Kitabı oku: «Mörderwelt», sayfa 3
Kapitel 6
Nach einem kurzen Imbiss fuhr Paulsen zur Prärieblume, setzte sich ins Foyer und machte ein paar Notizen. Student Aschhoff war immer noch im Einsatz. Blass wie ein Engerling kauerte er hinter der Rezeptionstheke und starrte auf den Computerbildschirm. Kurz darauf kam Baranoff von draußen hereingestürmt, tat so, als bemerkte er Paulsen nicht und humpelte zum Aufzug.
Aschhoff beugte sich über die Empfangstheke.
„Hallo, Herr Baranoff! Falls Sie den Reporter suchen, der sitzt da in der Ecke.“
Wie ertappt blieb Baranoff stehen und schickte Aschhoff einen finsteren Blick zu, dann setzte er ein breites Lächeln auf und ging auf Paulsen zu.
„So einen Lenz müsste man haben! Wann arbeitet ihr Reporter eigentlich mal?“
„Wir arbeiten immer, auch wenn man es uns nicht ansieht.“
Baranoff lachte übertrieben. „Siehst du, da sind sich unsere Berufe gar nicht so unähnlich.“
Paulsen gab sich ahnungslos. „Wie ist die Jagd im Bahnhof ausgegangen?“
Baranoff blickte mürrisch. „Noch nicht spruchreif. Ich bin noch mitten in den Ermittlungen.“
Paulsen wartete, bis er sich gesetzt hatte.
„Jemand hat erzählt, die Polizei hätte Sie geschnappt.“
„Was heißt geschnappt? Ich habe denen kurz die Lage erläutert. Die sind ja so blind, dass sie nicht mal mitkriegen, wenn direkt vor ihren Augen mit Drogen gedealt wird.“
„Ist der Vertreter aufgetaucht?“
„Natürlich. Und der Libanese. Darum ging’s ja. Leider sind mir die beiden entwischt.“ Er stand auf. „Wie sieht’s aus mit einem Feierabendbierchen?“
Paulsen winkte ab.
Baranoff tat beleidigt. „Komisch, gestern konntest du den Hals nicht voll kriegen.“
Paulsen klappte das Notizheft zu. „Gestern war gestern. Und morgen ist morgen. Und dann stehe ich um Punkt elf bei Ihnen auf der Matte. Samt Kamerateam.“
Baranoff grunzte und verzog sich zum Aufzug. Paulsen erhob sich, ging zur Rezeption und stützte sich auf das Empfangspult.
„Hallo, Tilman. Doppelschicht?“
Aschhoff grinste, als sei er noch immer oder schon wieder bekifft.
„Nur bis zwei, dann kommt der Kollege.“
„Seit wann im Dienst?
„Seit gestern Abend um elf.“
„Mein lieber Mann, das sind ja mehr als sechzehn Stunden.“
„Merk ich gar nicht, wenn ich im Spiel bin.“
„Scheint ja ein tolles Spiel zu sein.“
„World of Warcraft.“
„Und welche Rolle spielst du?“
„Ich bin ein DiDi, Damage Dealer, ein Schadensverursacher. Ich kann jedem Gegner maximalen Schaden zuzufügen.“
Paulsen tat beeindruckt. „Toll. Wie lange machst du den Job eigentlich schon?“
„Als Damage Dealer?“
„Als Nachtportier.“
„Seit vier Wochen.“
„Das heißt, du kannst abends praktisch nie ausgehen, mit Freunden oder so. Hast du keine Freundin?“
„Doch, die Svenja.“ Er tippte auf der Tastatur herum, als müsste er seine Behauptung schnellstens beweisen. „Hier.“
Von einer Facebook-Seite lächelte Paulsen ein dunkelblondes Mädchen mit schmalem Gesicht entgegen. ‚Svenja Strelitz’ stand unter dem Bild.
„Nett. Und was hält sie von deinem Job?“, fragte Paulsen.
Tilman wich seinem Blick aus. „Für sie ist das okay.“
Paulsen hatte Glück. Eine Svenja Strelitz gab es im Telefonverzeichnis nur einmal, mit Festnetz- und Handynummer. Er rief sie an, stellte sich vor und fragte, ob sie sich zu einem kurzen Gespräch treffen könnten.
