Kitabı oku: «Thriller Spannung 2021: 13 Urlaubs-Krimis auf 1527 Seiten», sayfa 20
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Dienstag, 17. Juni

Die Couch war verdammt unbequem, Rudi spürte schmerzhaft alle Knochen, als Julia mit ihrem Handy am Ohr ins Wohnzimmer kam. Sie bemerkte seinen empörten Blick und verteidigte sich: „Ich muss mich doch in der Schule abmelden.“
„Du redest nicht mit Timo?“
„Nein, der ist für mich gestorben.“
Das konnte man, musste man aber nicht glauben.
*

Isa hatte den Tag bereits verplant, wie sie beim Frühstück verkündete. „Julia und ich schauen uns das Haus der Geschichte an. Und du, lieber Rudi, darfst dir Rainer Hilgenrath vorknöpfen. Er hat sein Büro auf dem Bonner Talweg, nicht weit von der Einmündung der Weberstraße.“
„Und was soll ich bei ihm?“
„Das bleibt ganz dir überlassen.“
Julia kicherte. Timo Reufels schien schon graue Vorzeit zu sein. Sie fuhren zu dritt mit dem Bus in die Stadt. Was nutzten zwei fahrbereite Autos, wenn man am Zielort keinen Parkplatz fand?
*

Rudi hatte keine Mühe, Hilgenraths Büro zu finden. Viel mühsamer war, eine Ausrede zu erfinden, was er von ihm eigentlich wollte. Hilgenrath öffnete selbst die Bürotür und schien ihn zu erkennen oder zu verwechseln.
„Was kann ich für Sie tun, Herr Gerber?“
„Ich müsste mit allen Mitarbeitern - früheren oder noch aktiven - Mitarbeitern der Firma Utom sprechen.“
„Verraten Sie mir auch, warum?“
Nun war Improvisation gefragt: „Nach dem Tod von Tomasio Lucano steht nun auch Ullrich Schiefer vor Gericht. Unter diesen Umständen spricht viel dafür, die Firma so schnell wie möglich zu verkaufen.“ Das hatte Hilgenrath auch schon überlegt. „Aber dazu müssten wir von allen Mitarbeitern hören, was bei ihnen an Aufträgen noch läuft und welche Ansprüche sie an die Firma stellen.“
Hilgenrath, wie immer in letzter Zeit knapp bei Kasse, hörte die Münzen klingeln. „Einer sitzt vor dir“, sagte er deswegen rasch.
Rudi kramte seinen Merkblock hervor. „Und weshalb hast du noch Ansprüche an die Firma?“
„Kollaus Büro hat doch über Rundbrief nach dem sandfarbenen Corsa mit der Wiesbadener Nummer gefragt.“ Das wusste Rudi noch nicht, konnte es sich aber nach der Warnung Fichtes gut vorstellen. Deshalb verzog er keine Miene und schaute unverändert auffordernd drein. „Ich hab' den Karren auf der Poppelsdorfer Allee zufällig gesehen und das sofort an Kollau gemailt.“
„Alles klar. Dafür steht dir noch ein Honorar zu, ich werde dafür sorgen.“ Die Lücken schlossen sich. Kollau hatte sicherlich nicht auf eigene Faust gearbeitet, er musste nur noch den Namen es Auftraggebers ausspucken, den Rest konnte Fichte sicherlich organisieren.
„Danke, ich bin übrigens der letzte frühere Utom-Mitarbeiter in Bonn und Umgebung.“
„Danke für deine Auskünfte.“
Rudi stellte sich erst in einen Hauseingang, bevor er mit Hauptkommissar Schneider telefonierte. „Ich habe vielleicht was für Sie.“
„Dann lassen Sie mal hören.“
„Diese Schläger und Überwacher werden von einer Art Agentur in Frankfurt gesteuert. Der Chef heißt Kollau.“
„Danke, das ist sehr hilfreich.“
Unmittelbar danach wurde Rudi von Isa angerufen. „Bei uns wird es etwas später, mach dir' keine Sorgen. Wir fahren noch nach Königswinter.“
„Wozu denn das?“
„Julia erklimmt mit mir den Drachenfels.“
„Da kann man auch hochfahren.“
„Das wissen wir längst. Julia ist ein moderner Teenager mit einem modernen Handy.“
*

Rudi vertrödelte den Nachmittag auf dem Sofa. Morgen würde unter Umständen ein harter Tag werden, vor dem er etwas Fracksausen hatte. Bis jetzt war ja alles gut gegangen, aber das war leider keine Garantie, dass es so blieb. Bevor die Damen von ihrer Höhen-Expedition zurückkamen, tankte er den Leihwagen auf, kontrollierte den Reifendruck und packte seine wenigen Klamotten. Julia würde mit ihnen die Wohnung verlassen und versprach hoch und heilig, mit dem Bus zum Bahnhof Bonn zu fahren und einen Zug nach Essen zu nehmen, sich wieder um ihre Schule und Karriere zu kümmern und Timo nicht anzurufen. Rudi hatte in dem Punkt so seine Zweifel. Alle drei luden ihre Handys auf und gingen früh zu Bett. Der Wetterbericht im Fernsehen versprach einen trockenen Tag mit mäßigen Temperaturen. Paul Fichte meldete, dass er seine Hausaufgaben für morgen gemacht habe und ihnen die Daumen drücke.
