Kitabı oku: «Kunst des Lebens, Kunst des Sterbens», sayfa 8

Yazı tipi:

Eine klare, vor dem Tod schon kultivierte Richtung, wohin wir nach diesem Leben gehen wollen, ist wichtig. Anderenfalls sind wir wie Reisende auf einem Bahnhof, die vergessen haben, wohin sie fahren wollten. Sie werden folglich einem spontanen Einfall oder der Anregung eines Mitreisenden, sprich, sie werden ihren früheren Prägungen folgen, genau wie in einem nichtluziden Traum.

Longchen Rabjam lädt uns ein, nachdem er die idealen Umstände einer Eremitage inmitten der Natur beschrieben hat, wo unser Geist zur Ruhe kommen kann, zunächst die Wandlungen in unserer Umgebung zu beobachten und Anlass für weitere Realisationen der Vergänglichkeit werden zu lassen. Er schreibt: »Nachdem du dir deinen Sitz bereitet, ihn eingenommen hast und zur Ruhe gekommen bist, beobachte das Knospen, Blühen, Reifen, Welken, das Herabfallen und die Auflösung der Blätter der Bäume um dich herum, und realisiere, dass auch dein Körper, deine Jugend, die Sinne und alles Erworbene sich ständig ändern und hinfällig sind. Wie die Blätter sich trennen vom Baum, so werden auch deine Freunde, Feinde und dein Körper und alles, woran du hängst, unaufhaltsam von dir abfallen und verloren gehen. Siehst du ausgetrocknete Lotosteiche, so realisiere, dass alle Objekte des Begehrens, dass Reichtum und Wohlstand sich wandeln und alles, was angesammelt wurde, wieder zerstreut wird. Die Stunden, Tage, Monate und Jahreszeiten vergehen ohne Halt, und wie diese Frühlingsblumen, so vergeht auch dein blühender Körper. Ihre jugendliche Erscheinung verwelkt, und der Herr des Todes kommt bestimmt. Und so, wie reife Früchte herabfallen, so sterben Junge und Alte, wenn ihre Zeit gekommen ist. Der Zeitpunkt des Todes ist nicht sicher, doch sicher ist es, dass alles, was geboren wurde, sterben muss. Siehst du die Spiegelungen der Dinge auf einer ruhigen Wasserfläche, so realisiere, dass alle Phänomene zwar erscheinen und doch, wie diese Spiegelungen, keine greifbare Existenz, keine eigene Wirklichkeit besitzen.«


Wenn wir die Vorgänge und Wandlungen in den Erscheinungen der Natur beobachten, so wird uns dieses ständige Werden und Vergehen immer deutlicher erlebbar. Und wenn wir uns Zeit nehmen und ruhig und entspannt sitzend, achtsam, der Bewegungen unseres Atems, der Körperempfindungen, der Gefühle und des Fließens unserer Gedanken gewahr werden, erlangen wir eine unmittelbare Erkenntnis der Natur all dieser Phänomene. Durch reine, unvoreingenommene Beobachtung erkennen wir: Alles ist vergänglich. Das Panta rhei des Heraklit, das »Alles fließt«, ist ein einfaches Resümee dieser empirischen Beobachtung. Werden und Vergehen sind die Wellenbewegung dieses Stroms des Lebens. Eine Welle oder Erscheinung formt sich und sinkt wieder ins Formlose zurück. Das, was Form annimmt, ist Energie, der Atem des Lebens; und wenn sie sich auflöst, kehrt diese geformte Energie wieder zurück in das formlose Meer der Lebensenergie, in das, was die Alten mit »Chaos« meinten. Heutige Physiker nennen es das »Quantenfeld« oder die »Matrix«, und auch sie sagen, dass von dieser gesamten Energie des Universums nie etwas verloren geht. Jede Erscheinung ist ihnen eine Welle dieser Energie, die nur dann scheinbar Form annimmt, wenn sie in einem Bewusstsein erscheint. Unbeobachtet aber bleibt sie in ihrem formlosen, nicht wahrnehmbaren Zustand. Max Planck zog daraus den Schluss: »Es gibt keine Fakten, nur Interpretationen.« Mit anderen Worten: Alles erscheint so, wie es von einem spezifischen Bewusstsein und Sensorium aus wahrgenommen wird.


