohnung zu erscheinen, weil seine Mutter da sei und ihn ernstlich zu sprechen wünsche.
Als er die wenigen Zeilen von Mr. Blyth las, dachte er nicht ohne Angst an das Zusammentreffen mit seiner Mutter von Angesicht zu Angesicht, was noch nicht stattgefunden, seitdem er seine elterliche Heimat verlassen hatte. Ohne einen Augenblick zu zögern, zog er hastig seine Kleider an und eilte fort, bald schnell gehend, bald laufend, um ja nicht als sorglos oder ungehorsam erscheinen zu wollen. In des Malers Hause angekommen, ward er in ein Parterrezimmer gewiesen; darin saß Mrs. Thorpe und Mr. Blyth, letzterer ihr Gesellschaft leistend. Die Begegnung zwischen Mutter und Sohn war von beiden Seiten charakteristisch. Ohne Valentin so viel Zeit zu lassen, vom Stuhl zur Tür zu gelangen; ohne einen Augenblick zu warten, um zu sehen, was für Gefühle seine Mutter ihm entgegenbringe; und ohne auch nur im geringsten zu berücksichtigen, was für Schaden er ihrem Kopfputz zufüge, sprang er auf sie zu, umarmte sie ungestüm und küsste sie so herzlich ab, wie in den Tagen seiner Kinderzeit und sie – die arme Frau – stotterte leise ein Wort des Tadels – dann verlor sie die Stimme – endlich presste sie ein Geldpaket in seine Hand und weinte an seiner Brust, ohne auch nur ein Wort weiter zu sprechen. So machte sie es früher, als Zack noch ein Knabe war, und dasselbe tat sie noch heute in der bösen trüben Zeit.
Es dauerte lange, ehe Mrs. Thorpe ihre Selbstbeherrschung, welche sie beim ersten Anblick ihres Sohnes verloren hatte, wieder gewann; denn die große Gemütsaufregung hatte sie ganz außer sich gebracht. Ihr eigener Wunsch war gewesen, allein nach Zacks Wohnung zu gehen, aber Mr. Blyth, den sie um Rat gefragt hatte, wollte nichts davon hören, bis er selbst gesehen hatte, was für Leute darin wohnen und was es für ein Haus sei. Er bestand darauf, dass die Zusammenkunft in seiner eigenen Wohnung, als dem geeignetsten Ort, stattfinden solle, und betonte dies mit solchem Ernst, dass sie nicht fähig war, ihm zu widersprechen. Trotz ihres ehelichen Gehorsams war sie dennoch ohne ausdrückliche Erlaubnis ihres Mannes in Mr. Blyths Wohnung getreten, aber nur mit Furcht und Zittern. Die vorherige Unentschlossenheit und Gemütsaufregung und der Akt zweifelhafter Schicklichkeit waren schon hinreichend gewesen, sie zu entnerven, bevor sie des Malers Wohnung erreichte. Ihre Gemütsunruhe wurde aber noch zehnfach größer, als sie, während Mr. Blyth das Briefchen an Zack schrieb, die Treppe stieg, um die so lange suspendiert gewesene Bekanntschaft mit Mrs. Blyth wieder zu erneuern und dem armen taubstummen Mädchen die Hand zu schütteln. Alle diese verschiedenen Gefühlssituationen hatten ihre schwache Widerstandskraft und Selbstbeherrschung erschöpft, demzufolge unterlag sie ganz ohne Kampf schon beim ersten Anblick ihres Sohnes, denn sie sah ihn zum ersten Mal wieder, seitdem er ein Flüchtling aus der Heimat geworden war.
