Kitabı oku: «Adams Söhne», sayfa 16
Marie entzog ihm ihre Hand und stand auf.
»Exzellenz!« sagte sie, die Augen auf ihn geheftet. »Mit wem red’ ich denn?«
»Mit wem?« fragte er zurück, indem er erregt und einschmeichelnd lächelte; auch er hatte sich erhoben. »Mit einem Mann, der nicht bloß Exzellenz ist, meine schöne Freundin! Und der ein solches Gespräch mit einer so außerordentlichen Frau nicht führen kann, ohne um die Ruhe zu kommen, die er sich vergebens zu erhalten sucht. Der Sie leider ohne Rettung anbetet – und auf Tod und Leben —«
Marie unterbrach ihn jedoch, eh’ er sein Bekenntnis ganz beenden konnte. Mit glühenden Wangen und mit bebenden Lippen, aber die Würde und Hoheit nicht verlierend, sagte sie:
»So wissen Sie nicht, mit wem Sie reden. Ich bin die Frau Ihres Sohns.«
Waldenburg taumelte fast zurück. Die große Gestalt begann in den Knien zu schwanken; das gänzlich Unerwartete machte ihn fassungslos.
»Sie – — Eugens – –?« stammelte er.
Sie trat langsam zurück und nickte.
»Sie täuschen mich!« stieß er nach kurzem Schweigen hervor. »Das ist —«
»Keine Lüge!« fiel sie ihm ins Wort. »Ich täusche die Menschen nicht!« —
Ihre Stimme zitterte noch eine Weile, allmählich warf sie ihm den Unwillen, die Empörung, die Verzweiflung mit leidenschaftlicher Stärke ins Gesicht, während sie weitersprach:
»Ja, die Frau Eugens … Ich war hergekommen, um es Ihnen zu sagen, wenn ich Ihr Herz – Ihr Vaterherz – geweckt hätte; wenn ich es vorbereitet, ausgehorcht, und Ihnen endlich aus meinem gequälten Herzen zugerufen hätte: ›Der Mann, für den ich um Hilfe bitte, ist Ihr verlorener Sohn! Er hat Ihnen nicht vergeben, was Sie an ihm getan haben, aber Sie, Sie müssen ihm vergeben; Sie müssen an seinem Herzen rütteln, ihn an Ihre Brust zieh’n, bis er seinen Vater wiederfindet, und mit ihm das Leben!‹ – Es war mein letzter Versuch, ihn zu retten; ich weiß keinen mehr. Ich hab’ meine Pflicht getan – Gott mag zwischen Ihnen und Ihrem Sohne richten!«
Sie stürzte aus der Tür, über den Flur, und in die Nacht hinaus.
»Marie!« rief Waldenburg mit zuerst klangloser, dann gellender, schriller Stimme, »Marie! Hören Sie mich! Marie!« und eilte ihr nach.
VII. Kapitel
Die See war gegen Abend unruhiger geworden; die Brandung nahm zwar nicht zu, da der Wind von Süden wehte und das Meer vom Lande hinwegtrieb; aber auf dem seichteren Grund und auf den unsichtbaren Sandbänken stürzten die Wellen mit Getöse übereinander, und die gegen sie anheulende, zurückgepresste Luft gab die hohen Töne zu dieser dumpfen Musik, mit der sich das langgezogene Sausen in den geschüttelten Buchenkronen mischte. Die Wolken hingen schon tief, von Zeit zu Zeit begannen sie zu tropfen, und große, gewichtige Wasserkügelchen fielen in den Sand oder auf die Blätter; zu einer wirklichen Entladung jedoch kam es an diesem Tage nicht. Die feuchte Luft blieb schwül.
