Kitabı oku: «Von Mäusen, Ratten und Priestern», sayfa 4

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Plunder plant, Millionär zu werden

Als Plunder sich nach dem Frühschoppen in der „Himmelsleiter“ nach Hause begab, ging ihm der Kelch nicht mehr aus dem Sinn. Welch einen Schatz hatte man hier in der Domstadt! Das Beste: Nur wenige wussten davon! Und ausgerechnet er war einer, der sein Geheimnis kannte. Plunder dachte an die Möglichkeiten, die der Besitzer des Kelches hatte, und vor allem daran, wie man ihn verkaufen könnte. Gleich nachdem er zu Hause angekommen war, würde er in seiner Kundenkartei nachschauen, wem er die Kostbarkeit anbieten könnte. Vermutlich würden nur wenige aus seiner Klientel das Geld haben, einen solchen Kauf zu tätigen.

Plunders Antiquitätenladen lag in der Grabengasse, parallel zur Juliuspromenade, zwischen dem Juliusspital, einem historischen Krankenhaus, und dem Pleicherviertel. Betrat man die zu jeder Tageszeit dunklen Räume, hatte man den Eindruck, dass die Geschichte des ganzen Stadtviertels hier konserviert war. So wurde der Besucher von einem kuriosen Sammelsurium aus alten Möbeln, Lampen, Gemälden mit Landschaften, Personen oder Tieren und jeder Menge Krimskrams wie Tassen, altem Schmuck und was man sich an derartigen Orten sonst noch vorstellen kann, verschlungen.

Der hintere Teil, wo sich Plunders Büro befand, war im Gegensatz zu der chaotischen Unordnung seines Ladens überraschend aufgeräumt. Als die Neonbeleuchtung zuckend ansprang, sah man links in der Ecke einen alten Sekretär, der ihm als Schreibtisch diente. Darauf stand – ungewöhnlich, ja fast störend – ein Computer-Bildschirm samt Tastatur und daneben zwei moderne Büroschränke, wovon der Antiquitätenhändler nun einen öffnete. Aus der überquellenden Registratur holte er mit sicherem Griff eine unscheinbare Akte mit abgegriffenem grünem Einband heraus. Darin befand sich das Wichtigste und Kostbarste, was Plunder besaß: eine Kartei von Spezialkunden aus aller Herren Länder, die an allem zu kaufen interessiert waren, was kostbar und legal nicht zu erwerben war, von Gemälden aus Museen bis hin zu wertvollem Schmuck aus dem Besitz reicher Familien.

Mal sehen, dachte er, wem er denn den Kelch anbieten könnte. Plunder hatte bereits vor Jahren begonnen, zwielichtigen Auftraggebern illegal und auf dunklen Wegen allerlei Wertvolles zu besorgen. Nachdem der Antiquitätenhandel nicht genug abwarf, um seinen aufwendigen Lebensstil zu sichern, hatte er sich auf Kunstdiebstähle spezialisiert und lebte recht gut davon. Einen Teil des Hehlergeldes hatte er auf einem Konto in Spanien deponiert. Die angelegte Summe sollte später für ein Haus dort im sonnigen Süden dienen, wo er seinen Lebensabend verbringen wollte.

Nachdem er verschiedene Kunden gedanklich durchgegangen war und deren finanzielle Möglichkeiten bedacht hatte, konnte er keinen potenziellen Interessenten finden, der das Geld für den Kauf des Kelches aufbringen konnte. Da erinnerte sich Plunder an einen Mann, dem er einst das Gewünschte nicht besorgen konnte. Der wollte nämlich die berühmte, vom Würzburger Künstler Tilman Riemenschneider geschnitzte Madonna aus Acholshausen haben, die sich allerdings bestens gesichert im Mainfränkischen Museum auf der Festung befindet. Unmöglich sei es, hatte der Händler dem Kunden seinerzeit gesagt, der andere weltberühmte Werk zu besorgen. Und selbst wenn er es zustande brächte, könne dieser es niemals weiterverkaufen oder ausstellen. Darauf käme es ihm nicht an, hatte der Interessent geantwortet und ihm seine E-Mail-Adresse gegeben – falls ihm ein Werk vergleichbar mit dem der Riemenschneider-Madonna einst in die Hände fiele; Geld spiele dabei keine Rolle.

