Kitabı oku: «Vom Leben getragen», sayfa 4

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Hygienische Totenversorgung:
Zwischen Notwendigkeit und Körperverletzung

Heute werden die Toten in der Regel nicht mehr gewaschen. Es gibt den Beruf der Leichenwäscherin/des Leichenwäschers nicht mehr (den gab es tatsächlich in den Kliniken bis in die 1970er-Jahre noch). In den Kliniken und Pflegeheimen haben die Pflegekräfte dafür meist zu wenig Zeit. Die reicht ja kaum noch für die lebenden PatientInnen. Es ist ein Skandal, wie wir als Gesellschaft mit der so wichtigen Pflegearbeit umgehen, dass Kliniken wirtschaftlich arbeiten müssen und deshalb vor allem Pflegepersonal einsparen, obwohl seit Jahren klar ist, dass viel mehr Pflegekräfte nötig wären, um dieser verantwortungsvollen Arbeit gerecht zu werden und dabei menschlich zu bleiben: sowohl gegenüber den Pflegenden als auch denjenigen gegenüber, die der Pflege bedürfen. Die unterschiedliche Bewertung von (Lohn-)Arbeit in unserer Gesellschaft ist nicht nur in finanzieller Hinsicht noch lange nicht annähernd gerecht oder nachvollziehbar. Da mit dem Tod auch die Krankenversicherung endet, gibt es kein Geld, mit dem die Arbeitszeit von Pflegekräften finanziert werden könnte, um die Toten zu versorgen und Angehörige in die (meist vorhandenen) Abschiedsräume zu begleiten, wenn sie in Ruhe Abschied nehmen wollen.

Denn in Kliniken müssen die Verstorbenen meist sehr schnell nach dem Tod in die Pathologie gebracht werden oder dorthin, wo sich die Leichenkühlräume (und meist auch die Abschiedsräume) befinden. Diese Räume sind in aller Regel irgendwo ganz abseits im Keller, neben Lagerräumen, Wäscherei, Putzmitteln, Müllentsorgung etc.

Hier beginnt schon deutlich zu werden, dass Tote offensichtlich ähnlich wie Müll eingeordnet werden, etwas, das sicher und schnell entsorgt werden muss – unserem Blick entzogen, möglichst weit weg geschafft. In den medizinischen Ausbildungen kommt der Umgang mit Verstorbenen (außerhalb von Obduktionen) und mit trauernden Angehörigen nicht oder nur sehr rudimentär vor, wie uns von Pflegenden, Ärztinnen und Ärzten in unseren Fortbildungen immer wieder berichtet wird. Im normalen Klinikbetrieb und in den medizinischen Ausbildungen geht es in erster Linie darum, PatientInnen am Leben zu erhalten, und darauf muss sich konzentriert werden. Für Sterbe- oder Trauerbegleitung ist da kaum Raum und Zeit. Erst langsam beginnt hier ein Bewusstseinswandel, der auch die Möglichkeit miteinbezieht, dass es nicht immer nur ein medizinisches Versagen ist, wenn Menschen – trotz aller Bemühungen – sterben, und dass es eine durchaus sehr menschliche Entscheidung sein kann, irgendwann, nach gemeinsamer Beratung mit PatientInnen und Angehörigen, mit der Behandlung aufzuhören. Manche Kliniken haben deshalb Palliativstationen eingerichtet, wo nur noch das medizinisch Nötigste gemacht wird, zum Beispiel eine Schmerzbehandlung, und wo mehr Raum für die notwendige menschliche Sterbebegleitung ist.

Auch wenn sich hier glücklicherweise langsam ebenfalls etwas ändert, bestimmt Ekel noch häufig den Umgang mit toten Menschen, und das Versorgen der Toten gilt bei uns in der Regel noch als eine niedrig bewertete Tätigkeit, etwas, das kaum jemand gerne und freiwillig tut. Dies wird im abgrenzenden Verhalten deutlich: Schutzkleidung und andere „Hilfsmittel“ schaffen eine gewollte (und hygienisch nur in seltenen Fällen notwendige) Grenze zwischen Lebenden und Toten. Die in der Regel schnelle und auf das Nötigste reduzierte „Versorgung“ der Toten und die Angst vor Berührung führen leider oft zu einem gefühllosen und rauen Umgang mit den Toten und dann verkommt diese wesentliche Aufgabe zur würdelosen Müllentsorgung in Leichensäcken aus Plastik – oder im besten Fall zu einer schnellen, sachlich-technischen Abfertigung, der eine Entmenschlichung der Toten zugrunde liegt, die sich auch auf die mit ihnen Umgehenden auswirkt.

