Kitabı oku: «Feuer in der Prärie!», sayfa 2

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Noch immer durchforschten beide, Still und Freeman, das Gesicht des jeweils anderen und stießen dort auf die disziplinierte Kälte unterdrückter Erinnerung.

Still war Hauptmann und Wundarztassistent. Seine Einheit aus Freiwilligen, wenngleich nur Begegnungen mit ähnlich kleinen Truppen gewohnt, bedrängte erfolgreich die Übermacht des unmittelbar vor ihr stehenden Feindes, fand sich jedoch im Eifer des Gefechts plötzlich jenseits der Frontlinien der sich zurückziehenden Konföderierten wieder – abgeschnitten von der Union Force.

Der Kampf tobte heftig, aber Drew – so hieß Still zu Hause – und sein Maultier tricksten die Kugeln aus. Einige Patronen durchlöcherten zwar Stills Mantel, er selbst blieb jedoch unverletzt. Doch dann, war es nun Rücksichtnahme, Zufall oder Ungeschick, erschoss der Gegner statt Drew dessen Maultier, das im Niederfallen aber seinen Besitzer unter sich begrub. Verkrampft und benommen vor Schmerz lag Drew eine Weile reglos. Im wurde klar, dass er sich nicht mehr verteidigen konnte. Die Kameraden hatten ihn als vermeintlich Toten zurückgelassen – und nun erwartete ihn wohl der Tod. Nur nicht bewegen jetzt! Das war seine einzige Chance, Klinge oder Kugel des Feindes zu entgehen. Langsam glitt sein Geist aus diesem Zustand von Schock und verzweifeltem Zaudern in zeitlose Bewusstlosigkeit hinüber.

»Alles wird gut, komm einfach nur nach Hause …«, flüsterte eine sanfte Stimme in die Stille seiner Seele.

»Mary?«

Der Geist seiner verstorbenen Frau schien ihn zu trösten.

Drew, immer noch betäubt und reglos in der hereinbrechenden Dämmerung liegend, fragte sich, warum. Die knatternden Schüsse und der Gestank von Schießpulver, Dreck, Schweiß und Blut durchdrangen seine Sinne in einem Wirbel eingetrübten Bewusstseins. Das enorme Gewicht des Maultiers drückte ihn zu Boden, während ein heißes Brennen wie Feuer sein rechtes Bein hinunterkroch. Als der Kugelhagel ein wenig nachließ, begann er, sich zu sammeln.

»Bin ich erschossen worden? Wer hat gesiegt?«, fragte er sich. Doch es wurde ihm klar, dass es, solange er lag, keine sicheren Antworten gab.

Drückende Stille hatte sich über die Lichtung gebreitet. »Drew, steh auf, rette dich! Du hast noch einiges zu vollbringen.« Wieder weckte eine vertraute Stimme den todesmüden Mann, doch als er sich umschaute, sah er niemanden. War es wirklich seine Frau, die da sprach? Seine liebe, verstorbene? War es Mary? Aber nein, natürlich nicht! Hatte ihn die Todesangst verrückt werden lassen? Und doch: Die Stimme schien so klar, so nah. Während Drew weiter lauschte, öffnete sich sein Blick und ließ das grauenvolle Bild ein, das sich ihm ringsum bot. Sterbende, wohin man auch sah. Ihr Ächzen und Stöhnen ersetzte nun das Pfeifen und Knattern der Gewehrsalven. Allmählich wich der Schlachtenrauch dem milden Dunst der Dämmerung. Die Nacht zog herauf. Ihr Atem machte Drew seine missliche Lage bewusst und weckte seinen Überlebenswillen. Höchste Zeit, zu handeln! Er vernahm die Stimme seines Vaters: »Du musst dich jetzt um dich selbst kümmern, mein Junge.« Zum Glück war Drew auf dem schlammigen Feld unter der weichen Flanke des Maultiers eingeklemmt und konnte so nach langem Bemühen erst seine Schultern und dann Brust, Becken und Beine unter dem erschlafften Tier hervorziehen.

Als er sich mühsam hochrappelte, wurde er seiner Verletzungen gewahr. Glücklicherweise hatte er nur Prellungen und keine Knochenbrüche oder Schusswunden erlitten. Ein dumpfer Schmerz in der Leistengegend sollte sich allerdings später als schwerer Leistenbruch herausstellen, der ihn für den Rest seines Lebens quälen würde. Zwar hatte seine Truppe Price zum Rückzug gebracht, doch hüben und drüben hatten viele ihren Einsatz mit einem hohen Preis bezahlen müssen und waren nicht wie er glücklich mit einem zerschossenen Mantel davongekommen. Unter den Nachbarn, die Drew auf beiden Seiten der Front wiedererkannte, war jedenfalls keiner, dem seine Hilfe noch etwas genützt hätte.

