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Kitabı oku: «Maaß für Maaß», sayfa 2

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Zweyter Aufzug

Erste Scene

(Der Palast.)

(Angelo, Escalus, ein Richter, Bediente.)

Angelo. Wir müssen kein Schrek-Bild aus dem Gesez machen, das, die Raubvögel zu verscheuchen, aufgestellt wird; und ihm so lang einerley Gestalt lassen, bis die Gewohnheit macht, das sie sich darauf sezen, anstatt davor zu fliehen.

Escalus. Auch ist mein Rath, nur in diesem Fall einige Nachsicht verwalten zu lassen. Ach! der junge Mann den ich retten wollte, hatte einen sehr edeln Vatter. Ich halte Euer Gnaden für einen Mann von strenger Tugend; aber möchtet ihr die Ueberlegung machen, ob ihr selbst, wenn Zeit und Gelegenheit euerm Wunsch oder dem Trieb des feurigen Blutes günstig gewesen wäre, ob ihr nicht selbst in gewissen Augenbliken euers Lebens, in eben diesem Punct, weßwegen ihr ihn strafen wollt, gefehlt und das Gesez wider euch gereizt hättet.

Angelo. Ein anders ist, versucht werden, Escalus, ein anders, fallen. Ich läugne nicht, daß unter den zwölf Geschwornen, die über eines Gefangnen Leben sprechen sollen, einer oder zween seyn können, die noch grössere Diebe sind, als der den sie verhören. Die Gerechtigkeit straft nur die Verbrechen, die ihr bekannt sind. Was weiß das Gesez davon, daß Diebe über Diebe urtheilen? Es ist natürlich, daß wir bey einem Edelstein, den wir finden, still stehen und ihn aufheben, weil wir ihn sehen; aber wenn wir ihn nicht sehen, so treten wir auf ihn und denken nicht daran. Ihr könnt sein Vergehen dadurch nicht verringern, daß ihr voraussezt, ich habe auch solche Fehler machen können; aber dann, wenn ich, der ihn bestraft, mich würklich so vergehe, dann redet, und laßt mein eignes Urtheil mir den Tod zu erkennen. Mein Herr, er muß sterben! (Der Kerkermeister zu den Vorigen.)

Escalus.

So sey es, wie eure bessere Einsicht es will.

Angelo.

Wo ist der Kerkermeister?

Kerkermeister.

Hier, zu Euer Gnaden Befehl.

Angelo.

Sorget dafür, daß Claudio bis morgen um neun Uhr gerichtet werde.

Bringt ihm seinen Beichtiger, laßt ihn vorbereitet werden; denn diese Zeit ist alles, was er noch zu leben hat.

(Kerkermeister geht ab.)

Escalus (vor sich.) Gut, der Himmel verzeihe ihm! und verzeih' uns allen! Einige steigen durch Sünde, andre fallen durch Tugend: Einige überwälzen sich in Lastern, und werden nur nicht zur Rede gestellet; andre müssen für einen einzigen Fehltritt die Straffe des grösten Verbrechens leiden.

Zweyte Scene

(Ellbogen, Schaum, Harlequin und Gerichtsdiener.)

Ellbogen. Kommt, führt sie her; wenn das nüzliche Leute im gemeinen Wesen sind, die nichts thun, als das Pflaster treten, und in H** Häusern herumschwärmen, so versteh ich nichts vom Gesez. Führt sie her.

Angelo.

Was giebts, mein Herr? Wie heißt ihr? Wovon ist die Rede?

Ellbogen. Mit Euer Gnaden Erlaubniß, ich bin des armen Herzogs Policey- Aufseher in diesem Quartier, und mein Name ist Ellbogen. Ich appelliere an die Justiz, und bringe hier vor Euer Gnaden ein paar notorische Beneficanten.

Angelo.

Beneficanten? Was haben sie denn Gutes gethan? Du willt Maleficanten sagen, vermuthlich.

