Kitabı oku: «Winterwahn», sayfa 5

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»Was auch passiert, halt um Gottes willen den Mund, Kind«, sagte Louis.

Louanne sah ihn mit vor Angst geweiteten Augen an und nickte nur stumm. Die Fremden kamen jetzt schnell näher und verlangsamten ihren Ritt erst wenige Schritte vor ihnen. Wie nicht anders zu erwarten gewesen war, ritten sie nicht vorbei. Im Gegenteil hielten sie sich auf der Seite der Straße, an dessen Rand ihr Wagen stand, und bildeten einen losen Halbkreis.

Einer von ihnen ließ sein Pferd ein Stück vortänzeln. Es war zu Louannes Erstaunen keiner der älteren Kerle, sondern derjenige, den sie auf ihr eigenes Alter schätzte. Auch die Stimme war hoch und jugendlich, hatte aber einen schneidenden Unterton, der sie älter wirken ließ.

»Na was haben wir denn hier für eine kleine Bande. Großväterchen, Papa und Tochter? Nicht ungefährlich dieser Tage und dann noch mit einem ganzen Wagen voller guter Sachen. Was macht ihr denn, wenn ihr auf Wegelagerer trefft?«

Er legte den Kopf schief und sah beim Sprechen erst ihren Vater und dann sie selbst an. Den Alten ignorierte er völlig, während sein kalter Blick so intensiv über ihren Leib glitt, dass sie ihn beinahe körperlich spüren konnte. Sie war keine Schönheit, aber sie war jung und kräftig und wer wusste schon, wie lange diese Männer keine Frau gehabt hatten. Noch immer fiel es ihr schwer zu glauben, dass der Junge der Anführer sein sollte. Er konnte unmöglich viel älter sein als sie selbst.

Louis war zwar überrascht, dass der Bengel die Bande anzuführen schien, aber nur für den ersten Augenblick. Er sah lächerlich jung aus, kaum alt genug, um sich regelmäßig rasieren zu müssen, aber sein Blick war so ausdruckslos und stumpf wie der jedes anderen gedungenen Mörders, den er in seinem Leben gesehen hatte. Und das waren einige gewesen, in verschiedenen Städten und Lagern überall in der Mark. Louis war in jungen Jahren ein kaum besserer Mann gewesen als diese Schlagetots.

»Ich mache diese Tour seit vielen Jahren«, erhob er die Stimme und war froh, dass sie fest war und nichts von der Angst um sich und sein Kind darin mitschwang. »Hier gibt es keine Wegelagerer. Und wenn sich derartiges Gesindel an meinen Wagen herantraut, bekommt es meine Klinge zu spüren. Ich nehme an, die Herren sind Schwerter im Sold? Ich habe euch in der Stadt nie gesehen, arbeitet ihr für den Bürgermeister von Petit-Ruisseau oder den Baron?«

Er hoffte inständig, dass er mit seiner Einschätzung richtig lag. Für Wegelagerer waren die Männer zu gut gerüstet, und er glaubte nicht, dass sie einfache Räuber waren. Lohnschwerter war die naheliegendste Vermutung. Normalerweise waren solche Männer für einfache Leute wie Louis und Louanne nicht sonderlich gefährlich, aber diese Bande hatte etwas Verlottertes an sich. Er wusste, dass es alle Arten von Söldnern gab. Die einen verkauften ihr Schwert an den meistbietenden, um ein möglichst gutes Leben zu führen. Es gab aber auch immer übles Mördergesindel, die es nicht so genau nahmen, ob sie fürs Töten bezahlt wurden oder nicht, und einfach jede Möglichkeit nutzten, von ihren Waffen gebrauch zu machen. Diese hier sahen aus wie die übelste Sorte. Schon sie Tatsache, dass sie ein halbes Kind anführte, zeugte von dem Charakter der anderen.

»Eigentlich ziehen wir hier nur durch«, grinste der Junge. »Die Stadt, von der Du sprichst, ist ein Dreckloch, die können sich uns gar nicht leisten. Und der Baron mit seinen Männern scheint von hier ziemlich weit weg zu sein, nicht wahr? Wir sind also gewissermaßen auf der Suche.«

Louis bemühte sich nach Kräften, möglichst unbefangen zu klingen. »Nun, wenn ihr hier weiter nach Süden zieht, werdet ihr kaum etwas Passendes finden. Die Straße führt in die Grenzlande zur Südmark und dort gibt es nur Dörfer und Gehöfte. Gen Osten im Herzland oder im Westen in den Küstenstädten stünden eure Chancen auf guten Lohn für eure Dienste sicher besser.«

Der Junge legte den Kopf erneut schief und machte ein so aufgesetzt nachdenkliches Gesicht, das es unfreiwillig komisch wirkte. Er wirkte durch die übertriebene Grimasse gleich noch einmal zwei Jahre jünger, doch seine anschließenden Worte negierten diesen Eindruck sofort wieder.