Es war weniger Zeit verstrichen, als er gedachte hatte. Seine Männer erwarteten einen Befehl. Er rief nach dem Trompeter, um die Truppen in geschlossene Reihen zu sammeln, bestieg eines der erbeuteten Pferde und folgte mit seinen Leuten der zurückweichenden feindlichen Armee, ohne jedoch einen erneuten Angriff zu forcieren. Am folgenden Morgen setzten sie die Verfolgung fort und es kam über den Tag hinweg zu kleineren Scharmützeln. Schließlich ließ man den Feind entkommen.

Als Freeman nun auf dem Untersuchungstisch des Krankenhauses saß, musste auch er an diesen Tag denken. Er und seine Nachbarn hatten mit Quantrell und den Konföderierten sympathisiert. Die meisten waren gen Westen in Richtung Freiheit gezogen, eine Freiheit, die ihnen von den Gründervätern des Landes versprochen worden war. Doch die Regierung im Osten schien gespalten zu sein. Teilweise traten die Argumente für eine Unterdrückung der Schwarzen vor staatsrechtlichen Belangen in den Hintergrund. In Illinois rief Stephen Douglas: »Lasst das Volk entscheiden!« Und nirgends war die Spannungen in Bezug auf das Thema Sklaverei stärker zu spüren als in Kansas. Sklavereigegner wurden als Fanatiker betrachtet, als eine Bedrohung etablierter Zustände, die es zu verteidigen galt, und ihr Feuer ließ sich durch nichts anderes löschen als durch Pulver und Blei.

John Freeman spann seinen Gedankenfaden weiter, während Stills Blick und der seine nach wie vor ineinanderruhten. An jenem Tag im Mai hatten Freeman und zwei seiner Brüder unter Quantrell in einer Division der Armee von General Shelby und Price in Westport auf der Missouri-Seite gekämpft und waren auf beachtlichen Widerstand seitens der Union und der gemischten Bürgerwehr gestoßen. Am Nachmittag hatten sie beschlossen, dem Feind zunächst auszuweichen und ihn dann an der Kampflinie zwischen Westport und Little Blue Creek aus einem Erlendickicht heraus zu attackieren.

Zeitweise hatte er in den feindlichen Reihen sogar Nachbarn erkennen können, die im Grunde ebenso für Freiheit fochten wie sie selbst. Alle kämpften sie gleichermaßen um ihr Leben und feuerten im Eifer des Gefechts einfach drauflos. Dann, plötzlich, hatte er die berittene Gestalt von Drew Still, dem anerkannten Arzt aus Baldwin, im Visier. Der überraschende Anblick bracht in ins Schwanken. Schießen oder nicht? Verwirrt zögerte er mit dem Finger am Abzug, ohne wirklich zu zielen. Dann hörte er doch seinen Schuss krachen und sah Maultier und Reiter fallen. Alles geschah blitzschnell. Durch den Gewehrrauch blies irgendwann die Trompete zum Rückzug und sie zogen mit der Armee von General Price weiter Richtung Osten. Noch lange nach Kriegsende quälten ihn Gedanken über die Folgen jenes Schusses. Irgendwie brachte ihm dieser Vorfall immer wieder das ganze Grauen des Krieges zu Bewusstsein und störte seinen Schlaf.

Freeman brach als Erster die Stille im Untersuchungsraum.

»Doktor, Major, Sir, ich war an jenem Tag ein schlechter Schütze. Ich zielte auf einen Mann und erlegte ein Maultier.«

»Ich verstehe«, entgegnete Still, der jetzt zu Boden sah, mit tief tönender, ernster Stimme. Nun wurde klar, weshalb der Patient so zurückhaltend gewesen war. Nach einer langen Pause hob der Doktor erneut den Blick. »Das waren schlimme Zeiten. Bruder gegen Bruder, Nachbar gegen Nachbar. Aber aus irgendwelchen höheren Gründen hat es wohl so sein müssen. Wir alle haben getan, was wir tun mussten. Hinter Ihrer mangelnden Zielgenauigkeit in jenem Moment steckte vermutlich eine höhere Absicht, meinen Sie nicht auch? Lassen Sie uns nun Ihr Bein ansehen.«