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Mittwoch, 18. Juni

Sie kamen pünktlich los. Isa hatte auf Wunsch Rudis neue Jeans und ein elegantes Shirt angezogen. Der Firmen-Overall musste sich leicht darüber anziehen und ausziehen lassen. Die Autobahn lief sehr ordentlich, der Verkehrsfunk meldete keine Staus oder Sperrungen oder Unglücke auf der 61. Rudi fuhr zügig, aber vorsichtig und riskierte nichts. Sie erreichten Wiesbaden früher als berechnet und bogen gegen 10 Uhr 15 in die Röderstraße ein, die für längere Zeit gesperrt gewesen war. Meister Hugo Klimmt hatte die Zeit genutzt, seinem Geschäft eine neue Fassade zu spendieren und auf seinem Hof hinter dem Vorderhaus ausreichend Platz für seine Firmenkombis zu schaffen.
Rudi machte es kurz: „Das ist Isa, und das ist Hugo.“
„Freute mich.“
„Vielen Dank für Ihre Hilfe.“ Sie verschwanden beide im Haus. Dort gab es Toiletten und einen Waschraum für Frauen. Der Overall lag schon bereit und passte Isa wie angegossen. Die Haare unter der Firmenmütze versteckt und eine perfekte Klempnergesellin erschien auf dem Hof und setzte sich in einen der Kombis, den ein echter Angestellter Klimmts steuerte. Zehn Minuten später setzte sich der Pulk in Bewegung und erreichte wenige Minuten vor elf das Landgericht. Die echten Klempner und die falsche Klempnerin sprangen heraus und stürmten in das Gebäude. Der Justizangestellte in seinem gläsernen Halbrund schaute alarmiert hoch, ließ sich aber täuschen. Wenn Klempner ein öffentliches Gebäude im Laufschritt betraten, war irgendwo große Not am Mann, erst recht in einem Gerichtsgebäude, wo viele die Hosen gestrichen voll hatten und das Geschäft Hugo Klimmt hatte erstens einen guten Ruf und war zweitens auch bei der Justizverwaltung bekannt. Eine Hand ergriff Isa Arm und zog sie die Treppe in den ersten Stock mit hoch. Vor einer halb geöffneten Tür wartete Paul Fichte und winkte Isa herein. Sie schlüpfte aus dem Overall, warf die Mütze dazu und setzte sich eine Minute vor elf auf die Bank neben der Saaltür 15 und atmete schon wieder normal, als ein Lautsprecher knackte: „Die Zeugin Isa Vandenburg bitte in den Saal 15.“
Sie stand auf, die Tür wurde von innen geöffnet.
*

Der Auftritt der Klempner-Brigade war nicht unbemerkt geblieben. Der Chef mit dem auffälligen Ohrverband, Muno und Lupo saßen in einem Kleintransporter auf der anderen Straßenseite und behielten den Haupteingang des Gerichtes im Auge.
„Mein Gott, da muss einer aber die Hosen voll haben“, spottete Lupo und Muno nahm das Gewehr in die Hand und versenkte die Scheibe.
„Waffe weg!“, zischte der Chef. „Bist du verrückt geworden? Hier wimmelt es von Bullen in Zivil, die Pistole unter der Jacke auf dem Rücken im Gürtel. Willst du alle Klempner erschießen, du Dummkopf?“
Muno legte das Gewehr gekränkt zurück.
Der Chef schüttelte den Kopf. Ihr Auftrag war erledigt. Sie hatten Isa Vandenburg daran hindern sollen, ihrer Ladung auf Mittwoch, 18. Uhr 11 Uhr im Landgericht Wiesbaden zu folgen, Und das war Ihnen doch auch gelungen.
