Kitabı oku: «Von Mäusen, Ratten und Priestern», sayfa 2
„Ja, dieser Kelch des Abendlandes hat eine merkwürdige Geschichte“, begann der so Bedrängte und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück. Dabei senkte er die Stimme, damit die übrigen Gäste ihn nicht verstehen konnten. Seine Tischgenossen lauschten andächtig, als er fortfuhr:
„Sie geht zurück bis zu Jesus und seinen Jüngern. Sie alle kennen ja die Geschichte vom letzten Abendmahl. Nachdem Jesus das Brot gebrochen und es den Jüngern als seinen Leib gereicht hatte, nahm er auch den Kelch, füllte ihn mit Wein und reichte ihn als sein Blut. Seitdem, so die Legende, besitzt der Kelch die Fähigkeit des Verwandelns. Das Geheimnis des Kelches, der seitdem ‚Kelch des Abendlandes‘ genannt wurde, liegt darin, dass sein Besitzer bestimmen kann, in was für ein Getränk, ein Heilmittel oder eine sonstige Flüssigkeit sich der Inhalt verwandeln soll.“
Atemlose Stille herrschte am Tisch und man hätte eine Stecknadel im Raum fallen hören können. Auch Cora schien am Schanktisch mit dem Polieren der Gläser beschäftigt zu sein und nahm keine Notiz vom Gespräch der Herren.
Die Philosophen steckten die Köpfe zusammen. „Heißt das etwa, wer den Kelch in Händen hält, kann sich jeden beliebigen Trank wünschen?“, flüsterte Hüpsch.
„Also könnte ich mir zum Beispiel jeden noch so teuren Rotwein, etwa einen 1947er Château Lafite oder einen Margaux aus dem sagenhaften Jahrgang 1899 wünschen? Wenn ich Wasser in den Kelch schütte, verwandelt es sich dann in meinen Lieblingswein?“
Hüpschs Augen glänzten. Jeder in der Runde kannte seine Leidenschaft für erlesene Rotweine und seine Kenntnisse auf diesem Gebiet waren im Freundeskreis bekannt und geschätzt. Er verfügte über einen vortrefflich sortierten Weinkeller, den er einmal im Jahr seinen Stammtischbrüdern öffnete. Voller Stolz präsentierte er dabei stets die Sammlung von Bouteillen aus dem legendären Hause Rothschild.
„Und ich wäre in der Lage, jede nur erdenkliche Medizin zu erschaffen und meinen Kunden jeden Wunsch nach Heilung zu erfüllen“, fieberte Feuerlein. Vor lauter Spannung und Aufregung hatte er vergessen, an seiner Zigarre zu ziehen, sodass diese zur Hälfte aus weißer Asche bestand.
„Ja sogar ein Elixier für ewige Jugend wäre möglich!“
„Und würde Sie als Besitzer des Kelches reich machen“, warf Hüpsch ein.
„Stellen Sie sich vor, Feuerlein, das spräche sich in der Stadt herum. Gar nicht auszudenken, welch einen Ansturm an Kunden Sie dann hätten. Alle würden doch nur noch bei Ihnen kaufen. Die anderen Apotheken könnten schließen.“
Stimmung kam auf in der Runde, ein Wort ergab das andere. Besonders Plunder lauschte erregt. Er hatte nicht erwartet, dass sein Halbwissen ob der Gerüchte um diesen Kelch zu solchen Gedankengängen führen würde.
„Unvorstellbar, was für ein Schatz sich in unserem Dom befindet“, murmelte er staunend.
„Weiß eigentlich die Kirche davon, mein lieber Meiseneier?“
„Ja natürlich ist dem Bischof und dem Domkapitel dieses Geheimnis bekannt, doch es wird streng gehütet. Ich selbst bin nur durch Zufall auf seine Spur gekommen, als ich in den alten Schriften der Dombibliothek Nachforschungen zur Geschichte der Bischöfe anstellte. Dabei stieß ich auf die Notiz eines Domherrn aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges. Die Schwedenarmee des Königs Gustav Adolf stand vor den Toren der Stadt und man befürchtete – zu Recht, wie sich später herausstellte –, dass es nach einer Eroberung zu Plünderungen kommen würde. Also wies der Domherr den Dompfarrer an, den Kelch des Abendlandes an einen sicheren Ort außerhalb der Stadt, in ein zum Hochstift gehörendes Kloster, zu bringen. Dabei berichtete er auch von der Wunderkraft des Kelches, erwähnte aber ebenso, dass nur ein redlicher Besitzer diese nutzen kann. Wollte man mit Hilfe des Kelches Unredliches, gar Böses bewirken, so würde der Kelch seine Wunderkraft versagen.“
„Und wie kam nun dieser Schatz ausgerechnet in unseren Dom? Würzburg liegt doch eindeutig nicht in Palästina und mir ist nicht bekannt, dass unser Bistum gute Beziehungen nach Rom gehabt hätte“, warf Feuerlein ein.