Sie klang reserviert. „Worum geht’s denn bitte?“
„Um Tilman Aschoff, der im Hotel Prärieblume arbeitet.“
„Ist ihm was passiert?“
„Nein, nein, alles okay. Ich bin ein Bekannter von ihm. Alles Weitere würde ich Ihnen dann gleich erklären.“
„Tja, ich weiß nicht. Ist es denn so dringend? Ich bin im Dienst und hab’ höchstens zehn Minuten Zeit.“
„Das wird reichen. Ich kann in ’ner Viertelstunde da sein.“
Sie nannte die Adresse des Seniorenheims, wo sie als Pflegerin jobbte. Das Heim am Morillenhang war ein schmuckloser Neubau aus Glas und Beton. Die Cafeteria hatte gerade geöffnet und war, abgesehen von den beiden Küchenfrauen hinterm Tresen, noch menschenleer. Paulsen schlenderte an der Theke entlang und besichtigte die Speisen in den Vitrinen, gummiartige Brötchen, die unter Zellophan schwitzten, und staubtrockener Sandkuchen. Dafür war sein Hunger nicht dramatisch genug.
Svenja tauchte auf, und er lud sie zu einem Kaffee ein. Sie war kleiner und zierlicher als sie auf dem Facebook-Foto gewirkt hatte. Sie nahmen ihre Tassen und setzten sich auf die Terrasse. Sie lag zwischen den beiden Flügeln des U-förmigen Gebäudes, grau und trostlos, wie aus Verzweiflung aufgehübscht mit ein paar Blumenkübeln aus Beton.
Paulsen stellte sich Svenja vor und, damit sie ein bisschen warm wurden, erkundigte er sich nach ihrer Arbeit im Heim. Sie antwortete aufgeschlossen, geriet ins Plaudern und meinte, sie arbeite eigentlich gerne als Pflegerin, doch sie mache den Job nur vorübergehend. Wie Tilman habe sie vor, Medizin zu studieren, und wie er müsse sie sicher noch lange auf einen Studienplatz warten.
„Aber ich darf mich nicht beklagen, meine Abi-Note war nämlich nicht gerade … na, ja …“
Sie unterbrach sich und lächelte verlegen, als sei ihr gerade aufgefallen, dass sie mit einem Fremden zusammensaß und zu viel redete. Sie hob ihre Tasse und blickte ihn über den Rand mit Kulleraugen an. „Langsam bin ich aber neugierig, was Sie eigentlich von mir wollen.“
„Etwas heikles Thema“, erklärte Paulsen. „Wir planen eine Reportage zum Thema Spielsucht. In dem Zusammenhang ist mir Ihr Freund aufgefallen. Anscheinend hängt er nächtelang am Computer und taucht in irgendwelche Fantasiewelten ab. Machen Sie sich als Freundin keine Sorgen?“
„Ob ich mir Sorgen mache?“ Sie lachte trocken. Nach einer Pause sagte sie: „Das ist doch der Grund, weshalb wir uns getrennt haben.“
„Getrennt? Seit wann?“
„Schon vor einem halben Jahr.“
Paulsen verschwieg, dass Tilman ihm etwas anderes erzählt hatte.
„Und warum?“
„Ich hab’s nicht mehr ausgehalten und bin ausgezogen.“ Sie kämpfte mit den Tränen. „Anfangs habe ich seine Spielerei nicht ernst genommen, aber es wurde immer schlimmer. Nachher hat er Tag und Nacht am Computer gehangen, Wolldecken vor die Fenster gehängt, die ganze Bude vollgequalmt und gespielt und gespielt. Wenn ich was gesagt habe, ist er sauer geworden, zwei Mal ist er völlig ausgeflippt und hat mich … ja, er hat mich geschlagen.“ Es brach aus ihr heraus, als ob sie selten Gelegenheit hatte, ihr Herz auszuschütten.
Paulsen wartete, bis sie sich wieder gefasst hatte.
„Waren auch Drogen im Spiel? Aufputschmittel, Wachmacher?“
„Weiß ich nicht. Keine Ahnung.“
Sie hob die Tasse mit zittriger Hand. „Vielleicht hilft es ja anderen, wenn man seine Erfahrungen öffentlich macht. Ich möchte aber nicht, dass Sie meinen Namen erwähnen. Auch nicht Tilman gegenüber.“
„Das wird nicht passieren“, versprach er.
