Kitabı oku: «Incubus Expeditus», sayfa 5

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 Erstens: Er träumte früher schon von dem Teufelchen, Shynn nannte er ihn. Aber so detailreich waren die Träume nur dann, wenn er richtig schlimm geärgert wurde.

 Zweitens: Solche Träume finden nicht bei jeder Sache, die ihm durch andere widerfuhr, statt. Es musste vorher richtig wehtun.

 Drittens: Was hatte dieses Wesen mit ihm zu tun? Wo war die Verbindung zu ihm selbst? Er malte ihn ja auch immer in Kindergestalt, etwa seiner eigenen entsprechend. Darauf konnte er sich keinen Reim machen. Außer, dass er keine Sportskanone war, klein und schmächtig und ohne Brille schlecht sah, fiel ihm auf, dass das Fantasiegeschöpf keine Brille hatte und fliegen konnte und so durch Wände gehen. Wollte er so sein wie Shynn?

 Viertens: Als ganz kleiner Junge hatte er so etwas wie einen unsichtbaren Freund, den er nur undeutlich in Erinnerung hatte. War das nicht ebenfalls Shynn? Möglich. Dass dieser alles das war, was er selber nicht war? Dieser Gedanke verfestigte sich noch einmal.

 Fünftens: Die Träume sind so echt, zu echt, nicht wie Träume sein sollten. Er träumte schließlich auch andere Sachen. Aber im Unterschied dazu, beobachtete er in normalen Träumen mehr und konnte dort keinen Einfluss nehmen. Hier schien es so seinen tiefsten Wünschen zu entsprechen, was da geschah. Außerdem bekam er hinterher immer raus, dass das in den Träumen auch wirklich passierte. Wie kann das sein? War er etwa doch dafür verantwortlich?

Wo war der Zusammenhang zwischen ihm, Shynn, den Träumen, seinen Peinigern und den fiesen Streichen, die diese Traumgestalt denen spielte, dem Druck auf dem Kopf, der ihn nach solchen Träumen überkam?

Je mehr er überlegte, umso mehr wurde er in seinen Gedankengängen blockiert. Nichts passte richtig ins Bild. Auch wenn er ein recht heller Kopf war, überstieg dies alles seinen Horizont. Es war wie in einem Märchen. Auch wenn er diese nach wie vor mochte: Nur Kleinkinder glauben an so etwas.

Er schüttelte diese Gedanken ab und beschloss, zu niemandem auch nur ein Sterbenswörtchen über diese rätselhaften Geschehnisse zu verlieren.

Das war sein kleines-großes Geheimnis. So!

Der Rest des Wochenendes verlief relativ ereignislos, aber erholsam und der Montag – auf den er wenig Lust verspürte und den er am liebsten anders verbracht hätte, wenn die Schule schon ausfällt – war im Anmarsch.

Ärztebesuch

Also machten sich Kai und seine Mutter nach dem Frühstück fertig, um in die Poliklinik zu fahren, die drei Straßenbahnhaltestellen weit entfernt lag.

Es war ein dreistöckiger, relativ großer, weitläufiger Bau, um möglichst viele verschiedene Fachärzte und deren Untersuchungsräume unterzubringen.

Kai kannte das Haus gut genug. Überall roch es darin durchdringend nach verschiedener Arznei, alkoholischen Desinfektionsmitteln und vielen Menschen.

Die Kinderärztin und der Zahnarzt waren darin untergebracht. Auch der Hausarzt seiner Eltern sowie diverse andere. Zuerst war die Kinderärztin dran. Sie setzten sich zu den anderen Eltern mit ihren Kindern in den Warteraum.

Kleinkinder brabbelten und krabbelten herum. Einige davon versuchten, sich etwas von dem Spielzeug, welches ihnen die Wartezeit verkürzen sollte, in den Mund zu stecken. Die Mütter nahmen ihnen die Dinge aus der Hand oder dem Mund, was meist zu Gequengel und genervtem Geschimpfe führte. Ein Baby schrie wegen seinem hohen Fieber und den Schmerzen aus Leibeskräften.

Sie mussten zwanzig qualvolle Minuten warten, während einige dieser Minipatienten mit der Sprechstunde fertig wurden, wieder ihrer Wege gingen und andere neu hinzu kamen.

In einer Tour hoben sich die Köpfe, wenn wieder jemand eintrat. „Guten Tag!“ und „Auf Wiedersehen!“ wurde mehrmals wiederholt, beziehungsweise ausgetauscht.

