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Kitabı oku: «Adams Söhne», sayfa 17

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VIII. Kapitel

Die Nacht war nicht lang, eine Julinacht. Sie ging schon dem Ende zu. Waldenburg saß noch immer im ›letzten Haus‹, im Sterbezimmer, neben seinem Sohn. Von hüben rauschte der Wald, und von drüben das Meer; in allen drei Zimmern brannten Kerzen, Eugen lag auf dem Sofa, so wie er entschlafen war, der ungetrunkene Wein stand noch auf dem Tisch. In einem Lehnstuhl neben dem Sofa wachte Marie; sie hatte die ganze Nacht kaum ein Wort gesprochen. Was sollten auch sie und Waldenburg miteinander sprechen? Ihre Augen vermieden ihn, halbe Stunden hielt sie sie geschlossen; nur ein tieferer, schwerer Atemzug verriet ihm von Zeit zu Zeit, dass sie wachte wie er. Es ward ihm endlich kühl; er gähnte. Er stand schwerfällig auf und ging mit leisen, langsamen Schritten durch die Zimmer hin, um die Glieder zu regen; trat an eines der Fenster, die nach Norden blickten, öffnete es und sah, die Augen an das Dunkel gewöhnend, hinaus. Die Nacht lag noch tief, wie mit ausgebreiteten schwarzen Wolkenflügeln, über dem farblosen Meer. Einzelne schrille Töne kamen durch die Brandung; sie tauchten bald hier, bald da aus dem Dunkel auf, es waren Stimmen von Wasservögeln, die in Scharen, wie es schien, über die See dahinzogen, rufend, auch wie klagend. ›Was klagen die?‹ dachte Waldenburg. ›Diese verrückte, melancholische Natur, die so vielen ihrer Geschöpfe Klagetöne gegeben hat, Niemand weiß, warum; selbst die Raubvögel wimmern oft so kläglich in den Lüften; – und nun diese Möwen hier – oder was sie sein mögen – diese albernen, kindisch glücklichen Geschöpfe – warum tun sie so, als wär’ ihnen was gescheh’n? – — Mir ist – was gescheh’n; euch nicht. Eine verfluchte Nacht. Da liegt er; mein einziger Sohn. Und warum an Gift? Und warum vor meinen Augen? Hätt’ er nicht, wenn es sein musste, irgendwo da draußen – —‹

Ein Geräusch aus dem Sterbezimmer schreckte ihn auf; ein leises, unheimliches Geräusch, das mit seinen Nerven spielte, als hätte er sich geregt, durch so unväterliche Gedanken geweckt – der ›verlorene Sohn‹. ›Diese Nacht ruiniert mich‹, dachte Waldenburg; ›ich werde schon abergläubisch wie ein altes Weib. Wär’ es nur erst Tag!‹ – — Er gähnte und ging noch einmal durch die Zimmer zurück. Er kannte sie. Es war dasselbe lustige ›letzte Haus‹, in dem er so manche übermütige Stunde und heitere Nächte verlebt hatte. Nun war wieder Nacht, – und da saß Marie.

Die schöne Frau, nach der er geschmachtet hatte; – sie war nun wirklich eingeschlafen, wie es schien, ihr Atem ging still, ihr Kopf lag zurück, ein wenig auf der Seite, und die Lippen hatten sich sacht und schmal geöffnet. Die blonden, wundervollen Flechten waren aufgegangen, fielen ihr über die Schulter· Er stand vor ihr, lauschte auf ihr Atmen; sie saß ihm so nah – so wehrlos – in der stillen Nacht – er hätte sie liebkosen können. … Aber da lag ein toter Mann, der sie bewachte; und dieser tote Mann war sein Sohn.

Sein Sohn … Was für ein Sohn? Der ihn in seiner letzten Viertelstunde verflucht, ihm mit seiner giftbenetzten Zunge entgegengerufen hatte: »Du hast mich getötet!« – Waldenburgs Gesicht verzog sich; er warf einen Blick, fast wie Hass, seitwärts auf diesen Sohn. Nur dass die grünlich gelbe Blässe der stillen Wangen und der von Fliegen umsummten Stirn ihm doch wieder ans Herz griff; eine weiche Schwäche schüttelte ihn, mehrmals nacheinander, ein lange erdrücktes Schluchzen öffnete ihm die Lippen.