*

Isa blieb unsicher an der Tür stehen, bis der Mann in der Mitte der Richter sie fragte: „Sind Sie Frau Vandenburg?“
„Ja.“
„Dann kommen Sie bitte nach vorn. Wenn Sie mögen, können Sie sich auf den Stuhl dort setzen.“
Die üblichen Belehrungen über Vereidigung und uneidliche Falschaussagen ließ sie noch im Stehen unbewegt über sich ergehen.
Erst danach ging Isa nach vorn und setzte sich.
„Frau Vandenburg, sagen Sie bitte dem Gericht, wann und wo Sie geboren sind?“
„Am 26. Januar 1977 in Mainz.“
„Sie wohnen heute in Schlangenbad?“
„Ja.“
„Was machen Sie beruflich?“
„Ich bin Sekretärin bei einem der Eigentümer der Firma Utom.“
„Bei dem Angeklagten?“
„Ja, bei Ullrich Schiefer.“
„Das Gericht würde gerne wissen, unter welchen Umständen Sie Ullrich Schiefer kennengelernt haben.“
„Ich studierte in München. Und weil das Geld, das mir meine Eltern monatlich gegeben haben, vorn und hinten nicht reichte, habe ich nebenbei gejobbt. Unter anderem als Aushilfskellnerin beim Oktoberfest. Dabei habe ich die Freunde Tomasio Lucano und Ullrich Schiefer kennen gelernt. Tom, also Lucano, hat sofort angefangen, mir den Hof zu machen. Er war der Sohn italienischer Gastarbeiter, in München geboren und aufgewachsen.“
„Wie weit ging dieses 'Hof machen'?“
„Bis in die Geburtsabteilung des Klinikums Großhadern.“
„Was war es denn?“
Isa hatte ihre Befangenheit abgeschüttelt. „Von jedem etwas, ein Zwillingspärchen, Herr Vorsitzender.“
Der Vorsitzende lachte. „Sie haben nicht geheiratet?“
„Nein. Seine Eltern waren strikt dagegen. Eine blonde Deutsche und dazu noch evangelisch, obwohl in einer Erzbischofsstadt geboren, das konnten und wollten sie nicht akzeptieren. Tom hat mir versprochen, für die Kinder zu sorgen, was er übrigens bis zu seinem Tod auch getan, mich aber nach der Geburt der Zwillinge sofort verlassen hat. Ich habe ihn dann zufällig in Frankfurt im Bahnhof wieder getroffen, und als er hörte, wie mies es mir ging, hat er mir einen Vorschlag gemacht. Er habe mit seinem Freund Ullrich Schiefer, den ich ja auch kennen würde, eine Import- und Exportfirma gegründet; und Ullrich suche nun eine Sekretärin, die später mal eine Art Assistentin werden solle. Ich habe den Job dankbar angenommen.“
„Das war wann, Frau Zeugin?“
„1998.“
„Da waren Schiefer und Lucano noch gut befreundet?“
Sie räusperte sich und hoffte, dass Schiefer jetzt gut zuhörte, wenn sie versuchte, ihm eine Brücke zu bauen: „Ja, die ganze Zeit über. Die Spannungen haben erst vor eineinhalb Jahren begonnen.“
„Wissen Sie, was diese Spannungen ausgelöst hat?
„Nein. Wissen kann man das nicht nennen. Ich habe nur eine Vermutung.“
„Schildern Sie diese Vermutung bitte dem Gericht.“
„Ich vermute, Tom wollte das Geschäft ausweiten und dafür einen dritten Partner hereinnehmen. Schiefer war mit dem jetzigen Zustand zufrieden und wollte keine Kompetenzen an einen weiteren Teilhaber abgeben.“
„Ein weiterer Partner hätte doch bestimmt frisches Kapital mit gebracht?“
„Ja, anzunehmen.“
„War Utom denn in finanziellen Nöten? Brauchte die Firma frisches Geld?“
„Meines Wissens – nein.“
„Merkwürdig. Dann wenden wir uns mal dem 25. September zu, also dem Tag, an dem Schiefer den Auftrag gegeben haben soll, seinen Freund und Partner Tomasio Lucano umzubringen. Sie können sich an den Tag noch erinnern?“
„Aber ja.“
„Dann erzählen Sie bitte mal in Ihren Worten, was passiert ist.“
„Schiefer und Lucano waren zu mir in mein Haus in Schlangenbad gekommen. Ich hatte sie zum Essen eingeladen, zu frischen Reibekuchen mit Räucherlachs, Salat und einem mexikanischen Bier, das sie beide gerne tranken.“ Sie seufzte laut. „Manchmal auch zuviel davon.