Kai kam im Gedanken auf drei „Guten Tags“ sowohl fünf Erwiderungen und auf zwei „Auf Wiedersehens“ und vier Entgegnungen. Das kam ihm vor, als wären die Leute Papageien, die einfach alles nachplapperten.

Endlich wurden sie aufgerufen und betraten das Sprechzimmer. Die bekannte Ärztin öffnete. Sie hatte sich seit dem letzten Mal kaum verändert. Sie war immer noch eine relativ junge Frau, schlank und attraktiv.

Lange, glatte Haare waren zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Unter dem üblichen Arztkittel trug sie enge schwarze Kordhosen und darüber noch einen hellgrünen Pullover. Außerdem hatte sie eine Kette mit einem Anhänger um den Hals, den ein schwarzer Stein zierte.

Sie bat Kai, sich bis auf die Unterhose auszuziehen, was er sehr ungern tat. Er genierte sich, gerade vor Mädchen und Frauen.

Er mochte es auch nicht sehr, wenn mit ihm ausschließlich Mädchen oder Frauen im Raum waren. Irgendwie war ihm das unangenehm.

Die Ärztin untersuchte ihn gründlich. Wegen dem kalten Stethoskop zuckte er öfter zusammen und der ekligen Holzspatel, den sie auf die Zunge legte, löste bei ihm wie immer einen Würgereiz aus.

Er musste auch einige Anweisungen ausführen, die ihm die Ärztin gab. Gleichgewichtsübungen, einige einfache sportliche Übungen, die er so gut er konnte ausführte.

Sie vermaß und wog ihn außerdem. Da er anscheinend auf den ersten Blick gesund war, ordnete sie weitere Untersuchungen beim Neurologen an, wo ein EEG auf ihn wartete.

Also mussten sie erneut in einem weiteren Wartebereich ein Stockwerk höher Platz nehmen, wo der Mann praktizierte.

Nach gefühlt zwei Stunden (Kai wurde es langsam langweilig und er hatte Angst, dass er eventuell wieder ins Krankenhaus musste) wurden sie aufgerufen.

Der Arzt war Kai ebenfalls bekannt. Der Junge war in der Kindergartenzeit bereits von dem Mann untersucht worden, als der Kleine einmal kopfüber vom Klettergerüst gefallen war und sich am Sockel den Kopf gestoßen hatte. Das hatte damals ja die Gehirnerschütterung zur Folge.

Er kannte die Prozedur: Er musste sich auf einen großen Sessel setzen, bekam ein großes Handtuch über den Körper gestülpt, der Kopf wurde mit einer kalten schmierigen Pampe eingekleistert und die Kontakte des EEGs wurden so dicht an der Kopfhaut angebracht, wie es wegen der Haare eben ging. Die Hirnströme Kais wurden so auf Papier gebracht und ausgewertet.

Sie mussten noch einmal eine halbe Stunde warten, bis die Auswertung fertig war. Der Arzt kratzte sich an seinem oben kahl werdenden Kopf und sagte: „Das EEG ist, soweit ich es beurteilen kann, normal. Keine Auffälligkeiten. Für die Kopfschmerzen gebe ich Ihnen ein Rezept mit. Die Tabletten bitte nach Bedarf nehmen.“

Als er das hörte, verzog Kai sein Gesicht vor Ekel und streckte die Zunge raus. Gedanklich stellte er sich vor, dass Shynn zeitgleich dasselbe tat.

Sie traten die Heimfahrt an und Mutter wie Sohn waren erleichtert, dass dieser stressige Tag endlich hinter ihnen lag. Den Rest des Tages blieb er in seinem Zimmer und spielte.

Auswirkungen

Am Folgetag gingen alle endlich wieder zur Schule. An seine Träume denkend, versuchte Kai darauf zu achten, wie die betreffenden Kinder so drauf waren und was sie einander erzählten.

Die Gelegenheit dazu war in den kleinen Pausen günstiger. Annette, Mandy, Katja, René und Christoph schauten sehr betreten drein.

Manuel fehlte heute. Aber bei dem, dachte Kai bei sich, hat es am Wochenende bestimmt wieder Kloppe von seinem versoffenen Vater gegeben.

So viel Verstand schien der Mann noch zu besitzen, den Jungen nicht grün und blau geprügelt in die Schule zu schicken.

