Kitabı oku: «COLLEGIUM.», sayfa 8

Yazı tipi:

9

Hajo Voss hatte die halbe Nacht telefoniert. Zwischen den Gesprächen fand er keine Ruhe und schlich in seiner Suite wie ein gereizter Tiger auf und ab. Ständig verfolgte ihn die Frage nach dem Warum und Weshalb. Seine Frau Sylvia hatte die Hiobsbotschaft erstaunlich beherrscht aufgenommen, zumindest war dies sein Eindruck am Telefon. Sie buchte noch zu nächtlicher Stunde einen Flug. Mittags würde sie in Wien landen.

Zäh war die Zeit vergangen. Erst in den frühen Morgenstunden fand er etwas Schlaf.

Um 6:00 morgens ging er hinunter in die Executive-Lounge, wo man ihn mit erstaunten Augen empfing.

Der Kellner schaute verwundert auf die Uhr und gab seinem Gast zu verstehen, dass das Frühstücksbuffet noch nicht geöffnet sei.

Nach kurzer Diskussion wies man ihm einen Platz zu und er gab seine spärliche Bestellung auf: Kaffee und ein Stück Kuchen.

›Mehr bringe ich nicht hinunter‹, dachte er und genoss den persönlichen Service. Jedes Mal, wenn der Kellner an seinem Tisch vorüber kam, lächelte ihm dieser zu und erkundigte sich nach seinen Wünschen.

Hajo starrte unentwegt in seine Kaffeeschale, in der er immer wieder mit dem Löffel umrührte, obwohl nur mehr der Boden bedeckt war.

Ein Hotelboy betrat die Lounge und warf einen Stapel Tageszeitungen auf den Nachbartisch. Der Lärm riss Hajo aus seinen Gedanken. Unbeholfen zog er eine Zeitung vom Stoß.

Der Flugzeugabsturz beherrschte die Titelseite.

Er blätterte zum vierseitigen Sonderbericht. Trotz der Sprachbarriere arbeitete er sich aufmerksam durch den Bericht, in der Hoffnung, den Grund des Absturzes zu erfahren. Aber es wurden nur Mutmaßungen geäußert, die seine Frage nicht beantworteten.

Eine Stunde später gesellte sich einer seiner Leibwächter zu ihm.

»Guten Morgen Herr Voss, reisen wir ab oder besuchen Sie den Kongress?«, fragte der Riese.

»Kann ich noch nicht sagen. Meine Frau ist am Weg nach Wien. Wir müssen einiges erledigen, wie Sie sich vorstellen können. Ich gebe Ihnen sofort Bescheid, wenn eine Entscheidung gefallen ist.«

Der Hüne nickte und schlürfte den heißen Tee in sich hinein. Nachdem er die Tasse abgesetzt hatte, schaute er seinen Boss an.

»Mein herzliches Beileid. Ich habe Kirstin sehr gemocht. Wenn ich etwas für Sie tun kann, lassen Sie es mich wissen.«

Voss nickte ihm mit geschlossenen Augen zu und vertiefte sich wieder in den Zeitungsartikel.

Mittlerweile war das Büfett angerichtet. Langsam füllte sich die Lounge und es bildete sich die erste Schlange vor der Theke.

»Guten Morgen, Hajo«, begrüßte ihn Craig mit leiser Stimme.

»Bin mir nicht sicher, ob das ein guter Morgen ist«, erwiderte er müde und zog den Stuhl neben sich zurück.

Morrison holte tief Luft und klopfte seinem Freund aufmunternd auf die Schulter.

»Wo ist Rico?«

»Kommt jeden Moment … Ah da ist er ja.«

Frederico Costa hob im Vorübergehen kurz die Hand zum Gruße, nickte vielsagend und ging weiter zum Buffet.

»Ich habe um neun Uhr den ›Boardroom‹ für uns reserviert. Einige unserer Mitglieder sind gestern abends angereist und ich dachte mir, es ist eine gute Idee, wenn wir uns mit ihnen beratschlagen. Willst du dabei sein?«

Hajo starrte weiter in seine leere Kaffeeschale und nickte zögerlich. »Ja. Ich komme. Sylvia landet erst kurz vor Mittag.«

»Um 10:00 wäre das Meeting im Nachbarhaus, in der Polizeidirektion. Sie wollen den Ablauf des morgigen Kongresses mit uns besprechen.«

»Bin dabei«, stimmte Voss kraftlos zu und strich sich über seine spärlichen Haare.

