Kitabı oku: «Adams Söhne», sayfa 14
Frau von Tarnow, die ihn bis dahin mit groß aufgerissenen Augen, aber ohne Unruhe oder Befangenheit angesehen hatte, machte jetzt eine Bewegung, in der sich Missfallen auszudrücken schien.
»Verzeihen Sie«, sagte er rasch; »es ist nicht unziemliche Neugier, die kenne ich nicht (mit einer Handgebärde warf er sie seitwärts ins Meer), sondern einfach die natürliche Teilnahme eines Freundes: denn von der ersten Stunde an hab’ ich für Sie wie ein Freund gefühlt. Sollten wir übrigens nicht in ein Zimmer treten —«
Er öffnete die nächste Tür. Marie trat ohne jedes Zögern oder Schwanken ein; sie setzte sich aber nicht, sondern lehnte sich, einen Arm aufstützend, gegen einen Tisch.
»Wie gesagt«, fuhr er fort; – »wie sagte ich? Ah ja: ›wie ein Freund‹. Also, meine liebe Frau von Tarnow, gebieten Sie über mich! Wenn ich in Ihren persönlichen Angelegenheiten Ihnen beistehen, nützen kann —«
»Ich danke Ihnen sehr«, unterbrach sie ihn. »Es wird wahrscheinlich die Stunde kommen, wo ich Sie an dieses Wort erinnern und Ihr Wohlwollen in Anspruch nehmen werde … Aber für jetzt – hab’ ich noch nicht das Recht.«
Waldenburg blickte ihr verwundert und ungewiss in die großen Augen, die ihm rätselhafter vorkamen als je. Er verstand nicht, was diese letzten Worte sagen wollten. Sie schien es zu bemerken, denn sie lächelte. Mit einem eigenen Ausdruck setzte sie dann hinzu:
»Ich werde glücklich sein, Herr von Waldenburg, wenn Sie das nie verleugnen, was Sie mir eben gesagt haben!«
»Aber was denken Sie?« entgegnete er. »Wer so für Sie fühlt wie ich, kann der je wieder zurück? – — Nun sollten Sie aber für so warme Freundschaft, Verehrung und Zuneigung auch ein wenig erkenntlich sein; nicht so magisch verschlossen, wie die Höhle des Ali Baba. Wir ehren ja Ihre Geheimnisse, wie Sie sehen: denn wir wissen nichts; auch die Baronin scheint die Lebensgeschichte ihrer Gesellschafterin nur in den allgemeinsten Umrissen zu kennen.«—
Er wartete auf eine Antwort. Frau von Tarnow schwieg aber. Mit einer leichten Handbewegung setzte er hinzu:
»Oder sie ist ebenso rätselhaft verschwiegen wie Sie.«—
Die junge Frau sah auf seine Weste und schwieg.
»Das ist alles gut«, fuhr er mit derselben wohlredenden Milde fort; »aber, meine Beste – wird es nicht endlich Ihre bürgerliche Stellung erschweren und – nun, wie soll ich sagen – und missdeutet werden? – Verstehen Sie mich nicht falsch! Ich frage nur als Ihr Freund, der für Sie besorgt ist. Haben Sie irgendein trauriges oder – süßes Geheimnis, so haben Sie hier einen Mann, der zum Vertrauten wie geschaffen ist; der in unzähligen Fällen mit dieser ehrenvollen Aufgabe betraut wurde, und ich kann sagen, mit gutem Erfolg; der die zartesten Empfindungen versteht – und sie zu teilen versteht. Also ein wenig Vertrauen, meine liebe Freundin! Ist der Jemand, den wir hier erwarten, in irgendeiner Bedrängnis, in der ihm und Ihnen geholfen werden kann, so stehe ich mit Schwert und Schild zu Ihrer Verfügung … Ist er etwa untreu«, fuhr er lächelnd fort, indem er sich sanft zu ihr niederneigte, »so lassen wir ihn laufen und suchen einen Würdigeren – und der wird sich finden! Wenn einem die Mutter Natur so viel gegeben hat, wie Ihnen —«
»Viel Schweres, o ja!« warf sie ein, mit einer unbefangenen, ruhigen Traurigkeit, die ihn überraschte. »Sie wissen nicht, warum ich Sie so lange angehört habe, ohne Sie zu unterbrechen … Ich – ich erwarte niemand. Ich weiß nicht, warum ich hier bin; es hat keine Vernunft. Mir erschien nur plötzlich als möglich, dass – — Eine Phantasie. Ich gehe!«
Sie starrte wieder in die Luft, schüttelte ihr welliges Haar, als mache sie dieser Phantasie nun ein Ende, und wollte an ihm vorbei, hinaus. Waldenburg stellte ihr aber seine ganze Höhe und Breite in den Weg und warf ihr einen so gekränkten Blick zu, dass sie stehen blieb.
