Kitabı oku: «"Und ihr wollt das Land besitzen?" (Ez 33,25)», sayfa 5
1. c) Text und Übersetzung von 8,12
12c: - „im Finstern“ fehlt laut BHS im textus graecus originalis, erscheint aber als wichtige inhaltliche Ergänzung zur Charakterisierung des beschriebenen Treibens. Zimmerli beurteilt es jedoch als Glosse.76 Er tendiert dazu, alles, was die Heimlichkeit des Tuns unterstreicht, für spätere Ergänzung zu halten, einschließlich V. 8, der die Notwendigkeit eines vorausgehenden Mauerbruchs beschreibt.
12c: Umstritten ist auch - „in den Kammern seines Gespinstes.“ Die alten Versionen, wie LXX, Peshitta, Vetus Latina, Vulgata, Targumim, übersetzen alle „Kammer“ im Singular, weshalb auch Zimmerli entsprechend korrigieren möchte. Erst eine spätere Veränderung habe damit den Blick vom Tempeltreiben abgelenkt und auf die Privatgemächer der beschriebenen Personen hingelenkt.77 Man kann die Notwendigkeit einer solchen Auslegung aber auch bezweifeln, durch die Zimmerli den Heimlichkeitscharakter des Tempeltreibens für sekundär erklärt.78 Der Plural des MT könnte dem typisierenden Stil Ezechiels verdankt und als lectio difficilior beizubehalten sein. Für die Verbindung von „Jeder“ mit Plural-bildungen gibt es bei Ez mehrere Beispiele. Interessant ist ein Vergleich mit Ez 20,7, wo das „Jeder“ mit einem pluralischen Imperativ verbunden ist. Daß das Personalsuffix bei - „seine Augen“ dann doch wieder im Singular steht, erinnert der grammatikalischen Form nach an das - „sein Gespinst“ hier in 8,12. Die „Kammern“ müßten also nicht so verstanden werden, daß bereits jeder einzelne mehrere davon gehabt hätte, sondern daß alle zusammen mehrere haben. Der Übersetzbarkeit in moderne Sprachen wären dabei allerdings Grenzen gesetzt. Was „sein Gespinst“ dagegen betrifft, meint auch Zimmerli, daß es von den Versionen nicht mehr verstanden worden sei, die es mit einem Adjektiv vom Wortfeld „verborgen“ (absconditus) übersetzen. Er rechnet also mit der Möglichkeit, daß hier MT ursprünglicher ist.79
12e: - „uns“ fehlt im textus graecus originalis (BHS). Gerade weil das Personalpronomen die Parallelität zu 9,9 stört, ist es als die schwierigere Lesart vorzuziehen. Anders Zimmerli, dem die Straffheit der kürzeren Version mehr zusagt.80
1. d) Analyse von 8,12
In einem durch das (12a) zu Beginn ausdrücklich als Rede Gottes an Ezechiel gekennzeichneten Vers stehend, wird die dazugehörige Redensart zu einer Art Zitat innerhalb eines Zitates, wie alle andern Redensarten auch. Fast das gesamte Buch Ezechiel ist als Gottesrede gestaltet, so daß der doppelte Zitatcharakter kaum wahrgenommen wird. Die Frage, mit der die Rede beginnt: - „hast du gesehen?“ (12b) wiederholt sich in allen Abschnitten der Komposition in Kap. 8. Nur im ersten Abschnitt in V. 6 tritt sie abweichend durch einen partizipialen Nominalsatz formuliert auf:
- „siehst du?“; in allen anderen Fällen, in VV. 12.15 u. 17 steht das Perfekt von . Die Frage hebt das Außerordentliche an den zu beobachtenden Mißbräuchen hervor und provoziert eine persönliche Stellungnahme auf seiten des Propheten. Zusätzlich findet sich V. 9, also im zweiten Abschnitt, dem der zu behandelnde Ausspruch angehört, die imperativische Aufforderung
- „geh’ hin und sieh“.81 Auch dies unterstreicht die hervorgehobene Bedeutung gerade des zweiten Abschnitts (VV. 7-13) innerhalb der Komposition VV. 6-18.
