Kitabı oku: «Dantes Inferno I», sayfa 3
Die Fische-Vorhölle
Als Akron mich ansah, wußte ich, wo ich war. Niemals vergesse ich seinen ersten Blick, als er neben mir stand und beiläufig sagte: «Ich bin der Geist, der die Polaritäten überwunden hat, indem er Gott ins Auge blickte und darin die Wahrheit fand. Und du bist der Sünder, der nach einem langen Irrweg wieder zurückgekehrt ist, um vom Ganzen, von dem er sich abgespalten hat, wieder aufgenommen zu werden, damit er das einstmals aus sich selbst Entfernte wieder in sich zurücknehmen kann als das, was es ist, nämlich als einen Teil von sich selbst. Bist du bereit?»
Als ich freudig bejahte, warf er mir die nächste Frage an den Kopf: «Dann sage mir, wer du bist?!»
«Wieso? Ist das hier wichtig?» wollte ich wissen.
«Ich führe dich zu den unergründlichen Tiefen der Seele, deren Ziel es ist, die gefestigte Ordnung aufzuweichen und die Materie in ihre Urbestandteile aufzulösen», psalmodierte er mit glänzenden Augen, «deshalb muß jeder Sünder an dieser Schwelle darüber nachdenken, wer er ist, damit er weiß, was er verliert. Denn hier verlierst du alles, was du bist, und gewinnst alles, was du verlierst. Deshalb möchte ich dich nochmals auffordern, mir hier laut und deutlich zu sagen, wer du bist!»
«Ich bin ich!» brüllte ich. Langsam wurde ich nervös.
«Und woher weißt du, daß du existierst?»
«Es ist eine intuitive Erkenntnis.»
«Das ist kein Beweis: Was für konkrete Beweise hast du dafür, daß du existierst?»
«Nun, ich denke, mein sensorisches Empfinden übermittelt es mir.»
«Gut», er lächelte zufrieden. «Nun denk über die nächste Frage nach: Was ist der Sinn deiner Existenz?»
«Zu sein!» stieß ich mißmutig heraus.
«Du lügst! Wenn das der Sinn deiner Existenz wäre, was wäre dann der Sinn dieser Reise? Ich frage dich also: Bist du bereit zu akzeptieren, daß es keinen fixen Ich-Kern gibt, daß das Selbstbild, das du dir aufgebaut hast, eine Illusion ist, die sich nur dadurch nicht auflöst, weil sich dein Bewußtsein um sich selbst drehend in einer fließenden Bewegung dauernd neu manifestiert?»
«Warum willst du das hören?» fragte ich stöhnend.
«Der Limbus stellt die große Sehnsucht dar», erwiderte er und holte tief Luft, «in der sich unsere kleine Sehnsucht spiegelt, deren Schatten das persönliche Ego ist. Hier begegnest du nicht nur dem Anfang, der werden will, sondern auch dem Ende, das vergehen muß, damit es wieder werden kann, um aufs neue zu vergehen, denn diese Hölle versinnbildlicht die Drehscheibe im göttlichen Schöpfungsplan, weil sie dem schöpferischen Willen entspricht, der keine Absicht hat und ohne die Strukturen des göttlichen Schöpfungsplanes einfach die Potenz des sich selbst aus sich heraus gebärenden Urnichts darstellt. Nur wer um die Unverrückbarkeit dieser absoluten Wahrheit weiß, ist für die Höllischste aller Reisen bereit!»