Zack drückte recht sehr seine Zerknirschung aus und wiederholte mehrere mal das Versprechen, den Plan zu befolgen, welchen Mr. Blyth ihm vorgeschlagen hatte, als sie sich am Schlagbaum trafen. Er war dabei so eifrig, dass seine Mutter nicht Ruhe genug bekam, um nur drei Worte zusammenhängend sprechen zu können, ohne in Tränen auszubrechen. Als sie sich endlich soweit erholt hatte, um in ruhiger Stimmung einige Worte zu ihm zu sagen, sprach sie nicht etwa von seinen früheren Vergehen, wie er erwartet hatte, auch nicht von seinen zukünftigen Aussichten, sondern nur von dem Logis, das er gegenwärtig bewohne, und von dem Fremden, mit dem er in Freundschaft getreten sei. Obgleich Mat durch seine galante Rettung des »Columbus« Valentins wärmste Gunst erlangt hatte, so war dieser doch viel zu gewissenhaft, um dadurch Facta zu verschönern; er hatte also auch seine Bedenken gegen Zacks Mutter über dessen gegenwärtiges Wohnen und seine Gesellschaft ausgesprochen. Mrs. Thorpe war furchtsam und daher auch misstrauisch, wie alle furchtsamen Leute. Sie bat jetzt ihren Sohn mit wahrhaft nervöser Heftigkeit, seine versprochene Besserung damit zu beginnen, dass er Kirk Street verlasse und die gefährliche Bekanntschaft mit einem ganz Fremden abbreche, welcher sich gewiss früher oder später als ein Mann der abscheulichsten Prinzipien entlarven werde und der ja nach seinem eigenen Bekenntnis ein Vagabund der faulsten Sorte sei.
Zack verteidigte seinen Freund gegen seine Mutter genau so, als er es bereits gegen Valentin getan hatte. Mr. Marksman habe ganz uninteressiert ihn mit Geld versehen, als er dessen bedurfte; er habe ihm Gastfreundschaft erwiesen und sogleich ein Bett gegeben, als er nicht wusste, wo er sein Haupt hinlegen sollte; er sei, obgleich etwas exzentrisch in seinen Gewohnheiten, dennoch der beste, generöseste, zuverlässigste und respektabelste Mann auf der Welt. Mrs. Thorpe sprach ein Wort gegen die Vortrefflichkeit der Beweise ihres Sohnes, behielt aber nichts desto weniger ihre eigene Meinung, welche er nicht zu erschüttern vermochte. Er versprach ihr demnach, in dieser, wie in allen andern Angelegenheiten Mr. Blyths Meinung als endgültig zu befolgen. Diese gegebene Versicherung nebst der Anzeige, dass Mr. Blyth im Begriff stehe, diesen Abend Mr. Marksman in seiner Wohnung in Kirk Street zu besuchen, um sich selbst ein Urteil zu bilden, schienen Mrs. Thorpe zu genügen und zu beruhigen. Nachdem sie nun zur traurigen Notwendigkeit gezwungen war, die fortdauernde Abwesenheit ihres Sohnes aus dem Hause ertragen zu müssen, ruhte ihre Hoffnung für dessen zukünftiges Glück einzig und allein auf Mr. Blyth.
Nachdem die erste Schwierigkeit sanft vorübergegangen war, fragte Zack mit ängstlicher Besorgnis, ob nach seines Vaters Zorn noch auf seine Unterstützung zu rechnen sei. Diese Frage war eine der unglücklichsten. Mrs. Thorpes Augen füllten sich sogleich wieder mit Tränen, als sie dieselbe anhörte. Die Antwort, welche sie ihrem Sohne hierauf zu erwidern hatte, war sehr niederschlagender und hoffnungsloser Art.