›Wie wunderlich, wie unnatürlich, so ein totes Kind zu haben und kein lebendiges mehr! So eine wohlgeformte Menschenblume, aus eigenem Samen gezogen; so viel Ähnliches, Gleiches, so geheimnisvoll schaurig rätselhaft in neue Form gegossen; und so eine kleine Welt einst von Hoffnungen, Entwürfen – und jetzt kaltes Wachs, das zerfallen wird. Eugen Waldenburg tot! Waldenburg Vater allein!‹ – — .

Die lange, zusammengesunkene Gestalt richtete sich auf.

›Was hilft das?‹ dachte er. ›Wohin führt mich das? Ich darf nicht so weich werden, – jetzt nicht mehr: ich soll diesen Morgen um mein eigenes Leben kämpfen. Das Beste ist, wir nehmen jetzt Abschied, Waldenburg Vater und Sohn; denn der Tag will kommen.‹ Er trat an das Sofa, betrachtete noch einmal das ruhige, jugendliche, an die Mutter erinnernde Gesicht, das der Tod verklärt hatte.

›Ein feiner Kopf‹, dachte er; ›wie diese Nase geformt ist…‹

Die wachsbleichen Hände lagen beide auf der Brust; Waldenburg nahm die eine, um sie noch zu drücken. Sie war aber so kalt, dass es ihn durchzuckte, und er ließ sie fallen. Er stand eine Weile fröstelnd und unentschlossen da; endlich scheuchte er eine Fliege fort, die das wehrlose Gesicht umkreiste, und beugte sich nieder, um die Stirn zu küssen. In dem Augenblick, als er sie berührte, kam durch das noch offene Fenster im letzten Zimmer wieder ein Klageruf aus der See herüber, eine Vogelstimme. Waldenburg bebte zurück.

Ein abergläubisches, unsinniges Gefühl entgeistete sein Gesicht. Ihm war, als hätte der Tote sich verfinstert.

»Du hast mich getötet!« klang’s ihm in den Ohren. »Du warst mein Fluch, so lange ich lebte.«

Er sah im Zimmer umher; – Marie schlief noch fort. Jetzt nahm er seinen Hut vom Tisch, ohne zurückzublicken, strich mit der Hand über seine Stirn, hüstelte leise in sein Taschentuch, und ging still hinaus.

Er ging am Wald entlang seinem Hause zu. Die Wolken hingen noch schwer und dunkel, aber der Morgen graute. Einige Tropfen fielen; der Wind kam kühl, mit feuchtem Blättergeruch, aus dem hohen Wald. Seinen Rock zuknöpfend gähnte er wieder, mit einem ›öden und schnöden Gefühl‹, wie er dachte, und atmete in langen Zügen. In seiner Wohnung war Licht. Riedau war noch auf, nach einer unruhigen Nacht; er hatte nach Waldenburgs Befehl auf dem Arbeitstisch Papiere für ihn hergerichtet, – wobei er etwas gefunden hatte, das seine Neugier reizte: das geöffnete Päckchen, die Briefe der Gräfin Melanie. Sie waren liegen geblieben, als Waldenburg so besinnungslos der Frau seines Sohnes nachstürzte. Um sich munter zu erhalten, und aus begreiflicher Wissbegierde, las Riedau eben den dritten dieser Briefe – so weit war er gekommen – als er Waldenburgs Schritte hörte. Mit einem raschen, geübten Griff raffte er die duftenden kleinen Blätter zusammen, steckte sie in seine Tasche, legte den Kopf auf die aufgestützten Arme und stellte sich, als ob er schliefe.

Waldenburg trat ein. Er ging langsam auf Riedau zu und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Der junge Mann erwachte kunstgerecht, mit einigen schlaftrunkenen Bewegungen, und sprang dann auf.

»Müssen Sie hier schlafen?« sagte Waldenburg rau.

»Ich bitte um Verzeihung«, erwiderte Riedau. »Ich hatte noch gar nicht geschlafen, als Sie mich an die – — ins ›letzte Haus‹ holen ließen. Später musste ich stundenlang umhergeh’n, um die Frau Gräfin zu suchen – nutzlos.«—

Waldenburg unterbrach ihn:

»Ist wenigstens eine Botschaft von ihr an mich gekommen – hierher?«

»Nichts.«

»Ich vergesse«, murmelte Waldenburg vor sich hin: »sie wusste ja nicht, dass Eugen – mein Sohn ist.«

Er nahm den Hut vom Kopf und stellte ihn auf den Tisch, schloss die Augen und setzte sich.