Natürlich kommt es auch hier, wie überall, immer auf die einzelnen Personen an und darauf, welchen menschlichen Umgang sie für sich innerhalb dieses Systems der Entfremdung von Tod finden. In letzter Zeit begegnen uns häufiger als früher MitarbeiterInnen in der Pathologie, in Krematorien, auf Friedhöfen und von Bestattungsunternehmen, die einen guten und menschlichen Umgang pflegen.

Es ist mir sehr wichtig, hier deutlich zu machen, dass sich meine Kritik nicht an einzelne Menschen richtet, die beruflich mit Sterben, Tod und Toten zu tun haben, sondern an unsere gesamte Gesellschaft, die Tod und alles, was damit zu tun hat, noch immer zu sehr aus dem alltäglichen Leben drängt und damit von uns abgetrennt hat. Dadurch wird eine Haltung gefördert, in der Menschen lieber nichts davon wissen wollen und dies an andere dafür Zuständige abgeben. Diese abgespaltene Haltung findet sich dann leider noch zu häufig im praktischen Umgang mit den Toten wieder. Durch die damit leider auch verbundene Abwertung werden Menschen, die beruflich mit Toten zu tun haben, gesellschaftlich damit allein gelassen. Ihre Arbeit wird noch nicht angemessen geschätzt und unterstützt – und es besteht die Gefahr, dass sie in dem von ihnen erwarteten emotional distanzierten Umgang mit den Toten ihr Mitgefühl und ihre Würde verlieren.

Zur allgemein üblichen hygienischen Totenversorgung gehören Utensilien, die im Fachhandel für Bestattungsunternehmen gekauft werden können. Dazu zählen unter anderem chemische Geruchsumwandler, Augenklappen aus Plastik, Klebstoff für das Verschließen von Augenlidern und Lippen, Kinnstützen aus Plastik und vieles mehr. Diese oben und im Folgenden genannten Mittel benutzen wir in unserer Bestattungsarbeit in der BARKE nicht und führen auch keine entsprechenden Handlungen an den Verstorbenen aus, weil wir diese grundsätzlich als unnötig erfahren haben und als zu körperverletzend empfinden. Wir gehen davon aus, dass die meisten dieser und anderer „Hilfsmittel“ dafür vorgesehen sind, um die Anzeichen des Todes weniger sichtbar, weniger wahrnehmbar zu machen: Die Plastikaugenklappen sind mit kleinen Dornen versehen und werden unter die Augenlider geschoben, damit das Einsinken der Augen von außen nicht mehr sichtbar ist. Und auch, damit die Lider geschlossen bleiben. Doch die Augen der Toten sinken in aller Regel sehr langsam ein. Oft ist das in den ersten Tagen nach dem Tod kaum wahrnehmbar. Es ist einfach eines der vielen sichtbaren Zeichen von Tod. Normaler Sekundenkleber wird benutzt, um Augenlider und Lippen von Verstorbenen zu verschließen, denn manchmal ist dies ohne solche Hilfsmittel einfach nicht möglich. Aber beim Schlafen ist der Mund auch manchmal entspannt und leicht geöffnet und auch leicht „blinzelnde“ Augen müssen bei den Toten nicht erschreckend wirken, vorausgesetzt, dass die Angehörigen dabei gut begleitet werden, mit ihnen darüber gesprochen wird und somit eine unbefangene Begegnung mit ihren Toten unterstützt wird. Wenn wir als Bestatterinnen ganz natürlich damit umgehen, erleben wir, wie viele Angehörige bei den leicht geöffneten Augen ihrer Toten schmunzeln können und Bemerkungen machen wie: „Sie wollte ja auch im Leben immer genau mitbekommen, was um sie herum geschieht. Warum sollte das jetzt anders sein?“

Die verschiedenen Kinnstützen aus Plastik, damit der Kiefer fest geschlossen bleibt, hinterlassen sichtbare Eindrücke in der Haut und graben sich tief unter das Kinn ein, sehen meist unbequem und selten schön an den Verstorbenen aus. Der Mund wird auch manchmal mithilfe einer kaum sichtbaren Technik zugenäht.