»Tja. Mag was dran sein. Danke für den Hinweis, alter Mann. Vielleicht gehen wir wirklich lieber nach Osten, denn nach Süden. Aber vorher würde ich sagen, wir schauen einmal was wir von deinem Wagen gebrauchen können. Außerdem sehen wir, wie dein Esel schmeckt, und ficken deine Kleine. Ist sie deine Tochter oder deine Frau, falls ihr Bauernabschaum den Unterschied überhaupt macht?«

Louanne stockte ob dieser Worte aus dem Kindergesicht für einen Moment der Atem. Sie sah, wie die Hand ihres Vaters zum Schwert griff, dann hörte sie ihn ein furchtbares Stöhnen ausstoßen. Der Laut ließ ihr die Knie weichwerden und sie stieß unweigerlich ein leises Wimmern aus, als er sich langsam in ihre Richtung drehte. Er sank neben dem Esel auf die Knie und ihr Blick wurde von dem kleinen Bündel Federn gefesselt, das sich dort befand, wo eigentlich sein linkes Auge sein sollte. Das verbleibende Auge, das, in dem kein Armbrustbolzen steckte, starrte sie noch eine endlose Sekunde lang voll von ungläubigem Entsetzen an. Dann brach der Blick und der Körper ihres Vaters sank zur Seite wie ein Sack Getreide. Sie fuhr zu den Reitern herum, als sie wieder das stumpfe, unheilvolle Knacken einer Armbrust hörte, dass von einem durchdringenden, hohen Schrei gefolgt wurde, der beinahe menschlich klang. Es brach ab, und Gerard brach in seinem Gespann zusammen. Der alte Esel zuckte noch zweimal mit den Hinterbeinen, dann lag er still.

»Ach scheiße Hank, was sollte denn das?«, erhob einer der Männer die Stimme. »Sollen wir den ganzen Kram tragen oder was?«

»Piss dich nicht ein«, erwiderte ein vielleicht dreißigjähriger Blondschopf mit einer schlecht vernähten Hasenscharte. »Die haben doch sowieso nichts, das wirklich was wert wäre. Das bisschen Zeug können wir die paar Meilen in die Stadt schaffen, dann saufen wir uns ein paar Tage die Hucke voll und ziehen dann weiter. Der beschissene Bürgermeister gibt uns ja keine Arbeit. Aber erst ficken wir ein bisschen. Und jetzt hör auf zu meckern, sonst kriegst du nur die Ziege.«

Louanne drehte sich auf dem Absatz um und begann zu rennen. Sie dachte nicht darüber nach, wusste im Grunde, dass es völlig sinnlos war, aber sie rannte trotzdem, so schnell sie nur konnte.

»Guckt mal, die Kleine will vorher noch ein bisschen spielen«, stieß einer mit einem rauen Lachen hervor.

»Na los, holt sie zurück«, schnarrte der halbwüchsige Anführer. »Hank, du erschießt die Ziege von dem Alten, wenn du sie nicht ficken willst. Die sieht frischer aus als der Esel, der ist ja fast schon an Altersschwäche verreckt.«

Er wand sich dem Greis zu, während der angesprochene seine Armbrust neu spannte. Drei der anderen preschten auf ihren Pferden los und holten das Mädchen in wenigen Augenblicken ein.

»Tja, Alter«, grinste der Junge. »Was machen wir denn jetzt mit dir, eh? Zum Ficken wärst du zu alt und zu hässlich, selbst wenn wir einen Sodomisten unter uns hätten. Wobei ich ja glaube, dass Tom da drüben eigentlich in alles seinen Schwanz stecken würde, solange es warm ist.«

Der besagte Mann, Anfang zwanzig aber bereits beinahe zahnlos und mit einem beachtlichen Schmerbauch, gruntze nur und spuckte aus.