Still begann, Oberschenkel und Bein seines Patienten zu betrachten, dann piekte er, befühlte die Oberfläche, und bewegte das Glied hin und her. Während er arbeitete sagte er »Ich glaube, ich kann mich an ein paar Freemans in der Gegend um Brycyrus erinnern. Gehören die zu Ihrer Familie?«

»Ja Sir, das sind wir.«

»Sagen Sie, was macht Ihr Bruder, Charles?«

»Meine beiden Brüder wurden im Krieg getötet.«

»Und wie geht es Ihrer Frau?«

»Sie ist auch gestorben. An Meningitis.«

Still nahm nachdenklich Anteil »Ja, ich verlor 1859 meine Frau – zwei Monate nach der Geburt unseres letzten Kindes. Die Meningitis nahm uns damals alle Kinder bis auf eines. Das Leben in der Prärie kann sehr hart sein, nicht wahr? Aber wir müssen weitermachen.«

Ein wissendes, mitfühlendes Schweigen erfüllte den Raum.

»Nun gehen Sie bitte ein wenig umher; ich glaube, ich kann sehen, womit wir bei Ihnen anfangen. Sie wissen, dass das schon viele Jahre da ist; dennoch sehe ich etwas, woran wir arbeiten können.«

Während der Doktor das Bein und die Hüfte des Patienten in verschiedene Positionen bewegte, fuhr er fort »Wo wohnen Sie denn? Ich sage, dass es gewöhnlich eine Woche Behandlung braucht, um ein Jahr der Erkrankung aufzuholen. In Ihrem Falle können wir aber sicher schneller Erfolge erzielen, weil Sie in ziemlich guter Verfassung sind. Sie werden dreimal wöchentlich behandelt, entweder von einem Mitarbeiter oder von mir selbst. Alle sind Absolventen meiner Schule und hervorragende Behandler.

Sie können in die Schule hinübergehen, wenn sie möchten. In den Pensionen gibt es Badezimmer, natürlich mit heißem Wasser und gutem Essen. Wenn Sie über die Konditionen reden möchten, sprechen Sie mit meinem Sohn Charles. Die Schwester, die Sie begleitet hat, gibt Ihnen eine Übersicht der Bestimmungen dieses Krankenhauses. Doch das Wichtigste ist: Versuchen Sie, Ihre Fragen im Sprechzimmer zu klären. Sollten wir uns in der Stadt über den Weg laufen, kennen wir uns nicht. Da jeder anders ist, sprechen Sie bitte nicht mit anderen Patienten über Ihre Behandlung. Jeder Mann und jede Frau befindet sich auf einem eigenen Weg. Verstehen Sie? Haben Sie noch Fragen?«

»Nein, Major, Doktor, die ›Sprech‹-Stunde hat mir sehr geholfen; die Wunde beginnt bereits zu verheilen.«

Die beiden Männer sahen sich in die Augen und umarmten sich.

»Denken Sie daran, John«, sagte Still in seinem leisen, sanften, ernsten Tonfall, »die Vergangenheit ist das eine; im Hier und Jetzt und im Jenseits werden wir immer Brüder sein. Nur der Allmächtige weiß, warum diese Dinge auf der Erde geschehen. Ich hege keinerlei Groll.«

Dr. Still ging zur Tür, Freeman wandte sich um, um sich anzuziehen, doch als er Still nachschaute, bemerkte er dessen Gehstock.

Der »Alte Doktor« fuhr damit fort, eine Reihe von Patienten zu untersuchen, die ihm wahlweise von seinen Mitarbeitern in der Schule gesandt worden waren. Schließlich, nach getaner Arbeit, ging Still über die Veranda hinaus in die späte Morgensonne. Er setzte sich auf eine Bank in der Nähe und rief sich – immer noch in Gedanken an die Konversation mit John Freeman – den Ausgang der Schlacht am Little Blue ins Gedächtnis.

Nachdem sie sich wieder gesammelt hatte, ritt die von ihm aufgestellte Kompanie der sich zurückziehenden feindlichen Armee hinterher. Doch sie griffen nicht an. Am nächsten Tag setzten sie die Verfolgungsjagd fort, um Land zurückzugewinnen und Abstand zwischen die Streitmacht der Konföderierten und die Siedlungen in Kansas zu bringen. Dann brachen sie die Verfolgung ab. Den Nachzüglern der Konföderierten wurde erlaubt, ihre Toten zu begraben. Dabei kamen 140 Konföderierte unter die Friedensfahne.