Rico setzte sich zu ihnen an den Tisch und tauchte das Croissant in den Kaffee. »Die Nachrichten vermuten ein Attentat, aber bisher hat sich niemand dazu bekannt. Was haltet ihr von der Geschichte?«, fragte er mit vollem Mund.

»Ich habe keine Ahnung, doch mein Bauchgefühl sagt mir, dass unser Meeting damit zusammenhängt.« Craig wiegte seinen Kopf, als würde er im Geiste einen Slalomparkour durchfahren.

»Wie meinst du das?«

»Wie gesagt. Ich weiß es nicht. Ist nur so eine diffuse Vermutung.«

Sie schwiegen und blätterten in den unterschiedlichsten Ausgaben der Tagespresse, jeder für sich auf der Suche nach einer Antwort.

*

Kurz vor neun Uhr übersiedelten sie in den ›Boardroom Charleston‹, wo sich bereits einige ihrer Freunde eingefunden hatten. Unter ihnen auch Fredericos Tochter, die eine große schwarze Brille trug, um ihre verschwollenen Augen zu kaschieren.

»Kommt, nehmt Platz. Der eine oder andere von euch hat sich sicherlich gefragt, warum ich um dieses Treffen gebeten habe. Einige haben es selbst miterlebt, ich spreche von dem gestrigen Beinaheabsturz. Laut der Presse, könnte es sich um einen Anschlag handeln. Frederico, Hajo und ich wollen auf Nummer sichergehen, dass das vermeintliche Attentat nichts mit unserem Kongress zu tun hat. Deshalb gleich meine Frage: Hat jemand eine Idee?«

Die Teilnehmer tuschelten, sahen sich gegenseitig an und zu guter Letzt schüttelten sie ihre Köpfe.

»Okay. Ich habe etwas, was ich euch zeigen möchte.«

Craig zog die Kopien der Erpresserbriefe aus seiner Mappe und ließ sie reihum gehen.

»So ein Schreiben haben wir ebenfalls erhalten!, rief plötzlich einer aus. »Aber nur einmal. Ich glaube, das war vor ungefähr drei Wochen«.

Craig schaute in die Runde. Sein Blick blieb an Voss hängen. »Hajo du?«

Der Niederländer zog die Kopie zu sich.

»Nein. – Soviel ich weiß. Aber vielleicht hat meine Werkspolizei mehr.«

Voss griff nach dem Smartphone. Drei der Gäste taten es ihm gleich, erhoben sich vom langen Tisch und schlichen um ihn herum, während sie ihre Mobiles ans Ohr pressten. Aus der Körpersprache seiner Freunde konnte er bereits ablesen, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.

»Solltet ihr solche Drohungen erhalten haben, dann lasst euch Kopien mailen«, erhob Craig seine Stimme.

Langsam nahmen sie wieder Platz.

»Wie ich sehe, bin ich nicht der Einzige. Wer wird noch erpresst?«, fragte Morrison.

Voss und drei Weitere zeigten auf.

»Okay. Das ist für mich Beweis genug. Wir haben ein gewaltiges Problem. Was meint ihr, sollen wir den Kongress absagen?«

»Nein. Warum nützen wir nicht das Treffen, um herauszufinden, wie viele von uns betroffen sind«, schlug Craigs Gegenüber vor.

»Gute Idee. Ich bin im Anschluss beim Sicherheitsmeeting mit der Polizei. Soll ich erwähnen, was wir soeben herausgefunden haben?«

»Das würde bedeuten, dass sie in unseren firmeninternen Angelegenheiten herumschnüffeln würden. Das gefällt mir nicht. Das möchte ich im Vorhinein mit meinem Board abstimmen«, warf eine Stimme ein.

Die Teilnehmer zögerten. Schließlich schlossen sie sich dieser Meinung an.

*

In der Nacht hatte der Wind einen Zahn zugelegt. Das Tiefdruckgebiet über dem Balkan erwies sich als hartnäckig und schaufelte eine Schlechtwetterfront nach der anderen in die Stadt. Die Schneeräumdienste arbeiteten auf Hochtouren. Das Verkehrschaos war perfekt. Parkplätze Mangelware.

Als Voss, Morrison und Costa vor dem Vienna-Plaza ins Freie traten, zischte ein schmaler Schneepflug lärmend vorüber, während er den Schnee mit seinem Pflug in hohem Bogen vom Gehsteig schleuderte.

