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Drittes Kapitel – Herr Valentin Blyth

Herrn Blyths Geschichte, obgleich sie als ein Ganzes nicht viel Außerordentliches darbietet, ist dennoch in einigen Zügen eine merkwürdige.

Weder sein Vater noch seine Mutter noch irgend einer seiner Verwandten hatten jemals die Malerkunst ausgeübt oder jemals ein besonderes Vergnügen an der Betrachtung von Gemälden gefunden. Sie waren alle achtbare Kaufleute von der soliden, auf Kapital sehenden alten Schule, lebten ausschließlich in ihrem eigenen Familienkreise und hatten niemals in ihrem ganzen Leben mit einem Künstler oder Schriftsteller gesprochen. Die City-Welt, in welcher Valentin seine Knabenzeit verlebte, war so gänzlich von jedem Kunsteinflusse entblößt, als wenn sie an der Küste von Grönland gelegen hätte, und dennoch zeichnete und malte der Bursche in jeder müßigen Stunde auf seine eigene rohe Weise zum Erstaunen aller – sehnte sich immer, in die Akademie aufgenommen zu werden – und blieb immer fest bei seinem Entschlusse, ein Maler zu werden, so oft seine Aussichten für die Zukunft am häuslichen Herde besprochen wurden.

Der alte Herr Blyth war, wie leicht erwartet werden kann, ernstlich betrübt und verlegen über die sonderbare Richtung, welche seines Sohnes Neigung genommen hatte. Niemand, selbst Valentin nicht, konnte den Ursprung dieser Neigung angeben, aber jeder konnte deutlich bemerken, dass dieselbe mit seinem Heranwachsen stärker wurde, und dass keine Hoffnung vorhanden war, ihr durch erlaubte Mittel mit Erfolg Widerstand zu leisten. Als der alte Herr dies sah, machte er wie ein kluger Mann aus der Notwendigkeit eine Tugend, gab seinem Sohne nach und ließ ihn, unter starkem kaufmännischen Protest, in der königlichen Akademie als Student aufnehmen.

Hier blieb Valentin fleißig arbeitend bis zu seinem einundzwanzigsten Geburtstage. Bei dieser Gelegenheit hatte der alte Herr Blyth eine kurze ernsthafte Unterredung über seine Aussichten im Leben mit ihm. Im Laufe dieser Unterredung wurde dem jungen Manne mitgeteilt, dass ein Onkel, ebenfalls ein Kaufmann, bereit wäre, ihn in sein Geschäft als Teilhaber aufzunehmen, und dass sein Vater ebenfalls einwilligte, ihn schon jetzt mit seinem Erbteile, welches ihm als eines seiner drei Kinder nach seinem Tode zukäme, dazu auszustatten. Wenn sich Valentin dieser Anordnung fügte, war sein Schicksal sicher gestellt, und er konnte mit seinem dreißigsten Jahre seine eigene Equipage halten. Wenn er hingegen noch beharrlich fortfuhr, ein Maler zu werden, würde sein Vater seine Wahl ungemein beklagen, da er überzeugt wäre, dass die Ausübung der Kunst eine sehr unsichere Existenz darbot, aber er wollte derselben nicht geradezu entgegen sein und ihr auch später nicht, was sich auch immer zutragen mochte, hemmend zu nahe treten.

Nachdem der freigebige alte Herr so viel gesagt hatte, fügte er noch hinzu: wenn sein Sohn wirklich willens wäre, ein solches Glück wegzuwerfen, so sollten ihm die Mittel zur Fortsetzung seiner Studien nicht kärglicher zugemessen werden. Die Zinsen seiner zukünftigen Erbschaft sollten ihm schon bei Lebzeiten seines Vaters vierteljährlich ausgezahlt werden, so dass die dem jungen Maler hierdurch unter allen Umständen sicher gestellte Rente sich auf etwas mehr als vier hundert Pfund jährlich belief.

