Kitabı oku: «Heilkräuter und Zauberpflanzen zwischen Haustür und Gartentor - eBook», sayfa 3
Wie der vedische Indra und andere verwandte indoeuropäische Gewittergötter ist Donar ein mächtiger Zecher. Keiner kann so viel Met oder Bier trinken wie er. Die Brennnessel, vielerorts noch immer Donnernessel genannt, passt in der Tat zu diesem trinkfesten Helden. Sensitive und Wünschelrutengänger behaupten, dass die Pflanze gern dort wächst, wo sich Erdstrahlen oder Wasseradern kreuzen. Das sind genau die Stellen, an denen der Blitz bevorzugt einschlägt. Zugleich aber, nach dem archaischen Prinzip, dass Gleiches auf Gleiches einwirkt, glaubte man, dass die Brennnessel auch vor Blitzschlag schützt. So wurde oft am Gründonnerstag – Donnerstag ist der Tag Donars – ein Strauß Nesseln gepflückt und unter dem Dach aufgehängt, um den Blitz abzuwehren. In Tirol wirft die Bäuerin noch heute Nesseln ins Herdfeuer, wenn draußen ein Gewitter tobt.
Bekanntlich kann das Bier bei Gewitter »umschlagen«. Auch da hilft das Kraut des himmlischen Vieltrinkers. War ein Gewitter im Anzug, pflegten die Brauer einen Brennnesselstrauß auf den Bottichrand zu legen, damit das Bier nicht »sauer« wird, nicht gärt. Früher, bevor es ein Reinheitsgebot gab, braute man das dem Donnergott geweihte Bier mit allen möglichen Kräuterbeimischungen. Auch ein Nesselbier gab es. In England, wo viele altgermanische Bräuche erhalten geblieben sind, braut man sich noch immer ein erfrischendes Nettle beer. Es soll besonders den Älteren wohl bekommen, die an Gicht oder Rheuma leiden.
Die Brennnessel war einst Bestandteil vieler harntreibender Arzneigetränke. Auch in dieser Hinsicht erweist sie sich ihres Schutzherrn durchaus als würdig, denn Donar konnte nicht nur Unmengen trinken, er konnte auch Unmengen Harn lassen. Die Nordeuropäer dachten sich Donnergott, Harn und Brennnessel als irgendwie zusammenhängend, sie verbanden sie in Sage und Brauchtum zu einem Symbolkomplex. In Skandinavien war es Brauch, sich zur Sommersonnenwende gegenseitig mit in Urin getauchten Brennnesselzweigen zu schlagen. Kein böser »Wurm« – ob Hasswurm, Neidwurm oder Gebeinwurm – kann dem Treiben standhalten. Sie fliehen alle, wie auch die giftspeiende Midgardschlange vor den Blitzschlägen Donars flieht. Fruchtbarkeit, Gesundheit und Lebensfreude können dann Einzug halten.
Die Südslaven pflegten ihrerseits am Georgstag – der Drachentöter Georg hat vielerorts den Kult des Gewittergottes ersetzt – auf Brennnesseln zu urinieren, um das ganze Jahr über gesund zu bleiben. Auch in anderen Überlieferungen wird die Brennnessel mit dem Harn in Verbindung gebracht. So goss man etwa den Harn eines Kranken auf eine Nesselstaude; welkte sie, würde der Patient sterben, blieb sie grün, dann würde er genesen. Auf gleiche Weise glaubte man feststellen zu können, ob eine junge Frau noch Jungfrau war oder nicht: Blieb die Pflanze nach dem Begießen mit dem Urin grün, konnte man sicher sein, dass sie unberührt war.
Rezepte
Nettle beer
1 Eimer junge Brennnesselblätter
3–4 Handvoll Löwenzahn
3 Handvoll Kletten-Labkraut
1 Ingwerzehe
2 Tassen brauner Zucker
Die Kräuter langsam 45 Minuten lang in 8 Liter Wasser kochen. Lauwarm abkühlen lassen. Den Zucker und etwa 30 g (1 Unze) Brauereihefe hineinrühren. Sieben Stunden warm halten, dann den Schaum abschöpfen. Einen Teelöffel Weinstein (Kaliumhydrogentartrat) hineinrühren. In Flaschen abfüllen und fest verschließen.
Wie Indra, Zeus und andere alte Gewittergötter galt Donar als besonders potent und zeugungskräftig. Sein Hammer war nicht nur Waffe, sondern auch ein mächtiger Phallos, mit dem er leidenschaftlich im Gewittersturm die Erde befruchtete. In Germanien war es daher Brauch, der Braut während der Hochzeitszeremonie einen Hammer in den Schoß zu legen, um sie mit Fruchtbarkeit zu segnen. Donars Eigenschaft als Anreger der Fruchtbarkeit und Zeugungskraft übertrug sich, wie wir schon gesehen haben, auch auf seine Pflanze, die Brennnessel. Vor allem den Samen sagte man nach, dass sie die Sexualität fördern, was sie zu einem Tabu für die Mönche und Nonnen des Mittelalters machte.