Plötzlich tat sich der Boden vor mir auf und bildete eine steile Teppe, die tief hinab ins Dunkle führte. Die ganze Sehnsucht meiner inneren Hölle schoß hervor, und unendliche Dimensionen taten sich wie ein riesiger Schlund vor mir auf, denn offenbar hatte ich die Grenze erreicht, an der diese Fähigkeit hervortreten konnte. Ich hatte sozusagen den Punkt erreicht, an dem ich in mich selbst hineintreten konnte. Mein ganzes Hirnpotential war auf Empfang ausgerichtet, und ich sog begierig auf, was mir das Unbewußte zuspielte. Irgendwie war ich mir sicher, daß diese Ausstülpung meiner Innenwelt etwas ganz Natürliches war, ein Spiegel gewissermaßen, in dem man seinem unbewußten Schatten bewußt begegnen konnte, und Akron die Ausstülpung eines anderen Teils meiner Persönlichkeit, der durch mein Bewußtsein hindurch die Brücke bildete, die mich mit den irrealen Mysterien meines Unbewußten verband. Er war sozusagen ein Attribut meiner Hingabe an das Höhere in mir selbst, und mir schien, daß alle kreativen Fähigkeiten die Möglichkeit besassen, mich mit den höherdimensionierten Realitäten in Verbindung zu bringen. Ich sollte wegschauen, ihn nicht anstarren, hatte Akron mit blitzenden Augen noch gesagt, bevor er über die Brücke verschwand, als er nämlich sah, daß ich ihm folgen würde, denn jetzt wußte er, daß ich ihn erkannt hatte.
«Schau nicht hin, während du die Stelle überquerst», hatte er mich gewarnt, als er den Spalt zur Unterwelt am anderen Ende der Brücke öffnete und sich das Nichts drohend vor mir auftürmte, «sonst wird es dein letzter Blick auf den inneren Sternenhimmel gewesen sein, im letzten Moment vor dem Einschlafen, wenn du den Hüter der Schwelle passierst, denn es handelt sich hier um die Sehnsucht deiner Seele nach einem Einblick in ihr eigenes Uhrwerk, der vom rational-logischen Gesichtspunkt aus als unmöglich erscheinen muß. Keiner hält die zersetzenden Dimensionen der Fische mit seinem rational-kausalen Denken aus. Er würde wahnsinnig.»
Meine Augen waren offen; alle meine Sinne waren wach. Ich strengte mich an, nach vorne zu sehen. Aber da gab es nichts. Oder, falls es doch etwas gab, konnte ich es nicht erfassen. Meine Sinne gehorchten nicht mehr jener Arbeitsteilung, die ich als sinnvoll zu betrachten gelernt hatte. Alles stürzte gleichzeitig auf mich ein, oder besser gesagt, das Nichts stürzte auf mich ein, wie ich es niemals vorher oder nachher erlebt hatte. Ich hatte das Gefühl, als würde mein Körper entzweigerissen. Eine Kraft aus meinem Inneren drängte hinaus. Ich zerbarst, und das nicht nur bildlich gesprochen. Das Ego zerfiel, und vor meinen inneren Augen stiegen pulsierende Wirbel auf, in denen ich meine äußeren Blicke erkannte, aus denen unendliche Spiralfäden schwebten. Es war das letzte, woran ich mich erinnern konnte. Einen Wimpernschlag lang sah ich mein Gesicht im Dunkeln glühen. Mein Bewußtsein erlosch, als ich die strahlende Wand durchdrang und die Druckwelle mich aus dem Körper katapultierte. Schlagartig gingen die Lichter aus, und das gedämpfte Wimmern der Erde ballte sich zu einem schmerzhaften Schrei zusammen und brach dann ab. Der Raum löste sich auf, und in höchster Not spürte ich plötzlich den rettenden Griff, die vertraute Hand, die mich fortriß, bevor ich mich auflöste.
Akron stand neben mir und hielt mich an der Hand: «Gerade bist du durch den Spalt geschlüpft, durch den wir in die Wirklichkeit hineingehen, in die Vorstellung des Unbekannten, die wiederum ein Bestandteil unserer Weltvorstellung ist.»
«Und wohin führst du mich?» Ich glaubte genau zu wissen, was er sagen wollte, obwohl ich mir nicht sicher war, ob er überhaupt etwas gesagt hatte, denn mir schien, als ob sich seine Worte direkt in meinem Kopf bildeten.
«Ich führe dich zu dir selbst hin, zu deinen inneren Ebenen, die außerhalb von Raum und Zeit liegen oder zumindest außerhalb der beschränkten Sichtweisen, die wir mit Raum und Zeit umschreiben», erwiderte er und schaute mir in die Augen, «sie stellen die große Sehnsucht dar, in der sich unsere kleine Sehnsucht spiegelt und deren Schatten die Hölle ist.»