Die E-Mail-Adresse des Kunden fand Plunder in der Computer-Datei, die den bezeichnenden Namen „No Problem“ trug. Er gab die Adresse ein, dann überlegte er kurz, was er ihm schreiben wollte. Die Sache erregte ihn mächtig, seine Hände wurden feucht, die Gedanken ließen sich nicht wie sonst ordnen. Sollte er gleich die Katze aus dem Sack lassen und den Kelch mit seiner Wunderkraft benennen? Was sollte er als Preis angeben? Würde man ihm glauben? Was, wenn der Mann ein Polizeispitzel wäre und er dadurch hinter Gitter käme? Er entschloss sich, den Kunden mit einem unverfänglichen, knappen und eher nichtssagenden Anschreiben neugierig zu machen:

„Hier ist Plunder aus Würzburg. Habe ein seltenes und wertvolles Stück bekommen, das das von Ihnen seinerzeit gewünschte bei Weitem übertrifft. Wenn Interesse besteht, bitte umgehend melden, da weitere Interessenten vorhanden.“

Plunder zögerte einen Augenblick, die Nachricht abzuschicken, so als würde er ahnen, was mit dem Besitz des Kelches auf ihn zukommen könnte. Doch die Vision von Reichtum und einem sorgenfreien Leben reichte aus, um alle Bedenken beiseitezuschieben. Ein Druck auf die „Versenden“-Taste und die E-Mail entschwand mit dem Zischen eines Feuerwerkskörpers ins Nichts des virtuellen Netzwerks. Wow, dachte er, was wohl jetzt passiert?

Bis dahin aber würde er sich um die Frage kümmern, wie er des Kelches habhaft werden könnte, dachte sich Plunder und sogleich kam ihm Bruno in den Sinn. Bruno, der sich kurioserweise „Brünoo“ aussprach, war ein allein lebender Kauz mittleren Alters. Wegen seines ungepflegten Äußeren wusste man nicht, ob er 30 oder vielleicht 60 Jahre zählte. Bruno brauchte immer Geld und wenn ein Auftrag einging, war er es, den Plunder zuerst anrief.

„Wer ist dran?“, drang eine raue Stimme aus dem Telefonhörer, der man die zahllosen Zigaretten und kaum weniger Bier anmerkte.

„Bruno, hier ist Plunder, ich hätte da wieder eine Sache für dich. Nicht schwierig, aber eilig. Ein Kunde möchte baldmöglichst beliefert werden“, antwortete Plunder und versuchte dabei seiner Stimme einen unaufgeregten Ton zu verleihen.

„Was springt dabei für mich raus?“

Plunder dachte kurz nach und entschied sich, die Sache als einfach darzustellen und auch den Preis niedrig zu halten, damit Bruno keinen Verdacht schöpfte. Doch noch bevor er antworten konnte, signalisierten ein Klingelton am Computer-Schirm und ein kleines Fenster: Eine neue E-Mail war eingegangen.

„He, Plunder, noch da?“, holte Bruno den Antiquitätenhändler in die Wirklichkeit des Telefonates zurück. „Was springt raus für mich, will ich wissen?“

„Die Sache ist einfach und macht keine großen Schwierigkeiten. Normalerweise zahl’ ich dir für so einen Auftrag einen Tausender, aber die Sache muss heute Nacht noch erledigt werden, deshalb ist diesmal das Doppelte drin!“

„Was isses denn?“

Plunder sah die ganze Zeit auf das Bildschirm-Signal und konnte sich nur mühsam auf das Gespräch konzentrieren.