In archaischen Kulturen gelten Haare als Zeichen überbordender Vitalität. Die Heiden stellten sich dementsprechend den Donnerer als stark behaart vor. Er hatte eine Löwenmähne und einen wallenden Rauschbart. Auch diesen Aspekt erkannte man in der »haarigen« Brennnessel wieder. Seit vorchristlichen Zeiten behandelt man das Haar mit Brennnesselauszügen und -tees. Noch heute sind Brennnesselshampoos, Brennnesselhaarwasser und -haarspülungen im Handel erhältlich.
Donar, der Gott mit dem Blitzkeil, galt bei den Skandinaviern im hohen Norden ebenso wie bei den Alemannen in den Alpentälern als der Hüter der Schätze der Erde. Er hatte die Macht, unterirdisches Gold und Edelsteine vor dem frevelhaften Zugriff gieriger Riesen zu bewahren. Wie später der eisengewappnete Ritter Georg wird auch er mit dem Gift und Feuer speienden Drachen und Lindwürmern fertig, die tief in der Erde hausen. Noch lange steckten sich Schatzsucher oder Goldschürfer eine Brennnesselrute an den Hut oder nahmen eine andere dem Donar geweihte Pflanze mit, wie beispielsweise das Christophskraut (Actaea spicata), um beim Ausgraben nicht vom Blitz getroffen oder vom Erddrachen verschlungen zu werden.
Die Donnernessel war den Germanen dermaßen heilig, dass sie der Lachner, der Heilkräuterkundige, beim Pflücken oder beim Ausgraben ehrfürchtig mit Zauberworten ansprach. Die meisten dieser Sprüche sind in Vergessenheit geraten. Bei den Angelsachsen wurde dieses Bruchstück einer Beschwörung überliefert (Angelsächsischer Kräutersegen, 11. Jh.):
»Dies ist die Pflanze, die Wergulu heißt
Diese entsandte der Seehund über den Rücken der See
Als Hilfe gegen die Bosheit des anderen Giftes.«
Was aber hatte die Brennnessel mit dem Seehund zu tun? Der Gewittergott scheint ein besonderes Verhältnis zu diesen Meeressäugern gehabt zu haben. Man glaubte, dass Seehundspeck wie die Nessel Haarausfall, Gicht, Gebärmuttererkrankungen und verschiedene Fieber heile. Ein Gürtel aus Seehundhaut galt als gut für den Unterleib, für die Harnorgane und die Hüften. Und wer ein Robbenfell trägt, »dem sträuben sich die Haare bei großen Ungewittern«. (Auch die Römer haben offensichtlich diesen Glauben geteilt. Robbenfell, am Weinstock aufgehängt, schützt die Reben beim Gewitter vor Hagel, und Kaiser Augustus soll ein Robbenfell gegen Blitzschlag getragen haben.) Wer weiß, was für verborgene, magische Zusammenhänge den Alten bekannt waren, dass sie solche Verbindungen herstellten?
SPINNRAD DER GÖTTIN
Die ersten Missionare und Waldläufer, die die Wälder Nordamerikas erforschten, berichten, dass die Indianer die dort heimischen Nesselarten (Urtica gracilis, Laporta canadensis) nicht nur als Suppengrün verspeisten und als Diuretika verwendeten, sondern auch aus ihren Fasern Seile, Stricke, Taschen, Schlingen und vor allem Netze zum Fangen von Fischen herstellten. Der Jesuitenpater Louis Hennepin (1698) berichtet von Fischernetzen aus Nesselfaser von 40 bis 50 Fathomen (80–90 Meter) Länge, mit denen die Irokesen pro Fischzug bis zu 400 fette Felchen und dazu noch viele Störe gefangen hätten (ERICHSEN-BROWN 1979:444). Die französische Missionsschwester Marie de l’Incarnation (1670) berichtet, dass die Indianerinnen keine Spindeln benutzen: Mit den Handflächen zwirbeln sie die Fasern auf ihren Schenkeln zu festen Fäden und Schnüren. Es ist dann die Aufgabe der Männer, diese zu Netzen zu verknüpfen.