»Warum wollen Sie fort?« fragte er. »Haben Sie kein Vertrauen zu mir? Misstrauen Sie mir?«
Ruhig lächelnd schüttelte sie den Kopf.
»Nun also … Ich danke Ihnen. Liebe, schöne Frau, Sie ahnen ja nicht, wie ergeben ich Ihnen bin…«
Er nahm ihre Hand, sie ließ sie ihm. —
»Sie wissen nicht, wie sehnlich ich wünsche, Ihnen diese unbegrenzte Hingebung zu beweisen.« —
Ein Klopfen an der Tür unterbrach ihn. Von jähem Ärger übermannt warf er den Kopf auf die Seite, gegen diesen Störer. Frau von Tarnow öffnete die Lippen, um »Herein« zu rufen; ihr fiel aber ein, dass sie hier nicht zu Hause sei, und mit einem leichten Erröten hielt sie inne, so dass der Mund offen blieb. Nach einer kurzen Stille ging die Tür auf; beide waren überrascht, sie sahen Wittekind eintreten.
»Guten Morgen, gnädige Frau«, sagte Wittekind, der die Tür hinter sich zumachte und dann stehen blieb. Er bewegte die Finger etwas unruhig am Hut, den er in der Hand hielt; seine weiße Stirnhaut zuckte; sonst erschien er gleichmütig und harmlos, auch zeigte er durchaus kein Erstaunen, die beiden hier zu finden. Er begrüßte Waldenburg durch eine Art von Nicken.
Dieser hatte Mariens Hand schon nach dem Klopfen zögernd losgelassen; er maß den Eintretenden jetzt von oben bis unten mit einem feindlichen, ehrlich hassenden Blick.
›Der Elende hält Wort!‹ dachte er, mit den Fingernägeln über sein ausrasiertes Kinn fahrend, sodass sie sich in den angeschwollenen Hals gruben. Er zog dann die Füße langsam ein wenig zurück, wie sich zur Verteidigung bereit machend.
»Ich habe die Freude, Sie noch einmal zu seh’n«, sagte Wittekind zu Marie, die ihn freundlich grüßte; »aus – irgendeinem Grunde bin ich gestern nicht nach Hause gesegelt, sondern hier geblieben. Ich ging jetzt auf der Düne hin, da sah ich die Herrschaften nacheinander hier eintreten; und weil ich an Sie etwas auszurichten habe, so nahm ich mir endlich die Freiheit, Ihnen nachzugeh’n. Allerdings weiß ich nicht recht, wo ich bin. Draußen war niemand, den ich fragen konnte, ob es gestattet ist – —«
›Ich selbst hab’ die Alte fortgeschickt!‹ dachte Waldenburg; er war wütend.
Marie entgegnete etwas verlegen:
»Ich – bin hier nicht zu Hause. Ich kam nur zufällig her – um die leere Wohnung für jemand anzuseh’n.«—
Das Lügen ward ihr lästig und schwer; unwillkürlich warf sie einen Blick von der Seite auf Waldenburg. Wittekind erriet, wie es stand: man hatte sie hierher bestellt, unter einem Vorwand!
Er heftete seine scharfen, blauen Augen auf den ›großen Komödianten‹; mit noch leidlich kaltem Blut überlegte er, wie er den Angriff zu beginnen habe. Waldenburg sah den heranziehenden Sturm. ›Dieser Puritaner‹, dachte er, ›ist zu allem fähig … In Gottes Namen dreist das Prävenire gespielt!‹ – Er trat bescheiden beiseite, und deutete mit einer runden, anmutigen Bewegung des rechten Arms auf Wittekind:
»Mein verehrter Freund«, sagte er, »hat etwas an Sie auszurichten; ich räume also das Feld.«
Mit überlegenem, mildem Lächeln setzte er hinzu:
»Es handelt sich nämlich um eine kleine Differenz zwischen ihm und mir! Er möchte, dass ich nicht zu viel mit Ihnen verkehre; er glaubt, dass ich nicht der richtige Umgang für Sie bin. Er zieht für Sie seinen Umgang vor.«—
»Ich verstehe nicht«, sagte Marie unmutig.
»Sie werden schon versteh’n! – Kurz, er hat Ihnen Mitteilungen über mich zu machen, die ich mit dem gebührenden Interesse anzuhören bitte. Er wird Ihnen erzählen – geben Sie nur Acht – was für ein gefährlicher Mensch ich bin: dass ich auf Dutzende von schönen Damen schlechte Gedichte gemacht habe; dass diese schlechten Gedichte gute Erfolge gehabt haben; dass ich den Don-Juan-Orden mit zwei Schwertern trage; dass eine Herzogin mich jeden Morgen verflucht und betrogene Frauen in verschiedenen Sprachen um mich weinen. Mit einem Wort, er wird der getreue Eckard aus dem Märchen sein, der Sie vor mir warnt. Warum er das tut – das wird er Ihnen nicht sagen; – wer weiß? Vielleicht doch. Hören Sie ihn geduldig an liebe Frau von Tarnow.«—
Waldenburg schloss seine Rede mit gemütlichster, schmunzelnder Heiterkeit:
»Und vergessen Sie nur nicht, wer ich wirklich bin! – Guten Morgen!«
Damit schritt er wie ein Fürst aus der Tür.