Ellbogen. Euer Gnaden nehmen mir nicht übel, ich weiß nicht wer sie sind; aber ausgemachte Buben sind es, das weiß ich gewiß, und leer an aller Profanation, welche gute Christen haben sollten.

Escalus.

Das geht gut; das ist ein weiser Official.

Angelo. Zur Sache; von was für einer Gattung Leute sind sie? Ellbogen heißt ihr? Warum redst du nicht, Ellbogen?

Harlequin.

Er kan nicht, Gnädiger Herr; er hat ein Loch im Ellbogen.

Angelo.

Wer seyd ihr, Monsieur?

Ellbogen. Er? Ein Bierzapfer, Gnädiger Herr, ein Schlingel von einem H** Wirth, einer der bey einem übelberüchtigten Weibsbild in Diensten ist; dessen Haus, Gnädiger Herr, wie die Leute sagen, in den Vorstädten nieder gerissen worden ist. Izt hält sie ein Badhaus, welches, denk ich, wohl so gut oder nicht besser seyn wird, als ein H** Haus.

Escalus.

Woher wißt ihr das?

Ellbogen.

Mein Weib, Gnädiger Herr, die ich vorm Angesicht des Himmels und Euer Gnaden detestire —

Escalus.

Wie? dein Weib?

Ellbogen.

Ja, Gnädiger Herr, Gott sey Dank, sie ist ein ehrliches Weib —

Escalus.

Und darum detestirst du sie?

Ellbogen.

Ich sage Gnädiger Herr, ich detestire mich selbst sowohl als sie, daß dieses Haus, wenn es nicht ein H** Haus ist, so daurt mich ihr Leben, denn es ist ein schlimmes Haus.

Escalus.

Und woher weist du es denn?

Ellbogen.

Sapperment, Gnädiger Herr, von meinem Weib, die, wenn sie ein Weib wäre, das den cardinalischen2 Lüsten nachhienge, in diesem Haus in Hurerey, Ehebruch, und alle Unreinigkeit hätte gerathen können.

Escalus.

Durch dieser Frauen Vorschub?

Ellbogen. Ja, Gnädiger Herr, durch Frau Overdons Vorschub; aber sie spie ihm ins Gesicht, wie er sie —

Harlequin.

Mit Euer Gnaden Erlaubniß, es ist nicht so.

Ellbogen.

Beweis es, beweis es vor diesen Schurken, du Ehrenmann! beweis es.

Escalus.

Hört ihr, wie er sich verspricht?

Harlequin. Gnädiger Herr, sie gieng mit dem Kind als sie in unser Haus kam, und hatte (mit Respect vor Euer Gnaden zu sagen) einen Gelust nach gebratnen Pflaumen; Gnädiger Herr, wir hatten nur zwey im Hause, und die lagen zu eben derselben Zeit, wie das begegnete, in einem Confect-Teller, einem Teller für drey oder vier Groschen; Euer Gnaden haben wol auch solche Teller gesehen, es sind keine Porcellan-Teller, aber sehr gute Teller.

Escalus.

Weiter, weiter, es ist am Teller nichts gelegen —

Harlequin. Nein, in der That nicht, Gnädiger Herr, in diesem Stük hat Euer Gnaden recht: Aber zur Sache zu kommen; wie ich sagte, diese Madam Ellbogen gieng mit dem Kind, und hatte, wie ich sagte, schon einen ziemlich grossen Bauch, und gelüstete, wie ich sagte, nach Pflaumen, und es waren nur noch zwey auf dem Teller, wie ich sagte; denn dieser Herr von Schaum hier, dieser Junker, der hier steht, hatte die übrigen gegessen, wie ich sagte, und er bezahlte sie ehrlich, das muß ich sagen; denn, wie ihr wißt, Junker Schaum, ich konnte euch nicht drey Kreuzer herausgeben —

Schaum.

Nein, in der That.

Harlequin. Das muß wahr seyn; ihr waret eben daran, wenn ihr euch noch erinnert, die Steine von den vorbesagten Pflaumen aufzuknaken.

Schaum.

