Kitabı oku: «COLLEGIUM.», sayfa 7

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Kurz vor sieben Uhr steckte sie behutsam den Schlüssel in die Schließzylinder. Sachte schob sie die Tür auf und hielt inne. Irgendetwas war anders. Sie schaute sich mit zusammengezogenen Augenbrauen um, während die Tür ins Schloss fiel. Vor dem Eingang zum Bad lag ein geöffneter Rucksack. Den hatte sie noch nie gesehen. Sie ließ ihren Blick weiter wandern, hinüber zur Garderobe und entdeckte eine schwarze Lederjacke. Sie schüttelte ihren Kopf.

»Peter?!«, rief sie fragend.

Die Schlafzimmertür öffnete sich und ein schlaftrunkener Holzinger reckte seinen Hals durch den Türspalt. Sie zeigte auf den Ranzen.

»Bine, wir haben Besuch. Hast du meine SMS nicht gesehen?«

»Nein, wenn ich gewusst hätte, dass wir einen Gast haben, hätte ich mehr beim Bäcker eingekauft«, antwortete sie betrübt und schwenkte ein Papiersäckchen.

Lucas hörte Stimmen, griff sich an die verletzte Hand, die vernehmlich pulsierte und kletterte unter dem Laken hervor. Er stellte sich, einzig mit Boxershorts bekleidet in den Türrahmen. »Gu ... Guten Morgen.«

»Oh, guten Morgen«, antwortete Sabine lächelnd und musterte den Verband. »Was macht die Brandblase? Ist ihr Hausarzt zufrieden?«

»Äh, wo ... woher wissen Sie, dass ich eine Brandverletzung habe?«, erkundigte er sich erstaunt und schaute prüfend auf seinen Verband.

Peter war mit einem Schlag hellwach und folgte mit weit aufgerissenen Augen der Konversation. »Das würde ich auch gerne wissen«, mischte er sich mit einem skeptischen Unterton ein.

»Wir beide kennen uns«, gab seine Freundin keck zurück.

»Wi ... Wir kennen uns? Woher?«, erkundigte sich Lucas, dem man ansah, dass er in Windeseile seine Erinnerungen durchwühlte.

»Kennen ist vielleicht ein bisschen übertrieben. Ich wollte damit sagen, dass ich Ihre Hand kenne ...«

Lucas runzelte seine Stirn.

»... Sie waren doch gestern am Abend am Flughafen. Sie wurden bei dem Crash verletzt und saßen an der Wand, in der Nähe des Eingangs.« Sabine genoss lächelnd seine Verunsicherung.

Der Groschen fiel. Lucas tippte sich an den Kopf. »Sie ... Sie haben meine Brandwunde versorgt. Sie waren die Ärztin – Frau Dr. Denner, wenn ich mich recht entsinne.«

»Stimmt, aber lassen Sie den ›Doktor‹ weg. Vielleicht später einmal. – Kommt ihr beiden, ich mache uns ein Frühstück.« Sie schlüpfte aus ihren Sportschuhen und verschwand in der Küche.

»Wi ... Wie klein doch die Welt ist.« Lucas schüttelte seinen Kopf.

»Komm, lass uns stadtfein machen, und anschließend müssen wir ein paar Dinge bereden. Ich habe vor lauter wirren Gedanken die halbe Nacht kein Auge zugetan.«

»O … Okay Chef. Gib mir eine Minute«, erwiderte Lucas und verschwand im Wohnzimmer. Peter vernahm die typische Melodie des Betriebssystems, wenn ein Computer herunterfuhr. Er drehte sich um und schlurfte zurück ins Schlafzimmer. Noch bevor er sein Hemd zugeknöpft hatte, gurgelte bereits Lucas im Badezimmer.

»Sunny-side-up!«, rief Peter aus dem Zimmer, als sich der Geruch von gebratenem Schinken und Spiegeleiern in seine Nase drängte. Das Prasseln aus der Pfanne überdeckte die Antwort seiner Freundin.