Es ist in Bestattungsunternehmen auch oft üblich (und dies wird in der Ausbildung zur Bestattungsfachkraft gelehrt,) Drähte zu benutzen, mit deren Hilfe die Körperöffnungen der Verstorbenen (Mund-, Nasenhöhlen, Genitalbereich) mit Zellstoff ausgestopft werden, damit schon im Voraus verhindert wird, dass eventuell Körperflüssigkeiten austreten können. Solche „Hilfsmittel“ werden auch in so manchem aufgeschlossenen Institut verwendet, das ansonsten eine gute und unterstützende Begleitung der Trauernden und den Abschied von den Verstorbenen in eigenen, schön gestalteten Abschiedsräumen anbietet. Dieser Umgang mit den Toten gilt nach wie vor als „seriös und fachlich kompetent“, um die Lebenden vorsorglich vor allen Anzeichen des Todes zu bewahren.

Die Angst und der Ekel vor den (möglichen!) sichtbaren Zeichen des Todes, der Veränderung, des Verfalls, der Verwesung ist so groß, dass alles getan wird, um dies schon vorbeugend zu verhindern, wenn die Verstorbenen für eine offene Aufbahrung vorbereitet werden sollen. Sehr häufig aber geschieht diese natürliche Veränderung nach dem Tod sehr langsam und muss nicht erschreckend sein. Unsere Versorgung ähnelt daher eher der Versorgung Lebender, die Pflege brauchen: ein kleines zusammengerolltes Handtuch oder ein anderes Tuch unterm Kinn (und das nur, wenn der Kiefer sonst zu sehr aufgehen würde), aufsaugende, flüssigkeitsdichte Krankenunterlagen im Bett, meistens nur eine Einlage in der Unterhose anstatt der inzwischen obligatorischen Windel.

Wenn, was eher selten der Fall ist, eine Veränderung sehr schnell gehen sollte, so erklären wir auch hier den Prozess den Angehörigen, nehmen die Angst davor und entscheiden gemeinsam, wie die Zeit des Abschiednehmens in angemessener Reaktion darauf beendet wird, zum Beispiel durch das Schließen des Sarges, auch um die Würde der Verstorbenen zu wahren, die in dieser Veränderung nun vielleicht nicht mehr von allen gesehen werden wollen. Unserer Erfahrung nach ist aber in aller Regel genug Zeit für den Abschied.

Mittlerweile werden auch hierzulande Techniken der Konservierung von Verstorbenen angeboten wie das sogenannte „Modern Embalming“ (deutsch: Moderne Einbalsamierung). Dieses Verfahren ist in den Vereinigten Staaten und in England schon seit Jahrzehnten üblich. Dabei wird das gesamte Blut aus dem Körper der Toten abgepumpt und gleichzeitig werden die Adern des toten Menschen mit einer meist formaldehydhaltigen (oder einer anderen chemischen) Konservierungsflüssigkeit gefüllt. Die Verstorbenen sind dadurch für eine unbestimmt lange Zeit konserviert und verändern ihren Zustand nicht mehr. Sie sehen auch nicht mehr tot aus, sondern tatsächlich leblos.

Bei einem toten Mann, der so behandelt wurde, weil er aus dem Ausland mit dem Flugzeug hierher rückgeführt wurde, habe ich diese künstliche Leblosigkeit sehr stark empfunden. Nach dem Öffnen des verlöteten Zinksarges roch es stechend nach Formaldehyd. Sein Körper fühlte sich nicht wie ein natürlicher menschlicher toter Körper an, sondern wie aus einem „Kunststoff“ gemacht. Ich habe etwas an ihm wahrgenommen, das sich wie eingesperrt anfühlte: Seine Seele? Seine Essenz? Ich frage mich: Wie geht ein natürlicher Übergang in solch einem Zustand?