»Hunger?«, witzelte Still, als die Männer mit vorgehaltener Waffe zu ihm gebracht wurden.

»Fast nichts mehr da, Major«, antwortete ein Sprecher der rauen Truppe.

»Hört zu«, sagte Still ernst vom Rücken eines Pferdes herunter, »und unterbrecht mich nicht. Der Krieg ist etwas Schreckliches. Was uns treibt, ist teils die Loyalität unserer Familie gegenüber und die Vorstellung, dass die Dinge schon seit wir denken können so waren, und teils der Hunger und das Bestreben, denen zu folgen, die unser politisches Geschehen lenken. In jedem Falle ist es nicht unser innigstes Ziel, unseren Bruder zu töten oder unseren Nachbarn. Und doch tun wir es, verblendet von diesen anderen Gegebenheiten. Ich weiß, dass ihr Konföderierten eine Menge Brüder unserer Union umgebracht habt, obgleich sie die weiße Flagge gehisst hatten. Macht es Spaß, auf diese Weise zu töten?

Mit diesem Gedanken im Hinterkopf wollte ich euch heute erschießen, als ich euch kommen sah, und vielleicht sollte ich es auch tun … euch mit Kaffee und warmem Essen erschießen, um euren Kummer in Freude zu wandeln. Nun verschwindet und schleppt eure schmutzigen Gerippe zum Versorgungslager und langt tüchtig zu.«

Zusammengezogene Augenbrauen machten in den Gesichtern der verzweifelten Männer erleichtertem Lächeln Platz.

Am nächsten Tag folgten sie den Truppen von Price und sahen die Staubwolke ostwärts ziehen. Sie verfolgten sie etwa 90 Meilen bis über die Grenze zwischen Missouri und Kansas.

Bald erhielt Still den Befehl, die auf Zeit verpflichteten Freiwilligen unabhängig von ihrem Zustand aus seiner Kompanie zu entlassen und sie zu ihrer wohlverdienten Pause nach Hause zu schicken, damit sie wieder zu ihren Familien kämen. An der Grenze tobte der Krieg und die Verhältnisse waren schrecklich. Die Belastung für die Familien war auch ohne Krieg schon enorm. Vorwärtsgetrieben ohne Atempause, mit der Gefahr von Desertion und Demoralisierung im Nacken, wurden die Soldaten zu jener harten Bande geschmiedet, die sie nun eben waren. Mochte auch die eine Seite für die Union kämpfen: Beide Seiten fochten doch für das gleiche Ziel – Freiheit!

Drew setzte den Entlassungsbefehl um – allerdings in seiner ganz typischen Art. Er versammelte die Kompanie und forderte sie heraus:

»Ich möchte wie gesagt nicht, dass irgendeiner von euch den anstrengenden Marsch, der vor uns liegt, auf sich nimmt und sich weiter in diesen schrecklichen Konflikt begibt, wenn er dem nicht gewachsen ist. Sollte irgendjemand zu krank, zu zaghaft oder zu schwach sein, sich uns anzuschließen oder sich aus irgendeinem anderen Grunde nicht in der Lage fühlen, die Härte und die Gefahr zu ertragen, muss er nicht mitkommen. Aber all jene, die sich bereit erklären, mit mir durch jede Strapaze oder Gefahr zu gehen, treten sechs Schritte vor.

Na, wie viele von euch folgen mir? Wie viele haben den Ehrgeiz, die Entschlossenheit, die Sache durchzuziehen?«

Darauf folgte ein Moment der Stille und der Besinnung. Viele neigten ihre Köpfe und durchforschten ihre Seelen. Bilder von ihren Familien stiegen in ihnen auf, die Angst vor erneuter Verwundung und Erschöpfung, Hunger – das Grausen vor weiterem Töten – viele schreckten davor zurück.

»Wie viele? Sechs Schritte vortreten!«

Stille, Zögern, dann trat der Erste vor, weitere folgten. Alles in allem trat ein Drittel der Männer vor.

ABB. 04: MARY VAUGHN, CA. 1855

»Sehr gut, Jungs. Doch wir haben andere Befehle. Wir alle gehen nach Hause!« Still brach in ein schallendes Gelächter aus, das sich schnell durch die Truppe fortsetzte. Freudige Gewehrsalven wurden abgegeben, Hüte in die Luft geschleudert, Pferde wieherten.