Als er zurück zur Prärieblume kam, saß anstelle von Aschhoff ein glatzköpfiger älterer Mann mit pockennarbigem Gesicht an der Rezeption. Mürrisch händigte er Paulsen den Zimmerschlüssel aus, gähnte und riss dabei den Mund auf wie eine Krokodilschnauze.
„Danke, dass Sie mich nicht verschluckt haben.“
Der Mann sah ihn an, als wollte er doch noch nach ihm schnappen. Paulsen fuhr mit dem Aufzug, hoch und sinnierte über die Entstehung der Arten und das Verhalten der menschlichen Spezies im Allgemeinen. Über das von Tilman Aschoff im Besonderen. Seine Begeisterung für Rollenspiele hatte ihn offensichtlich ins gefährliche Abseits geschleudert. Überraschend war weniger, dass er spielsüchtig war, sondern dass so ein schmalbrüstiger Wicht gewalttätig werden konnte. Vorausgesetzt Svenja sagte die Wahrheit. Doch war ihm auch ein brutaler Mord zuzutrauen? Sein Gefühl sagte ihm nein.
Er schaltete den Fernseher an, zappte herum und blieb bei einer Unterhaltungsshow hängen, in der ein Mann lebendig begraben, einem anderen der Mund zugenäht, ein dritter auf einen Rennwagen geschnallt wurde. Bevor die Sieger des lustigen Gewinnspiels feststanden, war Paulsen eingeschlafen.
Kurz nach drei wachte er auf, als es über ihm rumste, und der Büffelhorn-Leuchter an der Decke schwankte. Flaschen klirrten.
Er kletterte aus dem Bett, lief die Treppe hoch und klopfte an Baranoffs Tür. Keine Reaktion. Er drückte die Klinke. Die Tür war unverschlossen, und er trat in das trüb erleuchtete Zimmer, in dem es nach Bier und Zigarettenqualm roch. Im Schlafraum war die Nachttischlampe auf den Boden gekippt, und Baranoff lag neben dem Bett inmitten einer Batterie leerer Flaschen. Paulsen sprach ihn an, doch Baranoff muckte sich nicht.
Paulsen versuchte, den massigen Körper zurück aufs Bett zu hieven, doch er war zu schwer. Schließlich gelang es ihm, Baranoff ein Stück nach vorn zu ziehen, bis sein Kopf außerhalb der klebrigen Bierpfütze lag, dann schob er ihm ein Kissen unter. Als er die Lampe zurück auf die Nachtkonsole stellte, sah er etwas unter der Bettmatratze hervorlugen. Ein dicker brauner Briefumschlag.
Paulsen zögerte. Sollte er in Baranoffs Sachen herumschnüffeln? Vielleicht eine Chance, ihm auf die Schliche zu kommen. Kurz entschlossen griff er zu. Der Umschlag war nicht zugeklebt und enthielt einen Bogen Passfotos mit dem Portrait einer jungen Schwarzen. Hübsches Gesicht, langes glattes Haar und große Augen. Auf der Rückseite des Bogens stand in krakeliger Kinderschrift geschrieben: Fayola Mafuto.
In dem Umschlag steckte noch etwas. Ein durchsichtiger Plastikbeutel mit einem kleinen Knochen, der mit einer Kette aus Grünen und blauen Glasperlen umschnürt war. Paulsen stopfte alles in den Umschlag und schob ihn zurück unter die Matratze. Bevor er das Zimmer verließ, warf er einen letzten Blick auf Baranoff. Der lag da und lächelte im Schlaf wie ein träumendes Kind.
Kapitel 7
Die Dreharbeiten am nächsten Tag sollten um elf Uhr beginnen. Als Paulsen mit Kameramann und Assistenten in der Prärieblume eintraf, war von Baranoff nichts zu sehen. Er bat den mürrischen Glatzkopf an der Rezeption, Baranoff zu wecken, worauf der Portier eine Nummer wählte und etwas in den Hörer raunte.
Während sie warteten, überlegte Paulsen, wie er Baranoff ins Schwitzen bringen konnte. Dann, nach einer halben Stunde, kam Baranoff mit verkatertem Gesicht die Treppe heruntergepoltert. Über die gestrige Nacht verlor er kein Wort. Wahrscheinlich hatte er gar nicht mitbekommen, dass ihn jemand vor dem Ertrinken im Biertümpel gerettet hatte.
