Kitabı oku: «COLLEGIUM.», sayfa 3

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*

Noch bevor der Befehl ›Wasser marsch‹ gegeben werden konnte, erschütterte eine ohrenbetäubende Explosion den Unfallort.

Ein enormer Feuerball schoss in den Himmel. Brennende Kerosinzungen wirbelten durch den Äther. Sie tanzten zu Boden und steckten an zahlreichen Stellen die Wiese in Brand. Die ungeheure Detonation hatte das Triebwerk zerrissen. Die Druckwelle schleuderte Passagiere wie Spielzeugpuppen von den Notrutschen.

Schmerzensschreie gellten aus allen Richtungen. Im nächsten Augenblick knickte das linke Fahrwerk ein und das Flugzeug sackte zu Boden. Wie eine satte Robbe auf einer Eisscholle lag es da. Funken stoben durch die vor Hitze flirrende Luft, als hätte man ein riesengroßes Holzscheit in ein Lagerfeuer geworfen.

Viele der Passagiere, die es nicht weit genug weg von der Unglücksmaschine geschafft hatten, brannten lichterloh. Sie irrten als lebende Fackeln umher oder wälzten sich auf der dünnen Schneeschicht. Einige lagen bewusstlos im hohen Gras. Die glühend heiße Druckwelle hatte selbst weit entfernte Personen, zu Boden geschleudert. Trümmer schossen durch die Luft.

Schmerzschreie vermischten sich mit dem Singsang der unterschiedlichsten Martinshörner.

Der Geruch von verbranntem Fleisch legte sich wie ein Leichentuch über den Unfallort. Aschenschmetterlinge tanzten vom Himmel, vermengten sich mit dem Schnee und überzogen das hohe Gras mit düsterem Dunkelgrau.

Die Druckwelle hatte eine schwere Plastikplane von einem Einsatzwagen gerissen. Sie traf Peter mit voller Wucht, riss ihn zu Boden und begrub ihn unter sich. Holzinger krümmte sich auf der Wiese. Bemüht, die Beine anzuziehen.

Eine Feuersbrunst schien in seiner Lunge zu lodern. Er atmete flach. Der beißende Geruch des Kerosins hatte sich in seinem ausgetrockneten Rachen festgesetzt. Seine Ohren dröhnten, als wäre er zu Neujahr unter der zwanzig Tonnen schweren Pummerin gestanden. Er zwang sich, seine schmerzenden Augen zu öffnen. Völlige Dunkelheit umgab ihn. Er zerrte an der sperrigen Plane. Schließlich gelang es ihm, sich darunter hervorzurollen und stieß an einen glänzenden Helm, der vor seiner Nase im Gras lag. Daneben kauerte – auf allen vieren – ein hustender Feuerwehrmann, der wie ein gestrandeter Fisch mühsam nach Luft schnappte.

Vereinzelt eilten Schatten an ihnen vorüber, ohne sich um sie zu kümmern.

Peter lag noch immer im feuchtkalten Gras, hob seinen zentnerschweren Kopf und drehte ihn zur anderen Seite. Seine Kollegin lag regungslos am schneebedeckten Boden. Ihre Haare standen wie Tintenfischtentakel ab, wie dürre, entlaubte Äste eines toten Gestrüpps, ihre Augen geschlossen. Blut rann über ihre Stirn. Neben ihr dampfte ein heißes, deformiertes Metallteil. Von ihrem Rücken züngelten Flammen.

»Sarah!«, stieß Peter röchelnd hervor. »Bist du okay?«

Er wartete vergeblich auf eine Antwort.

3

Er stand am Balkon seiner King-Corner-Presidential-Suite im obersten Stockwerk des im Art-Déco-Stil der goldenen 1920er Jahre gestalteten Hilton Plazas. Sein linker Arm hielt seine Steppjacke vor der Brust geschlossen. Der eisige Wind trieb unentwegt dicke Schneeflocken an seiner Nase vorüber. Hin und wieder blieb eine an seiner Hornbrille kleben. Von der dreispurigen Straße unter ihm drang die eintönige Klangwolke des Abendverkehrs an sein Ohr.

Er ließ seinen Blick der beleuchteten Ringstraße entlang schweifen. Eine dünne Schneeschicht überdeckte die welken Blätter der Kastanienbäume im Rinnsal. Hinter den dürren Ästen der Baumwipfel erspähte er die markante Kuppel der Universität, die von der Turmspitze des Rathauses überragt wurde.

