Kitabı oku: «Denke, was dein Herz fühlt», sayfa 2
Wenn das Denken
Probleme erschafft
Das Leben ist geprägt von Herausforderungen, die uns die Chance bieten, zu wachsen und uns zu entwickeln. Manche bringen uns an die Grenzen unserer Belastbarkeit, dann kann es schwerfallen, ihren Sinn für unser Leben zu erkennen. Naturkatastrophen, Kriege und Hungersnöte, Wirtschaftskrisen und Viruspandemien sind Problemfelder, die sich zum größten Teil unserem Einfluss entziehen. Auch der Verlust oder die Erkrankung eines geliebten Angehörigen sowie eigene Krankheiten können mit all ihren Begleitumständen sehr herausfordernd sein. Und dennoch gibt es einen Raum in unserem Bewusstsein, der von all diesen Umständen unberührt bleibt. Eine geistige Instanz, die die Fähigkeit in sich trägt, sich über die Widrigkeiten des Lebens zu erheben und diese ins Positive zu wandeln.
Gleichzeitig kann derselbe Geist aber auch die Widrigkeiten verstärken. Ob wir unseren Geist konstruktiv oder destruktiv einsetzen, wirkt sich direkt auf unser Leben aus. Unser Bewusstsein sowie die Qualität unserer Gedanken und Gefühle haben einen wesentlichen Einfluss auf das subjektive Erleben, aber auch den Fortbestand oder die Wandlung unserer individuellen Probleme. Bevor wir uns den konstruktiven Fähigkeiten des Geistes widmen, die sich trainieren und stärken lassen, beleuchten wir zunächst, welchen destruktiven Anteil das Denken an den Problemen des Alltags haben kann.
Bewerten und Urteilen – wie unser Geist über Glück und Unglück entscheidet
Sie stehen mit Ihrem Einkaufswagen in einer langen Schlange an der Kassa im Supermarkt und warten auf Ihr Weiterkommen. Die zweite Kassa bleibt aus unerfindlichen Gründen geschlossen und Sie werden zum „Nichtstun“ gezwungen. Wie reagiert Ihr Geist auf diese Situation? Ist sie eine willkommene Auszeit von der permanenten Geschäftigkeit des Alltags oder eine unnötige Verzögerung Ihres Plans? Können Sie diesen Moment des Wartens mit derselben Qualität und Schönheit wahrnehmen und wertschätzen wie die restlichen Augenblicke Ihres Lebens oder ist er lediglich ein belangloser Zwischenschritt auf dem Weg zu einem entfernteren Ziel?
Wie wir solche Momente erleben, hängt häufig mit dem inneren Plan zusammen, den wir gerade verfolgen. Womöglich müssen Sie zu einem Termin und möchten nicht zu spät kommen. Bilder von Menschen, die auf Sie warten, formieren sich in Ihrem Kopf und mögliche Szenarien Ihres Zuspätkommens lassen Ihren Muskeltonus ansteigen. Ungeduld beginnt sich zu regen und ein genervtes und schnaubendes Ausatemgeräusch verlässt Ihren Körper in der Hoffnung, der Kassier möge Notiz davon nehmen, Ihr Zeichen richtig deuten und veranlassen, dass endlich eine zweite Kassa eröffnet wird.
Ist es nun die äußere Situation oder Ihre innere Reaktion darauf, welche die Unruhe in Ihnen erzeugt? Ist der anstehende Termin, der zeitlich immer näher rückt, der Grund für Ihre Ungeduld oder Ihre innere Einstellung zu ihm? Es ist sehr verlockend, äußeren Bedingungen den Grund für unsere emotionale Stimmungslage zuzuschreiben. Dennoch ist es so gut wie immer unsere innere Haltung, die Art und Weise, wie unser Geist eine Situation bewertet und beurteilt, die darüber entscheidet, wie wir den gegenwärtigen Moment erleben. Es ist die Qualität unserer Gedanken und Emotionen, die unsere Wahrnehmung der Welt entscheidend färbt und über Glück oder Unglück entscheidet.
