Kitabı oku: «Der blaue Kavalier», sayfa 5
»Da Ihr’s anders doch nicht glaubt, so sag’ ich denn, Edward hat sein Auge auf Jeany geworfen, hat das Wort des Unheils ausgesprochen, und — sie hat ihn abgewiesen, denn sein Herz ist dürre, wie der Feigenbaum, der verflucht ward. Da Ihr aber leider öfters freundlich zu Jeany ward, glaubte er, Ihr hättet des Mädchens Gunst, und aller Neid, alle Missgunst, die er gegen Euch seit langer Zeit wie Otternbrut in sich genährt, sind Leviathane und Drachen geworden durch seine blutdürstige Wut der Eifersucht. Gestern war er in Temple in einer Spelunke und hat —«
Die Tür ging auf. Ein Schreiber trat ein, der einen Brief brachte.
»Vergebt, Sir, dass ich störe. Ein Bote von Esquire Welby, er will Antwort.«
William erbrach das Schreiben.
»Gut, gut, ich komme.«
Er durchflog den Brief, indes der Schreiber hinausging.
»Gott sei Dank, endlich! Edward wird mit mir heute zu dem Esquire gehen!«
William wollte ins Comptoir.
Doderidge packte ihn fest am Arme.
»Ich beschwöre Euch, geht nicht fort. Ich hörte selbst, wie er die Mörder gedungen!«
William entfärbte sich.
»Also doch? Er konnte es doch?« —
Dann reichte er aufatmend Doderidge die Hand, feierliche Ruhe kehrte auf sein Gesicht zurück.
»Ich danke Dir, Freund. Sei ganz ruhig, ’s ist Gottes Fingerzeig, dass wir zu Welby gehen. Mir wird nichts geschehen, verlass Dich drauf. Schweige, warte, alles wird gut, ja vielleicht besser als vordem.«
Er schritt hinaus.
»In einer Stunde sind wir beide da«, rief er dem Boten zu und trat in die Werkstatt.
»Dein Wunsch ist erfüllt, Edward, lies diesen Brief. Esquire Welby fordert uns beide heut’ zur Arbeit. Rasch, zieh’ Dich an, in einer Stunde müssen wir dort sein.«
»Wir — beide hin?« schrie Edward auf, als, weckte ihn die Posaune des Gerichts. »Zu dem — Esquire?« — Er erhob sich schaudernd, das Schreiben entfiel seiner Hand. »Gerechter Gott im Himmel, jetzt gerade! Es — ’s ist nicht möglich!«
Des Bruders ernst forschender Blick ruhte auf ihm.
»Fürchtest Du Dich? Wie?«
Er lächelte.
»Sei ruhig, Edward, ich bin ja bei Dir. Komm, sei einmal ein Mann. Du hast’s ja selbst gewünscht und lange genug gewartet. Du findest mich auf meinem Zimmer, Doderidge mag aber dem Vater den Brief geben, wenn er kommt. Ich denke, wir werden· nicht allzu lange fort sein.«
William entfernte sich ruhig, als empfände er nicht das Mindeste.
Stier blickte Edward, mechanisch reichte er Doderidge des Esquires Bestellung, schwankend wie ein Trunkener verließ er die Werkstatt. Verzweiflung und Entsetzen rangen mit ihm. Mochten die Besorgnisse Doderidges auch wirklich noch so groß sein, die Ruhe Williams brachte endlich selbst mehr Ruhe in sein Herz, und auf Edwards Mienen war etwas wie Gewissenspein und Reue zu lesen. Es schien Doderidge wenig glaublich, dass William gerade an des Bruders Seite überfallen werden könne, zumal ihr nächster Weg sie durch die belebtesten Teile der City führte. Seine Sorge ernstlich niederkämpfend, ging der Puritaner an seine gewöhnliche Arbeit.
Welche Selbstpein Edward, während er sich auf den unerwarteten Gang vorbereitete, erlitten, das stand auf seinem fahlen Gesicht, da er zu William eintrat.
»Du hast wirklich große Furcht, man sieht es Dir an. Fasse Dich doch, der Redliche hat bei Welby nichts zu fürchten.«
»Der Redliche, o mein Schöpfer! Das eben ist es. — Ich bin gegen Dich nicht — immer redlich gewesen, Bruder, und — ich fürchte mich.«
William reichte ihm die Hand.
»Ich vergebe Dir alles gern, so bist Du also nicht mehr schuldig. Komm nur.«
Edward wollte sprechen und presste Williams Hand, aber das Wort blieb ihm zwischen den Zähnen.
Er rang nach Luft. —
»Gib mir unterwegs Deinen Arm und gehe dicht bei mir; willst Du?«
»Warum denn nicht? Wir sind wohl selten genug Arm in Arm gegangen.«
Als die Brüder auf die Straße kamen, fasste Edward William mit ängstlicher Hast unter den Arm und blickte sich scheu überall um.