Der gefährliche Anfall von Herzklopfen, welcher Mr. Thorpe am Tage der Flucht seines Sohnes aus Baregrove-Square ergriffen hatte, war durch die angewandten ärztlichen Mittel erfolgreich gelindert worden. Aber es hatte sich seiner seit einigen Tagen eine große Niedergeschlagenheit des Geistes bemächtigt, gegen welche der Arzt keinen schnellen Prozess einer Kur anzugeben musste. Einsilbig von jeher, war Mr. Thorpe jetzt noch einsilbiger geworden. Seine gewöhnliche Energie schien ganz verschwunden zu sein. Er besorgte zwar noch die täglichen Geschäfte verschiedener Art, aber ganz mechanisch und zeigte nicht das geringste Interesse, weder für die Personen noch für die Begebenheiten, mit denen er in Berührung kam. Seinen Sohn hatte er in den letzten zwei Tagen nur ein einziges Mal erwähnt, und nicht etwa um ihn zu reklamieren, oder sich zu erkundigen, wo und wie er sich befände, sondern nur um zu sagen, dass sein Name niemals wieder genannt werden möchte.
Der Arzt entdeckte zwar die Ursache dieser plötzlichen ernsten Moralalteration an Mr. Thorpe, konnte aber nur sagen, dass das ganze Nervensystem schon seit Jahren in einem Zustande bedeutender Schwäche gewesen sei, und dass ein viel leichterer Stoß als derjenige, den er soeben empfangen, hingereicht haben würde, es ganz zu brechen, wie es sich jetzt ereignet habe. Das einzig mögliche Mittel, seine verlorene Gesundheit wieder zu erlangen, wäre ein Wechsel des Ortes und der Luft, gänzliche Ruhe und totale Enthaltung aller geistigen Beschäftigungen – selbst der leichtesten, wie Briefschreiben und so weiter. Als dieser Rat Mr. Thorpe erteilt ward, weigerte er sich standhaft, ihn zu befolgen. Er lehnte es ab, weder für die Gegenwart, noch für die nächsten drei Monate seine ehrenvolle Stellung aufzugeben oder sie seinen zahlreichen Freunden zu überlassen, welche gern geneigt waren, ihm seine Arbeiten und Pflichten zu erleichtern. Er sagte in seinem desperatesten Tone, welcher sich jetzt gar nicht änderte, dass die Vollbringung seiner Pflichten das erste, letzte und beste Interesse sei, was er noch am Leben habe; und dass er seine verschiedenen Beschäftigungen so lange versehen werde, als er noch existiere. Es war nutzlos, ihn durch Argumente von seinem Entschluss abzubringen, weder seine Frau noch irgendjemand anders vermochte seine Resolution zu ändern.
Soweit Zacks Interesse oder Besorgnis jetzt betroffen war, so hatte er wenigstens für die Gegenwart keine Kollision zu gegenwärtigen. Als Mrs. Thorpe, nach Empfang des Valentinschen Briefes, ihrem Manne gesagt hatte, dass der weggelaufene Sohn sich in sichern guten Händen befände, hatte er nicht einmal gefragt, wie sie befürchtete, »in was für Händen?«. Und als sie andeutete, dass es doch wohl ratsam sei, den armen Jungen bei seiner schmalen Existenz zu unterstützen, das heißt, so lange er sich auf dem richtigen Wege befinde und sich durch die erwähnte sichere Hand führen ließe, – auch da hatte er weder Einwürfe noch Fragen gemacht, sondern nur genickt und erwidert, sie solle tun, was ihr beliebe. Einige für sich hin geflüsterte Worte hatte sie nicht verstanden. Sie konnte daher nur die traurige Wahrheit wiederholen, dass, seitdem seine Kraft gänzlich geschwunden war, alle seine früheren Pläne und Ansichten hinsichtlich der Zukunft seines Sohnes in seiner Melancholie und plötzlichen Gemütsumstimmung untergegangen seien. Infolgedessen glaubte sie es auch wagen zu dürfen, in das Arrangement einzugehen, mit Zack zusammenzutreffen und ihm eine kleine Geldunterstützung zu geben, was Mr. Blyth als die größte Notwendigkeit in diesem traurigen Falle betrachtete.