Die hier beschriebenen Techniken sind das Erbe der paläolithischen Jäger und Sammler. Ohne Netze und Schlingen wäre es schwierig gewesen, das Wild zu erbeuten, ohne Seile und Taschen schwierig, die wenigen Habseligkeiten zum nächsten Lager zu tragen. Dass die Brennnessel in den nördlicheren Breitengraden wahrscheinlich die erste wichtige Faserpflanze war, deutet unsere Sprache an, deren Wurzeln ja ebenfalls bis in die Altsteinzeit zurückgehen. Das Wort »Nessel« entstammt dem indogermanischen Urwort *ne. Daraus ergibt sich ein ganzer Bedeutungskomplex mit folgenden Inhalten: nähen (lat. nere und griech. néein = spinnen; griech. nema = Faden; sanskr. nah = binden). Netz (Geknüpftes; lat. = Fischreuse), nesteln (knüpfen, schnüren), Nestel (Band, Schnürriemen; dazu gehört auch das Nestelknüpfen, das schwarzmagische Verknüpfen von Hosenlatzbändern, um einen Mann impotent zu machen) und das altgermanische Wort nezze (Zwirn). Auch das Wort Nadel bezog sich zuerst auf die Stechhaare dieser Faserpflanze.
Außer dem Historiker, der sich auf die Geschichte der Textilherstellung spezialisiert, oder dem Gärtner, der beim Ansetzen einer Brennnesseljauche auf die faserigen Stränge der Brennnesselhalme aufmerksam wird, weiß wohl kaum jemand von der kulturhistorischen Bedeutung dieser Faserpflanze. Aber da gibt es auch einige Märchen, die – wenn wir aufmerksam zuhören – uns etwas über die einstige Bedeutung der Brennnessel erfahren lassen. Wir wollen uns diese nicht vorenthalten, denn auch sie deuten hin auf die tieferen Geheimnisse des Brennnesseldeva.
Ein von den Brüdern Grimm aufgezeichnetes uraltes Märchen erzählt von einem König, dessen zweite Frau eine Hexe war. Weil er befürchtete, die Stiefmutter würde den Kindern – sechs Knaben und ein Mädchen – ein Leid antun, versteckte er diese in einem Waldschloss. Die Böse aber fand das Versteck und verwandelte die Königssöhne in wilde Schwäne. Die verlassene Schwester suchte überall nach ihren Brüdern. Als sie tief im Wald in einer leeren Hütte übernachtete, hörte sie plötzlich das Rauschen von Flügeln. Da sah sie sechs Schwäne, die ihr Federkleid abstreiften und Menschengestalt annahmen. Es waren ihre Brüder! Doch die Freude des Wiedersehens währte nicht lange. »Jeden Abend nur eine Viertelstunde lang können wir unsere Schwanenhaut ablegen«, sagten die Brüder. »Könnt ihr nicht gerettet werden?« fragte das Mädchen. »Ach, nein«, antworteten sie und wurden sehr traurig, »die Bedingungen sind zu schwer. Wer uns erlösen will, darf sechs Jahre lang nicht sprechen und nicht lachen und muss in der Zeit sechs Hemdchen für uns aus Sternblumen (Brennnesseln) nähen!«
Ohne zu zögern machte sich die Schwester an die schwierige Aufgabe. Unermüdlich sammelte sie die stechenden Nesselruten und spann das Nesselgarn. Dann versteckte sie sich im Geäst eines Baumes und nähte unaufhörlich an den Nesselhemden.
Eines Tages jagte ein Königssohn im Wald und wurde durch das Kläffen der Bracken auf ihr Versteck aufmerksam. Da sie so schön war, verliebte er sich sofort in sie, nahm sie mit auf sein Schloss und machte sie zu seiner Frau. Der König aber hatte eine boshaft neidische Mutter, die bei jeder Gelegenheit schlecht über die junge Königin sprach.
Nach einiger Zeit gebar diese ihr erstes Kind. Aber während sie schlief, kam die Alte geschlichen, nahm ihr das Kind weg, bestrich ihren Mund mit Blut und ging zum König, dem sie klagte, die junge Frau sei eine Menschenfresserin.
Da die junge Königin nicht reden durfte, konnte sie sich auch nicht verteidigen. Aber der König, der seine Frau liebte, glaubte seiner Mutter nicht. Die Alte raubte auch das zweite Kind. Als sie dann auch noch das dritte neugeborene Kind zum Verschwinden brachte, musste der König seine Frau dem Gericht überantworten. Sie wurde zum Tod durch das Feuer verurteilt!
Gerade am Tag der Hinrichtung waren die sechs Jahre vorbei. Die sechs Hemden waren bis auf einen Ärmel fertig geworden. Die Hemden unter den Arm geklemmt, bestieg sie den Scheiterhaufen. Als der Henker den Feuerstoß anzünden wollte, rauschten plötzlich sechs Schwäne daher und nahmen die Gestalt von Königssöhnen an. Da nun ihre Brüder erlöst waren, durfte die junge Frau wieder reden. Sie verriet den Betrug der Alten, die an ihrer Stelle sofort auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.