»Ich würde es außerordentlich begrüßen, wenn ihr davon absehen würdet, meiner Ziege die gleiche unerquickliche Behandlung zukommen zu lassen wie dem armen alten Esel.«

Die Stimme des Greises war hoch und brüchig, wie es bei sehr alten Männern oft der Fall war. Sie war jedoch auch ruhig, und er sprach so ungerührt und beiläufig, als führe er ein Schwätzchen auf dem Marktplatz.

»Hast du was am Kopf, du alter Pisser?«, sagte der Junge gedehnt.

»Was spielt das schon für eine Rolle?«, gab der Greis unbekümmert zurück. »Ich habe dringende Angelegenheiten im Norden zu erledigen und bin ausschließlich an einem ungestörten Fortkommen interessiert. Lasst meinen vierbeinigen Begleiter und mich ziehen, und erfreut euch an dem bisschen Leben, das euch noch bleibt, wenn ihr so eine Scheiße wie das hier öfters veranstaltet.«

Unglauben wurde nun in dem Gesicht des Anführers der Bande deutlich, das zugleich so jung und doch verlebt wirkte.

»Sag mal, du hast sie wirklich nicht mehr alle, oder?«

Aus einiger Entfernung drang ein Schrei zu ihnen, der in ein Schluchzen überging. Die Reiter hatten das Mädchen eine Weile gehetzt und sie dann gefangen. Einer hielt sie jetzt am Boden, während der Zweite die Pferde am Zügel hielt und der Dritte an seinem Gürtel herumfingerte.

»Was glaubt ihr, was ihr da macht, ihr Mistkäfer«, brüllte der Junge. »Ich ficke sie zuerst, also lasst eure traurigen kleinen Schwänze stecken und bringt die breitärschige Schlampe her. Kommt zwar aus einem kleinen Dreckskaff und ist älter als Zwölf, aber vielleicht ist sie ja wenigstens hinten noch Jungfrau.« Er drehte sich ruckartig zurück zu dem Greis. »Mach die verdammte Ziege alle, Hank.«

Die Armbrust knackte und ein Bolzen schlug mit einem dumpfen Geräusch genau zwischen den Augen der pechschwarzen Ziege ein, auf die der Greis sich stützte. Sie blieb einen Moment lang ungerührt stehen und zwei der Männer murmelten etwas Unverständliches, dann knickten ihre Beine ein und sie brach auf der Stelle in die Knie. Der Alte legte die Hände zusammen, als wäre nichts geschehen und sah zu dem jugendlichen Anführer hinüber, der sich mit einer geschmeidigen Bewegung vom Pferd gleiten ließ. Hinter ihm führte ein Mann die drei Pferde heran, während die anderen beiden das Mädchen hinter sich herschleppten.

»So, du komischer alter Hampelmann«, sagte der Junge mit gefährlich leiser Stimme. »Jetzt schauen wir doch mal, was du wirklich für einer bist.«

Er griff nach hinten an seinen Gürtel und zog einen Dolch mit einer breiten, zwei große Spannen langen Klinge hervor. Die Waffe wirkte alt, schmuddelig und abgetragen. Die Schneide selbst schien vom vielen Schärfen beinahe durchsichtig zu sein und war ohne Zweifel so scharf wie das Rasiermesser eines Barbiers. Er schob sich an den Greis heran, der noch immer völlig ungerührt dastand. Er hatte schon mit einigen Schwachsinnigen zu tun gehabt, und es war immer wieder aufs Neue spannend. Manche hatten die Verstümmelungen, die er an ihnen vorgenommen hatten, scheinbar interessiert verfolgt. Offenbar gingen bestimmte Formen der Schwachsinnigkeit mit einem Verlust des Schmerzempfindens einher. Andere hatten gekreischt und gefleht wie jeder normale Mensch auch. Im Angesicht von Folter und Tod unterschieden sich vermeintlich Gesunde und Geisteskranke in der Regel gar nicht sonderlich voneinander.

Louanne stöhnte tränenerstickt auf, als sie grob zu Boden gestoßen wurde. Sie riss sich den nackten Arm an einem spitzen Stein auf, bezweifelte aber, dass solche Verletzungen noch eine Rolle spielten. Ihr Kleid war zerrissen und hing nur noch an ihrer rechten Körperhälfte, die Knie waren aufgeschlagen und ihre Nase blutete. Aber all das war unbedeutend gegen das, was ihr noch bevorstand. Sie würden sie so lange missbrauchen, bis sie entweder tot war oder um den Tod bettelte. Es brauchte nicht viel, um das zu erkennen. Trotzdem starrte sie nun wie gebannt auf die Klinge des jungen Mannes, der sich dem Greis langsam näherte. Sie hatte den letzten Teil der Unterhaltung zwischen den beiden hören können.