Die sich anschließende Anrede des Propheten als
- „Sohn eines Menschen“ (12bV) kennzeichnet das gesamte Ezechielbuch. Um Verwechslungen mit dem an Dan 7,13 orientierten Menschensohn-Begriff des NT auszuschließen, wird hier immer mit dem verhaltenen Ausdruck „Menschenwesen“ übersetzt, was dem gemeinten Sinn in etwa nahekommt.82 Auch stilistisch dürfte diese Wiedergabe mit ihrem Anonymitätscharakter der Absicht des biblischen Originals nahekommen.83
Es folgt ein Relativsatz, der als das zu Sehende ein bestimmtes Tun anzeigt, und als Subjekte dieses Tuns, als Täter, eben diejenigen benennt, die auch als Benutzer der Redensart in Erscheinung treten werden:
- „die Ältesten des Hauses Israel“ (12c). Diese Ältesten werden bereits aus dem vorhergehenden Vers übernommen, wo sie genauer beschrieben werden:
- „siebzig Männer aus den Ältesten des Hauses Israel.“ Dieser Ausdruck ist eine deutliche Anspielung auf die erste Aussonderung von siebzig Ältesten unter Mose in Num 11,16 (Vgl. auch Ex 24,1).
Dort heißt es:
- „da sagte JHWH zu Mose, sammle mir siebzig Männer aus den Ältesten Israels“. Von Rolle und Auftreten der Ältesten im Buch Ezechiel war oben schon summarisch die Rede. Die Beschränkung auf eine bestimmte Zahl mit ihrer symbolischen Bedeutung (70 = 7x10) hebt die zusätzliche Verantwortung, die den betreffenden Personen übertragen wird, hervor. Dient die Anspielung in Ez 8,11 dazu, diese Verantwortung ins Gedächtnis zu rufen, so soll nach Mosis ein Gleiches auch für die mit den „Ältesten“ verbundene Präposition - „aus“ gelten. Diese soll nicht so sehr der bloßen Einordnung in die umfassendere Gruppe dienen, sondern den offiziellen repräsentativen Charakter ihres Auftretens betonen.84 Der Sinn wäre nicht so sehr „siebzig Männer aus den Ältesten des Hauses Israel“, sondern „siebzig Männer in der Eigenschaft von Ältesten des Hauses Israel.“ Nur in Ez 8,11 werden die Ältesten mit dieser Zahlenangabe versehen. Die Präposition wird jedoch auch an den anderen Stellen beibehalten. So lesen wir in 14,1:
- „Männer von der Ältestenschaft Israels“ und treffen in 20,1 auf dieselbe Formulierung.
Die Vergleichsstellen Num 11,16 und Ex 24,9-11 werfen ein merkwürdiges Licht auf die Erwähnung der Ältesten bei Ezechiel. In Ex 24,9 erhalten die zuvor in 24,1 als Begleiter des Mose eingeführten Ältesten die ungewöhnliche Möglichkeit, Gott zu sehen, ohne dafür, wie sonst erwartet, sterben zu müssen. Damit ist bereits hier das Thema „Sehen“ vorgegeben, wie es in der Redensart Ez 8,12 eine so wichtige Rolle spielt. Der Hinweis erfolgt sowohl mit der Wurzel , als auch mit der Wurzel . In Ex 24,10 heißt es:
- „da sahen sie den Gott Israels“, und in V. 11: - „und sie schauten den Gott.“
Es ist allerdings das Sehen der Ältesten, denen als außerordentliche Gunst gestattet wird, Gott selbst zu sehen. Ez 8,12 ist wie die Umkehrung dazu: die Ältesten klagen, daß Gott nicht sieht. Die Stelle Ex 24,9-11 weist auch sonst bei ihrer Theophanieschilderung gewisse Ähnlichkeiten mit der Thronwagenvision in Ez 1,26-28 auf. So wird an beiden Stellen der Saphir-Stein genannt. Die glänzende Klarheit der Erscheinung wird zwar nicht mit denselben, aber doch ähnlich klingenden Worten ausgedrückt. In Ez 1,28 - „der Glanz“, in Ex - „für die Klarheit“.85
Num 11,16-29 erwähnt nicht das Sehen der Ältesten, sondern bringt einen anderen Aspekt ein, nämlich den des Geist-Empfangs, den Mose an sie weitergibt, und der mit der zeitweiligen Verleihung der Prophetengabe verbunden ist: Num 11,25: - „da weissagten sie“. Auf die Vorbehalte und Bedenken des Josua antwortet Mose in Num 11,29:
- „wenn doch das ganze Volk JHWHs zu Propheten gegeben würde, so daß JHWH seinen Geist gäbe auf sie.“
Ein Geist-Empfang wird von Ezechiel den Ältesten nicht zugesprochen. Die Ältesten benehmen sich vielmehr nicht so, wie sie nach ihm sollten. Den Geist empfängt zuerst nur Ezechiel in der Berufungsszene 2,1-2, und später empfangen ihn die toten Gebeine in 37,10. Dazwischen ergeht an das Volk die Verheißung eines neuen Geistes in 11,19 und 36,26. Es war jedoch bereits festzustellen, daß die Szene der Befragung die Ältesten bereits fast wie Prophetenschüler auftreten läßt und damit indirekt die Aufforderung anzudeuten scheint, auf Dauer wie Propheten zu werden.