Die ersten Aufnahmen machten sie in Baranoffs Wohn-Büro, das er erstaunlicherweise sogar gelüftet und notdürftig aufgeräumt hatte. Es dauerte eine Weile, bis Kameramann Lippe und Assistent Wisch nach den obligatorischen Nörgeleien wegen der ungünstigen Lichtverhältnisse endlich Kamera und Ton eingerichtet hatten. Paulsen begann mit einem Interview und bat Baranoff zu beschreiben, worin die Arbeit eines Hoteldetektivs bestehe.
Baranoff legte los. Er schimpfte über die miese Bezahlung für einen Job, bei dem er rund um die Uhr einsatzbereit sein müsse, nur um sich mit allem möglichen Gesocks herumzuschlagen, das sich hier im Hotel einquartiere.
„Wenn ein Gast gewalttätig wird oder auf andere Weise das Hotel schädigt, muss ich eingreifen“, erklärte er mit theatralischer Geste. Dann machte er eine bauernschlaue Miene. „Aber für solche Fälle habe ich das hier parat.“
Er griff in die Schreibtischschublade, holte eine kurze Stahlrute hervor, hielt sie in die Kamera und grinste.
Paulsen stellte sich dumm und fragte, was das sei.
„Ein Totschläger, was denn sonst.“
„Und damit gehen Sie auf die Gäste los?“
„Nur auf die, die es verdient haben: Zechpreller, Diebe, Randalierer.“
Er warf den Totschläger zurück in die Schublade. „Kurz gesagt, ’ne ruhige Kugel schieben ist hier im Haus nicht drin.“
„Klingt nicht gerade nach klassischer Detektivarbeit.“
Das wollte Baranoff offenbar nicht auf sich sitzen lassen. „Moment, Moment. Die Schattenseiten des Jobs habe ich nur erwähnt, damit der Zuschauer kein falsches Bild bekommt. Die Hauptarbeit ist natürlich die Lösung kniffliger Fälle. Und dazu braucht man nicht nur logischen Verstand, sondern vor allem lange Erfahrung, beides Voraussetzungen für unseren Beruf.“
„Und Intuition?“
„Und Intuition, selbstverständlich.“
Er kam immer mehr in Fahrt, wandte sich zur Kamera, an die imaginären Zuschauer, und erklärte sich bereit, ein paar Methoden und Tricks zu verraten. Paulsen ließ ihn gewähren.
„Wie findet man zum Beispiel heraus, wer bei wem auf dem Zimmer war?“, fragte Baranoff im Ton des Moderators einer Kindersendung. „Ganz einfach: Fuchsin! Fuchsin-Pulver auf die Türklinken streuen, und es gibt keine Ausflüchte mehr. Fuchsin hinterlässt Farbflecken an den Pfoten, die kriegt man kaum wieder ab.“ Er kicherte, dann ging er zum Schrank, gefolgt vom Kamerateam, klappte die Türen auf und deutete auf eine Sammlung von Uniformen und Kostümteilen.
„Mein Fundus für verdeckte Ermittlungen. Bei Einsätzen außer Haus benutze ich auch schon mal Tarnmaterial und Verkleidungen, zum Beispiel als Priester, als Taxifahrer …“
„Oder Bahnschaffner“, erinnerte ihn Paulsen.
Baranoff ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. „Kommt mal mit.“
Er dirigierte das Aufnahmeteam über den Flur in das Zimmer gegenüber, das nicht belegt war, und zeigte die Stellen, wo man versteckte Minikameras installieren könnte, wie er sagte.
„Und das ist legal?“
„Ich tue nur, was in solchen Fällen getan werden muss.“
Der Kameramann grinste und filmte munter drauf los.
„Erzählen Sie doch mal etwas über Ihren letzten Auftrag oder Fall.“
Baranoff kratzte sich am Nacken. Die Frage schien ihm nicht zu passen.
„Ja, nun. Ich will mich hier nicht in Details verlieren …“
„Nur ganz allgemein.“
Er fing sich wieder und sagte mit frecher Miene: „Wenn Sie nur ein bisschen Ahnung von unserem Metier hätten, wüssten Sie, dass der Datenschutz der Klienten an erster Stelle steht.“
Sie gingen zurück auf den Flur.