Ja, das that ich, in der That.

Escalus.

Fort, ihr seyd ein langweiliger Narr, zur Sache; was that man denn Ellbogens seinem Weib, daß er Ursach zu klagen hat? Kommt auf das, was man ihr that.

Harlequin.

Gnädiger Herr, Euer Gnaden kan noch nicht auf das kommen.

Escalus.

Das ist auch nicht meine Absicht.

Harlequin. Aber Euer Gnaden soll darauf kommen, mit Euer Gnaden Erlaubniß; und ich bitte euch, sehet einmal diesen Junker Schaum an, Gnädiger Herr, einen Mann von achtzig Pfund Renten des Jahrs, dessen Vater an aller Heiligen Tag gestorben ist. War es nicht aller Heiligen Tag, Junker Schaum?

Schaum.

Aller Heiligen Abend.

Harlequin. Gut, gut; ich hoffe, das ist ein Mann dem man glauben muß. Er saß eben, Gnädiger Herr, wie ich sagte, in einem niedern Sessel, Gnädiger Herr; es war in der Traube, wo ihr in der That so gerne zu sizen pflegt; nicht wahr?

Schaum.

Es ist so, weil es eine hübsche offne Stube ist, und gut für den Winter.

Harlequin.

Das heißt gesprochen, wie es sich gehört; ich hoffe, hier ist ein Mann, der Glauben finden wird.

Angelo. Das wird eine Rußische Nacht auswähren, wenn die Nächte am längsten sind. Ich will mich beurlauben und es euch überlassen, die Sache zu untersuchen, in der Hoffnung, ihr werdet gute Ursache finden, ihnen allerseits den Staupbesen geben zu lassen.

(Geht ab.)

Dritte Scene

(Die Vorigen.)

Escalus.

Nun, Monsieur, zur Hauptsache; was that man Ellbogens Weib?

Harlequin.

Was man ihr that, Gnädiger Herr? Nichts, gar nichts, mit Euer Gnaden Erlaubniß.

Ellbogen. Ich bitte Euer Gnaden, fragt ihn, was dieser Mann hier meinem Weibe gethan hat?

Harlequin.

Ich bitte Euer Gnaden, fragt mich.

Escalus.

Gut, Herr, was that ihr dann dieser Edelmann?

Harlequin.

Ich bitte Euer Gnaden, schauet diesem Edelmann ins Gesicht; Junker Schaum, sehet den Gnädigen Herrn an; es geschieht aus keiner bösen Absicht; beobachtet Euer Gnaden seine Physionomie?

Escalus.

Ja, Herr, sehr wohl.

Harlequin.

Nun, ich bitte euch, beobachtet es nur wol.

Escalus.

Das thu ich.

Harlequin.

Kan Euer Gnaden etwas gefährliches darinn entdeken?

Escalus.

Nein.

Harlequin.

Nun will ich auf ein Buch schwören, daß sein Gesicht das schlimmste Ding an seiner ganzen Person ist; wohlan dann, wenn sein Gesicht das schlimmste an ihm ist, wie konnte Jkr. Schaum des Ellbogens Weib etwas zuleide thun? Das möcht ich von Euer Gnaden hören.

Escalus.

Er hat recht; Herr Commiß, was sagt ihr dazu?

Ellbogen. Fürs Erste, so ist das Haus, mit Euer Gnaden Erlaubniß, ein respectirtes Haus; Zweytens, ist das ein respectirter Bursche, und seine Frau ein respectirtes Weib.

Harlequin.

Bey dieser Hand, Gnädiger Herr, sein Weib ist die respectirteste Person unter uns allen.

Ellbogen. Schurke, du lügst; du lügst, du Schurke du; die Zeit soll noch kommen, da sie jemals mit einem Mann, Weib oder Kind respectirt gewesen —

Harlequin.

Gnädiger Herr, er war mit ihr respectirt; eh er sie heurathete.

Escalus.

Ist das wahr, Ellbogen?