Ein einziger blasser Streifen am nördlichen Horizont, über dem Meer, erinnerte noch an den hinabgesunkenen Tag; sonst war überall schwärzlich graue Nacht. Zuweilen hörte man aus den nächsten Dörfern wachsame Hunde bellen; verstummten sie, so waren nur Wind und See zu hören, und das singende Klirren der Steine, die eine zurückfließende Brandungswelle wieder mit sich fortriss.
Eugen Dorsay kam – zum wievielten Male schon, hätt’ er nicht sagen können – aus dem anstoßenden Wald durch die ›grüne Tür‹ in seine Zimmer zurück; den Hut auf dem Kopf, langsam, finster brütend. In dem großen Waldzimmer brannte eine Lampe auf dem Tisch neben dem Sofa; eine Flasche Wein und ein Glas standen daneben, und ein Teller mit Gebäck. Die Vorhänge an den Fenstern waren herabgelassen; im Schlafzimmer nebenan kein Licht. Eugen ging noch einmal durch seinen ›Käfig‹ hin, und halb wieder zurück; dann aber blieb er steh’n, lächelte und gähnte.
»So pendele ich aus dem hellen Zimmer in den dunklen Wald«, sagte er vor sich hin, um seine Stimme zu hören; »und aus dem dunklen Wald in das helle Zimmer, – wie ein Nachtfalter, der aus und ein fliegt … Die Unterhaltung ist mir am Ende doch zu geistlos.« —
Er warf seinen Hut auf den Tisch und reckte sich; ›ich will mich einschließen‹, dachte er, ›und zu schlafen suchen; – morgen ist wieder ein Tag!‹ Als er die grüne Tür verschlossen hatte und zurückkam, fiel sein Blick auf die Flasche Wein; eine Weile sah er sie träumend und mit schwachem Bewusstsein an, bis er ihr zunickte und näher trat.
»Alles andere ist Unsinn«, murmelte er. »Schlafen werd’ ich doch nicht. Aber mit dem Wein mir noch eine gute Stunde machen – das kann ich; mich in den Halbschlaf trinken, der die besten Gedanken und Phantasien hat … Ja, das wollen wir tun!« —
Er schenkte ein und trank. Indes er verzog das Gesicht; seine verwöhnte Zunge fand diesen Rotwein, den ihm Frau Temme geholt hatte, ›verbrecherisch sauer‹, ›lieblos‹.
»Dir müssen wir einen Kameraden geben!« sagte er, indem er den Wein in seinem Glas ernst betrachtete; »den ›Busenfreund‹ aus dem großen Fläschchen, das der alte Eisbart so gern in die Salzach geworfen hätte. Aber wir haben es noch! Und wieder bis oben voll!« – —
Mit einer düstern, tollen Heiterkeit sah er auf das bauchige Fläschchen, nachdem er es hervorgeholt hatte:
»Edles Morphium! Wenn man dich nicht hätte! – Diesmal wollen wir dich als Trosthelfer in den Wein schütten … ›Trosthelfer!‹ Ein gutes Wort. Mir fällt also noch was ein…«
Er goss aus dem Fläschchen ein wenig in das halbleere Glas. ›Alles auf einmal‹, dachte er, ›wäre freilich besser; – aber der Graf wird’s schon machen! Nur noch bis morgen Geduld!‹
Mit einer raschen Bewegung hatte er ausgetrunken, warf sich nun auf das Sofa – wie er in seinem jungen Leben schon so oft getan – und legte die beiden Hände, von den Qualen dieses Tages müde, unter den Kopf. Er war es gewohnt, mit sich selbst zu reden; er hörte seine Stimme gern, wenn er einsam war, berauschte sich gern an seinen gesprochenen Phantasien und erklingenden Gedanken.