Die Aufzählung aller dieser kleinen Besonderheiten, welche noch öfters durch unnötige Lamentationen von der einen und durch nutzlose Selbstvorwürfe von der andern Seite unterbrochen ward, hatte viel mehr Zeit weggenommen, als sich Mutter und Sohn einbilden mochten. Endlich entdeckte Mrs. Thorpe, dass sie schon viel länger vom Hause abwesend sei, als sie ursprünglich beabsichtigte. Sie erhob sich plötzlich in großer Angst – nahm einen flüchtigen Abschied von Valentin, welcher in seinem Garten spazierte, sandte viel herzliche Grüße an die Ladies und wandte sich nach ihrer Wohnung in Baregrove-Sqare. Zack begleitete sie bis zum Eintritt in Square. Beim Abschiednehmen zeigte er nochmals eine große Offenheit seiner Reue und zwar in einer sehr unerwarteten desperaten Manier, indem er sich wirklich erbot, mit seiner Mutter nach Hause zurückzukehren, wenn sie es wünsche. Mrs. Thorpe jammerte und wollte ihn beim Wort nehmen, aber sie erinnerte sich noch rechtzeitig an des Doktors Befehl und an den kritischen Zustand ihres Gemahls; daher gestand sie Zack, dass noch nicht die günstige Zeit seiner Rückkehr erschienen sei. Hiernach versprachen sie sich gegenseitig, durch Valentins Vermittlung miteinander zu korrespondieren, und verabschiedeten sich sehr traurig, just als sie eben in Baregrove-Square eintraten. Mrs. Thorpe eilte in nervöser Eile nach ihrer Wohnung und Zack in niedergeschlagener Stimmung nach Mr. Blyths Hause.
Wie hatte sich aber Mr. Marksman mittlerweile beschäftigt, seitdem er seinen jungen Freund allein im Logis zu Kirk Street gelassen hatte?
Er war wirklich ausgegangen, wie Zack vermutete, und hatte einen seiner Nachtspaziergänge unternommen, der ihn in das Land hinausführte, noch ehe das erste Morgengrauen und der erste Strahl des Lichts im fernen Osten zu erblicken war. Für gewöhnlich machte er diese Fußtouren in der seltsamen nächtlichen Zeit nur infolge seiner Ruhelosigkeit, welche, durch sein vagabundierendes Leben erzeugt, ihm nicht gestatten, die Morgenstunden im Bette zu verschlafen, wie es andere Leute belieben. Bei dieser Gelegenheit war er zwar nicht ohne eine besondere Absicht ausgegangen; er hatte Kirk Street nicht bloß eines gewöhnlichen Spazierganges wegen verlassen, sondern in der Absicht, klar zu denken. Denn Mats Gehirn war niemals so reich und fruchtbar an Gedanken und Mitteln, als wenn er sich frei in frischer Luft bewegte.
Kein Wort, auch nicht das unbedeutendste, war in vergangener Nacht von Zacks Lippen gefallen, das ihn nicht in dem Entschluss bestärkt hätte, Valentins Haarbracelet besitzen zu wollen; und jedes dieser Worte sollte ihm Mittel und Wege angeben, wie und auf welche Art er in dessen Besitz gelange. Die erste große Notwendigkeit, welche sich ihm bei diesem Plane aufdrängte, war, auf Mittel zu sinnen, durch welche Art des Malers Bureau geheim geöffnet werden könne. Zweitens war noch zu erdenken, wie man sich demselben wohl unbeobachtet nähern könne. Mat hatte bemerkt, dass Mr. Blyth den Bureauschlüssel an seiner Uhrkette trug, und er hatte ja auch gehört, dass er ihn in Kirk Street besuchen wolle. Am Abende der Visite musste daher zuerst das Mittel der geheimen Bureauöffnung entdeckt werden. Aber wie?
Dies war das Problem, dessen Lösung sich Mr. Marksman auf der einsamen Nachtpromenade vorgenommen hatte.