Ellbogen. O du Galgenschwengel! o du Schurke! du gottloser Hannibal! Ich, respectirt mit ihr, eh ich sie heurathete? Wenn ich jemals mit ihr respectirt war, oder sie mit mir, so soll Euer Gnaden mich nicht für des armen Herzogs Beamten halten; beweis es, du verruchter Hannibal, oder ich will eine Injurien-Actie gegen dich anstellen. Was ist Euer Gnaden Befehl, daß ich mit diesem gottlosen Galgenbuben anfangen soll?

Escalus. Im Ernst, Herr Commiß, weil er ein und anders angestellt hat, das du gern entdeken möchtest wenn du könntest, so laß ihn seinen Weg fortgehen, bis du weist was es ist.

Ellbogen. Sapperment; ich danke Euer Gnaden davor; da siehst du, du leichtfertiger Schurke, wo es mit dir hinkommt; du darfst nur so fortmachen, du Schurke, du darfst nur so fortmachen —

Escalus (zu Schaum.)

Wo seyd ihr gebohren, guter Freund?

Schaum.

Hier, in Wien.

Escalus.

Habt ihr achtzig Pfund Renten, Herr?

Schaum.

Ja, mit Euer Gnaden Erlaubniß.

Escalus.

So.

(Zum Harlequin)

was ist eure Profession, Meister —

Harlequin.

Ein Bierzapfer, einer armen Wittfrauen Bierzapfer.

Escalus.

Wie heißt eure Frau?

Harlequin.

Frau Overdon.

Escalus.

Hat sie mehr als einen Mann gehabt?

Harlequin.

Neune, Gnädiger Herr, Overdon war der lezte.

Escalus. Neune? tretet näher her, Junker Schaum; Junker Schaum, ich sehe nicht gerne daß ihr mit Bierzapfern so wohl bekannt seyd; sie zapfen euch euer Geld ab, Junker Schaum, und ihr bringt sie an den Galgen. Gehet euers Weges, und laßt mich nichts mehr von euch hören.

Schaum.

Ich danke Euer Gnaden; ich für meinen Theil bin noch nie in keiner Bierschenke gesessen, da ich nicht hineingezogen worden wäre.

Escalus. Genug, und nichts weiter mehr von dieser Art, Junker Schaum, gehabt euch wohl. —

(Schaum geht ab.)

Vierte Scene

Escalus.

Kommt zu mir her, Meister Bierzapfer, wie ist euer Name, Meister Bierzapfer?

Harlequin.

Pompey.

Escalus. Meister Pompey, ihr seyd ein Stük von einem H** Wirth, ob ihr es gleich hinter dem Bierzapfer versteken wollt. Seyd ihr's nicht? Kommt, sagt mir die Wahrheit, es wird euch nicht desto schlimmer gehen.

Harlequin. In gutem Ernst, Gnädiger Herr, ich bin ein armer Kerl, der gerne leben möchte.

Escalus.

Wie wollt ihr leben, Pompey? Von der H** Wirthschaft? Was dünkt euch zu dieser Handthierung? Ist es eine gesezmäßige Begangenschaft?

Harlequin.

Wenn das Gesez sie gestattet, Gnädiger Herr.

Escalus. Aber das Gesez gestattet sie nicht, Pompey; dazu soll es in Wien nimmermehr kommen.

Harlequin. Hat Euer Gnaden vielleicht im Sinn, alle jungen Leute in der Stadt verschneiden zu lassen?

Escalus.

Nein, Pompey.

Harlequin. Wahrhaftig, gnädiger Herr, so werden sie nach meiner einfältigen Meynung nicht davon abzuhalten seyn; wenn Euer Gnaden den H** und den lüderlichen Mannsleuten wehren wird, so habt ihr nicht nöthig die Kuppler und Kupplerinnen zu fürchten.

Escalus.

Dafür sind hübsche Anstalten im Werk; es ist nur um Köpfen und Hängen zu thun.