„Eine gute Frage“, nickte Dr. Meiseneier. „Ich habe seinerzeit nach dem Auffinden der Notiz eigene Nachforschungen über die Herkunft des Kelches angestellt. Und, meine Herren, ich kann Ihnen sagen, diese Geschichte ist so spannend wie ein guter Krimi.“
„Wer A sagt, muss auch B sagen, mein guter Meiseneier“, forderte Bernhard Hüpsch den Erzähler heraus: „Ein solch spannendes Stammtischgespräch haben wir bis jetzt noch nie gehabt. Noch ist Zeit bis zum Mittagessen und eine gute Geschichte ist mir noch eine Runde Wein wert. Hallo Cora, bring uns eine Flasche von deinem besten Tropfen!“
„Ich hätte da noch einen Bocksbeutel Riesling Spätlese Jahrgang 1981 von der Harfe aus dem ‚Würzburger Stein‘, wahrlich ein Göttertrank, meine Herren“, rief Cora vom Schanktisch herüber.
„Her damit!“ Bernhard Hüpsch war ganz euphorisch. „Wir haben wahrlich Anlass für einen guten Tropfen!“
Eine etwas andere Sonntagsmesse im Dom
Noch immer war es ein friedlicher Sonntagmorgen. Das helle Licht der Sonne erfüllte den Dom, in dem sich die Gläubigen zur Sonntagsmesse versammelt hatten. Links und rechts des Mittelschiffes an den gewaltigen Pfeilern standen die Grabdenkmäler der Fürstbischöfe – Kunstwerke aus tausend Jahren Geschichte. Hinter diesen Epitaphen lebten die Familien der Dommäuse in ihren Löchern. Jede von ihnen hatte ihre eigene, lange Geschichte, die mit der desjeweiligen Fürstbischofs eng verbunden war. So trugen diese Sippen auch die Namen des Hausherrn, bei dm sie wohnten. Julius etwa lebte mit den Seinen hinter dem Grabstein des Bischofs Julius Echter von Mespelbrunn und Melchior hinter dem des Melchior Zobel von Guttenberg. Otto residierte hinter dem Denkmal für Bischof Otto von Wolfskeel und Gottfried beim Bischof Gottfried von Spitzenberg. Zu den bedeutendsten Geschlechtern zählten die von Rudolf und Lorenz, Bewohner der Grabmale Rudolfs von Scherenberg und des Lorenz von Bibra. Ihre „Häuser“ hatte der berühmte Würzburger Bildhauer Tilman Riemenschneider gemeißelt, worauf die Familienoberhäupter besonders stolz waren. Und sie verpassten niemals eine Gelegenheit, sich in diesem Glanze zu sonnen.
In der Vierung des Doms stand der schlichte Opferaltar aus schwarzem, weißgeädertem Marmor, der in seinem Inneren den kostbaren Schrein mit den Häuptern der drei heiligen Frankenapostel Kilian, Kolonat und Totnan barg.
Ein helles Glockenläuten hieß die versammelte Kirchengemeinde sich erheben, als sich die Sakristeitüre öffnete und Dompfarrer Liebkind mit seiner kleinen Prozession herausschritt. In seinen Händen hielt er vor dem Bauch den „Kelch des Abendlandes“, bedeckt mit einem gefalteten Tuch. Ihm folgten in kurzem Abstand die beiden Ministranten. Ronny trug auf einem silbernen Tablett zwei kleine Kännchen mit Wasser und Wein für die Messe, neben ihm ging Fabian mit gefalteten Händen und dahinter – von den Bänken aus nicht zu sehen – Dommaus Dominik.
Während die Gemeinde das erste aus der Reihe von Kirchenliedern sang, deren Nummern die Tafel über der Kanzel anzeigte, schlüpfte Dominik unbemerkt entlang der Wand hinter den Hochaltar im Chorraum, dem äußersten Teil des Domes. Nur Fabian erhaschte aus den Augenwinkeln einen Blick auf die kleine Maus, die mit wehendem Ministrantengewand nach hinten sauste.