Valentin dankte seinem Vater mit Tränen in den Augen, blieb aber bei seinem ersten Entschlusse, indem er die jetzige Gewissheit, ein reicher Mann zu werden, freudig für die Aussicht, einst ein großer Maler zu werden, opferte.

Wenn er wirklich Talent besessen hätte, so würde so weit nichts Merkwürdiges in diesem Teile seiner Geschichte gewesen sein, da er aber nicht den geringsten Funken des großen schöpferischen Genies in seinem ganzen geistigen Wesen hatte, so liegt gewiss etwas Ungewöhnliches und Unerklärliches darin, trotz aller ungünstigen häuslichen Umstände und verlockenden Versuchungen einen Mann standhaft entschlossen zu sehen, alle jene Lebenspfade zu verlassen, auf welchen er mit seinen Gefährten tüchtig gleichen Schritt hätte halten können, um jenen einen andern einzuschlagen, auf welchem ihm von der Natur vorher bestimmt war, immer zurückzubleiben. Für diese Opfer, welche beim ersten Anblick dem verhängnisvollsten Wahne der Sterblichen geweiht zu sein scheinen, gibt es sogar, wenn auch nur auf kurze Zeit, angenehme Ruheplätze auf ihrem dornigen Wege, ja selbst dann und wann Sonnenstrahlen, um die umwölkte Aussicht zu verschönern. Für den Mann, welcher geistig eines großen intellektuellen Berufs unwürdig ist, ist nicht alles Unglück und Täuschung, so lange er dessen moralisch würdig ist, und so lange er ihn ehrlich, geduldig und liebevoll, um seiner selbst willen ausüben kann. Wenn er auch noch so unbekannt in diesem Geiste sein Werk fördert, wird er in der Arbeit selbst seine größte Belohnung finden. In dieser Belohnung lebt der immer besänftigende und ewig wahre Trost, welcher heilendes Öl auf alle Wunden träufelt und ihn sanft und liebevoll an das Ende der mühevollen Reise führt, obgleich der Ruhm sich von ihm abwendet und der Überfluss mitleidlos auf der andern Seite des Weges schreitet.

So war es mit Valentin; er hatte seiner Kunst sein Glück geopfert und seine Kunst hatte ihm, wenigstens in den Augen der Welt, nichts dafür zurückgegeben. Dennoch hätte er sie nicht inniger lieben, sie nicht hoffnungsvoller pflegen, nicht stolzer und treuer an sie glauben können, wenn die königliche Akademie ihn zu ihrem Präsidenten gewählt, oder die Königin ihn zum Ritter geschlagen hätte. Durch seine Rente war er vor Armut bewahrt und folglich wurde ihm jenes bitterste Elend erspart, welches früher oder später jeden andern Mann, der weniger von den Umständen begünstigt war und einen so niedrigen Rang als er in der Kunst einnahm, niedergebeugt hätte. Dieser glücklichen Lage des Herrn Blyth wurde von einem sie begleitenden Nachteil lange und drückend das Gegengewicht gehalten.

Er arbeitete geduldig weiter, niemals den Glauben oder die Hoffnung verlierend, weil er niemals die Liebe zu seiner Kunst verlor, oder den Genuss sie zu pflegen, wie entmutigend auch immer die erzielten Resultate waren. Wie bei den meisten andern Menschen, die mit geringer Intelligenz begabt sind, waren seine Worte doch mannichfaltig. Er versuchte den überladenen und den strengen Stil, er war abwechselnd religiös, allegorisch, historisch, sentimental und humoristisch. Einmal ging er vom Portrait zur Landschaft über, bald steife Studien nach der Natur anfertigend und dann bald wieder in poetischen Auffassungen schwärmend, welche unentdeckt in mancher Sammlung als unechte Bilder von Berghem oder Claude hätten hängen können.