›Er versteht sein Handwerk‹, dachte Wittekind, den es in aller Erbitterung wie ein Zauber zog, ihm mit den Augen zu folgen und diese großen, mit Majestät schwankenden Schritte zu beobachten, bis er verschwunden war.
Als er sich dann zurückwandte, sah er in Frau von Tarnows verfinstertes, beleidigtes Gesicht.
»Ich bitte«, sagte sie ungeduldig und kalt, »erklären Sie mir. Ich verstehe das alles nicht.«
Mit einer jugendlich verlegenen Bewegung hob Wittekind seinen niederhängenden Hut und ließ ihn wieder zurückfallen.
»Ich weiß wirklich nicht«, begann er, »wie ich’s sagen soll. Dieser Herr ist mir auf so eigentümliche Art zuvorgekommen —«
»Sie hatten also wirklich vor«, unterbrach sie ihn, »mich vor ihm zu warnen?«
Er hob die Arme ein wenig, wie zum Eingeständnis.
»Ich danke Ihnen sehr«, sagte sie gereizt. »Es scheint, alle Welt – beschützt mich. Ich fühle mich aber gar nicht schutzbedürftig, mein Herr. Ich bin zur Selbstständigkeit erzogen worden, und ich helfe mir gern selbst. Wenn Sie nichts anderes an mich auszurichten hatten —«
»Sie machen mich völlig wehrlos, gnädige Frau«, sagte Wittekind, der stark errötete. Er zögerte einige Augenblicke, ihm ward abscheulich zu Mut; doch wohl oder übel musste er sich fassen, und in seinem schlichtesten Ton sprach er weiter: »Ich bitte, beschämen Sie mich nicht; ich meinte es wirklich gut! Es ist eine nichtswürdige Situation, den – Angeber zu spielen; das ist auch sonst nicht mein Metier. Aber da ich zufällig bemerkte, dass der Sekretär dieses Herrn – — denn aus dessen Veranlassung sind Sie doch wohl hier —«
Marie horchte auf.
»Und da ich nicht möchte – versteh’n Sie – dass Sie als das Opfer einer unpassenden Komödie – —«
Er zuckte wie hilflos die Achseln.
»Sehen Sie«, sagte er nach einem Schweigen, das sie nicht unterbrach, – »es ist wirklich nicht mein Metier. Weiter komm’ ich nicht.«
»Ich danke Ihnen«, sagte sie leise, und blickte ihn wieder mit dem vertrauensvollen, herzlichen Glanz in den weit geöffneten, klaren Augen an. »Vielleicht – haben Sie Recht. Übrigens bin ich nicht blind. So gut, wie ich’s fühle, dass Sie’s ehrlich meinen, so gut errat’ ich wohl auch, wenn man ein Spiel mit mir spielen will. Was aber den Herrn betrifft, vor dem Sie mich warnen wollen, so – so bin ich ganz außer aller Gefahr, und in jeder Weise.«
Er konnte nicht umhin, zu lächeln, nachdem er sie verwundert betrachtet hatte.
»Sind Sie dessen gewiss?« fragte er.