Er liebte diese alte Kaiserstadt mit ihren zahlreichen Jugendstil- und Prachtbauten, den verwinkelten Gassen und ihren raunzenden Bewohnern. Seit Jahren hegte er den Gedanken, in dieser Stadt eine Immobilie zu kaufen. Heute war dieser Traum wahr geworden: Eine alte, leer stehende Villa mit Penthouse.

Craig Morrison zog ein letztes Mal an seiner Zigarre, schnipste den Stummel in den Aschenbecher und begab sich zurück in die feudale Suite. Er streifte seine Jacke ab und warf sie über die Stuhllehne.

Gestern Nachmittag war er aus dem heißen Abu Dhabi angereist. Für ihn ein willkommener Temperaturunterschied von 30 Grad.

Im Geiste ging er die Agenda des bevorstehenden Symposiums durch, das von ihm als einem der Chairmen des Economy-Clubs organisiert worden war. An den nächsten beiden Tagen erwartete er im 20 km entfernten Schloss Laxenburg zahlreiche Wirtschaftsbosse aus allen Teilen der Welt.

Morgen – um zehn Uhr – stand das Meeting mit der Polizei, Abteilung Personenschutz am Plan.

Diesmal hatten seine Freunde und er ihre Familien, insbesondere ihre Kinder eingeladen; ein lieb gewordenes Ritual, wenn sie ihre Kongresse in sehenswerten Städten abhielten.

Sein Sohn und seine Schwiegertochter, die sich zurzeit auf Hochzeitsreise quer durch Europa befanden, hatten ihre Route entsprechend geplant. Am gestrigen Abend speiste er gemeinsam mit ihnen im Restaurant Émile. Sie berichteten von Athen, Paris, Rom, Florenz und Verona.

»Unsere nächsten Ziele sind Budapest, das kohleverstromende Warschau und Berlin«, hatte Edith wiederholt erwähnt.

Craig hatte die Augen verdreht, weil er befürchtete, dass sie wieder ihr Lieblingsthema ›Umweltschutz‹ strapazieren würde. Er kannte ihre Ansichten, und was für ihr Dafürhalten die Politik unternehmen müsse, um unseren Planeten zu retten. Ihre stereotypen Argumente zerstörten in Kürze jeden Plausch, denn Gegenargumente ließ sie nicht gelten. Auf diesem Ohr war sie taub.

In solchen Situationen wäre es Christians Aufgabe gewesen, das Gespräch zu übernehmen. Doch sein Sohn ignorierte die vorwurfsvollen Blicke seines Vaters und überließ seiner puppenhaften Frau das Reden.

Craig beugte sich in ihre Richtung, und fixierte sie mit seinen eisblauen Augen.

»Edith, bitte keine Vorträge. Wir kennen deinen Standpunkt. Erzählt mir lieber, was ihr in Wien vorhabt.«

Sein Ton war freundlich, enthielt aber genug Schärfe, um ihr Thema im Keim zu ersticken.

Christian kannte diesen Unterton nur zu gut. Besänftigend strich er seiner Gemahlin über den Rücken, als wollte er eine knurrende Hündin beruhigen und erzählte bereitwillig von ihren weiteren Plänen.

Morrison lehnte sich zurück, ohne auf die einzelnen Worte zu achten, und musterte die beiden. ›Was für ein ungleiches Paar‹, sinnierte er. Vor Craigs geistigem Auge zogen die Erinnerungen an die Hochzeit in Las Vegas vorüber: Wenig Familie, dafür umso mehr jugendliche Freunde des Brautpaares, die ständig mit ihren Smartphones beschäftigt waren. Die verbale Unterhaltung schien auf ein Minimum reduziert gewesen zu sein. Und wenn die jungen Gäste miteinander sprachen, benützten sie ein Vokabular, dem er nur schwer folgen konnte.

Erst vor einem Jahr hatte sich das Brautpaar näher kennengelernt. Gemeinsam studierten sie an der Yale-Universität Chemie. Nachdem beide ihre Studien erfolgreich abgeschlossen hatten, planten sie sofort ihre Hochzeit. Gegen Craigs Willen. Zu Beginn nahm er an, dass die Geliebte seines Sohnes schwanger war, aber diese Vermutung stellte sich als Irrtum heraus.