Setzt man bei Ez einen bewußten Bezug auf diese Stellen voraus, dann kommt den Ältesten bei ihm eine höchst bedeutsame Funktion zu. Statt eine präzis umreißbare historische Gruppe anzuvisieren, spannt Ezechiel mit dem Ältesten-Begriff einen Bogen von der alten Tradition der Sinai-Offenbarung zur gegenwärtigen Krise des Exils. Die Menschen, an die sich Ezechiel richtet, vermögen die damit verbundene Aufgabe nicht, oder noch nicht zu erfüllen, aber es ist doch der Maßstab, an dem sie gemessen werden müssen, wenn je eine Umkehrung der Situation zum Besseren, ein zweiter Exodus möglich werden soll. Gleichzeitig ist sogar im Exil, fern der Heimat und des Tempels, eine der Sinai-Offenbarung vergleichbare Erfahrung möglich, wie Ez 11,16 zeigt, wenn Gott sich selbst als im Exil gegenwärtiges Heiligtum bezeichnet. Der Prophet will dabei genauso wenig wie Mose für sich allein bleiben, sondern hängt von der Mithilfe verständnisbereiter Mit-Propheten ab, und beurteilt die, die bei ihm in Anschluß an Num 11,29 Älteste heißen, gemäß diesem Anspruch, wie er auch in der offiziellen Sitz-Haltung zum Ausdruck kommt.86
Der Relativsatz (12c) mit den Ältesten als Subjekt ist als Nominalsatz formuliert mit dem Partizip Qa/ - „machend“. In der Vision werden die Ältesten gewissermaßen auf frischer Tat ertappt, bei dem, was sie gerade in diesem Augenblick treiben und tun. Das so völlig unbestimmt gelassene Tun weist zurück auf den vorhergehenden V. 11, in dem es näher beschrieben wurde: mit Weihrauch in den Händen erzeigen sie geritzten Götzenbildern göttliche Verehrung. Der Charakter des Ertapptseins wird gesteigert durch die adverbialen Hinzufügungen, die die Heimlichkeit des Tuns beschreiben. Es geschieht - „im Finstern“ (12c); offensichtlich, damit es nicht von andern gesehen wird. Diese Finsternis, deren Vorhandensein Gen 1,2 noch vor der Erschaffung des Lichtes einfach feststellt, wird sonst auch wie etwas behandelt, das sich mehr zufällig einstellt und so fast unausweichlichen, schicksalhaften Charakter trägt.87 Auch sonst erscheint diese Finsternis als etwas, in dem Menschen sich unfreiwillig befinden, aus dem sie befreit werden möchten. So taucht es bei Deuterojesaja in den Gottesknechtsliedern, etwa Jes 42,7 und 49,9, als Metapher für Gefängnis, bzw. gefängnisähnliche Situationen auf. Spr 2,13 unterscheiden dagegen ganz im moralischen Sinne des Zwei-Wege-Modells die „Pfade der Geradheit“ von den „Wegen der Finsternis“. Wird hier die Finsternis geradezu als Metapher für die Verwerflichkeit selbst benutzt, ist die Finsternis in Ez 8,12 doch eher etwas, das das schlechte Treiben nur begleitet. Insofern bleibt noch Ijob 24,16 die nächste Parallele, die beschreibt, wie die Bösen die „Finsternis“ aufsuchen und das Tageslicht meiden. Somit dient in Ez 8,12 ganz ähnlich wie in Ijob 24,16 die „Finsternis“ dazu, die gewollte Heimlichkeit eines schlechten Tuns zu beschreiben. Nur daß die Verfehlung der Ältesten in Ez 8,12 mehr liturgisch-sakraler als sozialer Natur ist. Die Finsternis läßt aber auch eine andere Deutung zu, wenn sie als notwendiger Bestandteil des von Odell beschriebenen Ritus verstanden wird, wonach sie den Aufgang der mit JHWH identifizierten Sonne besonders wirkungs- und stimmungsvoll gestalten sollte.88