Das Essen verlief auch ganz friedlich, beide haben reingehauen, als hätten sie seit Wochen gehungert. Ich musste in die Küche gehen und Nachschub backen. Als ich in die Küche ging, hörte ich Toms Handy bimmeln.“
Weil der Vorsitzende was sagen wollte, fügte sie rasch hinzu: „Nein, ich weiß nicht, wer da angerufen hat, und habe auch nicht verstanden, was Tom gesagt hat. Vielleicht zehn Minuten später bin ich mit einer Ladung frischer Reibekuchen ins Esszimmer zurückgekommen, da war die Stimmung schon umgeschlagen. Ullrich Schiefer brummelte vor sich hin, und Tom Lucano sagte gar nichts mehr.“
„Befand sich zu der Zeit Boris Stepkow im Haus?“
„Ja. Die beiden Männer wollten ihn nicht mit am Tisch haben, deswegen bekam Boris seine Portion in der Küche. Tom ging eine Viertelstunde später, um nach Frankfurt in seine Wohnung zu fahren. Ich bin in mein Arbeitszimmer gegangen, das neben dem Esszimmer liegt und habe mir Notizen gemacht. In der Phase der noch guten Stimmung hatten Tom und Ullrich geschäftliche Dinge besprochen und einige Entscheidungen getroffen, die habe ich mir nebenan als eine Art Gedächtnisprotokoll aufgeschrieben.“
„Und dabei stand die Tür zum Esszimmer offen?“, warf Staatsanwalt Lederer ein.
„Nicht weit offen, wegen des Essensgeruchs nicht, sondern nur angelehnt. Nebenan saßen Ullrich und Stepkow und tranken Bier und unterhielten sich. Schiefer war wütend, dieser Lucano sei doch ein Vollidiot. Der bringe uns alle noch ins Grab. Den Lebensmüden müssen wir unbedingt bremsen.“ 'Wie meinen Sie das, Chef?' hat Stepkow gefragt. 'Am besten wäre er tot, und je rascher, desto besser. Tu mir einen Gefallen, Boris, und leg' ihn um'. Stepkow war einen Moment verblüfft und hat dann gefragt: 'Ist das ein Auftrag, Chef?' Schiefer hat geknurrt: „Ja, Boris, das ist ein Auftrag, ich zahle auch gut.' Boris ist aufgestanden und hat sich erkundigt: 'Wann? Sofort?'“ Lederer kritzelte etwas auf einen Block und schob den Zettel seiner Kollegin Sturm zu, die neben ihm saß. Sie las die Notiz, nickte und steckte den Zettel in ihre Tasche.
„'Das wäre am besten', hat Ullrich geantwortet. Boris ist dann gegangen.“
„Ja. Und wie ging es weiter?“
„Anschließend ist Schiefer in mein Arbeitszimmer gekommen und hat mich gefragt 'Na, hast du gut zugehört?'“
„Das habe ich bejaht und ihm vorgeworfen, er sei ja wohl verrückt geworden. Der beschränkte Boris würde das doch ernst nehmen und auf Tom losgehen.“
„Schiefer meinte, das sei ja auch ernst gemeint. Entweder Tom oder wir. Ich hätte ja keine Ahnung, mit wem sich Tom eingelassen habe.“
„Moment, bitte, Frau Zeugin. Ich habe etwas nicht verstanden. Wieso hat Schiefer zu Ihnen gesagt: 'Entweder er oder wir? Wer ist wir?'“
Isa schnaufte aufgebracht: „Schiefer, ich und meine beiden Kinder.“
„Schiefers Kinder? Stammen sie von ihm?“
„Nein, von Tomasio Lucano.“
„Von Schiefer haben Sie kein Kind?“
„Nein. Er ist zwar seit fast zwanzig Jahren mein Geliebter. Aber der Vater von Julia und Jonas ist Tomasio. Schiefer wollte keine Kinder.“
„Wusste Schiefer von Lucanos Vaterschaft?“
Nun konnte sie nur hoffen, dass Schiefer genau zuhörte.