Harlequin. Wenn ihr nur zehn Jahre nach einander alle die sich in diesem Stüke verfehlen, köpfen und hängen lassen wollt, so werdet ihr in Zeiten Commißion für mehr Köpfe geben müssen; wenn dieses Gesez zehen Jahre in Wien gehalten wird, so will ich das schönste Haus in der Stadt das Stokwerk für drey Kreuzer miethen; wenn ihr so lang lebt, das zu erleben, so sagt, Pompey hab es euch vorher gesagt.

Escalus. Grossen Dank, Pompey, und, um eure Propheceyung zu erwiedern, so sag ich euch hiemit gleichfalls, laßt mich keine Klage mehr wider euch hören, worüber es seyn mag, auch nicht über längern Aufenthalt in dem Hause, wo ihr gewesen seyd; hör ich das mindeste, Pompey, so will ich euch in euer Lager zurük schlagen, und ein strenger Cäsar gegen euch seyn; aufrichtig zu sprechen, Pompey, ihr hättet verdient, daß ich euch ein wenig abpeitschen liesse; und hiemit, Pompey, gehabt euch für dißmal wohl.

Harlequin. Ich danke Euer Gnaden für den guten Rath; ich werde ihm folgen, wie das Schiksal, und Fleisch und Blut es erlauben werden —

(für sich)

Sapperment! Ein dapfrer Mann läßt sich nicht sogleich aus seinem Handwerk peitschen.

(Geht ab.)

Fünfte Scene

Escalus. Kommt zu mir hieher, Meister Ellbogen; kommt her, Herr Commis; wie lang ist es, daß ihr dieses Amt in euerm Quartier verwaltet?

Ellbogen.

Sieben und ein halb Jahr, Gnädiger Herr.

Escalus. Ich dachte, nach euerer Fertigkeit in diesem Amte zu urtheilen, ihr hättet es schon eine gute Zeit getrieben. Sieben ganze Jahre, sagt ihr?

Ellbogen.

Und ein halbes, Gnädiger Herr.

Escalus. Es wird euch viele Mühe gemacht haben, mein guter Mann; sie meynen es nicht gut mit euch, daß sie euch so oft dazu anstrengen; hat es denn keine Leute in euerm Kirchspiel, die im Stande wären es zu versehen?

Ellbogen. Mein Treu, Gnädiger Herr, nicht viele die den Verstand zu solchen Geschäften haben; wenn sie gewählt werden, so ist es ihnen immer eine Gefälligkeit, wenn ich den Dienst für sie versehe; sie bezahlen mich dafür, und so trag ich eben das Amt für alle.

Escalus. Seht ihr, bringt mir die Namen von sechs oder sieben, die die tauglichsten in euerm Kirchspiel sind.

Ellbogen.

In Euer Gnaden Haus?

Escalus.

In mein Haus; behüt euch Gott.

(Ellbogen geht ab.)

(Zum Richter.)

Wie viel denkt ihr daß die Gloke ist?

Richter.

Eilfe, Gnädiger Herr.

Escalus.

Ich bitte euch, kommt mit mir zum Mittag-Essen.

Richter.

Ich danke euer Gnaden unterthänig.

Escalus. Ich kränke mich herzlich über Claudios Tod; aber es ist nicht zu helfen.

Richter.

Der Freyherr Angelo ist streng.

Escalus.

Es ist nur allzu nöthig; Güte hört auf es zu seyn, wenn sie immer die gleiche Mine macht; und Nachsicht ist allemal die Mutter neuer Verbrechen. Und doch – armer Claudio! Es ist nicht zu helfen! —

Folget mir, mein Herr.

(Gehen ab.)

Sechste Scene

(Der Kerkermeister, ein Bedienter.)

Bedienter. Er giebt nur einer Partey Gehör; er wird gleich kommen: Ich will ihm sagen, daß ihr hier seyd.

Kerkermeister. Ich bitte euch, thut es; ich möchte wissen, was sein Wille ist; vielleicht ihn wieder frey zu lassen – Ach! Er hat kaum mehr als in einem Traum gesündiget; alle Stände, alle Alter riechen nach diesem Laster – und er soll dafür sterben. (Angelo zu den Vorigen.)