Erfolglos bot er den beiden gut dotierte Jobs in seinem Agrarunternehmen an. Damit wollte er ihre Heiratspläne durchkreuzen, oder die Vermählung hinauszögern. Er hoffte, Zeit zu gewinnen, in der sein Sohn zur Vernunft kommen würde.

Doch die beiden stiegen nicht auf seine Angebote ein. Zunächst wollten sie um die Welt reisen, die unterschiedlichsten Kulturen kennen lernen, um die Zusammenhänge zu verstehen, warum die Gesellschaften so sind, wie sie sind.

Die konträren Denkweisen der beiden prallten wie stählerne Bocciakugeln aufeinander. Keiner war bereit, auf sein Gegenüber einzugehen.

*

Gestern Abend waren ihre Gespräche gestelzt und abblockend gewesen, jeder Satz eine Landmine, die drohte, bei der geringsten Berührung zu explodieren. Craig war erleichtert, als sich die beiden in ihre Suite zurückzogen und er sich an der Bar einen Whiskey genehmigen konnte, ohne dass ihn jemand scheel ansah.

»Wunderschönen guten Abend, Herr Morrison«, begrüßte ihn gestern der Barkeeper. »Heute solo?«

»Hi Gerard. Ja, bin alleine.« Er kletterte auf den Barhocker, spreizte die Beine und stützte den Kopf auf die Faust. »Mein Sohn ist mit seiner Frau auf das Zimmer gegangen.«

»Schön zu hören, dass Sie von Ihrer Familie begleitet werden.«

Craig nickte seufzend, und ließ seinen Blick an den aufgereihten Flaschen hinter der Theke entlang gleiten.

»Bourbon?«, fragte Gerard.

Morrison schob die Unterlippe vor und drehte die Handfläche nach oben.

»On the Rocks? – Wie immer?«

Der Amerikaner nickte.

Routiniert angelte sich der Bartender ein Whiskeyglas aus dem Regal und ließ die Eiswürfel polternd hineinfallen. »Jack-Daniel’s oder Four-Roses?«

Morrison zeigte auf die viereckige Flasche. Gerard goss den sämigen Whiskey mit einer theatralischen Armbewegung ins Glas, weit mehr als die Markierung vorsah.

»Cheers«, wünschte der Barkeeper und schob ihm das Getränk auf einem Untersetzer zu.

»Thanks.« Craig schaute auf den Whiskey und schenkte Gerard ein breites Lächeln.

»Steht morgen ein anstrengender Tag bevor?«

Morrison zuckte mit den Achseln.

»Ah, verstehe ... Familie …«

Diesmal drehte Craig beide Handflächen nach oben und presste die Lippen zusammen.

»Dann wünsche ich Ihnen einen erquicklichen Aufenthalt.«

Gestern war Gerard eindeutig der angenehmere Gesprächspartner.

*

Craig verdrängte seine Erinnerungen. Im Zimmer war es dunkel geworden. Er knipste die Stehlampe in der Ecke an. Gedämpftes Licht erhellte den Raum. Sein Hungergefühl meldete sich mit Nachdruck. Er schaute auf die Uhr. Erst in einer Stunde war er mit seinen Freunden zum Dinner verabredet.

Auf dem kleinen Tisch erblickte er die Fernbedienung für den Fernsehapparat. Er drückte den Einschaltknopf. Im nächsten Augenblick zeigte der Bildschirm ein brennendes Flugzeug. In der rechten oberen Ecke prangte das Wort ›LIVE‹. Die attraktive Reporterin mit ihrem blonden Ponyhaarschnitt erklärte, was gegen 18:00 Uhr am Vienna-Airport passiert war.

»... leider liegen uns noch keine Einzelheiten zum Absturz vor, aber wir bemühen uns, Sie so schnell wie möglich zu informieren ...«, hörte er, während das Insert ›Claudia Bigler, KURIER TV – Flughafen Wien Schwechat‹, eingeblendet wurde.

Morrisons Neugier war geweckt. Mit zusammengekniffenen Augen verfolgte er die Berichterstattung, doch seine Deutschkenntnisse reichten nicht. Er zappte weiter, Sender um Sender, auf der Suche nach dem Euronews-Kanal in englischer Sprache.

Endlich: Sendeplatz 54.