Auch die an der Schikane beteiligten Schüler aus den Parallelklassen sahen immer noch so aus, als wäre ihnen das verlängerte Wochenende etwas versaut worden..

Ihm war wegen einem Anfall von schlechtem Gewissen komisch zumute, andererseits war er ihnen noch böse. Er versuchte jetzt, sich für die anderen unsichtbar zu machen, so wie Shynn es in seinen Träumen tat. Hauptsache sie ließen ihn endlich in Frieden.

In der zweiten Stunde hatten sie Mathe und die Hausaufgaben sollten abgegeben werden. Alle taten es, aber Frau Schmidt bemerkte, dass Annette vergessen hatte, ihr Heft abzugeben.

Sie erinnerte die Musterschülerin daran, woraufhin diese das Heft auspackte, um es – von sich so sehr überzeugt, dass alles richtig war und sie wieder ein Fleißbienchen dafür bekommen würde – der heißgeliebten Lehrerin zu übergeben.

Die Frau fing auch gleich mit diesem Heft an und überflog es. Sie staunte nicht schlecht, weil sie darin Beleidigungen, den Arbeiter- und Bauernstaat betreffend, vorfand.

Nicht nur das: Auch sie selbst wurde nicht verschont, sondern als alte Ziege bezeichnet. Andere Schimpfwörter, den ganzen Zoo, bestimmter Berufsgruppen oder Körperteile betreffend, tauchten zu allem Überfluss darin auf.

Der Lehrerin fielen fast die Augen aus. Und die Hausaufgaben... Annette, das Matheass, hatte fast alles falsch? Und diese Ausdrücke! Wie kann das sein?, dachte sie.

Sie wurde sichtlich wütend und brüllte: „Annette! Ich spreche dir hiermit den Klassenleitertadel aus! Für die Schularbeiten bekommst du eine Fünf! Und die darfst du auch noch einmal machen, die Gleichungen sind so gut wie alle falsch. Ich bin zutiefst enttäuscht von dir! Was ist los, Mädchen? Wieso beleidigst du mich in den Heften? Bisher sind wir doch gut ausgekommen, oder nicht? Du bekommst auf jeden Fall einen Brief an deine Eltern mit.“

Sie gab dem Mädchen das Heft mit der aktuellen Hausaufgabe und zeigte darauf. Die Ärmste war völlig fassungslos. Frau Schmidt dachte trotz allem bekümmert: Wie konnte das sein? Sie machte doch sonst alles so gewissenhaft...

Die Augen der Klasse waren ausnahmslos auf sie gerichtet und die Schülerin fing an zu weinen: „Das... war ich gar... nicht-“

„Ruhe! Und lüg mich nicht an! Das ist doch dein Heft und deine Schrift hier, oder nicht?“, kam es von Frau Schmidt. „Mach, dass du raus kommst, den Rest der Stunde darfst du vor der Tür verbringen!“

Unter lang andauerndem, lautstarkem Protest und bitteren Tränen verließ die bisherige Lieblingsschülerin schließlich doch das Klassenzimmer, drehte sich aus Trotz noch einmal um, um der Lehrerin und der Klasse die Zunge raus zu strecken, bevor sie die Tür zuknallte.

Drinnen tobte die Lehrerin die nächsten fünf Minuten, bis sie sich endlich beruhigte, um die völlig verdutzte Klasse weiter zu unterrichten.

Die Stunde war endlich zu Ende, denn weit kam die Frau, des aufkommenden Tumultes wegen, nicht mehr. Annette durfte zur Pause wieder reinkommen und die Klasse unterhielt sich über das Ereignis.

„Was war denn los?“, „Was ist passiert?“, wurde sie von vielen bestürmt. Das Mädchen zog sich in sich zurück und sagte kein Wort mehr. Tröstungsversuche ihrer Freundinnen wies sie zurück.

Mandy war schon die ganze Stunde über total unruhig und schaute sich überall um. Nach dem Auftritt Frau Schmidts war sie noch verstörter. Irgendwas musste dem Kind eine Heidenangst gemacht haben...

Christoph und seine Freunde machten auch nicht wie sonst Blödsinn. Er schien sich von ihnen abgesondert haben, beziehungsweise sie sich von ihm.

Sie machten sich noch immer über ihn lustig und über seinen Schrottcomputer, der sie immerzu beleidigt hatte. Und die Spiele waren auch scheiße, weil sie immer verloren, lästerten sie.