Angelo.

Nun, was giebt es, Kerkermeister?

Kerkermeister.

Ist es Euer Gnaden Wille, daß Claudio morgen sterben solle?

Angelo. Sagt' ich dir nicht schon, ja? Hast du nicht Befehl? Wozu brauchst du noch einmal zu fragen?

Kerkermeister. Aus Furcht, ich möchte zu rasch seyn. Mit Euer Gnaden Erlaubniß, ich habe den Fall schon erlebt, da der Richter nach der Vollziehung sein Urtheil gerne wiederruffen hätte.

Angelo.

Thu du deine Pflicht, und laß das meine Sorge seyn; thu deine Pflicht, oder gieb dein Amt auf; und es soll dir keine Mühe mehr gemacht werden.

Kerkermeister. Ich bitt' unterthänig um Verzeihung, Gnädiger Herr – Und was soll ich mit der winselnden Juliette anfangen? Sie ist ihrer Entbindung sehr nahe.

Angelo.

Bringe sie an einen bequemem Ort, und das unverzüglich.

Der Bediente. Gnädiger Herr, hier ist die Schwester des verurtheilten Manns, und bittet vor Euer Gnaden gelassen zu werden.

Angelo.

Hat er eine Schwester?

Kerkermeister.

Ja, Gnädiger Herr, eine sehr tugendhafte junge Person, die im Begriff ist eine Klosterfrau zu werden, wenn sie es nicht schon ist.

Angelo.

Gut; laß sie herein kommen.

(Bedienter geht ab.)

Sorgt ihr davor, daß die Hure in einen andern Ort gebracht werde; laßt ihr bloß die nothdürftige, und keine überflüssige Unterhaltung geben; es soll Befehl deshalb ertheilt werden.

Siebende Scene

(Lucio und Isabella, zu den Vorigen.)

(Kerkermeister will abtreten.)

Angelo.

Bleibt noch ein wenig —

(Zu Isabella.)

Seyd willkommen; was ist euer Begehren?

Isabella. Ich bin eine bekümmerte Person, die eine Bitte an Euer Gnaden thun möchte, wenn es euch gefiele mich anzuhören.

Angelo.

Gut; was ist eure Bitte?

Isabella. Es ist ein Laster, das ich von Herzen verabscheue; das ich gestraft zu sehen wünsche, und für welches ich keine Fürbitte thun würde, wenn ich nicht müßte.

Angelo.

Gut, zur Sache.

Isabella. Ich habe einen Bruder der zum Tod verurtheilt ist; ich bitte euch, laßt das Urtheil auf sein Verbrechen, und nicht auf meinen Bruder fallen.

Kerkermeister (leise.)

Der Himmel gebe dir die Gnade, ihn zu rühren;

Angelo.

Das Verbrechen verurtheilen, und nicht den Thäter? Ein jedes Verbrechen ist schon verurtheilt, eh es gethan wird. Was würde mein Amt seyn, wenn ich die Verbrechen fände, deren Strafe die Geseze bestimmt haben, und die Thäter gehen liesse?

Isabella.

O! allzugerechtes wiewohl strenges Gesez! – Ich habe also keinen Bruder mehr —

(Sie will fortgehen.)

Lucio (leise.) Gebt nicht so gleich auf; versucht es noch einmal, bittet ihn, fallt auf die Knie, hängt euch an seinen Rok; ihr seyd zu kalt; wenn ihr eine Steknadel nöthig hättet, könntet ihr sie mit keiner gleichgültigern Art verlangen. Noch einmal an ihn, sag' ich.

Isabella (zu Angelo.)

Muß er denn nothwendig sterben?

Angelo.

Mädchen, dafür ist kein Mittel.

Isabella.

Ey ja, ich denke ihr könntet ihm Gnade widerfahren lassen; weder der Himmel noch die Menschen mißbilligen es, wenn man Gnade vor Recht gehen läßt.