„Machen Sie sich durch Ihre Arbeit nicht manchmal Feinde?“
„Massenhaft.“ Baranoff drehte sich und sprach wieder direkt in die Kamera: „Für mich ist jeder, der hier übernachtet, erst mal ein Feind. Aus einem einfachen Grund: Ich lasse mich nicht gerne überraschen. Meine Devise heißt: vorbereitet sein auf alle möglichen und unmöglichen Fälle. Voraussetzung, um einen so großen Laden im Griff zu behalten.“
„Sie meinen, wie bei dem Tod des Mädchens?“
Baranoff nickte. „Mir entgeht hier nichts.“
„Außer in der Mordnacht. Da haben Sie ja anscheinend nichts mitbekommen.“
Baranoff zog eine ärgerliche Miene und machte eine unwirsche Geste zum Kameramann. „Schnitt! Schalt mal aus.“
Baranoff wandte sich an Paulsen. „Das war nicht abgesprochen, mein Lieber. Dass wir hier über den Mordfall reden, stand nicht auf dem Programm.“
Paulsen versuchte, ihn zu besänftigen. „Das ergab sich so. Kann man zur Not wieder rausschneiden.“
„Das möchte ich meinen.“
Er gab dem Kameramann ein Zeichen, weiterzumachen. Der ignorierte es und blickte zu Paulsen. Erst als der ihm zunickte, schaltete er die Kamera wieder an. Die Atmosphäre wurde zunehmend frostiger. Kameramann und Assistent, die nicht wussten, dass Paulsen der ganze Dreh nur als Vorwand diente, gaben sich immer weniger Mühe zu verbergen, dass sie Baranoff für einen ausgemachten Spinner hielten. Erst am Ende des Drehs, als er das ganze Team zu einem Umtrunk in sein Büro einlud, kippte die Stimmung.
„Scheint doch ganz in Ordnung zu sein“, raunte Lippe seinem Assistenten zu.
Baranoff war jetzt in seinem Element. Er rief die Pizzeria auf der Straße gegenüber an und gab großspurig eine Bestellung auf: frisch gezapfte Biere, Schnäpse und eine Karaffe Rotwein. Kurz darauf sah man vom Fenster aus einen Mann in weißer Kellnerjacke, der ein vollbeladenes Tablett über die Straße balancierte.
Der Pendelverkehr mit Nachschub ging zwischen Pizzeria und Hotel noch eine Zeit lang weiter, bis sich Lippe und Wisch leicht angeschlagen verabschiedeten und auf den Weg zurück zum Sendestudio machten.
Auch Baranoff war angesäuselt. Der richtige Zeitpunkt, ihn mit dem Fund unter der Matratze zu konfrontieren, dachte Paulsen. Gerade als er dazu ansetzte, unterbrach ihn Baranoff.
„Komm mal mit.“
Paulsen folgte ihm über den Flur zum Treppenhaus.
„Immer besser, wenn ein Zeuge dabei ist“, meinet Baranoff. „Sonst heißt es nachher noch, ich hätte was geklaut.“
Er hinkte die Treppe hinunter zur zweiten Etage, hielt vor Zimmer 13 und klopfte. Als sich nichts rührte, zog er seinen Generalschlüssel hervor und schloss auf.
„Wer wohnt hier?“
Baranoff stieß die Tür auf. „Der Meffert.“
Das Zimmer mit Bett, Kleiderschrank, Fernseher und Minibar unterschied sich kaum von der Einrichtung der anderen Zimmer. An der Schranktür baumelten mehrere Kleiderbügel mit Oberhemden, auf den Lehnen der beiden Cocktailsessel hingen ein halbes Dutzend Tennissocken zum Trocknen. Es roch nach Aftershave, Duftnote ‚Kiefernadeln‘, und nach Schweißfüßen.
„Behalt mal den Flur im Auge.“
Baranoff schob Paulsen aus dem Zimmer. Der wartete auf dem Flur und hörte ihn im Zimmer rumoren. Nach einer Weile ertönte ein raues Lachen, und Baranoff kam zur Tür.
„Jetzt habe ich ihn. Guck mal, was ich gefunden habe.“
In der einen Hand hielt er einen Umschlag, in der anderen den Bogen mit Fayolas Passfotos.
„Weißt du, wer da drauf ist?“
Paulsen wartete ab.