Am unteren Rand des Bildschirms leuchtete ein breiter roter Balken mit weißer Schrift: ›BREAKING NEWS‹, daneben ›Live: Airplane Crash – Vienna-Airport.‹

Eine Passagiermaschine hatte am späteren Nachmittag eine Bruchlandung erlitten, berichtete der Sprecher. In Großaufnahme sah man Flammen aus dem Wrack schlagen. Die Feuerwehren sprühten unentwegt Löschschaum auf das demolierte Flugzeug.

Hin und wieder entfernte sich ein Rettungswagen mit Blaulicht, während andere zur Unfallstelle rasten.

Steif setzte sich Craig an das Fußende des Bettes und verfolgte gebannt den Bericht. Die Maschine war bei der Landung, aus Amsterdam kommend, verunglückt. Über den genauen Grund konnte man zu diesem Zeitpunkt nur spekulieren.

›Wollte nicht Hajo heute aus den Niederlanden anreisen?‹, schoss es Craig durch den Kopf. Sein rechtes Bein wippte unentwegt. ›Voss wird doch nicht in dem Flugzeug gesessen sein?‹

»... es sind zahlreiche Verletzte zu beklagen. Vielleicht sogar Tote. Über die Anzahl kann man derzeit nur mutmaßen. Die Rettungsmannschaften arbeiten im Dauereinsatz«, tönte es schicksalsschwanger aus den Lautsprechern.

Craig stand auf und zog das Smartphone aus seiner Jacke, die über dem Stuhl hing. Er durchsuchte die Kontaktliste. Unter Hajo fand er keinen Eintrag, doch bei Voss wurde er fündig. Sein Zeigefinger zitterte, als er auf ›CALL‹ drückte.

Es läutete. Craig trommelte mit den Fingern auf seine Brust und presste das Telefon fester ans Ohr. Zum dritten Mal hörte er den Signalton. Hajos Mobile war eingeschalten, aber warum nahm er den Anruf nicht an?

Morrison stützte sich auf der Stuhllehne ab und verfolgte das Geschehen am Bildschirm. Nach dem sechsten Klingelton meldete sich Hajos Stimme: ›Hello. I can’t take your call right now, please leave a message after the tone. Thanks for your call..‹

»Shit«, schimpfte Craig und beendete den Anruf, ohne eine Nachricht zu hinterlassen. Er zog am Krawattenknopf und öffnete den Hemdkragen.

Von einer Sekunde auf die andere merkte er, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Verwirrt setzte er sich an den kleinen Tisch und schlug, um sich abzulenken, die Tagungsmappe auf. Zehn Uhr Sicherheitsmeeting, las er und überflog die weiteren Punkte der Liste. Der zwölfte ließ in innehalten: Erpresserbriefe. Er durchwühlte die Beilagen, bis er auf die Kopie der Drohungen stieß.

Spenden Sie zwei Millionen an eine NGO / NPO, sonst veröffentlichen wir geheime Dokumente Ihres Unternehmens!

Geben Sie im Anschluss eine Pressekonferenz.

Neben dem Text war handschriftlich der 10. September vermerkt.

Craig runzelte die Stirn und erinnerte sich, dass im Frühjahr ein Hackerangriff auf seinen Konzern erfolgt war. Die IT-Experten fanden keine Hinweise, dass sensible Daten gestohlen worden wären. Sicherheitshalber hatte man den Vorfall dem FBI gemeldet, doch dessen Ermittlungen verliefen im Sand.

Bei der Fülle von Erpressungsversuchen, die seinen Konzern im Laufe eines Jahres erreichten, war es schwer, die ernst Gemeinten zu erkennen. Die meisten waren von Aktivisten, die sich über die Preise erbosten, die man den Farmern bezahlte oder richteten sich gegen die Monokulturen und dem damit einhergehenden Bienensterben.

Auf diese Weise verschafften sie ihrem Ärger Luft.

Er las weiter. Auf dem zweiten Zettel, der schief in den Kopierer gelegt worden war, stand:

Letzte Warnung!

Spenden Sie sofort die geforderten zwei Millionen!

Handschriftlich war der 5. November darauf notiert.