»Ach, das Liegen tut wohl!« sprach er vor sich hin, während eine verstohlene Träne, von der er nichts wissen wollte, an der Wange hinabsickerte und sich im Bart verfing. »Über das Liegen geht nichts! – Der Wein und der ›Trosthelfer‹ laufen so friedlich durch die Adern; die alte See rauscht in ihrem tiefen Bass, wie eine ferne Musik, von der man nichts, als den Brummbass hört; – und als freier Mensch kann ich mir dabei denken, was ich will. Eine reizende Tanzmusik, irgendwo da hinten; in einem vergoldetem säulengetragenen Saal, wenn ich will. Schöne Frauen, mit Blumen und Kolibris und Glühwürmchen im Haar, fangen an zu schweben; die schmachtenden Augen glüh’n und die Schultern leuchten.«– —
Er hörte ein leises Klopfen, und sein Traum war auf einmal fort. Halb aufgerichtet lag er und horchte. Wer wollte noch so spät zu ihm? – Es klopfte wieder, gedämpft, vorsichtig, an der grünen Tür. Sollte Marie noch einmal – —? – ›Nein, nein!‹ dachte er und sprang geängstigt auf. ›Ich will sie nicht mehr seh’n! Diesen Engel nicht! Das ist aus; ich kann nicht!‹
Endlich klopfte es zum dritten Mal, und er fasste sich.
Wie käme Marie durch die Gartentür? Sie kannte sie ja nicht. Er ging leise hin und horchte. Dann, als er ein Rauschen wie von Frauenkleidern hörte, fragte er beklommen:
»Wer ist da?«
»Eugen!« flüsterte die Stimme der Gräfin.
Er erkannte sie. Ihn befiel ein Zittern. Sie wiederholte flehend:
»Eugen! Öffnen Sie! – Öffnen Sie schnell!«
Wie einer, der sich dem Schicksal unterwirft, hob er den zögernden Arm und drehte den Schlüssel herum. Melanie öffnete rasch die Tür und trat ein; Eugen erschrak über ihre verwirrten und entstellten Züge, an denen einige Regentropfen hingen; das braune Haar klebte an den Schläfen.
Sie holte erst Atem, dann sagte sie, während ihre Augen umhergingen:
»Gott sei Dank, Sie sind da! – Sind Sie allein?«
Er nickte, widerwillig, verstört.
»Ist die Tür da hinten, zum Vorplatz, verschlossen?«
»Ja«, sagte er.
»So verschließ’ ich hier!« —
Sie schloss die Tür hinter sich zu.
»Durch die dunkle Nacht«, sagte sie nach Atem ringend, »bin ich hergelaufen. In meinem Schlafzimmer hatte er mich eingeschlossen; nachdem er deine Briefe an mich gefunden hatte … Er will mich gefangen halten. Den ganzen Nachmittag und Abend saß ich in Verzweiflung da; endlich bin ich aus dem Fenster gesprungen – es war nicht hoch – mir ist nichts gescheh’n. Und nun bin ich bei dir. Du rettest mich, Eugen! Aber schnell, eh’ er mich vermisst, eh’ sie mich verfolgen. Komm’, lass’ uns flieh’n!«
Flieh’n … Er hatte dieses Wort erwartet, so lange wie sie sprach; nun, da er es hörte, fuhr es ihm doch durch die Glieder. Sein Erschrecken zu verbergen suchend fragte er, indem er an ihr hinabsah:
»Wohin?«
»Irgendwohin! Gleichviel —«
»Aber, Unglückliche … Ich kann ja nicht; ich darf nicht. Der Graf hat mein Wort, ich stehe ihm zur Verfügung —«
»Ich weiß«, murmelte sie. »Aber —«
»Nein, du weißt noch nicht. Er hat mich fordern lassen; alles ist abgemacht —«
»Wann?«
»Morgen früh.«
»Aber es handelt sich um mich«, rief sie aus, – »um meine Freiheit! Du musst mich retten, Eugen; du bist mir mehr als dem Grafen schuldig; begreifst du, fühlst du das nicht? Ich muss fliehen – und doch nicht ohne dich? – Findet er mich wieder, so gibt er mich nicht mehr frei … Nein, nein; er hat geschworen! Du kennst ihn nicht, er hält sein Wort: er vergräbt sich mit mir in irgendeinem öden Waldschloss, sieht ruhig wie eine Statue zu, wie ich mich verzehre – wie jener italienische Graf – ich weiß seinen Namen nicht … Eugen! Nag’ nicht so an der Lippe; komm’, bring’ mich, wohin du willst; du kannst mich nicht verlassen!«
»Nein, ich verlasse dich nicht«, murmelte er, ohne sie anzuseh’n, wie seinem Geschick verfallen. »Aber bis zum Morgen – «
»Du zögerst«, unterbrach sie ihn, indem sie vergebens seine Augen suchte. »Du wehrst dich. Ah! Du wolltest mir heute Morgen, wie es schien, ein Bekenntnis machen … Du liebst eine andre?«
»Nein, nein.«
»Du wolltest – dich mir entzieh’n … mich —«
»Nein, nein«, wiederholte er.