Diese neuesten Erkenntnisse der Quantenphysik stimmen in auffallender Weise mit dem überein, was buddhistische Texte bereits vor etwa zweitausend Jahren über das Wesen der Wirklichkeit aussagten. Im Herz-Sutra heißt es: »Form ist Leere, und Leere ist Form, mit Gefühl, Wahrnehmung, Willensregungen und Bewusstsein verhält es sich ebenso.« Es wird hier auch gelehrt, dass das eigentliche Wesen des Geistes und eines jeden Phänomens unerkennbar ist, nur die Wahrnehmung desselben ist erkennbar.

Zusammenfassend können wir sagen, dass ein Mensch, der jede Welle und Erfahrung gleichzeitig als reine, formlose Energie erkennt, ein ganzheitliches, der nichtdualen Wirklichkeit entsprechendes Verständnis besitzt. Und wer weder an Form und Idee noch an Formlosigkeit oder Leerheit haftet, der ist dieser Lehre nach wahrhaft frei.

Laotse formulierte dies im Taoteking wunderbar mit den Worten: »Verlieren und wieder verlieren – das ist der Weg des Tao.«

Niemand wird ernsthaft bezweifeln, dass alle Dinge und Bewusstseinszustände vergänglich und fließend sind, das ist die offensichtliche, für jeden nachprüfbare Natur aller Phänomene. Folglich befinde ich mich in Übereinstimmung mit der Natur, wenn ich an diesen nicht anhafte und sie nicht festzuhalten versuche. Wenn ich aber an ihnen zwanghaft anhafte, so wie wir es normalerweise gewohnt sind, so handle ich in unvernünftiger Weise gegen die Natur, und Disharmonie und Leiden sind die natürliche Folge. Wenn ich diesen Fehler in meinem Verhalten erkannt habe und mich von der Gewohnheitstendenz befreit habe, ihn zu wiederholen, ja, mich stattdessen daran gewöhnt habe, an nichts zu haften, so kann auch das damit verbundene Leiden enden.


Ein Zen-Schüler fragte: »Wie kann ich Buddhaschaft erlangen?«

Der Meister antwortete: »Folge dem Strom.«

Wenn wir also an Leben und Erlebtem nicht haftend, losgelöst von allen Formen und Gedanken, die hohe Kunst verstehen, dem Leben gleich, ständig fließend in nichts zu verweilen, erreichen wir frei von Fixierung höchste Lebendigkeit, Unsterblichkeit; und selbst formlos, sind wir dann frei, alle Formen spielend anzunehmen.

Das japanische Wort für einen Zen-Mönch ist Unsui – das heißt »Wolken und Wasser«. Wer es versteht, sich ganz zu lassen, dahinströmend wie Wasser und Wolken, der bleibt in der Wahrheit und im Fluss, und Glück und Heiterkeit strömen immer neu aus dem harmonischen Einklang mit dem ewig vergänglichen Wesen der Natur, und die fließende Welt des Samsara ist für diesen wahrhaft armen Menschen, für diesen ewigen Verlierer, so, wie sie ist, das zeitlose Nirvana des In-nichts-Verweilens.

Ein jeder Tag ist neu, ein jeder Augenblick ist neu und unter jedem Schritt weht eine frische Brise. Emaho! Wunderbar!

Buddha zu sein heißt, völlig vergänglich zu sein! Der Geist, der in nichts verweilt, weder in Leerheit noch in Form, weder im Leben noch im Tod, weder im Glück noch im Unglück, weder im Samsara noch im Nirvana – das ist der erlöste Buddha-Geist.

4

Wenn wir träumen, dass wir träumen, sind wir dem Erwachen nah

Wir sind aus solchem Stoff, wie Träume sind, und unser kleines Leben ist von einem Schlaf umringt.

William Shakespeare

Verehrung sei dir, der im Erwachen zur Wahrheit alle Erscheinungen als die eigene Maya erkennt.