„Du wirst es nicht glauben: Fayola Mafuto.“
„Wo haben Sie das her?“
Baranoff warf einen Blick über den Flur. „Gefunden, in ’ner Schuhschachtel unterm Schrank.“
Für einen Moment verschlug Paulsen die dreiste Lüge die Sprache. Es waren dieselben Fotos, die er am Abend zuvor und Baranoffs Bett gefunden hatte.
Baranoff grinste. „Da ist der Sensationsreporter platt, wie?“
Er zog die Zimmertür zu und schloss ab. Auf dem Rückweg zum Büro spielte Paulsen weiter den Ahnungslosen.
„Aber warum hat Meffert Passfotos von dem Mädchen?“
Baranoff öffnete die Tür und ließ ihn vorgehen.
„Psychopathen lassen immer irgendetwas von ihren Opfern mitgehen. Als Trophäe sozusagen.“
„Und was wollen Sie jetzt damit machen? Zur Polizei?“
Baranoff schüttelte den Kopf. „Später.“
Er ging zum Couchtisch und prüfte, ob die Flaschen noch Reste enthielten. Sie waren leer. Er trat ans Fenster und blickte auf die nächtliche Straße.
„Jetzt ist der Meffert bestimmt wieder auf Tour. Man weiß doch, wie diese Bestien ticken. Haben sie einmal angefangen zu morden, können sie nicht mehr aufhören.“ Er starrte hinaus, als sähe er dort den Unhold auf der Pirsch.
Paulsen versuchte, ihn auf eine andere Idee zu bringen. „Was ist mit dem Studenten, dem Nachtportier? Er hatte an dem Tag Dienst. Laut Aussage der Polizei hat das gerichtsmedizinische Gutachten ergeben: Fayola ist zwischen 17 und 20 Uhr getötet worden. Das heißt, der Portier könnte als Täter durchaus in Frage kommen.“
„Vergiss es. Er war’s nicht.“
„Wieso sind Sie sich so sicher?“
„Weil er bei mir war.“
Paulsen blickte ihn überrascht an.
„Auf meiner Bude. Wir haben schon am Nachmittag angefangen, einen zu picheln.“
„Mir hat er was anderes erzählt. Er sagte, er hätte nur kurz die Rezeption verlassen, als Sie besoffen waren und er sie aufs Zimmer geschleppt und ins Bett gebracht hätte.“
„Schwachsinn. Er darf natürlich nicht zugeben, dass er stundenlang nicht an seinem Arbeitsplatz war. Ist doch logisch, oder?“ Baranoff blickte wieder auf die Straße. „Verdammich, die Pizzabude macht zu.“
Doch er hatte eine Idee, wo er noch etwas Trinkbares auftreiben konnte, und machte sich auf den Weg.
Kapitel 8
Paulsen nahm eine der Rennzeitungen, die verstreut herumlagen, blätterte darin, ohne wirklich zu lesen, und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Nach ein paar Minuten hörte er Geräusche, die Baranoffs Rückkehr ankündigten. Die Tür ging auf, und Schritte kamen näher. Irgendwie klangen sie merkwürdig.
Zu viele Schritte.
Er wandte mich um. Im gleichen Moment schlug der Blitz ein. Er taumelte nach vorne, als ihn ein zweiter Schlag traf. Er stürzte auf den Couchtisch, der samt Gläser scheppernd unter ihm zusammenbrach. Sein letzter Gedanke: Baranoff braucht neue Cognac-Schwenker. Als er aufwachte, lag er mit dem Rücken auf dem Boden, zwei Schwarze mit der Statur von Preisboxern standen über ihm. Der eine trug eine dunkle Brille mit hellem Horn Rand, der andere geflochtenen Rasta-Zöpfchen und ein gestutztes Kinnbärtchen. Der Brillenmann zog Paulsen am Hemdkragen hoch und schüttelte ihn.
„Das war erst der Anfang, Motherfucker.“
„Ich bin nur zu Besuch hier.“
„Wir auch. Für wen arbeitest du?“
„Regio TV.“
Die beiden blickten verständnislos.
„Ich bin Reporter.“
Der Brillenmann öffnete seine Pranke und ließ Paulsen fallen. Den Tritt in seine Rippen verstand Paulsen als Aufforderung, es zu beweisen. Er fummelte den Presseausweis aus der Tasche und hielt ihn hoch. Der Brillenmann riss die Plastikkarte an sich, betrachtete sie von allen Seiten, zeigte sie dann seinem Kumpan.