„Ach, nur so ein Kelch aus der Domsakristei. Irgend so ein religiöser Spinner will den haben. Müsste eigentlich ganz einfach zu beschaffen sein. Die Türen haben nur alte Schlösser, mit jedem Dietrich zu öffnen, und soweit ich weiß, gibt es keine Alarmanlagen wie im Museum.“

„Okay, hört sich nicht schlecht an. Aber die Sache mit dem „eilt“ macht mir Probleme. Ich kann mich so schnell nicht erkundigen, ob das stimmt mit der Alarmanlage. Erhöhtes Risiko, also das Doppelte, viertausend, dann geht von mir aus die Sache klar.“

„In Ordnung“, sagte Plunder, „das müsste dem Kunden die Sache wert sein.“

„Wo steht das gute Stück denn?“

„Keine Ahnung, da musst du dich in der Sakristei umsehen. In einem Schrank vielleicht, was weiß ich, ich war ja noch nie dort!“, entgegnete Plunder sichtlich ungeduldig. Er wollte Bruno jetzt loswerden und das Gespräch beenden, um die E-Mail zu lesen, die sicher von dem unbekannten Kunden kam.

„Okay, ich erledige die Sache“, grunzte Bruno und legte auf. Plunder öffnete sogleich sein E-Mail-Postfach und fand tatsächlich die ersehnte Antwort vor: „Bin interessiert an der Sache. Bitte um nähere Angaben und Preisvorstellung.“

Der erste Schritt ist getan, dachte Plunder, jetzt kommt es darauf an, den Kunden zu ködern und neugierig zu machen.

„Habe die Möglichkeit, den berühmten Kelch des Abendlandes zu besorgen. Absolut zuverlässige Quelle und einzigartiges Stück!“, schrieb Plunder und drückte auf die Taste „Senden“.

Keine zwei Minuten und der Fisch war am Haken: „Wenn es tatsächlich der Kelch ist, kaufe ich. Welche Preisvorstellung?“

Plunder dachte angestrengt nach: Jetzt keinen Fehler machen! Aber was soll’s, wenn der Kunde wirklich jeden Preis zahlt? Und schließlich wollte er sich danach zur Ruhe setzen. Also galt es, so viel zu verlangen, dass er für alle Zeit ausgesorgt hatte. Er entschied sich für eine Summe, an die er noch nie zu denken gewagt hatte:

„Zwei Millionen Euro, jeweils zur Hälfte eingezahlt auf zwei Nummernkonten in der Schweiz. Sie teilen mir die eine Nummer mit bei Auftragserteilung und die andere, wenn Sie das gute Stück haben und sicher sind, dass es das richtige ist.“

Nachdem Plunder die Nachricht verschickt hatte, starrte er noch zwei Stunden auf den Bildschirm, ohne dass eine E-Mail ankam. Dann legte er sich ins Bett. Für ihn ging ein spannender Sonntag zu Ende und im Dom feierten die Dommäuse im Schein der Kerzen bis tief in die Nacht den Gewinn des Jackpots.


MONTAG

Ein später Kirchenbesucher mit unlauteren Absichten

Dominik konnte einfach nicht einschlafen. Der Streit mit Anna lag ihm schwer im Magen. Am Abend hatte er noch Berthold auf ein Spielchen getroffen, um sich auf andere Gedanken zu bringen. Aber so richtig konnte er sich nicht konzentrieren und so hatte Berthold leichtes Spiel, Runde um Runde zu gewinnen, was diesen sichtlich erfreute.

„Weißt du, Dominik“, philosophierte Berthold und nahm einen tiefen Schluck vom Escherndorfer Lump, „die Weiber sind doch alle gleich. Zuerst machen sie dir schöne Augen und erzählen dir, dass du der Größte bist. Und wenn du dich dann so benimmst, als wärst du der Größte, dann zeigen sie dir, wo der Hammer hängt. Nämlich bei ihnen! Ich kenn mich da aus, das kannst du mir glauben.“

„Ach Berthold, wenn es doch so einfach wär’. Aber die Liebe …“

„Hör mir doch auf mit der Liebe! Sobald die Hormone rauschen, ist der Verstand im Arsch. Glaub’ mir, dann wär’ ich schon längst unter dem Pantoffel. Aber mein Mittelfinger hat mich immer rechtzeitig gerettet!“