Ashtavakragita

Die Umgebungen und ihre Bewohner, Buddhas und fühlende Wesen, die gesamte Welt der Erscheinungen sind vom Geist geschaffen, und sie sind eins mit dem Geist.

Kungyed Gyalpo Tantra

Gott ist alles, was wirklich ist, denn er selbst schafft alle Dinge und wird in ihnen allen erschaffen.

Scotus Eriugena

Nach der Lehre des Tibetischen Totenbuchs oder Bardo Thödröl Chenmo, »der Befreiung durch Hören im Bardo«, die ein integraler Teil der Lehren des Dzogpachenpo oder »der großen Vollendung« ist, sind alle fühlenden, mit Geist begabten Wesen im Universum seit dem Anfang ihrer Kette von Reinkarnationen an verblendet durch ihre eigene Vision, die nichts anderes ist als der spontane, ununterbrochene kreative Ausdruck ihrer eigenen Lebensenergie, welche die unzerstörbare Lichtessenz der fünf Elemente ist.

»Alle Wesen sind ihrer Natur nach frei und erleuchtet«, so rezitieren wir in der Bodhicitta-Praxis, in der wir täglich mit wenigen Worten unsere Motivation bekräftigen, zum Wohle aller Wesen Erleuchtung zu erlangen, »aber betäubt von Unwissenheit und geblendet von der überwältigenden Vielfalt ihrer eigenen Erfahrungen, halten sie ihren eigenen Traum für Wirklichkeit. Und alter Gewohnheit folgend, reagieren sie auf das Erlebte mit Verlangen, Aversion und Furcht. Umhergestoßen von den acht weltlichen Winden, dem Anhaften an angenehmer Erfahrung, an Besitz, Lob und Beachtetwerden und der Aversion gegen unangenehme Erfahrung, Verlust, Kritik und Nicht-beachtet-Werden, irren sie hilflos im Kreislauf der Wiedergeburten umher; und jede Erfahrung bringt weitere Verblendung und erneutes Leid mit sich, solange unser karmisch konditionierter Geist noch daran haftet.«

Tief eingefahren sind unsere Konditionierungen und Gewohnheitsmuster, und die Geschichte unserer Verblendung und unserer Fehlwahrnehmungen im nichtluziden Modus der Wahrnehmung ist offensichtlich lang. Die Spuren all dieser Erfahrungen sind tief in unser Unterbewusstsein abgesunken und werden, dem Oberbewusstsein normalerweise unerreichbar, dort bewahrt.


Wir brauchen die instinktiven, neurotischen und selbstreferenziellen Reaktionen auf unsere Wahrnehmungen nicht zu kultivieren, denn diese sind bereits automatisch und selbstaffirmierend geworden. Von selbst steigen dualistische, selbstische Gedanken in unserem Geistesstrom Tag und Nacht ständig und normalerweise unaufhaltsam auf.

Schwierig ist es also, sehr schwierig – und der Patriarch des Zen Bodhidharma sagte, es ist die schwierigste und höchste Aufgabe eines Menschen Erleuchtung –, völlige Luzidität zu erlangen und sich von der vertrauten, aber verkehrten Sichtweise des Egos und seinen unheilsamen, eingefahrenen Reaktionsmustern zu befreien.

Die heilsamen Eigenschaften des selbstlosen, großen Selbst – wie intuitive Weisheit, Offenheit, Mitgefühl, Gleichmut, Nichtanhaften und Friede des Geistes – können dann mehr und mehr hervorkommen; und sind die zwei Schleier, nämlich des konzeptuellen Denkens und der neurotischen Störgefühle, beseitigt, so kann sich unsere Buddha-Natur, das »höchste Gute«, das »Summum Bonum« oder »Samanta-Bhadra«, wie die Sonne, wenn sie hinter dichten Wolken hervorkommt, wieder in absichtslosen und selbstlosen Handlungen zum Wohl aller Wesen manifestieren.