Der Alte hatte im gleichen Ton mit diesem Abschaum gesprochen, wie die ganze Zeit über mit ihr und ihrem Vater. Er hatte nicht ein einziges Mal den Eindruck gemacht, wirklich senil oder schwachsinnig zu sein. Und doch musste er verrückt sein, so wie er jetzt völlig unbeteiligt zusah, wie der junge Mörder, denn nichts anderes war dieser Abschaum, auf ihn zukam. Selbst als sie seine Ziege getötet hatten, hatte er nicht mit der Wimper gezuckt.

Jetzt, wo es im Sterben lag, erkannte Louanne zum ersten Mal, was ihr an dem Tier so großes Unbehagen bereitet hatte. Es war nicht nur ihre stoische Ruhe oder die ungewöhnliche Größe, es waren die Augen gewesen. Eines dieser Ziegenaugen schaute verschleiert in den stählernen Himmel und sie bemerkte, dass es hell war. Blau oder Grau, was sie noch bei keiner Ziege gesehen hatte. Ihr Blick hob sich wieder zu dem Alten, den der Anführer der Bande nun erreich hatte. Die beiden ungleichen Männer, die ohne weiteres Urgroßvater und Urenkel hätten sein können, schauten sich einen kurzen Moment lang in die Augen. Dann hob der Junge die Klinge langsam und setzte sie in dem uralten, von Runzeln durchzogenen Gesicht unmittelbar neben dem rechten Auge auf.

»Möchtest du noch etwas sagen, bevor deine Welt dunkel wird, du irrer alter Pisser?«, erklang die schneidende Stimme des Jungen.

Diesmal blieb der Angesprochene stumm. Ein einzelner Blutstropfen quoll unter der Spitze des Messers hervor, dann ging ein Zittern durch den Arm, der die Waffe hielt. Noch immer hielten die beiden Männer Augenkontakt. Ein Moment völliger Lautlosigkeit entstand, der sich immer weiter ausdehnte. Als die die anderen Halunken gerade unruhig zu werden begannen, trat der Junge einen Schritt zurück, hob das Messer und zog die Klinge schwungvoll und mit großer Kraft durch seine linke Halshälfte. Sofort schoss eine Blutfontäne aus der klaffenden Wunde in die Kühle Herbstluft und die Beine des Mannes knickten praktisch im selben Moment ein. Louanne hörte die entsetzten Laute, welche die anderen Männer ausstießen, und riss die Augen auf. Dann ging alles unglaublich schnell.

Die vorgeblich sterbende Ziege sprang auf, rannte auf einen der Männer zu und rammte ihn mit dem Kopf so hart gegen den Oberkörper, dass der Brustkorb nach innen klappte. Der Getroffene wurde mehrere Schritte weit durch die Luft geschleudert und war tot, bevor er den Boden berührte. Zu Louannes Entsetzen zerfloss das gehörnte Tier daraufhin in der Luft, als bestünde sie aus zähem, schwarzen Wasser. Ihr Blick zuckte zu dem Greis, der beide Hände gehoben hatte und jetzt ruckartig in die Luft vor sich griff. Die Köpfe der beiden Männer, die ihr am nächsten standen, wurden so heftig herumgerissen, dass die Haut an ihren Hälsen aufplatzte. Das doppelte Krachen ihrer brechenden Knochen ging ihr durch und durch.

Sie hörte einen Mann kreischen wie ein kleines Kind, als die verformte schwarze Masse, die noch vor einem Wimpernschlag eine Ziege gewesen war, ihn erreichte. Es schien, als forme sich eine neue, ebenfalls vierbeinige Gestalt daraus, aber noch war unmöglich zu erkennen, um was es sich dabei handelte. Ein Teil des Gebildes, dass der neue Kopf werden mochte, traf auf den Mann und sofort quoll eine unglaubliche Menge Blut aus seinem Bauch. Er brach unter dem unförmigen schwarzen Angreifer zusammen und hörte auf zu schreien, als seine Innereien über die Straße verteilt wurden.