Hinterm Altar verborgen wartete bereits die kleine Gemeinde der Dommäuse auf Dominik. „Mein Gott, wirst du es denn nie lernen, pünktlich zur Messe zu kommen“, empfing ihn Constanze, eine kleine hagere Maus fortgeschrittenen Alters mit runder Nickelbrille auf der Nase. Als Archivarin der Dommäuse hütete sie die kostbare Sammlung der vielen Protokolle und Schriften der Versammlungen des Großen Rates. Constanze wohnte unter dem Taufbecken nahe dem Eingang des Domes, hatte die längste Strecke zur Sonntagsmesse zu überwinden und machte sich deshalb immer rechtzeitig auf den Weg.
„Entschuldige, Constanze, der Berthold hat mich aufgehalten“, antwortete Dominik ganz außer Atem.
„Der Berthold, dieses Weinfass, sag bloß, du hast mit ihm noch gezecht und bist deshalb zu spät gekommen. Hauch mich bitte einmal an!“ Constanze streckte ihm ihr kleines Näschen entgegen. „Gott behüte, Constanze, keinen Tropfen habe ich getrunken, riech’ selbst.“ Dominik hauchte die strenge Mäusedame an. Ihre Brillengläser liefen von Dominiks Atem an und ließen sie wie eine blinde Maus aussehen.
„Gut, stimmt“, entgegnete die Archivarin spitz und rümpfte die Nase. „Aber die Zähne hättest du dir schon putzen können.“
Dominik lächelte verlegen und lief rot an, so rot wie sein Ministrantengewand. Er drehte sich nach links und grüßte freundlich die übrigen Dommäuse.
„Als ich heute Morgen mein stilvolles Zuhause von Meister Till verließ …“, begann sogleich Rudolf mit spitzer Zunge.
„Mein Gott, jetzt fängt wieder diese Leier an“, flüsterte Otto seinem Nachbarn Gottfried zu. Der verdrehte die Augen und wisperte zurück: „Dieser feine Pinkel macht sich wieder wichtig wegen seiner Behausung. Ich möchte um keinen Preis mit ihm tauschen. Bei dem Andrang von Touristen jeden Tag vor dem Loch hast du doch keine ruhige Minute!“
„… wusste ich, dass das heute mein Tag ist!“, fuhr Rudolf unbeirrt fort. „Luise, sagte ich zu meiner geliebten Ehemaus, heute räume ich bei der Morgenmesse ab. Ich setze drei zu eins Körner auf Escherndorfer Lump.“
„Die Wette gilt“, rief Dominik und trat mit dem linken Fuß an die kleinen Ministrantenglöckchen neben ihm, was ein für die Menschen vorne im Hauptschiff nicht hörbares „Bing“ erklingen ließ.
„Das Wettbüro ist ab sofort eröffnet, es kann gesetzt werden!“, rief Dominik in die Runde und zückte ein kleines Notizbuch mit spitzem Stift. Rege Betriebsamkeit erfasste die Mäusegemeinde. Alle drängten sich um Dominik, um ihre Wetten abzugeben. Jeden Sonntagfrüh zur Messe trafen sich die Dommäuse, um darauf zu wetten, welchen Wein sich der Dompfarrer bei der Wandlung wünschte. Ihnen war ja das Geheimnis des Kelches schon seit Langem bekannt. Sie hüteten es seit Generationen ebenso wie der Dompfarrer, der die Wunderkraft durch Zufall entdeckt hatte.
Eines Tages hatte Liebkind wie gewohnt dem Schrank eine Flasche Messwein entnommen, einen durchschnittlichen, aber trinkbaren Silvaner vom Würzburger Pfaffenberg. Der ausgewiesene Weinliebhaber nahm solch ein eher schlichtes Gewächs fast schon als eine Art von Bußübung hin und nicht mehr als nötig davon zur Messe mit. Als an diesem Tag die Wandlung anstand, schoss dem Dompfarrer plötzlich ein Gedanke durch den Kopf: In dem Moment, als er sich in der Liturgie über den Kelch beugte, murmelte er die Worte „Lieber Gott, könnte es nicht ein Würzburger Stein vom 75er-Jahrgang sein?!“ – ein edler Tropfen, den er noch am Vorabend genossen hatte. Als er sodann den Kelch an die Lippen führte, mochte er seinen Geschmacksknospen nicht trauen: Edler Rebensaft vom Würzburger Stein des besagten Jahrgangs floss lieblich entlang der Schleimhäute seines Mundes, benetzte samtgleich seine Kehle und breitete sich mit einem warmen Wohlgefühl in seinem Magen aus.
„Ein Wunder“, kam es ihm augenblicklich in den Sinn und tief zufrieden beschloss er den Gottesdienst.