In was für eine Zahl innerlich vorbereitender Pläne und Entwürfe er sich ergangen hatte, bevor er sein gewünschtes Resultat erreichte, würde nicht leicht zu beschreiben sein. Wie gewöhnlich wanderten seine Gedanken von einem Gegenstand zum andern und dies in der irregulärsten Manier. In der Tat, sie irrten weit umher nach der neuen Welt, in verschiedenen Sagen und Geschichten, die er gehört, unter die vagabundierenden Kameraden aller Länder, mit denen er die Prärien Amerikas durchstreift hatte, und wer weiß, wo seine Phantasie noch herum schweifte. Als sein Geist aus diesen längst vergangenen Zeiten und fremden Gegenden wieder in die Gegenwart und zu den gegenwärtigen Schwierigkeiten zurückkehrte, dachte er auch an den heute Abend zu erwartenden Gast. Auch hatte er inzwischen das sich gesetzte verwickelte Problem gelöst.
Nicht ein einziges wisperndes Wort über den Plan war von Mr. Marksmans Lippen gefallen, als er sich umwandte und in dem frischen Wintermorgen wieder zur Stadt zurückkehrte. Vorsichtig wie er war, schien er doch einige Andeutungen über sein Projekt durch gewisse Handlungen zu manifestieren, als er zurückkam, oder sein Begriff der Gastfreundschaft und die hierauf bezüglichen Vorbereitungen, welche er für den Empfang Mr. Blyths machte, waren so barbarisch, extravagant und weit mehr exzentrisch, als alle seine Gedanken und Ideen zusammengenommen.
Anstatt nach Hause zu gehen, als er in Kirk Street angekommen war, ging er erst in verschiedene Läden der Nachbarschaft, um Einkäufe für die heutige Bewirtung seines Gastes zu machen. Zuerst kaufte er zwei oder drei Zitronen und dann ein Pfund Hutzucker. Soweit war sein Verhalten noch erklärlich; aber es wurde nach und nach immer unbegreiflicher, je mehr er in verschiedenen Straßen auf und abwanderte, sich beständig umblickte, vor jedem Schlosserladen und Eisenhändler stehen blieb, die darin befindlichen Personen musterte und dann mit sich beratend weiter ging. Auf diese Weise näherte er sich im Verlaufe der Zeit einer kleinen schmutzigen Reihe Häuser mit sehr übel aussehenden Bewohnern beiderlei Geschlechts, welche in abgesonderten Gruppen teils zum Fenster herausblickten, teils vor der Tür herumlungerten. Eintretend in den schmutzigen Laden eines dieser Häuser, fand er denselben geteilt in ein Lager alter rostiger Eisen- und Stahlwaren und in ein gleiches Lager mit neuen glänzenden Waren dieser Art. Hinter dem Ladentische stand ganz allein ein schmutziger buckeliger Mann und sortierte alte Nägel. Mat, welcher unbegreiflicher Weise an den respektablen Eisenläden vorübergegangen war, trat unerklärlicherweise in den unansehnlichen Schmutzladen und begrüßte den kleinen Buckeligen hinter dem Ladentische. Die Konferenz beider wurde in einem ziemlich leisen Tone geführt und endete ganz zu beiderseitiger Genugtuung; denn der schmutzige Buckelige pfiff eine Weise, während er seine Nägel weiter sortierte, und Mr. Marksman murrte zu sich selbst, als er aus dem Laden trat: »Das ist ganz recht, – recht so.«
Sein nächster Gang – Bezug habend auf den Empfang Mr. Blyths – war noch mysteriöser als der vorhergehende. Er trat in einen Spezereiladen unter dem Titel: »Italienisches Warenhaus« und kaufte ein kleines Stück gereinigtes feines Wachs! Nachdem er diesen Kauf gemacht und das Wachs in die Tasche gesteckt hatte, trat er in das öffentliche Lokal seiner Wohnung gegenüber und kaufte nicht nur eine Flasche Branntwein, sondern auch eine Flasche alten Jamaika Rum.