Hauptmann Brandon an Stills Seite bemerkte: »Gut gemacht, Major!«, und ritt davon. Still zügelte sein unruhiges Reittier und schaute einen Moment den wegziehenden Männern gedankenverloren hinterher. Dann lenkte er sein Ross durch ein sanftes Ziehen westwärts.

Derlei Erinnerungen strömten auf Still ein, während er nun hier in Kirksville saß und die frühe Maisonne genoss. Dankbar dachte er an die Stimme, die ihn damals zurück ins Bewusstsein gebracht hatte. »Danke, Mary, dass du an jenem Tag für mich da gewesen bist. Danke, dass du heute für mich da bist.« Das Leben ist so vollkommen und so eigenartig, dachte Still. Nach all der Zeit – man schrieb mittlerweile das Jahr 1899 – und trotz seiner glücklichen zweiten Ehe mit Mary Turner schien seine erste Frau Mary Vaughn immer noch eine Seelenverwandte und tägliche Begleiterin für ihn zu sein. Er sprach oft mit ihr und es schien ihm ganz natürlich.

Ein goldener Morgen

Die Strahlen der sommerlichen Morgensonne ergossen sich durch das Blattwerk. Obwohl dem jungen Drew Still, jetzt sieben, der Weg durch die Wälder Virginias bekannt war, erschien er ihm an diesem Morgen unwirklich. Ein zäher, kühler Dunst zerstreute das Licht und verlieh der Waldluft eine köstliche Frische. Alles schien wie verzaubert. Der Junge blieb verwundert von der stillen Schönheit des Ganzen stehen. Welch großartiges Werk eines allwissenden und freigebigen Schöpfers! Als er sich auf den Weg durch die Schlucht zu einem Bach machte, der unter der Steinbrücke hindurchfloss – ein Pfad, den er mit seinen Brüdern Edward und James schon oft gegangen war – fühlte sich dieser Ort ganz anders an. Ein seltsames Gefühl. Angst überkam ihn, eine dunkle Vorahnung. Lauerte etwas auf ihn? Eine reale Angst – in dieser Gegend gab es Bären und Luchse, sogar Pumas. Doch irgendetwas zog ihn weiter.

Ebenso gefährlich waren Begegnungen mit den kriegerisch Gesinnten unter den Ureinwohnern des Landes. Die Familie Still und ihre Nachbarn rund um Jonesville teilten sich die Wälder mit den Cherokee-Indianern. Auf den Spuren der Entdecker »Long Hunter«, Daniel Boone, Bigfoot Spencer und anderer hatte man 1775 begonnen, eine Straße durch die Wildnis in Richtung Westen zu bauen. Das Heimatland der Indianer erwies sich als ideales Farmland für die Weißen. Die Gemeinde rund um Jonesville erfuhr die meisten Neuigkeiten von denen, die diese Strecke bereisten und hier eine Rast einlegten, um für ihre Weiterreise nach Cumberland Gap ihre Vorräte aufzustocken. Nach den 40 Jahre zurückliegenden Kriegen hatte seitens der Ureinwohner eine gewisse Toleranz geherrscht, doch seit der Verabschiedung des Indianer-Umsiedlungsgesetzes von 1830 wuchs ihre Unruhe. Was später »der Pfad der Tränen« genannt werden sollte, war zwar immanent, aber dennoch nicht voraussehbar.

Doch ein 7-Jähriger lässt sich von solchen Überlegungen der Erwachsenen nicht abschrecken. Die von jener Schönheit und Stille geweckte Neugierde und Begeisterung trieben Drew an. Normalerweise wurden Ausflüge in die Wälder geplant und von ihm in Begleitung eines Familienangehörigen unternommen. Doch an diesem Morgen war er spontan aufgebrochen. Er wollte weitergehen und entdecken. Seine Füße bewegten sich vorsichtig, die Augen und Ohren nahmen alles ringsum wahr. Während er den gut ausgetretenen Pfad entlanglief, strichen seine Finger über weiche Blätter. Steinchen rieselten durch das Laub auf seine Schultern herab und verrieten die Anwesenheit eines Grauhörnchens, das flink über das Ende eines schmalen Astes huschte, den Zweig mit seinem Schwanz umschlingend und nach reifen Walnüssen suchend. Drew konnte das Ingweraroma der zerbrochenen Schalen riechen. Das leichte Rascheln der Blätter dort oben verriet die Position des pelzigen Gesellen. Hätte er sein Gewehr dabeigehabt, wäre das Tierchen wohl auf dem Mittagstisch gelandet. Drew bewegte sich und das trockene, goldene Laub der Walnussbäume knisterte unter seinen Schuhen. Das Hörnchen erschrak und sprang auf einen höheren, sicheren Ast. Es stieß einen Warnruf aus und die Antwort seiner Kameraden lenkte den Jungen ab, als sie über die Lichtung huschten. Dann war alles wieder still.