Am Frühstückstisch war der Flugzeugcrash Gesprächsthema Nummer eins. Vor allem der Umstand, dass sich Sabine und Peter nicht über den Weg gelaufen waren, weckte seinen kriminalistischen Instinkt. Die Unterhaltung nahm die Züge eines Kreuzverhöres an.

»Peter, es reicht!«, riss Sabine der Geduldsfaden. »Was ich erzählen wollte: Zwei der drei Leichen waren total verkohlt. Ein grausiger Anblick. Es muss an die siebzig Schwerverletzte gegeben haben. Erst um vier Uhr Früh waren alle medizinisch versorgt«, berichtete Sabine, als alle um den winzigen Küchentisch saßen.

Der Herd wurde als Beistelltischchen zweckentfremdet. Zucker, Salz und Pfeffer standen griffbereit auf der Anrichte.

»Könnten Sie mir bitte die Kaffeekanne herüber reichen?«, bat Sabine und schaute Holzinger fordernd in die Augen.

»Entschuldigung, ich habe euch gar nicht vorgestellt: Das ist Sabine, meine Freundin und er ist mein Partner, Lucas Perez – frisch wie eine Tulpe aus den Niederlanden importiert«, überspielte Peter sein Versäumnis mit einem Scherz.

»Ich bin die Sabine, Sabi oder auch Bine. Kannst du dir aussuchen. – Für einen Holländer sprichst du akzentfreies Deutsch.«

»O … Oh Gott Sabi, ich bin Österreicher. Sogar ein waschechter Wiener.«

»Lucas Perez?«

»Mei ... Mein Vater ist Katalane.«

Sabine nickte schmunzelnd. »Ich kenn mich aus. Sprichst du auch Spanisch?«

»Spa ... Spanisch und Katalan, väterlicherseits. Russisch, großväterlicherseits. Deutsch und Italienisch, mütterlicherseits. Englisch habe ich in der Schule gelernt. Und Portugiesisch können viele Spanier.«

»Ganz schön vielseitig. Väterlicherseits, mütterlicherseits und so weiter. Und alle Sprachen fließend?«

»Nei … Nein, mit dem Wiener Slang stehe ich noch immer auf Kriegsfuß«, lachte Lucas und rollte den Schinken über seine Gabel. »Peter, du wolltest mit mir reden?«

»Ich habe die halbe Nacht nachgedacht und mich gefragt, wie wir mit hundertprozentiger Sicherheit behaupten könnten, dass es gestern ein Unfall war. …« Holzinger massierte sich den Nasenrücken. »... oder ob es ein Anschlag war. – Dr. Grünwald von der Wildlife-Control meinte, dass es kein Vogelschlag war. Die Flugsicherung hat die beiden Drohnenpiloten ins Boot geholt. Glaubst du, es wäre denkbar, dass der Flieger mit einer Drohne zum Absturz gebracht wurde? Ist das technisch überhaupt möglich?«

Lucas atmete tief ein und sagte langsam: »Also, ich habe einige Szenarien durchgespielt. Ich bezweifle, dass man einen Anschlag verübt, bei dem über zweihundert Menschen sterben könnten, wenn man nur einen töten will. – Aber vorstellbar ist, dass der Angriff, der Fluglinie galt. – Oder der Luftfahrtbranche. – Oder dem Flughafen. In diesem Fall sehe ich keinen Zusammenhang mit unserem Auftrag. Deshalb lasse uns die Passagierliste durchsehen. Du hattest gestern etwas von Erpresserbriefen gesagt. Vielleicht hat einer – oder sogar mehrere – einen Drohbrief erhalten. Dann müssen wir uns in die örtlichen Ermittlungen einmischen und jeden Einzelnen überprüfen.«

»Wie willst du das bis morgen anstellen?« Peter zerstach mit der Gabel die dünne Haut seines Dotters. »Die Maschine war voll besetzt. Über zweihundert Fluggäste. Wird schwierig werden, sie alle persönlich zu interviewen. Einige könnten ihre Reise sogar fortgesetzt haben und sind nicht mehr in Österreich. Die Staatsanwaltschaft müsste schnell reagieren und uns auf die Passagierlisten der AUA zugreifen lassen.« Er massierte seine Nasenwurzel.