„Ja, Tom und ich haben es ihm gemeinsam erzählt, als ich bei Utom zu arbeiten begann.“
„Wissen Ihre Kinder, wer ihr Vater ist?“
„Ja, seit etwa zehn Jahren.“
„Haben Ihre Kinder die ganzen Jahre bei ihnen gelebt?“
„Die längste Zeit, ja. Seit ich mir finanziell eine Haushälterin leisten konnte.“
„Wie hat sich Schiefer denn mit – wie waren die Namen noch? - Julia und Jonas vertragen?“
„Hervorragend. Ein leiblicher Vater könnte sich nicht besser mit ihnen vertragen.“
„Und die Kinder?“
„Die kommen auch glänzend mit ihm aus. Ullrich und ich haben vor ihnen nie verheimlicht, dass ihr Erzeuger Tomasio Lucano mich nicht geheiratet hat, weil seine Familie dagegen war.“
„Haben Julia und Jonas das verstanden?“
Isa schüttelte den Kopf: „Verstanden – nein. Hingenommen, aber nicht akzeptiert. Sie haben sich mit Ullrich Schiefer weit besser verstanden als mit Tomasio Lucano.“
„Haben Ihre Kinder gewusst, dass Sie mit Schiefer ein Verhältnis hatten?“
„Natürlich.“
„Gab es deswegen Spannungen?“
„Nein.“
„Und Sie sind sich sicher, dass Sie sich an den 25. September richtig erinnern?“
„Ja. Ich habe nichts verschwiegen und nichts hinzugefügt.“
Erwin Hösel lehnte sich zurück „Vielen Dank, Frau Zeugin, ich habe dann keine Fragen mehr. Herr Staatsanwalt, bitte.“
Wilfried Lederer stand auf: „Frau Zeugin, wenn Sie so vertraut mit Schiefer waren, leuchtet mir nicht ein, dass Sie keine Ahnung haben wollen, wer dieser mögliche dritte Partner sein soll, über den sich Schiefer und Lucano so in die Wolle geraten sein sollen, dass Schiefer sogar einen Mordauftrag erteilt hat.“
„Herr Staatsanwalt, es ist aber so. Natürlich habe ich Ullrich mehr als einmal nach dem Namen gefragt, aber er hat gemeint, es sei schon lebensgefährlich, nur den Namen zu kennen.“
„Das erscheint mir – mit Verlaub – etwas melodramatisch, Frau Zeugin. Soll ich daraus den Schluss ziehen, das Sie Geschäfte mit Personen gemacht haben, die notfalls Gewalt anwenden?“
„Ja, den Schluss können Sie ziehen.“
„Das heißt, Sie als Vertraute und Helferin des Ullrich Schiefer haben sich an ungesetzlichen, strafbaren Transaktionen beteiligt?
Der Vorsitzende Erwin Hösel mischte sich ein: „Die Geschäfte der Utom, ob legal oder illegal, stehen hier nicht zur Verhandlung, Herr Staatsanwalt.“
Schiefers Verteidiger hakte sofort nach: „Aber die Glaubwürdigkeit dieser Belastungszeugin, Herr Vorsitzender.“
„Den Akten, die Ihnen zu Verfügung standen, konnten Sie entnehmen, dass Isa Vandenburg nie bestritten hat, aktiv an – sagen wir mal neutral – dubiosen Geschäften beteiligt gewesen zu sein. Herr Staatsanwalt, Sie haben noch das Wort.“
„Frau Zeugin, Sie haben eben ausgesagt, dass im friedlichen Teil des Abends einige geschäftliche Entscheidungen gefallen sind. Können Sie uns so eine Entscheidung schildern?“
Isa musste nicht überlegen. „Ja, Tom hatte einige kleine Winzer, meist Familienbetriebe, in der Toskana zu einer Liefergenossenschaft organisiert. Die verlangte nun für ihre Weißweine einen höheren Preis.“
„Den Schiefer und Lucano abgelehnt haben?“
„Nein, im Gegenteil. Diese namenlosen Weine laufen so gut, dass Utom auch noch einen wesentlich höheren Preis gezahlt hätte. Länger diskutiert wurde über Schiefers Vorschlag, zur Einsparung von Transportkosten die Weine nicht in Flaschen, sondern in Tanks nach Deutschland zu bringen, hier zur Beruhigung zwischenzulagern und dann erst in Flaschen abzufüllen. Tom wollte das nicht und Schiefer hat in diesem Punkt nachgegeben.“
„Hat Utom nur Lebensmittel aus Italien importiert?“
„Nein, als die Firma gegründet wurde, kannten zwar viele Deutsche die italienische Küche schon – Italien war schließlich das beliebteste Urlaubsland – aber so weit, dass Kinder nur noch Spaghetti mit Tomatensauce essen wollten, war es lange noch nicht. Erst als die großen Erzeuger eigene Exportabteilungen gründeten, musste Utom auf andere Produkte ausweichen.“
Noch mehr Brücken konnte sie Schiefer nicht bauen, ohne aufzufallen.