»Wie könntest du auch, jetzt in meiner Not … Was bin ich in der Welt ohne dich … Nun, so komm’, so komm’!«
Sie hatten bisher leise gesprochen, in seiner Verzweiflung hob er jetzt die Stimme:
»Aber fühlst du denn nicht, dass ich so nicht fort kann? Vor diesem stolzen Grafen wie ein Feigling die Flucht ergreifen – ehrlos mein Wort brechen! – Verbirg dich heute Nacht – hier.« —
Sie schüttelte den Kopf.
»Oder wo du kannst – morgen folg’ ich dir – wenn er mich nicht tötet!«
»Aber er wird dich töten; er fehlt dich gewiss nicht, wenn er will – seine Hand ist sicher – und er will dich treffen, Eugen! Mein Geliebter! Lächle nicht so schrecklich; – ich sehe, du willst den Tod! – Wie deine Augen glüh’n.« —
Er lächelte wieder.
»Das ist nur das Morphium.«—
»Gift!«
»Nein: du irrst. Nur um dieses – wüste Hirn etwas zu betäuben.« —
»Eugen!« rief sie fassungslos: die stolze Frau sank vor ihm zu Boden, umklammerte seine Knie, griff nach seinen Händen. »Verlass’ mich nicht! Du mein Einziger! Ich kann nicht ohne dich leben; ich hab’ mein ganzes Herz an dich gehängt – ja, so wahr ich lebe. Ich gehe, wohin du gehst; ich lebe und sterbe mit dir. Ja, ja – du mein besseres Ich – du mein guter Dämon.« —
Er bewegte hastig den Kopf und sah ihr in die Augen:
»So hast du auch einen bösen Dämon.« —
»Nein – ich sprach nur so. Ich hab’ nur einen einzigen Dämon, dich, den guten. Brich dein Wort aus Liebe zu mir, und flieh heute Nacht! Jetzt!«
»Bist du von Sinnen?« sagte er rau und machte sich von ihr los. »Der ›gute Dämon‹ soll sein Wort brechen … Nein, lieber tot!«
»Nun gut«, erwiderte sie rasch und stand auf; »so war ich von Sinnen … Wenn du so wild die Augen rollst, gut, so lass’ ich dich jetzt; halte du dein Wort. Es muss sein; ja, ja, ja! – Aber morgen, wenn du kannst – wenn mein inbrünstiges Gebet dich rettet – dann folgst du mir gewiss!« —
Er nickte stumm, wehrlos. —
»Ich gehe jetzt durch den Wald – ich habe Mut – bis zu dem Städtchen, weißt du, wo du diese Nacht warst; in demselben kleinen Gasthof bleib’ ich – als hätt’ ich mich verirrt, wäre müde, elend, könnte nicht mehr hierher zurück … Morgen kommst du dann! Meine ruhelosen Augen werden dich erwarten.« —
»Ja!«
»Schwöre mir, dass du kommst, wenn Gott dir hilft, wenn mein Gebet dich rettet – — schwör’ es mir!«
»Ich schwör’s«, erwiderte er tonlos, mechanisch eine Hand hebend.