»Ich habe dann auf Sie gewartet, wie Sie befohlen hatten«, begann Riedau wieder; »und aus Übermüdung bin ich endlich eingeschlafen.«

»Lassen Sie’s; es ist schon gut. – Die Nacht ist aus; löschen Sie die Kerzen. – Mich friert.«

»Soll ich Ihren Überrock —?«

»Lassen Sie. Es ist nur von dem langen Wachen. Und von dem Gang durch die Morgenluft hierher.«

Er versank wieder in seine grauen, frostigen Gedanken.

Als er daraus erwachte und Riedau sah, der aufrecht im Zimmer stand, fragte er unwirsch:

»Sind Sie immer noch da?«

»Sie hatten mich noch nicht entlassen, Exzellenz.« —

»Ich bin noch nicht Exzellenz; lassen Sie das, bis Sie es im offiziellen Blatt gelesen haben. Das heißt – wir werden es nie darin lesen. In einer Stunde lieg’ ich im Sand, oder im Gras, und kein Hahn kräht mehr nach der ›Exzellenz‹. Sie können dann hingeh’n, Riedau, und bei der ersten Wiese da hinten am ›breiten Wohld‹ über die Vergänglichkeit alles Irdischen nachdenken.« —

»Es wird nicht so kommen, Exzellenz«, warf Riedau ein. »Alle Kugeln treffen ja nicht.« —

»Die des Grafen gewiss! – Auch ist da sein Sekundant, der Baron Rautenberg, der den bösen Blick hat – junger Mann, schütteln Sie nicht so geistreich den Kopf; er hat ihn. So oft ich mit dem zusammenkam, ging mir etwas übel aus! Als er gestern Abend spät in das ›letzte Haus‹ kam, um es abzureden, da fühlte ich gleich: der bringt mir meinen letzten Tag. – Meinen letzten Tag!«

»Verzeihen Sie, Exzellenz«, sagte Riedau mit scheinbarem Mitgefühl. »Warum haben Sie das Duell nicht hinausgeschoben? Bis nach der —«

»Beerdigung? Nein. Sie boten mir’s an. Ich wollt’s nicht. So lange die Ungewissheit, das Schwebende, Hängende – — für solche Folter dank ich!«

Riedau deutete auf den Schreibtisch:

»Ich habe die befohlenen Papiere hier zurechtgelegt.« —

»Ja, ja; es ist gut.«

»Sie könnten vielleicht noch ein wenig ruh’n.« —

»Nein, es ist zu spät. Schweigen Sie doch mit Ihrer Rabenstimme; – ich werde bald lange ruh’n … Ich war nie ein Schütze; werd’ irgendeine alte Buche treffen, oder den nächsten Kirchturm, nur nicht den Herrn Grafen: der aber – der fehlt mich nicht!« – —

Er biss die Zähne zusammen; mit noch verhaltenem Ingrimm murmelte er in sich hinein:

»Es liegt eine Moral darin: ich, der ich seine Frau – —«

Plötzlich brach er aus, mit lauter, schneidender Stimme:

»Höllisches, verdammtes Geschick! Er hat mich zur Exzellenz gemacht, und nun schießt er mich tot. Er mich – dieses gräfliche Nichts … Da steht Fritz Riedau, dem wird nichts gescheh’n; der wird weiter leben, während ich unter die Erde muss; – alle werden leben! Das Meer rollt so weiter, die Erde dreht sich, die Menschen sonnen sich, lachen, küssen, trinken, klettern auf der Glücksleiter, und das Gras wächst auf meinem Grab! Ich allein soll hinunter, der ich erst meinen halben Weg gemacht habe – der ich nun höher, immer höher wollte – — Das ist eine Infamie! – Du, der armselige Fritz Riedau, du Wicht sollst länger da sein, als ich; du – du – —«

Riedau ward blass; selbst seine dicken, dunkelroten Lippen verloren ihre Farbe. In seinen gefährlichen Augen blitzte dann ein Funkeln auf; er senkte den Kopf, um es zu verbergen. Mit erzwungener Fassung sagte er kalt, während sich seine Fingernägel in das Innere seiner Hand drückten:

»Ich bedaure sehr, wenn meine unbedeutende Existenz Eurer Exzellenz zuwider ist. Ich glaubte Ihnen wenigstens treu gedient zu haben.« —

»Nun ja, nun ja«, fiel Waldenburg ein, »hast mir treu gedient; kränke dich nicht, Fritz. Ich will dir verzeih’n«, fuhr er mit einem gemachten Lächeln fort, »wenn du mich überlebst. Dir allein will ich es verzeih’n! – — Was wird nun aus dir, mein Sohn, wenn du übrig bleibst, wenn du mich verlierst?«

»Sie halten mich doch wohl für hilfloser, als ich bin«, entgegnete Riedau steif und kalt. »Sollte ich ›übrig bleiben‹, so würde ich mein armseliges Dasein als Sekretär des Barons Rautenberg fortsetzen.« —

»Was?« fuhr Waldenburg auf. »Dieser Rautenberg mit dem bösen Blick?«

»Ich fürchte mich nicht davor. Der Herr Baron, dem Sie früher die Gnade hatten so Gutes über mich zu sagen, hat mir neulich angeboten —«

»Ah!« unterbrach ihn Waldenburg, der vor Zorn und beleidigtem Stolz errötete. »Und du willst zu ihm?«

»Wenn ich ›übrig bleibe‹.« —

»Zu diesem Mann, der mein böses Schicksal ist? Der heute dabeisteh’n wird –?«

»Ich wüsste nicht, dass er Ihnen je mit Absicht etwas zu Leide getan hätte. Und Sie selbst haben mich ihm einmal warm empfohlen —«

»Das bedaur’ ich sehr!« sagte Waldenburg scharf und hart. »Das bedaur’ ich sehr! – — Sie können in Ihrem Zimmer an Ihre Arbeiten geh’n; ich brauche Sie nicht mehr, bis ich Sie rufe.«

Riedau verneigte sich stumm und ging zur offenen Tür. Waldenburg sah ihm nicht nach. Er fühlte, dass sein Gesicht sich vor Wut verzerrte, und wollte es nicht zeigen. Eine Stuhllehne kam ihm in die Hand, die er schüttelte; – ›frecher Paria!‹ dachte er. ›Du sagst mir ins Gesicht, dass du zu dem da geh’n willst – als wär’ ich schon tot? Und durch meine Gnade soll es dir gut geh’n, undankbarer Wicht, während ich verfaule? – Das duld’ ich nicht. Das wird nicht gescheh’n. Das vermau’re ich dir.‹

Mit einem plötzlichen Entschluss trat er an den Schreibtisch; seine Lider hoben sich, seine Augen glühten. Er setzte sich, nahm ein leeres Blatt und begann zu schreiben.

›Was will er?‹ dachte Riedau, der hinter der Tür stehen geblieben war, den Oberkörper geschmeidig vorstreckte und mit den Raubtier-Augen spähte. ›Was hat er im Sinn? – Gegen mich —?‹

Waldenburgs Hand war unruhig; nicht mit seiner gleichmäßigen, schönen Schrift, aber doch in deutlichen Zügen schrieb er, rasch, ohne nachzusinnen:

›Verehrter Herr Baron!

Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen eine Mitteilung zu machen, damit Sie mir nicht eines Tages vorwerfen können, ich hätte Sie getäuscht. Herr Riedau, mein Sekretär, den ich Ihnen einmal, für alle Fälle, mit Wärme empfohlen habe, und für den Sie sich zu interessieren schienen, hat sich leider nicht bewährt.‹ —

Ein leises Geräusch hinter Waldenburg, das ihm so gleich auf die überreizten Nerven ging, hielt seine Feder an.

Er wendete sich um und sah Riedau, der auf den Zehen hereingeschlichen war, ihm über die Schulter geblickt und bei den letzten Worten, die er las, zwar einen Laut der Überraschung unterdrückt, aber eine unwillkürliche Bewegung gemacht hatte.