Hans Christian Andersen erzählt ein ähnliches Märchen, nur sind es in diesem Fall elf Schwäne, die erlöst werden müssen, und es ist ein böser Bischof, der die Königstochter verleumdet und verbrennen lassen will, weil er sie nachts beobachtet hat, wie sie auf dem Friedhof Nesseln pflückt. So etwas machen angeblich nur Hexen!
Ein weiteres Märchen erzählt von einem hartherzigen Vogt, der einer Dirne nicht erlauben wollte, den Schlossgärtner zu heiraten, bevor sie ihm zwei Hemden aus den Nesseln, die auf dem Grabe ihrer Eltern wuchsen, genäht hatte. Das Mädchen weinte bitterlich und war so betrübt, dass ein wildes Bergweiblein sich erbarmte und ihr beim Spinnen half. Der böse Vogt starb, gerade als sie mit der schweren Arbeit fertig war. Das eine Nesselgewand wurde sein Leichenhemd, das andere nahm sie als ihr Hochzeitsgewand.
Hinter diesen Märchen steckt ein wichtiges Stück vergessener Kulturgeschichte. Die Brennnessel, wie auch der mit ihr verwandte Hanf, wurde im Neolithikum für die Völker Nordeuropas bald eine wichtige Faser- und Gespinstpflanze, aus welcher Gewebe so fein wie Musselin oder so grob wie Segel- und Sacktuch hergestellt wurden. Auch feste Stricke und Seile wurden aus Nesselfasern gedreht.
Die Garnherstellung war keineswegs einfach. Die Nesseln mussten wie auch der Flachs oder Hanf in Wasser eingeweicht, vergoren, geröstet, geschwungen, in Lauge gekocht, durch die Hechel gezogen und zu spinnfertigen Wocken geschlichtet werden, ehe sie spinnbereit waren. Diese umständliche und schwierige Arbeit wurde fast ausschließlich von den Frauen verrichtet.
Seit neolithischen Zeiten war es die Große Göttin selber, die über die Herstellung der Zwirne, Garne und Spinnfäden gebot. Sie war es auch, die in Gestalt der Frigga, Athena, Minerva, Ishtar der Moiren oder der Nornen mit ihrer Spindel oder dem Spinnrad das Schicksal der Menschen und der Götter spann. Ebenso »spannen« die Frauen am Schicksal der Hofgemeinschaft und Familie, wenn sie in der dunklen Jahreshälfte in den Spinnstuben ihre Garne bearbeiteten, scherzten und plauderten. Das waren wichtige und heilige Angelegenheiten. Da hatten die Männer nichts zu suchen. Hier und da sollen die Spinnerinnen den Männern, die ihrem Arbeitsplatz zu nahe kamen, als derben Scherz die Hosen mit Brennnesseln vollgestopft haben.
In diesem Zusammenhang lässt sich der tiefere Sinn der Märchen deuten. Die schöne Königstochter, die die Nesselhemden näht, ist niemand anders als die Göttin, die den Lebensfaden spinnt und das Schicksal webt. Sie ist es, die, wie im zweiten Märchen, sowohl das Hochzeitskleid als auch das Totenhemd näht. In Grimms Märchen hängt das Schicksal ihrer Brüder förmlich von ihrem Wort oder besser gesagt von ihrem Schweigen ab. (Traditionell wird die Schicksalsgöttin als schweigend dargestellt.) In diesem Märchen wird auch die zauberwidrige Macht dieser eisenhaltigen Pflanze offenbart. Nur Panzerhemden aus Nesseln können vom bösen Zauber befreien. Die Schwanengestalt symbolisiert in der indogermanischen Mythologie immer das »Fliegen«, das »Hinaustreten«, das Nichtverbundensein mit der materiellen Erde und ihren ehernen Gesetzen. Die Nessel jedoch, die als Hemd schützend die Brust und die Herzmitte umhüllt, vermittelt den abgehobenen, entschwebten Seelen jene Eisenkraft, die sie wieder fest auf den Erdboden stellt, die sie ermächtigt, ihr diesseitiges Erdenkarma auszuleben.
Im gleichen Sinn empfand der Bauernphilosoph Arthur Hermes die Nesseln, die seinen abgelegenen Einsiedlerhof im Schweizer Jura kräftig umwuchern, als heiligen Schutz gegen negative Einflüsse. Für diesen alten Bauern, der noch ganz in der bunten Bilderwelt der Ahnen lebte, galt das Haus als eine Art Leib, dessen Herzmitte der warme Herd ist. Die Brennnesseln, die er nie ohne Grund mähte, waren sozusagen ein Hemd für diesen Leib, der die Familie beherbergte.