Er war enttäuscht, weil er am Sonnabend mit ihnen zocken und eine Übernachtungsparty machen wollte.

Und kaum lief der Rechner, ging alles schief. Sie lachten lauthals, als die Spielfigur ihn als Oberarschloch oder als Riesenvolltrottel bezeichnete.

Und er war sauer, als er die Spiele, die er ansonsten problemlos schaffte, vergeigte. Selbst Toni, der gegen ihn immer verlor, war ihm überlegen.

Er wurde immer wütender, sie lachten immer mehr über die Schimpfwörter auf dem Bildschirm. Als auch sie vom Commodore beleidigt wurden, hörte der Spaß auf.

Sie stritten sich, bis Christophs Eltern genug hatten und die ganze Bande schon am späten Nachmittag aus der Wohnung warf. Der Junge und Spielekönig war am Boden zerstört.

Kai erfasste bald nur noch einen Teil von der Auswertung der anderen Jungs dieses verpatzten Wochenendes, da er sich nun auf Katja und René konzentrierte.

Das Mädchen schien nicht gerade gute Tage hinter sich zu haben. Sie schaute so drein wie René.

Bei ihm war es genauso: Er hatte seine Eltern noch nie so schimpfen hören. Was für ein Ferkel er war und was ihn dazu veranlasste hatte, die Wohnung so zu behandeln. Er bekam Stubenarrest und einige seiner Spielzeuge kamen unter Verschluss.

Eigentlich wollten sie ja am Samstag in den Zoo, aber das war nach der Sauerei erledigt, denn Wohnung schrubben und waschen war angesagt. René wurde kräftig mit eingespannt, denn er war ja der vermeintliche Verursacher.

Sein kleiner Bruder fand das Ganze total lustig, war aber zugleich sauer auf ihn, da ja für den Kleinen der Zoo auch ins Wasser fiel.

Er konnte sich auch nicht erklären, wie die Tube in seine Hand gelangt ist; geschweige denn seinen erbosten Eltern. Und wegen der Flecken würden sie die Wohnung komplett neu tapezieren müssen.

Außerdem mussten sie die Hamster wieder einfangen, die frei im Kinderzimmer zugange waren. Hat der verantwortungslose Bengel vergessen, den Käfig zu schließen? So dachten sie, als sie die Tür öffneten, um den Jungen zu wecken, als schon einer der Nager zwischen, beziehungsweise unter ihren Füßen hindurchhuschte.

Da sie ja ohnehin die Möbel verrücken mussten, spielte das auch keine Rolle mehr. Das hatte auch ewig gedauert, die Viecher wieder einzufangen. Die hatten sich unter die kleinsten Ritzen verkrochen, waren blitzschnell und wollten sich auch nicht gern einfangen lassen. Sie quittierten die Versuche, sie festzuhalten, mit schmerzhaften Bissen.

Abgesehen davon, dass die Tierchen sich schon nagenderweise an Wohnungseinrichtung, Kissen, Schuhen und deren Schnürsenkel verlustiert hatten.

So durfte René diese auch nicht mehr behalten. Die Wohnung glich, genau wie das Wochenende der Familie Albrecht, einem Katastrophengebiet.

Katjas Vater war auch sauer auf seine Tochter, bekam Kai aus den Unterhaltungen mit. Er bestrafte sie ebenfalls mit Stubenarrest und Fernsehverbot.

Und ihre Spartakiade4 im Frühling, beziehungsweise das Training dafür, konnte sie auch vergessen, da sie wichtige Unterlagen von ihrem Papa vernichtet hatte und er deswegen garantiert von seinem Chef Ärger bekam.

Eigentlich sollte er oberster Abteilungsleiter werden, aber damit war es nun Essig. Nix mit mehr Geld und eventuell einem Dienstwagen. Bedauerlich.

nicht wirklich.

Kai dachte sich seinen Teil. Es tat ihm einerseits sehr leid für die anderen, andererseits empfand er es ein bisschen als ausgleichende Gerechtigkeit.

Für die bedauernswerte Einserschülerin hatte der Alptraum noch kein Ende. Ganz im Gegenteil: In Deutsch konnte sie außer einem Tintenfleck und weiteren Beleidigungen des Staates, seiner Kinderorganisation und der Lehrerin nichts vorweisen.