Sie hörte jetzt ein leises, unverständliches Murmeln und drehte erneut den Kopf. Der Greis murmelte irgendetwas und machte eine wegwerfende Bewegung mit der Rechten, woraufhin einer der Söldner die Hände vors Gesicht schlug und zusammenbrach. Louanne sah noch, wie ein Schwall Blut zwischen seinen Fingern hervorspritzte, dann knickten seine Beine ein. Zwei weitere Männer hatten ihre Waffen gezogen und waren jetzt bei dem Alten. Der Letzte von ihnen hatte noch auf dem Pferd gesessen, das er jetzt antrieb, um zu fliehen. Offenbar hatte er kein Interesse am Ausgang dieses Kampfes. Louanne erkannte rasch, dass er mit dieser Einschätzung richtig gelegen hatte.

Einer der Männer hieb mit dem Schwert zum Kopf des Greises, doch dieser wischte den Schlag mit der bloßen Hand beiseite, als wäre es der Hieb eines ungezogenen Kindes mit einer Weidenrute. Gleichzeitig machte er einen Schritt nach vorn und hämmerte dem Angreifer den Handballen der anderen Hand mit so großer Wucht gegen den Kopf, dass er sich beinahe rückwärts überschlug, bevor er reglos liegenblieb. Der zweite Mann stieß nach dem Bauch des Greises, der mit Bewegungen auswich, welche die eines jungen Mannes waren. Ein Rückhandschlag traf den Söldner so hart seitlich am Kopf, dass der Schädel beinahe vom Rumpf gerissen wurde.

Das, was einmal eine große schwarze Ziege gewesen war, rannte in gestrecktem Lauf hinter dem letzten, fliehenden Söldner her, der sein Pferd wie verrückt antrieb. Es war noch immer schwarz wie die Nacht, ungewöhnlich groß und zottig. Nur schien es jetzt ein Hund zu sein. Es war unglaublich schnell, aber das Pferd wurde unbarmherzig angetrieben und schien selbst halb wahnsinnig vor Angst zu sein. Es blieb eine Länge vor dem riesigen Verfolger, bis der Greis in Richtung des Fliehenden zeigte und erneut etwas murmelte. Plötzlich hielt das Pferd an, so ruckartig, dass sein Reiter aus dem Sattel geschleudert wurde und hart auf der Straße aufschlug. Louanne hörte seine Schreie, die schlagartig verstummten, als die schwarze Bestie ihn erreichte und zerriss wie einen frisch geschlagenen Hasen.

Zitternd schaute sie zu dem Greis, der nun mit einem Lächeln auf den Zügen zu ihr kam. Nur, dass er kein Greis mehr war. Er war noch immer hochgewachsen, aber nicht mehr so klapperdürr, wie sie ihn gekannt hatte. Auch wirkte er geradezu hünenhaft, weil er nicht mehr in der gebückten Haltung eines betagten Mannes ging. Er bewegte sich überhaupt nicht mehr wie ein alter Mann, sondern kam mit geschmeidigen Schritten auf sie zu. Sein Gesicht zeigte noch immer tiefe Falten um die Augen den Mund, soweit man das unter dem Bart erkennen konnte. Doch jetzt wirkte er nicht älter als vierzig und strahle eine beinahe unheimliche Vitalität aus. Ihr Blick war von seinen Augen gefangen, die so grau waren wie der Himmel an einem regnerischen Tag.

Sie haben die gleiche Farbe wie die der Ziege, dachte sie zusammenhanglos, dann war er bei ihr. Er lächelte, während er seine behandschuhte Hand vor ihr Gesicht hob. Sie verspürte keine Frucht, als er seine Fingerspitzen sanft auf ihre Stirn legte. So wie seine Hand ihr Gesicht hinabglitt, so glitt sie selbst in die Dunkelheit. Er riecht nach verwelkten Rosen, war das Letzte, was sie in ihrem kurzem Leben dachte, bevor sie starb.

Der zottige Hund trabte mit blutverschmierter Schnauze die Straße entlang auf die verstreut am Boden liegenden Leichen zu. Der dunkle Mann schaute ihm entgegen, dann suchte er sich das kräftigste Pferd aus und schwang sich in den abgenutzten Sattel.

»So viel zu unserem Ansinnen, unauffällig zu reisen«, sagte er zu der Bestie. Seine Stimme hatte nichts mehr mit der des Greises gemeinsam. Sie war so dunkel wie das Grollen eines Sommergewitters und so kalt wie ein Schneesturm im Dezember. Er stieß dem Pferd mit den Hacken sanft in die Seiten und es trabte an.