«In die Unterwelt?» wollte ich wissen.
«Himmel oder Hölle, das bleibt sich gleich», sagte er lächelnd und hob die Arme in die Luft, «ich fliege mit dir zu den Pforten der Wahrnehmung, zu den Gipfeln göttlicher Erkenntnis, um deren Spitzen die Visionen der Engel schweben und wo die Realität zur bloßen Fiktion zerschmilzt.»
«Was ist Realität?» wandte ich ein.
«Die Realität ist nur das Bild, wie sich die Welt unserer Vorstellung durch die Kapazität der Sinnesorgane darstellt», erwiderte er und tippte sich mit der Linken an die Stirn, «jede Realität kreiert in deinem Gehirn Welten von anderen Realitäten und ruft dabei das täuschend echte Gefühl hervor, als seiest du in ihr, denn dein Geist ist in die Datennetze des ganzen Universums eingebunden und auf sublime Weise mit jeder Realität verbunden. Weißt du überhaupt, wer du bist jenseits der Form, mit der du dich identifizierst?»
Auf einmal verschob sich meine Perspektive. Ich sah nicht mehr ihn, sondern mich, denn ohne mich zu bewegen sah ich mich plötzlich vor mir stehen, und ich fragte mich, war ich der Träumer, der träumte, oder ein anderer, der träumte, der Träumer zu sein. Einen Augenblick lang sah ich mein Gesicht im Dunkeln glühen. Als wollte es Himmel und Hölle verschlingen, schwebte es heran und blickte mich mit leuchtenden Augen geheimnisvoll an. Daraus brach ein wellenförmiges Flimmern hervor, wälzte sich über mich und drang durch jede Öffnung in mich ein. Lichtkaskaden brachen in eruptiven Schüben hervor, und ein glänzender Lichtstrom fegte über mich hinweg. Es war ein hypnotisierendes Leuchten, das von diesem glühenden Objekt ausging, und als ich es genauer musterte, begann es seinen Glanz zu verlieren, und mir schien, als wäre es das Auge eines alten Mannes, der mich im eigenen Blick ansah, ein gespiegeltes Bild in einem Spiegel und zugleich Spiegel selbst, und der zu mir sprach: «Diese Schwelle verkörpert sowohl das Nichts am Übergang zum Werden wie auch die grenzenlose Leere des Alls, die am Ende jeder Entwicklung das Sein wieder in sich aufnimmt. Sie zeigt ein Sehnen nach Verschmelzung mit der Seele an und die Auflösung aller Einschränkungen. Ihr tiefes Streben, durchwoben von den Mustern des Ewigen, mit denen du dich in frommer Übereinstimmung wähnst, führt dich zu den Pforten mystischer Wahrnehmung, zu den Gipfeln göttlicher Erkenntnis, wo die Visionen ihre Perspektiven träumen. Ihre Entsprechungen sind die ätherischen Schleier der Seelenbilder, die die inneren Bilder lebendig werden lassen, die Zaubergärten der Delirien und Drogenräusche, die den Gespenstern als Zwischenwelt dienen, oder die Ahnungen und Botschaften aus dem Reich der Tiefe, die zu den Quellen der Träume und den Schwellen des Unbewußten hinabführen. Sie sind das versunkene Atlantis für das aus den Tiefen leuchtende Licht, der über dem Wasser schwebende Geist Gottes als himmlische Wahrheit oder der Sternenhimmel für die Einstrahlung des Kosmos in den erahnenden menschlichen Geist. Bist du bereit?»
Unendliche Dimensionen gähnten wie ein hungriger Schlund vor mir auf, und unter mir klaffte ein riesiger Abgrund. Meine Schritte wankten ins Leere, denn ich spürte meine Beine nicht mehr. Es war wie ein Gang in den Abgrund, in dem die Zeit stillstand.
«Wo sind wir?» fragte ich meinen Begleiter.