In der luziden Wahrnehmung gibt es keinen Stand, kein Subjekt, und es gibt keinen Gegenstand, das heißt kein Objekt. Im Zustand höchster Luzidität sind wir alles selbst und haben keinerlei Zweifel daran – wir wissen, dass alles unser eigener Traum ist.

Der Verlust der Luzidität ist der eigentliche »Sündenfall«, der Fall in ein sonderndes, in ein aussonderndes, trennendes und dualistisches Erkennen, das in den Begriffen von »ich und das andere« empfindet und denkt. Ausgelöst wird der Verlust der Luzidität immer neu in der Begegnung mit der faszinierenden und überzeugend realistischen Vielfalt unserer »Erfahrungen« oder »Visionen«. In Dzogchen-Texten wird für diese beiden Begriffe das Wort »Nangba« verwendet, da alles, was der Geist erfährt, sein Traum oder seine Vision ist.

Wir fallen in einen nichtluziden Modus der Wahrnehmung in der Begegnung mit dem drachenhaft lebendigen Licht unseres eigenen Geistes, das sich spontan in unaufhaltsamen Visionen manifestiert, und wir sind verblendet, sind vollkommen fasziniert vom Anblick dieses Basilisken, wir erstarren beim Anblick dieser Medusa, und das sowohl im Traum wie auch im Wachzustand und im Postmortem. In der aus der Verblendung resultierenden Kontraktion vergessen wir uns selbst, sind irritiert und ruhen dann nicht mehr in leerem Gewahrsein. Simultan mit dem verlangenden oder aversiven Haften an unserer Erscheinung halten wir uns selbst für die Empfindung, wir identifizieren uns mit dem Gedanken, der in uns aufgrund der Verblendung als Reaktion entstanden ist. Wir vergessen den Gewahrseinsaspekt unseres Geistes und verlieren uns an den Aspekt seiner Erscheinung.

Aus subtilem und noch sporadischem Haften entstand grobes Haften und schließlich ein kontinuierliches Ergreifen und »Verbegrifflichen« des eigenen, leeren Gewahrseins und seiner ebenso leeren, spontanen Erscheinungen. Mit gravierenden Folgen für uns, denn schon das Gefühl, getrennt zu sein, ist Unsicherheit, Selbstentfremdung und ist Leid; und mit jedem weiteren dualistischen Gedanken wird diese Psychopathie weiter fortgesetzt und untermauert.

Das ist eine kurze Darstellung der Genese des nichtluziden Wahrnehmungsmodus und der damit verbundenen Fehlwahrnehmungen und Leiden in unserem Geist, wie sie das Dzogchen lehrt.

Nun sind wir unserer Art nach, die Dinge zu begreifen, versucht, die Erscheinungen unserer Krankheit, die Symptome unserer Störung festmachen und bekämpfen zu wollen und Unheilsames durch Heilsames zu ersetzen. Und das ist gut und förderlich. Leider aber beseitigt solche Tugend und Therapie allein noch nicht die zwei Hauptursachen unseres Verrücktseins, das ständige Nach-außen-Schauen und Projizieren und das andauernde Festhalten und »Verbegrifflichen« der eigenen Erfahrung.

Halten wir an einem Krankheitsbild oder Symptom und an seinem Gegenmittel wie gewohnt fest, so hat sich noch nichts Wesentliches an unserer Sichtweise geändert. Der Buddha rät uns stattdessen, alle Erscheinungen und Gedanken, auch die von Krankheit, nicht gedanklich zu verfestigen, sondern sie der natürlichen Selbstbefreiung zu überlassen. Besser ist es, die Grundursache selbst zu beseitigen, die am Anfang der Kette von Fehlwahrnehmungen steht, die der Buddha als die zwölf Glieder der Kette des abhängigen Entstehens beschrieben hat.