Ganz einfache Dinge schienen an diesem Morgen wundersam. Das Hörnchen hatte einen Schwanz; wie praktisch. Drew war neidisch. Es war schwierig auf Bäume zu klettern. Das Hörnchen war klar im Vorteil. Der Eichelhäher hat Flügel. Der kleine Drew, ein geschickter Jäger, hatte jedes dieser Geschöpfe schon einmal fachmännisch zerlegt und dabei seine individuelle Anatomie erforscht. So unterschiedlich sie lebten, so starben sie. Fell oder Gefieder – absolut verschieden. Die Knochen einigermaßen ähnlich, doch offensichtlich auf ihre Anforderungen angepasst. Jedes schien die unterschiedlichen Launen ein und desselben Schöpfergeistes widerzuspiegeln. Wie weise.

Drew erreichte den Bach und hielt an der steilen Böschung inne. Sein Ziel war der geheime Treffpunkt auf dem Felsvorsprung unterhalb der natürlichen Brücke. Er folgte dem Bachlauf, der leise vor sich hin plätscherte durch die Felsen in den grünen Tunnel aus Unterholz. Da vorne lag das erweiterte Flussbett und hinter ihm das Naturwunder der steinernen Brücke. Drew setzte sich auf einen moosbewachsenen Stein am Flussufer, genoss die Kühle und den wiederkehrenden Ruf der Walddrossel in der Ferne. Er stocherte mit einem Stock in der spiegelnden Wasseroberfläche des Bassins, drehte kleine Steine auf dem Grund des Baches herum und scheuchte einen Krebs, der sich durch Schwanzschläge fortbewegte, von einem Versteck ins nächste. In der tiefen Stille des Morgens warfen die Wände des Tales das Echo der rollenden Steine und des aufspritzenden Wassers zurück.

Schließlich erreichte er die Brücke, einen natürlichen Tunnel aus Kalkstein, und setzte sich in den Schatten der Felshöhle. Spuren durchgesickerten Grundwassers hinterließen sonderbare Muster im Felsen und gaben ihm einen Einblick in den unterirdischen Teil der Welt. Seine Brüder und er pflegten sich Abenteuergeschichten zu erzählen von indianischen Heldentaten, Früchte ihrer lebhaften Vorstellungskraft, wenn sie in ihrem Versteck oberhalb des Flusses zusammensaßen. Über diesem Platz schwang ein Geheimnis.

An jenem Morgen konnte er, in seine Träumereien versunken, schon bald nicht mehr Äußeres und Inneres unterscheiden und die Sonnenwärme vermischte sich mit der Wärme ehrfürchtiger Bewunderung in seiner Brust. Er begann ein Zwiegespräch, in dem er dem Schöpfergeist für all diese Gaben, diese Welt, sich selbst und seine Familie dankte.

Drew stand auf und lief ein Stück weit den Pfad hinunter, der eine Biegung über den felsigen Bergrücken machte und schließlich zurück zur Farm führte. Während er tiefer in den Wald hineinging, dachte er über sein Leben nach; die häufige Abwesenheit seines Vaters, der sich »dem heiligen Wort« verpflichtet hatte, Begegnungen mit den Ureinwohnern, in der Schule die Probleme mit Professor »Prügelberg«. Ja, das Leben war hart. Zu Hause hatte Drew seine eigenen Verpflichtungen: Umgraben, Hühnerfüttern, Pferdestriegeln. Indem er sich ins Zeug warf wie die Hörnchen, half er seinen Leuten, sich auf den Winter vorzubereiten.