»Fü … Für die Telefonate borgen wir uns ein paar Exekutivbeamte aus ...« Lucas lächelte und war sich der Tragweite seiner Aussage bewusst. » … Wir beginnen mit dem Organisationskomitee. Ich könnte mir vorstellen, dass wir etwas finden. Wenn nicht, umso besser. Du hast das Meeting für 10:00 Uhr angesetzt?«

Peter nickte und presste die Lippen aufeinander. »Warum bist du dir sicher?«

»Ge … Gegenfrage: Warum sollen wir den Kongress begleiten, sichern?«

»Weil sehr viel Wirtschaftsprominenz auf einem Fleck zusammentrifft. Die Teilnehmerliste liest sich wie die eines G7-Treffens. Das mit den Erpresserbriefen ist nur eine Zusatzinfo. Doch der Gedanke daran lässt mich nicht los.«

»Pe … Peter, wenn du bis morgen Gewissheit brauchst, kann ich meinen Computer ein wenig in der Weltgeschichte herumsurfen lassen. Er könnte sich Daten von den Unternehmen holen und sie einer ›Rasterfahndung‹ unterziehen.«

»Lucas!«, fuhr ihn Peter an und warf die Gabel auf den Teller. Er würgte den Bissen hinunter. »Habe ich dich soeben richtig verstanden? Du möchtest die Netzwerke der Teilnehmer hacken?« Er ließ eine Pause entstehen. »Nein und nochmals Nein. Geht das nicht in deinen Kopf hinein? Wir müssen nicht die Erpressungsgeschichten aufklären. Das ist die Aufgabe der Polizei in den jeweiligen Ländern. Wir begleiten den Wirtschaftsgipfel – sicherheitstechnisch. Mit offenen Ohren. Ich wiederhole mich: Kein Hacken! Wir halten uns an die Vorschriften!«, fuhr er ihn ärgerlich an.

»I … Ich wollte nur Zeit sparen. Zeit, die der Amtsschimmel vergeudet. Zeit, die uns fehlt, wenn sich der Verdacht erhärtet. Wenn ich etwas über Amtswege gelernt habe, dann, dass ihre Entfernungsangaben immer unter- oder übertrieben sind. Aber ich habe dich trotzdem verstanden: kein Hacken.«

»Siehst du, ich wusste doch, dass wir uns verstehen.«

Mit einem Stück Brot wischte Peter die letzten Krümel vom Teller.

»I ... Ich würde es aber nicht hacken nennen«, gab sich Lucas nicht geschlagen. »Informationsbeschaffung träfe es eher. Sag, gelten für unsere Ermittlungen die Vorgaben der EU oder die österreichischen?«

»Beides«, presste er nach kurzem Zögern hervor, doch er war sich nicht sicher.

Lucas räumte das Geschirr in die Spüle.

»Lass das, ihr müsst ins Büro«, protestierte Sabine lautstark.

»Wi ... Wie es wohl Sarah geht?«

»Ich habe gestern Abend mit ihrem Mann telefoniert und ihm alles erzählt. Er war geschockt und ist sofort zu ihr ins Spital aufgebrochen. Wir rufen ihn vom Auto aus an. Komm, es wird Zeit.«

»Gu ... Gute Idee, lass uns unser Tagwerk beginnen.«

*

Als sie vor das Haus traten, schneite es noch immer. Eine solche Menge Schnee war seit Jahren nicht mehr gefallen. Nicht Ende November.