»Was ist das?« sagte Waldenburg. »Sie sind wieder da?«

»Ich bitte um Entschuldigung«, erwiderte Riedau gefasst. »Ich hatte hier einige Papiere liegen lassen.« —

»Geh’n und kommen Sie denn immer so leise wie ein Gespenst?«

» Ich werde mich bemühen«, sagte Riedau unterwürfig, »mich darin endlich zu bessern.«

»Nun, so nehmen Sie die Papiere.«

Riedau ergriff einige Blätter und Hefte, die auf dem Schreibtisch lagen, und ging schweigend hinaus. ›Diesen Streich wirst du mir bezahlen; nur zu!‹ dachte er und verschwand.

›Leider nicht bewährt,‹ wiederholte Waldenburg in Gedanken; darauf schrieb er fort:

›Ich muss alles zurücknehmen, was ich zu seinem Lobe sagte, und ihn seinem vermutlich hoffnungslosen, aber nicht unverdienten Schicksal überlassen.

Bei Gelegenheit mündlich Näheres.‹

Er setzte noch die ›Versicherung seiner verehrungsvollen Ergebenheit‹ und seinen Namen hinzu, mit dem verschlungenen Schnörkel, den er zu machen pflegte; steckte das Blatt in ein Couvert und schrieb die Aufschrift an Baron Rautenberg. Ein zufriedenes Lächeln ging über seine Züge; ›nun‹, dachte er, ›und sollte ich ihm auch „mündlich“ nichts mehr sagen können – diesen Schuss ins Schwarze lass’ ich doch noch zurück! – — Da ist er, der helle Tag. Nun heißt es also, sich mit Anstand zu diesem Schicksalsgang rüsten … Gottverfluchter Tag! – — Auf die Briefe der Gräfin kommt’s nun nicht mehr an; behalt’ ich noch Zeit, werd’ ich sie verbrennen. Aber von – ihr, von der Frau meines Sohnes, nahm ich keinen Abschied; ich schreib’ ihr ein paar Zeilen. Als sie gestern Abend in meine Tür trat – „Fortuna“ in Person – da ahnte ich nicht, dass ich heute Morgen an Marie von Tarnow, die Witwe von Eugen Waldenburg – — Ja, wir sehenden Menschen sind die blindesten Wagenpferde des hoch daherfahrenden Geschicks!‹ Er schrieb ein zweites Billett, zog dann an einer Klingelschnur; ein junges Dienstmädchen erschien, das er bei seiner Rückkehr geweckt hatte, damit sie ihm Kaffee mache. Sie brachte das Frühstück, mit scheuem, verschlafenem Gesicht.

»Lassen Sie diese beiden Briefe besorgen«, sagte er kurz; »nicht jetzt, aber – hernach.« —

Das Mädchen nahm sie und ging.

Waldenburg streckte sich, trank, und blies die Luft durch die Lippen:

»Und nun vogue la galère

IX. Kapitel

Die kaum geschlossene Tür öffnete sich wieder, Baron Tilburg erschien, über den hellen Sommeranzug einen leichten Überrock gezogen, ein Stöckchen in der Hand. Sehr ernsthaft, mit einer gewissen Feierlichkeit ging er auf Waldenburg zu und drückte ihm stumm die Hand.

»Ich weiß alles, lieber Freund«, sagte er darauf. »Darum komme ich auch so früh. Die Nachricht von den Ereignissen des ›letzten Hauses‹ hat sich noch gestern Abend verbreitet … Was soll ich Ihnen sagen.« —

»Nichts«, antwortete Waldenburg.

Der Baron drückte ihm noch einmal die Hand:

»Gut, ich sage nichts! – — Auch von diesem unglückseligen Duell wandern schon Gerüchte; Frau Temme soll gehorcht haben und so weiter; – kurz, Sie sehen, ich weiß es auch. Großer Gott! Was muss man erleben! Sie und Graf Lana! Sie —«

Waldenburg unterbrach ihn durch eine ungeduldige Gebärde.