In welchem Kunstgenre sich Valentin aber auch abmühte, um sich auszuzeichnen, immer schien dasselbe Missgeschick über seinen Bemühungen zu schweben. Jahr um Jahr baten seine Bilder um Aufnahme in der Akademie und unabänderlich wurden ihnen, und das nicht mit Unrecht, die schlechtesten Plätze an den Wänden der Ausstellung verweigert. Von einer Ausstellung bis zur andern arbeitete er wacker weiter, niemals mutlos, niemals hoffnungslos, wenn er vor seiner Staffelei saß, bis endlich der Tag der Belohnung erschien, für den er so lange und mühevoll gestrebt hatte. Ein kleines Bild von sehr unbedeutendem Vorwurf, das Innere einer Küche mit einer listigen Katze, welche, während der Abwesenheit der Köchin die Milch vom Teebrett stiehlt, darstellend, wurde wohlwollend von dem entscheidenden Ausschusse als »zweifelhaft« bezeichnet, – im Fall es an irgend einem vergessenen Platze in der Nähe des Eingangs der Thür passen würde – passte für einen solchen Platz und wurde wirklich als Herrn Blyths kleiner Beitrag zu den tausenden von Gemälden, die in jenem Jahre von der königlichen Akademie für das Publikum ausgestellt wurden, aufgehängt. Valentins Triumph fand hier aber sein Ende noch nicht. Sein Bild wurde wirklich an den Aktionär eines Kunstvereins verkauft. Dieser aufgeklärte Kunstmäzen war der Inhaber einer Kneipe. Er hatte zehn Pfund in der großen Lotterie gewonnen, und da er sich haushälterisch entschlossen hatte, das größte Werk, welches er finden konnte, für sein Geld zu kaufen, ging er mit dem Zollstab eines Zimmermannes umher, alle Bilder, welche um zehn Pfund verkauft werden sollten, auszumessen. Der »Jesuit in der Familie,« wie Blyths Bild genannt wurde, bot in dieser Hinsicht einen köstlichen Kauf dar und wurde folglich von jenem Beschützer der schönen Künste angekauft. Einmal mit einer Zehnpfundnote versehen, welche er mit seinem eigenen Pinsel verdient hatte, trotzte er heiter allen schmähenden Meinungen und allen ihm mit Unverschämtheit ihren Rat erteilenden Freunden. Er schwärmte in der übertriebensten Weise von künftiger Berühmtheit und künftigem Reichtum und bewies, sorglos genug, dass er so fest als irgend ein anderer Phantast an die ausschweifendsten Träume seiner Phantasie glaubte, dadurch, dass er heiratete und sich in großem Stil einrichtete, gestützt auf den glänzenden Erfolg, welchen er durch seinen »Jesuiten in der Familie« davongetragen hatte.

Er war seit einiger Zeit mit der Dame verlobt gewesen, die jetzt Madame Blyth geworden war. Sie war die jüngste von acht Schwestern, welche einen Teil der Familie eines armen Kupferstechers bildeten, die zwar arm an Geld, aber an prächtig tönenden Vornamen sehr reich waren. Madame Blyth hieß Lavinia-Ada, und dies war der bescheidenste Name unter den Schwestern. Valentins Verwandte widersetzten sich nachdrücklich dieser Partie, nicht bloß wegen der Armut der Braut, sondern aus einem andern und sehr ernstem Grunde, welcher sich durch die Ereignisse bald als nur zu. wohlbegründet herausstellte. Lavinia hatte als Kind lange und schmerzhaft an einer Rückenmarkskrankheit gelitten. Beständige Aufmerksamkeit und ein ärztlicher Beistand, wie ihn ihr Vater schaffen konnte, hatten, scheinbar erfolgreich die Krankheit bekämpft; das Mädchen wuchs hübscher als alle ihre Schwestern heran und anscheinend fast ebenso stark wie die gesündeste von ihnen. Als der alte Blyth jedoch hörte, dass sein Sohn jetzt gerade so entschlossen war, zu heiraten, als er es früher gewesen war, ein Maler zu werden, hielt er es für ratsam, gewisse Erkundigungen über die Konstitution der jungen Dame einzuziehen, und wandte sich mit der ihm eigenen Vorsicht in geheimer Unterredung an den Hausarzt der Familie. Das Resultat dieser Konferenz war durchaus nicht zufriedenstellend. Der Doktor hütete sich sorgfältig, sich irgendwie zu kompromittieren; er sagte, hoffentlich sei keine Gefahr für das Rückenmark mehr vorhanden, aber er könne nicht mit gutem Gewissen seine Meinung dahin abgeben, dass er davon vollkommen überzeugt sei. Nachdem der alte Herr Blyth seinem Sohne diese trostlosen Worte wiederholt hatte, fragte er ihn zartfühlend und bedächtig, aber geradeheraus, ob er nach einem solchen Ausspruche des Arztes noch ehrlich glaube, seine eigene Glückseligkeit oder diejenige der jungen Dame in Betracht zu ziehen, wenn er sie überhaupt heirate?