Angelo.

Ich will aber nicht.

Isabella.

Könntet ihr, wenn ihr wolltet?

Angelo.

Seht, was ich nicht will, das kan ich auch nicht.

Isabella. Aber könntet ihr es thun, ohne daß die Welt einen Schaden davon hätte, wenn euer Herz das Mitleiden des meinigen gegen ihn fühlte?

Angelo.

Sein Urtheil ist gesprochen; es ist zu spät.

Lucio (leise.)

Ihr seyd zu kalt.

Isabella. Zu spät? Warum? nein; ich kan ja ein Wort wiederruffen, das ich gesprochen habe: Glaubet nur, den König ziert seine Crone, den Statthalter sein Schwerdt, den Marschall sein Stab, und den Richter sein Rok nicht halb so sehr als Gnade; wäret ihr an seinem Plaze gewesen und er an euerm, ihr würdet gestrauchelt haben, wie er; aber er würde nicht so strenge gewesen seyn.

Angelo.

Ich bitte euch, geht.

Isabella. Wollte der Himmel, ich hätte eure Macht, und ihr wäret Isabella; es sollte nicht so seyn.

Lucio.

Nur weiter – das ist der rechte Ton —

Angelo. Das Gesez hat euern Bruder verurtheilt; alle eure Worte sind verschwendet.

Isabella. Ach! gnädiger Himmel! wie? Alle Seelen hatten einst gesündigt, und waren vom Gesez verurtheilt. Aber der, der sie mit bestem Fug straffen konnte, fand ein Mittel aus. Wenn er euch richten wollte, wie ihr seyd? O! denkt an das! und Gnade wird, gleich dem neuerschaffnen Menschen, aus euern Lippen athmen.

Angelo.

Gebt euch zufrieden, schönes Mädchen; das Gesez verurtheilt euern Bruder, nicht ich. Wär' er mein Verwandter, mein Bruder, mein Sohn, so würd' es ihm nicht anders ergehen; morgen stirbt er.

Isabella. Morgen? O! das ist zu schnell. Schonet seiner, gebt ihm noch Frist; er ist nicht zum Sterben bereitet. Wir tödten ja das Geflügel für unsre Küche nicht eher, bis es Zeit ist; sollen wir den Himmel schlechter bedienen, als den gröbsten Theil von uns selbst? O! mein gütiger Herr, bedenkt euch: Wenn ist jemals einer für diß Vergehen gestorben. Es sind manche, die es begangen haben.

Lucio (leise.)

Gut, wohl gesprochen!

Angelo. Das Gesez ist nicht todt gewesen, ob es gleich geschlaffen hat. Diese (Manche) hätten sich nicht unterstanden zu sündigen, wenn der erste, der das Gesez übertrat, gestraft worden wäre. Izt, ist es aufgewacht, erkundigt sich dessen was gethan wird, und sieht, gleich einem Wahrsager, in einem Spiegel, alle die künftigen Verbrechen vor, die durch eine längere Nachsicht veranlaßt würden, und auf keine andere Art verhindert werden können, als wenn sie vor ihrer Geburt getödtet werden.

Isabella.

Laßt wenigstens einiges Mitleiden sehen.

Angelo. Ich kan es nicht besser sehen lassen, als wenn ich Gerechtigkeit sehen lasse; denn alsdann hab' ich sogar Mitleiden mit denen, die ich nicht kenne, indem ich verhindere, daß ein ungestraftes Verbrechen sie nicht zur Nachfolge reize; ja mit dem Verbrecher selbst, der wenn er für eine böse That büssen muß, nicht lebt um die zweyte zu begehen. Gebt euch zufrieden; euer Bruder stirbt morgen; gebt euch zufrieden.

Isabella.

So müßt ihr also der erste seyn, der ein solches Urtheil spricht, und er der erste, der dadurch leidet. O! es ist vortrefflich, die Stärke eines Riesen zu haben; aber es ist tyrannisch, sie wie ein Riese zu gebrauchen.