»Nein, nein, ich sage nichts«, fuhr der Baron eilig fort, indem er nur seinen Stock zum Zeichen seiner Bekümmernis gegen den Fußboden stieß. »Ich hab’ auch nur gewagt, Sie in diesem – ernsten Moment zu überfallen, weil ich Ihnen sagen wollte, dass ich vom Grafen komme.« —

»Sie vom Grafen?«

»Ja. Ich bin eingeweiht, aber nicht Sekundant; darum kann ich Ihnen sagen, ohne indiskret zu sein: es ließ mir keine Ruhe, ich ging zu Lanas, Lana war schon fertig – wundervoll rasiert. Kurz, er sieht die Sache heute Morgen etwas ruhiger an – er wird Sie nicht töten. Sie werden ja blass, lieber Freund. Erschreckt Sie das? Doch wohl nicht. Oder macht die Freude Sie so – —«

»Erzählen Sie weiter, Mensch!« sagte Waldenburg aufgeregt. —

»Nun, er hat mir erklärt: da der Sohn gestorben, der Vater offenbar nicht mitschuldig sei, so liege die Sache nun anders; er fühle sich zwar von Ihnen beleidigt – auf wahrhaft unbegreifliche Weise beleidigt, sagte er – aber die natürliche Aufregung, in der Sie sich befanden – — kurz, Ihr Leben wolle er deswegen nicht.« —

Tilburg lächelte:

»Vielleicht einen kleinen Aderlass; nun, der schadet ja nicht.« —

»Was wünschen Sie?« fragte Waldenburg auf einmal, sich zur Seite wendend. Mit halbem Auge hatte er in der offenen Tür zum Nebenzimmer Riedau wieder erblickt, der schon eine Weile gespannt und mit offenem Munde horchte.

Riedau zeigte sofort sein gewohnheitsmäßiges, gutmütiges Lächeln.

»Verzeihen Sie, Exzellenz«, sagte er im amtlichen Ton. »Ich wollte mir erlauben, zu fragen, ob Sie noch schriftliche Dispositionen zu treffen wünschen.« —

»Ich habe Ihnen gesagt«, fuhr Waldenburg ihn an, »dass ich Sie nicht brauche. Geh’n Sie!« —

Riedau zuckte die Achseln und ging.

›Dispositionen!‹ dachte Waldenburg. ›Ah bah! Jetzt brauchen wir keine Dispositionen; das Schiff ist wieder flott – und der Sturm vorüber. ›Cäsar und sein Glück!‹ – Er legte seine Hand auf die des Barons, die im Handschuh steckte; »ich danke Ihnen, lieber Freund!« sagte er fast bewegt. »Sie meinen es mir immer gut!«

Tilburg erwiderte heiter:

»Etwas wollt’ ich doch tun!« – Mit tiefem Ernst setzte er dann hinzu: »Ich gehe wieder zu Lana; dem ist schlecht zu Mut. Die Gräfin ist spurlos verschwunden.« —

Er brach ab, denn ein junger, lang aufgeschossener Kellner trat ein, grüßte sehr ehrerbietig, zögerte ein wenig, und ging dann auf Waldenburg zu.

»Zwei Herren geh’n da unter den Bäumen auf und ab«, sagte er; »sie erwarten Sie, Herr Geheimer Rat.«

›Meine Sekundanten!‹ dachte Waldenburg, nun in bester Laune.

»Ich gehe also«, sagte der Baron, nach einem flüchtigen Blick des Verständnisses.

Indem er Waldenburg nochmals die Hand drückte, flüsterte er ihm zu:

»Sie haben Ihren Stern! – Auf glückliches Wiederseh'n!«

Waldenburg nickte lächelnd. Tilburg ging aus der Tür.

Der Kellner war stehen geblieben und griff nach seiner Brusttasche, kam aber mit leerer Hand wieder zurück.

»Was wollen Sie noch?« fragte Waldenburg.

»Es ist ein Billet gekommen«, sagte der Jüngling verlegen; zugleich mit Wichtigkeit. »Ein Mann hat es eben gebracht; für Sie; – ich soll es aber nur Ihnen selber geben.« —

»Nun, ich bin ja ich selbst, soviel ich weiß. Also geben Sie her!«

Der Kellner warf noch einen vorsichtigen Blick durchs Zimmer; dann entschloss er sich, den Brief aus seiner Tasche zu zieh’n, und reichte ihn hin.

»Ohne Aufschrift«, sagte Waldenburg.