»Kann ich mitkommen?«, hörten sie Fredericas raue Stimme hinter sich.

»Warum nicht«, erwiderte Craig, ohne lange nachzudenken.

Sie stellten ihre Mantelkrägen auf und eilten durch das Schneegestöber zum Nachbarhaus. Rasch waren am Eingang die Formalitäten erledigt. Im letzten Stockwerk stiegen sie aus dem Aufzug.

Costa rümpfte die Nase.

»Modernes Gebäude, aber dieser Gestank muss sich bereits seit der Kaiserzeit hier angesammelt haben«, spöttelte er.

Oberstleutnant Holzinger begrüßte seine Gäste am Gang und bat sie ins Konferenzzimmer, wo vier Tische zu einem großen zusammengeschoben waren. Sie warfen ihre Mäntel am Ende der Tafel übereinander. Kleiderständer: Fehlanzeige. Sie setzten sich auf die brüchigen Lederbespannungen der freischwingenden Stahlrohrsessel im Bauhausstil, die bei der geringsten Bewegung knarzten und breiteten ihre Unterlagen vor sich aus.

»Danke, dass Sie gekommen sind«, eröffnete Peter das Meeting. »Bevor wir ins Detail gehen, möchte ich eine Sache abklären. Ich habe vorhin mit dem Ermittlungsleiter am Wiener Flughafen gesprochen. Er teilte mir mit, dass es sich gestern bei dem Flugzeugcrash um einen Anschlag gehandelt hat. Eine schwere Drohne wurde absichtlich in das Triebwerk gesteuert.«

Die Gäste schauten einander mit regungsloser Miene an, als wollten sie ihre Gedanken dahinter verbergen.

»Wir haben uns mittlerweile die Passagierliste angesehen und sie mit den Kongressteilnehmern abgeglichen«, setzte Holzinger fort. »Herr Voss Ihr Name steht auf der Liste. Waren Sie in dem Flugzeug?«

»Nein. Ich bin gestern Vormittag aus Frankfurt angereist und habe mein Ticket an meine Tochter weitergegeben. Sie ist eine der Toten«, antwortete Hajo, der den Tränen nahe war.

»Herzliches Beileid«, kondolierte Holzinger und kritzelte Notizen in sein kleines Büchlein.

»Wi ... Wir haben recherchiert.« Lucas schob seinen Gästen die Ausdrucke der Presseartikel zu. »Viele ihrer namhaften Teilnehmer sind Bosse großer Konzerne. Einige dieser Firmen hatten vor nicht allzu langer Zeit eine äußerst schlechte Presse. Zudem sind zwei ihrer Vorstandsmitglieder des Economy-Clubs im letzten Halbjahr ums Leben gekommen«, fasste Lucas zusammen. »Wir gehen davon aus, dass das alles in einem Zusammenhang steht. Herr Voss, Ihr Unternehmen ist in einen Abgasfilter-Skandal verwickelt. Mister Morrison, Sie haben Probleme mit der Gewerkschaft, die behauptet, dass Sie Ihre Angestellten ausbeuten würden. Und bei Ihnen ...«, Perez wandte sich an Costa, »Sie haben sich an einem Abfallbeseitigungsunternehmen beteiligt, das in Italien nicht den besten Ruf hat. Die Liste könnte ich mit einigen ihrer Mitglieder fortsetzen. Alles Presseberichte.«

»Ich möchte Sie nochmals darauf hinweisen, dass wir nicht im Namen der österreichischen Polizei sprechen«, fügte Holzinger mit Nachdruck hinzu. »Wir sind von der Europol. Sollte sich unser Verdacht erhärten, dann sind wir zuständig. Länderübergreifend.«

Craig schlug seine Mappe auf und zog die Kopien der Erpresserbriefe hervor. Er legte den Finger darauf und warf seinen Freunden einen kurzen Blick zu, als würde er sie um ihr Einverständnis bitten.

Costa nickte, worauf Morrison die Blätter dem Kriminalbeamten zuschob.

Holzinger und Perez steckten die Köpfe zusammen und lasen die Drohungen.

Lucas versetzte seinem Chef einen leichten Stoß in die Seite.

»Ist dieses hier das einzige Erpresserschreiben?«

Morrison zierte sich. »Nein. Leider darf ich solche Infos über unsere Mitglieder nicht weitergeben. Da müssen Sie sie schon persönlich fragen.«

»Wir haben ebenfalls eines erhalten«, meldete sich Voss kleinlaut zu Wort.