Peter balancierte mithilfe seines Stockes zum Auto. Seine Westernstiefel mit den glatten Sohlen waren nicht die beste Wahl. Er fuhr mit dem Finger der Fuge der Wagentür entlang und öffnete sie einen Spalt, gerade so viel, dass er sich den Schneebesen aus dem Fußraum angeln konnte.

Er benötigte drei Anläufe, um mit durchdrehenden Rädern aus der Parklücke zu kommen.

Auf der Fahrt lauschten sie den Nachrichten, die den größten Teil ihrer Sendezeit dem gestrigen Flugzeugcrash widmeten. Zweiundachtzig Verletzte, fünfzehn Schwerletzte und drei Tote. Eine erschreckende Bilanz.

»Ich muss Sarahs Mann anrufen«, erinnerte sich Peter und wählte die Festnetznummer am Display aus. »Guten Morgen. Holzinger spricht ... da fällt mir ein Stein vom Herzen ... Ja, gebe ich an die Personalabteilung weiter ... Mindestens sechs Wochen? … Wir wünschen ihr gute Besserung. Danke für die Info.« Peter unterbrach die Verbindung. »Sarah wird für zwei Monate im Krankenstand sein«, seufzte er und schob seinen Unterkiefer zur Seite. »Wir brauchen Unterstützung. Zu zweit ist das alles nicht zu schaffen.«

»D … Du kennst doch fähige Kollegen, die du anfordern kannst.«

»Einige ... Problem ist nur, dass man ihnen Zeit geben muss, um sich mit dem Aufgabengebiet vertraut zu machen. Sie haben keine internationalen Verbindungen. Sarah und ich haben uns in den letzten zwei Monaten eingearbeitet. Du bist drei Jahre in Den Haag gewesen, kennst dich ja aus.« An der Ampel legte Peter seinen Kopf schief. »Ich denke, ich hätte da eine Idee.«

Lucas kam nicht dazu, den Einfall zu hinterfragen, denn sein Smartphone vibrierte. Er streckte das Bein und zog das Mobile aus der Hosentasche. ›18:00 Seilerstätte vor dem Ronacher? lga‹, las er und wandte sich an Peter. »I ... Ich muss um sechs Uhr in der Innenstadt sein.« Er biss sich mit einem Schmunzeln auf die Unterlippe, während er ›Passt! Freu mich. lgl‹ tippte.

»Warum?«

»I ... Ich habe mir gestern Abend eine Wohnung gemietet. Um sechs ist Schlüsselübergabe.«

»Das ging aber schnell. – Dann kann ich Richard sagen, dass du von seinem Vorschlag keinen Gebrauch machst?«

»Ja, bi … bitte und richte ihm meinen besten Dank für sein Angebot aus.«

»Und wie bist du dazu gekommen? Wir waren doch ...«

»A … Annas Junggesellenwohnung – mit Glasfaserkabel«, unterbrach er ihn und erzählte, wie der weitere Abend verlief.

»Das ging aber schnell«, wiederholte Peter mehrdeutig.

»Kei … Keine Fehlinterpretationen, Chef«, erwiderte Lucas langsam.

Holzinger fuhr in den Innenhof der Bundespolizeidirektion.

»Komm, unsere Büros sind im sechsten Stock.«

»Ho … Hoffentlich mit Blick über Wien«, grinste Perez, während sie sich in den Aufzug zwängten.

»Du wirst nicht viel Zeit haben, den Panoramablick zu genießen. Denke an den Bericht.«

»I ... Ich denke an nichts anderes«, antwortete er mit gespielter Ernsthaftigkeit, während der Fahrstuhl hüpfend anhielt.