Lucio (leise.)

Das ist wohl gesprochen.

Isabella. Könnten die Grossen der Welt donnern wie Jupiter, so würde Jupiter selbst keine Ruhe vor ihnen haben; denn bis auf den kleinsten ledernen Officianten würde ein jeder seinen Himmel zum donnern brauchen wollen. Nichts als donnern – Gütiger Himmel! dein scharfer schweflichter Keil zersplittert lieber die harte und knottichte Eiche als die sanfte Myrrthe: O! nur der Mensch, der stolze Mensch, für etliche Augenblike in ein wenig Ansehen gekleidet, vergißt was er am gewissesten wissen kan, seiner zerbrechlichen Natur; und spielt, gleich einem erboßen Affen, so phantastische Streiche vor den Augen des Himmels, daß die Engel darüber weinen, die, wenn sie unsre Milz3 hätten, sich alle sterblich lachen müßten.

Lucio (leise.) Weiter, weiter, Mädchen – das wird würken – es kömmt ihm, ich merk' es.

Kerkermeister.

Wollte Gott, sie möchte ihn gewinnen!

Isabella.

Ich darf meinen Bruder nicht gegen euch abwägen; grosse Herren dürfen mit Heiligen scherzen; an ihnen ist Wiz, was an geringem Gottlosigkeit wäre.

Lucio.

Du hast recht, Mädchen; mehr dergleichen —

Isabella.

An dem Hauptmann ist das nur ein hastiges Wort, was an dem gemeinen Soldaten eine platte Lästerung ist.

Angelo.

Wozu sagt ihr diese Dinge mir?

Isabella. Weil das höchste Ansehn, ob es gleich dem Irrthum eben so sehr unterworffen ist als andre Leute, doch immer eine Art von Arzney bey sich führt, die seine Vergehungen sogleich wieder zuheilt; geht in euch selbst; klopft an euerm Busen an, und fragt euer Herz, was es sich bewußt ist, das meines Bruders Fehler ähnlich ist; und wenn es euch wenigstens die Fähigkeit gesteht, eben so zu sündigen wie er, so erlaubt ihm keinen Gedanken gegen meines Bruders Leben auf eure Zunge zu tönen.

Angelo (für sich.)

Sie spricht mit einem Verstand, der den meinigen überwältiget —

Lebet wohl —

(Er will weggehen.)

Isabella.

O! mein Gnädiger Herr, kehret zurük.

Angelo.

Ich will mich bedenken; kommt morgen wieder.

Isabella. Höret doch, wie ich euch bestechen will; mein gütiger Herr, kehret zurück.

Angelo.

Wie? Mich bestechen?

Isabella.

Ja, mit solchen Geschenken, die der Himmel mit euch theilen soll.

Lucio (leise.)

Gut, sonst hättet ihr alles verdorben.

Isabella. Nicht mit Gold oder Steinen, die nur werth sind, was die Einbildung sie gelten läßt, sondern mit unschuldigen Fürbitten, die zum Himmel aufsteigen, und durch ihn eindringen sollen, eh die Sonne wieder aufgeht; mit Fürbitten von unbeflekten Seelen, von fastenden Jungfrauen, deren Herzen zu nichts Zeitlichem geweihet sind.

Angelo.

Gut, kommt morgen wieder.

Lucio (leise.)

Geht izt, es ist genug – weg.

Isabella. Der Himmel erhalte Euer Gnaden gesund. Um welche Zeit soll ich morgen Euer Gnaden aufwarten?

Angelo.

Vor Mittag, wenn ihr wollt.

(Isabella geht ab mit Lucio und Kerkermeister.)

2.Es braucht kaum der Anmerkung, daß Ellbogen den Fehler hat, gerne lateinische Worte einzumengen, die er nicht recht ausspricht; er sagt detestiren für attestiren, cardinalisch für carnalisch. respectirt für suspect, u.s.w.
3.Die Alten schrieben ein unmäßiges Gelächter der Grösse der Milz zu. Warbürton.