In den folgenden Tagen dachte Liebkind immer wieder an die wundersame Verwandlung bei der Sonntagsmesse. Ob es wohl ein einmaliges Ereignis gewesen ist? Er ertappte sich bei dem Gedanken, dass eine Wiederholung dieses Mysteriums die Sonntagsmesse durchaus bereichern würde. Gleichwohl verdrängte Liebkind solche Gedanken und sah sie als eine Versuchung des Teufels an, der er widerstehen müsse. Doch als in der nächsten Sonntagsmesse der Kelch vor ihm stand, war es mit den guten Vorsätzen des Dompfarrers vorbei. Er beugte sich wieder über den Kelch und hörte sich murmeln:
„Vom 88er Iphöfer Julius-Echter-Berg einen Silvaner!“
Und als er die Nase in den Kelch tauchte, roch er den für diesen Jahrgang typischen würzigen Duft von Johannisbeeren, der ihm so wohlvertraut war. Das Wunder war wieder geschehen und für den Dompfarrer ein Zeichen des Himmels. Wenn es eine Sünde gewesen wäre, hätte es der liebe Gott sicher nicht ein zweites Mal zugelassen und so freute sich Liebkind schon auf den kommenden Sonntag.
Die Gläubigen in der Kirche bekamen vom Weinwunder des Dompfarrers selbstredend nichts mit, da sie bei der Wandlung stets ehrfürchtig den Kopf senken mussten. Nur die Ministranten bemerkten eine Änderung. Statt wie sonst den Messwein in einem Zug und ruckartig wie bittere Medizin herunterzuschlucken, schwenkte der Dompfarrer den Kelch zuerst mit kreisenden Bewegungen, tauchte die Nase tief ins Innere und schloss genussvoll die Augen. Dann führte er den Kelch zum Mund und spitzte dabei die Lippen, als ob er zum Küssen ansetzen wolle. Das war dann der Moment, in dem Fabian dachte: „Jetzt küsst der Liebkind die Engelchen!“
Den Dommäusen indes war die allsonntägliche Zeremonie nicht verborgen geblieben, mit der am Altar sämtliche Weinlagen vom Steigerwald bis zum Untermain verkostet wurden. Während der Dompfarrer dieses Wunder seinem Herrgott zuschrieb und es als Belohnung für treue Dienste ansah, war den Dommäusen der wahre Grund bekannt. Schon bald scherzten sie vor der Messe, welchen Wein er diesmal nennen würde. Berthold, dem jedes Spielchen recht war, kam als Erster auf den Gedanken, eine Wette abzuschließen. Es dauerte nicht lange und die Dommäuse zockten jeden Sonntag rund um Liebkinds Wein.
„Ich setze auf Randersackerer Ewig Leben“, rief Lorenz hinüber zu Dominik.
„Wie viel darf ich notieren?“
„Drei Stückchen Leberwurstpellen, Dominik“, wagte sich Lorenz nach vorn.
„Auf keinen Fall drei“, rief seine Frau Berta dazwischen. „Das letzte Mal hast du mit dem Pfaffenberg vollkommen danebengelegen und zwei Wochen lang gab’s keinen Käse im Haus. Zwei, Dominik, nein, besser eins, schreib ein Stück Leberwurstpelle, das genügt. Die ist meine Leibspeise und der Verlust ist nicht so groß, wenn Lorenz wieder danebenliegt.“
„Wie viel ist eigentlich im Jackpot?“, fragte Otto.
„Drei Stückchen Käse von Lorenz, 15 Getreidekörner, eine wunderbare Pelle Leberwurst und diverse Brotkrümel in nicht unerheblicher Menge.“ Mit der Aufzählung stachelte Dominik die anderen an. „Leute, es ist lange her, dass einer von euch den Jackpot geknackt hat, also macht eure Wetten!“
„Hab’ ich Kredit, Dominik?“, fragte Otto und schielte zu Gattin Kunigunde, die ihm einen unfreundlichen Blick zuwarf.
„Ausnahmsweise, Otto. Was darf ich notieren?“, antwortete Dominik und begann zu schreiben.
„Ich setz’ ein Stück Emmentaler auf Obereisenheimer Höll“, rief Otto und erhielt im selben Augenblick von Kunigunde einen Stoß in die Seite:
„Bist du verrückt? Obereisenheimer Höll, das hat der Liebkind doch noch nie gesagt. Da kannst du den Käse gleich den eingebildeten Pinkeln von Lorenz und seiner Sippe vors Loch werfen!“ Kunigunde sah Lorenz und die Seinen verächtlich an.