Die Nesselstoffe sind wie auch die Hanfgewebe fast in Vergessenheit geraten. Was man heutzutage als »Nesselstoff« kauft, ist oft nur Baumwolle. In Schottland waren Nesseltücher noch lange nach der Einführung der Baumwolle in Gebrauch. In Holstein war die Nesselmanufaktur so wichtig, dass der Graf von Schauenburg sie in sein Wappen aufnahm. In Leipzig gab es bis 1723 noch eine Manufaktur, die Nesselstoffe herstellte. Im Ersten Weltkrieg, als die Baumwolle infolge der Handelsblockade der Aliierten knapp wurde, kam die Nessel vorübergehend wieder zu Ehren. Man nahm Brennnesselfasern, um Flachs, Baumwolle oder Ramie (eine tropische Faserpflanze aus der Nesselfamilie) zu strecken. Im Jahre 1916 etwa wurden in Deutschland 2,7 Millionen Kilogramm Nesselstoff hergestellt. Es kam zu verschiedenen Anbauversuchen und zu neuen Patentierungen für Herstellungsverfahren. Inzwischen hat man im Zeitalter des globalen Handels, der aus Erdöl hergestellten Kunstofffasern und der Textilimporte aus Billiglohnländern diese Bemühungen als arbeitstechnisch zu umständlich und zu teuer aufgegeben. Wer weiß aber, was die Zukunft bringt. Vielleicht webt uns die Schicksalsgöttin neue Sternenblumenhemden?
Beifuß
Artemisia vulgaris
Für den Botaniker, der zugleich Astrologe ist, ist es eindeutig: Die Beifußarten (Gattung Artemisia), von denen es um die zweihundert gibt, stehen allesamt unter der Herrschaft des Saturn; ihre Blätter sind grünlichgrau, der Geschmack ist oft recht bitter, ihr Duft herb-würzig und die windbestäubten Blüten sind winzig und unscheinbar. Zudem sind sie vor allem Bewohner der salzig-alkalischen, eher trockenen Steppen und der Karstlandschaften Amerikas und Asiens, wo die Temperaturen unwirtliche, »saturnische« Extreme annehmen, wo die Winter bitter kalt und die Sommer glühend heiß sind.
Beifußarten erweisen sich als besonders zäh. Sie gehören zu den Pionierpflanzen, die sich des Ödlands bemächtigen. Sie gehören – das ergaben Pollenanalysen – zu jenen Pflanzen, die nach dem Rückzug der Gletscher vor rund 10000 Jahren die Tundren Eurasiens besiedelten. Die Beifußarten gehörten einst – wie heute noch in den Steppen Nordamerikas, wo sie den Großteil der Nahrung der Antilopenherden bilden – zum Ökotop der großen Herden, die auf den endlosen Tundren weideten. Auf jeden Fall kannten die Großwildjäger der jüngeren Altsteinzeit diese aromatischen Pflanzen und schätzten sie als Heil- und Zauberkräuter.
Diese in Lederzelten lebenden, nomadisierenden Jäger stellten den riesigen Herden von Rentieren, Büffeln, Mammutelefanten, Wildpferden und anderen Huftieren nach. Vermutlich rieben sie sich mit diesen Kräutern ein oder beräucherten sich damit, ehe sie auf Jagd gingen, um ihren Körpergeruch zu tarnen. Die Büffeljäger der Prärie taten es ebenso.
HEILIGE INDIANERPFLANZE
Gelegentlich müssen einige dieser eurasischen Jägersippen den Herden über die Landbrücke (Beringia) gefolgt sein, die damals noch Sibirien und Alaska verband. Diese Vorfahren der Indianer nahmen selbstverständlich all ihr Können und Wissen mit in die damals noch unbesiedelte Neue Welt: Techniken der Jagd und der Werkzeugherstellung, ihre Lederzelte (Tipis) und Schwitzhütten, ihr Wissen um die Geister und Götter, Märchen, Kinderspiele, die Verehrung des Großen Bruders Bär (STORL 1992:20) und den Schamanismus. Und ebenso die Verehrung der bitter-aromatischen, graugrünen Beifußgewächse. Die Hochachtung für diese Pflanzen, insbesondere für den Steppenbeifuß (Artemisia ludoviciana), haben die Indianer bis heute beibehalten. (Der Steppenbeifuß oder prairie sage wird meistens mit »Salbei« übersetzt. Das ist aber falsch, denn die Salbei gehört einer ganz anderen Familie an; sie ist ein Lippenblütler wie z. B. die Minze.)