Nun gibt es seit ein paar Jahren auch noch die Thanatopraxie. Hierunter fällt auch die „Wiederherstellungskosmetik“ von Unfallopfern, aber nicht wie in der Medizin bei Lebenden, sondern eher mit Mitteln aus dem Baumarkt. Es kann in Ausnahmefällen Situationen geben, bei denen die Anwendung einer dieser Methoden tatsächlich hilfreich und zum Beispiel das Vernähen von Wunden eventuell erforderlich ist. Aber ich verwehre mich entschieden dagegen, diese (zudem sehr teuren) Behandlungen als einzige oder beste Weise darzustellen, wie ein „guter Abschied am offenen Sarg“ ermöglicht werden kann, ohne den Angehörigen zu erklären, was genau dabei mit ihren Toten geschieht. Unter „Einbalsamierung“ und „Wiederherstellungskosmetik“ stellen sich die meisten Menschen wohl etwas anderes vor: Einbalsamieren wird von vielen mit duftenden Ölen assoziiert und Kosmetik mit abdeckendem Make-up und Schminken.

Wir Bestatterinnen von der BARKE machen die Erfahrung, dass die sichtbaren Zeichen der Veränderung und manchmal auch der – in der Regel wirklich oft nur leichte – Geruch der Verwesung (der übrigens meist erst einige Tage nach dem Tod wahrnehmbar wird, wenn überhaupt) den Angehörigen auch helfen können, zu begreifen, warum sie ihre Toten gehen lassen müssen, warum die Verstorbenen nun bestattet werden müssen.

Wenn sich Verstorbene durch konservierende Methoden nun gar nicht mehr sichtbar und fühlbar verändern, wird uns das Begreifen von Tod erschwert und damit auch das Abschiednehmen. So wird aus einem natürlichen Prozess eine künstlich erzeugte Starre, eine erzwungene Bewegungslosigkeit auf dem bewegten und bewegenden Weg hinaus aus diesem Leben.

Es stellt sich mir die Frage, wie viel wir in diesem kostbaren, lebendigen Leben noch durch „Plastik“ ersetzen wollen. Und warum wir die Erde noch zusätzlich mit Konservierungsmitteln vergiften sollten, wenn wir stattdessen die Möglichkeit haben, ihr nach unserem Lebensende durch unsere Körper wertvolle Nährstoffe zurückzugeben, aus denen neues Leben wächst.

„Nur nichts anmerken lassen!“ – Fehlende Anerkennung und Unterstützung im beruflichen Umgang mit Tod

Über den Umgang mit toten Menschen wird hierzulande allgemein wenig gelehrt. Erst seit wenigen Jahren gibt es eine gesetzliche Ausbildung zur Bestattungsfachkraft. In den existierenden Ausbildungen werden hauptsächlich die abgrenzenden Maßnahmen mit den bereits beschriebenen üblichen Utensilien vermittelt, die auf der Angst und dem Ekel vor dem Kontakt mit toten Körpern und ihrem Verfall basieren, und viele andere, in aller Regel unnötige und meines Erachtens körperverletzende Vorgehensweisen (siehe voriges Unterkapitel).

Andere, die in ihren Berufen regelmäßig und oft mit Toten in Kontakt kommen, wie zum Beispiel Pflegende, Ärztinnen und Ärzte, SanitäterInnen und Feuerwehrleute, haben in ihren Ausbildungen selten genug über den Umgang mit Toten und Trauernden lernen dürfen. MitarbeiterInnen von Friedhöfen und Krematorien bekommen in der Regel keine spezielle Ausbildung. FriedhofsmitarbeiterInnen29 haben uns schon davon erzählt, was sie erleben müssen, wenn sie zum Beispiel in der Mittagspause mit ihren Friedhofsjacken, die mit dem Schriftzug „Friedhof“ bedruckt sind, in den Supermarkt gehen, um sich etwas zu essen zu kaufen: Viele Menschen gehen ihnen dann – auch heute noch! – ängstlich oder gar entsetzt aus dem Weg. Allein die Vorstellung, dass diese Menschen beruflich mit Tod zu tun haben und durch ihr Erscheinen im alltäglichen Leben Tod symbolisch sozusagen unerwartet dort hineinbringen, erschreckt nach wie vor noch viele.

