Kitabı oku: «Wintermärchen», sayfa 2

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Inzwischen haben wir uns an den etwas breiteren Gang, bedingt durch die Schneeschuhe, gewöhnt. Auch an die kurzen Schritte, sind doch die Schindeln fest unter der Schuhsohle angebracht, nicht beweglich, wie Langlaufski. Heute haben wir Zeit. Wir laufen gewissermaßen auf einer Höhenlinie des Bergrückens. Bisweilen halten wir an und tauschen unsere Gedanken aus, die diese Nacht uns eingibt. Einmal verliert Ludwig eine Schindel. Er merkt das erst, als er beim nächsten Schritt voll einsinkt. Ein Draht war von den Bewegungen gebrochen. Mitten in einem der Schweizer Berge ist ein Licht angegangen und brennt fast während der ganzen Nacht. Ist dort eine Skihütte und hat jemand vergessen, das Hoflicht auszumachen? Oder haben sie es angemacht, um verirrte Gäste zu leiten? Uns hilft es jedenfalls enorm, die Richtung zu halten! Und dann plötzlich ist es aus. Der Hüttenzauber ist zuende.

Unsere Füße fangen an zu schmerzen. Die wunden Stellen hatten wir vorsichtshalber mit Pflastern überklebt. Es war ein Fehler gewesen, mit nicht eigelaufenen Schuhen loszugehen, und dazu noch mit gebrauchten. Irgendwie kommen wir auf den Film ‚Soweit die Füße tragen‘ zu sprechen. Ist ja auch naheliegend! Dort ziehen Gefangene durch den Schnee auf dem weiten Weg nach Sibirien, in die Gefangenschaft. Unser Weg ist viel kürzer und auf uns wartet die Freiheit! Gegen Ende wären wir aber froh, an der Hütte zu sein. Sind wir an ihr vorbeigelaufen? Doch dann bemerken wir etwas Langes, Weißes, so 50 Meter unterhalb. Das ist sie! Wir gleiten hinab und machen die letzten Meter wie eine Lawine im Schnee, da vor lauter Eile unsere Schindeln eingespitzt sind. Lachend klopfen wir uns den Schnee ab. Wir gehen um die Hütte herum. Kein Katzenloch. Kein versteckter Schlüssel. Oder zu gut versteckt! Wir wollen nichts aufbrechen. Alles heil lassen. Ich klettere über den schneebedeckten Misthaufen nach oben und zwänge mich durch den, zum Glück, geleerten Mistkanal in den Kuhstall. Im Schein der Taschenlampe stapfe ich über den verkrusteten Holzboden zur Stalltür. Ich mache sie auf. Ludwig schlupft zu mir ins Dunkel. Nicht sehr luxuriös. Wenn nur was Heu rumliegen täte! Wenigstens sind wir drinnen. Dann suchen wir die Tür zum Wohnteil. Auch diese ist zu. Mit der Taschenlampe sehen wir durch den Türschlitz, dass diese durch eine Art drehbaren Riegel blockiert ist. Mit dem Taschenmesser gelingt es uns, diesen anzuheben, und schon stehen wir im Flur.

Diese Hütte ist etwas grösser als die vorige, aber nach dem gleichen Schema gebaut. Zum Glück liegt im Flur noch genügend Feuerholz, und mit etwas trockenem Mist, anstelle von Kleinholz, gelingt es uns, etwas Wärme in die Stube zu bringen. Wir sind weniger nass als am Vortag, ziehen uns aber trotzdem um und hängen alles zum Trocknen. Wir sind ganz schön erledigt. Dann folgt dasselbe Ritual wie am Morgen zuvor.

Am nächsten Abend brechen wir später auf. Wir lassen erst mal den Schnee gefrieren. Das spart Kraft und Zeit. Wir hatten die weitere Strecke gut von hier oben überblicken können. Was uns nicht gefiel, waren die dunklen Wolken, die sich hinterm Bodensee und den Schweizer Bergen auftürmten… Wir sind am höchsten Punkt angelangt. Noch etwas geradeaus weiter, dann rechts rüber, wo wir die Höfele Alpe erkennen konnten. Dort hatte ich, vor nicht zu langer Zeit, auf meinem Rückweg mit meinen neuen österreichischen Freunden ein letztes Gläsle Roten getrunken. Von hier aus führt, deutlich sichtbar unterm Schnee, das Band der Straße zu Tal. Nach zwei Stunden sind wir da. Hier unten liegt der Schnee weniger hoch und nach ein paar Kilometern können wir unsere Schindeln von den Schuhen abnehmen. Wir stellen sie hinter die kleine Kapelle, die uns am Wegrand begrüßt. Sie ist nicht verschlossen. Wir setzen uns hinein, verschnaufen und danken für die geglückte Flucht. Dann folgen wir wieder dem Weg. Als wir die Feuerstelle passieren, wo damals die Österreicher gelagert hatten, nehmen wir uns die Zeit zu einem Pfeifchen und ich erzähle die Story von ‚Oh Mann!‘ Bald sind wir am Mauthäuschen. Bis hierher war jemand mit einem Motorschlitten gefahren. Jetzt ist das Gehen einfach. Die ersten Häuser tauchen wie Schemen auf, wir laufen an der Käserei vorbei, lassen bald das Gasthaus ‚Zum Hecht‘ rechts liegen. Als es hell wird sind wir schon durch Hittisau durch und setzen uns erst mal eine Weile in einem Bushäuschen hin. Ein Winterdienst- Fahrzeug blinkt vorbei und bestreut uns leicht mit Salz.