Peter zeigte zum linken Korridor, ging vor und zog die gläserne Gangtür auf, deren Feder widerwillig knarzte. Von dem Gang zweigten zu beiden Seiten jeweils vier Zimmer ab, den Boden schmückte eine abgetretene Auslegeware aus ehemals dunkelbraunem Filz. Die Wände zierten alte Werbeplakate der Bundespolizeidirektion, die mit vergilbten Klebestreifen befestigt waren. Ein A0-Bogen erklärte die Rangabzeichen. Daneben hing zwischen zwei Glasplatten ein welliger Druck von Albrecht Dürers betenden Händen. Abgestandene Luft stieg Lucas in die Nase. »Ri … Riecht ein wenig muffig ...«, bemerkte er.

Peter klopfte seinem Freund aufmunternd auf den Rücken. »... man gewöhnt sich daran.«

»Vo ... Vorsicht, mein Computer«, fauchte Lucas und duckte sich zur Seite. Wie ein rohes Ei zog er den Rucksack von der Schulter. »U … Und welches ist mein Büro?«

»Dritte Tür rechts. Zwischen uns ist Sarahs Zimmer.«

»Da … Dann bis später.«

Lucas ließ seinen Chef am Gang stehen und stapfte davon. Die Büros hielten, was der Korridor versprach. Das ehemals weiß getünchte Arbeitszimmer hatte schon lange keinen Maler gesehen. Dunkle Ränder markierten die Plätze, wo einst Bilder gehangen haben. Krumme Stahlstifte ragten in unregelmäßigen Abständen aus den Wänden. Er nahm seine Schirmkappe ab und platzierte sie an einem der Nägel.

Die Verbindungstür zu Sarahs Zimmer stand offen. Er steckte seinen Kopf durch den Rahmen. Sieht wenigstens bewohnt aus, dachte er und fragte sich laut: »Warum habe ich mich überreden lassen?«. Die Antwort blieb er sich schuldig. Er vermisste sein gläsernes Büro in Den Haag und zog den Laptop aus dem Rucksack.

Während er ihn hochfahren ließ, schaute er aus dem Fenster über die Dächer Wiens, hinüber Richtung Stephansdom, dessen Turm sich schattenhaft hinter dem dichten Schneefall abzeichnete.

Anschließend warf er einen Blick unter seinen Schreibtisch, wo er einen funkelnagelneuen Computer erblickte, an dem zwei ausladende Monitore angeschlossen waren.

Er ließ sich auf den federnden, mit Skai bezogenen Chefsessel fallen, der seine beste Zeit längst hinter sich hatte. Lucas zog seinen Laptop zu sich und hämmerte in die Tasten, während er sich weiter im Zimmer umsah. Er hielt inne, zog ein Kabel aus seinem Backpack, steckte es seitlich in den Rechner und verkabelte den HDMI-Ausgang mit einem der Bildschirme. Anschließend überprüfte er die Einstellungen seiner Firewall, startete die Hotspot-App auf dem Smartphone und verband es mit dem Laptop.

Lucas schob ein Fenster nach dem anderen auf den Standmonitor. Eines zeigte eine Passagierliste. Er drückte auf die Aktualisierungstaste. Er loggte sich ins lokale Netzwerk ein, fand einen Drucker und sandte die Aufstellung – mit einer Weiteren – zweifach ab. Er lauschte. In Sarahs Zimmer sprang der Laserdrucker an. Er ging hinüber und verglich die Ausdrucke. Die neue Liste der Passagiere war mittlerweile in Abschnitte eingeteilt worden: Unverletzt – verletzt – Schwer verletzt – Tot und vermisst. Unter dem Punkt ›Schwerverletzt‹ fand er Sarah Mutes` Namen, daneben der Hinweis: ›Donauklinik‹. Am Ende der Liste befanden sich unter der Rubrik ›Vermisst‹ zwei Namen.

Lucas grinste und schüttelte den Kopf.

»Pe ... Peter, wir werden vermisst«, rief er durch die Verbindungstür.

»Wie? Wir werden vermisst?«

Lucas stellte sich in den Türrahmen und hielt eine Liste in die Höhe.