Die meisten wollen in ihrem Alltag nicht mit Tod konfrontiert werden, selbst wenn es nur die Begegnung mit einem Friedhofsmitarbeiter ist, der früher „Totengräber“ genannt wurde. Und genau das gehört auch heute noch zu ihrer Tätigkeit: die Toten zu begraben. Eigentlich eine wichtige und ehrenvolle Aufgabe, auf die FriedhofsmitarbeiterInnen stolz sein können (und manche sind es glücklicherweise auch). Aber das schnelle Zubaggern des Grabes, in der Regel natürlich erst, wenn nach dem Begräbnis alle Trauergäste schon gegangen sind, vermittelt diesen Eindruck nicht wirklich. Und es ist schade, dass auch diese Handlung aus unserem Blickfeld verschwunden ist und uns weitestgehend aus den Händen genommen wurde: das Begraben.

Gleichzeitig ist es völlig normal, dass wir in den Medien sehr häufig mit gewaltsamen, unnatürlichen Todesfällen, teilweise mit sehr erschreckenden Bildern, überflutet werden. Die fiktiven Bilder aus Krimis, reißerischen Thrillern und Horrorfilmen, aber auch die realen Bilder von blutüberströmten Toten aus den Nachrichten über Terroranschläge und Kriegsgebiete haben sicher ihren Teil dazu beigetragen, dass Menschen oftmals eine völlig unrealistische Vorstellung vom ganz alltäglichen, natürlichen Tod und von toten Menschen haben. Nun kommen aber die Menschen, die beruflich mit Toten zu tun haben, auch aus der Mitte unserer Gesellschaft. Sie haben oft genau dieselben Ängste und auch manchmal Ekel vor der Berührung mit Toten. Es gibt Pflegende, denen es davor graust, nachts alleine Verstorbene nach unten und über die langen Kellerflure in den Kühlraum bringen zu müssen, den Ort, an dem die Verstorbenen in der Klinik bis zu ihrer Abholung durch ein Bestattungsunternehmen bleiben. Dort liegen häufig mehrere Verstorbene in den Kühlfächern (oder dem Kühlraum), auf Stahlblechwannen und mit Leintüchern zugedeckt.

Dass das auch anders zu organisieren ist, zeigen unter anderem seltene Ausnahmen von Kliniken, wie etwa die anthroposophischen Kliniken. In diesen befinden sich die in sehr schönen Farben gestalteten, oft in runden Formen gebauten (und gekühlten!) Abschiedsräume im Erdgeschoss, gut zugänglich für Angehörige und das Klinikpersonal. Denn dort verabschieden sich auch Pflegende, Ärztinnen und Ärzte von ihren verstorbenen PatientInnen. Ein anderer Umgang ist also durchaus möglich, schafft reale Erfahrungen statt medialer Schreckensbilder und tut auch den professionell Betreuenden gut.

In Pflegeheimen gibt es ebenfalls große Unterschiede, wie damit umgegangen wird, wenn eine Bewohnerin oder ein Bewohner gestorben ist. Manchmal ist der Umgang ganz offen und selbstverständlich, es wird ein Bild und eine Kerze aufgestellt, sodass alle anderen, die dort leben, ebenfalls Bescheid wissen. Manchmal dürfen die BewohnerInnen wie auch die Pflegenden noch einmal Abschied nehmen, die ja in einem sehr nahen Kontakt mit den Verstorbenen waren. In anderen Häusern werden wir von der Heimleitung verpflichtet, nur zu genau bestimmten Zeiten still und heimlich den Sarg über die Gänge in den Aufzug zu fahren, damit nur ja kein/e BewohnerIn eventuell beunruhigt werden könnte.

Dabei haben die Menschen, die wir auf diese Weise abholen müssen, manchmal lange Zeit in diesen Heimen gelebt. Es war ihr letztes Zuhause, aus dem sie dann klammheimlich verschwinden müssen.

Im Krematorium haben die MitarbeiterInnen30 jeden Tag mit sehr vielen Toten zu tun. Sie bereiten sie zum Beispiel für die in den meisten Bundesländern vorgeschriebene zweite amtsärztliche Leichenschau vor (mehr dazu in Kapitel VII). In manchen Krematorien haben sie auch häufig Kontakt zu Trauernden, etwa bei dort stattfindenden Feiern oder wenn Angehörige bei der Einäscherung dabei sein dürfen: dem kurzen Moment, in dem die Verstorbenen im geschlossenen Sarg dem Feuer übergeben werden.