Das erste Glied der Verkettung ist der Verlust der Luzidität, das Einschlafen, die Trübung der »leeren Klarheit des eigenen Gewahrseins« oder sältong-rigpa und das gleichzeitig damit entstandene Ergreifen der eigenen Erfahrung. Dzogchen zeigt den unmittelbaren Weg zurück zum Urzustand vor dem Fall, indem es uns dazu auffordert, nicht mehr selbstverloren ständig auf unsere inneren und äußeren Erfahrungen zu schauen, sondern den Blick umzuwenden auf uns selbst und so den wirklichen Erkenner von allem, die Quelle aller Erscheinungen selbst zu erkennen, unser eigenes leeres Gewahrsein. Dieses Gewahrsein, frei von aller Form und Stofflichkeit, ist wie ein leerer Spiegel. Offen für alle Spiegelungen, ist er die Basis für alles Erkennen; und weder verweigert er sich einer Erfahrung, noch folgt er ihr und hält sie fest. Unzerstörbar leer und wach ist diese Natur unseres Geistes, frei von Geburt und Tod. Sie ist frei von allen Erscheinungen. Denn nichts, keine einzige der unzähligen Reflexionen bleibt in diesem Spiegel haften, und immer offen und klar ist sie, immer frei für alle Erscheinungen, immer offen für das absichtslose Spiel des Geistes, für die Wunder der Wahrnehmung und Erkenntnis, die unaufhörlich in ihr entstehen und in ihr, in ihrer Leerheit und Einheit mit sich selbst aufgehoben sind.

Der Weg zur Erleuchtung beginnt also mit dieser wesentlichen Umkehr der Aufmerksamkeit. Bleiben aber unsere Aufmerksamkeit und unser Forschen nach außen gerichtet, so mögen sie zwar unendliche, faszinierende Phänomene finden und entdecken, und diesem Spiel der Imagination sind wie im Traum keine Grenzen gesetzt, aber den Schöpfer von allem, die Basis all unseres Erkennens, in der alles lebt und webt, wird dabei weiter übersehen. Er ist der Eckstein, die Basis vom Gebäude der Welt, der von den Bauleuten verworfen und vergessen wurde.

Wer den Blick nach innen wendet auf den eigenen Geist, der kann den Anfang und das Ende der Welt erkennen, ohne das eigene Haus zu verlassen, und er wird »den schauen, den noch kein Auge geschaut hat« – den »König des Gewahrseins«, rigpai gyalpo, in seinem eigenen Herzen thronend in einer Aureole von fünffarbigem Licht.

In den Dzogchen-Texten finden sich detaillierte Belehrungen dazu, wie der Ur-Buddha Samantabhadra und die »friedvollen und zorn­vollen Gottheiten« bereits jetzt in den feinstofflichen Kanälen und Chakras unseres Energiekörpers oder unserer Aura gegenwärtig sind. Der Weg zum völligen Erwachen beginnt also im Buddhismus generell gesprochen damit, auf den erkennenden Geist selbst zurückzublicken und sein Wesen unmittelbar zu erkennen.

Durch die Kultivierung von Geistesruhe und Achtsamkeit in unseren Meditationssitzungen gewöhnen wir uns daran, im Augenblick zu leben und die eigenen geistigen Prozesse, Gedanken, Gefühle, instinktiven Reaktionen und Gewohnheitsmuster zu beobachten, ohne zu urteilen und ohne sie konzeptuell zu analysieren. Was auch in unserem Gewahrsein erscheint – es ist weder nötig, ihm zu folgen und sich damit zu identifizieren; noch ist es erforderlich, es zu kontrollieren oder zu verdrängen. Es genügt völlig, einfach präsent zu bleiben, und das von selbst Erschienene wird sich auch von selbst wieder auflösen, seien es nun Gedanken oder Emotionen. Auf die Selbstbefreiung aller Gedanken ist Verlass. Wir können wirklich darauf vertrauen, denn es gibt nichts Verlässlicheres als die Vergänglichkeit dieser Erscheinungen des Geistes. Sie kann in jedem Augenblick beobachtet und verifiziert werden.