«Wir sind durch eine Lücke deines Bewußtseins hindurchgetreten und befinden uns an der Pforte zur Vorhölle, die das Licht der sich aus sich selbst heraus gebärenden Erkenntnis darstellt. Schau geradeaus», hörte ich Akron sagen.
In diesem Moment vermochte ich im schemenhaften Glanz der Sterne tatsächlich Gott und die Engel zu erkennen. Vor mir öffnete sich der Spalt, aus dem ferne Erinnerungen wie farbige Traumblasen aufstiegen, ein Panoptikum sehnsüchtigster Entrückung, das in eine andere Raum-Zeitlichkeit enteilte. Ich verwandelte mich in eine Eizelle, die in den Tempel des Lebens hineinschoß, und gleichzeitig entdeckte ich, daß das, was ich für mein Lebenswasser hielt, nur ein Bild meiner inneren Vorstellung war. Darin nahm ich meine eigene Wahrnehmung wahr, glaubte sie aber als Schöpferquelle zu erkennen. Ich erkannte in der als Schöpfung erkannten Wahrnehmung die göttliche Formel der Seele, die Gott in allem, was sie sieht, nach ihrem eigenen Bild wahrnimmt. Von der Realität des Alltags befreit, begann ich die Polaritäten zu überwinden und in die zeitlosen Räume einzudringen, in denen Wellen des Geistes alte Erinnerungen heranspülten. Direkt vor mir schäumten die Wellen der Ewigkeit, und sie klatschten mit ihren Armen gegen die uralten, bemoosten Mauerreste.
«Hier stehst du an der Schwelle, hinter der es keine Umkehr gibt, denn sie ist ein Symbol des Dranges, sich selbst in jedem Rahmen zu verlieren und sich jeder Verfestigung zu entziehen. Des Menschen Sehnsucht nach Gott ist das verdrängte Gegengewicht zu seiner materiell-polaren Perspektive, die, einmal aus den Angeln gehoben, sich immer mehr in sich verliert: als Kompensationslust seines Denkens, um sich im Grenzenlosen zu ertränken …»
Das waren Akrons Worte. Sie glitten schwerelos durch Zeit und Raum, und es dauerte Äonen, bis ich ihren Sinn verstand.
Es ist das unsichtbare Tor, von welchem Dante schrieb:
Durch mich geht man hinein zur Stadt der Trauer,
durch mich geht man hinein zum ewigen Schmerze,
durch mich geht man zu dem verlornen Volke.
Gerechtigkeit trieb meinen hohen Schöpfer,
geschaffen haben mich die Allmacht Gottes,
die höchste Weisheit und die erste Liebe.
Vor mir ist kein geschaffen Ding gewesen,
nur ewiges, und ich muß ewig dauern.
Laßt jede Hoffnung, wenn ihr eingetreten.
Inferno 3,1 - 9
Sonne in Fische
Vorhölle
Die Vorhölle der idealisierten Wirklichkeit an der Schwelle zur Realitätsflucht und Selbstbetäubung
Sünder
Illusionisten, Illuministen, (schwärmerische) Okkultisten, chamäleonartige Scheinanpasser, willensschwache Rollenspieler, Falschspieler, Trinker, haltlose Verführer, sexuelle Verdränger, mysteriöse Entzieher
Disposition
Der Schattenbereich von Sonne in den Fischen und Sonne im 12. Haus sowie disharmonische Sonne/Neptun-Aspekte
Schuld
Beeinflußbarkeit, Unentschlossenheit, Verwirrung, Versponnenheit, Unaufrichtigkeit, Unzuverlässigkeit, Rückgratlosigkeit, Selbstverleugnung, Selbstaufopferung, Selbsttäuschung, Handlungsschwäche, Wankelmut, Willenslähmung, Wahnvorstellung
Strafe
In dieser Hölle wirst du ständig von deinen eigenen Schatten belauert. Das Unvermögen, die eigenen Dämonen zu erkennen, entspricht deinem wirklichkeitsverleugnenden Verhalten, und die folgerichtige Strafe, daß die verdrängten Gespenster unerkannt von außen ständig über dich herfallen, läßt auch nicht lange auf sich warten. Statt deine eigenen Gespenster zu erkennen, sicherst du dich nach innen mit fremden Bildern der Erkenntnis ab, um die Blockierung des eigenen Ahnens einerseits durch die Angst zu lösen und andererseits die Konsequenz des eigenen Erkennens auf die Vorstellung übernommener Bilder zu verteilen. Daraus entsteht eine Ziellosigkeit der inneren Sehnsüchte. Du entziehst dich den Niederungen des irdischen Daseins und versuchst, die Verhinderung deiner materiellen Selbstverwirklichung hinter einem kosmischen Mäntelchen zu verstecken, was ein Widerspruch in sich ist, nämlich das Bild der Überwindung durch das Ego darzustellen. Es ist dies ein sich Hinwegheben in den Himmel fixierter Vorstellungen, die der Realität unerreichbar sind. Dort fühlst du dich vor Menschen sicher und bist gleichzeitig den Göttern näher.