Von der Tür des dritten, dunklen Zimmers her ward ein Klopfen vernehmbar; leise, schüchtern, wie es schien. Sie fuhren dennoch beide zusammen.
Melanie fasste sich zuerst; ihre kalte Hand auf die seine legend flüsterte sie:
»Jemand will zu dir. – Öffne erst, wenn ich eine Weile fort bin … Sei ruhig; ich habe Mut. – — Und frage erst, wer es ist.« —
Er nickte. Das Klopfen wiederholte sich, bescheiden wie vorhin. Die Gräfin schloss die Waldtür auf, langsam und leise.
»Du findest doch den Gasthof«, flüsterte sie, während sie die Tür schon mit den feinen, zitternden Fingern öffnete.
Er bewegte nur stumm den Kopf. Mit einem letzten, flehenden und drohenden Blick hauchte sie ihm zu:
»Du hast geschworen!« —
Dann glitt ihre weiche Gestalt in die Nacht hinaus.
Die Tür schloss sich leise; Eugen hörte es, ohne hinzuschauen, er starrte in die andern Zimmer. Plötzliche Finsternis ging ihm wie eine Welle über die Augen; es rieselte ihm kalt den Rücken hinab. ›Nun siehst du’s‹, dachte er, als spräche er zu Marie: ›nun ist keine Rettung. So zwischen ihm und ihr – — eingeklemmt – o Gott!‹ – — Eine gedämpfte weibliche Stimme schien da hinten am Schlüsselloch zu sprechen, als es zum dritten Mal klopfte; das musste Frau Temme sein. Er ging durch die Zimmer – mechanisch, gedankenlos wie ein Verurteilter in der letzten Stunde – und fragte an der dunklen Tür zum Vorplatz:
»Sind Sie’s, Frau Temme?«
»Ich bin’s«, kam als Antwort.
Eugen schloss auf, und die verkrümmte Alte schob sich in die Tür.
»Nehmen Sie’s nur nicht übel, wenn ich nicht zu Pass komme«, sagte ihre vertrocknete Stimme, indem sie ihn zutraulich anlächelte; eine Lampe, die auf dem Vorplatz brannte, beleuchtete das faltige, verschmitzte Gesicht. »Ich hätte noch ein Abendessen für Sie hergerichtet – und warte nun schon so lange damit.« —
»Ich danke Ihnen«, antwortete er. »Es ist mir schon zu spät; ich will nicht mehr essen.«
»Ah!« sagte sie bedauernd. »Befehlen Sie sonst etwas?«
»Ich danke. Nichts. Gute Nacht.«
Ihre neugierig vorgeschobene Unterlippe schien noch etwas fragen zu wollen, auch die Augen forschten; Eugen aber, auf einmal angewidert, schloss die Tür. Ihr »Gute Nacht« erklang dann noch von draußen.
Er ging in das helle Zimmer zurück. Eine sonderbare Ruhe war über ihn gekommen; eine müde Stille. Um seine Brust legte sich dieses erlösende Gefühl, das leidenschaftlichen und schwachen Menschen nach grässlicher Pein so wohl tut: vom Schicksal nun so umringt zu sein, dass kein Ausweg und keine Wahl mehr bleibt. ›Also abgemacht‹, dachte er. ›Sieh es ein, Marie. Kann ich denn noch leben? Gib mich los; ich kann’s nicht! – Wenn seine Kugel mich verschont, dann meinen Schwur halten und mit ihr davongehen – dir zur Schmach – ohne sie zu lieben … Nein. Das tu’ ich nicht. In diesen Abgrund will ich nicht mehr sinken; ich kam tief genug!‹ – Er zog das Fläschchen hervor, sah es prüfend an und nickte: ›Das reicht. Ein großes Glas voll; und die stärkste Lösung … Ich hab’ ihr geschworen, dass ich kommen werde, wenn Gott mir hilft, wenn ihr Gebet mich rettet. – Gott wird mir nicht helfen, ihr Gebet mich nicht retten, wenn ich jetzt ein Ende mache, mit dem Tröster da … Dann war’s keine Lüge; – wenigstens im „letzten Akt“ keine Lüge mehr! – Sie flieht dann allein … Und diesem blutdürstigen Grafen entzieh’ ich ja sein Opfer nicht.‹
Aus dem geöffneten Fläschchen floss es in das breitgewölbte Glas; langsam füllte sich’s bis an den Rand.