Valentin wollte wie gewöhnlich zuerst nur ausschließlich die gute Seite der Frage betrachten und legte auf des Doktors Autorität wenig Gewicht. Da er aber von seinem Vater gedrängt wurde, die Sache ebensowohl von der schlechtesten als von der besten Seite zu betrachten, antwortete er entschlossen, dass er, was immer sich ereignen möge, entschlossen sei, sein Lavinia gegebenes Versprechen zu der Zeit, welche sie schon für ihre Hochzeit bestimmt, zu erfüllen.

»Lavinia und ich lieben einander zärtlich«, sagte Valentin mit zitternder Stimme, aber mit vollkommener Festigkeit in seinem Benehmen. »Ich hoffe zu Gott, dass das, was man zu befürchten scheint, niemals eintreffen wird, sollte es aber der Fall sein, so werde ich niemals bereuen, sie geheiratet zu haben; denn ich weiß, dass ich ebenso bereit bin, ihr Pfleger als ihr Gatte zu sein.« Was konnte der alte Blyth, was konnte irgend ein Mann von Gefühl und Ehre einer solchen Antwort entgegen setzen? Nichts. Die Heirat fand statt und Valentins Vater bemühte sich sehr, aber nicht ganz vergebens, künftigen Resultaten ganz so hoffnungsvoll wie Valentin selbst entgegen zu sehen.

Mehrere Monate lang erfüllte die Glückseligkeit des Malers und seiner Frau mehr als die glänzendsten Hoffnungen, welche sie als Brautpaar gehegt hatten. An des Doktors warnende Worte wurde kaum gedacht. Die Zeit der Tränen aber und des bittern Kummers, welche sie zu erwarten hatten, nahte unaufhaltsam, sogar zu der Zeit, wo sie noch leichtsinnig über alle ärztliche Autorität an dem häuslichen Herde des Malers scherzten. Lavinia erkältete sich. Die Erkältung ging in Rheumatismus, Fieber, dann in allgemeine Schwäche und endlich in nervöse Anfälle über – eine jede dieser Krankheiten waren wirklich nur so viele unerkannte Erscheinungen, unter welchen die schreckliche Rückenmarkskrankheit verräterisch und schleichend maskiert daherschritt.

Als die ersten positiven Symptome erschienen, benahm sich der alte Herr Blyth mit seiner ganzen gewöhnlichen Großmut gegen seinen Sohn. »Meine Börse ist die deinige, Valentin«, sagte er; »öffne sie. wenn du willst, und besorge für Lavinia, so lange noch eine Aussicht für sie ist, denselben ärztlichen Beistand und dieselben Arzneien, als wenn sie die größte Herzogin im Lande wäre.« Des alten Mannes liebevoller Rat wurde liebevoll befolgt. Die berühmtesten Ärzte in England erteilten Lavinia ihren Rath, jedoch so weit als die menschliche Wissenschaft die Ereignisse vorhersagen konnte, war es Mistress Blyth, nach der Meinung aller ihrer ärztlichen Ratgeber, bestimmt, für den Rest ihres Lebens nie wieder von dem Bette, worauf sie lag, aufzustehen, außer vielleicht einmal nach dem Sofa getragen, oder, wenn irgendeine günstige Krise eintrat, gelegentlich in einem Krankenstuhle umher gefahren zu werden.