Für die Lakota (Sioux) öffnet einem der Steppenbeifuß den Zugang zum Heiligen, zum Numinosen (Wakan). So wird derjenige, der eine Vision sucht und seinem tierischen Schutzgeist begegnen will, mit Beifuß eingerieben. Wer unwillkürlich ein Tabu verletzt oder einen Fetisch berührt, der muss in Artemisia baden, denn diese Pflanze vertreibt alle bösen Einflüsse und macht »schlechte Medizin« unwirksam. Die Tänzer des mittsommerlichen Sonnentanzes werden geheiligt, indem sie Beifußarmbänder tragen und mit dem Kraut abgerieben werden. Der Sioux-Häuptling Schwarzer Hirsch erzählt dazu Folgendes: »Bei jedem Sonnentanz tragen wir Salbeikränze (mit Adlerfedern) auf unseren Köpfen, denn dies ist ein Zeichen dafür, dass unsere Gedanken und Herzen dem Großen Geist und seinen Mächten nahe sind, weil der Kranz die Dinge des Himmels, die Sterne und Planeten, darstellt, die geheimnisvoll und heilig sind« (SCHWARZER HIRSCH 1992:130). Nicht nur die himmlischen Mächte werden mit dem Beifuß verehrt, sondern auch die Mutter Erde. Sie wird durch einen Bisonschädel versinnbildlicht, dessen Gesicht nach Osten gekehrt ist. Der Schädel ruht auf einem Bett aus Steppenbeifuß, und seine Augenhöhlen sind mit demselben Kraut ausgestopft.
Auch die anderen Indianer reinigen und weihen den Körper und Gegenstände mit dieser Pflanze. Bei den Cheyenne wird jedes Zeremonial-Tipi, in dem sakrale Rituale stattfinden, mit Steppenbeifuß umlegt, und zwar so, dass die Zweigspitzen nach innen, zur Feuerstelle hin zeigen. Ebenso legen die Cheyenne-Pflanzenschamanen die gesammelten Heilkräuter behutsam der Reihe nach auf ein Bett aus Beifußstängeln, das mit den Wurzeln nach Süden und den Spitzen nach Norden ausgerichtet ist (STORL 1987:52). Getrocknetes Beifußkraut wird, unter Beimischung von etwas Christophskraut (Actaea rubra) in die Glut gelegt, damit der Rauch böse Geister oder das Nachwirken eines Alptraums vertreibt. Die Körperbemalung der Cheyenne-Priester und -Krieger darf nur mit Beifuß entfernt werden. Teller werden nach dem Essen mit dem prairie sage ausgewischt. Kriegs- und Jagdwaffen wurden einst mit der Pflanze rituell gereinigt; noch heute wischen die Jäger ihre Flinten damit ab.
Bei den Cheyenne gab es früher Konträrkrieger (Hohnuhka), die als heilig angesehen wurden, da sie in direkter Verbindung mit den Donnergöttern standen. Diese berserkerähnlichen Einzelgänger besaßen einen »Donnerbogen«, dessen Griff mit Steppenbeifuß umwickelt war. Die magische Waffe beschützte sie vor Blitzschlag, zugleich aber konnten sie damit die Blitze auf ihre Feinde richten. Auch sonst trugen die Hohnuhka immer ein Büschel Beifuß mit sich. Damit ihre Gastgeber durch ihren Besuch keinen Schaden erlitten, fegten sie damit den Tipiboden, auf dem sie gesessen hatten. Wann immer diese kraftgeladenen Krieger einen Mitmenschen, den Erdboden oder ein Pferd aus Versehen mit ihrer magischen Blitzwaffe berührt hatten, reinigten sie diese mit dem Beifußbüschel.
Auch die Indianerfrauen hatten ihre besonderen Beifuß-Mysterien. Diese hatten weniger mit Krieg, Jagd oder Visionssuche zu tun als vielmehr mit der Monatsregel und der Geburt. Dazu benutzten sie nicht den großen »Männersalbei« (Artemisia ludoviciana), sondern den zierlichen »Frauensalbei« (Artemisia frigida), der für Männer tabu war. Bei vielen Stämmen wurde während der vier rituell festgelegten Tage in der Menstruationshütte (Mondhütte) ein Tee daraus getrunken. Einige Ethnobotaniker vermuten, dass die Pflanze auch eine Rolle in der Geburtenregelung spielte. Cheyennehäuptlingsfamilien brachten nur alle sieben Jahre ein Kind zur Welt; so lange dauerte es, glaubten sie, bis sich die Kraft wieder vollständig erneuerte (ERICHSEN-BROWN 1979:vii).