Jes 29,15 kommt so nahe, daß man fast an eine bewußte literarische Bezugnahme von seiten Ezechiels denken möchte:
- „Weh euch, die ihr vor Gott in die Tiefe weicht, um einen Rat zu verbergen, damit im Finsteren eure Taten sind, da sagtet ihr: wer sieht uns und wer kennt uns?“ Die Beziehung zu dieser Stelle, die für Finsternis nicht ganz dasselbe Wort, aber doch ein von derselben sprachlichen Wurzel herkommendes verwendet, ist deshalb so bedeutungsvoll, weil damit der Bezug zu einer lange zurückliegenden, aber politisch vergleichbaren Situation hergestellt wird. Jesaja kritisiert mit diesen Worten, die nach Wildberger als ursprünglich jesaianisch angesehen werden dürfen, heimliche Bemühungen seiner Zeit um ein Bündnis mit Ägypten.89 Ezechiel kritisiert eine Bündnispolitik mit Ägypten zu seiner Zeit in ähnlicher Schärfe. Die Beziehung zur Jesaia-Stelle wirft ein gewisses Licht auf die Einbindung der Redensart in ihren unmittelbaren Zusammenhang (ihre Inszenierung). Während der Begriff „Finsternis“ eine Beziehung zur Inszenierung erlaubt, erinnert das fingierte Zitat „wer sieht uns?“ an die Redensart selbst. Ob vielleicht das „sieht uns nicht“ bei Ez 8,12, das in der Parallelstelle 9,9 fehlt, nach Vergleichung mit der Jes-Stelle hinzugefügt wurde? Im Umkreis von 9,9 fehlt wiederum ein solcher Hinweis auf die „Finsternis.“ In Beziehung zu Jes 29,15 gesehen, erhält die Ez-Stelle eine stärkere politische Akzentuierung, als man ihr unmittelbar ansehen möchte. Der „Rat“ der Jes-Stelle weist außerdem auf Ez 11,2 voraus, wo ein solcher „böser Rat“ mit einer weiteren Redensart genannt wird, bei der der politische Hintergrund deutlich im Vordergrund steht. 8,12 ist aber wohl nicht so zu verstehen, daß die Ältesten diesen Rat selber mitbetrieben - es wird ja auch kein solcher in 8,12 genannt -, sondern nur so, daß die Ältesten indirekt durch ihre religiöse Abhängigkeit von Ägypten eine solche Politik mit unterstützen. Nach Wildberger kann auch in Jes 29,15 mit der unbestimmt gelassenen Frage: „wer sieht uns?“ nur Gott selbst gemeint sein.90 Bei den Sprechern der Redensart Ez 8,12 dürfte vielleicht doch mehr Resignation als ausgesprochene Gottlosigkeit im Spiele sein. Jedenfalls macht der Vergleich deutlich, daß die Sprecher sich deshalb von Gott verlassen fühlen, weil sie sich selber mit ihrem Tun isolieren und die Dunkelheit suchen.
Der Eindruck persönlicher Verantwortung der je angesprochenen Menschen verstärkt sich noch, wenn es im Folgenden heißt: - „ein Jeder“ (12c). Trotz der Zahl von siebzig Personen handelt es sich für Ezechiel nicht um eine Massenversammlung, bei der viele nur einfach mitgezogen werden. Der gesuchten Heimlichkeit des Tuns entspricht auch ihr privater, eigenverantwortlicher Charakter. „Ein Jeder“ tut die genannten Dinge - „in den Kammern“. Dieser Ausdruck wird bevorzugt von den innersten Privatgemächern eines Hauses gebraucht. Als Beispiel für viele diene Gen 43,30. Dort ist es der Ort, an den sich Joseph zurückzieht, um sich auszuweinen, nachdem er unter seinen Brüdern auch seinen Lieblingsbruder Benjamin wiedererkannt hat.