Welch ein Schlag diese Nachricht für den Gatten und die Frau war, das erfuhr niemand; sie hielten es sogar selbst voreinander geheim. Frau Blyth gewann zuerst ihren Mut und ihre Ruhe wieder; sie bat es sich als eine besondere Gunst aus, dass Valentin da Trost suchen solle, wo sie wusste, dass er ihn früher oder später finden würde: indem er in seinem Atelier seine herkömmlichen Arbeiten wieder aufnehme, welche, seitdem ihre Krankheit wirklich erkannt worden war, eine Unterbrechung erlitten hatten.

Am ersten Tage, als er ihren Wünschen sich fügend wieder vor seinem Bilde saß – vor dem halb vollendeten Bilde, von dem er so viele Monate getrennt worden war – an jenem ersten Tage, als die freundliche Beschäftigung seines Lebens ihm plötzlich fremd vorkam, wenn er seinen Pinsel träge in die Farben tauchte und seine Tränen jedes Mal schnell auf die Palette fielen, so oft er auf sie hernieder blickte, wenn er versuchte, emsig wie gewöhnlich zu arbeiten, nur auf eine halbe Stunde, an einer einfachen Staffage im Bilde, und dennoch der Pinsel falsche Striche machte und die Farbentöne nicht harmonieren wollten und dieselben Worte immer wiederholt von seinen Lippen fielen: »O arme Lavinia, o arme, liebe Lavinia« – sogar dann war der Geist jener geliebten Kunst, welcher er immer so demütig und gläubig gedient hatte, getreu ihrem göttlichen Berufe und tröstete ihn und hielt ihn aufrecht im letzten bittersten Augenblicke, als er seine Palette verzweifelt niederlegte.

Während er noch sein Gesicht vor dem nämlichen Bilde verbarg, welches er und seine Frau einst harmlos und heimlich zusammen gerühmt hatten, in jenen glücklichen Tagen seines Entstehens, welche niemals zurückkehren sollten, belebte der Gedanke des Trostes plötzlich sein Herz wieder und zeigte ihm, wie er sein ganzes späteres Leben mit der unvergänglichen Schönheit eines reinen und edeln Zweckes schmücken könne. Von dieser Zeit an nahmen seine eiteln Träume von Ruhm und von reichen Leuten, welche sich untereinander um den Besitz seiner Bilder stritten, den zweiten Platz in seinem Herzen ein, und an ihrer Stelle entstand der neue Entschluss, dass er mit seinem eigenen Pinsel, ohne das Opfer zu beachten, welches er seinem Stolze und seinem Ehrgeize bringen musste, ganz allein die Mittel verdienen wollte, um seine kranke Frau mit allem Luxus und aller Eleganz zu umgeben, welche er mit seinem eigenen kleinen Vermögen nicht herbeizuschaffen im Stande war und welche er, von dem feinen ihm innewohnenden Zartgefühle zurückgehalten, von der Großmut seines Vaters nicht als Geschenk annehmen wollte. Dies war das tröstende Vorhaben, welches der Trübsal die Hälfte der Bitterkeit nahm und ihn und seine Kunst durch ein Band vereinigte, welches heiterer war als irgend ein anderes, das früher sie verbunden hatte. In der nämlichen Stunde, als er diesen Gedanken fasste, stand er ohne Bangen auf, um sein großes historisches Bild, von dem er einst so viel gehofft hatte, mit der Rückseite an die Wand zu stellen, und setzte sich nieder, um eine unbedeutende kleine Skizze eines Bauernhofes zu vollenden, die er sicher an einen befreundeten Kunsthändler verkaufen konnte. Die erste Wiederkehr der Glückseligkeit, welche ihn schon seit langer Zeit geflohen, empfand er an dem Abend jenes Tages, als er bei seiner Lavinia saß und, sein Vorhaben vom heutigen Morgen geheim haltend, seiner kranken Frau trotz ihrer Leiden ein Lächeln abgewann, als er sie fragte, wie sie ihr Zimmer möbliert zu haben wünschte, wenn sie die Gemahlin eines großen Lords statt der bloßen Frau des Herrn Valentin Blyth wäre?