Die MitarbeiterInnen eines Krematoriums sind selbst oft berührt, wenn wir einen sehr kleinen Sarg bringen müssen oder bei tragischen Unfällen junger Menschen, und kommen so manches Mal an die Grenzen ihrer emotionalen und körperlichen Belastbarkeit. Ihnen wird viel zugemutet. Sie haben es auch manchmal mit Verstorbenen zu tun, die schon länger tot und sehr weit fortgeschritten in der Verwesung sind. Oder auch mit schwer Verletzten. Das ist für die meisten nicht einfach auszuhalten. In solchen Momenten haben wir schon manchen Mitarbeiter mit den Tränen kämpfen sehen.

Aber für das Äußern von Gefühlen ist dort kaum Raum und Zeit. Es ist eine technische und harte körperliche Arbeit. Und wie die Menschen, die dort arbeiten, damit klarkommen, ist in aller Regel „ihre Sache“. Da wird meist nicht darüber geredet. Da gibt es keine Supervision oder Seelsorge wie bei großen Unfällen. Und mit wem sollten sie außerhalb ihrer Arbeit auch darüber sprechen können, wenn wirklich kaum jemand etwas davon wissen will? Und wenn eher mit Entsetzen reagiert wird, was keine Hilfe ist für diejenigen, die das fast täglich aushalten müssen.

Als Gesellschaft lassen wir diese Menschen allein und würdigen sie nicht angemessen für diese große Aufgabe, die sie für uns alle übernehmen. Das gilt natürlich auch für viele andere Bereiche in unserem Leben und mündet einmal mehr in der großen Frage, wie mit der Aufteilung und Bewertung von – bezahlter und unbezahlter – Arbeit überhaupt umgegangen wird.

Festzuhalten bleibt, dass auch über diesen Bereich der Arbeit mit den Toten bisher noch viel zu wenig gesprochen wird. Ich wünsche mir, dass wir als Gesellschaft darüber reden und nachdenken, wie wir unsere Bestattungskultur so verändern können, dass sie menschlicher wird. Für alle.

 9 Gary Zukav: Die tanzenden Wu Li Meister – Der östliche Pfad zum Verständnis der modernen Physik: vom Quantensprung zum schwarzen Loch. Rowohlt, 2012

 10 Silvia Federici: Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. 8. Auflage, Mandelbaum, 2020

 11 Altes Testament, Ex 22,17: „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen“: ein Bibelzitat, auf das sich die Hexenverfolger unter vielen anderen häufig beriefen, genauso wie auf hohe Kirchenmänner wie Thomas von Aquin, Augustinus und andere.

 12 Eine der Grundlagen für die Vernichtung, das Buch Malleus Maleficarum (zu Deutsch: Hexenhammer) von 1487, welches ausschließlich von der „naturgegebenen Boshaftigkeit und Schlechtigkeit der Frau“ handelt, wurde ebenfalls in diesem Land 1487 von zwei Mönchen geschrieben: „[…] so ist auch das Prozeßbuch ‬Hexenhammer‘ eine Sammlung bereits bestehender, zum Teil jahrhundertealter Ansichten über Dämonen und ebenso alter Vorurteile gegenüber Frauen […], eine Aneinanderreihung von Zitaten von Heiligen Aposteln, Kirchenvätern und antiken Denkern, die in die Form scholastischer Disputation gezwängt wurden.“ Erika Wisselinck: Hexen – Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist. Frauenoffensive, 1986, S. 15

 13 Vergleiche hierzu Rune Blix Hagen: Witchcraft Criminality and Witchcraft Research in the Nordic Countries aus: The Oxford Handbook of Witchcraft in Early Modern Europe and Colonial America. Oxford University Press, 2013

 14 Mona Chollet: Hexen – Die unbesiegte Macht der Frauen. Edition Nautilus, 2020, S. 20

 15 ebenda, S. 19

 16 ebenda, S. 20; vergleiche hierzu ebenfalls: Silvia Federici: Caliban und die Hexe – Frauen, der Körper und die ursprüngliche Akkumulation. 8. Auflage, Mandelbaum, 2020; Barbara Ehrenreich und Deirdre English: Hexen, Hebammen und Krankenschwestern. Frauenoffensive, 2001