In Ex 7,28 wird dem Pharao die Fröscheplage angekündigt, die bis in seine Schlaf-“Kammer“ dringen würden. Dagegen wird durch die Kammern Schutz versprochen, wenn Jes 26,20 dem Volk rät, den Tag des Gerichts in den „Kammern“ an sich vorübergehen zu lassen. Als Ort der Intimität und Verwundbarkeit des Menschen begegnet die „Kammer“, wenn in den Simson-Erzählungen Delila ihn in einer solchen zu überlisten versucht, bis es ihr endlich gelingt (Ri 16,9.12). Ein seltsamer Rückbezug auf Ez könnte in Joel 2,16 vorliegen, wenn dort das Volk zu einer öffentlichen Versammlung zusammengerufen werden soll, um durch Buße den Herrn zum Ablassen seines Zorngerichts zu bewegen. Als besondere Volksgruppe werden dabei die Ältesten eigens genannt, nachdem sie bereits am Eingang des Buches in 1,2 als erste Adressaten zum Hören aufgefordert werden. In 2,16 werden noch zusätzlich Bräutigam und Braut erwähnt, wenn
- „heraustreten soll der Bräutigam aus seiner Kammer und die Braut aus ihrem Brautgemach“. In poetischer Sprache will damit der Öffentlichkeitscharakter der Versammlung unterstrichen werden, für den die Mitglieder auch ihre heimlichsten Orte verlassen sollen. Ob zufällig oder beabsichtigt, ergibt sich so auch hier die Zusammenstellung von „Älteste“ und „Kammern“, um damit in meristischer Sprechweise öffentliches Amt und persönliches Privatleben mittels der Brautmetapher als Teile des gesellschaftlichen Gesamtlebens einander gegenüberzustellen. In Ez 8,12 gelingt es den „Ältesten“ auch am Tempel nicht, ihre „Heimlichkeiten“ hinter sich zu lassen.
Aber die Kammern werden noch näher bestimmt:
- „in den Kammern seines Gespinstes“. Für ein Götzenbild aus Stein benutzt auch Lev 26,1 dieses seltene Wort, wo es gilt, den bildlosen Kult einzuschärfen. In übertragener Redeweise spricht dann der Ps 73,7 von den
- „den Gebilden des Herzens“, ebenfalls abfällig im Sinne von schlechten Plänen. Ez 8,12 setzt wie Lev 26,1 den äußeren Götzenkult voraus, trägt aber durch das Personalsuffix der 3. P. Sg., bezogen auf , eine gewisse subjektive Note ein, die an die Herzensgespinste gemäß Ps 73,7 denken läßt. Die ganze Heimlichtuerei und privatistische Absonderung der Ältesten, wie sie hier beschrieben wird, steht im schreiendsten Gegensatz zu ihrer Aufgabe als Älteste und Repräsentanten des Volkes.
Durch - „fürwahr“ (12d) eingeleitet, schließt sich das Part. Pl. - „sie sagen“ an, das alles Folgende als Zitat aus dem Munde der Ältesten kennzeichnet. Die Ältesten sind damit als die Sprecher der Redensart hinreichend ausgewiesen, während die partizipiale Form des Verbs nicht auf einen einmaligen Ausspruch vorausdeutet, sondern auf eine wiederholte Äußerung, und damit auf eine grundsätzliche Haltung, soweit damit ins Wort gebracht.91
Die Redensart weist eine zweiteilige Form auf (Teil 1:12e; Teil 2: 12f). Es geht um die gegenwärtige Beziehung Gottes zu seinem Volk und seinem Land, die der Spruch prägnant ins Wort zu fassen versucht. Die Spruchteile sind in mancher Hinsicht parallel gebaut: Das Subjekt, durch den Gottesnamen ausgedrückt, steht jeweils an zweiter Stelle. Das unterschiedlich ausfallende Objekt dagegen beschließt den Satz und unterstreicht damit das Unterscheidende in der Aussage der Redeteile: einmal geht es um - „uns“ (12e), also um die Ältesten oder, wenn sie mehr als sich selbst im Blick haben, die Bevölkerung, das andere Mal um
- „das Land“ (12f). Diesem parallelen Aufbau hält die chiastische Stellung des Verbs das Gleichgewicht. Steht das Verb - „sehend“ im ersten Teil unmittelbar vor dem beschließenden Objekt und damit relativ am Ende, so steht -„hat verlassen“ im zweiten Teil als erstes Wort ganz zu Beginn.