Sie sitzen im Wartezimmer einer Arztpraxis und bereits zum zweiten Mal reißt das laute Schrillen eines Mobiltelefons Sie aus Ihren Gedanken. Sie fühlen sich gestört und möglicherweise strafen Sie Ihr Gegenüber mit einem mahnenden Blick in der Hoffnung, dass diese „Erziehungsmaßnahme“ greifen möge. Innerer Widerstand regt sich gegenüber der fremden Person vor Ihnen und noch viel mehr gegenüber den aufdringlichen Misstönen dieses Smartphones. Interessanterweise stört solch ein Läuten keinesfalls, wenn Sie bereits seit Stunden auf einen wichtigen Anruf warten. Da mag es schon fast eine Erlösung sein, wenn das Telefon endlich klingelt und vibriert. Ist es also dieses tönende kleine Kästchen, das die Macht hat, Sie zu stören? Oder ist die Störung vielmehr eine Leistung des Gestörten?
Beobachten Sie Ihre innere Haltung, das Bewerten und Urteilen des Geistes, die eigene Ablehnung und die Widerstände gegenüber dem, was gerade geschieht, wenn Sie das nächste Mal von Unruhe oder Gereiztheit geplagt werden.
Das Denken und die Zeit – Quelle unserer Probleme
Der analytisch denkende Geist verschafft unserer Spezies eine Sonderstellung innerhalb der Evolution. Er vermag neue Technologien zu entwickeln, in die Zukunft zu planen und aus Vergangenem zu lernen. Er beherbergt einen schier endlos großen Werkzeugkasten für die Lösung sämtlicher Herausforderungen und Problemstellungen und trägt wesentlich zur Weiterentwicklung jedes Einzelnen wie auch der Gesellschaft bei. Das Denken hat allerdings auch eine Kehrseite und liegt als sprudelnder Quell menschlichen Problemerlebens nur einen Münzwurf von der konstruktiven Kraft des Geistes entfernt. Bei näherer Betrachtung kann man gar behaupten, dass der menschliche Geist einen Großteil der Probleme sogar selbst erschafft. Nicht nur kann unser Handeln oder unsere Wortwahl zu zwischenmenschlichen Konflikten und problematischen Situationen führen. Vielmehr ist es das Denken selbst, das die Probleme überhaupt erst erzeugt. Ich lade Sie ein, für einen Augenblick über folgende Frage zu reflektieren: Gibt es ohne das menschliche Denken überhaupt irgendein „Problem“ auf der Welt?
Probleme existieren nicht per se. Sie sind eine „Leistung“ des Denkens.
Diese Frage mag provozierend klingen, gerade wenn belastende Umstände das momentane Leben dominieren. Aber lassen Sie uns für einen Moment den geistigen Anteil am Erleben problemhafter Situationen ergründen.
Probleme existieren nicht per se. Sie sind eine „Leistung“ des Denkens und entstehen erst durch die Bewertung einer jeweiligen Situation. Bis zum Zeitpunkt der Bewertung gibt es lediglich Tatsachen und Herausforderungen. Das Konzept von Vergangenheit und Zukunft erzeugt aus diesen Herausforderungen schließlich „Probleme“.
Wenn wir etwa körperliche Schmerzen haben, dann erleben wir eine physische Empfindung, die je nach Schmerzstärke sehr unangenehm und eine große Herausforderung sein kann. Sehr schnell löst diese Empfindung negative Gedanken und Emotionen aus. Die oft mit dem Schmerz einhergehende körperliche Einschränkung kann die Arbeits- und Leistungsfähigkeit sowie den Bewegungsradius begrenzen und somit weitere herausfordernde Begleitumstände mit sich bringen, die ebenfalls als Problem erlebt werden. Die analytisch denkende Suche nach der Ursache dieses Schmerzes ist vorerst ebenso essenziell wie dessen Behandlung. Wenn der Schmerz aber weiterhin besteht und das sorgenvolle Denken einsetzt, dann vergrößert sich das Leiden durch das Denken noch zusätzlich. Natürlich möchte man Schmerzen loswerden und jeder Mensch will schmerzfrei leben. Doch die mentale Bewertung und Ablehnung des Schmerzes verschlimmern das unangenehme Erleben und wir beginnen, innerlich gegen den Schmerz zu kämpfen. Da er sich dadurch nicht verringert, steigt das Gefühl der Machtlosigkeit, was zu mehr Frustration und Ohnmacht führt. Häufig setzt dann eine Denkspirale ein, die von möglichen Schmerzursachen in der Vergangenheit bis hin zur Sorge ob der Zukunft kreist, sollte dieser Schmerz nicht enden oder sich sogar noch verschlimmern. Damit konstruieren wir eine Geschichte rund um die momentane Empfindung, was schließlich das emotionale Leiden beträchtlich erhöht. Das Bewerten einerseits und das Denken in zeitlichen Zusammenhängen andererseits können somit eine gegenwärtige körperliche Empfindung zu einer nicht zu bewältigenden Übergröße ausformen. Hier entfaltet das Denken seine destruktive Kraft.