Es ist Tag, aber es will nicht so recht hell werden. Wie ein Vorhang nähert sich ein Schneeschauer. Wir halten die Daumen raus, wenn wir die Lichter eines sich nähernden Autos sehen. Niemand beachtet uns. Ein Schulbus hält an. Er fährt ohne uns weiter. Dann kommt ein alter VW Bus und hält auch prompt. Ein junges Pärchen darin, das davon träumt, so eine Reise wie wir zu machen. Deshalb haben sie sich die alte Kiste gekauft. Der Schnee geht in Regen über. Sie lassen uns in Dornbirn raus. Wir laufen zu der Wohnung der Dornbirner Freunde. Ich wusste, dass sie gestern nach Südtirol hatten aufbrechen wollen. Vielleicht hatten sie sich verspätet. Aber niemand da. Wir laufen durch den Ort bis auf die andere Seite. Der Regen dringt langsam in untere Lagen unserer Kleidung ein. Das scheinen auch die Autofahrer zu denken. Solche triefenden Schwämme wie wir will niemand in sein Auto nehmen!

Nicht weit von der Straße sehen wir, mitten in einer Obstwiese, ein Bienenhaus. Wir stapfen durch die Schneereste und die unter jedem Schritt gurgelnde, aufgeweichte Wiese dorthin. Wir binden einen unserer Ponchos an der Rückwand an, den anderen legen wir auf den Boden und setzen uns darunter. Langsam wird uns kalt. Der einzige trockene Ort ist unser Schlafsack. Wir helfen einander, die nassen Klamotten vom Körper zu reißen, und bibbernd kriechen wir hinein. Diesmal kommen wir uns vor wie 14/18 in den Schützengräben. Zum Glück haben wir israelische Daunenschlafsäcke mit einer wasserdichten Segeltuchhülle außen rum. Vielleicht hatte man sie dort aussortiert, weil sie zu warm waren. Uns jedenfalls waren sie gerade recht. Als uns einigermaßen warm war, stellten wir unseren einzigen Topf unter die Traufe und warfen, immer noch halb im Schlafsack, den Benzinkocher an. Die erste Füllung gab einen heißen Tee, die zweite eine Nudelsuppe. Das und ein dicker Joint brachten unsere Lebensgeister zurück und auch genügend Zuversicht. Dann lagen wir, fast schon wie gewohnt, den ganzen Nachmittag im Schlafsack, während neben uns der Regen niederging, und die Obstwiese immer mehr dem nicht weit entfernten Bodensee ähnlich wurde. Was waren wir froh, jetzt nicht mehr da oben in den Bergen zu sein! Zum Glück war das Dach des Bienenhauses breit genug, um uns genügend Schutz zu gewähren. Heute und am nächsten Tag machten wir es wie die Bienen: Winterstarre mit gelegentlichem Nagen an unseren Vorräten. Durch den von der Traufe rinnenden Wasserfall schauten auf den dahinter niedergehenden Regen. Wir fanden, dass dieses eigentlich eine sehr gute Meditationsmethode sei. Auf jeden Fall für diejenigen, denen die Wüste zu trocken war. Am Nachmittag kam noch ein Nebel dazu, so dass es jetzt Wasser in allen Seinszuständen gab.

Die Nacht war lang gewesen. Das Wasser reichte uns nun schon fast bis zu den Füssen. Die Obstbäume standen auf kleinen Inselchen, unsere Schlafsäcke waren klamm. Uns fröstelte leicht. Wir überlegten, ob die wasserdichte Umhüllung der Schlafsäcke dicht genug wäre, um auf dem Wasser zu schwimmen, wenn der Regen nicht nachlassen sollte. Das wäre doch was für den Soldaten des zukünftigen Friedenszeitalters: der Kanu-Schlafsack, anstatt des Mumien-Schlafsackes…

Doch ehe wir das testen konnten, hatten wir uns entschieden: nix wie weg! Schnell in das geschlüpft, was noch einigermaßen trocken war, den Rest in den Rucksack gestopft. Das Längste war das Schuhe anziehen. Die feuchten Socken weigerten sich, in die nassen Stiefel zu schlüpfen. Dann jeder einen Poncho über den Kopf und in langen Sprüngen durch das spritzende Wasser zur Straßenerhöhung. Bei den Bienen hatten wir genügend Zeit gehabt, unsere Finanzen durchzugehen. Wir würden den Zug nehmen. Erst mal bis Innsbruck. Da würde das Wetter bestimmt besser sein!