»We … Wer noch?«, forderte Lucas seine Gäste auf.

Nach einer kurzen Diskussion ließ sich der Amerikaner breitschlagen. Er schrieb die Namen und Firmen auf ein Blatt Papier, bei denen sich die Kriminalbeamten erkundigen sollten.

Richard Tomacic streckte seinen Kopf ins Zimmer.

Holzinger winkte ihn zu sich und zeigte auf den Platz neben ihm. »Tomacic. Ein Mitarbeiter von uns«, stellte er ihn vor.

Sie nickten einander grüßend zu.

»Wi ... Wir würden gerne auf Ihre digitalen Netzwerke Zugriff haben, um zu überprüfen, ob zwischen Ihren Angestellten Querverbindungen existieren«, versuchte sie Perez zu überrumpeln.

»Sie wollen auf unsere Datenbanken zugreifen? – Nur mit Gerichtsbeschluss.«, lehnte Costa ab. »Wir kooperieren gerne mit Ihnen, aber das würde einen Schritt zu weit gehen. Was versprechen Sie sich davon?«,

Perez fragte sich, mit wie vielen Staatsanwaltschaften er wohl verhandeln müsste, um eine gerichtliche Erlaubnis zu erhalten. Er hatte weder einen konkreten Tatverdacht, noch konnte er den Unternehmen kriminelles Handeln nachweisen.

Ein aussichtsloses Unterfangen.

Könnten ihm seine Kollegen in Den Haag weiterhelfen?

»Mi … Mister Morrison, ich brauche das Original«, forderte ihn Perez auf und schob ihm seine Visitenkarte zu.

»Das ist kein Problem. Ich lasse es Ihnen mit DHL-Express sofort zuschicken.«

Craig griff nach der Karte, stellte sich ans Fenster und telefonierte mit seiner Sekretärin.

»Unser Original ist bei der niederländischen Polizei«, mischte sich Voss ein.

»Danke. Wir werden es anfordern. – Richard, kümmerst du dich darum?«

Der Alte nickte und zwirbelte seinen Schnauzbart.

Holzinger schob den Plan des Kongresszentrums in die Mitte des Tisches. »Herr Costa, aufgrund Ihrer ...«, er zögerte einen Augenblick, als würde er nach Worten suchen. »... Andeutungen und der aktuellen Sachlage, schlagen wir Ihnen Folgendes vor: Wir postieren morgen acht Beamte rund um das Kongressgebäude. Wir setzen zusätzlich die Drohnenüberwachung ein. – Und mindestens zwei unserer Kollegen in jedem Veranstaltungsraum.«

»Damit sind wir einverstanden«, erwiderte Craig, ohne von dem Lageplan aufzuschauen.

»Okay. Dann kann ich Sie nur bitten, morgen etwas früher am Tagungsort zu sein. Sie haben meine Visitenkarte. Rufen Sie an, wenn Sie noch Fragen haben.«

Voss' Smartphone brummte.

Er nahm ab und führte ein kurzes Telefonat.

»Ich muss mich verabschieden. Ich soll Kirstins Gepäck identifizieren – für den DNA-Abgleich. Außerdem möchte ich sie sehen. Man erwartet mich in Schwechat.«

»Sind Sie sicher, dass Sie Ihre Tochter sehen möchten? Es handelt sich um eine total verkohlte …«, warf Holzinger ein.

Voss zuckte mit den Schultern.

»Vorschlag. Ich nehme Sie mit nach Schwechat. Bei diesem Sauwetter wird es schwer sein, ein Taxi zu bekommen.«

»Danke«, erwiderte Voss.

»Darf ich mit?«, fragte Frederica, die das Meeting bisher schweigend verfolgt hatte, während sie Hajo ihre Hand auf die Schultern legte. »Sie war meine beste Freundin.«

Ihr Bettelarmband klimperte.

Irritiert folgten Holzingers Augen dem Geräusch. Er entdeckte ein Riesenrad mit roten Gondeln, daneben einen Eiffelturm und zuletzt einen Halbmond. ›Das habe ich doch schon einmal gesehen‹, dachte er und massierte seinen Nasenrücken. Plötzlich erinnerte er sich an die Zugfahrt von Den Haag zum Flughafen, an die junge Frau, die Claudia Bigler zum Verwechseln ähnlichsah.