Wie kann der Geist in einem solchen Fall zu einer Linderung beitragen? Wir können auf heilsame Weise gegensteuern, indem wir beispielsweise den zeitlichen Bezugsrahmen ausklammern und vollkommen gegenwärtig werden. Wenn wir dabei die körperliche Empfindung des Schmerzes ganz in den Fokus unserer Aufmerksamkeit nehmen, um ihr in allen Details nachzuspüren wie ein interessierter Forscher, ohne sie zu bewerten oder innerlich abzulehnen, dann mildert sich der leidvolle Aspekt deutlich ab. Wenn es gelingt, ohne zu denken, ganz mit dieser Empfindung präsent zu sein und sie in der Gegenwart vollständig wahrzunehmen und auch anzunehmen, dann verschwindet meist die geistige Benennung „Schmerz“ aus unserem Bewusstsein. Die Fokussierung auf den Schmerz hilft paradoxerweise, das Leiden zu unterbrechen.
Sollten Sie gerade körperliche Schmerzen empfinden, dann probieren Sie es aus und versuchen Sie, jede Nuance der körperlichen Empfindung wahrzunehmen und diese willkommen zu heißen. Im Kapitel „Die Transformation des Geistes“ werden wir näher darauf eingehen, wie ein Training der Aufmerksamkeit und des Gegenwartsbewusstseins den Umgang mit unangenehmen Empfindungen verbessern kann.
Wenn der Schatten der Zeit die Gegenwart verdunkelt
Das Beispiel des Schmerzes lässt sich auf sämtliche Emotionen und Stimmungslagen übertragen. Jedes Mal, wenn wir beginnen, die Empfindungen und Wahrnehmungen des gegenwärtigen Moments in ein zeitliches Raster zu knüpfen und in die erdachte Zukunft oder die erinnerte Vergangenheit zu projizieren, erschaffen wir eine Geschichte und folglich oft ein Drama aus unserer momentanen Lebensrealität. Dadurch vergrößert sich das Leid. Erst durch das Auswalzen und gedankliche Ausdehnen eines Gegenwartsaspekts auf die fiktive Zeitachse entstehen „Probleme“. Bewertung, innere Ablehnung und „die Zeit“ sind dabei die Grundsäulen unseres problematischen Erlebens.
Praxis
Schauen Sie sich Ihr vordergründiges, momentanes Lebensproblem unter diesem Aspekt und mit mitfühlender Offenheit an. Welchen Anteil haben Ihre eigenen Bewertungen daran? Welche Rolle spielen Vergangenheit und Zukunft dabei? Was ist genau in diesem Moment (nicht in ein paar Minuten oder vor zehn Sekunden, sondern wirklich gerade jetzt) das Problematische?
Das Eintauchen in diese Betrachtung kann das Problemerleben oft entscheidend verändern. Die Fokussierung auf die Gegenwart und die mitfühlende Annahme dessen, was gerade geschieht, kann ein sehr hilfreiches Werkzeug sein, problematisches Erleben abzumildern.
Nehmen wir beispielsweise den Verlust eines geliebten Menschen: Dieser Verlust bewirkt in uns starke Gefühle der Trauer oder Sehnsucht. Wenn wir diese Gefühle vollständig wahrnehmen und zulassen können, dann spüren wir intensive körperliche Empfindungen. Das Wahrnehmen und Spüren der Trauer ist noch kein Problem, sondern „nur“ eine intensive emotionale Empfindung. In dem Moment, wo wir dieses Gefühl mit Bildern aus der Vergangenheit verknüpfen oder mit der Vorstellung, diesen Menschen in der Zukunft nie wieder zu sehen, erzeugen wir mental eine Geschichte rund um dieses Gefühl und das Leiden wird verstärkt. In der Folge entwickeln sich daraus oft weitere Emotionen wie Verzweiflung oder das Gefühl des Alleinseins.