In diesem Sinne sagte der Zen-Meister Dogen: »Die Lehre des ­Buddha zu studieren bedeutet, sich selbst zu studieren.«

Im Samyuttanikaya lehrte der Buddha: »Was ist denn, ihr Mönche, das All? Es ist das Auge und die Formen, es ist die Nase und die Gerüche, ist die Zunge und die Geschmäcker, ist der Körper und die Empfindungen und ist das Denkbewusstsein und seine Objekte, die Gedanken.«

Erst im Spiegel eines Gewahrseins wird die Welt erlebbar; und weil dies so ist, liegt es an uns, ob wir das Erlebte ergreifen oder seiner selbstbefreiten Natur überlassen.

Im Angutaranikaya sagte er: »Ich verkündige, dass in diesem ein paar Ellen großen Körper mit seinen Wahrnehmungen und seinem Denken das Universum gegenwärtig ist, die Entstehung des Universums, das Vergehen des Universums und der Weg zur Aufhebung und Erlösung des Universums.«

Wer all seine Erfahrungen mit ruhigem und klarem Gewahrsein beobachtet, erfährt immer deutlicher deren vergängliche und traumhafte Natur, und diese Erkenntnis macht uns schließlich frei und ledig von uns selbst und frei vom Glauben an die eigenständige Wirklichkeit der Dinge.


Im Diamantsutra lehrt der Buddha, dass wir uns, um zu erwachen, in der Prajna-Paramita, der übersinnlichen Weisheit, üben sollten, die alle Erscheinungen als Illusion erkennt, und er erklärt deren Wesen anhand von Gleichnissen: »Der illusionäre Charakter aller Wahrnehmungen gleicht einem Traum, er gleicht einer Luftspiegelung in der Wüste, einer Halluzination, einem Echo, er gleicht der Spiegelung des Mondes im Wasser, gleicht einem Trugbild, erzeugt von der hypnotischen Suggestion eines Magiers, und er gleicht einem Regenbogen.«

Alle Erscheinungen sind, wie an jedem einzelnen Gleichnis verständlich wird, zwar ohne Zweifel erfahrbar, aber gleichzeitig haben sie keinen Bestand, und man kann sie nicht festhalten, denn sie sind alle ihrer Natur nach vergänglich, fließend, ungreifbar und leer.

Durch die direkte, nichturteilende Beobachtung der uns umgebenden Natur und unseres Körpers, unseres Atems und der ständigen Veränderungen in unserem Geist werden wir der vergänglichen Natur all dieser Phänomene gewahr, und nach und nach verstehen wir, was damit gemeint ist, dass sie alle wie die Erfahrungen in einem Traum sind – nämlich erfahrbar, faszinierend und doch unfassbar, unbeständig, leer und in Wahrheit nicht von uns getrennt. Wir kommen durch dieses Exerzitium zu einer Gewissheit, dass sie zwar erscheinen, aber doch leer sind, und dass sie, obwohl leer und nichtig, doch erscheinen.

Wenn wir realisiert haben, dass alle Erfahrungen der Traum unseres Geistes sind, gewinnen wir damit eine Luzidität, die uns, wenn wir uns weiter im »Erkennen des Wesens der Illusion« üben, schließlich zu völliger Erleuchtung führen wird.


Im Lankavatara-Sutra heißt es: »Wenn wir verstanden haben, was mit der Anhaftung an der vorgestellten Existenz aller Dinge und was mit der Losgelöstheit davon gemeint ist, so werden wir all unsere durch Worte geschaffenen Unterscheidungen von Sein und Nichtsein überschreiten. Im Erwachen zur Wahrheit alle Dinge als Traum erkennend, sind wir ein Buddha, umgeben von seinem reinen Land.«

Nun wird niemand bezweifeln, was den Traumzustand betrifft, dass der Träumende und sein Traum ganz innig verbunden, ja eins und untrennbar sind, und so stellte auch der Dichter und Philosoph Novalis (1772 bis 1801) in einem seiner wunderbaren Aphorismen lakonisch fest: »Im Traume sind wir alles selbst.«

Alles, was wir im Traum denken und empfinden – das Gefühl, ein wahrnehmendes Subjekt oder Ich zu sein, das ein bestimmtes Etwas oder ein Objekt erfährt –, die Bilder, die wir im Traum sehen, schön und hässlich, Begehren oder furchterregend: Sie alle entstehen in uns selbst, und auch unsere Reaktionen auf das imaginär Erlebte, Anhaftung oder Aversion existieren nur in unsrem eigenen Geist.