»Trug Ihre Tochter einen blonden Ponyhaarschnitt?«, fragte er Voss.

»Ja. Weshalb?«

»Ich glaube, dass ich sie im Zug nach Amsterdam gesehen habe …«, antwortete Peter.

»Gut möglich.«

Sie erhoben sich.

»Welche Rolle spielen Sie?«, fragte Richard die Italienerin. »Sind Sie auch Mitglied des Economy-Clubs?«

»Nein, ich begleite meinen Vater. Eigentlich wollte ich mit Kirstin Voss den Tag verbringen, aber sie ist gestern ...« Nur mit Mühe hielt sie ihre Tränen zurück.

»Tut mir leid.« Tomacic nickte und folgte seinen Kollegen hinaus in den Korridor.

Frederico wartete, bis sie alleine im Konferenzzimmer waren. »Ich schlage vor, wir treffen uns nach Weihnachten, im Jänner in meinem Haus auf Sardinien«, schlug er seinen Freunden vor. »Bis dahin haben wir genug Zeit, um unsere Hausaufgaben zu machen. Vielleicht finden wir heraus, wer hinter all dem steckt.«

»Das ist eine gute Idee. Ich bin dabei. Willst du sonst jemanden einladen?«, fragte Morrison.

»Ja, wir brauchen einen Nachfolger für Klug. Vorschläge?«

Seine Freunde verneinten.

»Gut, dann werde ich mich darum kümmern. Rico, lass uns gehen.«

*

»Richard, schön dass du so schnell kommen konntest«, begrüßte Peter seinen Ex-Boss nochmals und drückte ihm einen Heftumschlag in die Hand. »Schau, hier habe ich deinen Konsulentenvertrag. – Hier unterschreiben.« Er tippte mehrmals auf den unteren Rand der letzten Seite.

Zögerlich griff Tomacic nach dem Hefter und ließ die zahlreichen Blätter wie ein Daumenkino durch seine Finger laufen.

»Darf ich ihn nicht durchlesen?«, echauffierte sich Richard.

»Doch, doch. Nimm ihn mit, ackere ihn des nächtens durch und gib ihn mir morgen«, erwiderte Peter, ließ sich in seinen quietschenden Drehstuhl fallen und schwang sein gesundes Bein auf die Tischplatte.

Der Pensionist rümpfte seine breite Hakennase und schaute ihn vorwurfsvoll an. »Kleiner, Manieren lernst du wohl nie mehr. Wie oft habe ich dir gesagt, dass deine Westernstiefel nichts auf dem Tisch verloren haben?«

Peter verschränkte seine Hände hinter dem Kopf und schmunzelte: »Richard, mein liebster Alter, du wirst unsere Drehscheibe hier im Haus sein. Besorge uns eine Sekretärin. Dann fordere die Beamten für morgen an. Ich würde sagen 25 Mann, damit uns 20 zugeteilt werden. Sollten reichen. Wenn noch Zeit übrig ist, ruf bei den Firmen an oder schaue hinüber ins Plaza, denn dort wohnen viele, von denen wir wissen müssen, ob sie Erpresserbriefe erhalten haben. Hier die Liste. Lucas und ich nehmen Voss und Costas Tochter mit nach Schwechat. Ich möchte mit dem Ermittlungsleiter Major Georg Beller sprechen. Anschließend bin ich in Laxenburg und schaue mir die Örtlichkeit an. – Meine Telefonnummer hast du.«

Richard schüttelte fast unmerklich den Kopf und strich seinem Schnauzbart entlang.

Imitierte ihn sein Exschützling?

Schnell verdrängte er den Gedanken.

»Punkt 1.: Ich habe meine Kaffeemaschine dabei und drücke mir jetzt eine Kapsel herunter. Punkt 2.: Sag, wo habt ihr die Kaffeeschalen versteckt?«, erkundigte sich Tomacic, der bewusst nicht auf Peters Anweisungen einging.

Holzinger schaute ihn ungläubig an.

»Hast du gehört, was ich gesagt habe? Fragen?«

Tomacic spitzte seine wulstigen Lippen.

»Habe ich dir nicht stets Höflichkeit gepredigt. Zu deiner Erinnerung: Wenn man etwas von einem anderen will, dann verwendet man das Zauberwort: bitte! So viel Zeit muss sein, Herr Oberstleutnant.«

»Dann hattest du nie Zeit, als du noch aktiv warst«, gab Peter zurück, winkte abfällig mit dem Arm und schnappte sich seinen Flipstick.