Sein Freund René Delon war der Erste, der bei einem ihrer Treffen im Frühjahr vom Erhalt eines Erpresserbriefes berichtete. Wochen später erreichte ihn eine Morddrohung, worauf er im Sommer während eines Segeltörns verschwand. Ähnlich war es bei Klug, der bei einem Autounfall ums Leben kam. Erst nach seinem Tod erfuhr man, dass auch er solche Drohungen erhalten hatte.

Craig strich sich mit der Hand durch sein Haar. Was wäre, wenn das Unglück am Wiener Flughafen ein Anschlag war, der mit diesen Erpressungen zu tun hatte? Hatte er Hajo Voss gegolten?

Craig überlegte, ob er das Thema beim heutigen Abendessen anschneiden sollte. ›Besser wäre, bis morgen zu warten, wenn sie vollzählig waren‹, dachte er und weigerte sich, Zusammenhänge ohne Beweise zu akzeptieren.

Das Klopfen an der Tür riss ihn aus seinen Gedanken.

*

»Ja bitte?«

Es klopfte abermals.

Craig stapfte widerwillig zur Tür und öffnete. Edith hing am Hals seines Sohnes, wie eine Pythonschlange, die ihre Beute umschlungen hatte. Ihre Haare trug sie zu zwei französischen Zöpfen geflochten, die bis zu den Schulterblättern reichten. Die Wange ihres schmalen Gesichtes rieb sie an Christians Schulter. Ihr Oberschenkel drückte gegen den ihres Mannes.

Was Craig sah, war nicht die Ablenkung, die er sich erhofft hatte. Er ließ seinen Blick abschätzig an Ediths dürrem Körper entlang gleiten. Wasser tropfte von einem welken Ahornblatt, das ihr kniehoher Lackstiefel mit dem Bleistiftabsatz durchbohrt hatte und den Teppichboden dunkel färbte.

Mit dem leicht basedowschen Augenpaar musterte die junge Frau ihren Schwiegervater und folgte seinem Blick. Indigniert schüttelte sie das Blatt vor der Suite ab.

Morrison fragte sich, was Christian wohl an ihr gefalle. Liebe scheint eigenen Regeln zu folgen. Edith war keinesfalls nach seinem Geschmack.

»Kommt rein … habt ihr Wien unsicher gemacht?«, begrüßte er die beiden, ohne ein Lächeln auf den Lippen, in der Hoffnung, dass sie seine Einladung ablehnten.

»Ja, vormittags waren wir in der Innenstadt. Mittags am Donauturm. Und am Nachmittag haben wir uns die Umgebung angesehen. Sogar im Schloss Mayerling sind wir gewesen. Die Pferderennbahn, das Racino war leider geschlossen«, sprudelte es aus Edith hervor, während sie sich an ihrem Schwiegervater vorbei in die Suite zwängte.

»Und das bei diesem Schneefall?«

»Ja, war mit deinem Firmen-SUV kein Problem. Wir hatten viel Spaß. Cooles Gerät, der Daimler AMG GLC. Das hat richtig Power …«, schwelgte Christian in Erinnerungen.

»Das kann ich mir vorstellen, dass er dir gefällt. Übrigens, ich brauche morgen den Wagen«, seufzte Craig.

Sein Sohn öffnete leicht den Mund und legte die Hand darauf. »Dann musst du ihn waschen lassen. Edith und ich haben einen Abstecher ins Gelände unternommen«, murmelte er.

»Bei diesem Wetter? Was für eine Schnapsidee!«, fuhr er seinen Sohn an. »Ich lasse den Wagen sicher nicht waschen. Kümmere du dich gefälligst darum. – Heute noch!« Craigs Gesicht färbte sich rot. Auf seiner Stirn erhoben sich dunkelblaue Adern, und zeichneten ein bizarres Muster, das an krakelige Fäden eines Spinnennetzes erinnerte.

»Weißt du, ob Kirstin bereits angekommen ist?«, wechselte Edith mit unschuldig dreinschauenden Glupschaugen das Thema.

»Ich habe vorhin versucht, Hajo zu erreichen. Er meldet sich nicht. – Habt ihr von dem Flugzeugunglück gehört?« Craig deutete auf den Fernsehapparat. »Heute, am frühen Abend am Vienna-Airport.«

Das Ehepaar schaute sich fragend an und ging ein paar Schritte auf den Bildschirm zu.

»... es handelt sich um den Flug aus Amsterdam, der planmäßig um 18:05 in Wien Schwechat aufsetzte … ein Terroranschlag wird nicht ausgeschlossen …«, hörten sie.