Solche Gedanken und Geschichten entstehen ganz automatisch im denkenden Geist und ziehen unsere Aufmerksamkeit aus dem gegenwärtigen Moment heraus. Es ist gut, dies zu erkennen und immer wieder nachzuschauen, ob dieses Zeitdenken das Problem gerade verschlimmert oder zu dessen Lösung beiträgt. Das Gedankengebäude, das der denkende Verstand um eine momentane Situation herum errichtet, wirft einen zeitlichen Schatten, in dem die aktuelle Herausforderung oft sehr dunkel und schwer zu bewältigen erscheint. Aus dem Denken auszusteigen, indem wir den Fokus ausschließlich auf das Hier und Jetzt legen, kann helfen, die Möglichkeiten des gegenwärtigen Moments zu erkennen, und dadurch die eigene Handlungsfähigkeit erhöhen. Auf das Hier und Jetzt können wir immer reagieren und die jeweilige Situation entweder durch unser Handeln oder eine Veränderung der Sichtweise verbessern. Aber die Vergangenheit und die fiktive Zukunft können wir nicht bewältigen, weil sie nur im Geiste existieren.
Häufig haben wir Angst davor, Emotionen vollständig zuzulassen und in ihrer ganzen Intensität zu spüren, da wir befürchten, dass sie zu stark werden oder uns in eine Depression stürzen. Die Emotion selbst ist dabei aber nie das Problem! Sie ist „nur“ eine Empfindung. Es sind immer die Gedanken, die mit diesen Gefühlen einhergehen, die für uns problematisch werden und uns mitunter verzweifeln lassen. Wenn wir Gefühle negativ bewerten oder gegen sie ankämpfen, anstatt ihnen freien Lauf zu lassen, dann leiden wir. Würden wir Tränen einfach so lange fließen lassen, wie sie eben strömen, ohne sie mit Gedanken über die Zukunft oder Vergangenheit zu verknüpfen, dann würde sich diese Trauer von selbst auswaschen und der Verarbeitungsprozess einen natürlichen Verlauf nehmen. Der Verstand ist aber oft ungeduldig und will wissen, wie lange das wohl dauern wird und wie es weitergeht, und bringt somit wieder einen zeitlichen Aspekt ins Spiel, der dann ein Problemfeld eröffnet. Im Unterkapitel „Umgang mit unangenehmen Emotionen“ werden wir noch detailliert darauf eingehen, wie wir mit negativen Emotionen präsent sein können, um deren leidvollen Aspekt aufzulösen.
Machen Sie folgende kleine Übung:
praxis
Lenken Sie Ihre Aufmerksamkeit für einen Moment lang ganz auf das Hier und Jetzt. Nehmen Sie wahr, welche Farben Sie gerade rund um sich sehen können, welche Gegenstände Sie umgeben und welche Geräusche Sie jetzt gerade hören. Spüren Sie nach, wie sich die Raumtemperatur auf Ihrer Haut anfühlt und wie weich oder hart die Sitzfläche unter Ihrem Gesäß. Jetzt, wo Sie all diese Dinge wahrnehmen können, in dieser Sekunde, in der Sie sich jetzt befinden – haben Sie jetzt gerade ein Problem?
Ich selbst stelle mir diese Frage regelmäßig im Alltag, wenn ich das Gefühl habe, gestresst zu sein, oder sorgenvolle Gedanken hege, und ich stelle sie auch gerne meinen Patienten. Die Antwort ist interessanterweise immer dieselbe: nein. Im jeweiligen Moment, in dem wir uns gerade befinden, gibt es keine Probleme, sondern lediglich Herausforderungen. Probleme entstehen erst durch Bewertung und das gedankliche Beifügen von Zukunfts- oder Vergangenheitsaspekten zu dem, was wir jetzt gerade erleben.
Zeitprojektionen können außerdem unseren Handlungsspielraum in der Gegenwart begrenzen. Viele Menschen bleiben beispielsweise in Liebesbeziehungen verhaftet, die sich in der Gegenwart nicht gut anfühlen, denn sie sind nicht bereit, die mit ihr verknüpfte Geschichte loszulassen. Die lange gemeinsame Vergangenheit oder die fixe Vision einer Zukunft zu zweit kann Menschen aneinanderketten, die in der Gegenwart längst keine sie verbindenden Gefühle mehr empfinden. Der denkende Verstand fesselt sie aneinander, obwohl ihre Herzen längst andere Wege gehen würden. Das Narrativ der Zeit übertönt so die Klarheit des gegenwärtigen Moments.