Untenstehende Graphik veranschauliche die teils chiastische, teils parallele Struktur der Redensart.
Wäre nicht das „uns“ als Objekt des ersten Teils, wie es im textus graecus originalis ja auch fehlt, die beiden Verben stießen direkt aufeinander. Die Wortstellung ist nicht das einzige, was die Verben entgegengesetzt erscheinen läßt. Sie unterscheiden sich daneben auch nach ihrer grammatikalischen Form. Handelt es sich im ersten Teil um ein Partizip innerhalb eines verneinten Nominalsatzes, so trifft man im zweiten eine finite Verbform im Perfekt an.
Das Partizip wird mit (12e), der Konstruktus-Form von , verneint. Diese Partikel drückt den Gegensatz zu und damit ein Nicht-Vorhanden-Sein aus, gelegentlich wohl aber auch einfach ein Nicht-Gegenwärtig-Sein.92 In anderen Fällen dient sie auch einfach als Gegensatz zum meist weggelassenen Hilfsverb sein als der logischen Kopula eines Nominalsatzes.93 Im theologischen Sprachgebrauch wird damit von andern Göttern verneint, was das Wesen Gottes ausmachen soll. Dadurch wird indirekt entweder die Unvergleichlichkeit Gottes ausgedrückt, wenn es um das Ausmaß einer bestimmten Eigenschaft geht (in sog. Unvergleichlichkeits-Aussagen) oder die Einzigkeit Gottes, wenn eine bestimmte Eigenschaft ausschließlich für den Gott Israels beschlagnahmt wird, wie z.B. das Gott-Sein überhaupt. So weit, den von anderen Völkern verehrten Wesen überhaupt jede Existenz abzusprechen, geht das AT vor Ez bekanntlich noch nicht. Wohl aber werden sie aufgefordert, diese angemaßte Eigenschaft ihrer Göttlichkeit unter Beweis zu stellen. In Jes 43,13 ist es die Fähigkeit zu retten, die nur dem Herrn zugesprochen wird. In Dtn 4,35 dagegen geht es ums Gott-Sein selbst, denn Israels Gott läßt erkennen:
- „daß JHWH selbst der Gott ist und es besteht keiner außer ihm“. In Ez 26,21 wird damit das Einmal-Nicht-Mehr-Sein von Tyrus festgestellt:
- „dem Schrecken gebe ich dich, da wirst du nicht mehr sein.“94
Im Zusammenhang des Spruches in 8,12 zeigt sich, wie das „Sehen“ in einem spannungsvollen Verhältnis zu der von den Ältesten aufgesuchten Finsternis steht. Das Sehen setzt ja Licht voraus. Die Ältesten suchen also die Finsternis auf, weil sie nicht möchten, daß sie und ihre Taten gesehen werden. Gleichzeitig behaupten sie im Spruch, daß Gott gar nicht sehen kann, weil er angeblich das Land verlassen hat. Das würde allerdings vor Gott ihre Flucht vor dem Licht überflüssig machen. Sie begeben sich also in Widerspruch zu sich selbst. Beides befindet sich aber auch in Widerspruch mit der Visionserfahrung des Propheten in Kapitel 8 - 11. Dort erfährt er Gott gerade als Jemanden, der selber alles sieht, aber auch ihn, den Propheten, vieles sehen läßt, das normalerweise in unzugängliche Dunkelheiten gehüllt wäre.