Und bekam auch hier einen Tadel, eine schlechte Zensur und noch einen Brief an die Eltern angedroht. Sie wurde im Laufe des Tages immer unsicherer und holte die anderen Hefte heraus, die sie mit sich führte.

Alle waren mit Kritzeleien und verbalem Unflat besudelt, dessen Herkunft sie sich nicht erklären konnte.

Völlig verstört rannte sie aus dem Zimmer und verkroch sich den Rest des Tages auf dem Mädchenklo, wo sie bitterlich weinte. Ihre Eltern würden ihr wohl heute ein gewaltiges Donnerwetter bereiten. Alles schien sich gegen sie verschworen zu haben.

Die richtig miesen Attacken gegen Kai ließen im Lauf der Zeit nach, da er es langsam schaffte, unauffällig in der Masse der Schüler zu verschwinden. Sie nahmen ihn meistens nicht einmal wahr, denn einige Kinder der Klasse verhielten sich ohnehin seit dem Herbst merkwürdig.

Sorgen einer Direktorin

Die mittelalte, dunkelblonde, nicht mehr ganz schlanke Direktorin wunderte sich über die Häufung seltsamer Vorfälle:

Der Klassenbesten der 1a war ein Schulleitertadel fast sicher. Es ist nicht zu erklären, warum sie solche Reden in die Hefte schrieb.

Die Eltern waren eingeladen worden und waren über den Inhalt der Hefte fassungslos. Sie konnten ihr glaubhaft versichern, dass sie damit nichts zu tun hatten.

Das völlig entsetzte Mädchen war nur durch viel gutes Zureden dazu zu bewegen gewesen, die Toilettenkabine, in der sie sich verbarrikadiert hatte, zu verlassen.

Die Klassenlehrerin berichtete ihr auch, dass das Klassenkollektiv sich in seinem Gefüge stark veränderte. Und das war echt schlimm. Waren nicht alle Jungpioniere, die sie ja erst geworden waren, Freunde? Na ja, sie wusste, dass es in dieser Klasse einen gab, der ständig Ärger machte, aber der fehlte diesen Tag.

Ihr eigener Sohn hatte ihr zu Hause auch gesagt, dass sein einer Freund doof ist. Er wurde ja von diesem für das Wochenende zum Übernachten eingeladen, aber dann von der Familie, wie auch die anderen Freunde vor die Tür gesetzt, wo sie ihn am selben Abend abholen musste.

Die Patenbrigade dieser Klasse kam auch nicht mehr und wollte diese Klasse nicht mehr begleiten.

In den Parallelklassen war auch so Merkwürdiges passiert. In allen Klassen gab es Kinder, die sich aus heiterem Himmel mehr oder minder merkwürdig verhielten.

In der b kam ein Mädchen alkoholisiert zur Schule – unerklärlich, wie das passieren konnte. Und in der c waren einige total verstört und auch dort waren bei einem Schüler die Hausaufgaben nicht mehr aufzufinden.

Bei den meisten hing seit Kurzem der Haussegen gewaltig schief. Entweder war das erst seit kurzer Zeit so oder in den Familien lag schon lange etwas im Argen. Sehr seltsam, dachte sich die Frau.

Kai bekam von den persönlichen Gedanken, die sich die Frau Direktor da machte natürlich nichts mit. Er verbrachte den Rest des Schuljahres etwas ruhiger.

Was vom Schuljahr übrig blieb

Annette musste die Schule wechseln und war leistungstechnisch nie wieder so gut wie bisher.

Mandy musste das Jahr wiederholen, denn ihre Eltern hatten sich nach einem monatelangen Rosenkrieg scheiden lassen, worunter das Mädchen doch ganz schön litt. Auch hatte sie zunehmend Schwierigkeiten, dem Stoff zu folgen und wurde immer fahriger.

Manuel wechselte ebenfalls die Schule und kam wegen häuslichen Vorkommnissen in eine Pflegefamilie.

Katjas Vater behandelte seine Tochter etwas kühler als sonst, worunter die Leistungen der Schülerin auch etwas litten. Sie wurde sehr still und zurückgezogen.

Christoph durfte vorerst keine Freunde mehr einladen. Es kamen auch keine mehr, solange dieser verhexte Computer da war. Also wurde dieser abgeschafft, als seine Eltern sahen, was auf dem Gerät los war.