Eugen sah mit heißen, trüben Augen zu, erstaunt über seine Ruhe. Erst als ein plötzlicher Windstoß wie ein Seufzer an den Fenstern hinfuhr, ward ihm, als hörte er Kathi, und er fuhr zusammen: die kleine Gestalt schien aus dem Vorhang heraus vor ihn hinzutreten. ›Wie mag’s ihr nun ergeh’n?‹ dachte er, sich vom Vorhang abwendend. ›Dieses arme Ding. – — Das war ein guter Schluss.‹ … Er suchte einen andern Gedanken; ein junger Amerikaner fiel ihm ein, mit dem er sich befreundet, der ihn so herzlich geliebt hatte; – »mich hatten doch manche lieb!« sagte er vor sich hin. »Als der im Sterben lag, da versprach er mir: wenn es möglich sei, so wolle er mir nach seinem Tode erscheinen … Er ist nicht gekommen. – Kommst du jetzt vielleicht? In dieser bedenklichen Stunde – wo ich gern wüsste, was da drüben ist – wo ich in die ewige Nacht hinausfrage, was mich dort erwartet? – Alles still. – Du kommst nicht.« … Er schüttelte einen Schauder ab; ›was hilft dieses feige Warten!‹ dachte er. ›Sein muss es ja doch!‹ – Mit dem letzten Entschluss seines Lebens streckte er die Hand aus, nahm das Glas und leerte es, ohne den Mund zu verzieh’n, bis zum letzten Tropfen. Es tat ihm wohl, sich so stark zu seh’n; er hatte ein Gefühl der Achtung. Er lächelte.
›Auf diesem Sofa‹, dachte er, ›will ich nun erwarten, was sie aus mir machen!‹ – Nur in die dunklen Zimmer mochte er nicht seh’n; er legte sich so, dass sein Gesicht auf die verhängten Fenster gerichtet war und auf das Lampenlicht.
Die Hände über der Brust, versann er sich nach und nach in ferne Zeiten: er stand vor seiner toten Mutter – die nicht so früh hätte sterben sollen – — dann sah er Marie, im Brautkranz. Sie lächelte ihn an. Ein schluchzender Seufzer hob die Hände auf seiner Brust.
»Was soll das noch?« stieß er flüsternd hervor. »Lasst mich … Der Graf – dieser Graf.« – —
Seine Gedanken schossen durcheinander. Sein Kopf ward schwer; das Licht taumelte …
Waldenburg öffnete im dritten Zimmer die Tür, trat dann langsam ein; Marie folgte ihm. Sie gingen durch das Dunkel bis in das helle Gemach. Bleich wie die Wand, mit scheuen, suchenden Augen, flüsterte Waldenburg:
»Wo ist er? – Alles still!«
»Dort liegt er«, sagte Marie und wies auf das Sofa.
Nun sah der Vater ihn auch. Eugen begann zu sprechen, aber wie aus dem Schlaf. Sie wollten näher treten, blieben steh’n und horchten.