Ihm fiel wieder ein, dass die Erwachsenen in seiner Familie und in der Nachbarschaft immer häufiger vom Weiterziehen sprachen und fragte sich, wie lange diese Wälder wohl noch sein Zuhause bleiben würden. Das ausgedehnte Tal zwischen den Bergen bildete in dieser Region zwar eine weite Ebene, doch der dünne Erdboden durch den der Kalkstein zu Tage trat, war nur schwer zu bestellen. Seine eigenen Eltern hatten bereits erwogen, nach Missouri zu ziehen oder sonst irgendwohin, jedenfalls weiter westlich. Er dachte über das Land dort nach. Würde es dort auch Eichhörnchen geben, Hasen, Truthähne und Rehe? Drew fühlte sich in dieser Welt von Virginia sehr wohl, in der Natur, so wie sie zu ihm sprach über die Ordnung und Schönheit und über die liebevolle göttliche Weisheit. Hier kannte er sich aus, fühlte sich daheim und mit allem verbunden. Und die Natur versprach, ihn noch mehr zu lehren.

Für heute beendete er seinen Rundgang, kletterte den Bergrücken hinauf, verließ den Wald und betrat die Lichtung, wo die elterliche Farm stand.

»Pa!!«

Zu Drews Überraschung kam Abraham Still eben in leichtem Galopp um den Hügel in Richtung Haus geritten.

»Du bist eine Woche zu früh! Oh Pa, ich freue mich so sehr, dich zu sehen.«

Ma ließ ihre Wäsche in den Bottich auf der Veranda fallen und lief ihrem Mann entgegen. Abraham stieg ab und band sein Pferd fest. Er überreichte Drew die Zügel, umarmte seine Frau und tätschelte den jüngeren Kindern den Kopf.

»Habt ihr euch alle gut benommen und eurer Mutter geholfen? Mary, waren sie dir in der Küche eine gute Hilfe? James, ist der Hof in Ordnung? Du und dieser Ort seid jedenfalls ein Lichtblick für schmerzende Augen. Die Straße nimmt einen Mann ganz schön mit, seinen Verstand, weißt Du. Man weiß ja auch nie, was einem der Tag und die Meilen so bringen werden. Wie auch immer: Die Leute waren gütig und mir geht’s gut. Drew, was hast du so angestellt? Hast du die Hühner vor dem Wiesel beschützt? Hast du deinen Brüdern geholfen, das Getreide zu ernten?«

»Sieht alles gut aus, Pa. Nur eine Henne verloren, und das wegen der Tyrannen in der Schar, sie haben auf sie eingehackt, wie sie das eben so tun. Das Wiesel hat aber nicht ein einziges gekriegt. Wir hatten genug Eier zu verkaufen und ganze vier Dollar verdient.«

»Der Herr war uns in diesem Jahr mit der Farm gnädig. Und er war für mich in diesem Jahr auf der Straße ein Schutz vor den Heiden und dem Wetter. Lobet den Herrn! Gibt es denn hier etwas zu essen für einen hungrigen Mann?«

»Komm herein Pa und ich mache dir ein schönes Abendbrot«, bot Martha an.

»Gerne, meine Liebe. Ich habe einen Bärenhunger.«

Als die Dämmerung die Ecken des Zimmers verdunkelte und die Lampen angezündet wurden, versammelte sich die Familie um Pa, um seinen Abenteuern auf der Straße zu lauschen. Drew hatte sich an die Ellbogen seines Vaters gehängt und wartete darauf, dass dieser zu erzählen anfing. Er wusste, dass er ihn nicht drängen durfte. Abgesehen von der Erschöpfung, musste sich sein Vater auch erst in seinem Kopf zurechtlegen, was er ihnen mitteilen wollte und wie. Drew wusste, dass sein Vater manches für sich behielt, um seiner Familie Sorgen zu ersparen. Sie alle konnten das spüren.

»Dieses Mal, das muss ich wirklich zugeben, hatte ich ganz schön Angst. Eines Abends, es war schon spät, hatte ich das Pferd überredet, den Fluss zu durchqueren, damit ich auf der anderen Seite mein Lager aufschlagen konnte. Hinterher waren wir beide nass und erschöpft. Ich habe ein Feuer gemacht und auf einmal heulte ein Wolf. Normalerweise gibt es ja in der Gegend keine, wie ihr wisst.«

Drews Augen wurden größer und seine ungeteilte Aufmerksamkeit war auf jedes Wort seines Vaters gerichtet. Abraham fuhr fort.