»Ja, ich bin dessen gewiss.«
Er hob die Achseln:
»So bin ich also wieder am Ende. – Es ist eine ganz verteufelte Misere mit der sogenannten ›guten Gesellschaft‹ … Verzeihen Sie. Ich wollte nur sagen – — Ich drücke mich da unpassend aus. Da ich mit all’ meinem guten Willen so hilflos vor Ihnen dastehe, wollte ich nur sagen: sehen Sie, die Etikette in unserm Stande trennt die Menschen zu sehr … Der Bauer kann zur Bäuerin sagen: Grete, nimm dich in Acht! Der da will dir was tun! – Oder meint er ihr’s gut, so kann er sich ihr gegenübersetzen und sagen: Du, Grete, ich mein’ dir’s gut! – Und da das alles doch eigentlich das Natürliche ist, so wird es mir oft schwer, unsre gesellschaftlichen Konventionen zu bewundern, die uns das Wort im Munde mitten durchschneiden, und dann über jede Hälfte noch einen Handschuh zieh’n. – Aber Sie denken wohl umgekehrt, und sagen sich: wo kommt dieser Bauer her?«
»O nein!« sagte sie; »ganz und gar nicht! Warum denken Sie das von mir? Hab’ ich mich Ihnen gestern, und damals, so gezeigt? – Ich dachte immer wie Sie. Man wirft mir vor, dass ich schweigsam bin. Ich schweige nur oft so still, weil ich nicht reden darf, wie ich reden möchte – und wie die andern mag ich nicht!«
»Ah!« sagte Wittekind, plötzlich so glücklich, dass ihm die Wangen blass wurden. »Dann – — dann bin ich sehr froh … Dann hab’ ich Sie also nicht verkannt. Denn das erste Mal, als ich Sie sah – auf der ›Hedwigsruhe‹, mein’ ich, da oben – da dachte ich schon einmal: mit der könntest du fast wie mit dir selber reden; in der ist Natur!«– — Er lächelte bewegt: »Und ich hab’ dann auch viel mit Ihnen geredet«, fuhr er stockend fort; »Sie waren aber nicht dabei. Und hab’ Ihnen wohl zuweilen alles gesagt, was ich auf dem Herzen hatte … Nu, was macht es Ihnen. Mir tat es wohl, und Ihnen tat es nicht weh!«
»Warum reden Sie so«, erwiderte sie und legte ihre geschlossenen Hände in einer eigentümlichen Gebärde gegen ihre Brust. »Wie könnte es mir wehtun Wenn ich es auch hörte? – Sehnt man sich denn nicht oft aus tiefstem Herzen, mit einem Menschen so zu reden, wie Sie eben sagen … Sie sprachen gestern von Ihrer Einsamkeit. Ich – — ich lebe mit vielen sogenannten Menschen; aber Sie wissen ja nicht, wie einsam ich doch bin.«
Sie ging von ihm hinweg, bis zum Fenster, legte eine Hand gegen den Rahmen, den Kopf auf die Hand und blickte auf das weißlich flimmernde Gewölk hinaus. Ohne ihr zu folgen, sagte er nach einer kurzen Stille:
»Darf ich Ihnen hierüber etwas sagen, liebe Frau von Tarnow? Darf ich offen sein?«
»Gewiss«, antwortete sie und wandte sich herum. Mit einem traurig reizenden Lächeln setzte sie hinzu: »Wie der Bauer zur Bäuerin!«
»So muss ich Ihnen noch einmal sagen, was ich gestern sagte: Sie bei diesen Tilburgs! Da sind Sie ja wie ein Paradiesvogel unter den Schneegänsen; – verzeihen Sie den Vergleich. Sie nennen es Ihre ›Aufgabe‹, die Sie sich gestellt haben; aber, mein Gott, wie müssen Sie da leiden, Sie mit Ihrer Sehnsucht nach Wahrheit, mit Ihrer graden, stolzen, von all dem Firlefanz unberührten Seele … Stehen Sie nur noch still; Sie haben mir erlaubt, auf meine Weise zu reden. Sehen Sie, liebe, gute – — nicht gar oft im Leben findet man einen Menschen, zu dem man sagen möchte: ›was für ein Glück, dass du da bist!‹ So ein Mensch sind Sie! – — Lassen Sie das nur, schütteln Sie nicht den Kopf. Ich weiß ja doch, was ich sage…«
Er blickte sie fort und fort an; sie stand in so rührender, bescheidener Hoheit da, ein so einfacher, natürlicher Adel floss um ihre Glieder, lag auf den gesenkten Augen; – ein unaufhaltsames Gefühl trat ihm auf die Lippen. Es riss ihn fort, alles herauszusagen…
»Ich hatte eine Frau«, fuhr er fort, – »ganz anders als Sie: zart, kindlich – nichts Heroisches – sie verging so bald – — aber auch ein von Gott gesegnetes, herrliches Geschöpf. Wenn Sie sie gekannt hätten! Sehen Sie, die – und Sie – — Warum soll ich’s nicht sagen: eine Dritte, wie die und Sie, werd’ ich nicht mehr finden!«
Frau von Tarnow hatte den Kopf zur Seite geneigt; mit einem zögernden, schrägen, schmerzlich dankbaren Blick sah sie zu ihm hinüber. Ihr Gesicht war ganz entfärbt, die Lippen geöffnet; ihr Busen hob sich, von langen, tiefen Atemzügen geschwellt. Dann schloss sie die Augen und sagte langsam:
»Verzeihen Sie mir…«
»Was soll ich Ihnen verzeihen?«
»Dass ich Sie so lange – —«
Zu lange, wollte sie hinzusetzen; es blieb aber eine lautlose Bewegung ihrer blassen Lippen. Fast unhörbar flüsterte sie dann:
»Aber ich danke Ihnen. – Nochmals; verzeihen Sie mir…«
Mit langsamem, schwerem Aufschlag öffnete sie die Augen.