»In deinem weißen Kleid!« murmelte Eugen. »Ach, vergib mir, Marie! ›Von Tarnow‹ – so fing es an … Warum lächelst du? – Nein, du nicht; meine Mutter lächelt.«
»Er phantasiert«, sagte Waldenburg beklommen und verwundert. »Ich – — ich will zu ihm geh’n.«
Er trat zögernd näher; als er fast hinter seinem Kopfe stand, sagte er mit wirklicher Bewegung und unsicherer Stimme:
»Eugen! – Mein Sohn –!«
Eugen horchte auf.
»Was ist das?« stieß er unruhig aus seinem Halbtraum hervor und hob eine Hand. »Meines Vaters Stimme?« – Er starrte auf den Fenstervorhang; »ja, ja!« sagte er, die Stirn zusammenziehend, »da seh’ ich ihn, da steht er. – Weg! Ich will dich nicht seh’n. Was soll das? Hab’ ich dir nicht hundertmal gesagt, dass ich dich verwünsche, verfluche?«
Waldenburg erbebte. Er warf einen Blick auf Marie; dann versuchte er zu sprechen. Doch Eugen sprach weiter.
Die Hand in der Luft schüttelnd sagte er heftiger:
»Ich gehe meinen Weg; lass’ mich jetzt allein. Dir verdank' ich alles! Du warst mein Fluch, so lange ich lebte! Du hast mich getötet!«
Wie von einem Schlag auf den Scheitel getroffen, knickte Waldenburg ein und schwankte; er griff nach Mariens Hand, die in ahnendem Entsetzen erstarrte.
»Eugen!« brachte er nach einer großen Anstrengung hervor. »Eugen! Sag’ das nicht – hör’ mich an.« —
Eugen hörte ihn nicht; er ward unruhig und griff nach seiner Brust.
»Mir wird zu eng«, stöhnte er. »Keine Luft. Kein – – Was ist das«, sagte er lauter, als erwachte er. »Das ist das Sterben. Das ist Todesangst … Wer ist da! Wer hilft mir! Wer hilft mir!«
»Eugen!« rief Marie.
Waldenburg beugte sich über ihn und stammelte:
»Kind! Hier bin ich ja. Hier – dein Vater.« —
Der Unglückliche verwirrte sich wieder: nur von der Stimme oder dem Wort ›Vater‹ getroffen rief er geängstigt aus:
»Vater! Vater! Wo bist du? Warum hilfst du mir nicht? Lässt mich so vergeh’n?« – Er griff umher und erfasste die Hand Mariens, die neben ihm am Sofa niedergesunken war. Er hielt sie fest; »die Hand ist kalt«, sagte er; »das ist gut. Das kühlt.« … Seine Augen schlossen sich; er schien zu ermatten. Er flüsterte unhörbar; »endlich«, seufzte er: »Mir wird wieder leicht – und wohl.« … Sein Kopf sank zurück; laut und schwer ging aber noch sein Atem, und die zarten Nüstern schwellten sich und bebten.
Marie horchte, vor Erschütterung stumm; in sein Atmen hinein hörte sie jetzt Stimmen, draußen auf dem Vorplatz, die der Frau Temme und noch eine zweite; dann kamen hallende Schritte durch die Zimmer. Graf Lana trat ein; das Gesicht gerötet, die Augen weit offen, so dass sie ganz weiß erschienen; in einer zitternden Erregung, die selbst in diesem Augenblick Marie überraschte.
»Ah! Sie sind hier«, sagte er, als er den sich aufrichtenden Waldenburg erblickte.
»Ich – suche meine Frau. Ich will meine Frau. Ich will sie dem Entführer entreißen – und wenn ich ihn mit dieser Hand niederschlagen müsste. … Da ist er!«
Eugen hatte sich langsam aufgerichtet, während Graf Lana sprach; sein Bewusstsein schien wieder zu erwachen, er sah den Grafen mit unsicheren Blicken an.