René wurde etwas seltsamer, weil er ja eine ganze Weile lang kaum aus der Wohnung durfte, außer zur Schule. Seine Eltern verziehen ihm die Schweinerei nicht so schnell. Sie mussten alles neu tapezieren und streichen, was ihre Ersparnisse sehr schröpfte.

Bei einigen von Kais Peinigern aus anderen Klassen lag aus dem gleichen Grund etwas im Argen, denn Shynn hatte denen ebenso Besuche abgestattet.

Bis auf einige Verbalattacken passierte ihm von Seiten der Gleichaltrigen die nächsten Jahre nichts. Bei den höheren Klassen war das was anderes, da die meist ein Opfer suchten, und was ist leichter, als sich an die kleineren Klassen zu halten. In diesem Fall an Kai.

So viel zum Thema FDJ5 oder Pioniere sind alle Freunde. Sein Alter Ego kam natürlich auch des Nachts zu denen, um dort etwas Unfrieden zu stiften.

Kai wollte einfach nur noch seine Ruhe haben, mehr war es ja nicht, er hatte eigentlich auch keine Lust, zu den Gruppennachmittagen zu gehen oder in den Hort. Aber dort musste er nicht häufig hin.

Als das Schuljahr im Sommer zu Ende ging und Kai sein sehr gutes Zeugnis bekam, fuhr er die ersten Wochen ins Ferienlager, was er eigentlich nicht so gerne tat, denn dort hatte er es natürlich mit fremden Kindern zu tun, wo er wieder vom Regen in die Traufe geriet.

Die Jungen gingen noch, die ließen ihn in Frieden, weil er ja auch einer war und ebenfalls, wie sie selbst, gern baute oder Insekten sammelte. Sie waren sich alle in einem Punkt einig: Sie fanden Mädchen in ihrem Alter einfach nur doof.

Erst recht, wenn die Gruppen an den heißen Tagen am Wasser waren und die Jungs beim Umziehen wegen bestimmter männlicher Körperteile ausgelacht wurden, oder gesagt wurde: „Ihr stinkt!“

An den Reaktionen der Jungs beteiligte er sich nicht. Das war nicht seine Art, auch wenn sie mehr oder weniger zusammenhielten.

In der Lagerleitung wunderte man sich allerdings darüber, dass Sachen einzelner Kinder, vor allem der Mädchen, nachts unbemerkt auf den Wipfeln der hohen Bäume gelandet sind.

Erst dachten sie an Dummejungenstreiche, aber niemand von den Kindern oder Jugendlichen hatte Zugang zum Werkzeugschuppen, beziehungsweise einer so hohen Leiter.

Auch die Post nach Hause einiger Kinder war oft nicht mit dem Originaltext zu ihren Bestimmungsorten geschickt worden, was natürlich auch bedeutete, dass Taschengelder gestrichen wurden, oder manch einer vor Ort von erbosten Eltern an den Löffeln gezogen, abgeholt und nach Hause verfrachtet wurde.

Auch manche der Gruppenleiter wurden nicht verschont. (Das waren die, die aus welchen Gründen auch immer fies zu Kai waren. Oder ein Problem in ihm sahen.)

Der Lagerleiter dachte öfter einmal, dass es spukte, denn es gab manchmal nachts Geräusche, obwohl niemand da war, der sie verursachte. Zumal strenge Nachtwachen eingeteilt wurden, die darauf achten sollten, dass niemand das Bett verlässt.

Der ältere Mann stellte fest, dass einem der Kinder ständig schlecht war; der kleine Stille mit der Brille klagte oft über Kopf- und Bauchschmerzen. Der irgendwie eigenartige Junge war sehr unsportlich und war auch nicht wirklich für die Lagerspiele zu begeistern.

Außer für das Geländespiel, wo der Kleine seine Gruppe, die auf Abwegen geriet, durch seinen Orientierungssinn aus dem Wald führen konnte und mit ihnen trotzdem den dritten Platz gewann.

Nach dem Ferienlager verlief die warme Jahreszeit für Kai friedlicher.

Zeiten-Wende

Der Herbst 1989 kam und damit die Montagsdemonstrationen, von denen Kai relativ wenig mitbekam.

Die Wende ließ im November auch nicht lange auf sich warten; Tschüss DDR und Hallo BRD hieß es jetzt.

Das bedeutete auch: Macht’s gut, Planwirtschaft, Kombinate, Volkseigene Betriebe, NVA, Stasi, SED, Pioniere und FDJ, relative Sicherheit, ein sehr gutes soziales Netz und Gesundheitssystem und so weiter und so weiter.