Bald saßen wir in einem warmen Abteil. Nach und nach befreiten wir uns von unseren Kleidungsstücken. Wir hängten alles über die Sitzlehnen, die Gepäcknetze, Kleiderhaken. Am längsten brauchten wir, um unsere Schuhe von den Füssen zu bekommen. Als wir das endlich geschafft hatten, beschlugen die Scheiben. Selbst der Kontrolleur zog sich schnellstens wieder zurück. Als wir in Innsbruck ankamen, war alles getrocknet, bis auf die Schuhe. Und wir waren auf Normaltemperatur. Doch wie sah es hier aus! Derselbe Regen wie am Bodensee, nur etwas dicker, flockenartig. Das veranlasste uns, einen anderen Zug zu nehmen, der zum Gardasee fuhr, via Bozen oder Bolzano. Hier stülpten wir unsere Stiefel auf das Gitter der auf volle Pulle gestellten Heizung. Vielleicht war das der Grund, warum die Zöllner ihre Kontrolle auf ein Minimum beschränkten! Als wir in Bozen ausstiegen, waren unsere Schuhe zwar noch nicht völlig trocken, dafür aber wohlig warm wie Wärmflaschen.

Der Regen hatte sich verausgabt. Ein paar Wolken streiften als Nebelschwaden durch das Tal. Wichen diese ein wenig zurück, erblickten wir die majestätischen Berge, frisch mit einem Neuschneemantel bekleidet. Bald liefen wir an der sich durch die bunten, meist schon abgeernteten Weinberge windenden Landstraße, nach Süden. Mauern säumten die Straße oder hielten Terrassen zusammen, auf denen sich knorrige Weinstöcke aus der feuchten Erde erhoben, von Spalierdrähten geleitet und zu einer Art Laubendach zusammengeführt. Vereinzelte, vergessene Trauben leuchteten inmitten der letzten bunten Blätter. Wir konnten nicht anders, wir mussten hinaufklettern und sie pflücken! Das war konzentrierter Sommer, mit einer Spur von Wehmut, Herbst! Der feuchte Boden roch nach fermentierenden Blättern, Hagebutten reckten sich auf den manchmal etwas verwahrlosten Mäuerchen in den jetzt blauen Himmel. Gelbe Grasbüschel, ein paar von den Vögeln vergessene, übersüße Brombeeren. Manchmal verließen wir die Straße – was sollten wir auch auf dieser, es hielt eh niemand - und liefen auf den schmalen, grasigen Wegen in den Weinbergen. Wir hatten Hunger, und nach den letzten Regentagen waren wir wild auf die konzentrierte Sonne in den Früchten. Dann wieder kilometerweit auf dem Teer, ab und zu den Daumen raushaltend oder eine ganze Traube. War das Italien, das Paradies der Autostopper? Nein! Das war Südtirol, bis 1919 noch Österreich.

Wir durchliefen große und kleine Dörfer, sahen abgelegene Weingüter, alles schick hergerichtet für die deutschen Sommerfrischler, die hier ihre zweite Heimat gefunden hatten. Vorbei an imposanten Weinkeltereien, durch deren riesige Portale immer noch Fuhrwerke ihre unermessliche Traubenflut anlieferten. Meist mit schmalspurige Traktoren, mit mehreren vollbeladenen Anhängern hinten dran, kleine Einachsschlepper, manchmal auch ein Ochsengespann. Die Menschen, meist etwas klein, eine blaue Schürze über ihrer einfachen Kleidung, regten sich überall auf den Hängen, von denen der letzte Nebel aufstieg. Dann brach voll die Sonne durch und das ganze Land loderte in den buntesten Farben. Bis auf die Berggipfel. Diese glänzten silbern vor Neid!

Je höher wir stiegen, umso mehr erweiterte sich der Blick. Unten, im flachen Talgrund, erstreckten sich grau immense Obstplantagen, in weiten Rechtecken oder Streifen angeordnet. Deren Bäume waren schon alle kahl. Dazwischen lagen, selbst von hier oben aus gesehen, riesige Lagerhallen. Manchmal auch Fabrikhallen, den umliegenden Parkplätzen nach zu schließen. Eine andere Welt. - Schaute man nach oben, erblickte man burgartige, weiß gestrichene Gehöfte. Spitze Kirchtürme, manchmal mit bunten Ziegeln auf den Dächern, berührten sanft den Himmel, dazwischen kleine Dörfer, von einer hohen Mauer zusammengehalten.