»Alles zu seiner Zeit«, feixte er und stürmte humpelnd aus dem Zimmer.

Vom Flur rief er: »Ich verlasse mich auf dich!«

»Lass mir den Schorsch, den Pitbull, schön grüßen!«

Lucas hatte in der Zwischenzeit seinen Rucksack gepackt und stand abfahrbereit mit Hajo und Frederica am Gang.

*

Auf der salznassen Straße fuhren sie den Donaukanal entlang Richtung Flughafen. Peter wählte über die Freisprecheinrichtung Ophaus' Nummer.

»Wer stört?«, tönte es aus den Lautsprechern.

»Rudolf, du sehnst dich ja nach Frischluft. Du und Hene, ihr seid morgen zur Drohnenüberwachung in Laxenburg eingeteilt. Tomacic erledigt gerade den Papierkram.«

»Wie bitte? Bei diesem Wetter?«

»Dir kann man nichts recht machen ...«, seufzte Peter.

»Schon gut. Du sagtest morgen?«

»Ja. – Hörst du mir nicht zu?«

»Doch, doch.« Rudolf räusperte sich. »Laut Wettervorhersage wird sich an den nächsten beiden Tagen nichts ändern.«

»Ein Problem?«

»Nein«, antwortete er zögerlich. »Wehe, wenn mir der Arsch abfriert.«

»Wird dir der Arsch abfrieren?«

»Ist schon gut ... Wir werden unsere Winterklamotten auspacken. Für welche Uhrzeit ist der Beginn festgelegt?«

»Die Tagung wird um 16:00 Uhr eröffnet. Ihr müsst also am Vormittag mit eurer Arbeit starten. Es wird alles andere als ein Spaziergang, denn die Konferenz hängt mit dem Flugzeugabsturz zusammen. Jedenfalls spricht einiges dafür.«

Rudolf blies am Mikrofon des Mobiles vorüber. Erschrocken drehte Peter die Lautstärke zurück.

»Okay. Verstanden«, antwortete Ophaus mit gedämpfter Stimme. »Ich melde mich, wenn ich noch Fragen habe. Servus, bis morgen Vormittag.«

Kaum hatte er das Gespräch beendet, ertönte ein kurzer Ping. Peter griff nach seinem Smartphone, das ihm den Erhalt einer SMS signalisierte. Die angezeigte Nummer war ihm nicht bekannt. Kopfschüttelnd legte er das Mobile wieder auf die Mittelablage.

An der Einfahrt zum Verwaltungsgebäude des Flughafens wurden sie von Karl Stein, dem Flughafensprecher erwartet. Er zwängte sich zu ihnen ins Auto und dirigierte Peter in die Tiefgarage.

Als sie aus dem Wagen stiegen, schaute Voss auf die Uhr und erkundigte sich, ob das Flugzeug aus Amsterdam bereits gelandet sei.

Stein zog sein Tablet aus der Tasche.

»Ja, Sie haben Glück, sie ist eine der wenigen Maschinen, die heute hier landen dürfen. Sie hat soeben aufgesetzt.«

»Wenn sie nichts dagegen haben, versuche ich meine Frau abzufangen.«

»Kein Problem. Diese blaue Tür führt in die Ankunftshalle. Sie finden uns nachher in dem Raum dort vorne ... B-18.«

Voss bedankte sich und eilte davon, während sie zu der großen Halle gingen, in der sich die Gepäckstücke türmten.

»Sie waren doch gestern in dem Flugzeug. Hatten Sie Gepäck? Wenn ja, dann werden Sie hier fündig.«

»Danke«, erwiderte Peter und wandte sich an Lucas. »Kannst du bitte meinen Trolley suchen? Vielleicht findest du auch den von Sarah.«

Perez blähte die Wangen auf und schob den Schirm seiner Baseballkappe in den Nacken. Langsam ließ er seinen Blick entlang der aufgetürmten Gepäckreihen gleiten.

»Übrigens, wir vermissen zwei Passagiere«, meinte Stein, während er auf sein Tablet tippte. »Oh, Holzinger und Perez habe ich hier stehen. Das sind ja Ihre Namen.« Erstaunt schaute er die beiden Kriminalisten an.