Lösung
Die Angst vor der Realität des Alltags wird aber in dem Augenblick abgestreift, wo dein Vertrauen in die Spiritualität dieser höheren Erkenntnis Einzug hält. Das Wissen aus dieser transzendent vergeistigten Dimension ist sich der Relativität seines eigenen Denkens bewußt, weil es weiß, daß die Täuschung deiner Sinne dem Spiel entspricht, das sich dein Geist selbst ausgedacht hat und das er nur über die geistige Einsicht in korrekter Beachtung der Regeln überwinden kann. In den Träumen des Lebens kannst du dich als Teil eines Größeren erfahren, und dieses Größere ist der Traum des Lebens selbst. Von der seelischen Anlage her bist du besser in der Lage, die menschliche Leere zu ertragen, weil du dich selbst als Mysterium erfährst. Dir fällt es leichter, der Auflösung zu begegnen, da du deine Identität nicht rücksichtslos auslebst, sondern den unsichtbaren Schwingungen des Göttlichen nachstellst. Wenn es dir gelingt, deine Aufmerksamkeit von den äußeren Sichtweisen abzuziehen, kannst du alle Ursachen des Lebens in dir selbst finden, weil dir durch die kosmische Berührung deines Geistes Einsichten zufließen, die normalen Sterblichen nicht zugänglich sind.
Das Schlangenei
Als ich durch das unsichtbare Tor hindurchglitt, war mir, als ob ich durch ein Fenster meiner Seele blickte und mir selbst zuschaute, wie ich auf einer Welle mysteriösen Erkennens in eine Welt der Leere und der endlosen Einsamkeit eintauchte, denn in mir formte sich das Bild von Sündern, die sich zu den embryonalen Gestaden des Unbewußten träumten. Schritt für Schritt sah ich mich von blasenförmigen Gebilden umzingelt. «Was sind das für schemenhafte Wesen?» fragte ich Akron, meinen Begleiter.
«Es sind die Spiegelbilder der Nacht», gab dieser zur Antwort, «die Ungeborenen, die sich in den Schatten der Nacht manifestieren.»
«Sie fühlen sich so tot an, so ohne Leben», stellte ich fest.
«Das rührt daher, weil sie keinen Körper haben», sagte er.
«Wo haben sie denn ihre Gestalt, mein Seelenführer?»
«Sie halten sie vor sich selbst verborgen, weil sie sich als die geheimnisvollen Instrumente einer höheren Eingebung wähnen, was in Wahrheit aber nur der schiefen Wahrnehmung ihrer Wirklichkeit entspricht.»
«Wie läßt sich das verstehen», erwiderte ich.
«Sie benutzen uns gewissermaßen als Spiegel, um sich in unseren Gedanken reflektieren zu können», versuchte er mir das Geschehen um mich herum näherzubringen, «da sie ihre Träume aber ebenso in unsere Vorstellungen wie wir unsere Vorstellungen in ihre Träume einbringen, führt das zu einem doppelten Umkehrschluß, daß nämlich ihre Träume durch unsere Lebensperspektive in dem Ausmaß schärfere Konturen gewinnen, wie sich unsere Lebensperspektive durch ihre Träume auflöst.»