„Den würden wir nicht mal geschenkt nehmen! Nicht von denen …“, geiferte Berta zurück.
Obereisenheimer Höll, das war so etwas wie der absolute Hauptgewinn beim Wetten, wie ein Sechser im Lotto oder die Null beim Roulette. Obereisenheimer Höll brachte nämlich den zehnfachen Einsatz und konnte eine ganze Mäusefamilie leicht einen Monat lang in Saus und Braus leben lassen.
In diesem Moment ertönte das helle Läuten der Ministrantenschellen, das den Beginn der Wandlung signalisierte. Jetzt begann die heiße Phase der Wett-Andacht.
„Obereisenheimer Höll bleibt stehen!“, rief Otto laut. „Ich wag’s, was soll’s.“
Kunigunde schloss die Augen und taumelte leicht, während die anderen Dommäuse aufgeregt über Ottos Mut tuschelten.
„Rien ne vas plus, nichts geht mehr!“, rief Dominik und schloss das Wettbuch.
Drei Mäuse mussten sich unter Dominiks Leitung um den Altar herumschleichen, an jeder Ecke blieb eine stehen und Dominik selbst wagte sich bis unter den Altar vor, dorthin, wo der Dompfarrer stand. Sobald er dann den Namen des „bestellten“ Weines hörte, gab er diesen weiter und von einem Posten zum nächsten drang die Kunde bis zur wartenden Mäusegemeinde. Wegen Ottos Wett-Diskussionen war Dominik diesmal spät dran. Schon hörte er das zweite Läuten, eigentlich das Zeichen, dass der Pfarrer den Kelch jetzt geleert hatte.
„Mein Gott, zu spät!“, durchfuhr es Dominik. „Der Wein ist getrunken, die Worte sind verpasst!“
Dem kleinen Wettpaten stand der Schweiß auf der Stirn. Sollte alles vergebens gewesen sein? Dominik lief hinüber zu Ronny, der mit gesenktem Haupt kniete, die geballte Faust an die Brust gedrückt, in der anderen Hand die Schellen. „Hey, Ronny, hast du gehört, was der Liebkind gesagt hat, als er sich über den Wein gebeugt hat?“, rief Dominik zu ihm hinauf.
„Keine Ahnung, ich habe gerade an die Marshmallows in meiner Tasche gedacht und nicht zugehört. Frag mal Fabian“, flüsterte Ronny leise nach unten.
Dominik war außer sich vor Erregung und rannte am Altar entlang auf Fabian zu. Gerade als er in der Mitte des Altars angekommen war, setzte der Dompfarrer den Kelch ab und leise ließen sich die Worte vernehmen: „Mein Gott, was für ein Geschenk Gottes, diese 78er Müller-Thurgau Spätlese von … der Obereisenheimer Höll!“
Dominik stand für Sekunden wie vom Blitz getroffen. Er traute seinen Ohren nicht, dabei hatte er doch ganz deutlich Obereisenheimer Höll gehört.
„Die Höll ist es! Die Obereisenheimer Höll!“, rief er hinüber zur Altarecke, wo die nächste Dommaus wartete.
Ihr Ruf „Die Obereisenheimer Höll hat er getrunken!“ pflanzte sich sogleich fort bis zur Schar der wartenden Dommäuse. Ottos Frau Kunigunde stieß einen leisen, spitzen Schrei aus und fiel mit ausgebreiteten Armen rücklings in Ohnmacht. Ihr glücklicher Gatte schlug mit der Faust in die Hand und hüpfte von einem Bein aufs andere:
„Yipiiiieee! Die Höll wars! Ich hab’ gewonnen! Ihr seid alle meine Gäste heute, ich lad’ euch ein auf Käse und Brotkrümel bis zum Umfallen!“
Längst war auch Dominik vom Altar zurück und stimmte in den allgemeinen Jubel ein. Die restliche Messe verlief ohne weitere Zwischenfälle, sieht man einmal davon ab, dass Kunigunde, kaum aus der Ohnmacht erwacht, ihrem Otto heftige Vorwürfe ob seiner Spendierfreudigkeit machte. Nachdem der Dompfarrer den Segen der Gemeinde erteilt und sich mit den Ministranten in die Sakristei zurückgezogen hatte, leerte sich das Gotteshaus schnell. Der letzte Gläubige hatte den Kirchenraum verlassen, als eine Schar lachender, tanzender Mäuse zum Grabmal des Bischofs Otto von Wolfskeel zog, vornweg auf den Schultern eine euphorische Dommaus Otto, gefolgt von seiner Frau Kunigunde, die sich die Tränen aus den Augen wischte.