Ein Leben im Kinosaal
Es ist wichtig zu betonen, dass das Zeitdenken nicht generell destruktiven Charakter besitzt. Destruktiv wirkt es nur, wenn wir es mit negativen Inhalten befüllen. Denn das Denken in zeitlichen Zusammenhängen erzeugt keineswegs ausschließlich Probleme, ganz im Gegenteil. Unser Gehirn besitzt die einmalige Fähigkeit, die Vergangenheit zu analysieren, aus ihr zu lernen und daraus Schlüsse für die Zukunft zu ziehen. Durch das Zeitkonzept können wir langfristige Ziele verfolgen und mögliche Problemsituationen antizipieren, um uns vor zukünftigen Schwierigkeiten zu bewahren. Konstruktive Zukunftsgedanken können uns sehr beflügeln und freudvolle Lebensvisionen entwerfen lassen, die uns mit Energie und Inspiration erfüllen. Zudem erfordern viele Berufe unweigerlich die Fähigkeit, den Blick nach vorn zu richten und die Zukunft zu planen und zu gestalten, wodurch man nicht immer ausschließlich auf das Jetzt fokussiert sein kann. Ebenso können schöne Erinnerungen, die wir bewusst hervorrufen, uns an all die freudvollen Aspekte des Lebens erinnern und positive Emotionen auslösen. Das Bild einer schöneren Zukunft können wir sogar ganz bewusst einsetzen, damit es uns durch schwierige Zeiten hindurch trägt. Diese Form des Zeitdenkens wirkt sich positiv auf unser Leben aus und vermag momentane Problemsituationen entscheidend zu erleichtern. Doch wenn das Zeitdenken negativ gefärbt ist, birgt es erhebliches Störungspotenzial und kann zur Ursache seelischen Leidens werden.
Das „Kopfkino“ ist ein Begriff, der das Gefangensein im Denken und damit häufig in der Zeitdimension sehr gut beschreibt. Anstatt uns mit allen Sinnen dem Hier und Jetzt zu öffnen und uns somit dem Einzigen zu widmen, das jemals existiert, sitzen wir oft weite Strecken des Tages oder gar des ganzen Lebens in einem mentalen Kinosaal mit zwei Leinwänden. Auf der linken Leinwand läuft in Wiederholungsschleifen der Film der Vergangenheit, während sich auf der rechten Leinwand ständig neu formende Szenen einer erdachten Zukunft abbilden. Das tatsächliche Leben spielt sich währenddessen auf den Straßen der Gegenwart außerhalb des Kinosaals ab. Doch allzu häufig verpassen wir es, weil unsere Aufmerksamkeit vornehmlich von unseren Gedanken und den Geschichten, die sich auf den Leinwänden abspielen, in Beschlag genommen wird. Wenn Menschen am Ende ihrer Tage davon sprechen, am Leben „vorbeigelebt“ zu haben, dann mag es an dem Umstand liegen, nie wirklich im Hier und Jetzt präsent gewesen zu sein, sondern sich die meiste Zeit im Grübeln über die Vergangenheit oder dem Wälzen von Zukunftsplänen verloren zu haben und den eigenen Wünschen in der Gegenwart nicht gefolgt zu sein. Doch die Zukunft gibt es nicht. Sie führt eine Scheinexistenz in unserem Kopf und das Gleiche gilt für die Vergangenheit. Obwohl uns beide so real erscheinen, erleben wir dennoch immer nur diesen einen Moment des Hier und Jetzt. Zwar hat die Vergangenheit eine Bedeutung für uns; sie schwingt in Form von Gedanken, Emotionen und Reaktionsmustern als Folge unserer Prägungen in das gegenwärtige Erleben hinein. Doch noch wichtiger ist es, mit unserer Aufmerksamkeit im Jetzt präsent zu sein und diese Prägungen der Vergangenheit ganz bewusst wahrzunehmen, um auf konstruktive Weise mit ihnen umzugehen, anstatt sie unbewusst auszuagieren.
Der Vergangenheit im therapeutischen Sinne einen Besuch abzustatten, um Emotionen an die Oberfläche zu holen, die zuvor im Untergrund ihr Unwesen trieben, hat natürlich seine Berechtigung und kann wesentlich zur Befreiung des Geistes beitragen. Manche Menschen blicken aber hauptsächlich auf die linke Leinwand und beschäftigen sich übermäßig viel mit ihrer Vergangenheit. Sie hoffen, dort eine Erklärung oder gar eine Lösung für ihren seelischen Zustand zu finden, indem sie ihre eigene Lebensgeschichte immer wieder psychoanalytisch durchdenken. Doch wenn wir längst Vergangenes unaufhörlich wiederkäuen und dadurch den Bezug zur Gegenwart verlieren, kann dieser Fokus auf die Vergangenheit die transformierenden Möglichkeiten des Hier und Jetzt verschleiern.