„Dein Mittelfinger? Wie das denn?“

„Na klar, Kumpel. Mich hat einmal Josefine von den Ebracher Fräulein beim Weinfest am Marktplatz angemacht. Das war ein sauberes Weib, sag’ ich dir. Die hat vielleicht einen knackigen Arsch gehabt und küss’ konnte die, du hast gemeint, ein D-Zug rollt über dich rüber. Ich war hin und weg. Wir haben dann bis früh um fünf auf dem Marktplatz unter den Bänken gefeiert und getrunken, bis der Bäcker Brandstetter das Markt-Café aufgemacht hat. Ganz ehrlich, ich hatte einen Filmriss und weiß nicht mehr jede Einzelheit“, seufzte Berthold und genehmigte sich einen großen Schluck.

„Wie dem auch sei, nach drei Tagen ist sie zu mir gekommen und hat gemeint, sie wär’ schwanger und wir jetzt eine Familie. Außerdem solle ich zu ihr ins Kloster bei den Ebracher Fräulein ziehen. Ich! Ins Kloster! Kannst du dir das vorstellen? Und jetzt kommt der Mittelfinger ins Spiel!“, rief Berthold, gestärkt vom edlen Rebensaft, und tippte sich mit dem Mittelfinger mehrmals an die Stirn. „Du spinnst wohl, sagte ich, und damit war der Käs’ gegessen.“

„Aber die Josephine ist doch schon wieder schwanger“, warf Dominik ein.

„Aber nicht von mir, sag ich dir. Sie kann halt nicht nein sagen. Ich hab’ gehört, sie wär’ öfters drüben beim jüdischen Bademeister, beim Josele in der Wellness-Oase. Und der geht erst recht nicht ins Kloster!“

Dominik nahm die Weisheit des Weinphilosophen mit einem Seufzer hin und ging, nachdem er einige Käsewürfel an den zunehmend betrunkener werdenden Berthold verloren hatte, hinüber in sein Mäuseloch und vergrub sich unter einem Berg von Kissen.

Es war wohl kurz nach Mitternacht, die Glocke vom Grafeneckart hatte schon zwölf Mal geschlagen, als ein dumpfes Geräusch Dominik aus seinem leichten Schlaf riss. In der Annahme, dass Berthold in seinem Rausch ein paar Flaschen umgestoßen hatte, drehte er sich wieder um. Doch dann wiederholte sich das dumpfe Scharren und Knarren mit regelmäßigen Unterbrechungen. Es kam aus der Sakristei, konnte aber unmöglich von Berthold stammen, der im Rauschzustand jegliche Aktivitäten sorgsam vermied. Mit zwei, drei Sätzen war Dominik am Eingang seines Mauselochs. Unter der Türe, die vom Kirchenraum in die Sakristei führte, sah er einen Lichtschein unruhig hin und her huschen. Das musste eine Taschenlampe sein und da war auch wieder das Geräusch, das ihn geweckt hatte.

Konnte das Liebkind sein, der um diese Zeit noch die Sakristei aufsuchte? fragte sich Dominik. Wohl kaum, denn der hatte seine festen Gewohnheiten und dazu zählte auch der Schlaf zu nächtlicher Stunde. Sein Rätseln über den Grund der Ruhestörung unterbrach ein leises Betätigen der Klinke und die Tür öffnete sich im Schein einer Taschenlampe. Was dann durch den Spalt hereinkam ließ ihn erschauern. Eine Ratte schob sich durch die Tür, streckte ihren spitzen Kopf in die Luft und nahm Witterung auf.

Das kann nicht sein, dachte Dominik, wie soll eine Ratte die Tür der Sakristei öffnen? Doch gleichzeitig mit dem Tier huschte eine dunkle Gestalt in den in mattes Mondlicht getauchten Raum. Sie hielt eine Taschenlampe in der Hand, deren Schein nunmehr den Raum in zuckenden Bewegungen absuchte. Dominik wich instinktiv in sein Mäuseappartement zurück, als der Lichtkegel den Schrank der Sakristei erfasste. Der Eindringling ging auf den Schrank zu, aber – was Dominik weit mehr beunruhigte – auch die Ratte näherte sich in kurzen Bewegungen, mal rechts, mal links schnuppernd, dem Schrank und kam somit seiner Behausung gefährlich nahe.