Leben und Tod, Selbst und Welt und ihr Zunichtewerden klaffen nur in Worten scheinbar auseinander – denn alles, was der Geist erfahren kann, hat der Lehre des Buddha nach keine andere Wirklichkeit als die eines Traums; und wie dieser ist auch alles andere Wahrnehmbare Selbsterfahrung, Selbsterscheinung des Geistes.

Geboren werden und aufwachsen, alt werden und schließlich sterben und der Zustand frei vom physischen Körper nach dem Tod, all diese Erfahrungen werden nur vom Geist wahrgenommen und sind nur der eigene Geist, und dieser selbst, die wahre Natur unseres Geistes, wurde nie geboren und wird nie sterben. Er ist seiner Natur nach leer, ist reine, formlose Energie und die unzerstörbare, immaterielle Basis allen Erkennens. Alle Erfahrungen des Geistes wie alle Erscheinungen der Natur sind vergänglich, sind ebenfalls leer, sind selbst befreit.

Wenn es uns gelingt, den Traum des Lebens und Sterbens als Traum zu erkennen und zu meistern, werden wir frei von unangemessenen, emotionalen Reaktionen auf das Geträumte wie Begehren, Aversion und Furcht, die nur entstehen konnten, weil uns nicht mehr bewusst war, dass wir träumen.


Ein Zen-Meister des 12. Jahrhunderts wurde gefragt: »Was ist Erleuchtung?«

Er antwortete: »Erleuchtung ist das klare Erkennen der Täuschung.«

Ein Buddha, das heißt ein völlig erwachtes Wesen, erkennt in jedem Augenblick das Wesen und die Beschaffenheit aller ihm spontan erscheinenden Erfahrungen oder Visionen und erkennt sie als untrennbar von sich selbst und damit als eigentlich, das heißt in sich selbst, unerkennbar, leer und ohne eigene Wirklichkeit.

Für all jene Wesen jedoch, die unbewusst unterscheidend oder bewusst in dualistischen Begriffen denkend an ihrer eigenen Vision noch haften oder diese fliehen oder verabscheuen, ist der Traum, den sie gerade in dieser Welt und anderen Bereichen träumen, echte, spürbare, erlittene und genossene, ersehnte Wirklichkeit, und der Schmerz ist für den Träumenden leider so wahr wie die erlebte Freude.

All unsere Gedanken, Handlungen und Erfahrungen, insofern sie sich einprägen und im Unterbewusstsein gespeichert werden, ­beeinflussen in der relativen Wirklichkeit des Traums wiederum die zukünftige Art unserer Erfahrung und Lebensumstände und unsere emotionale und gedankliche Reaktion auf diese. Unsere Träume entstehen aus den Spuren unserer früheren Erlebnisse und daraus, wie wir auf sie reagieren – das, was wir jetzt tun und denken, prägt ebenso unser zukünftiges Traumerleben. Unheilsame, trennende Gedanken erzeugen, obwohl völlig imaginär und nur eingebildet, leidvolle Erfahrungen und Visionen. Heilsame, liebevolle Gedanken, ebenso imaginär, führen zu glücklichen Erfahrungen und Lebensumständen in unserem weiteren Erleben. Wer dies weiß, wird achtsam in seinem Traum; und darauf achtend, was er denkt und wie er handelt, wird er zum Lehrling und irgendwann zum Meister in der Kunst des Lebens, oder sollten wir besser sagen des Träumens? Denn Leben, Sterben und das Postmortem sind trotz ihrer scheinbaren Verschiedenheiten alle gleichermaßen ihrer Natur nach Traum und Illusion.

Der Wachzustand, der Traumzustand und die Jenseitserfahrung sind die visionäre Selbsterfahrung des Geistes, und in allen unterscheidet der verblendete Geist instinktiv zwischen Subjekt und Objekt; und die im nichtluziden Zustand erfahrenen Bewusstseinszustände und Visionen sind in allen gleichermaßen von Unwissenheit und folglich von dualistischen Gedanken und widerstreitenden Emotionen geprägt.