Keiner nahm uns mit. Bald verschwand die Sonne hinter den hohen, schroffen Bergen und tauchte den Talgrund in graues Dämmerlicht, während der gegenüberliegende Hang in leuchtendes Alpenglühen getaucht wurde. Tiroler Land, wie bist du schön, so schön… Die ersten Häuser von Girlan tauchten vor uns auf. Wir waren ziemlich geschafft. Die schweren Rucksäcke, 10 Kilometer Fußmarsch, wenn nicht 15. Unsere Schuhe waren inzwischen trocken und schmiegten sich weich um unsere Füße, ohne mehr zu drücken… Unsere Schritte hallten in den kopfsteingepflasterten Gassen, vereinzelt bellte ein Hund und schnupperte hinter uns her. Unsere Freunde hatten sich im „Weißen Rössel“ einquartiert, einer burgartigen Herberge, deren hoher Torbogen sich bald vor uns auftat. Wir durchschritten das Tor und gelangten in einen großen, zum Teil gepflasterten Hof. Gegenüber erhob sich ein weiteres Gebäude. In den Winkeln hinter den Häusern hatte sich buntes Laub angehäuft, vom Wind zusammengeweht. Wir wateten rascheln durch einen Laubhaufen, stiegen in die Gaststube hoch. Rauch von Zigarillos schlug uns entgegen, und lautes Stimmengewirr. Als man uns bemerkte verstummte einen Augenblick alle Unterhaltung und aller Blicke richteten sich auf uns. Doch dann widmete man sich wieder dem Kartenspiel und anderen lebensnotwendigen Dingen, wie Trinken. Dicke, geschwärzte Balken, mehrfach hundertjährig, trugen die getäfelte Decke. Die Durchgänge waren als Bögen ausgebaut, die Mauern unglaublich dick, einer der Säle besaß sogar ein Gewölbe. Die junge Wirtin kam auf uns zu. Ihr Blick hellte sich auf, als wir nach unseren Freunden fragten. Sie führte uns zurück in den Hof und deutete auf das große Gebäude, wohl eine alte Stallung, umgeben von Esskastanienbäumen, wohinter die Boccia-Bahn liegen sollte. Dort schoben unsere Freunde um diese Zeit eine ruhige Kugel…

Hiesel

Das Wiedersehen war herzlich. Hatten wir uns doch seit Ende August nicht gesehen. Ich stellte ihnen Ludwig, meinen Kumpel vor. Bald hatten wir jeder ein Glas Roten in der Hand und umstanden die Boccia-Bahn, auf der sich das Finale austrug. Man bot uns eine Kugel an. Aber wir konnten kaum noch auf den Beinen stehen und wollten erst mal ausruhen. Ferdi meinte, er habe da ein sehr gutes Heilmittel zur Hand und reichte mir eine Selbstgedrehte aus Eigenanbau. „Oh Mann!“ entfuhr es mir. Alles brach in Lachen aus. Jetzt war an eine Partie Boccia für uns überhaupt nicht mehr zu denken! Eine solche wohlige Müdigkeit durchströmte unsere Glieder, dass wir uns nur noch in die Korbsessel fallen lassen konnten und den Anderen bei ihrem Spiel zuschauen, uns wundernd, dass man ein Kugelspiel so ernst nehmen konnte! Jeder hatte ein Bandmaß in der Tasche. Fehlte nur noch die Mikrometerschraube.

Als sie die gegnerischen Kugeln nicht mehr von den eigenen unterscheiden konnten, (wegen der Dunkelheit, oder wegen des Weines), kickten sie diese in eine Ecke der Bande und wir setzten uns alle in Rudis Zimmer, das gleich neben der Boccia-Bahn lag. Bei einem weiteren Glas Wein tauschten wir die Neuigkeiten der letzten Wochen aus. Es war die Zeit um Allerheiligen. Ferienzeit. Alle Unterkünfte waren belegt, meist von Deutschen. Aber diese wären für uns zwei sowieso unerschwinglich gewesen. Wir begnügten uns mit dem Gartenzimmer, einer Art Abstellraum, wo außer zwei Stahlrohrbetten auch die Geranienkästen auf dem Boden standen. Keine Heizung, kein Bad, nur ein Wasserhahn draußen im Hof. Genau das Richtige für uns!

Hatten die anderen Gäste im Speisesaal anfangs die Nase wegen unseres Aussehens gerümpft, so betrachteten sie uns bald als etwas Exotisches: echte Hippies! Außerdem waren lange Haare inzwischen etwas zur Mode geworden. Unsere Freunde hatten Gästezimmer gemietet, die ganz dem Stil des Gebäudes entsprachen: mit antiken Möbeln und modernem Luxus. Für eine Nacht hier konnte man mindestens einen Monat in Afghanistan leben! Während unsere Freunde den Urlaub nutzten und lange schliefen, war ich schon beim ersten Licht draußen. Reif lag graudornig in den Mulden, das gefrorene Laub knisterte unter meinen Schritten, wenn ich durch die Weinberge streifte. Die vergessenen Trauben waren gefroren. Manchmal hingen noch auf einer ganzen Parzelle die Trauben unterm Laubendach. Einzelne Beeren waren verschimmelt, das Ganze sah gar nicht appetitlich aus. War hier der Weinbauer verstorben? Nein! Das sollte den köstlichen Eiswein geben! Durch Kälte und Schimmel entwickelte sich mehr Zucker und mit etwas Glück und Winzerwissen wurde daraus etwas ganz Besonderes.

Bald erglühte der Grat der Mendel im ersten Morgenlicht, der Horizont im Osten wurde heller. Es schien, als würde das Thermometer noch etwas sinken, der Atem kristallisierte an meinem Bart. Dann stieg über den östlichen Bergen langsam die Sonne empor. Erst nur Licht. Es brachte der Welt die Farben zurück und ließ den Reif aufblitzen wie Millionen von Sternen. Doch dann spürte ich die Wärme. Sie drängte den Reif in die schattigen Ecken zurück, brachte den Boden zum Dampfen, von den gefrorenen Trauben rannen Tauperlen. Dann setzte ich mich an eine sonnenbeschienene Mauer und sog die Wärme und die Farben in mich ein. Ich war glücklich…

Nachher traf ich die Freunde beim verspäteten Frühstück. Rudi hatte eine Idee: Da man erst spät gefrühstückt hatte, könnte man ins Tal von Kaltenbrunn fahren. Dort wohnte der Hiesel, dem könnte man einen Besuch abstatten, ihr werdet schon sehen… Ferdi und Marina zwängten sich in ihren MG, wir kamen bei Rudi und Mona im R4 unter. Zuerst durch die Obstanlagen im Etsch-Tal ging es bald bergauf durch Weinterrassen. Hinter Kaltenbrunn wurde die Landschaft dann ursprünglicher. Bunter Lärchen- und Mischwald säumte die kurvenreiche Straße. Trat dieser etwas zurück, erkannten wir die weiß glänzenden Berge im Hintergrund. Ferdi und Martina hatten uns schon seit einer Weile abgehängt. Diese Straßen sind einfach zu verlockend für Sportwagen! Dann bog Rudi links in einen Waldweg ein. Bald sahen wir den gelben MG schräg am Wegrand geparkt. „Denen werden wir zeigen, was ein R4 kann!“ meinte Rudi und schaukelte so lange weiter, bis die Räder auf dem Gras durchdrehten und das Auto auf dem Buckel zwischen den Fahrspuren aufsaß. Wir schoben, um es aus dem Weg zu schaffen und es umzudrehen.

Wir waren auf einer Lichtung angelangt. Nicht weit stand eine Hütte aus Brettern mit einem weite Vordach. Darunter saßen schon Ferdi und seine Freundin und hoben uns prostend das Weinglas entgegen. Der Rauch eines Holzfeuers würzte die klare Luft. Der Wirt stand bei unseren Freunden. Er lief uns zur Begrüßung entgegen. Als er uns sah, stutzte er etwas. „Freunde aus dem Deutschen,“ erklärte Rudi, „echte Hippies!“ Wir setzten uns zu den anderen an die fest im Boden befestigten, aus einfachen Brettern zusammengenagelten Tische. Schon hatte jeder ein Glas Tiroler Roten in der Hand und man stieß auf das Wiedersehen an. Von hier aus sah man, dass unterhalb und weiter zum Wald hin mehrere Fischteiche angelegt waren. Die Ufer waren von hohem Gras und stellenweise von buntem Schilf gesäumt, hier und da schwammen Seerosenblätter auf der dunkel glänzenden Oberfläche. Ein Idyll, geschaffen vom Hiesel für Eingeweihte. Unweit der Tische stand ein in der Länge aufgeschnittenes, ausrangiertes Ölfass, gefüllt mit Asche von Wochen und Glut. Darüber ein Grill, auf dem die Forellen der Gäste an einem Nebentisch sich gar bräunten. In einem schmalen Verschlag reihten sich wartende Angelruten aneinander, nicht weit davon lief eine Quelle in einen Holztrog. Hier nahm Hiesel die gefangenen Fische aus. Eine handgemalte Tafel verkündete die Tarife. Hiesel selber war von stattlicher Gestalt, loderndes weißes Haar umrahmte sein Gesicht, das so faltig war wie die Dolomiten. Natürlich trug auch er die blaue Schürze und weigerte sich, italienisch zu sprechen. Um das zu bekräftigen, flatterte an einem Mast die Südtiroler Flagge. Er lachte gern und viel und hatte für jede Situation einen entsprechenden Spruch, meist so zweideutig, dass er fast schon wieder eindeutig war, auf Lager.

Ferdi hatte unauffällig unterm Tisch mit seiner Rollmaschine ein paar Zigarettle gedreht, angereichert mit etwas ‚Green Green Gras of Home‘. Diese machten diesmal nicht die Runde, sondern jeder saugte alleine daran, damit man sie nicht herumreichen musste. Das war weniger auffällig. Bald vermischte sich deren Rauch mit dem der brutzelnden Forellen und erfüllte das Tal. „Was raucht ihr nur für einen stinkenden Tabak!“ bemerkte Hiesel. „Das ist echt vorarlbergischer Anbau, aus dem Bregenzer Wald!“ schmunzelte Rudi. „Wusste gar nicht, dass der da überhaupt wächst!“ meinte er. Wir kriegten eine Lachkriese. Die Stimmung stieg. Hiesel trug seinen Teil dazu bei, als er mit einer Flasche mit einer klaren Flüssigkeit zurückkam. Darin erkannte ich einen Wacholderzweig, einen Grashalm und einen Weberknecht, eines jener übergroßen, spinnenartigen Wesen. Unsere Freunde wussten anscheinend, was das war. Ihre Augen leuchteten auf. „Grappa!“ kam es ehrfürchtig aus dem Mündern der Eingeweihten. Sie tranken ihr Weinglas leer, um Hiesel Gelegenheit zu geben, einzuschenken. Dann setzte sich dieser zu uns. Doch Rudi meinte, für diese heilige Handlung müssten eigentlich alle aufstehen. Etwas unsicher standen wir um den Tisch herum, der uns Halt gab. Jetzt erkannte ich, warum die Tische so fest in der Erde verankert waren. „Auf unseren Hiesel!“ rief Rudi und die Gläser klirrten aneinander, dass sie fast zersprangen. Ich machte es wie die anderen und leerte es in einem Zug runter. Ich kam leicht ins Husten. Fast kam mir das Zeug zu den Ohren wieder raus, so scharf war der Stoff. Eine solche Durchschlagskraft hatte ich nicht erwartet! Eine wohlige Wärme stieg in mir hoch, so ähnlich wie nach meinem ersten Kuss. Alles lachte. Hiesel griff erneut nach der Flasche. Der Weberknecht hatte inzwischen etwas Luft bekommen. Noch ein Gläschen für jeden, und er würde durch die Öffnung hinauskriechen und davonflattern! Doch als alle bedient waren, stöpselte Hiesel die Flasche zu. Wir hoben die Gläser. „Auf Südtirol!“ rief Hiesel. Wir hoben die Gläser in Richtung Flagge. Jemand stimmte das Andreas Hofer Lied an. Selbst die Gäste an den Nachbartischen fielen ein. Dann leerten wir die Gläser und ließen uns erschöpft auf die Bänke sinken. Wirkte bei mir der konsumierte Cocktail eher einschläfernd, so löste er die Zungen der Freunde. Bald schnatterten alle wild durcheinander. Rudi holte seinen Kassettenrecorder aus dem Auto und bald grölten die Dubliners durch das herbstbunte Tal.

Als Rudis Nase fast die gleiche Farbe angenommen hatte wie sein Glas, fanden es unsere Freunde an der Zeit, angeln zu gehen. Denn man müsste ja langsam an das Abendessen denken. Hiesel lachte und zeigte auf ein kleineres Becken. In diesen traten sich die Forellen regelrecht auf die Flossen. Für die des Fischens Unfähigen hatte er hier einen kleinen Vorrat. Da konnte er mit einem an einem Ast hängenden Kescher jederzeit den passenden Fisch fangen! Jeder holte sich eine Angel aus dem Unterstand, Hiesel brachte Köder, die sehr dem Flascheninhalt ähnelten. Da ich schon ziemlich lang Vegetarier war, sagte mir das Ganze nicht viel. Ich saß eine Weile mit den Freunden auf dem sonnenbeschienenen Damm. Zuerst fielen mir die Augen zu, dann sank ich zurück ins hohe, trockene Gras.