»Sie sagten von diesen Tilburgs, nicht wahr … Ich will Ihnen noch einen Grund sagen, warum ich bei ihnen bin: von nichts kann ich nicht leben – und zu meinem Mann will ich nicht zurück.«
Sie vermied es, Wittekind anzuseh’n, stand still da und horchte. Es kam aber kein Laut von ihm; kaum dass er sich regte. Als sie endlich hinübersah, bemerkte sie, dass er sich an die Wand gelehnt hatte und langsam eine Hand mit der andern rieb; seine Augen starrten blicklos, ein unbestimmtes Lächeln schwebte um seine Lippen; sonst verriet er nicht, was sich in ihm bewegte.
»Ich wollte gegen Sie nicht auch unwahr sein – wie gegen die andern«, – sagte sie mit Mühe.
»Ja, ja«, murmelte er. »Vielen Dank…«
Nach einer Weile fuhr er fort:
»Ich hatte gehört, dass Sie Witwe seien. Und da Sie in einem fremden Hause leben —«
»Wenn man nicht zusammenstimmt«, erwiderte sie, von ihm abgewandt, »so lebt man nicht gern zusammen … Aber den andern sage ich das nicht, und nicht die Neugier, das Mitleid, die Schadenfreude der Menschen – — Sie versteh’n wohl. – Ihnen musst’ ich’s sagen!«
»Nochmals vielen Dank«, murmelte er wieder. – »Unsinniges Leben auf dieser unsinnigen Welt!«
»Was sagten Sie?«
»Einen alten Segensspruch—nur so für mich. Übrigens ist es besser, wenn ich nichts mehr sage. Leben – — Leben Sie denn wohl!«
Sie erschrak heftig.
»Oh!« sagte sie, die geschlossenen Hände öffnend. »Sie wollen geh’n? – Sind Sie mir so böse, dass ich nicht früher die Kraft hatte, Sie zu unterbrechen? – Ach, es tat so wohl, was Sie mir da sagten … Und ich leide so viel!«
»Ich bin Ihnen auch nicht böse«, entgegnete Wittekind mit gerührtem Lächeln. »Aber – — was soll ich nun hier? Wir wissen nun, wie es mit uns steht; wir wissen es und können uns nicht helfen. Das ist Menschenleben. Wie wenn eine Insel versinkt – der eine noch auf seinem Felsen über dem Wasser schwebt – der andere auf seinem zertrümmerten Dach langsam niedergeht: sie sehen einander noch, aber sie können sich nur noch winken und Abschied nehmen. Das können wir auch … Gute – arme – liebe Frau von Tarnow – leben Sie wohl!«
»Sie verlassen mich?«
Er antwortete nicht. Die Enthüllung hatte ihn zu plötzlich und zu hart getroffen. Die Lippen zusammengedrückt, mit einer grüßenden Gebärde wandte er sich zur Tür.
»Mein Gott!« sagte sie mit fast vergehender Stimme, »so auf einmal wollen Sie verschwinden – und als wär’ es für immer – — und Sie geben mir nicht einmal die Hand? Und ich soll Ihnen nicht sagen, wie weh mir zu Mute ist – und dass jedes Ihrer Worte – Ihr gutes, Ihr großes Herz – — dass ich Sie bewundre?« —
Sie hatte wieder Kraft gewonnen, mit den lieblichsten Tönen ihrer edlen Stimme fuhr sie errötend fort:
»Ach, glauben Sie nicht, dass ich nur hören wollte, was Sie für mich fühlen; nicht selbstsüchtige Eitelkeit – — Ich fühlte mich gestärkt, gebessert, erhoben, weil ein Mann wie Sie mir das sagte. Es wird mich immer stärken und aufrecht halten, wenn ich daran denke … Nun aber geben Sie mir – wenn Sie denn gehen wollen – — geben Sie mir zum Abschied die Hand!«
Sie stand, ihn erwartend, da. Wittekinds Augen ruhten auf den ihren; in Freude und Schmerz versunken ging er langsam auf sie zu.
»Ich werde versuchen«, sagte er mit Fassung, »keines dieser Worte zu vergessen. – Dieses traurig lächelnde Gesicht wird mir nun immer so vor Augen steh’n … Haben Sie Dank!«
Er nahm ihre Hand, die sich ihm sanft und still entgegenstreckte, und umschloss sie fest. Auf einmal stieß Marie einen Schrei aus, und ihre erstarrenden Augen verloren fast die Farbe.
»Eugen!« rief sie dann.