Im Stillen verfluchte sich Darane für seine Vorsicht. Offenbar wollte es das Schicksal, dass sein Rückweg nach Norselund ein steiniger wurde. Er glaubte nicht an Dinge wie Schicksal, aber es konnte nicht schaden, sich einen gescheiterten Plan einzugestehen. Dies war nach einer Patrouille aus Tempelrittern und Priestern sowie einem Trupp Soldaten eines Barons der Südmark die dritte Unterbrechung seines Weges dieser Art gewesen. Von jetzt an würde er auf Geschwindigkeit setzen, anstatt auf Unauffälligkeit. Das Jahr schritt voran und er spürte das Unheil im Norden, das seine Anwesenheit erforderlich machte.

5. Kapitel 4

Vestrgadda, Osten von Ulfrskógr

Der Wind, der unablässig von Norden heranstob, zerrte an Garawan ith Ciaras Kleidung. Er war in mehrere Lagen Wolle gehüllt und trug einen dicken, gefütterten Kapuzenmantel. Dennoch fror er, obwohl das Klabauterfell die größte Kälte noch eine Weile von seinem ausgemergelten, verdorrten Körper fernhielt und er die Kapuze bis tief in die Stirn gezogen hatte. Kaum etwas von seiner runzligen Haut war der Luft ungeschützt ausgesetzt. Frieren tat er trotzdem ständig, selbst in seinem geheizten Haus. Vermutlich kam die Kälte von innen, verlosch sein Körper langsam, wie der Muttersee unter dem Berg es tat. Alt, verbraucht und ausgebrannt. Der schwindenden Kraft zum Trotz kostete es ihn keine Überwindung, sich der zunehmend eisigen Witterung auszusetzen.

Sein Körper mochte verbraucht sein, sein Geist war es nicht und würde es wohl auch nie sein. Die Neugier auf das Unbekannte und die Faszination des Neuen trieb ihn an wie eh und je. Das galt für Nemunadej, die neue Heimat der Vannbarn, und das galt erst recht für den alten Wald, an dessen Rand er sich jetzt befand. Der Bau der Siedlung war nahezu abgeschlossen. Keinen Tag zu früh, denn wie sie vor Kurzem erfahren hatten, war sie alles, was ihrem Volk geblieben war. Trotz der Bestürzung über die Katastrophe, welche die Welt unter dem Berg ereilt hatte, in der er so viele Jahre verbracht hatte, konnte er sich an dem Neuen erfreuen. Mehr als die Stadt selbst aber zog ihn der Wald an.

Die uralten, mächtigen Bäume des Vestrgadda erhoben sich vor ihm gen Himmel wie eine lebendige Wand. Das kühle Dunkelgrün der Nadelhölzer wurde immer wieder durch die kahlen Stämme und Äste der Eiseneichen unterbrochen. Kiefern und Tannen gab es in dem großen, alten Wald überall. Tiefer im Waldesinneren im Osten gab es Flächen, die von Birken dominiert wurden, weiter im Süden ersetzen Buchen die Eichen, die hier als Laubbaum vorherrschend waren. Über ihnen zerwühlte der Wind stahlgraue Wolkenmeere, die tief über dem Land flossen und dem Firmament so ein wenig von der Weite nahmen, welche für die Vannbarn so ungewohnt war.

Für Garawan waren die Bäume ein noch größeres Wunder, als sie es für die Angehörigen seines Volkes ohnehin schon darstellten. Die Vannbarn, die jetzt hier lebten, hatten nie etwas anderes gekannt, als die Welt unter dem Berg. Ihre Generation und die beiden davor hatten die Oberwelt der nördlichen Berge bereits nicht einmal mehr für kurze Zeit betreten. Das Grau hatte auf das Leben der Vannbarn kaum eine Auswirkung gehabt. Die Verhältnisse an der Oberfläche des Eisgebirges hatten sich von lebensfeindlich zu tödlich gewandelt. Selbst die spärlichen Überlebenden der Flora, vereinzelte Kiefern, die ihre Wurzeln verzweifelt in den dünnen, eisigen Boden krallten, hatten für diese Generation nur in den Geschichten der Alten existiert. Wie so vieles aus dieser Welt.