„Fuck!“
Der mit dem Ziegenbart knallte Paulsen den Ausweis auf den Bauch. Dann stürmten die beiden hinaus. Paulsen rappelte sich auf und schleppte sich zum Sessel. Mit wummerndem Schädel saß er da, bis Baranoff, die Arme voll Flaschen, fröhlich pfeifend hereinkam.
„Nachschub gesichert … Was denn hier los?“ Er blickte auf den zusammengeknickten Couchtisch und die zerbrochenen Gläser.
Paulsen rieb sich die schmerzenden Rippen. „Hab’ gedacht, ich renoviere mal ’n bisschen.“
„Was ist passiert?“
„’ne Strafexpedition, die den Falschen getroffen hat.“
Paulsen berichtete kurz, was geschehen war.
„Ich vermute mal, die wollten zu Ihnen.“
Baranoff ließ sich auf die Couch fallen. „Zwei Schwarze?“ Er dachte nach.
„Verdammt, das waren die Nigerianer.“
„Welche Nigerianer?“
„Fayola stammt aus Nigeria.“
„Und was wollten die beiden von Ihnen?“
„Keine Ahnung. Muss ’ne Verwechslung sein.“ Er öffnete eine Flasche und nahm einen langen Schluck.
Paulsen fand, es war an der Zeit, Tacheles zu reden. „Vielleicht eine Verwechslung wie bei den Passfotos?“
Baranoff setzte die Flasche ab. „Was für Passfotos?“
„Die Fotos, die Sie dem Meffert unterschieben wollten. Nur Pech, dass ich sie schon gesehen habe, und zwar gestern, bei Ihnen unterm Bett.“
Baranoff glotzte ihn an, als brauchte er eine Weile, bis die Worte in sein Gehirn gedrungen waren. Dann stieß er hervor: „Du hast in meiner Wohnung geschnüffelt?“
„Ja, als Sie vollgesoffen am Boden lagen. Ich habe die Fotos zufällig entdeckt.
Was hatten Sie mit dem Mädchen zu tun? Los, raus damit.“
„Nichts.“
Paulsen stand auf. „Na schön. Vielleicht kann die Polizei mit der Information was anfangen.“
Er ging zur Tür.
„Warte! Mach keinen Fehler! Setz dich!“
Paulsen tat es.
„Aber jetzt mal hoppla. Warum hatte sich das Mädchen hier einquartiert?“
Baranoff zögerte, dann gab er nach. „Sie hat sich hier versteckt. Sie ist auf’n Strich gegangen und wollte aussteigen.“
„Woher kannten Sie Fayola?“
„Vom Grünen Weg. Da habe ich sie mal an Bord genommen. Gerade als es losgehen soll, fängt sie an zu heulen. Ich hab’ nachgehakt, und es kam heraus, dass sie nicht freiwillig auf den Strich ging. Sie hat erzählt, sie sei nach Deutschland verschleppt worden und müsste, was weiß ich, wie viel Tausende abarbeiten, allein an Reisekosten. Irgendwann habe sie angefangen, von der Kohle, die sie verdient hat, was abzuzweigen. Damit wollte sie zurück nach Afrika.“
Er machte eine Pause und blickte Paulsen an, als wolle er sehen, wie seine Worte auf ihn wirkten. Paulsen war sich nicht sicher, ob er ihm glauben sollte.
„Ich habe angeboten, ihr zu helfen“, fuhr Baranoff fort. „Ich wollte mich um das ganze Drumherum kümmern.“
„Klingt edel.“
„Was heißt edel. War ja ein nettes Mädchen. Sie tat mir leid. Da habe ich sie hier untergebracht und angefangen, meine Fühler auszustrecken wegen neuen Papieren und so weiter.“ Er öffnete eine neue Flasche. „Tja, hätte ich mal besser sein gelassen. Dann hätte sich der andere die Finger dran verbrannt.“
„Welcher andere?“
„Sie hatte noch einen an der Hand, der ihr helfen wollte. Aber der hat sich auf einmal nicht mehr gemeldet, das hat sie wenigstens erzählt, tja, und da bin ich Idiot eben eingesprungen.“
Dass er ihr so selbstlos hatte helfen wollen, klang unwahrscheinlich. Paulsen wollte aber nicht ungerecht sein, vielleicht steckte in dem groben Klotz tatsächlich ein weiches Herz.