 17 Gunnar Heinsohn und Otto Steiger: Die Vernichtung der weisen Frauen – Hexenverfolgung, Menschenproduktion, Kinderwelten, Bevölkerungswissenschaft. 14. Auflage, Area Verlag, 2005; Erika Wisselinck: Hexen – Warum wir so wenig von ihrer Geschichte erfahren und was davon auch noch falsch ist. Frauenoffensive, 1986

 18 Gunnar Heinsohn: Lexikon der Völkermorde. Rowohlt, 1998

 19 Heute sind die Verhältnisse in der Bundesrepublik besser, jedoch lange noch nicht gut. Die Anzahl rassistischer und antisemitischer Angriffe steigt ebenso wie die der Femizide: Morde an Frauen, weil sie Frauen sind.

 20 Martina Böhmer: Erfahrungen sexualisierter Gewalt in der Lebensgeschichte alter Frauen – Ansätze für eine frauenorientierte Altenarbeit. 2. Auflage, Mabuse, 2000

 21 medica mondiale e. V., https://www.medicamondiale.org/nc/nachrichten/transgenerationales-trauma-wir-haben-so-viel-in-uns-vergraben.html (25.11.2020)

 22 Diese schöne Frage stellte mir Franziska Brugger, eine meiner Lektorinnen, während der Entstehungsphase des vorliegenden Buches.

 23 LAG Hospiz Brandenburg e. V., https://www.lag-hospiz-brandenburg.de/themen_hospizidee_geschichte.html (25.11.2020)

 24 Brigitte Tag: „Aber auch die Straftatbestände des Diebstahls, § 242 StGB, oder der Unterschlagung, § 246 StGB, kommen nicht in Betracht. Diese das Eigentum schützenden Straftatbestände sind u. a. deswegen nicht anwendbar, weil es sich bei den Leichen zwar um Sachen handelt [Hervorhebung von A. H.], sie aber anders als im Tatbestand vorausgesetzt herkömmlicherweise nicht im fremden Eigentum stehen, sondern herrenlos sind.“ Brigitte Tag: Rechtliche Aspekte im Umgang mit dem toten Körper. Eine thematische Einführung aus: Dominik Groß, Andrea Esser, Hubert Knoblauch, Brigitte Tag (Hg.): Tod und toter Körper – Der Umgang mit dem Tod und der menschlichen Leiche am Beispiel der klinischen Obduktion. Kassel University Press, 2007, S. 104, https://www.uni-kassel.de/upress/online/frei/978-3-89958-338-0.volltext.frei.pdf (25.11.2020)

 25 Beim Wort „Mensch“ im Singular haben wir in der Regel vor unserem inneren Auge nicht alle Geschlechter präsent, daher spreche ich manchmal von „Person“; das meine ich jedoch ganz gewiss nicht unpersönlich.

 26 Giulia Enders: Darm mit Charme – Alles über ein unterschätztes Organ. Ullstein, 2017; Robynne Chutkan: Das Mikrobiom – Heilung für den Darm: Der revolutionäre Weg zu neuer Gesundheit von innen heraus. Unimedica, 2017; Emeran Mayer: Das zweite Gehirn – Wie der Darm unsere Stimmung, unsere Entscheidungen und unser Wohlbefinden beeinflusst. Riva, 2016

 27 Ute Manan Schiran: Am Küstensaum der Zeit – Gedanken zu einer sinnlich-spirituellen Praxis jenseits bestehender religiöser/säkularer Systeme/2 Essays. München, 2008, S. 53

 28 Eine Essenz; von mir aufgeschrieben nach den ersten sieben Jahren BARKE (2006).

 29 In diesem Bereich sind bisher, außer im Verwaltungsbereich, noch sehr wenige Frauen tätig. Ich habe noch nie eine Friedhofsmitarbeiterin gesehen, die ein Grab geöffnet und wieder geschlossen hat („Grab öffnen und schließen“ sind Friedhofsfachbegriffe für: ein Grab ausheben und dieses später wieder mit Erde auffüllen).

 30 Ich schreibe dies hier inklusiv für alle Geschlechter, aber leider ist mir noch in keinem Krematorium eine Mitarbeiterin begegnet, die sich um die Toten kümmert und für die Einäscherung zuständig ist. Es ist zu wünschen, dass auch hier bald mehr Frauen tätig sein werden und diese Arbeit die Anerkennung bekommt, die ihr gebührt.

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