Lederer wollte noch wissen: „Frau Zeugin, waren Sie am Firmengewinn beteiligt?“
„Nein, nur indirekt. Wenn es gut gelaufen war, bekam ich ein höheres Weihnachts- und Urlaubsgeld.“
„Sie haben, abgesehen davon, gut verdient?“
„Sehr gut sogar.“
Andrea Sturm hatte auch noch eine ergänzende Frage: „Und unabhängig von Gehalt, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld hat Lucano regelmäßig für die Kinder gezahlt?“
„Ja. Er hat seine Zahlungen sogar jährlich freiwillig um die Inflationsrate in Deutschland erhöht.“
„Sie hatten also keinen finanziellen Vorteil durch Lucanos Tod?“
„Nein, nur Nachteile.“
„Vielen Dank, die Anklage hat keine Fragen mehr.“
Der Vorsitzende Hösel drehte sich zur Anklagebank: „Herr Verteidiger?“
„Danke. Frau Zeugin, wie oft fanden solche Abendessen zu dritt bei Ihnen statt.“
„Etwa alle fünf, sechs Wochen.“
„Saß Boris Stepkow dann immer in der Küche?“
„Nein, aber häufig, wegen des mexikanischen Bieres und einem fürchterlichen Gesöff namens Tequila. Dann musste er
Lucano nicht nur nach Frankfurt fahren, sondern auch in Toms Wohnung und dort in sein Bett bringen.“
„Wussten Sie, das Stepkow vorbestraft war?“
„Ja, wegen Körperverletzung, Betrug und Diebstahl.“
„Mochten Sie Stepkow leiden?“
„Nein. Er ist ein ordinärer Rüpel, mit dem ich nicht gern allein in einem Raum war.“
„Aggressiv, wollen Sie sagen?“
„Ja. Besonders gegenüber Frauen.“
„Und warum war so ein Mann bei Utom beschäftigt?“
„Schiefer hat immer gesagt: 'Lass' mal, Boris ist ein guter Mann für's Grobe. Und das muss ab und zu auch sein.'“
„Also ein Berufsschläger und bezahlter Killer?“
„Das kann ich nicht beurteilen.“
„Stepkow wusste, dass Sie an diesem 25. September zu Hause waren?“
„Sicher, spätestens seit dem Moment, als er in die Küche kam und ich am Herd stand.“
„Hat es an diesem Abend zwischen Ihnen und Stepkow irgendeinen Streit, einen Zank, eine heftige Diskussion gegeben?“
„Nein.“
„Auch nicht zwischen Stepkow und Lucano?“
„Nein.“
„Haben sich Stepkow und Schiefer gestritten?“
„So weit ich weiß, nein.“
„Und Sie wissen wirklich nicht, wen Lucano als dritten Partner im Sinn hatte?“
„Nein.“
„Vielen Dank, ich habe dann keine Fragen mehr.“ Schiefers Verteidiger setzte sich.
Hösel schaute schnell nach rechts und nach links: „Ich sehe keinen Widerspruch, dann schreiten wir zur Vereidigung der Zeugin Vandenburg.
Isa wählte sogar die religiöse Formel und beschwor ihre Aussage ohne Unruhe oder Bedenken. Sie hatte getan, was in ihrer Macht stand.