Nun ist es in der Mäusewelt keineswegs so, dass sich Ratten und Mäuse bekriegen oder einander feindlich gegenüberstehen. Schließlich haben beide ihren Lebensraum in dem gleichen Metier oder besser gesagt auf der gleichen Ebene. Aber trotzdem geht man sich, wenn möglich aus dem Weg. Nur selten kommt es zu einer Unterhaltung, die dann mit einem kurzen „Hi Ratte, wie geht’s?“ und einem „Danke, Maus, es geht“ nicht allzu sehr in die Tiefe geht. Man kennt und meidet sich.

Dominik wollte keinen Kontakt; eine innere Stimme sagte ihm, dass es besser wäre, wenn die Ratte glaubte, dass er schliefe. Rasch sprang er mit einigen Sätzen zurück in sein Bett und legte sich so, dass er das Loch im Auge behalten konnte und gleichzeitig die Ratte mit einem Blick feststellen konnte, dass der Hausherr tief und fest schlief. Plötzlich vernahm er das Raunzen einer ihm unbekannten rauen Stimme:

„Wo kann nur dieser vermaledeite Kelch sein? Der Kerl sagte doch, in der Sakristei. Die Pfaffen halten ihr Zeug doch unter Verschluss, damit keiner rankommt. Mal sehen! Aha, der Schrank ist abgeschlossen. Aber das kriegen wir schon hin!“

Dominik hörte, wie ein Schlüssel ins Schloss geschoben wurde. Wo hat der Dieb wohl den Schlüssel her, durchfuhr es ihn. Woher sollte eine Dommaus auch wissen, dass es Dietriche zum Öffnen von Türen gibt? Im selben Moment herrschte um Dominik herum völlige Dunkelheit: Ein riesiger Rattenkopf hatte sich hereingeschoben und füllte das Mauseloch vollständig aus. „Gott sei Dank können Ratten nicht durch Mäuselöcher kriechen“, stellte Dominik erleichtert fest und hielt die Augen fest geschlossen, um keinen Verdacht zu erregen.

„Ah, sie schläft fest, die Pfaffenmaus“, zischte es an der Tür. Die Stimme aber kannte Dominik und augenblicklich fiel ihm auch ein, wem sie gehörte. Das war kein anderer als Attila, der König der Ratten. Jeder kannte den Ratterich und wer nur einen Funken Verstand hatte, ging ihm aus dem Weg. Attila wohnte bei einem gewissen Bruno und soweit Dominik es von anderen mitbekam, war dessen Ruf sogar noch schlechter als der seiner Ratte. Bruno soll, so sagt man, sich nur mit zwielichtigen Gestalten abgeben.

Attila hatte seinen mächtigen Kopf wieder aus dem Mauseloch zurückgezogen und Dominik stieg aus dem Bett und schlich sich langsam wieder nach vorne. Direkt vor ihm standen ein Paar riesige Menschenfüße, die zu Bruno gehören mussten.

„Na also, geht doch“, murmelte der und die Schranktüre öffnete sich mit leisem Quietschen. „Wo ist denn nur dieser blöde Kelch? Hier unten stehen nur Weinflaschen herum, Messwein wird das wohl sein. Sieh da, die Pfaffen haben keinen schlechten Geschmack, nur das Beste vom Besten: Würzburger Stein Spätlese, Randersackerer Ewig Leben Auslese und – natürlich – der Pfaffenberg darf nicht fehlen. Da hinten ein paar leere Flaschen und da liegt ja eine Maus auf dem Rücken vor einem ausgelaufenen Bocksbeutel. Die bewegt sich nicht. Offensichtlich tot. Hier oben nur Messgewänder, Kleiderzeug und Schachteln. Mal sehen, was da drin ist. Oblaten, wie es aussieht. Steht ja auch drauf: von der Juliusbäckerei. Aber kein Kelch. Wo ist nur das Teil? Hier im Schrank offensichtlich nicht.“

Bei seinen Selbstgesprächen ließ Bruno den Schein der Taschenlampe durch den Raum wandern.