»Sonderbarer ist aber niemand wie Du, Edward! Fast glaub’ ich, Du bist krank.«
»Ja, krank, — ich glaub’ es selbst.«
»Was hast Du denn, dass Du so scheu umher und hinter Dich blickst?«
»Es — es ist in London nicht immer sicher. — Man hat schon oft von Anfällen am lichten Tage gehört, und statt durch die City führst Du mich über Holbornhill und Smithsfield. Nimm Dich in Acht, ich bitte Dich!«
»Sei unbesorgt. Wen sollte es denn reizen, uns anzufallen? Lass’ uns lieber den Geist auf das wenden, was uns nun bevorsteht, denn es ist sehr wohlgetan, mit reiner Hand und reinem Herzen zur Arbeit in das Haus zu kommen, dessen Geheimnisse Deine Geduld so lange auf die Probe gesetzt haben. Zwischen uns zumal, die Gott aus einer Mutter Schoß erweckte, darf fortan keinerlei Heimlichkeit mehr sein.«
Edward atmete schwer, er rang nach Fassung.
»Du sagtest vorhin, Du seiest nicht immer redlich gegen mich gewesen, Edward, aber das Warum sagtest Du nicht. Soll ich’s?«
»Ja, schone mich nicht, ich — ich habe Deinen Hass, Deine volle Verachtung, verdient!!«
»Hassen und verachten? Und meinen Bruder? Weinen müsste ich eher, hätte ich das Mittel nicht, Deiner Seele Krankheit endlich zu heilen, denn Deine Seele ist krank, Edward!«
»Meine arme — elende Seele!« flüsterte er.
»Warum hast Du denn nie das Herz gehabt, mir zu sagen, dass Du die kleine Jeany Doderidge liebst? Sie so über alle Beschreibung liebst, Edward, dass Du Deiner Vernunft nicht mehr mächtig bist? Freilich ist sie arm und ’ne Puritanerin. Unser Vater würde außer sich drüber sein, aber weißt Du denn nicht, dass treue Liebe alle Hindernisse besiegt, hoch und niedrig, arm und reich ausgleicht? In welcher Form wir zu Gott beten, ob puritanisch oder anders, das, glaube mir, ist jenem majestätischen Allwesen gleich, wenn wir’s nur mit wahrhaftigem Herzen tun. Sieh’, auch ich liebe! Liebe unglückseliger, törichter wie Du, Freund! Das Weib meiner Anbetung ist mir fern, steht sternenweit über mir, ach, meines Herzens Wahn ist eine Königstochter, ein Weib, eine Mutter! — Sag’, ist solche Narrheit nicht weit mehr zum Lachen, als Deine Leidenschaft für Jeany? Und dennoch bin ich etwa nicht traurig oder verzweifelt, denn ich weiß, über mir wacht der Regierer der Zeit, der alle wunderbaren Fäden der Menschengeschicke spinnt. Er führt dennoch zusammen, was er einander bestimmte, er legt in uns den starken Mut und Willen, die Träume unsers Herzens wahr zu machen! So denke Du nur auch, und dass Jeany Dein sein kann, wenn Du der Mann nur bist, ehrlich und frohen Vertrauens um sie zu ringen!«
Edward, der staunend, brennenden Auges ihn angeblickt, stand still und ließ ihn los.
»Du — Du liebst Jeany also nicht? Du stellest Dich meinem Glück nicht in den Weg, bist nicht mein Gegner und mein Feind?!«
Er schlug entsetzt die Hände zusammen.
»Hätte ich Jeany je geliebt, Dir hätt’ ich’s doch gewiss zuerst gesagt. Nein, nein, mir ist so ruhiges Glück, wie sie Dir bereiten mag, nicht beschieden. Meine Bahn geht weit davon, und ich werde vielleicht im fernen Kampfestaumel enden, während Du, der Herr vom Druryhause, der reiche behäbige Alderman, neben Jeany nichts von der Zwietracht der Welt empfindest. Wir sind am Barbican. Es ist die höchste Zeit, lass’ uns eilen.«
Er bot Edward wiederum den Arm.
Mechanisch, in tiefer Niedergeschlagenheit schritt dieser neben ihm, Redcross hinab, auf Cripplegate zu.