Hösel sagte freundlich; „Vielen Dank, Frau Zeugin. Sie sind hiermit entlassen und können gehen, wenn Sie mögen.“
Isa zwang sich, betont langsam zur Saaltür zu gehen, sie fast bedächtig und leise zu öffnen und von außen zu schließen. Rechts von ihr standen zwei Männer, die ihr zuwinkten, rasch zu ihnen zu kommen. Mit Rudi sauste sie in das Beratungszimmer und sprang fast in ihren Klempnerdress, während Hugo über Handy den Befehl gab: „Abmarsch!“ Ein Trupp fröhlicher Handwerker brauste lärmend die nächste Treppe herunter, nahm den Kollegen Isa in die Mitte und stürmte zum Ausgang. Hugo war kaltblütig genug, dem verblüfften Mann an der Auskunft noch zuzurufen „Alles okay. Auf allen Etagen kann wieder geschissen und gepinkelt werden.“
Rudi quetschte sich neben Isa in einen der Kombis. „Alles glatt gegangen?“
„Ja. Und bei dir?“
„Auch, aber für uns naht die Minute des Abschieds.“
„Was soll das heißen?“
„Bei Hugo wartet eine halbe Hundertschaft auf uns. Einmal zu deinem Schutz und dann möchten einige Kollegen von dir mehr über die Geschäfte der Utom erfahren.“
„Scheiße!“, sagte sie empört. „Ich möchte aber nach Hause, weil ich mich nach meinem bequemen Bett und einem luxuriösen Bad sehne.“
„Das musst du mit meinem Kollegen Peter Lössmann besprechen. Er arbeitet im LKA im Ressort Organisierte Kriminalität und wartet schon gespannt auf dich.“
„Das hat mir noch gefehlt“, stöhnte sie. „Und du verziehst dich so einfach?“
Rudi spürte einen winzigen Kloß im Halse, kleiner als befürchtet: „Ich muss, Isa. Auf mich wartet bestimmt schon ein neuer Auftrag. Wenn es gar zu schlimm wird – du hast ja meine Handynummer – ruf' mich an und ich versuche dann mein Bestes.“
Fast fünfzig uniformierte Polizisten wollten scheinbar ihr heimisches Bad neu einrichten, und in Hugos Büro warteten Paul Fichte, Kriminalrat Brock und Hauptkommissar Peter Lössmann. „Gut gemacht, Herzog, sagte Brock jovial und Fichte umarmte ihn: „Glückwunsch, Rudi, die Idee mit dem Klempnerauftritt war genial.“
Dann kam Isa in Jeans und elegantem Seidenshirt ins Zimmer, und die drei Männer bekamen große Augen, die sie noch weiter aufrissen, als Lisa Rudi um den Hals fiel und ihn lange küsste. „Danke, mein Schatz!“ Fichte ging ein Licht auf. Von wegen das letzte Mal vor einem Bahnhof getroffen.
*

Rechtsanwalt Gregor Nellen hatte lange überlegt, ob er sich die Verhandlung anhören sollte. Im Gericht kannte man ihn, und es war gar nicht gut, wenn sich herumsprach, dass er am Prozess gegen einen Utom-Eigentümer interessiert war. Nellen kannte seinen schlechten Ruf; eine wenn auch nur vermutete Verbindung zu Utom würde ihn nicht bessern. Schließlich siegte doch die Neugier und als Erwin Hösel die Verhandlung eröffnete, saß Nellen still und unauffällig in der letzten Zuhörer-Reihe. Der Beginn interessierte ihn nicht sonderlich. Stepkow hatte schon bei seinem Mord-Prozess behauptet, Schiefer habe ihm den Auftrag erteilt, Tomasio Lucano umzubringen und habe ihm dafür 50 000 Euro gezahlt. Die Kammer hatte es als Schutzbehauptung oder eine Racheaktion bewertet; denn den Mord konnte Stepkow nicht leugnen, die Beweise gegen ihn waren erdrückend. Dass es unter Umständen einen Zeugen für den Mordauftrag gab, hatte Stepkow nie erwähnt. Alleine wegen seiner Vorstrafen war es mit seiner Glaubwürdigkeit ohnehin nicht zum Besten bestellt. Und jetzt würde die Seifenblase platzen. Nellen lächelte vor sich hin, als über Lautsprecher die Zeugin Isa Vandenburg in den Saal 15 gerufen wurde. Ullrich Schiefer setzte sich gerade hin und schaute angestrengt zur Saaltür. Als die geöffnet wurde und eine junge blonde Frau hereinkam, glaubt Nellen seinen Augen nicht zu trauen. Das durfte doch nicht wahr sein – wieso kam die hierher? Es war doch fest vereinbart, sie am Erscheinen zu hindern, sie für einige Tage wegzusperren, nicht zu töten oder schwer zu verletzen. Dafür hatte er dieser Agentur Kollau ein Schweinegeld als Anzahlung ausgehändigt und schweren Herzens zugestimmt, sie notfalls zu erschießen oder zu überfahren, wenn man anders sie nicht daran hindern konnte, pünktlich im Gericht zu erscheinen. Was war da schiefgelaufen? Er hatte doch, als er vor dem Landgericht eintraf, die Kollausche Kerntruppe in der Nähe des Haupteingangs parken sehen. Nellen wagte nicht, aufzustehen und hinauszugehen. Hösel kannte ihn und hatte keinen Grund, nicht zu erzählen, dass er Gregor Nellen in der Verhandlung gegen Ullrich Schiefer gesehen hatte. Ungeduldig wartete Nellen auf den Schluss der Beweisaufnahme und die Plädoyers. Die konnte er sich ruhig schenken.
Als sich das Gericht zur Beratung zurückzog, standen Wilfried Lederer und Andrea Sturm eng nebeneinander. Sie stöhnte leise.
„Was ist los, Andrea?“
„Warum hat keiner wissen wollen, wieso Schiefer seiner langjährigen Geliebten und Vertrauten gedroht hat, sie umzubringen, so dass sie zu uns gekommen ist?“
„Wahrscheinlich steht das morgen in der Zeitung.“
Andrea sah ihn gekränkt an: „Weißt du etwas, was ich nicht wissen soll?“
„Nein“, antwortete er so ruhig und gelassen, dass sie dem alten Fuchs glaubte.
*

Auch Rudi fühlte sich nicht hundertprozentig zufrieden; er hatte in Hugos Geschäft zurückbleiben müssen, Brock, Lössmann und Fichte dorthin bestellt, und war erst, als die drei samt Schutztruppe eingetroffen waren, mit dem Bonner Leihwagen zum Gericht gefahren, um Isa vor dem Verhandlungssaal abzuholen. Schon auf der Fahrt dorthin bohrte etwas in seinem Gedächtnis, das er aber nicht fassen konnte, etwas, was ihn verwundert hatte, das er sich aber auch jetzt nicht erklären konnte, das ihn aber beunruhigte. Ein wenig erinnerte es ihn an einen älteren Fall, bei dem er mit seinem Schützling in ein dunkles Haus gekommen war und sofort das Gefühl verspürte, da lauere jemand auf sie. Es war tatsächlich jemand da, der zweimal auf sie schoss, sie beide aber verfehlte und seine Position durch die Mündungsblitze verriet. Rudi schlich in diese Richtung, und stieß gegen einen an einer Wand stehenden Schrank. Rudi hatte manchmal abstruse, manchmal aber auch brauchbare Ideen. Der Schrank fühlte sich nicht allzu groß an, deswegen versuchte Rudi sein Glück und kippte das Möbel lautlos nach vorn. Das bald einsetzende Klirren und Scheppern verriet, dass er einen Geschirrschrank erwischt hatte, aber auch den Schützen, den es von den Beinen riss, so dass er mit einem Schrei umfiel wie ein gefällter Baum. Rudis Schützling machte Licht und hob die Pistole auf.
Statt eines Lobes bekam Rudi tierischen Ärger mit einer dreisten Versicherung. Die Ehefrau seines Schützlings hatte Porzellan gesammelt und Rudi sollte nun für unersetzbare Stücke zum Beispiel aus Meißen aufkommen. Natürlich weigerte er sich, der Streit endete – ohne Rudi -vor einem Oberlandesgericht, das den Weg zum BGH versperrte.
Vor der nächsten Kreuzung musste er scharf in die Eisen steigen, die Grünphasen wurden auch immer kürzer. Schräg gegenüber gab es einen Blumenladen. Blumen! - er sollte etwas für seine hilfreiche Gieskannen-Nachbarin mitbringen, die sich um seine Blumen und seinen Hausbriefkasten gekümmert hatte. Irgendwann hatte sie ihm einmal erzählt, dass sie besonders gern Mandelsplitter mit Schoko-Überzug aß. Dunkle oder helle Schokolade. Das hatte er nun wirklich nicht behalten. Der kluge Nachbar kaufte von beiden je ein großes Tütchen, und Anja Wesskamp freute sich ehrlich über beide Varianten. Weil Rudi bei dem Gedanken, heute mal wieder einen Abend alleine in seiner Wohnung verbringen zu müssen, ein leichtes Grauen verspürte, lud er Frau Nachbarin spontan zum Essen ein, was sie „erfreut und hungrig“ annahm.
„Du musst aber ein Lokal vorschlagen“, ordnete er an. „Ich kenne mich nur mit Imbissen und Frittenbuden aus.“
„Schlimm. Ich war noch nie in der Alten Mühle Schierstein.“
„Wenn die heute aufhaben und du noch einen Tisch bestellst, sollten wir das umgehend ändern.“
„Wann holst du mich ab? Neunzehn Uhr? Bis dahin habe ich auch die große Kriegsbemalung angelegt.“