»Ja; aber es wäre für den Herrn Geheimrat.« —

Waldenburg sah auf seine Uhr; »nun«, sagte er, »so ersuchen Sie die Herren da draußen, noch einen Moment zu warten!« – Er öffnete das auf schlechtem Papier geschriebene Billett, während der Kellner ging; überrascht sah er: es war von Melanie. Die Schrift war offenbar in wilder Hast oder Aufregung aufs Papier geworfen, mit zitternder Hand; die Buchstaben, die Zeilen flossen ineinander. Nicht ohne Anstrengung las er:

›Wenn Sie dieses Blatt lesen, bin ich fort. Er war Ihr Sohn, ich weiß alles; auch bis zu mir ist es heute Nacht gekommen … Ich kann meine Reise in das Dunkel, das Elend und die Schmach nicht antreten ohne ein letztes Wort an Sie, ohne Sie zu verwünschen: Sie haben mich einst auf diesen Weg gebracht – Gott weiß, wo er enden wird. Vater und Sohn … Das Schicksal war grausam gegen mich. Möge es Ihnen nicht allzu milde sein! —Ich kehre nie zurück.

Melanie.‹

Langsam zerdrückte er das Blatt und starrte in die Luft. ›“Nicht ohne Sie zu verwünschen“. Pfui‹, dachte er, abergläubisch beklommen und mit einer leisen Erschütterung kämpfend, – ›in diesem Augenblick, in dieser Schicksalsstunde so ein hässliches Wort! Es klingt so ein wenig wie die Posaune der Verdammnis!‹ – — Er schüttelte sich, nahm dann seinen Hut und richtete sich auf. ›Vorwärts!‹ sagte er zu sich. ›“Verwünschen“ … Ich hab’ das Leben genossen, und die Gräfin hat’s auch; nun ist ein Unglückstag über sie gekommen – hab’ ich den Kalender gemacht? – – Es gibt keine Vergeltung; nichts als Glück und Unglück.‹ – Er steckte das Billet in die Tasche; ›ich werde die Gräfin bedauern‹, dachte er, ›wenn ich Zeit habe. Meine Sekundanten warten. „Cäsar und sein Glück!“‹

Er ging.

Riedau trat in die Tür, im Hut, neigte den Kopf und horchte. Ein böses Lächeln trennte seine Lippen und entblößte seine großen, blinkenden Zähne; er hörte noch Schritte draußen, die sich entfernten, danach ward es still.

»Sie haben mich beim Abschied vergessen, Exzellenz«, sagte er hinter ihm her; »aber ich Sie nicht. Wenn Sie sich einbilden, so ein getretener ›Paria‹ werde sich nicht rächen, so kennen Sie großer Menschenkenner uns doch wohl zu wenig! Sobald der Graf diese Briefe seiner Frau an Herrn von Waldenburg liest – und ich schicke sie ihm; da sind sie – dann wird er wohl über die Sache wieder anders denken; meinen Sie nicht?« —

Er hatte die verhängnisvollen Briefe in ein Couvert geschlossen und eine Aufschrift gemacht; sie in der Hand haltend, liebevoll behutsam, wie einen Schatz ging er vor die Tür, in den grauen Morgen hinaus. Der Wind sauste und pfiff noch in den Bäumen; aber es regnete nicht. Die Herren waren verschwunden, offenbar in den Wald hinein. Josef, der lange junge Kellner, stand zwischen dem Haus und den Buchen und steckte seine spitze Nase in die Luft, in unbestimmter, neugieriger Aufregung, da er so ungewohnte Dinge vor sich gehen sah, und doch zu zaghaft oder zu pflichtgetreu – einem wohlerzogenen Hunde gleich – um hinterdrein zu laufen und diesen frühaufstehenden Herren in den Wald zu folgen.

»Josef!« rief Riedau ihn an.

Der Junge kam zögernd.

»Sie wünschen?« fragte er.

»Nehmen Sie diesen Brief; und tun Sie genau, was ich Ihnen sage; Sie werden dann fürstlich belohnt. Sie kennen den Grafen Lana.« —

Der Kellner nickte, als verstünde sich das von selbst.