»Das kann ich erklären. Wir haben unsere Kollegin, Frau Sarah Mutes, die schwer verletzt wurde, in die Krankenstation begleitet.«

»Natürlich, deshalb wurden Sie nicht registriert.« Er atmete tief ein. »Dann kann ich Sie von der Liste streichen und den Leuten am Flugfeld Bescheid geben, dass sie nicht mehr nach Ihnen suchen sollen.«

»Sie suchen nach uns? Ich habe bereits am Morgen veranlasst, dass man die Liste korrigiert.«

»Möglich, wäre nicht die einzige Panne heute«, seufzte Karl Stein. »Hier herrscht ein heilloses Durcheinander. Die Linke weiß nicht, was die Rechte tut.«

»Brauchst du den noch?«, rief Lucas von Weitem seinem Chef zu, während er mit einem Gehstock winkte.

Peters Augen leuchteten auf.

»Her damit!« Er humpelte freudestrahlend auf seinen Freund zu. Stein folgte ihm.

»Wie ich am Telefon erwähnte, würde ich gerne mit dem Ermittlungsleiter sprechen.«

»Ja, ich habe ihn verständigt. Herr Major Georg Beller sollte eigentlich schon hier sein.«

»Gut, dann suchen wir inzwischen nach dem Gepäck«, erwiderte Holzinger.

Frederica ging zu dem langen Tisch an der Wand, worauf sich Handtaschen, elektronische Geräte, Jacken, Mäntel und Einkaufstaschen türmten. Alles Dinge, die in den Gepäck- oder Sitzablagen des Flugzeuges zurückgelassen worden waren.

Nach kurzem Suchen fand Holzinger seinen Trolley.

Gleich daneben stand der von Sarah. Er öffnete das aufgenähte Außenfach und griff hinein. »Unsere Arbeitsunterlagen«, erklärte er Stein, der ihn verwundert anschaute. Der Flughafensprecher nickte.

Mit einem lauten Quietschen wurde die Hallentür aufgeschoben. Der bullige Chefermittler Georg Beller überließ Frau Voss den Vortritt.

Die attraktive Niederländerin war gut zehn Jahre jünger als ihr Ehemann. Ihr schwarzes Kleid unter dem dünnen Mantel ließ sie noch schlanker erscheinen. Oberhalb der eingefallenen Wangen leuchteten gütige Augen, die von den Tränen gerötet waren. Mit hängenden Schultern lehnte sie sich an ihren Mann, der seinen Arm um ihre Hüften schlang.

Stein stellte die Anwesenden einander vor.

»Wie bereits erwähnt, Herr Voss, suchen Sie bitte den Koffer Ihrer Tochter, damit wir sie einwandfrei mittels DNA-Abgleich identifizieren können«, meinte Major Beller und zeigte auf die Gepäckstücke.

»Ich möchte Kirstin ein letztes Mal sehen ...«, schluchzte Sylvia laut auf.

»Gnädige Frau, das verstehe ich. – Wir würden Ihnen gerne den Anblick ersparen. Behalten Sie Ihre Tochter lebendig in Erinnerung, so wie Sie sie zuletzt gesehen haben.« In Bellers Stimme lag eine gehörige Portion Empathie, die man ihm niemals zugetraut hätte.

Frau Voss stieß einen spitzen Schrei aus und verbarg ihr Gesicht an der Schulter ihres Mannes. Liebevoll strich Hajo ihr am Rücken entlang. Schließlich nickte Sylvia und half bei der Suche nach Kirstins Koffer.

»Herr Major Beller, ich würde mich gerne über Ihren derzeitigen Ermittlungsstand unterhalten.«

Beller schob Holzinger zum Tisch und setzte sich auf die Tischplatte. »Ich bin seit gestern in der Früh auf den Beinen«, entschuldigte er sich. »Ich habe noch nicht viel Zeit im Sitzen verbracht.«

Peter winkte ab und tat es ihm gleich.

In der darauffolgenden Viertelstunde hielt Beller einen Monolog, während Holzinger eine Notiz nach der anderen in sein kleines Büchlein schrieb.

Lucas bevorzugte die Sprachapp auf seinem Smartphone.

Als sich der Flughafensprecher zu ihnen gesellte, fragte Peter, ohne vorher darüber nachgedacht zu haben: »Hat der Flughafen einen Erpresserbrief erhalten?«. Holzinger zog eine Kopie aus der Innentasche.

»Erpresserbrief?« Stein und Beller warfen einen Blick darauf und runzelten die Stirn.