Anscheinend war der Fang reichlich gewesen. Die ausgenommenen Forellen lagen auf dem Grill und schauten mich mit ihren ermattenden Augen an. Manche waren in Stanniolpapier gewickelt, das sei schonender. Duften taten sie ja ganz gut. Das erinnerte mich an Zeiten, wo wir diese mit den Händen unter Steinen aufspürten, um sie dann heimlich auf einem Lagerfeuer zu braten. Denn Fischen war in Bayern verboten. Für Lausbuben zumindest. Aber diese baybarische Zeit ist ferne Vergangenheit. Heute ist man Vegetarier! Nur so werden einst alle Kriege ein Ende finden. Respektiere das Leben, selbst in seinen niederen Formen! Ich labe mich beim nun folgenden Gelage nur an den in Alupapier gerösteten Kartoffeln und Gemüsen, dazu etwas Käse, auf einen Stock gespießt und über dem Feuer zum Schmelzen gebracht, bis er Blasen wirft. Nur die Alufolie verdirbt mir etwas den Genuss. Warum machen wir so viel Sondermüll, nur für ein schonend zubereitetes Essen? In der Herstellung dieser Folie steckt mehr Energie als im Essen selber! Außer mir scheint sich niemand Fragen zu stellen. Die Stimmung ist auf dem Höhepunkt. Gläser klirren aneinander, Gesang und Stimmen hallen durch das Tal, Ferdi hat eine größere Tüte gedreht. Jetzt, im Dunkeln, bemerkt niemand, wenn sie die Runde macht.

Da, plötzlich – ist es eine Halluzination? – schälen sich aus dem Dunkel mehrere uniformierte Gestalten und nähern sich. Carabinieri, so heißen die Bullen hier. Doch was haben die hier zu suchen? Haben sie unseren Rauch bis auf die Straße gerochen? Das kann doch nicht sein! Solch feine Nasen haben nur die Parfümmacher! Rudi hält den Atem an und lässt den Joint unauffällig im Kohlebett der grillenden Forellen verschwinden. Sie tippen zum Gruß leicht mit zwei Fingern an den Mützenschirm. Aller Augen wenden sich ihnen zu. Hiesel erblickt sie und begrüßt sie freudig wie alte Bekannte. Er führt sie an den Nebentisch und holt ein paar knusperige Forellen vom Grill. Die Unterhaltungen flackern wieder auf. Bald schmatzen die Uniformierten wie normale Sterbliche und sprechen dem Wein zu. Dann der übliche Grappa zur Verdauung. Die wenigen noch übrigen Gäste machen sich auf den Weg.

Das war wohl der private Teil. Jetzt komm das Geschäftliche. Hiesel bringt einen ganzen Karton mit seinen Weberknecht-Flaschen und stellt ihn auf den Tisch. Die Carabinieri holen jeder aus ihren Taschen abgelöste Zoll- oder Steueretiketten, jene, die bei einer im Geschäft gekauften Flasche den Korken versiegeln. Ohne zu zählen steckt er sie ein. Vertrauen gegen Vertrauen! Dann, nach einem kurzen, dienstlichen-privaten Gruß, schnappt sich jeder, sichtlich zufrieden, ein paar Flaschen und taucht im Dunkel unter. Hiesel holt eine Tube Kleber und klebt auf die Hälse der in seiner Hütte stehenden Flaschen so eine Marke. Jetzt kann jeder Kunde sie kaufen, ohne dass bei einer Kontrolle auffällt, dass es sich um Schwarzbrand handelt!

Am Abend laufen wir durch Girlan. Wir begegnen fast nur Männern in blauen Schürzen, die durch die Gassen huschen. Sie kommen aus einer der Kellertüren, überqueren die Gasse, um in einer anderen Tür wieder zu verschwinden. Manchmal halten sie eine Weile vor einem Baum inne, um, wie die Spuren zeigen, diesen zu gießen. Irgendwie hatten sie einen eigenartigen Gang. Wie ein Seemann auf einem stampfenden Schiff, oder wie ein Sizilianer bei einem Erdbeben. Wir wollten es genau wissen und setzten uns auf eine Bank, um zu beobachten. Ein sonderbarer Geruch lag in der Luft. Wie von etwas Gekochtem. Wir sahen die Männer aus Türen kommen und wieder in welchen verschwinden. Dahinter konnten keine Bordelle sein, denn soo oft… „Lass uns mal einfach in so eine Tür reingehen!“ schlug Ludwig vor und stand auf. Wir gingen also zu einer der Türen, in der gerade so eine Blauschürze verschwunden war. Stimmengewirr drang gedämpft durch das dicke Holz, ein schwacher Lichtschein zeichnete die Umrisse ab. Wir klopften höflichkeitshalber an. Nichts tat sich. Ich drückte gegen die Tür. Sie gab nach. Jemand hatte uns bemerkt, winkte uns herein und schloss schnell die Tür hinter uns.