»Ste ... Steht auf der Passagierliste der AUA.«

Holzinger runzelt die Stirn und bat seinen Kollegen, ihm das Blatt zu reichen. Er überflog es mit einem argwöhnischen Blick, während Lucas sich auf den Besuchersessel fallen ließ.

Bedächtig legte Peter seinen Kopf schief und starrte sein Gegenüber an.

»Ich habe vorhin eine Mail bekommen, dass ich mich gestern vom Flughafen aus in meinen Account eingeloggt hätte, und mit ›Gefahr in Verzug‹ auf das Netzwerk der AUA zugegriffen habe. Die wollen von mir eine Sachverhaltsdarstellung. Warst du das?«.

»Ja. Wa ... Warum? Wo ist das Problem?«

»Sag, spinnst du? Ich habe dir gesagt: Kein Hacken! Wir halten uns an den Dienstweg!«, brüllte ihn sein Chef an.

»I ... Ich habe doch nicht gehackt«, erwiderte Lucas gelassen. »Ich habe mich nur in deinen Account eingeloggt, weil ich meine Zugangsdaten noch nicht hatte.«

»Und woher hast du meine Daten, wenn ich fragen darf?«

»Na von ... von dir. Wer dich kennt, kennt auch das Passwort, Herr Gleitschirm, geboren 1991. Ich habe mich lediglich in deinen Geschäftsaccount eingeloggt. Oder haben wir in unserem Job Geheimnisse voreinander? Also, beruhige dich. Und weil wir gerade dabei sind: von wegen Routinejob. Vergleiche die beiden Listen! Fünf Fluggäste stehen auf der Besucherliste des Kongresses. Einer davon ist ein Vorstandsmitglied. Das war kein Unfall, mein Lieber.«

Peter rang nach Worten.

In diesem Augenblick machte sich ein Uniformierter in der Eingangstür breit.

»Hallo. Ich habe gehört, dass ihr in dem Flugzeug gewesen seid? Wie war es?«

»Servus. Du – ich habe keine Zeit. Vielleicht später«, winkte Holzinger genervt ab.

Die Nachricht von ihrer Anwesenheit hatte sich in Windeseile im ganzen Haus verbreitet. Immer mehr Kollegen kamen vorbei, jeder mit den gleichen Fragen.

»Könnt ihr bitte allen sagen, …«

Peter setzte sich an seinen Schreibtisch.

» … dass Frau Mutes eine schwere Gehirnerschütterung und einen gebrochenen Oberarm hat. Sie fällt für sechs Wochen aus. Wenn nicht länger. Wir beide sind ›Okay‹«, rief er schließlich in die Menge und schob seine Kollegen aus dem Zimmer. »Startet lieber eine Kollekte: Die Frau Chefinspektor wird sich über eure Blumen freuen.«

Er seufzte und wartete, bis sie alleine waren.

»Apropos Sarah, ...«

Sein Streitgespräch mit Lucas hatte er mittlerweile verdrängt.

»… wir brauchen rasch geeigneten Ersatz. – Ich hätte eine Idee ...«

*

Holzinger griff zum Telefon und tippte auf eine Nummer aus dem Kurzwahlspeicher.

»Es wird Zeit, dass du uns im neuen Büro besuchst«, begann er grußlos das Gespräch.

»Wie meinst du das?«

»Sarah fällt für zwei Monate aus.«

»Was hat das mit mir zu tun? Weshalb soll ich euch besuchen? Sag, seid ihr gestern in dem ...«

»... Ja. Wir brauchen dich. Ich will, dass du in mein Team kommst. Das Innenministerium würde dir einen Konsulentenvertrag anbieten …«, fiel er ihm ins Wort.

Am anderen Ende der Leitung herrschte Totenstille.

»... Hallo, Richard, bist du noch dran?«

»Ja, bin noch dran. Ich bin im Ruhestand. Schon vergessen?«

»Richtig. Du bist im Ruhestand und nicht in Rente. Staatsdiener können jederzeit wieder in ihre Funktion berufen werden«, lachte Peter mit einem verschmitzten Unterton.