Das Objekt des „Sehens“ wird auf , auf „uns“, auf die Sprecher, bzw. die zugehörige Bevölkerung, eingeschränkt. Das zeigt, was ihnen wichtig ist. Sie sind zunächst an ihrem eigenen Schicksal, an ihrem persönlichen Verhältnis zu Gott interessiert. Erst im Anschluß wird dies mit dem Schicksal des Landes in Verbindung gebracht. Die Meinung, daß Gott das Land verlassen hat, wird wohl aus der Erfahrung der politischen Niederlage des Landes gebildet worden sein. Das Verhalten der Ältesten, sowie ihre Art und Weise zu sprechen, verraten, welche Konsequenzen sie für sich persönlich daraus gezogen haben.
- „das Land“ spielt in den Sprüchen bei Ezechiel eine große Rolle, da es öfters wiederkehrt. Die Sprüche in 11,15; 33,24; 33,10 (Plural!) zeigen das Land als Zankapfel bei Besitzansprüchen. In 36,2 ist der Besitzanspruch auf die Berge Israels bezogen, hat aber ähnlichen Inhalt. In 36,20 geht es wieder ums Verlassen, wenn die anderen Völker spotten, daß das israelitische Volk aus dem Land ausziehen mußte. Das Land erscheint damit immer als ein heiß umkämpfter Bezirk, der entweder in Besitz zu nehmen oder zu verlassen ist. Es ist ein Ort, an dem Völker mit ihren unterschiedlichen Götterkulten sich zeitweilig als geschichtsmächtig, zeitweilig als ohnmächtig erweisen. Somit ein Ort geschichtlicher Entscheidungen. Damit im Ezechielbuch aber auch ein Ort der Bleibe oder ein Ort, der verlassen werden muß.
Wie die Beispiele für den Gebrauch von „Land“ gezeigt haben, taucht im Zusammenhang mit ihnen auch die Wurzel für „verlassen“ regelmäßig auf. Das Subjekt können die Menschen, meistens irgendwelche Völker, oder es kann Gott sein. Ez verwendet die Wurzel sonst oft negativ, um die mangelnde Bereitschaft, Götzen (20,8) oder Hurerei (23,8) zu verlassen, zu beschreiben. In 23,29 wird Ohola von den Buhlern nackt und bloß zurückgelassen, als Anspielung auf die Situation von Niederlage und Exil. Ein besonderes Schicksal des Exils wird in Ez 24,21 benannt:
- „die Söhne und Töchter, die ihr verlassen habt, durch das Schwert sollen sie fallen“; womit, modern gesprochen, jede Familienzusammenführung vereitelt wird. Insgesamt fällt gegenüber den anderen Schriftpropheten der bei Ez überraschend seltene Gebrauch dieser Wurzel auf, die so gern für den Abbruch der Beziehungen zwischen Gott und seinem Volk verwendet wird. Von den 6 Vorkommen entfallen allein 2 auf die parallel gebauten Redensarten 8,12 u. 9,9. Sedlmeier nimmt in der Vorstellung, daß Gott das Land verläßt, den Einfluß der altorientalischen Landgott-Vorstellung wahr.95 Laut Clark wäre Ezechiel der erste, bei dem Gott nicht nur das Volk, wie bei älteren Propheten in der deuteronomischen Schule und in einigen Psalmstellen, sondern ausdrücklich das Land verläßt. Weiter entwickelt käme diese Vorstellung dann bei Deutero-Jesaja (Jes 49,14) und Trito-Jesaja (Jes 60,15; 62,4) vor. Ezechiel würde damit in 8,12 eine bekannte Formulierung (Gott sieht nicht), mit einer noch relativ unbekannten verbinden. Vielleicht eine Vorgehensweise, die bei den Redensarten immer wieder anzutreffen, aber nicht immer gleichermaßen nachzuweisen ist.96
In 8,12 ist Gott Subjekt, wobei offengelassen wird, wie freiwillig oder erzwungen sein Verlassen des Landes ist. In jedem Fall werden die politischen Verhältnisse sehr eng als Ausdruck einer bestimmten Gottesbeziehung verstanden. Das Verlassen wird im Perfekt als einmalige, abgeschlossene Handlung beschrieben. Dieses Ereignis hat den Boden bereitet für den Zustand, den der vorhergehende Nominalsatz mit Partizip - „sehend“ beschrieben hat:97 Gott scheint abwesend und nimmt darum von dem, was die Einzelnen tun, keine Notiz mehr. Diese glauben, sich selbst überlassen zu sein.