Ein anderer Aphorismus Novalis’, der auch als Vorlage für die Überschrift dieses Kapitels dient, lautet: »Wir sind dem Aufwachen nah, wenn wir träumen, dass wir träumen.« Er stellt diese einfache Beobachtung, dieses Faktum menschlicher Traumerfahrung, einfach so hin, und doch klingt auch die Verheißung eines großen, völligen Erwachens deutlich in diesen wenigen, einfachen Worten an. Wenn uns im Traum bewusst wird, dass wir träumen – zum Beispiel anlässlich eines Falltraums –, erwachen wir meist kurz danach, oder wir erfahren eine Phase luziden Träumens. Das hat jeder schon einmal erlebt, doch für die meisten von uns, die sich nicht in Traum-Yoga geübt haben, ist es ein ganz besonderer Zustand und ein seltenes Ereignis. Viele Menschen sagen auch, sie haben noch nie einen Klartraum gehabt, einige wenige berichten bei Befragungen, dass sie ihn des Öfteren erfahren. Glücklicherweise lässt sich Luzidität im Traum durch systematische Übung kultivieren. Die ausführlichen Instruktionen hierzu werden im tibetischen Traumyoga gelehrt, und ihre Umsetzung in der »Praxis der Nacht« bildet die wesentliche Vorbereitung und Grundlage für ein Erlangen der Luzidität im Bardo der Nachtodvisionen. Um nach und nach im Wachen und Schlafen zu einer kontinuierlicheren Luzidität zu kommen und auch in Bewegung und Tätigkeit immer wieder luzide zu werden, empfiehlt es sich, über längere Zeit »die Übung der Selbsterinnerung« zu kultivieren, indem wir uns immer wieder während des Wachzustands und während des Traum­erlebens in der Nacht fragen: »Wer ist es, der das alles träumt?« Wenn wir uns mithilfe dieser Frage immer wieder selbst erwecken, werden wir sowohl die selbstlose Leerheit der Erscheinungen als auch die selbstlose Leerheit unseres Geistes erkennen. Beide sind, wie wir schon vernommen haben, untrennbar.

Es versteht sich von selbst, dass jede konzeptuelle Antwort auf diese Frage verkehrt ist, da alle Konzepte ja nur Teil des Traums sind. Wir sollten deshalb für ihre Beantwortung nicht den Verstand verwenden. Unser innerstes Wesen wird darauf antworten und sich offenbaren.

Der »Sündenfall« als der Lapsus in den Modus dualistischer Wahrnehmung ist nicht nur am »Anfang der Zeiten« geschehen, er geschieht in jedem Augenblick, wenn wir das unmittelbar Erlebte wieder konzeptualisieren und verfestigen. Immer wenn wir bemerken, dass wir die Luzidität eingebüßt und uns wieder in Gedanken verloren haben, bringt uns diese Fragestellung direkt in unsere Mitte und in das Hier und Jetzt zurück und erinnert uns, dass alles Erleben des Geistes Traum ist. Das in der Frage implizierte wortlos ahnende Erinnern der absoluten, unbegreiflichen Natur unseres Gewahrseins befreit uns im selben Augenblick von der Bezauberung durch die eigenen Wahrnehmungen und Visionen und kann, wenn diese Rückbesinnung nicht mehr vergessen wird, seine Reife in völliger Gewissheit und kontinuierlicher Luzidität erlangen.

Wenn es uns schließlich gelungen ist, vollkommene Erleuchtung und damit kontinuierliche Luzidität zu erlangen, ist alle Ignoranz in uns gereinigt; und von allen Störgefühlen befreit, endet das traumhafte Karma unbewusst-instinktiven Reagierens und Handelns und damit jegliches Leid. Und die göttlichen Qualitäten von Friede, Liebe, Weisheit, Mitgefühl und Gleichmut können sich ungehindert und spontan offenbaren.

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
590 s. 18 illüstrasyon
ISBN:
9783867813464
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre