Kitabı oku: «Thriller Spannung 2021: 13 Urlaubs-Krimis auf 1527 Seiten», sayfa 19
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Sonntag, 15. Juni

Rudi riss seinen Chef Paul Fichte um neun Uhr aus dem schönsten Sonntagsschlaf und beichtete. Fichte war nicht erfreut, meinte aber, das ließe sich alles reparieren, Hauptsache, der Zeugin war nichts passiert.
„Nein, kein Härchen gekrümmt.“
„Aber wie haben die euch so rasch wiedergefunden?“
Beide sinnierten, dann hatte Fichte eine scheußliche Idee, scheußlich, weil sie richtig sein konnte. „Die haben euch doch in der 'Erbsensuppe' besucht?“
„Ja, und sogar in Isa Handtasche einen Peilsender hinterlassen.“
„Dann hat mit Sicherheit jemand das Haus beobachtet, als ihr losgefahren seid. Du bist mit deinem Privatwagen unterwegs?“
„Ja.“
„Mit Wiesbadener Kennzeichen?“
„Ja.“
„Den fährst du immer noch?“
„Ja.“
„WI unter BN, das fällt auf.“
Rudi sagte nichts. Der Zufall konnte ein sehr hilfreicher, aber auch sehr heimtückischer Kollege sein, der überhaupt nicht half, sondern im Gegenteil mächtig schadete. Und Isa hatte ihn gewarnt, die Organisation Utom und die mit Utom zusammenarbeitende Organisierte Kriminalität hatte überall ihre Leute, warum nicht auch in der ehemaligen Bundeshauptstadt? Rudi brauchte einen Leihwagen und musste seinen braven Sandfarbenen vorerst in der Tiefgarage stehen lassen.
*

Noch früher als Rudi hatte der Chef der Agentur telefoniert, nachdem Ahmed und Ricki ihm das blutende Ohr notdürftig desinfiziert und verbunden hatten. Anwalt Nellen lag noch neben seiner neuesten „Freundin“, als sein Handy rumorte. Vorsichtshalber ging er in ein Nebenzimmer. Der Chef gestand, dass ihre geplante Aktion schiefgelaufen war und sich jetzt die Polizei einmischte.
„Was heißt hier geplant?“, unterbrach Nellen brüsk. „Ihr solltet sie bis zum Prozess kaltstellen oder ausschalten. Von Mord oder Totschlag war keine Rede. Unentschuldigtes Fehlen bei einem Gerichtstermin, auf das und auf nichts anderes hatten wir uns verständigt.“
Der Chef wollte sich nicht auf eine lange Debatte am Telefon einlassen. Sein Ohr schmerzte, und er hatte starke Kopfschmerzen.
„Einer meiner Mitarbeiter ist dabei tödlich verunglückt. Ich weiß nicht, wie rasch man ihn identifizieren wird und wie schnell das zu uns führt.“
„Aha“, sagte Nellen trocken, „jetzt verstehe ich. Sie sind also draußen, nicht mehr im Geschäft, das wollten Sie doch sagen?“
„Ja.“
„Gut oder vielmehr schlecht, das war natürlich der letzte Auftrag, den Sie von mir bekommen haben.“
„Das befürchte ich, ja.“
*

Rudi versuchte beim Frühstück, mit dem Wenigen, was er wusste und vermutete, Isa zu erklären, was sich heute Nacht im Treppenhaus abgespielt hatte. Er war damit gerade fertig, als Dorberg anrief.
„Die junge Dame aus der Ahornstraße hat sich mit einem jungen Mann eingelassen, der mit einer professionellen Bande pokert. Du weißt, was das in der Regel bedeutet?“
„Aber ja. Danke für die Warnung.“
Eigentlich reichte es jetzt mit den Schreckensmeldungen.
*

Für Rudis Geschmack nahm Isa diese Horrormeldung zu gelassen auf: „Julia hat kein Geld und kann auch kein Geld organisieren oder leihen. Da habe ich vorgesorgt, bevor ich zur Staatsanwaltschaft gegangen bin. Das Geld ist erstens gut versteckt und den Schlüssel zum Versteck habe ich zweitens sozusagen in vier Teile zerlegt, erst mit allein Teilen lässt sich das Versteck, wenn man es denn entdeckt hat, auch öffnen. Und Fremde müssen aufpassen, dass dabei die Sprengladung nicht hochgeht.“
„Welche Sprengladung?“
„Mit der das Geld zusätzlich gesichert ist.“
Rudi schluckte: „Isa, du wirst mir langsam unheimlich.“
„Warum. Hast du es auch auf mein Geld abgesehen?“
„Nein, auf dich; wenn du dich damit abfinden kannst, dass ein hessischer Hauptkommissar wahrscheinlich sehr viel weniger verdient, als du in deiner Vergangenheit.“
„Das wird sich noch herausstellen, mein Bester.“ Sie gähnte, dass er ihre Mandeln bewundern konnte.
So folgte ein langen Kuss, bei dem Rudi und Isa keinen Grund hatten, aus dem Fenster zu schauen. Deshalb bemerkten sie auch nicht, dass ein Auto mit einem SU-Kennzeichen auf der Straße hielt, ein Mann ausstieg und sich in einen dort parkenden Wagen mit einem Bonner Kennzeichen setzte. Beide Wagen fuhren gemeinsam los.
Rudi und Isa fanden derweil den Weg ins Schlafzimmer.
Hinterher überlegte er gerade, ob es sich lohnte, noch einmal ohne Isa ins Bett zu gehen, als sein Chef Paul Fichte anrief: „Rudi, mir ist noch so eine scheußliche Idee gekommen.“
„Und welche?“
„Wenn Sie euch in der 'Erbsensuppe' mit einen Peilsender beglückt haben, können Sie am Samstag, als ihr fast den ganzen Tag in Sachen Kunst und Kultur unterwegs gewesen seid, in eurer Wohnung völlig ungestört eine Wanze montiert haben.“
„Du kannst einen richtig aufheitern.“
*

Rechtsanwalt Nellen erreichte Mehtar Ben Ali in einem ICE nach Zürich und informierte ihn über den missglückten Anschlag in Bonn. Sie sprachen wie üblich Französisch miteinander.
„Das heißt, jetzt sind wahrscheinlich die anderen am Zuge.“
„Das fürchte ich auch.“
Das stimmte schon nicht mehr, als Nellen die Handytaste mit dem roten Hörer drückte. Sofort bimmelte der Apparat und ein unbekannter Mann fragte, ohne sich vorzustellen: „Haben Sie heute morgen mit unserem Chef Niels Kollau telefoniert?“
„Warum wollen Sie das wissen? Wer sind Sie überhaupt?“
„Weil wir gestern Nacht bei einer schiefgelaufenen Operation in Bonn dabei waren, aber von den Bullen nicht bemerkt wurden. Da war die Wanze schon montiert und wir haben einen Teil der Gespräche gespeichert ... nein, abgehört haben wir die Scheibe noch nicht. Wir wissen nicht, was auf der Platte drauf ist ... Wir haben sie erst heute bergen können. Richtig, Sie müssten eine Katze im Sack kaufen. Wir lassen Ihnen Katze und Sack auch sehr billig.“
„Wo in Bonn war das?“
„In Ückesdorf.“
„Okay. Riskieren wir es. Kommen Sie am Montagvormittag mit der Scheibe in meine Kanzlei. Aber Vorsicht, keine Tricks. Ich bin im Moment sehr nervös.“
Rudi scheuchte Isa aus dem Bett. „Schluss mit dem Vergnügen. Los, wir müssen nach einer Wanze suchen.“ Der Anblick einer auf den Knien herumkriechenden Isa war sehr hübsch und durchaus anregend, was sie aber oben auf einem Schrank fand, sehr viel weniger. Rudi legte die Wanze lahm, und bei viel frischem Kaffee überlegten sie gemeinsam, worüber sie sich unterhalten hatten, was einen Fremden, einen Übelgesinnten, einen Feind davon wohl interessieren mochte. Das Gespräch setzten sie bei einem langen Spaziergang im Kottenforst fort und ahnten natürlich nicht, dass der Läufer in dem weinroten Trainingsanzug ein Beamter der Kriminalpolizei war, der sich dienstlich fit hielt, um ein Auge auf Rudi und Isa zu haben. Hauptkommissar Schneider hatte mit einer Leiche genug.
*

Den Rest des Tages vertrödelten sie. Katrin rief zwischendurch einmal an und war ehrlich empört, was Freund Rudi an gewalttätiger Unruhe in das friedliche Haus eingeschleppt hatte. Rudi gab sich zerknirscht und musste lange Süßholz raspeln, bis sie sich beruhigte. Oder wenigstens so tat.
*

Andere waren fleißiger. Zwischen Wiesbaden und Bonn glühten die Telefonleitungen und stöhnten die Server über die Unmassen vom Mails, die zwischen den beide Städten hin- und herflitzten. Sogar Kriminalrat Brock opferte seinen geheiligte Sonntagsschlaf und kam ins Amt, um lange und gelegentlich lautstark mit Paul Fichte zu konferieren. Ricki und Lupo verbanden den Chef mehrmals, bevor sich Rickis und seine Gäste mit ihrem letzten Geld den Tank auffüllten und mit gänzlich ungewohnten schlappen 120 km/h auf den Weg nach Frankfurt und Wiesbaden machten. Dank des Schleichens reichte die Tankfüllung mehr als genug aus. In Frankfurt erschien der „Hausarzt“ der Bande und kümmerte sich um das lädierte Ohr des Chefs: „Das Gehör rechts ist wohl hin, Chef.“
„Sehr erfreulich.“
„Aber für das kaputte Ohr gibt es aufsetzbare Prothesen. Du wirst dich wieder auf die Straße wagen können, ohne aufzufallen.“
„Prächtig. Und wann?“
„Etwas Geduld musst du noch haben.“ Der Chef wusste, was bei Ärzten das Wort „Geduld“ bedeutete, und seufzte; er hätte diesen Auftrag nie annehmen und seinem Bauchgefühl vertrauen sollen ... Ein Ohr und einen wichtigen Mitarbeiter verloren und alles wahrscheinlich ohne Honorar. Das Leben war manchmal verdammt hart.
Über diese leider unerschütterliche Wahrheit hatten sich auch Rudi und Isa unterhalten.
Rudi schlug beim Kaffee eine Partie Halma vor, was ihr nicht behagte. Seinen Vorteil zu suchen und es dabei dem Gegner möglichst schwer zu machen, war ihr zu anstrengend, erforderte zuviel Konzentration und anstrengende Vorausschau. Sie schaute ihn direkt an, sichtlich schlecht gelaunt.
„Das solltest du mit Ilka spielen. Die plant gerne weit voraus. Mit wenig Erfolg allerdings.“
„Du magst deine Schwester nicht sonderlich, was?“, fragte er träge.
„Nein“, gab sie zu.
„Gibt es dafür einen bestimmten Grund?“
„Wenn man das einen Grund nennen kann“, murmelte sie abwehrend.
„Lass mal hören.“
Sie setzte sich aufrecht hin und zog ihr Shirt stramm. „Ich war immer die Hübschere, der die Jungens nachliefen. Das hat mir Ilka nie verzeihen wollen. Weißt du, deswegen fing sie mit solch dummen Sprüchen an. Du bist schöner als ich, aber ich bin klüger als du. Man kann eben nicht alles haben, Schwesterherz.“
Ohne darüber nachzudenken, platzte er heraus: „Aber du wolltest immer alles bekommen. Wie?“
„Ja, wollte ich. Was ist dabei? Sag bloß. Du bist keine Egoist!“
„Doch, bin ich. Aber in Grenzen. Wenn du den anderen leben lässt, hat der keinen Grund, auf dich zu schießen.“
„Das ist doch Kirchengewäsch.“
„Meinst du? Warum hat Schiefer dir denn gedroht, dich umzubringen?“
„Weil er Angst hat, ich könnte ihn verraten.“
„Verraten? An wen?“
„Staatsanwalt, Polizei, Finanzamt, an seine Konkurrenz im Milieu. Die waren zum Schluss doch alle hinter ihm her.“
„Hinter ihm? Oder hinter der Utom.“
„Da gibt es keinen Unterschied“, stellte sie mürrisch klar. Rudi schwieg und überlegte, wohin sie ein harmloses Gespräch über Halma und Mühle geführt hatte. Dann schoss ihm durch den Kopf: Wie gut kannte er Isa eigentlich? Vier Jahre Grundschule zählten wohl nicht wirklich. Zweieinhalb Wochen Ferien auf Lanzarote. Da steckte sie doch wohl schon tief in dem Sumpf, aus dem sie sich jetzt nur unter Lebensgefahr befreien konnte. Was wollte sie eigentlich von ihm? Hatte sie sich wirklich gefreut, dass er kam, um Kowalski abzulösen?
Und wieso war sie unverletzt aus dem brennenden Haus im Lesterwald entkommen und der erfahrene Rotter gleich zu Beginn ausgeschaltet worden. Wer war der Mann, den sie im schon brennenden Haus erschossen hatte. Rudi kannte das Phänomen – wenn man erst einmal anfing, misstrauisch kritische Fragen zu stellen, ging es endlos weiter, bis aus Weiß zum Schluss Schwarz geworden war.
„Ich muss mal telefonieren“, sagte er plötzlich und ging auf den Balkon, der zum Paula-Roming-Weg hinaus lag, und rief Fichte an: „Sag' mal, Paul, Isa Vandenburg hat doch bei dem Brand einen Mann erschossen, der zu ihr ins Zimmer kam. Habt ihr den schon identifiziert?“
„Nein zuviel verbrannt. Mit Mühe haben wir etwas DNA gesichert und müssen nun ungeduldig warten bis wir über eine Vermisstenmeldung mit DNA-Beilage mehr herausbekommen. Warum fragst du?“
„Erzähle ich dir später.“
„Wie du meinst. Aber in diesem Zusammenhang habe ich eine vielleicht unerfreuliche Neuigkeit für dich. Man hat in der Nähe des abgebrannten Verstecks eine männlich Leiche gefunden und eindeutig als einen Geldeintreiber und Berufskiller Bodo Zoller identifiziert. Erschossen mit einer Neun-Millimeter Beretta. Und so eine kleine Artillerie führt doch auch deine Isa spazieren. Vergiss nicht, sie ist draußen herumgelaufen, während des Haus abbrannte und sie auf Krankenwagen, Feuerwehr und die Kollegen wartete.“
„Was willst du damit andeuten?“
„Gar nichts. Sei nur vorsichtig! Kowalski hat nämlich zu Protokoll gegeben, dass Isa zuerst Rotter und dann ihn gefragt hat, ob ein gewisser Rudolf Herzog noch beim Personenschutz des LKA arbeite.“
„Mich laust der Affe.“ Er schluckte heftig.
„Schatz, mit wem telefonierst du da so lange?“ Isa war ungeduldig geworden und trat jetzt auf den Balkon heraus. Dann ging alles so schnell, dass selbst der trainierte Rudi nicht alles mitbekam. Es knallte irgendwo, aber nicht weit entfernt, ein Blumenkasten, der am Balkongitter hing, zerlegte sich in Einzelteile. Isa schrie auf, als ein Teil sie traf, und stürzte rückwärts ins Zimmer zurück, Rudi beugte sich über die Balkonbrüstung, ein zweiter Knall, und auch der Blumenkasten vor Rudis Brust zerlegte sich, ein Großteil der Erde landete in seinem Gesicht, und deshalb konnte er den hellgrauen Lieferwagen, der unten auf der Straße gegenüber gestanden hatte und nun eilig losfuhr, nicht genauer erkennen.
Isa war unverletzt bis auf eine schmerzhafte Beule am Hinterkopf, die aber nicht blutete. Rudi brauchte eine Viertelstunde, die wertvolle Blumenerde von seinem Gesicht und vor allem von seinen Lippen in den Abfall zu befördern. Fichte hatte wahrscheinlich nichts mitbekommen und aufgelegt.
Isa verlangte zur Beruhigung unbedingt einen Schluck Wein und diesmal lehnte Rudi ein Glas nicht ab.
„Wollten die mich umbringen?“, fragte sie erschüttert.
Das hatte Rudi auch schon überlegt und schüttelte nach einiger Zeit den Kopf. „Glaube ich nicht, bei dem ungünstigen Schusswinkel konnte kein Meisterschütze sicher sein, dich oder mich zu treffen.“
„Die Polizei willst du nicht rufen?“
„Nein, wozu? Der Schütze ist längst über alle Berge, die Blumenkästen werde ich Katrin ersetzen, und alles in allem glaube ich, dass man dir nur einen Schrecken einjagen und mich warnen wollte.“
„Dein Wort in Gottes Gehörgang!“
„Seit wann glaubst du an Gott?“
„Blödmann.“
*

Lupo konnte mal wieder sein Maul nicht halten: „Hoffentlich bald“, pflaumte er zum Schluss den Chef an: „Die Rücklagenbildung bei uns allen war nicht konsequent, folglich nicht sehr erfolgreich.“ Er sagte nicht, schließlich könne man das, was man wusste, auch an eine andere Agentur verkaufen. Das war auch nicht nötig, der Chef wusste es ohnehin und kannte auch den im Milieu gültigen Spruch, dass den meisten Menschen das Hemd näher sei als der Rock.
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Montag, 16. Juni

Lupo erschien gegen neun Uhr in der Kanzlei und sagte der Sekretärin, die ihn nicht auf der Terminliste hatte: „Melden Sie Ihrem Chef bitte, ein Herr Ückes aus Bonn möchte ihn sprechen. Er weiß dann schon Bescheid.“
Die CD wechselte für tausend Euro den Besitzer, Lupo leugnete stur, dass sie sich eine Kopie gebrannt hatten, was Nellen, der seine Pappenheimer kannte, ihm nicht glaubte.
*

Isa weigerte sich, mit Rudi in die Stadt zu fahren und etwa das „Haus der Geschichte“ zu besuchen, während er mit dem Kollegen Schneider „regelte“, was sich in Katrins Treppenhaus abgespielt hatte. Rudi ließ sich erst überzeugen, nachdem er Isas Beretta inspiziert und ihr das feierliche Versprechen abgenommen hatte, lieber als erste zu schießen, denn als zweite angeschossen oder gar erschossen zu werden.
Kollege Schneider war beeindruckt. „Sie müssen ja ein hohes Tier in ihrem Amt sein.“
„Den Eindruck hatte ich bisher nicht“, erwiderte Rudi ehrlich.
„Wenn Sie wüssten, wer alles sich eingemischt hat.“
„Wahrscheinlich alle diejenigen, die vorher gegen das Zeugenschutzprogramm im Fall Vandenburg waren.“
„Gut möglich. Zum Glück gibt es auch in Verwaltungen 'tätige Reue'.Haben Sie Ihre Dienstwaffe mitgebracht?“
„Ja.“
„Kann ich die mal sehen?“
Er verglich sie umständlich mit den Angaben auf einem Ausdruck. Der Donnerer bestätigte, dass es sich bei der Heckler & Koch um die neue Dienstwaffe des Kriminalhauptkommissars Rudolf Herzog, LKA-Abteilung Personenschutz, handelte. Damit war der formelle oder dienstliche Teil eigentlich erledigt, nachdem Rudi ein Protokoll und seine Aussage aus der Nacht unterschrieben hatte, aber Schneider war noch nach Plaudern zumute: „Natürlich kenne ich mittlerweile zumindest in Umrissen den Fall. Sie scheinen ja eine wirklich wichtige Kronzeugin spazieren zu fahren. Ich denke, der Mörder Lucanos sitzt bereit.“
„Tut er, aber wenn man den zweiten Firmeninhaber wegen Anstiftung zum Mord für Jahre hinter Gitter schicken kann, hat man eine große OK-Firma lahmgelegt.“
„Schön. Aber für wie lange? Da stehen doch bestimmt schon Utom-Konkurrenten bereit, den Laden zu übernehmen.“
„Wahrscheinlich ... aber das kümmert mich wenig, ich bin kein Ermittler. Für mich ist der Auftrag erledigt, sobald der Vorsitzende die Zeugin Isa Vandenburg aus dem Zeugenstand entlässt“, log Rudi betont gleichmütig. Schneider griente etwas ungläubig, verfolgte das Thema aber nicht weiter: „Ich fürchte, dann geht für Sie die Arbeit erst richtig los.“
„Wie meinen Sie das?“
„Ihre Kollegen werden Ihre Zeugin durch die Mühle drehen, um möglichst viel über die Geschäfte der Utom zu erfahren, die Hintermänner und Verbindungen. Wo stecken mögliche Akten und Unterlagen?“
Rudi wollte nicht zugeben, dass er daran auch schon voller Sorge gedacht hatte. Und Schneider legte den Finger gleich in die nächste Wunde: „Ohne überzeugende Akten und Dokumente muss sie dann mindestens noch einmal in den Zeugenstand – lebend und aussagefähig.“
*

Hauptkommissar Schneider irrte nur in einem Punkt. Mehtar Ben Ali stand nicht, sondern saß entspannt in Liechtenstein auf einem bequemen Armsessel im luxuriösen Besprechungszimmer seines Anwaltes Terzani. Seit Ben Ali zum ersten Mal von Spannungen zwischen Tomasio Lucano und Ullrich Schiefer wegen der „Ausweitung des Geschäftsfeldes“, an der Ben Ali ein großes finanzielles und politische Interesse besaß, gerüchteweise gehört hatte, war er fest entschlossen, notfalls Utom selbst zu übernehmen, als dieses wichtige, ja unverzichtbare Element in ihren Plänen untergehen zu lassen. Nun konnte man ein OK-Unternehmen nicht einfach kaufen oder mit einer unfreundlichen Übernahme an der Börse an sich bringen. Seit Monaten kümmerte sich Terzani um einen Interessenausgleich zwischen den verschiedenen Gruppen, die ein Auge auf Utom geworfen hatten. Es ging voran, langsam zwar, aber immerhin, es ging voran.
„Hat du jetzt eine Ahnung, wo die Akten stecken?“
„Nein, nicht wirklich“, räumte Ben Ali ein. „Aber wir schalten von Tag zu Tag mehr Möglichkeiten aus. Es geht voran.“
„Viel Erfolg“, wünschte Terzani. „Ich kümmere mich dann mal um Bellini.“
„Muss das sein?“
„Die Familie besteht darauf und hat – nicht vergessen – nur unter dieser Bedingung dem Verkauf zugestimmt.“
Ben Ali nickte stumm. Er verstand vieles nicht, was diese Christen Moral, Ehre oder Anstand nannten. Aber sich aufzuregen, wenn ein gestandener Mann wie Ben Ali mit einer vierten Ehefrau liebäugelte, die von sich behauptete, echt blond und noch Jungfrau zu sein.
*

Sie trafen sich in der Wohnung und beschlossen, nichts mehr zu unternehmen. Doch Isa und Rudi war keine Ruhe vergönnt. Eine Viertelstunde später lärmte Isas Handy, sie drückte die Taste und wurde nach einigen Sekunden weiß wie die Wand. „Das ist nicht dein Ernst ... das kannst du nicht machen, Julia. Ich bitte dich, das ist kein Mann wert ... Ja, ich komme sofort.“
Sie wandte sich an Rudi. „Wie lange fahren wir nach Essen?“
„Was ist los?“
„Später. Wie lange?“
„Eine gute Stunde.“
„Hast du gehört. In einer guten Stunde bin ich bei dir, dann reden wir über alles. Bis gleich.“
„Timo hat sich von Julia getrennt, weil sie ihm kein Geld leihen kann. Timo hat Spielschulden und ist wohl ziemlich verprügelt worden, weil er heute seinen letzten Termin für die Rückzahlung nicht eingehalten hat. Jetzt geht ihm der Arsch auf Grundeis, und Julia soll ihm helfen. Wenn nicht, dann sei sofort und für immer Schluss mit der großen Liebe.“
„Okay, wir fahren. Zieh dich schon schon mal an, vergiss deine Beretta nicht, ich rufe nur mal schnell meinen Bekannten Dorberg an.“
Alexander Dorberg war nicht erstaunt, als er von dem Drama hörte.
„Und du willst jetzt von mir mal so eben wissen, wer hinter dieser Pokerbande steckt?“
„Das wäre wunderbar.“
„Das wiederholst du nicht, wenn du hörst, was ich heute herausgefunden habe. Die Laube gehört dem Bruder des Grafen von Stahl.“
„Wie bitte?“
„Essen hat einer Bordellstraße, heißt die Stahlstraße, und der mächtigste Mann dort wird der Graf von Stahl genannt.“
„Da hat eine Prostituierte den letzten Rest von literarischer Bildung und Humor zusammengekratzt.“
„Schon möglich. Bürgerlich heißt der Kerl Leo Woslowski und wohnt in Haarzopf. Natürlich habe ich seine Adresse. Wir treffen uns in der Ahornstraße.“
Der Leihwagen lief so gut, dass Rudi ernsthaft überlegte, seine alte sandfarbene Möhre endlich abzustoßen und sich einen neuen Karren zu leisten. Auf seinem Konto hatte er genug Geld angesammelt. Sie rasten, was die vier Zylinder, gefüttert mit Super plus, hergaben. Dorberg wartete schon vor dem Haus und winkte ab, als Isa sich bei ihm bedanken wollte.
„Ich habe zwei Töchter durch die romantische Phase der großen Lieben gebracht“, sagte er trocken. Beide haben ihre Examina geschafft, sind verheiratet, haben Kinder und ich muss jetzt Enkelinnen durch Liebeskummer und -leiden schubsen. Ich lege ehrlich keinen Wert darauf, Urgroßvater zu werden.“
Isa klingelte Sturm, und Rudi meinte: „Versuche sie zu trösten und zur Vernunft zu bringen. Wir kommen zurück, sobald wir die Schuldscheine, sofern vorhanden, eingesammelt haben.“
Dorberg und Rudi nahmen den Leihwagen mit Bonner Kennzeichen. Leos Haus war zu groß und zu pompös für die Umgebung, die meisten Fenster waren erleuchtet. Bevor Dorberg klingelte, machten sie ihre Waffen schussbereit. In der Diele ging auch ein Licht an und sie hörten, dass hinter der Eingangstür ein Hund hechelte und knurrte.
Dorberg schien den Grafen von der Stahlstraße zu kennen und begrüßte den großen Mann, der die Haustür öffnete, fröhlich mit: „Na Leo, du alte Drecksau und Kinderschänder, wir wollen nur ein paar Schuldscheine einlösen.“
Ob der Hund auf das Wort Drecksau dressiert war, blieb unklar. Jedenfalls machte er Anstalt, Dorberg an die Kehle zu springen, was Rudi nicht duldete. Es wurde ein prächtiger Kopfschuss, der Rottweiler legte sich flach auf die Dielenfliesen, und als Leo Woslowski in die Tasche griff und seine Hand mit einem Schnappmesser wieder hervorkam, schoss Dorberg dem unvorsichtigen Leo in den Oberschenkel; Woslowski legte sich neben seinen toten Hund, das Messer rutschte über die Fliesen bis an die Wand.