Und zudem: Grüßt euch, Kohl, freie Wahlen und damit viele Parteien wie CDU, SPD, FDP, Bündnis 90, Grüne, PDS, REP und sonstige. Ebenso D-Mark, Konsum, Treuhand, Fernreisen, Meinungsfreiheit, Arbeitslosigkeit, Neue Bundesländer et cetera.

Jugendcliquen verschiedenster Gesinnung fingen an, überall ihr Unwesen zu treiben. Diese lungerten vermehrt auf Spielplätzen herum und terrorisierten Kleinere oder Schwächere. Oder sie knackten Autos oder fingen an zu sprayen oder Sachen wie Müllcontainer zu demolieren, weil die Polizei in der Zeit noch so gut wie nicht mehr vorhanden war.

Auch Betrüger und Ganoven, wie zum Beispiel Hütchenspieler, trieben sich die erste Zeit in der Stadt herum. Genauso Vertreter für Versicherungen, Staubsauger und dergleichen.

Ebenso Missionare für alle möglichen Religionen oder Sekten. Alle dieses Gelichter klingelte bei den – auf so etwas völlig unvorbereiteten – Leuten im Minuten- oder Stundentakt Sturm.

Die Briefkästen füllten sich mit Werbung sowohl politischer als auch religiöser Art, Reiseprospekten für Kaffeefahrten oder Busreisen, die nie stattfanden, Katalogen oder ähnlichem Scheiß. Manch einer bekam unfreiwillig stapelweise Wahlplakate im Paket zur Verteilung zugeschickt.

Ganz schön viel auf einmal für die Einwohner dieses kleinen Landes, welches so eben mal eingemeindet wurde von dem größeren Land, dessen Teil es aber eigentlich früher mal war.

Das war etwa so wie bei zwei siamesischen Zwillingen, die getrennt wurden, von denen der Größere den Kleineren mal eben auffraß, nachdem der Kleinere lange Zeit das Gegenteil des Größeren gemacht hatte.

Zwei Teile wurde so wieder eins. Nur eben nicht so, dass von beiden Seiten das Beste genommen wurde, um etwas Neues zu schaffen. Tja, Chance vertan.

Auch Kais Eltern zitterten um ihre Jobs, aber sie waren zum Glück jung genug und hatten die richtigen Ausbildung – die eine als Sachbearbeiter, der andere als Verwalter – gehabt, sodass sie direkt von den neuen Arbeitgebern übernommen wurden.

Bis auf den Systemwechsel von Sozialismus zur freien Marktwirtschaft, änderte sich wenig für Kai, außer, dass er seine Freizeit noch öfter so verbringen konnte, wie er wollte, ohne den Zwang einer Jugendorganisation, deren Mitgliedschaft inoffiziell Pflicht war.

Und dass es Dinge zu kaufen gab, die es so vorher nicht gab, wie Spielkonsolen zum Beispiel. Oder Comics verschiedener Art. Oder Musik von Gruppen, die vorher kaum Zutritt in diesem Land hatten oder sogar verboten waren. Eine Tatsache, die vor allem die Jugend oder die Junggebliebenen ansprach.

Weihnachten 1990 bekam er einen Gameboy, den ihm im Frühjahr ein älteres Mädchen aus der achten Klasse, welches so einer Art Clique angehörte, wegnahm.

Shynn klaute den jedoch wieder zurück und demolierte der Diebin zusätzlich einen Teil ihrer Zimmereinrichtung, was ihr auch ziemlichen Ärger gebracht hatte.

Zusätzlich zeigte er ihren Eltern, dass die Tochter anderen Kindern Sachen oder Geld abgezogen hatte.

Das Übliche eben. Genau wie die Kopfschmerzen, die ihm nach seinen nächtlichen Eskapaden immer wieder blühten.

In der fünften Klasse kam Kai auf das Gymnasium und musste die Schule dafür wechseln. Der Schulweg war länger. Aber die Gegend war trotzdem noch die Gleiche. Immer noch beschissen, oder noch schlimmer. Willkommen in der neuen Zeit.

Auf der neuen Schule hatte Kai die ersten beiden Jahre weniger Probleme gehabt, denn er schien langsam zu begreifen, wie die anderen Kinder tickten.