RAUCH GEGEN DÄMONEN
Interessant ist, dass in der Alten Welt, von der Atlantikküste bis ins Reich der aufgehenden Sonne, die Beifußarten ganz ähnlich verwendet werden. Mit ihnen wird geräuchert, geheilt, der Mut der Krieger beschworen, Donnergötter verehrt, heilige Gegenstände geweiht und Besen gefertigt, um damit sakrale Orte zu fegen. Dies und die Tatsache, dass der Umgang mit dem Kraut überall stark ritualisiert ist, bestätigt die Annahme, dass die Wurzeln des ritual-sakralen Gebrauchs in der alten Steinzeit zu suchen sind.
Im Fernen Osten, in China, Tibet und Japan werden mit Beifußrauch die Dämonen und bösen Geister vertrieben. Hierauf beruht letztlich der heutige Gebrauch des Beifußes in der chinesischen Heilkunde und in der Moxabehandlung. Das Wort Moxa entstammt dem japanischen Namen für Beifuß, Mogusa (»Brennkraut«). Die Moxabehandlung, auch Moxibustion genannt, besteht darin, auf bestimmten Reizpunkten des Körpers (Akupunkturpunkten) eine erbsengroße Kugel oder einen Kegel aus fein zerriebenen, gepressten Beifußblättern abzubrennen. Durch die Hitze entsteht eine reflektorische Wirkung auf die erkrankten inneren Organe und deren Energiezufluss.
Beifuß (Ai Yeh) wird schon im ältesten chinesischen Kräuterbuch, dem Pen Tsao (3. Jahrtausend v. Chr.), erwähnt. Der Gelbe Kaiser Shen Nung, Erfinder des Ackerbaus und der Heilkunde, soll dieses Buch geschrieben haben. Es heißt, der Gelbe Kaiser habe Menschengestalt, jedoch einen Stierkopf gehabt. Jedenfalls wird er mit Hörnern dargestellt. Das rückt ihn in die Nähe des archaischen hörnertragenden Urschamanen oder des paläolithischen »Herrn der Pflanzen und Tiere«, den Urgott der Menschen (STORL 1988:31).
Tatsächlich ist die Moxibustion sehr alt. Ein Urgeschichtler hat die Hypothese aufgestellt, dass der Steinzeitmensch mit Hilfe des Moxabrennens vor allem seine durch das kühlere Klima und die feuchten Wohnhöhlen verursachten rheumatischen Beschwerden linderte. Noch immer ist es bei den Jäger- und Sammlerstämmen Brauch, schwelende Kräuterkügelchen oder kleine Stücke trockenes, verrottetes Holz auf schmerzende Körperstellen zu legen, um unsichtbare Krankheitsdämonen zu vertreiben. Die Kiowa-Apachen zum Beispiel benutzen dünne, angespitzte Beifußstäbchen (Artemisia ludoviciana) von ungefähr einem halben bis zu einem Zentimeter Länge, die sie an der schmerzenden Stelle in die Haut stecken und mit heißer Kohle zum Glühen bringen (KINDSCHER 1992:49). Die Waldlandindianer benutzten zum gleichen Zweck trockene Stückchen des Holundermarks. Pank oder Punk nannten die Algonkien diese schwelenden Holunderstängel, eine Bezeichnung, die die weißen Siedler auf jene Halbstarken übertrugen, die an Straßenecken lungerten und die Unverschämtheit hatten, öffentlich Zigaretten – Glimmstängel eben – zu rauchen.
Das Abbrennen von Kräuterkugeln oder Holzstückchen auf der Haut ist dort angesagt, wo sanftere Methoden wie Schwitzhütte, Kräutertees und Zaubersprüche keine Wirkung zeigen. Auch die chinesischen Ärzte ziehen bei älteren und besonders geschwächten Patienten die Moxibustion der Akupunktur vor (FAZZIOLI 1989:79).
In Indien und im Tibet sind es schlangenähnliche Dämonen, die den Himmelsgöttern Feind sind, denen man mit Beifußräucherungen zu Leibe rückt. In Indien heißt der Beifuß deswegen Nagdamani, »Feind der Schlangen«. Als Amulett um den Hals getragen, verleiht Nagdamani Mut und Kraft, wenn man von Tigern, Dämonen, Feuer, Wasser oder Feinden bedroht ist. Ein König sollte, gleich dem Donnergott und Götterkönig Indra, die Pflanze am Hals, an den Händen und Ohren befestigen, ehe er in den Krieg zieht.