Wittekind wandte sich und sah Eugen Dorsay in der geöffneten Tür steh’n. Sie hatten beide ihn nicht kommen hören; ihn hatte die Überraschung versteinert, hier Marie zu seh’n. Die letzten Reden Wittekinds hatte er gehört – fast ohne den Sinn der Worte zu begreifen. Jetzt kam es an Wittekind, die Fassung zu verlieren. Da stand dieser Dorsay, der Entflohene; und Marie, vor ihm erschreckend, rief seinen Namen ›Eugen‹ aus…
Ein Blick der jungen Frau, auf ihn, dann auf Dorsay, gab ihm volle Klarheit; er sagte ihm stumm: ›Der da ist mein Mann.‹ Dennoch fragte der verwirrte, erschütterte Wittekind sie noch mit den Augen. Sie nickte ihm langsam zu. Dorsay stand noch und schwieg.
An seine Stirn greifend, wie um das alles zu fassen, ließ Wittekind seine leeren Blicke in dem Raum umherirren, wo ihm das geschehen war. Alles blieb totenstill. Er richtete sich dann auf, wie ein Mann entschlossen, und ging.
Als er an Eugen vorbeikam, öffneten sich ihm die Lippen, als müssten sie ihn doch begrüßen; – Kathi aber fiel ihm ein. Er schwieg, die Zähne aufeinanderdrückend, und mit einer kalten Bewegung des Kopfes ging er aus der Tür.
IV. Kapitel
So standen sich nun die beiden gegenüber, unerwartet, nach langer Trennung. Eugen hatte hinter sich eine Hand gegen den Türpfosten gelegt; Marie ließ die Stuhllehne los, auf die ihr Arm sich gestützt hatte, und blickte über ihn hin und an ihm hinab. Sie erschien in diesem Augenblick als die Ältere, obwohl sie es nicht war: in demselben Monat waren sie geboren. Aber das bitterscharfe Gefühl der Würde, in der sie sich fassen und aufrecht erhalten müsse, gab ihr etwas Matronenhaftes, während ihn seine Verwirrung recht zum Jüngling machte. Sie schwiegen noch eine Weile; endlich sagte sie:
»Also du wirklich hier!«
»Was wollte dieser Herr?« fragte Eugen, in dessen entfärbten Wangen eine Röte aufstieg. Marie lächelte.
»Das ist nach so langer Zeit eine seltsame Begrüßung, nicht wahr: ›was wollte dieser Herr?‹ Verzeih’. Du hast Recht.« —
»Aber dieser Händedruck – seine Worte … Darf ich noch einmal fragen.« —
»Was dürftest du nicht fragen?« unterbrach sie ihn. »Wir sind ja Mann und Frau. Das ist ein Herr, der soeben erfuhr, dass ich einen Mann habe; und der darum fortgeht; weil er, seltener Weise, ebenso rechtschaffen ist wie deine Frau.«
»Marie!« sagte Eugen und legte sich eine Faust gegen die Stirn. »Ich bin ein – — Vergib mir. – Es kam nur so über mich; bei Gott, ich zweifelte nicht – —«
»Desto besser für dich; denn wie weh das tut, würdest du dann merken.«
Sie brach ab und sagte in verändertem Ton:
»Aber wie reden wir denn in der ersten Stunde. Es war also keine Täuschung: du bist wirklich hier. Und es schien mir doch unmöglich, dass die weite Reise so schnell – — und dass du dich überhaupt entschließen würdest – —«
»Mich entschließen – ich —?« erwiderte er verwirrt.
»Nun«, sagte sie noch unbefangen, »ohne dich zu entschließen, kamst du doch nicht her. Ich bat dich allerdings nicht mit Worten: ›komm’ du auch‹; das, weißt du, würd’ ich nicht tun; aber als ich dir aus Salzburg schrieb: ich gehe in dasselbe Bad, wo dein Vater ist, ich hab’ ihn kennen gelernt, erlaube mir den Versuch, dich mit ihm zu versöhnen – da dachte ich doch im Stillen: statt eines Ja oder Nein kommt er vielleicht selbst! – Nur, als du so plötzlich da standst, erschrak ich – —«
Auf einmal erschrak sie von neuem: denn seine wachsende Verstörung, seine unruhigen Bewegungen konnten ihr nicht länger entgehen. Sie trat auf ihn zu.
»Eugen!« rief sie aus. »Dich überrascht ja alles, was ich sage. Du weißt nichts von meinem Brief – hast ihn nicht gelesen!«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich will dich nicht mehr belügen«, stieß er mit großer Anstrengung hervor, während er an seinen Knopflöchern zerrte. »Nein; ich weiß nichts von diesem Brief. Ich hab’ London schon vor mehr als vierzehn Tagen verlassen – !«
»Aber du bist doch hier? – Wenn du nicht auf meinen Brief gekommen bist, wie bist du dann hier?«
Er schwieg.