„Wenn alles abgelaufen ist, wie Sie mir weismachen wollen“, sagte Paulsen, „dann gehe ich davon aus, dass Sie es waren, der das Polizeisiegel aufgerissen hat.“
Baranoff schwieg bockig
„Was haben Sie in ihrem Zimmer gesucht?“
Baranoff überlegte, dann gab er sich einen Ruck. „Mein Handy. Ich hatte ihr ein altes von mir gegeben, damit wir jederzeit Kontakt halten konnten. Wäre nicht so gut gewesen, wenn man das Handy bei ihr gefunden hätte. Die Bullen hätten mich sofort am Arsch gehabt.“
„Fayola hat Ihr Handy also eine Zeitlang benutzt. Haben Sie die Telefongespräche überprüft?“
„Logisch.“
„Und?“
„Was und?“ Baranoff bückte sich und begann, die zerbrochenen Reste der Cognacschwenker aufzusammeln.
„Hat Fayola außer mit Ihnen noch mit anderen telefoniert oder Anrufe erhalten?“
Baranoff tat beschäftigt und probierte, welche Scherben zueinander passten, als wollte er die Gläser wieder zusammensetzen.
„Wie? Ach so, nein, ich hab’ den Pin-Code vergessen.“
„Das heißt, Sie haben die Anruferliste noch gar nicht gecheckt?“
„Wie denn ohne Pin-Code? Aber ich finde ihn bestimmt noch. Irgendwo hab’ ich ihn notiert.“
Sie schwiegen eine Weile.
„Und was wollte Ihrer Meinung nach das Rollkommando aus Nigeria?“
„Das waren Fayolas Zuhälter, garantiert. Die glauben wahrscheinlich, ich hätte sie abgemurkst.“
„Oder die wollten Ihnen ’ne Abreibung verpassen, weil Sie ihr geholfen haben unterzutauchen.“
Baranoff dachte nach. „Aber woher wussten die, dass Fayola sich hier versteckt hat?“
„Der Mord an dem nigerianischen Mädchen stand überall in den Zeitungen.“
Baranoffs Mine verdüsterte sich. „Wenn es tatsächlich ihre Zuhälter waren, dann wäre ja auch der Klinkenputzer aus dem Schneider.“
„Meffert?“
Baranoff nickte.
„Noch ist das ja alles nur Spekulation“, versuchte Paulsen, ihn über den möglichen Verlust seines Lieblingstäters hinwegzutrösten.
Baranoff starrte auf die Trümmer des Couchtisches. „Die kommen bestimmt noch mal wieder.“
Paulsen kam eine Idee und er fragte, ob er Fayolas Sachen noch einmal ansehen könnte. Baranoff ging zum Bett, zog den Umschlag unter der Matratze hervor und brachte ihn Paulsen. Der nahm als Erstes den kleinen Knochen mit der Perlenkette heraus.
„Irgendeine Ahnung, was das ist?“
Baranoff schüttelte den Kopf. „Den hat sie mit reingetan. Vielleicht ein Glücksbringer oder so was.“
„Kann ich den Kram mal mitnehmen?“
Baranoff nickte. „Übrigens, Fayolas Freundin will auch aussteigen.“
Paulsen blickte ihn an. „Und Sie wollen wieder den Helfer spielen?“
Baranoff ächzte. „Keine Ahnung. Ziemlich riskant. Hat man ja gesehen.“
Er stand auf und verschwand in der Toilette.
„Zu zweit wäre es vielleicht machbar“, rief er vom Klo aus.
„Was heißt zu zweit?“, rief Paulsen. „An wen denken Sie da?“
Baranoff kam vom Klo zurück. „An uns beide zum Beispiel.“
„Warum sollten wir das riskieren?“
„Nur so. Ich würde dem Mädchen einfach gerne helfen.“ Er nahm sein Glas und hielt es Paulsen entgegen. „Übrigens, was dagegen, wenn wir uns duzen?“
„Machen Sie doch sowieso schon die ganze Zeit.“
„Ich mein offiziell, jetzt, wo wir zusammen beim Meffert eingebrochen sind.“
„Von mir aus.“ Paulsen stieß mit ihm an. „Aber das ‚Du’ heißt noch lange nicht, dass wir uns im Knast die Zelle teilen.“