„Was haben wir denn da drüben? Ein kleiner, feiner Hängeschrank! Mal sehen, was da drin ist.“ Fast gleichzeitig hörte Dominik, wie die Turmuhr viermal hell und dann einmal dumpf schlug. Aha, dachte er, ein Uhr.

Attila stand die ganze Zeit mit Bruno vor dem Sakristeischrank und als Bruno sich entfernte, sah Dominik, wie die Ratte mit einem Satz nach oben sprang. Es dauerte nur einen Moment und man hörte ein Rascheln von Pappe und dann ein Schmatzen. Attila hatte die Hostien gefunden und machte sich über die Schachteln her. Das nutzte Dominik und flitzte rasch unter den Sakristeischrank. Versteckt im Schatten eines Fußes sah er, wie sich Bruno an dem Hängeschrank auf der anderen Seite des Raumes zu schaffen machte.

Das laute Schmatzen, mit dem Attila die Hostien vertilgte, drang selbst zu Berthold in dessen Rausch. Hoffentlich wird der Trunkenbold nicht laut, dachte Dominik. Er wusste sehr wohl, was passieren konnte, wenn Berthold sich in seinem Schlaf gestört fühlte. Der würde sicher Radau machen, und wer weiß, was Attila dann in den Sinn käme. Das musste unter allen Umständen verhindert werden. Rasch sprang Dominik mit einem mächtigen Satz in den Schrank, huschte geräuschlos zwischen den Messwein-Flaschen hindurch und fand schließlich Berthold, in einer kleinen Weinlache auf dem Rücken liegend. Wie ein Maikäfer streckte der alle vier Beine in die Luft und ruderte damit herum. Tatsächlich hatte ihn Attilas Hostiengelage im Schlaf gestört und Dominik kam gerade noch rechtzeitig, um ihn am Aufwachen zu hindern. Rasch legte er ihm eine Pfote auf den Mund und sang dabei leise: „Schlaf, Berthold, schlaf ein, und träume süß vom Wein, die Engelein schaukeln dich hin und her, wenn’st aufwachst, gibt’s vom Wein noch mehr, schlaf, Berthold, schlaf ein.“

Keine leichte Aufgabe, den Trunkenbold zu beruhigen, denn die Wolke von Alkohol und Käse aus dessen Mund nahm ihm fast das Bewusstsein.

In der Zwischenzeit war es Bruno gelungen, den kleinen Hängeschrank zu öffnen. Im Schein der Taschenlampe suchte er dort nach dem Objekt seiner Begierde. „Ah, da ist er ja“, entfuhr es ihm, als im Lichtkegel ein goldener Gegenstand glänzte. Da stand er vor ihm, der Kelch. Auf den ersten Blick recht unscheinbar, so schlicht in seiner Form, keine Edelsteine oder Verzierungen waren zu sehen. Bruno stutzte einen Augenblick, nicht sicher, ob es sich um die bestellte Ware handelte. Eine Beschreibung des Kelches hatte ihm Plunder nicht gegeben. In Anbetracht dessen und weil er auch keine Lust hatte, nochmal die Sakristei auf einen eventuellen anderen Kelch zu durchsuchen, nahm er das Gefäß aus dem Hängeschrank und ließ es in einem dunklen Beutel verschwinden.

„Jetzt aber raus hier“, murmelte Bruno hastig und wollte schon die Sakristei verlassen, als er bemerkte, dass Attila verschwunden war. „Verdammt, wo ist die Ratte?“, entfuhr es ihm leise, aber vernehmbar. „Attila, wo steckst du, komm her!“

Im selben Augenblick schlug die Uhr zweimal und Bruno erschrak. Um halb drei würde der Wach- und Schließdienst auf seinem Rundgang am Dom vorbeikommen und wer wusste schon, ob den Wachmännern nicht etwas auffallen würde. Es galt, den Dom rasch zu verlassen. „Blöde Ratte“, zischte er, „bleib doch, wo der Pfeffer wächst! Ich verschwinde jetzt.“ Und damit huschte Bruno aus der Sakristei. Das Licht seiner Taschenlampe verlor sich langsam im Dunkel des großen Kirchenschiffes.