»Ja, so etwas Ähnliches. Ich erinnere mich dunkel.« Der Chefermittler wiegte seinen Kopf.

»Wann?«

Stein biss sich auf die Unterlippe. »Der Brief kam vor ungefähr einem Monat. Haben wir sofort der Polizei übergeben.«

Er schaute zu Beller, der ihm zustimmte.

»Und gestern gab es noch zusätzlich eine Terrordrohung. Sie kam aber zwei Stunden nach dem Flugzeugcrash. Eigenartig.«

»Kö … Können Sie uns Ihr Original des Schreibens zur Verfügung stellen?«, fragte Lucas.

»Kein Problem, es liegt in der Asservatenkammer. Wir haben damals nachgeforscht und nichts Relevantes gefunden. Es handelte sich um eine einmalige Geschichte. Es gab auch keine Nachforderungen. Wieso fragen Sie?«

»Ist nur ein Gedanke; ein Bauchgefühl. Vorab würde uns eine Kopie genügen, um zu sehen, ob es in der gleichen Art und Weise verfasst ist«, antwortete Holzinger.

»Ein PDF können Sie in der nächsten halben Stunde haben. Ich veranlasse es. Übrigens, eine Bitte: Es wäre nett, wenn Sie mich über Ihren Ermittlungsstand am Laufenden halten.«

»Mache ich gerne. Sollte sich bei Ihnen etwas …«

» … ist selbstverständlich«, fiel ihm der Ermittler ins Wort.

»Vielen Dank, Herr Beller.«

»Ach ja, noch etwas: Die Geschichte mit der Drohne werden wir vorerst nicht veröffentlichen. Leider hat KURIER-TV bereits Wind davon bekommen und Frau Bigler lässt nicht locker. Wir wollen nicht zu viel Aufsehen erregen und halten aus ermittlungstechnischen Gründen den Umstand unter Verschluss.«

»Bigler? – Seien sie vorsichtig. Ich kenne sie nur zu gut. Wenn sich die in eine Sache verbissen hat, dann lässt sie nicht locker. Ihre Botschaft ist angekommen. Von mir erfährt sie nichts. Nochmals: Vielen Dank.«

Der Ermittlungsleiter klatschte in die Hände und rutschte vom Tisch. Er steckte ihnen seine Visitenkarte zu und verabschiedete sich.

»Ich soll Sie von Oberst Tomacic grüßen!«, rief ihm Peter nach.

Beller blieb stehen und drehte sich um.

»Ist der alte Paragrafenreiter noch immer in Amt und Würden?«

»Wieder!«

»Richten Sie ihm vom Pitbull ›schöne Grüße‹ aus! Er soll sich bei mir melden!« Seine tragende Stimme schwang durch die Halle.

Peter schaute ihm nach; Pitbull war ein passender Spitzname, der sowohl auf Bellers Gestalt, als auch auf sein Wesen zutraf.

Frederica stand an dem Metalltisch und betrachtete die drei Plastiksäcke, in denen sich die Utensilien der Toten befanden.

Peter beobachtete sie, rutschte vom Tischende und stellte sich neben sie. Mit seinem Füller schob er die Beutel hin- und her. Ein mit Ruß überzogenes Armband stach ihm ins Auge. Er hob die Plastiktüte in die Höhe und rubbelte über das Geschmeide.

»Das gehörte Kirstin«, schluchzte Frederica und hob ihren Arm.

Sie trug das gleiche Bettelarmband.

»Ich habe es ihr geschenkt. Darf ich es haben?«

»Leider nein. Wenn es freigegeben ist, können Sie Herrn Voss darum bitten.«

Die Italienerin nickte und wischte sich mit dem Handrücken über ihre Wangen, um die Tränen zu unterdrücken.

Holzinger zückte sein Smartphone und schoss von den Pretiosen Fotos.

»Sie fahren mit der Familie Voss zurück ins Hotel?«, wollte er von Frau Costa wissen.

Frederica nickte und kramte ein Taschentuch aus ihrer Jacke.

»Die Zeit drängt«, wandte sich Peter an Lucas. »Wir müssen los, sonst bist du um 18:00 nicht in der Seilerstätte. Hier, nimm meinen Trolley«, grinste er süffisant, drückte ihm zusätzlich seinen Flipstick in die Hand.

Sie verabschiedeten sich und gingen zurück zu ihrem Wagen.

₺261,43