Zur gleichen Zeit verließen Liebkind und die Ministranten Ronny und Fabian die Kirche. Ronny dachte noch immer an die Marshmallows in seiner Hosentasche.
Eine seltsame, nicht eucharistische Wandlung
Der Qualm der Zigarren und Zigaretten erfüllte die „Himmelsleiter“. Schweigen herrschte am Stammtisch der Philosophen, als Cora aus dem Bocksbeutel einschenkte.
„Heute gefällt es Ihnen hier wohl besser als sonst?“, fragte Cora in die Runde.
„Das liegt sicherlich an deiner Anwesenheit“, antwortete Hüpsch, ganz in den Ausschnitt der Bedienung vertieft.
„Und wohl auch an unserem Thema heute“, ergänzte Plunder.
„So? Wovon wird denn heute geredet? Darf man das wissen?“ Cora war neugierig geworden.
„Ach, das interessiert dich sowieso nicht. Nur Wissenschaftliches und Geschichtliches“, antwortete Meiseneier.
„Geschichtle hör’ ich gerne. Darf man zuhören?“
„Ich weiß aber nicht, ob dich unsere Geschichten interessieren. Es geht um ein kirchliches Thema. Um ein Spezialthema mit Christus“, versuchte Meiseneier Cora abzuwimmeln.
„Ach, mein lieber Meiseneier, lassen Sie sie doch zuhören. Das mit dem Sie wissen schon, was ich meine, können Sie ja weglassen“, bestimmte plötzlich Hüpsch den Fortgang des Gesprächs. Komm, setz dich neben mich und hör schön zu!“
Hüpsch rutschte gerade so weit zur Seite, dass Cora dicht bei ihm saß.
Meiseneier nahm seufzend den Faden wieder auf: „Meine Nachforschungen in den alten Schriften und Aufzeichnungen des Domkapitels lassen den Weg des Sie wissen schon, was ich meine, vom Heiligen Land bis nach Würzburg, abgesehen von einigen Lücken, gut zurückverfolgen. Viele alte Schriften sind zwar verbrannt oder geraubt worden, doch gibt es immer wieder Hinweise in Büchern und Schriften, die von ihm berichten.“
„Was ist das, was Sie mit dem ‚Sie wissen schon, was ich meine’ meinen?“, fragte Cora naiv, aber doch sichtlich neugierig.
„Meine Liebe, genau das darf und soll nicht bekannt werden“, versuchte Meiseneier ihre Neugier zu dämpfen.
„Aber nun weiter. Die Geschichte von Jesus und seinen Jüngern nach dem letzten Abendmahl ist uns allen bekannt. Als er von den Römern gefangen genommen wurde, hatten diese zuvor das Haus, in dem das Mahl stattgefunden hatte, durchsucht. Dabei muss ein römischer Soldat den Sie wissen schon, was ich meine, an sich genommen haben, offenbar in der Absicht, ihn zu verkaufen. Bekanntlich würfelten römische Soldaten unter dem Kreuz um Jesu letzte Habseligkeiten. Dabei ist der Sie wissen schon, was ich meine, wieder aufgetaucht, da er bei diesen Gegenständen erwähnt wird.“
Cora ließ nicht locker. „Wieso sagen Sie ‚Sie wissen schon, was ich meine’, wenn ich eben nicht weiß, was Sie meinen?“
„Nun, die Angelegenheit ist heikel und darf unter keinen Umständen bekannt werden“, wand sich Meiseneier.
„Ja, man darf nicht darüber reden, Cora“, assistierte Hüpsch, der Coras enge Nachbarschaft sichtlich genoss. „Es geht dabei, ja, was soll ich sagen, was darf ich sagen?“ Fragend blickte er in die Runde und hoffte auf Beistand.
„… um einen Potschamber“, versuchte Feuerlein zu helfen.
„Um was?“, fragte Cora.
„Einen Potschamber, einen Nachttopf“, erklärte Feuerlein ungerührt.
„Doch nicht um den, um Himmels willen, den von …?“, unterbrach Cora die plötzliche Stille.
Die Herren saßen wie versteinert. Man merkte, dass Feuerlein etwas gesagt hatte, was alles veränderte. Alle Blicke richteten sich auf ihn.
„Äh, nein, natürlich nicht“ – sichtlich entgeistert rang Meiseneier um Fassung: „Nein, Cora. Den Potschamber, der damals in dem Haus gewesen ist, also in dem Haus, wo alle waren“, versuchte Feuerlein zu retten, was noch zu retten war. Jetzt endlich hatte er begriffen, dass sein Einfall nicht gelungen war.