Welch ein Anblick! Wir fühlten uns ins Mittelalter zurückversetzt! Unter einem großen Gewölbe, getragen von mehreren dicken Pfeilern, stand eine Gruppe von blau beschürzten Männern im schwachen Licht um so etwas wie einen Waschkessel herum, worunter ein Feuer loderte. Sie waren in einer ernsten Diskussion vertieft und jeder hielt in einer Hand ein Glas. Ein weiterer Kesseleinsatz war, durch einen Ring von feuchten Tüchern abgedichtet, umgekehrt auf den unteren gestülpt. Das, was sonst als Abfluss diente, ragte also in die Luft. Darauf hatte man einen dicken Gartenschlauch geschoben, der zu einem spiralförmig gebogenen Kupferrohr führte, welches in einem mit Wasser gefüllten Fass verschwand. Wenn man genauer hinsah, bemerkte man, dass dieses Rohr unten wieder aus dem Fass herauskam. Darunter stand ein Eimer, in den eine klare, wasserartige Flüssigkeit abtropfte, in der so etwas wie ein Thermometer schwamm. Nur, dass das kein Thermometer war, sondern ein Dichte-Messgerät. Und dass es sich nicht um Wasser handelte, sondern um „Grappa!“ rief Ludwig aus, als er von dem Glas, das man ihm gereicht hatte, probierte. „Grappa, wie beim Hiesel in Kaltenbrunn!“ Den Hiesel kannte jeder hier in Oberetsch. Und diesen Grappa mit dem seinen zu vergleichen, war höchstes Lob. Darauf wurden die Gläser neu gefüllt. Und neu geleert. Der Atem blieb mir stehen. Mir wurde heiß bis in die Ohrenspitzen. Ich bekam einen Keuchhusten.

„Aber warum brennt ihr nachts?“ wollten wir wissen. Die anderen lachten über so viel Unwissenheit. „Das heißt doch Schwarzbrandt, daher muss das nachts gemacht werden!“ Alle grölten vor Lachen. Doch dann wurde er ernst. „Früher hatte jeder Bauer das Recht zu brennen. Die Zeiten haben sich leider geändert. Jetzt haben nur die großen, meist italienischen Brennereien das Brennrecht. Und was sollen wir Kleinen mit unseren Trestern, die beim Keltern anfallen, machen? Wir können sie doch nicht roh an die Schweine verfüttern. Da kriegen die einen Leberschaden! Also kochen wir sie ab. Sterilisieren sie. Da halten sie auch länger. Und, um niemanden mit dem Geruch zu belästigen, fangen wir die Abgase auf und lagern sie in Flaschen.“ Er näherte sich unseren Ohren, tat geheimnisvoll. „Nachts schlafen die vom Steueramt.“ Wir mussten uns ein weiteres Mal einschenken lassen. Das war nicht das auf 40 Prozent verdünnte Souvenir für Touristen, oder für Gasthäuser, das war Sprengstoff, hochkonzentriertes natürliches Nitroglyzerin!

Einer der Männer winkte uns, mit ihm zu kommen. Wir dankten der Brennmannschaft und stellten die Gläser ab. Wir folgten unserem Führer auf etwas unsicheren Beinen durch die Tür. Die Welt draußen war verändert. Ein Halo umgab die schwachen Straßenlaternen. Unsere Schritte hallten laut auf dem Pflaster. Alle schwankenden Gestalten, denen wir begegneten, zwinkerten uns wie alte Kumpel zu. Und schon durchschritten wir mit unserem Führer die nächste Kellerpforte. Auch hier umstanden Männer einen Kessel, andächtig wie Priester den Altar bei einem feierlich zelebrierten Hochamt. Aus dem Stimmengewirr tönte öfters das Wort „ostia“, was dem Ganzen fast etwas Sakrales gab. Doch war dieses an diesem Ort eher ein viel benutztes ‚Bindewort‘. Man reichte uns Gläser und wir tranken sie ehrfürchtig aus. Mit jedem Glas floss der Trestertrunk leichter hinab. Wir bemerkten, dass sich bei den Leuten die Nasen veränderten, je mehr sie tranken. Wie bei Pinoccio, wenn er log. Ging bei jenem die Nase in die Länge, so wurde sie bei diesen dicker und röter. Und an einer violett-blauen Knolle im Gesicht konnte man die Profis aus den Amateuren herauslesen. Am nächsten Morgen schliefen auch Ludwig und ich bis zum Mittag. War ja verständlich, nach so einer anstrengenden Nacht. Als wir aufstanden, war unser erster Gang zum Spiegel.

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