Hierauf kam der glückliche Tag, wo das Geheimnis enthüllt wurde, und dann die angenehmen Jahre, wo die glänzendsten Träume von aristokratischem Luxus der Frau Blyth nach und nach durch die Anstrengungen ihres Mannes durch seine Knust verwirklicht wurden. Seiner Frau zuliebe wäre Valentin in die Gefahr geraten, die hohe Kunst und die klassische Landschaft aufzugeben, um billige Portraits, billige Kopien und billige Skizzen des Stilllebens zu malen. Aber Frau Blyth, bettlägerig wie sie war, fuhr fort, allen ihren alten Einfluss für das Atelier zu bewahren und wollte für ihr Zimmer nichts Neues verlangen oder annehmen, ausgenommen unter der Bedingung, dass ihr Gatte wenigstens jedes Jahr ein Bild der hohen Kunst malen sollte, um sein Talent und seinen Ruf in den Augen des Publikums zu behaupten. Auf diese Weise war Herrn Blyths Zeit ziemlich gleichmäßig in das Anfertigen von großen unverkäuflichen Bildern, welche in der Ausstellung immer nicht sehr weit von der Decke, und kleinerer verkäuflicher Bildchen, welche stets nicht weit vom Fußboden gehängt wurden, geteilt. Valentins Einkünfte, welche er durchschnittlich erzielte, reichten, obgleich sie keinen großen Ertrag abwarfen, vollkommen hin, sein Lieblingsvorhaben, wozu sie bis zum letzten Heller gewissenhaft zurückgelegt wurden, auszuführen. »Lavinias Gesellschaftszimmer« (dies war der Name, den Herr Blyth dem Schlafzimmer seiner Frau beilegte) sah wirklich so schön und glänzend aus als irgendein königliches Zimmer auf der Welt. Die seltensten Blumen, die schönsten kleinen Blumengärten unter Glas, Gläser mit Gold- und Silberfischen darin, ein prächtiger Käfig mit Vögeln, eine Aeolsharfe, die man im Sommer auf die Fensterpfosten setzen konnte, einige von Valentins besten Zeichnungen nach alten Meistern, zierlich eingerahmte Preisabdrücke von Kupferstichen, die von dem Vater der Frau Blyth angefertigt waren, Gardinen und Tapeten von der zartesten Farbe und dem zartesten Gewebe, Mosaiktische und köstlich geschnitzte Bücherschränke befanden sich unter den verschiedenen Luxusgegenständen und Zimmergerätschaften, die Herr Blyth im Laufe der Jahre durch seinen Fleiß für das Vergnügen seiner Frau anzuschaffen im Stande war. Niemand als er selbst wusste, was er bei der Arbeit geopfert hatte, um diese Dinge zu erwerben. Die herzlosen Leute, deren Portraits er gemalt und deren Unverschämtheit er geduldig ertragen hatte, die geizigen Händler, welche ihn wie einen gemeinen Trödler behandelt hatten, die feigen Geschäftsleute, welche ihren Stand entehrt hatten, indem sie auf gemeine Weise von seinem schlichten Wesen Vorteil zogen, – wie hart und grausam waren solche Insektennaturen dieser Welt mit diesem edeln Herren umgegangen, wie verächtlich hatten sie ihren kleinen Wespenstachel in jene große Seele getaucht, die sie niemals unterjochen konnten.

Nein, diese Seele konnte nicht bezwungen, nicht getrübt werden; alle kleinlichen Demütigungen wurden durch einen Blick auf Lavinias »Gesellschaftszimmer« vergessen!

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Litres'teki yayın tarihi:
06 aralık 2019
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