Meiseneier gewann die Fassung zurück:
„Sicher ist, dass ein Soldat den Pot…, äh, Sie wissen schon, was ich meine, an einen Juden von kräftiger Statur verkauft hat, der sich immer bei den Jüngern Jesu aufgehalten hatte. Es kann sich bei ihm nur um Petrus, den Fischer, gehandelt haben, da in der Bibel erwähnt wird, dass der betreffende Jünger sich kurz in römischem Gewahrsam befand, weil er einen römischen Soldaten verletzt hatte. Überdies hatte Petrus auch ein starkes Interesse, den Sie wissen schon, was ich meine, in der Gemeinschaft der Jünger zu halten und ihn nicht von Römern verschachern zu lassen.“
„Na klar, was fangen die auch mit einem Nachttopf an!“, nickte Cora.
„Da hast du sicher recht. Das kann ich mir auch nicht vorstellen“, fuhr Meiseneier fort. „Nach dem Erwerb des Sie wissen schon durch Petrus hört man lange Zeit nichts mehr von ihm, äh, dem Pot… und seine Spur verliert sich vollends in Palästina. Lediglich in einem Brief des Petrus an die Pharisäer wird er in einer Episode erwähnt. Als er unter diesen weilte, wurde er zu einem Hochzeitsmahl eingeladen. Der reich begüterte Vater der Braut richtete die Feier aus. Es wurden alle erlesenen Speisen zubereitet, die man seinerzeit kannte.“
„Ja, ich habe gehört, der Dompfarrer Liebkind habe in der letzten Predigt davon erzählt. Bratwürste mit Kraut habe es gegeben. Es habe ihn arg gebläht, den Petrus, soll der Liebkind gesagt haben“, warf Feuerlein ein.
„Das muss aber ein schlechtes Kraut gewesen sein, sicher aus der Dose. Unseres ist viel besser. Mindestens vier-, fünfmal aufgekocht. Da findet man keine Spur Vitamin mehr drin!“, warb Cora sichtlich stolz fürs Kraut in der „Himmelsleiter“.
Meiseneier schaute mit offenem Mund zwischen Feuerlein und Cora hin und her. Er verstand die Welt nicht mehr. Von was redeten die beiden bloß?
„Klar, Cora, eures ist viel besser. Aber fahren Sie ruhig fort, mein lieber Meiseneier!“, forderte er den Historiker auf.
„Nun ja, wie dem auch sei, es hilft mir nicht. Ich fahre nun fort mit meinen Ausführungen: Bei der Hochzeit wurde weder an edlen Gewürzen aus fernen Ländern noch an weiteren kostbaren Zutaten gespart. Nur der beste Wein des Landes wurde aufgetischt.“
„Randersackerer Teufelskeller war’s, sagte der Liebkind“, warf Feuerlein ein.
„Bitte, Feuerlein, nicht noch mehr davon!“, flehte Meiseneier und fuhr nach einer kurzen Pause fort. „Den zahlreichen Gästen der Hochzeit sollte es an nichts mangeln. Der Brautvater scheute weder Geld noch Mühen; alle sollten sehen, dass seine Tochter aus wohlhabendem Haus kam. Dies galt auch für den Bräutigam, sodass mit der Hochzeit zwei mächtige Familien der Pharisäer zusammenkamen, die beide dem christlichen Glauben verbunden waren. Die Braut hatte ob ihrer großen Liebe die Werbung eines anderen, gleichwohl weniger begüterten jungen Mannes verschmäht. Der aber, in großer Leidenschaft zur jungen Braut entflammt, konnte die Zurückweisung nicht überwinden und war entschlossen, sich und die Braut bei der Hochzeit durch einen Gifttrank zu töten. So wollte er mit ihr für immer im Tod vereint bleiben.“
„Ach, wie romantisch. Das könnte in der ‚Gala’ nicht schöner geschrieben sein“, seufzte Cora und verdrehte dabei die Augen.
„Und so reichte er ihr den mit Schierling vergifteten Trank“, erzählte Meiseneier weiter, „jenem tödlichen Gift, mit dem auch schon der Philosoph Sokrates sich das Leben nehmen musste. Die Braut trank ahnungslos aus dem Becher, den der verschmähte Verehrer ihr reichte, nachdem er zuvor bereits einen Schluck genommen hatte. Bald schon wand sich der junge Mann in tödlichen Krämpfen. Als sich wenig später auch bei der Braut erste Anzeichen einer Vergiftung zeigten, erkannten alle, dass auch sie dem Tode nah war.“
„Meiseneier, ein Antidot!“, sagte plötzlich Feuerlein.