»Dieser Brief ist für ihn; eine Sache von äußerster Wichtigkeit, versteh’n Sie; wie hier geschrieben steht: ›höchst dringlich, sofort zu lesen!‹ Wenn der Graf noch im Hotel ist —«

»Nein«, antwortete der Kellner; »schon fort.«

»So laufen Sie ihm nach! Auf dem Waldweg da, bis zur ersten Wiese, bei dem kleinen Sumpfsee; Sie wissen. Mit Ihren langen Beinen holen Sie ihn noch ein! ›Sofort zu lesen!‹ Versteh’n Sie! – Marsch, marsch!«

Der junge Mann sprang davon; glücklich, dass ihn ein Auftrag seiner Neugier nach und in das Geheimnis hineinjagte. Riedau ergötzte sich über seine Sprünge. Ihm selber saß der Hut tief in die Stirn, er schob ihn zurück; nervös an seinem Rock knöpfend murmelte er in den Bart:

»Ich denke, ich hab’ was bei dir gelernt, Canaille. Jetzt wird dieses ›gräfliche Nichts‹ wohl gut schießen, denk’ ich!«

Die Unruhe in seinem Kopf, seinen Gliedern wuchs; er hielt es endlich nicht mehr aus, so von fern zu warten; mit langen, immer längeren Schritten ging er hinterdrein.

Der Weg war ihm bekannt; er führte fast geradeaus, durch ein Stück des Waldes, dann noch eine Strecke nahe am Saum, bis in einer schilfigen Wiese ein kleines Gewässer im fahlen Morgenlicht blinkte. Die Herren – er kannte sie alle – standen dort unter Buchen und Eichen, am Waldrand. Graf Lana war ein wenig zurückgeblieben; er hatte Papiere in der Hand, die er eben zu lesen schien, während Josef sich mit gekrümmtem Rücken, wie in scheuer Unruhe, gegen das Meer zu entfernte. Riedau trat hinter einen starken Eichbaum, der ihn ganz verdeckte. Sein Herz schlug doch heftig, er spürte es in der Brust und am Hals. Er riss sich den Hut vom Kopf.

Der Graf schlug die Blätter auf einmal mit beiden Händen zusammen, dass durch die tiefe Morgenstille ein lauter Knall fuhr und dem horchenden Riedau in die Knie ging. Seine Wimpern zuckten. Für eine Weile verlor er den Mut, um seinen Baum herum und durch das Gebüsch zu spähen. Als er sich ermannt hatte – ›wie bin ich noch jung!‹ dachte er – sah er die breite Gestalt des Grafen schon mit festem, ruhigem Schritt (wenigstens schien es so) auf die Wiese zuschreiten. Dann sah er ihn bei den andern.

Die Herren stellten sich auf…

Eine verrückte Unruhe zog Riedau hin und her; er wünschte weit davon zu sein und wieder näher zu geh’n – die Gesichter zu erkennen – alles zu verstehen, zu fassen.

Das Verlangen siegte. Ihn deckte das Unterholz, links von ihm, wenn er näher ging. Wie ein Raubtier, das im Walde seine Beute beschleicht, kam er langsam, behutsam vorwärts. Plötzlich blitzte es auf. Es folgte ein Knall, der hell an die Ohren schlug. Riedau stand am Saum und sah die hohe Gestalt seines Herrn – er hatte sie eine Weile nicht mehr sehen können – lautlos zusammenbrechen.

Es überraschte ihn nicht. Er hatte es erwartet. Ein leichtes Zittern lief ihm nur bis zu den Zehen hinab.

Die andern traten hinzu. Waldenburg lag still.

Nein, er regte sich noch. Der Kopf erhob sich; ein Arm stützte sich noch auf. Das Gesicht, vom Tageslicht überflossen, schien sich zu verzerren; eine sonderbar gedämpfte Stimme – durch die Entfernung gebrochen – kam zwischen den Lippen heraus.

»Ich komm’ nicht mehr auf!« glaubte Riedau zu hören. Es folgte noch ein grimmiger, knurrend gezogener Ton, der aber in das Röcheln des Todes überging. Nach einigen Minuten – oder nicht so lange – lag er stumm und regungslos da; ein Sonnenstrahl, der erste, der die Wolken trennte, lief ihm über das fahle Gesicht. Waldenburg war tot.

Riedaus Augen hatten sich nicht von ihm abgewendet.

Er wagte nicht näherzugeh’n, und sich nicht zu entfernen; aber ein ungewisses Lächeln der Befriedigung, mit einem schielenden Grauen gemischt, veränderte seine Züge. Seine Blässe schwand. Den dicken Mittelfinger der rechten Hand am Daumen hinunterschwellend, sagte er zwischen den Zähnen:

»Exest. – Ich hab’ mich gerächt, ›Exzellenz‹!«

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04 aralık 2019
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