Attila war mit dem Verschlingen der Hostien dermaßen beschäftigt gewesen, dass er in seiner Gier gar nicht bemerkt hatte, dass sich sein Herr zwischenzeitlich aus dem Staub gemacht hatte. Nachdem die letzte Hostie verzehrt war, rülpste er genüsslich und spähte aus der oberen Etage des Schranks. Jetzt erst registrierte er, dass Bruno fort war. Mit plumpen Bewegungen – die Menge der Hostien hatte seinen Bauchumfang verdreifacht und der Schmaus lag ihm schwer im Magen – hangelte sich die Ratte die Schrankfront hinunter.

Dabei kam er an der Weinetage vorbei, wo Dominik noch immer dem trunkenen Berthold den Mund zuhielt, sodass dessen vier Beine sichtlich schlaff herunterhingen und seine Gesichtsfarbe sich schon leicht bläulich färbte.

„Gott sei Dank ist der Gierhals mit seiner Fresserei endlich fertig, der Trunkenbold geht mir sonst noch über den Main!“, dachte Dominik erleichtert, als Attila an ihnen vorüberkam und sich mit sichtlich schwerem Gang zur Tür schleppte.

„Die haben dem Liebkind seinen Kelch gestohlen!“, wurde sich Dominik schlagartig bewusst. „Wie soll der denn seine Messe ohne den Kelch halten? Und, noch viel schlimmer, was wird aus unserem schönen Wettbüro in der Sonntagsmesse? Das kann ich nicht zulassen, hier muss ich handeln. Den Kerl schnapp’ ich mir. Die fette Ratte kann sich doch kaum bewegen, wie die sich mit ihrem vollen Bauch davonschleppt. Ich brauche nur Attila zu folgen, dann weiß ich, wo der Kerl wohnt!“, dachte Dominik und ließ von Berthold ab, der mit einem erleichterten „Ufffff!“ dem Erstickungstod nur knapp entkam. Er ließ den Säufer in seiner Weinpfütze zurück, der sich, der Arme seines Retters ledig, auf den Bauch drehte und in den Silvanerresten rekelte.

Für Dominik war es ein Leichtes, der sich dahinschleppenden Ratte zu folgen. Vollgefressen, wie sie war zeigte diese keinerlei Anzeichen von Vorsicht und kümmerte sich nicht darum, ob ihr jemand folgte. Attila zwängte sich aus einem faustgroßen Loch neben dem Eingang zum Friedhof hinaus und musste sich dabei zweimal übergeben: Die Öffnung war dem Inhalt des Bauches nicht gewachsen. Zwischen Dom und Neumünster, im Schatten des Kilianshauses, ging es dann über die Dom- und Augustinerstraße in Richtung Sanderau.

Am Dom bemerkte die Ratte nicht einmal den Wach- und Schließmann, der die Treppen hinauf zum Dom ging, um die Türe zu überprüfen. Der übersah ebenfalls den unförmigen Ratterich, rüttelte pflichtgemäß an der Klinke und schritt weiter zum Seiteneingang des Doms.

Unendlich lange schien es Dominik, bis Attila schließlich die Sanderstraße erreicht hatte und in die Untere Johannitergasse einbog. Hier hatte Bruno seine Wohnung. Dominik merkte sich die Türe, hinter der die Ratte verschwunden war, und überlegte, was zu geschehen hatte. „Der Kelch ist weg und muss unbedingt wieder her. Ob ihn Bruno wohl behalten will?“ Er musste die anderen Mäuse im Dom benachrichtigen und Bruno durfte nicht aus den Augen gelassen werden. Dominik rannte in den Dom zurück, um alles Notwendige in die Wege zu leiten.

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