»Ah!« sagte sie. »Wie dumm bin ich. Es kann ja auch eine andre dir geschrieben haben – und auf deren Brief bist du hergekommen…«
Er sah ihr in die Augen, fast wie ein ertapptes Kind, rührte sich nicht und schwieg.
»Ich danke dir«, sagte sie nach einer Weile, die Wimpern zusammendrückend: »du belügst mich wenigstens nicht. – Und du betrügst mich auch nicht: denn ich wusste ja, ohne eine sogenannte Liebe kannst du nicht leben. An diesem – Sirenenfelsen sind wir ja gescheitert.« —
»O Marie!« rief er in weicher Zerknirschung aus. »Liebe, gute Marie!«
Er wollte sich ihr nähern; sanft und ruhig abwehrend murmelte sie:
»Bitte.«—
Er blieb steh’n. —
»Dann aber begreif’ ich nicht«, sagte sie, wie erwachend: »wie konnte denn dein Vater wissen oder ahnen, dass du hierher kommen würdest? Eben diesen Morgen —«
»Mein Vater?« fiel ihr der verfinsterte Eugen mit rauer Stimme ins Wort. »Was wüsste der von mir? Nie, nie soll er – Hast du ihm etwa verraten, wessen Frau du bist?«
»Ich verrate nichts«, erwiderte sie, »was du verschweigen willst. Ich habe nur den Wunsch, dich mit deiner Heimat, mit ihm wieder auszusöhnen.«—
»Lass’ das. Nein, nein. Niemals! Ist er hier, so geh’ ich! – Mich mit dem Fluch meines Lebens zu versöhnen – — Ja, er ist mein Fluch! Alles Gift, das ich in mir habe, hab’ ich von ihm; alles, um das du mir gram bist – und ich, ich mir selbst! – Sag’ mir nichts für ihn, verteidige ihn nicht; du kennst ihn nicht. Er hat dich nicht erzogen … Als meine Mutter starb, und ich noch ein Kind war ohne Sinn und Verstand, da gab er mir einen Verstand – lehrte mich das Leben so versteh’n, wie er! Mit seinem kalten Lächeln erzog er mich zum Genuss; zeigte mir durch sein Beispiel, wie gut man durchs Leben kommt, wenn man täuscht, heuchelt, lächelt und beträgt. O, ich lernte alles.«
Er stampfte mit dem Fuß auf den Boden; er warf einen schmerzlich wilden Blick zur Decke hinauf.
»Und ich hatte doch auch edle Triebe und Gedanken«, rief er aus; »es war auch Gutes in mir! – Aber ich lernte zu leicht; das Gift war ja im Blut. Ich hass’ ihn, ich hass’ ihn! Er hat mich zugrunde gerichtet, und ich bin verloren!«
»Du bist noch nicht verloren; sag’ das nicht!« erwiderte sie mit ihrer sanften, mitleidvollen Stimme, nach einem tiefen Seufzer. »Du verzweifelst so leicht, Eugen … Und deine Verzweiflung macht dich ungerecht gegen deinen Vater – nein; fahre nicht so auf – oder wenigstens ungerecht gegen dich selbst. Da uns das – Schicksal wieder einmal zusammengeführt, lass’ mich dir noch sagen: wenn du auch keinen Vater mehr willst – und wenn auch zwischen uns – —« sie brach ab – — »wärst du darum verloren? Kannst du dir denn nicht wie ein Mann noch ein Leben schaffen? Ja, ja, viel schlug dir fehl; aber dein Geist, deine Feder – — schreibst du nicht mit Talent, mit Glück? – Du lebst davon kümmerlich; du könntest aber besser leben, wenn du jenen Antrag nicht verworfen hättest, für die Regierung zu schreiben.«—
Eugen fuhr auf und streckte einen Arm gegen sie aus.
»Ich mich verkaufen! Nie!«
»Guter, stolzer Eugen!« sagte sie; auf einmal standen ihr Tränen in den Augen. Die zurückgepresste Wehmut brach hervor: beinahe schluchzend murmelte sie: »Ach! Dass alles hin ist! Und dieser dein edler Stolz noch mein letzter Trost! – — Ja, ja«, sagte sie, sich allmählich fassend, da er, einen Finger zwischen den Zähnen, schwieg: »wie anders standen wir uns damals gegenüber, als ich dich kennenlernte; als ich so erstaunte, wie fremd und – vornehm du unter all’ diesen rastlosen, geldhungrigen, amerikanischen Menschen warst: so sorglos, so jung – wie der Frühling , – wie die Poesie … Ach, wie glaubt’ ich an dich; wie schien mir’s undenkbar, unmöglich, dass so eine Menschenblüte je – vergehen könnte.«– —
Sie trat ans Fenster, von ihrem Gram übermannt, sie konnte ihn nicht mehr anseh’n, konnte nicht mehr reden.