Es reicht, wenn wir uns darum kümmern, was jetzt gerade geschieht, und es wird auch in Zukunft nie etwas anderes geben als das immerwährende Jetzt.
Während die Leinwand der Vergangenheit die Quelle von Schuldgefühlen und Bedauern darstellt, ist die Leinwand der Zukunft die kreative Geburtsstätte unserer Ängste. Ängste und Sorgen entstehen dadurch, dass wir uns mit möglichen Worst-Case-Szenarien beschäftigen, die in einer fiktiven Zukunft auf uns lauern. Da die Zukunft aber nie den Weg ins Hier und Jetzt findet und wir selbst nie dort ankommen, können wir sie auch nicht bewältigen. Wir können nur Herausforderungen des gegenwärtigen Moments meistern, nicht jedoch ein erdachtes Konstrukt wie die Zukunft, weil es nicht real existiert. Daher fühlen wir uns verständlicherweise machtlos, wenn wir sorgenvoll in die Zukunft blicken. Die beruhigende Nachricht ist: Es reicht, wenn wir uns um das kümmern, was jetzt gerade geschieht, und es wird auch in Zukunft nie etwas anderes geben als das immerwährende Jetzt.
Betrachten wir für einen Moment lang das Leben der Tiere. Sie hegen keine Schuldgefühle oder etwa Bedauern über die Vergangenheit und sie werden auch nicht von Zukunftsängsten heimgesucht. Sie denken nicht an gestern, und würde man sie zu ihren Plänen für morgen befragen, würde man wohl ratlose Blicke ernten. Ihre Aufmerksamkeit ruht ausschließlich auf dem Hier und Jetzt.
Praxis
Stellen Sie sich für einen Moment vor, wie sich dieser animalische, zeitlose Zustand anfühlt. Wie wäre es, wenn Sie keine Idee von Ihrer Vergangenheit und Zukunft hätten? Wenn Ihre Biografie mit einem Mal verschwunden wäre? Tauchen Sie ganz in diese Vorstellung ein. Was würde übrig bleiben?
Betrachten Sie die Wunder dieser Welt, die Sie gerade umgeben, mit der hellen Wachsamkeit eines Neugeborenen. Spüren Sie hinein in dieses Staunen, wenn Sie mit weit geöffneten Augen und Ohren den jetzigen Moment auf sich wirken lassen – frei von Konzepten und Begrifflichkeiten.
Praxistipp: Sie können untertags immer wieder bewusst in diese Vorstellung hineingehen, weder Vergangenheit noch Zukunft zu besitzen. Beobachten Sie, wie dieser Perspektivenwechsel Ihre Haltung zum gegenwärtigen Moment, aber auch zu etwaigen Problemen verändert.
Im Laufe des Buches werden wir das Gegenwartsbewusstsein trainieren und die Aufmerksamkeit immer wieder aus dem Problemdenken abziehen, um den Geist aus den Fängen der Zeit zu befreien. Sehen wir uns im folgenden Kapitel an, wie der Geist mit dem Körper interagiert und welche Rolle das Gehirn und das autonome Nervensystem dabei spielen. Wir gehen der Frage nach, wie Negativdenken in Form von Sorgen und Ängsten Stressreaktionen im Körper auslöst und das Immunsystem aus der Balance bringt und wie wir mit positiven Gedanken und Emotionen heilsam gegensteuern können.
DAS WICHTIGSTE IN KÜRZE
• Bewerten und Urteilen machen aus Tatsachen Probleme.
• Das Denken in zeitlichen Zusammenhängen erzeugt Geschichten und häufig Dramen aus dem gegenwärtig Erlebten.
• Leiden entsteht durch Bewertung, innere Ablehnung und Ausdehnung des gegenwärtigen Moments auf die Zeitachse.
• Durch Fokussierung auf die Gegenwart und die mitfühlende Annahme dessen, was gerade geschieht, können wir aus dem Problemdenken aussteigen.
• Auf das Hier und Jetzt können wir Einfluss nehmen. Es ist jener Ort, an dem wir die zukünftige Gegenwart aktiv gestalten können.