Garawan sah die Bäume jedoch mit gänzlich anderen Augen, als es die meisten seiner Brüder und Schwestern taten. Das galt für jeden Baum, aber besonders für diese alten Majestäten, die seit Jahrhunderten hier lebten, davon Jahrzehnte völlig unbehelligt von menschlicher Hand. Das war selbst vor dem Grau nicht viel anders gewesen. Die Witterung hier war seit jeher rau und unwirtlich, und entsprechend dünn hatten die Menschen das Land besiedelt. Nur wenige Norselunder nannten diesen Landstrich je ihre Heimat, bevor auch die Letzten schließlich verhungerten oder aufgaben und nach Westen zogen.

Der alte Druide, der sich mit der Linken auf seinen Stab stützte, legte die rechte Hand auf die Schnittfläche eines großen, niedrigen Baumstumpfes. Sie befanden sich am Rand eines der drei Holzfällerlager, in denen die Vannbarn seit einigen Wochen Bauholz für die Errichtung von Nemunadej gewonnen hatten.

Inzwischen waren zwei der Lager aufgegeben worden, und dieses war eines davon. An die drei Dutzend Männer und Frauen arbeiteten hier noch, doch sie sammelten nur die letzten Reste an Holz ein, die man als Brennmaterial nutzen konnte. Das Leben unter dem Berg lehrte einen, nichts zu vergeuden. Auch war die Ehrfurcht der Vannbarn vor dem Leben dieser neuen Welt zu groß, um verschwenderisch mit seinen Gaben umzugehen. Garawan hoffte, dass dieser Respekt mit der Zeit nicht verblasste. Er für seinen Teil würde dafür tun, was er konnte. Die neue Situation war in gewisser Weise schrecklich, aber die war auch eine Chance für einen Neuanfang.

Obwohl der alte Druide dicke Fäustlinge trug, konnte er die dünne Spur von Leben fühlen, die noch immer in dem Holz des Stumpfes floss. Es war nur ein sterbender Hauch, der Baum war längst gefällt und die Wurzeln verrotteten. Und doch war noch ein Funken von dem vorhanden, das diesen Ort so überreichlich erfüllte. Er war der älteste Angehörige seines Volkes, hatte beinahe dreihundert Zyklen gelebt, und doch war er ebenso unter dem Berg in einer Welt aus Stein geboren worden, wie jeder andere Vannbarn. Die Druiden der Kinder des Sees hatten in ihrer über hundert Generationen dauernden Geschichte gelernt, ihre Kraft aus dem Stein zu ziehen.

Als er das erste Mal allein am Rand des alten Waldes gestanden hatte, war er von so großer Ergriffenheit erfasst worden, dass es ihn beinahe zerrissen hätte. Die Kraft, die durch die Bäume floss, sprach zu der in seinen Adern, ohne dass er irgendetwas dagegen tun konnte. Es war unmöglich, sich vor diesen Gefühlen, diesem uralten Band abzuschirmen. Er hatte vor Rührung geweint wie ein alter Narr, und es war ihm nur allmählich und mit Mühe gelungen, sich wieder fassen. Als einer der mächtigsten Druiden seines Volkes hatte er sein ganzes, langes Leben über eine tiefe Verbundenheit zu dem Stein seiner Heimat empfunden. Diese Verbindung war ein essenzieller Teil seines innersten Selbst. Seiner Seele, wenn es sie denn gab.

Hier hatte er erkannt, dass all das nur ein kümmerlicher Ersatz für das war, was die seinen vor vielen hundert Jahren verloren hatten, als sie Nemues Ruf unter den Berg folgten. Es hatte sich angefühlt wie ein Nachhausekommen an einen Ort, von dem man nicht gewusst hatte, dass er existiert. Die meisten alten Druiden wären an dieser Erkenntnis zerbrochen. Ihn jedoch hatte das geschützt, was ihn schon immer von den meisten Menschen abgegrenzt hatte, nämlich der unbändige Durst nach neuen Erfahrungen. Weder der Untergang seiner Welt, noch die Bedrohung der Existenz seines Volkes hatten diese Triebkraft in ihm abtöten können. Auch die Gebrechen des Alters und der Zerfall des Körpers vermochten es nicht. Allein dem Tod würden sein Wissensdurst und seine Neugier sich zu beugen haben, wie alle lebenden Dinge es taten.