»Wo haben Sie meine Frau?« rief dieser so laut, dass Marie erbebte. »Elender, ehrloser Mensch – der Sie mich zum zweiten Mal – — wo haben Sie meine Frau?«
Waldenburg begriff auf einmal. Er starrte auf seinen Sohn. Das Gesicht Eugens war hoffnungslos entgeistert; er schien zu versteh’n und doch nicht zu fassen. Seine Lippen regten sich nicht.
»Exzellenz«, sagte Waldenburg endlich, mit heiserer Stimme, indem er zwischen Eugen und den Grafen trat. »Das ist – mein Sohn. Ich bitte um Schonung für ihn.« —
»Ihr Sohn?« fragte der Graf betroffen. »Ihr verlorener Sohn? – Nun, so werden Sie ihn auch nicht verteidigen wollen…«
Er ging näher auf das Sofa zu und wiederholte:
»Wo ist meine Frau?«
»Entflohen«, sagte Eugen langsam und erloschen.
»Ohne Sie? – Täuschen Sie mich nicht. Ich bin nicht so von Sinnen, Ihnen das zu glauben. Geben Sie sie heraus – wo Sie sie versteckt haben – oder ich sehe in Ihnen keinen Menschen mehr – — Ich will meine Frau!«
In seiner rasenden Wut hob der Graf den Arm.
»Exzellenz«, sagte Waldenburg, dem die Lippen bebten, – »er ist krank. Er stirbt.« —
Der Graf fiel ihm ins Wort:
»Glauben Sie ihm das? Er lügt. Er heuchelt. Er will sich nur nicht vor meine Kugel stellen, weil er ein ehrloser Mensch und darum ein Feigling ist; er will wie ein Dieb bei Nacht mit meiner Frau davongeh’n. Darum heuchelt er jetzt am Abend diese Krankheit, während er am Morgen gesund war – Ihr verlorener Sohn – verfault bis ins Mark.« —
Eugen strebte empor, dem Grafen entgegen; er sank aber kraftlos zurück. Wie nach einem Verteidiger seiner Ehre rufend stieß er nur noch hervor:
»Vater! Vater!«
Dem erschütterten Waldenburg rieselte es durchs Gebein. Er richtete sich auf; die kriechende Ehrerbietung war von ihm abgefallen, er sah auf den Grafen nieder, ein wilder, hochfahrender Ausdruck verhärtete sein geschmeidiges Gesicht.
»Sie sprechen von meinem Sohn, Exzellenz«, sagte er, das erste Zittern überwindend. »Sie beschimpfen den Vater im Sohn. Seien Sie ruhig, Ihr Opfer wird Ihnen nicht entgeh’n: ich stehe für meinen Sohn. Ich werde statt seiner die Ehre haben, mich vor Ihre Kugel zu stellen, wenn er – — wenn er nicht können sollte. … Jetzt, muss ich bitten,« – mit einer gebieterischen Bewegung hob er seine Stimme – »jetzt lassen Sie Vater und Sohn allein!«
»Wie! So wagen Sie zum Grafen Lana zu reden – Sie zu mir.« —
»Ja, ich zu Ihnen – für wen Sie sich auch halten!«
Der Graf stand eine Weile, mit einer Hand am Aufschlag seines Rockes zerrend, als müsse er suchen, den Vorgang zu begreifen. Als er sich leidlich gefasst hatte, trat er zurück und sagte, hochmütig kalt:
»Gut. Ich nehm’ es an: Sie oder Ihr Sohn. Meine Frau – — ich werde meine Frau zu finden wissen.«
Er brach ab und ging. Waldenburg sah ihm schweigend nach.
Ein Aufschrei Mariens, hinter ihm am Sofa, weckte Waldenburg aus seinem Siegergefühl.
»Was ist —?« fragte er, sich umwendend.
Marie hatte sich über Eugen geworfen; sie richtete sich langsam auf. Mit einem ruhigen, aber erschütternden Ton, dass seine Knie schwankten, sagte sie:
»Exzellenz, Ihr Sohn ist tot.«