Wenn, gingen die meisten Schwierigkeiten von einem Jungen aus der Parallelklasse namens Silvio aus, der zwar klug war und dessen Eltern wohlhabend waren. Der trat allerdings so blasiert auf, dass die anderen Kinder den Jungen weniger leiden konnten als Kai und diesen deshalb in Ruhe ließen.

Außerdem war Kai der einzige, der mit den beiden Sitzenbleibern redete. Der eine hieß Kevin, sah nicht wirklich außergewöhnlich aus und war nur ein Jahr älter.

Der andere hieß Sebastian, hatte schon seine zweite Ehrenrunde in dieser Klasse, hatte einen brünetten Irokesenschnitt, eine mit Aufnähern versehene Jeansweste, abgerissene Hosen und schwarze Stiefel und er rebellierte gegen alles und jeden.

Kai hatte anfangs auch Angst vor ihm, aber in der ersten Zeichenstunde sollten sie ein riesiges Bild in Gruppen zeichnen und mit den beiden wollte niemand was zu tun haben, so blieb ihm nichts übrig, als sich zu ihnen zu setzen.

Der Große konnte besser zeichnen als manch anderer und so malten sie mit Kais neuen Stiften um die Wette.

Es entstand ein Gemeinschaftsbild von einer Welt mit schwebenden Inseln in den krassesten Farben. Und die drei Jungs bekamen dafür eine gute Zwei. Die Angst relativierte sich.

Leider hielt das den brünetten, nicht sehr ansehnlichen Silvio nicht davon ab, andere anzustacheln, Kai zu ärgern, da er selber kleiner war als dieser.

Aber einmal rief Sebastian seine Kumpels aus seiner früheren Klasse, die den Schnösel aus der Parallelklasse packten und ihm ein neues Zuhause in der Mülltonne vor der Turnhalle bescherten. Die ganze Klasse hatte sich kaputtgelacht.

Die ruhige Zeit währte nicht allzu lange, denn der Nachwuchspunk musste vom Gymnasium, weil seine Noten zu schlecht waren, als das ihm die Nachhilfe noch etwas nutzte und dessen Versetzung erneut gefährdet war. So verlor Kai eine Art Beschützer.

Das war abzusehen, denn der Stoff war mehr und intensiver, das schaffte der ältere Junge nicht und musste in die Mittelstufe wechseln. Auch Kevin wechselte aus demselben Grund, wie der andere Sitzenbleiber, so dass der Klasse nur noch vier Jungen blieben.

Silvio hingegen fand in der Zeit einen Freund namens Michael, groß, dick und kräftig mit schwarzen Haaren. Dieser trug meist ein Sweatshirt, aber wie Kai war er Brillenträger.

Micha wurde oft genug von seinem Freund angestachelt, Kai zu piesacken und ihn verbal zu attackieren, da Silvio ihm die Mülltonnenaktion übel nahm, trotz dessen, dass Kai die älteren Jungs nicht dazu aufgefordert hatte.

Diese Hänseleien waren allerdings nicht extrem genug, als dass sie Shynn auf den Plan riefen.

Ab der siebten Klasse stellte Kai wieder einmal fest, dass er in seiner Entwicklung mit den anderen nicht Schritt halten konnte. Aus seiner Sicht fingen die Mitschüler an, sich merkwürdig zu verhalten.

Sie spielten nicht mehr miteinander, sondern bildeten Grüppchen, standen nur irgendwo herum, redeten dummes Zeug und lachten darüber. Er hingegen konnte dieses Verhalten nicht nachvollziehen, geschweige denn, mit ihnen gleichziehen.

Er stellte zudem fest, dass er eine einzige Gemeinsamkeit mit den meisten anderen Jungs hatte: Er fing – neben seinen bisherigen kindlichen Interessen für Insekten und andere Tiere, lesen, zeichnen, zocken und mit Modellbausteinen zu bauen – an, sich auf einmal für Mädchen zu interessieren.

Zumindest rein äußerlich veränderten sich diese mehr als die Jungen. Hüften wurden breiter und rundeten sich, sie bekamen einen Busen und auch die Sachen, die sie trugen, saßen anders als früher, reizvoller, interessanter, man konnte eben nicht wegschauen.

Er hatte zwar schon seit zwei, drei Jahren einmal Regungen in der Hose, die sich nicht kontrollieren ließen, sie wurden jetzt noch schlimmer, intensiver und ergaben irgendwo auch mehr Sinn.

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