›Und wie war ich gewarnt!‹ dachte sie, in ihr Taschentuch beißend, um nicht aufzuschluchzen. Ihr stand jener Steinbruch am Untersberg vor den Augen, und der alte Saltner. … Sie zweifelte ja selbst, misstraute noch ihrem Herzen, floh vor ihrer Liebe; nach Europa reisend kam sie zu dem ›Alten‹, gestand ihm, ihrem besten Freund, was sie beglückte und quälte; zeigte ihm Eugens Bild, beschrieb ihm seine Art, sein feuriges, ruheloses, flatterhaftes Wesen…
»Nimm ihn nicht!« sagte Saltner. »Kind, es wird dein Unglück!« – — ›Ich glaubt’ ihm auch!‹ dachte sie; ›ach, hätt’ ich ihm nur fort und fort geglaubt! Dann aber rührte sich plötzlich, wie ich Törin meinte, das Bessere in mir: dieser Kinderglaube, durch meine Liebe könnt’ ich seinen Charakter stärken, bessern, vertiefen … Ach, was für ein Mädchentraum! – Und von der Sehnsucht gejagt ging’s wieder zurück nach Amerika, und in seine Arme…‹
Nun hörte sie sein seufzendes Atmen; hier in dem ›letzten Haus‹. Es schüttelte sie. Auf einen Stuhl sinkend, der am Fenster stand, legte sie sich die Hände vor die Augen und befeuchtete sie an den zerdrückten, langsam quellenden Tränen.
»Marie!« erklang es neben ihr, und zu ihr hinauf.
Eugen kniete, doch ohne sie zu berühren.
»Töte mich!« sagte er und seufzte. »Töte mich, und vergib mir! – Marie! Engel!«—
Er fasste endlich zaghaft ihre Hände und flüsterte:
»Schwester!«
»Schwester!« wiederholte sie, traurig lächelnd.
»O glaub’ mir, Marie: wenn so einer wie ich eine holde Frau seine Schwester nennt, – ’s ist sein bestes Wort … Ach, hättest du mich doch retten können, eh’ ich so ›verging‹, wie du sagst; – das war meine Hoffnung! – Aber mit Lügen fing ich an, als der Sohn der Lüge: den altadeligen Namen gab ich mir aus erbärmlicher Eitelkeit, und den Reichtum aus Angst, ich könnte dich sonst verlieren – dein Vater könnte nein sagen. Immer dacht’ ich nur: wenn ich sie erst habe, wird sich alles finden – ich kann nicht ohne sie leben.«—
»Und wie gut du’s nun kannst!«
»Ach, ich kann es nicht … Lächle nicht so grausam; ich liebe ja die andern nicht – nicht von Herzen, mein’ ich – alles Gute in mir sehnt sich doch immer, immer wieder nach dir!«– —
Er seufzte und stand auf.
»Aber der Kampf ist nutzlos«, sagte er zwischen den Zähnen; »wie oft ich mich auch – verachte, ich kann’s doch nicht ändern. Ja, ja, es ist wahr – ja, ich bin zu schwach … Das hab’ ich nie in Büchern so recht geschildert gelesen, was mein Elend ist: seine schlechten Eigenschaften hassen, verachten, verfluchen, aber nicht ändern können … Ach, es ist unsäglich!«
»Hör’ mich an, Eugen —«
Er hörte sie nicht; seine Augen flackerten, seine Finger rieben sich ruhelos an den Händen; so sprangen auch seine Gedanken ohne Rast umher.
»Herr von Tarnow!« fing er wieder an; »meine erste Lüge vor dir! – Dann wollt’ ich dir wenigstens ›einen Namen machen‹, da dich mein erster getäuscht hatte; einen gefeierten Namen.«
Er lachte auf.
»Ich eitler Narr! Einen Künstler-Namen! Glaubte ein von Gott berufener Schauspieler zu sein, weil ich im Leben so gut zu spielen und zu täuschen verstand; – es war nichts als das Vaterblut! Damit hält man sich nicht auf den geweihten Brettern! – Also wieder weg mit der Maske, mit dem Künstler-Namen; nimm wieder einen dritten falschen Namen an, da die andern in der Wäsche ausgingen.«
Er griff sich wild in die geringelten Haare und drückte die Augen zu:
»Alles, alles Lüge! Ich verleugne meinen Vater, meine Heimat, meine Künstlerschaft – und dich … Ach, dich nur, weil ich mich schämen muss, dich mein Weib zu nennen! Weil meine Irrwege, meine Verzweiflungen – — Hör’ mich doch nicht an wie ein Stein! Sag’ mir was! Sag’ mir: mach’ ein Ende! Mit einer Kugel in die Brust wäre mir geholfen; dann mag mein Vater kommen und sich’s anschauen und sagen: das hab’ ich geschaffen, Gott segn’ es!«