Richard antwortete nicht.

»Sag doch etwas ...«, forderte er seinen Ex-Boss auf.

»Ich überlege gerade. – Bedeutet das, du wärst mein Vorgesetzter?«

»Gibt Schlimmeres«, gab Peter vergnügt zurück und fuhr sich mit den Fingern durch seine Mähne.

»Ich war jahrelang dein Boss und jetzt willst du ...«

Peter sah vor seinem geistigen Auge, wie Richards Kinn nach allen Seiten mahlte.

»... Habt ihr eine Kaffeemaschine?«

»Nein. Warum?«

»Nur so. – Okay. Ich sage einfach zu, du als mein Boss, das ist ein reizvoller Gedanke.«

»Gut. Wann kannst du anfangen?«

»In zwei Stunden.«

»Damit habe ich jetzt nicht gerechnet. Super.«

Peter überlegte kurz.

»Wir haben um 10:00 Uhr ein Meeting. Schaffst du das?«

»Das ist in 50 Minuten. Solange brauche ich bei diesem Sauwetter aus Purkersdorf zum Ring ... Verspreche nichts, aber ich beeile mich.«

»Bis gleich.« Peter warf den Hörer schwungvoll auf die Gabel, rieb sich die Hände und beugte sich über den Tisch. »Gute Idee?!«

»Kei ... Keine schlechte Idee. Der alte Tomacic ist mit dem Haufen hier vertraut. Kennt die Leute. Ein cleverer Schachzug«, meinte Lucas und lehnte sich entspannt zurück. »Jetzt brauchen wir nur noch eine Sekretärin und ein großes White-Board in meinem Büro.«

»Darum soll sich Richard kümmern. – Ich denke, er ist die ideale Drehscheibe hier im Haus, unser Verbindungsoffizier, wenn wir unterwegs sind.«

Lucas nickte und schlug sich auf die Oberschenkel. Seine verletzte Hand meldete sich.

»Autsch. I ... Ich sehe nach, ob es Neuigkeiten gibt, die wir im Meeting gebrauchen können.«

»Mach das. Ich kümmere mich in der Zwischenzeit um die beiden Vermissten, dass man sie von der Liste streicht.«

Lucas stapfte durch Sarahs Zimmer in sein Büro. In dem Fenster am großen Monitor, das mit ›QUERY‹ betitelt war, blinkte der Cursor. Er tippte die Namen der fünf Kongressbesucher, die im Flugzeug waren in die Eingabemaske, und setzte ein Häkchen bei Lebenslauf, Arbeitsverhältnis, Presse, Businesskontakte, soziale Netzwerke, Konsumverhalten, Sonstiges und drückte auf ›START‹.

Im Anschluss betrachtete er die Fenster, die von seinem Computer letzte Nacht gefüllt worden waren. Eines nach dem anderen schloss er. Einzig das, in dem eine Vielzahl von IP-Adressen aufgelistet waren, ließ er geöffnet. Am unteren Fensterrand blinkte ›Current account password processing‹. Er scrollte aufwärts und las einige Absätze.

»Habe ich es mir doch gedacht.«

Er tippte mit dem Finger auf die Tischplatte.

»Wer tief genug gräbt, wird fündig.«

Nachdem er die Ergebnisse in einem Textfile zusammenkopiert hatte, schickte er es an den Drucker.

»Lucas, das Meeting fängt an«, hörte er Peter rufen.

»Ich komme!«, rief er zurück und schob die Ausdrucke in seine Mappe.

Perez war bereits an der Tür, als er innehielt, zum Schreibtisch zurückging und den Laptop zu sich drehte. Er hatte vergessen, eine Mail zu verschicken.

Rasch tippte er die kurze Nachricht.

Als die Meldung ›SENT‹ am Bildschirm erschien, sperrte er den Computer und eilte zur Tür hinaus.

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