Wie in Asien wurde auch in Europa der Beifuß als Schutz gegen Dämonen verwendet. Pseudo-Apuleius berichtet, dass die Römer Beifußkränze im Haus aufhängten, um unsichtbare Störgeister zu vertreiben und den bösen Blick abzuwehren. Im ganzen Mittelmeerraum war in der Antike die Pflanze der Göttin Artemis geweiht, daher der Gattungsname Artemisia. Sie ist die Herrin der wilden
Familie:
Korbblütler
Volksnamen:
Besenkraut
Buck
Gänsekraut
Gürtlerkraut
Muggert
Mugwurz
Schoßwurz
Sonnenwendgürtel
griech. parthenis
(= Kraut der Jungfer, Artemis)
engl. mugwort, felon herb
franz. armoise, herbe Saint-Jean
ital. amarella
Tiere, die ungebundene Jägerin, die jenseits der schützenden Mauer der Zivilisation in der Wildnis ihr Wesen treibt. Sie verabscheut das Joch der Ehe, hilft aber den Gebärenden und den kleinen Kindern. Wie der stierköpfige Shen Nung trägt auch diese durch die Wälder schweifende Bogenschützin archaische, steinzeitliche Züge. Sie ist, wie wir gleich sehen werden, ein Aspekt der Großen Göttin der frühen Menschheit.
MUTTER DER KRÄUTER, KRAUT DER MÜTTER
Für die germanischen Stämme galt der Beifuß wohl als die mächtigste aller Pflanzen. Mugwurz, also »Machtwurz«, nannten sie ihn. Muggert, Müggerk und Mugwurz heißt er noch immer in den niederdeutschen Mundarten. Mugwort heißt er auf englisch. Wenn einige Sprachforscher auch vermuten, dass »Mug« vom keltischen miegle (= wärmen) herrührt, so besagt das nichts anderes, denn im bildhaften, archaischen Denken ist Wärme gleich Leben und Kraft, wohingegen Kälte Schwäche und Tod bedeutet.
Aber auch andere Bezeichnungen trug diese Machtwurz. Wyrta Modor, Mutter der Wurzeln oder Schicksalsmutter, hieß sie bei den heidnischen Sachsen. Noch im Mittelalter feierte man sie als Herbarum Mater. Diese Mutter der Kräuter, diese Machtwurz wird im angelsächsischen Neunkräutersegen als Allererste angerufen. Sie ist der Erste der neun Wunderzweige, mit denen der ekstasische Schamanengott Woden (Odin) die giftige, krankheitsbringende Schlange schlug. Der Zaubergott und nach ihm die ihn verehrenden Kräuterkundigen sprachen die Pflanze mit folgenden Worten an:
«Erinnere Dich, Mugwurz, was Du verkündetest,
Was Du feierlich festgesetzt hast.
Una heißt Du, Älteste der Kräuter,
Macht hast du gegen dreißig und gegen drei,
Macht gegen das fliegende Gift,
Macht gegen das Übel, das über das Land fährt.«
Wer ist nun diese mysteriöse Una, deren Name als Allererster aufgerufen wird und die so viel Macht besitzt? Wir wissen es nicht mehr genau. Vermutet wird, dass es sich dabei um eine anagrammatische Verdrehung des Namens einer Urgöttin handelt. Nordische Runenritzer und Barden verkehrten gerne die Buchstaben magischer Worte, etwa Alu für Laukr (= Lauch, eine Kraftpflanze), wodurch ein Gegenzauber erschwert oder gar verunmöglicht wurde. Una ist also Anu oder Ana, die Ahnfrau der Götter in vielen indoeuropäischen und semitischen Mythologien. Bei den Kelten erscheint sie als Dana – aus Dea (Göttin) und Ana, die Mutter des lichten, edlen Göttergeschlechts der Tuatha. Der Name erscheint wieder in der irischen Ana, einer Göttin der Erde und Fruchtbarkeit, in der mütterlich-fürsorglichen Göttin Anapurna der Inder und in der Ana-Perenna, die die Römer vor dem Verhungern rettete. Viele der Heiligtümer dieser mütterlichen Göttin wurden von den Christen übernommen und der heiligen Anna, der Mutter Marias und Schutzpatronin der Frauen, geweiht. Selbstverständlich finden wir den uralten Namen auch in der altitalienischen Diana (der Dea-Ana = Göttin Ana) wieder, der Göttin der Jagd und Beschützerin der Jungfräulichkeit. Die Römer setzten ihre Diana der griechischen Artemis gleich – womit wir wieder bei den Artemisien, den Beifußgewächsen, angelangt sind. Artemis-Diana ist nicht nur Herrin der Wildnis, sie ist zugleich Hüterin des weiblichen Schoßes, Beschützerin der Yoni (der Scham), jenem heiligen Tor, durch das alle Lebewesen die diesseitige Welt betreten. Der Name der Pflanze leitet sich nach Ansicht des römischen Naturphilosophen Plinius von Artemis-Ilithia ab; das ist die Göttin in ihrem Aspekt als Geburtshelferin.
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