Er dankte im Stillen dem verstorbenen Nemuto, dem Herrn über die große Grotte, während der Blick seiner wässrigen Augen über den wundervollen Wald schweifte. Er wusste nicht, ob es Zufall oder Voraussicht war, dass unter den Siedlern der letzten Gruppe, die der Erzdruide vor seinem Tod auf den Weg geschickt hatte, verhältnismäßig viele junge Druiden gewesen waren. Es war nur eine Handvoll, kaum vier Dutzend, aber sie standen mit wenigen Ausnahmen am Anfang ihrer Ausbildung. Sie waren noch formbar genug, um den Weg der Bäume anzunehmen, und er würde tun, was immer in seiner Macht stand, damit sie ihren Weg erfolgreich beschritten. Er hoffte nur, dass Nemue ihm noch genügend Jahre schenkte, um diese Aufgabe zu vollenden.

Er zweifelte keine Sekunde daran, dass diese Magie die ursprüngliche, die einzig Wahre für seinesgleichen darstellte. All die Jahrhunderte des Druidentums des Steins konnten angesichts der Reinheit und Pracht der Lebenskraft der Bäume nichts als einen Ersatz dargestellt haben. Wenn dies gelang, würde die neue Welt vielleicht eines Tages die Verluste wert sein, die sein Volk erlitten hatte. Die Verluste, die so viel grauenvoller gewesen waren, als sie gedacht hatten. Und die so viel schneller über sie gekommen waren, als irgendjemand hatte erwarten können.

Er glaubte ein Geräusch vom dunklen, dichten Waldrand im Norden zu hören und drehte den Kopf. Er sah die verstreuten Arbeiter, die drei Gespanne, auf denen die Holzreste gesammelt wurden. Die Pferde schienen unruhig zu sein.

Einige Schritte entfernt sah er Chatikka ith Vallandor, die einen Fuß auf einen Baumstumpf gestützt hatte. Sie lehnte sich mit den Ellenbogen auf ihr Knie und starrte gedankenverloren in den Wald. Ihr Anblick lenkte ihn von dem vermeintlichen Geräusch ab und er fragte sich erneut, wie die ehemalige hohe Wächterin mit dieser Situation zurechtkam. Wie es wirklich in ihr aussah. Sie hatte die schreckliche Nachricht auf ungewöhnliche Weise empfangen, und war von dem Untergang ihrer alten Heimat mehr betroffen als sonst irgendjemand. Jeder Vannbarn hatte seine Wurzeln verloren, viele ihre Familien. Die meisten hatten dafür eine neue Heimat bekommen. Der Wächterin hingegen war zusätzlich zu den Verlusten ein Maß an Verantwortung aufgeladen worden, an dem sie unter Umständen zerbrechen würde. Er tat, was er konnte, um sie zu unterstützen, aber seit dem Erhalt der Nachricht der Katastrophe wirkte sie zwar entschlossener denn je, war aber auch zunehmend in sich gekehrt. Seine größte Sorge war, dass das Eisen in ihr brach. Es gab niemanden, der sie ersetzen konnte.

Ihr Blick huschte über den Waldrand, ohne wirklich etwas wahrzunehmen. Wie so oft in den letzten Tagen waren ihr die Gedanken entglitten und kreisten um die neuen Wendungen, die ihrer aller Schicksale genommen hatten. Ihre alte Heimat war von den Schattenfressern überrannt worden. Dem alten, schrecklichen Feind, gegen den sie gekämpft hatte, seit sie dem Kindesalter entwachsen war. Sie war von klein auf für den Kampf gegen diese Bedrohung erzogen und ausgebildet worden, und nun hatte eben jener Rivale um ihren Lebensraum die Vannbarn vernichtet, während sie tausend Landmeilen weit entfernt gewesen war.

Ihr Bruder und seine Familie tot, wie so viele tausend andere. Der Rat der Druiden ausgelöscht. Es bestand kein Zweifel daran, dass der Muttersee unter der großen Grotte inzwischen in Blut versunken war, anstatt den langsamen Kältetod zu sterben, vor dem sie in die neue Welt hatten fliehen wollen. Mehr noch als die daraus entstehenden Implikationen und der Schrecken der Nachricht an sich machte ihr aber die Art und Weise zu schaffen, in der sie die Botschaft erhalten hatte. Die Trauer und Verzweiflung über das Vorgefallene war etwas, das sie verarbeiten musste und irgendwie würde. Das Gefühl des Beschmutztseins, das sie ob der übernatürlichen Berührung und des Eindringens in ihren Kopf verspürte, würde wohl nur die Zeit verblassen lassen.

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