„Wieso nennen Sie den Professor einen Idioten?“, fuhr Cora ihn an.
„Nein, Cora, kein Idiot. Ein Antidot. Das ist ein Gegengift zum Schierling“, dozierte Feuerlein gelassen.
„Ein Gegengift gab es nicht, Feuerlein. Eltern und Angehörige beteten in ihrer Not zu Gott um das Leben der Braut. Petrus, der in der unmittelbaren Nähe des Paares am Hochzeitstisch gesessen hatte, sah, dass nur ein Wunder die junge Frau retten konnte, und dachte sogleich an den Sie wissen schon, was ich meine, dessen Geheimnis er kannte. So holte er ihn aus dem mitgeführten Gepäck und trug der Braut auf, sich dahinein zu übergeben. Kaum geschehen, hörten ihre Krämpfe auf und es kam Leben in ihre Wangen. Durch dieses Wunder wurde die Frau gerettet und lebte fortan glücklich mit ihrem Mann.“
„Es ist unglaublich: ein Nachttopf, der Wunder wirkt, wenn man reinkotzt“, entfuhr es Cora.
„Man kann doch sagen, dass damit der Mythos dieses Gefäßes begann und die Menschen zum ersten Mal von den Wundern hörten, die es vollbringen konnte“, sagte Plunder erfreut.
„Richtig, mein Lieber“, antwortete Meiseneier, „mit diesem Brief des Apostels Petrus wurden der Sie wissen schon und seine Wirkung in der Öffentlichkeit bekannt. Sehr zum Verhängnis vieler Christen, wie sich herausstellen sollte. Einige Jahrzehnte später taucht er wieder in der Geschichte auf, zu Zeiten des Kaisers Nero und der großen Christenverfolgung. Auch dem römischen Kaiser war seinerzeit die Wunderkraft zu Ohren gekommen. Der Pot…, äh, Sie wissen schon befand sich damals in Rom in der christlichen Gemeinde. Petrus hatte ihn ihr offenbar vor seiner Kreuzigung dort überlassen. Besessen von dem Gedanken, das Gefäß ob seiner Wunderkraft zu besitzen, ließ Kaiser Nero unerbittlich danach suchen.“
„Was erhoffte er sich denn von dem Sie wissen schon, was ich meine? Krank wird er doch wohl nicht gewesen sein?“, warf Feuerlein dazwischen.
„Doch, das war er. Nierensteine hatte er“, entgegnete Meiseneier geistesgegenwärtig. „Man sagt, dass er sich eine Linderung seines Nierenleidens erhoffte. So setzte er alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel ein, um in seinen Besitz zu gelangen.“
„Und, hat’s geklappt?“, fragte Cora.
Meiseneier hielt in seinen Ausführungen inne. Genüsslich führte er sein Glas an die Lippen, was die Spannung am Tisch merklich steigerte und ihm Gelegenheit gab, seine Ausführungen der geänderten Situation anzupassen. „Nun ja, meine lieben Stammtischbrüder, wie Sie alle wissen, ist auch Nero – Gott sei Dank – nicht unsterblich geblieben. Seine Soldaten spürten den Sie wissen schon in den Katakomben auf und brachten ihn dem Kaiser, der diesen Triumph auskosten wollte. Wie allen bekannt sein dürfte, hat Kaiser Nero die Stadt Rom anzünden lassen. Es wird gesagt, dass er dabei die Zauberkraft des Sie wissen schon, was ich meine, erstmals anwenden wollte. Als er von den Zinnen seines Palastes auf das brennende Rom herabblickte, setzte er sich auf das Gefäß und soll dabei gerufen haben: „So schenk’ mir, du wundersamer Topf der Christen, Linderung von diesen elenden Nierensteinen!“
„Und? Was ist passiert?“, drängte Cora.
Meiseneier hielt kurz inne. Atemlose Stille herrschte am Tisch der Philosophen, als der Professor mit ruhiger Stimme fortfuhr:
„Wie ich Sie bereits wissen ließ, entfaltet der Sie wissen schon, was ich meine, seine Wunderkraft nur in rechtschaffenen Händen, wohingegen ein unredlicher Besitzer mit verbrecherischen Absichten vergeblich auf die Wirkung wartet. So geschah es auch dem römischen Kaiser. Es wird berichtet, dass er sich plötzlich wild schreiend auf den Boden warf und in Krämpfen wand. Er hatte wieder eine Nierenkolik.“