„Seid ihr Arschlöcher verrückt geworden?“, kreischte eine mangelhaft bekleidete Frau los, die in die Diele gestürzt kam. Dorberg schien sie zu kennen und grüsste unverändert freundlich: „Hallo, Rita, du stählerne Königin der Schwanzlutscherinnen. Lässt dich Leo wieder ran an sein kleines Stück? Es lebe Viagra – oder?“
„Was wollt ihr Komiker?“
Jetzt schoss Dorberg noch einmal. Hinter Rita ging eine Wandleuchte zu Bruch. Sie schrie auf und ließ sich auf die Knie fallen. „Wir wollen alle Schuldscheine, die Leo hat, und zwar subito, pronto, verstanden?
Leo winkte sie heran, damit er ihr was ins Ohr flüstern konnte, und drohte dann laut: „Das werdet ihr bezahlen. Ich mache euch fertig und verfüttere das Hackfleisch an meinen neuen Hund.“
„Ja, das wissen wir, wenn du aus dem Krankenhaus kommst und noch laufen kannst. Wenn es dir lieber ist, fackeln wir vorher die Stahlstraße ab. Ich weiß sehr genau, was du unter Ritas Bett versteckt hast. Für sie sind fünf bis sieben Jahre drin, für dich, wenn alle Frauen aussagen, zwölf bis fünfzehn plus Sicherungsverwahrung.“ Rita stand auf und schlich mit krummem Rücken aus der Diele. Minuten später kam sie mit einer prall gefüllten Papiertüte zurück. Dorberg und Rudi holten sich zwei Stühle und schauten sich in aller Ruhe die Scheine, Notizen und Zettel an. Kaum zu glauben, wer sich da mit welchen Summen verschuldet hatte. Darunter auch auch ein Timo Reufels, und weil im Wohnraum lustiges Kaminfeuerchen prasselte, fütterten sie den Kamin mit etwas Papier und einer halbvollen Papiertüte.
Rita hing sich ans Telefon: „Einen Notarztwagen bitte, mein Freund hat sich aus Versehen ins Bein geschossen.“ Na ja, so konnte man es auch ausdrücken.
*

Auf der Rückfahrt erklärte Dorberg sein Handeln. „Wir hatten zweimal den schönen Leo bis vor Gericht gebracht. Und beide Male kam er mit Notwehr durch. Ich hatte mir fest vorgenommen, bevor mich ein Schwerverbrecher in Notwehr ersticht, schieße ich lieber, eigentlich wollte ich seine Eier treffen, aber der Oberschenkel ist ja auch ganz nett.“
„Ist das deine Dienstwaffe?“
„Nein, die habe ich längst abgegeben. Diese Pistole habe ich heimlich einem Totschläger abgenommen, der sie in den nächsten Jahren nicht mehr brauchte, und dann hatte ich mich an das gute Stück gewöhnt.“
Rudi staunte. So kannte er seinen Freund Dorberg gar nicht.
*

Isa kam an die Haustür gestürzt: „Erfolg gehabt?“, flüsterte sie.
„Ja“, gaben beide genau so leise zurück.
„Passt! Das darf sie nicht hören, ich habe sie wohl so weit, dass sie mit mir nach Bonn kommt und Timo für den Moment vergisst.“
Das war Rudi eigentlich gar nicht recht; aber er konnte es der besorgten Mutter einer liebeskranken Tochter wohl nicht abschlagen. Schon auf der Ruhrbrücke erkundigte sich Julia: „Schläfst du – Entschuldigung, schlafen Sie mit meiner Mutter?“
„Ja, du kannst mich ruhig duzen. Heute nacht überlasse ich aber dir meine Betthälfte.“
„Dann bist du der Schulfreund aus Lanzarote?“
„Nein, der aus Mainz-Kastel, den deine Mutter auf Lanzarote zufällig wiedergetroffen hat.“
„Es geht doch nichts über alte Freundschaften“, murmelte Julia etwas aufsässig, aber das überhörte Rudi elegant, weil er gerade einen dieser idiotischen, lebensgefährlichen Gigaliner überholen musste.