»Ich war beunruhigt, ja ich hatte Angst, und doch war ich voller Vertrauen. Nun, Wölfe mögen kein Feuer. Also entfachte und versorgte ich gleichzeitig vier Feuer, um einen Schutzkreis um mich zu bilden. Dazu begann ich »On Jordon’s Bank« zu singen, so laut ich eben konnte. Klar, dass es eine lange Nacht wurde. Ich wartete darauf, zu erfahren, wer hartnäckiger war: Ich oder die Biester. Sie sangen, aber ich sang lauter. Und bevor mir die Puste ausging, sandte mir der liebe Gott den Morgen. Ich ritt ein paar Stunden weiter und konnte schließlich bei alten Freunden ein wenig Schlaf nachholen.«

»Oh Pa, solche Sachen ertrag ich nicht«, weinte Mutter halb im Ernst, »erspare uns die Details!«

»Na ja«, fuhr Abraham fort, »die Jungs sollen die Realität des Glaubens lernen – nicht aus Büchern, nicht mal allein aus der Heiligen Schrift. Sie müssen lernen, dass der Glaube etwas ist, das man zum Leben braucht. Er erfüllt dich, überwältigt dich.«

Er richtete seinen Blick auf Andrew. »Drew, ein Mann muss seine Überzeugungen leben. Anders geht es nicht. Das Leben ist zu kurz.« Er hielt für einen Moment gedankenverloren inne.

»Mir ist klar, dass einige der Leute hier im Umkreis sich wünschten, mein Predigen hätte bald ein Ende. Ich weiß, dass euch das alles sehr belastet. Ich weiß das, aber es ist etwas, das ich tun muss, eine Berufung. Da ist eine glühende Stimme in mir, die sich nicht beruhigen lässt. Sie sagt, dass die Welt, wie wir sie sehen, dieses Leben in Mühsal und Sorge, nicht alles ist, wofür wir bestimmt sind. Da ist mehr, da gibt es Hoffnung, es gibt ein Jenseits und unser Heiland zeigt uns den Weg. Er hat ihn mir gezeigt, klar und deutlich, und er drängt mich, dies auch den anderen mitzuteilen. Außerdem kann ich beim Reiten ein wenig Linderung in Körper und Seele bringen, so wie John Wesley1 es vorgeschlagen hatte.«

Pa fuhr fort: »Ein Mann kann seine innere Stimme ignorieren, aber dann stirbt er vor seiner Zeit als lebendes Gespenst. Viele hören diese Stimme niemals. Sie werden dennoch geboren und leben ein oberflächliches Leben. Drew, wir haben nicht alle denselben Weg, doch du musst deiner inneren Stimme folgen. Die Wahrheit ist zu kostbar, um sie zu ignorieren. Diese Stimme und die Gnade, die in ihr liegt, ist für einen Mann das, was der Regen für das Getreide ist. Sie erhält uns, das ist Leben. Gefahr, Mühsal bedeuten nichts angesichts der Verpflichtung, der inneren Stimme zu folgen.«

Abraham legte seinen Arm um seinen jungen Sohn. Drew senkte verlegen den Kopf.

Der Vater fuhr fort: »Ich sehe dich in den Wäldern und auf den Feldern. Ein Teil deines Verstandes beobachtet ständig und fragt nach dem Wie und Warum der Dinge. Du liest die Natur, liest sie wie ein Buch. Das wird dir von Nutzen sein. Ein Mann muss die Weisheit des Schöpfers in der Natur erkennen. In den Flüssen und Wäldern und Bergen. Und seinen Platz finden. Wenn du dir selber und deiner inneren Stimme treu bleibst, wird es dir gut ergehen. Du wirst etwas erreichen und eine Hilfe für andere sein. Ich weiß, das wird sich bewahrheiten. Ma, danke, das Abendessen war mal wieder königlich.«

»Das habe ich mehr als gerne für dich getan. Ich freue mich, dass es dir geschmeckt hat.«

Martha legte ihre Arme um den Hals ihres Mannes.

»Du weißt, du bist mein Prinz, doch ich sorge mich um dich.«

Pa küsste seine Frau auf die Wange, bevor er das Thema wechselte: »Eigentlich wollte ich es erst später anbringen, aber ich sag’s doch lieber gleich, dann hab ich es vom Herzen. Wie ihr wisst, hat die Kirche in Erwägung gezogen, eine Schule zu eröffnen, eine besser geeignete Schule, in New Market, Tennessee. Holton Seminary wollen sie sie, glaub ich, nennen. Der Vorstand des Kirchenrats fragt, ob ich im Gründungskomitee mitarbeiten würde. Ich überlege es ernsthaft. Wenn ich mich dafür entscheide, heißt das zwar Umzug, aber auch eine bessere Ausbildung für die Kinder und vielleicht nicht so lange Wege für mein Pferd und mich. Ich würde mehr zu Hause sein.«

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