«Jetzt versteh ich überhaupt nichts mehr!» Das war keine Übertreibung.
«Sie löschen den Verstandeszensor im Hirn der Opfer aus und ziehen die armen Sünder in ihre ewigen Träume hinüber. Doch warum willst du sie nicht selbst fragen?» Akrons Blick und sein schelmisches Lächeln verwirrten mich: «Du bist doch selbst ein Teil ihrer Wirklichkeit geworden. Siehst du das Wesen neben dir? Es hat dich soeben in seinen Traum einbezogen.»
Erschrocken drehte ich mich um. Ein mächtiges Lichtei schwebte auf mich zu. Ich konnte sein Äußeres nicht befühlen, aber es wirkte so seltsam glatt wie eine polierte Kugel, und es strahlte eine starke Bewußtheit aus. Dann stieß es mich an. Ich empfand es nicht als Berührung, eher wie ein leises Eindringen, und mir war, als sei ein Teil von mir, der in mir eingeschlafen war, durch diese Berührung wieder aufgeweckt worden.
«Wer bist du?» fragte ich. Ich hatte das Gefühl, als erwachte ich aus einem Traum, doch gleichzeitig hatte ich meine Bedenken, ob diese schimmernde Kugel nicht mehr war als nur ein Traum. Weder bewegte sie sich, noch veränderte sie ihre Gestalt. Und trotzdem übte sie eine so mächtige Anziehung aus, daß ich meine Aufmerksamkeit nicht von ihr lösen konnte. Eine sonderbare Kraft hielt mich wie festgewurzelt an der Stelle: «Ich bin der Horizont deines Traums», antwortete die Kugel, «der sich über deine Bilder wölbt und an deren Schnittpunkten Realität und Einbildung miteinander verwoben sind, und ich habe über uns einen spinnennetzfeinen Schleier ausgespannt, in dem alle Grobheiten des materiellen Imperativs festkleben und hängenbleiben und nur der Geist des Konjunktivs transparent genug ist, die Maschen des Netzes zu überwinden und in unsere Traumwelt vorzudringen. Diese Verfeinerung der Realität, die alles Grobstoffliche aussiebt und uns eine andere Wirklichkeit träumen läßt, ist unser Ziel: das Paradies.»
«Laß dich vom Dämon nicht aufs Glatteis führen», Akron schlug mir mit seinem Schlangenstab aufs Haupt, «sonst bist du auf ewig in seinem Traum gebannt! Sieh ihn nicht an, sondern versuche, durch ihn hindurchzuschauen, dann siehst du seine wirkliche Gestalt!»
Ich hatte ein seltsam milchiges Objekt vor Augen, eine Art gefleckten Nebels, der in ständig metamorphosierenden Farbtönen vor mir pulsierte. In der Mitte war ein mächtiges Loch, das mich einsaugte und sich als das Maul einer Schlange entpuppte, die mich verschluckte und Stück für Stück hinunterwürgte, und ich spürte, wie mich dabei ein starkes Lustgefühl ergriff. Meine Wirbelsäule geriet ins Schwingen, der Raum wurde zum Raumschiff, zur Pagode, zum Tempel, und ich fühlte, wie das göttliche Licht in mich einströmte. Es war eine faszinierende Vision, als sich die Träume wie eine Glaskuppel über die Säulengänge meiner inneren Gehirnkammern wölbten und ich aus der Tiefe eine erhabene Stimme vernahm: «Ich bin der Sternenhimmel für die Einstrahlung des Kosmos in den erahnenden menschlichen Geist oder das versunkene Atlantis als Symbol für das aus den Tiefen leuchtende Licht, denn ich bin die in dir wurzelnde letzte Frage nach dem inneren Selbst, die in dir erwacht ist, um dir zu zeigen, welche Erkenntnisse du aus deinen Träumen ziehen kannst. In mir lernst du das Göttliche in dir selbst erkennen, das sich aus dem Kokon untauglicher Lebensmuster herausgeschält hat, und in mir werden deine Sehnsüchte in die Kelter der sich vermischenden Weltbilder geworfen, in deren Verdichtungen die Prägungen deines Bewußtseins zugunsten höherer Entwicklungsstufen jetzt transformiert werden. Bist du soweit? Der Countdown läuft!»