Christian legte seine Hand um Ediths Schulter. »Willst du damit behaupten, dass Hajo mit seiner Tochter in dem Flieger war?«

»Ob Kirstin in der Maschine war, weiß ich nicht. – Anzunehmen. – Ich bin mit ihrem Vater für acht Uhr zum Abendessen verabredet. Das deutet darauf hin, dass er in diesem Flugzeug gesessen ist. Die Nächste käme erst sehr spät abends – soviel ich weiß.«

Edith stieg von einem Bein auf das andere, während ihr Christian über den Rücken strich. Ihr Blick wanderte zwischen ihrem Schwiegervater und dem Bildschirm hin und her. Ihr puppenhaftes Gesicht hatte den aschfahlen Teint einer Marionette angenommen. Sie umfasste die Taille ihres Mannes und schmiegte sich an ihn, als ob sie Schutz suchte. Schließlich starrte sie gebannt auf den Fernsehapparat.

Morrisons Smartphone brummte. Am Display blinkte ›HAJO VOSS‹.

»Hallo Hajo, Wo bist du? Wie geht es dir?«, legte er los, ohne den Anrufer zu begrüßen.

»Hi Craig. Im Plaza …«

»... hast du von dem Flugzeugunglück in Schwechat gehört? Ich sorgte mich, denn ich vermutete dich in dieser Maschine«, fiel er seinem Freund ins Wort.

»Ja, habe es eben aus der Nachrichtensendung erfahren. Ich bin heute Morgen von Frankfurt nach Wien geflogen und habe den heutigen Tag benutzt, um mit einem Geschäftspartner zu konferieren. Vor einer halben Stunde bin ich hier aufgeschlagen. – Aber ich habe ein Problem: Kirstin war in der Maschine, und ich habe bis jetzt nichts von ihr gehört. Sylvia bestätigte mir am Telefon, dass unsere Tochter zeitgerecht aufgebrochen ist.«

»Oh, Gott. Willst du damit sagen, du weißt nicht, ob sie verletzt ist? Warum rufst du nicht am Flughafen an und erkundigst dich.«

»Das habe ich schon zweimal versucht. Privatpersonen erhalten zurzeit keine Auskunft. Außerdem ist der Airport wegen Terrorverdacht abgeriegelt. Das Mobilnetz scheint zusammengebrochen zu sein. Man riet mir, mich in Geduld zu üben. Einige Passagiere sind verletzt und werden derzeit ärztlich betreut. Schwerverletzte bringt man in die umliegenden Krankenhäuser. Sollte meine Tochter in ein Hospital gebracht werden, dann wird man mich sicher in Kürze verständigen, meinten sie.«

»Das klingt nicht gut. Hajo, wollen wir uns in der Bar treffen?«

»Das ist eine hervorragende Idee. In zehn Minuten?«

»Okay.«

»Bis später.«

Nachdenklich nahm Craig sein Smartphone vom Ohr und steckte es ein.

Edith hatte sich hinter ihrem Ehemann verkrochen, die Hände vor seinem Parka verschränkt. Sie lugte seitlich an Christian vorüber und starrte ihren Schwiegervater mit ihren schwarz geschminkten Augen an, wie ein Gibbonäffchen, das seine nächste Beute fixierte.

»War das Hajo? Was klingt nicht gut?«, erkundigte sie sich, als hätte sie Angst vor der Antwort.

»Ja, das war Hajo. Gott sei Dank ist er schon früher angereist. Er war nicht in der Unglücksmaschine. Aber Kirstin ist an Bord gewesen. Sie hat sich noch nicht bei ihm gemeldet. Er weiß nicht, ob sie heil oder verletzt ist. Ich treffe ihn gleich an der Bar. – Lasst mich mit ihm alleine sprechen. – Sehe ich euch ...?«

»... Ich glaube nicht. Wir haben für heute Abend vier Karten für das English-Theater reservieren lassen. Eine ist für Kirstin. Kannst du uns bitte sofort verständigen, wenn du Neuigkeiten über Kirstin erfährst!?«

»Mach ich ...«

Mit einer unmissverständlichen Handbewegung dirigierte er seine Gäste aus dem Zimmer, schloss die Tür und schritt schnurstracks auf den Aufzug zu.

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