Gleichzeitig vernahm ich Akrons Stimme. Sie flüsterte mir zu, daß ich sofort handeln müsse, wenn mir mein Leben noch einen Pfifferling wert wäre. Der Dämon dieser Hölle sei der Geist der Delirien und Drogenräusche, der den Gespenstern als Zwischenwelt diene, der ätherische Schleier der kollektiven Sehnsüchte, der meine inneren Bilder erwecke oder die Illusion aus dem Reich der Tiefe, die mich anziehe und mich niemals mehr loslassen würde, wenn ich ihr verfiele. Ich solle direkt auf das Phantom zugehen und es aus dem hüllenden Lichtkreis ziehen. Dann erst könne ich sein wahres Gesicht sehen.
Plötzlich erkannte ich, daß ich wie der doppelgesichtige Januskopf zwei Ebenen gleichzeitig wahrnahm. Links neben mir stand mein Seelenführer im tiefen Morast. Und direkt vor mir sah ich die schwebende Blase in einem kränkelnden grünen Licht. Sie zitterte, wich zurück, als ob sie ahnte, was ich vorhatte. Ich konzentrierte mich einen Augenblick, dann faßte ich mit meinen Händen dorthin, wo sich nach meinem Ermessen ungefähr der Hals befinden mußte, und packte zu. Das aber, was ich zwischen den Fingern hielt, als ich zugegriffen hatte, war kein Phantom, sondern eine zappelnde, grünschillernde Schlange.
«Erwürg sie nicht, sonst bist du verloren – küsse die Schlange auf den Mund», hörte ich Akron abermals sagen. Als ich meine Lippen an ihr Gesicht brachte, explodierte direkt vor meinen Augen ein Blitz, dann öffneten sich die pharaonischen Totenkammern in meinem Gehirn: vegetative, insektoide Gebilde, um die tieferen Schichten meiner Reptilien-Anfänge gewunden, die sich als larvale Kreaturen in den Spiegelräumen meines Egos suhlten und vom Höllenwurm träumten, der sich durch seine eigenen Gesichter hindurchfressen mußte. Durch meinen Kuß schien die Schlange erlöst, denn ihre zuckenden Energien schlüpften elegant in den schützenden Schleier der Nacht zurück. Und wieder ertönte mir Akrons Stimme im Ohr, ich solle das Phantom jetzt aus dem hüllenden Schatten ziehen, dann könne ich sein wahres Gesicht sehen.
Plötzlich leuchtete das Gesicht der Wahrheit vor mir auf: Ein tiefer Donnerschlag erschütterte die Luft, die Erde erzitterte, ich stürzte zu Boden und hielt mich an Akrons Beinen fest. Es war der Schock, der mich durchdrang, denn was ich aus dem Schatten herauszog, war mein eigener Kopf, der lächelte und mich dabei mit meinem eigenen Blick ansah.
Ich habe dich gewarnt», polterte auf einmal Akron und schlug mir mit seinem Caduceus auf den Kopf: «Versuch, deine Vorliebe für Horrorinszenarien zu zügeln, sonst kommst du aus dieser Hölle nicht mehr lebend heraus. Mach die Augen auf! Was hast du gesehen?»
Als ich die Augen öffnete, sah ich die scheußliche Schlange direkt neben mir. Sie war groß und häßlich und ringelte sich um Akrons Bein. Ich versuchte sofort sein Bein loszulassen, doch es gelang mir nicht, denn ich konnte meine Arme nicht bewegen. Erst da bemerkte ich, daß sie zu einem Teil der Schlange geworden waren, denn als ich an mir herunterblickte, sah ich, daß ich mich in eine Schlange verwandelt hatte. Dieses Bild verschwand in dem Augenblick, als Akron der Schlange mit seinem Stock den Kopf einschlug.