»Ich wünschte, ich könnte sterben, William; mir wäre dann besser!«
»Kein Sterben ist aber ohne — Auferstehen! Aus dem Leben feige entfliehen wollen, ist Torheit, denn der Tod ist nur die Pforte einer — andern Welt. Hast Du noch immer Furcht?«
»Je mehr ich mich verschuldet und verdammt fühle, und an Dir, Bruder, desto schrecklicher ist mir jeder Schritt, jeder neue Atemzug, den ich tue!«
»Wir sind zur Stelle, drüben an der Ecke der Grubstreet ist Welbys Haus. Wenn die Furcht Gottes der Weisheit Anfang ist, Edward, dann ist Gewissensfurcht Anfang der — Bess’rung. Dein alter Mensch geht in dies Haus hinein, lass’ ihn — dort sterben! Neu tritt aus dieser Pforte, und neu wird Dir das Leben sein. Deine Hand, folge mir!«
Sie schritten auf das erwähnte Haus zu.
Grau und finster, ein sonderbares Ding, für ein gewöhnliches Haus zu hoch für einen Turm zu breit, ein Würfel von uraltem Gemäuer lag es da, fast einem viereckigen Kastell vergleichbar, zumal seine weite Fassade nur drei breite gotische Fenster hatte. Es mochte augenscheinlich einst zu den Befestigungen gehört haben, welche die alten britischen Könige gegen ihre Feinde im Innern des Landes, namentlich die Waliser, errichtet hatten.
William zog Edward vorwärts, und in verzweifelter Stumpfheit überließ sich derselbe willenlos allem Kommenden. Die Tür sprang auf, sie traten ein, die Pforte fiel rasselnd zu, dass alle Glieder Edwards bebten.
»Ich muss Dich hier verlassen, doch nur auf kurze Zeit. Geh’ jene Treppe da hinab, sie führt Dich zu einer Tür. Durch diese tritt ein. Du findest dort — Deine Arbeit.«
Ehe Edward ihm etwas erwidern konnte, war William durch eine Seitentür verschwunden.
Die tiefe Stille dieser düstern Hallen vermehrte nur noch den Schrecken und die Bangigkeit, welche er empfand. Hätte er fliehen können, er hätte es in diesem Augenblicke gewiss getan, aber die Haustür war zu, und nirgend sah er in dem weitläufigen, gewölbten Raume eine Möglichkeit zum Entrinnen. Bebenden Schritts folgte er der erhaltenen Weisung und stieg langsam die Treppe hinab, die ins Dunkle, Unterirdische zu führen schien, bis er endlich gegen ein Pförtchen rannte, das er nicht hatte erkennen können. —
Es sprang auf. — Einer Lampe matter Schein, der auf die angrenzenden Wände fiel, ließ ihn undeutlich erkennen, dass er sich in einem ziemlich weiten Gemach befand. Ratlos umherblickend und seiner Sinne kaum Herr mehr, blieb er stehen. — Die Flamme ward voller, heller. Er erkannte die Gestalt eines alten Mannes, die unter derselben auf mächtigem Eichenstuhle hinter dunkel verhangenem Tische saß. Zwei Sessel standen links und rechts an den Wänden.
»Setze Dich dorthin!« klang des Unbekannten Stimme, und er deutete auf den linken Sitz.
Der junge Mann gehorchte. — Ihm war es, wie wenn ein Flüstern rings sich erhöbe.
»Edward Craven, Dein jahrelanger Hass gegen William, Deinen eignen Bruder, die wilden Wünsche Deines selbstsüchtigen Herzens haben Dich dahin gebracht, gestern Nacht im Temple Mörder zu dingen, um Dich von ihm zu befreien! Was Dein Herz überwinden und Dein Hirn ausbrüten konnte, muss auch Dein Auge zu sehen imstande sein. — William soll hier vor Dir sterben! Du wirst das Totenkleid ihm nähen! Das ist die Arbeit, die Deiner wartet!«
Ein Schlag, der durch den Raum dröhnte, erstickte jeden Laut, welcher den Lippen des Verratenen entfliehen wollte.
William stand vor ihm mitten im Gemach. Es war, als sei er plötzlich aus dem leblosen Gestein der gegenüberliegenden Wand gekommen. Zu gleicher Zeit öffnete sich eine andere Tür, die beiden ihm allzu wohl bekannten Raufer Fiery und Rore traten, sich erschrocken umblickend, ein.
»Zieht Eure Waffen! Auf den Wink dessen, der Euch gestern im Temple gedungen, tut hier sogleich Euer Werk!« —
Verdutzt und an allen Gliedern bebend, wendeten die Mörder ihr fahles Antlitz zu Edward. — —
Derselbe stieß einen entsetzlichen Schrei aus. Er stürzte zu seinem Bruder und umklammerte ihn fest.
»Erbarmen! Tut ihm kein Leid, ich widerrufe meinen Auftrag! Mich, mich schafft aus dieser Welt, die ich geschändet habe, sie soll ein Ungeheuer, wie ich bin, nicht mehr tragen! O Du unerforschlicher, allmächtiger Manu, der Du gleich Gott die Frevel wunderbar entdeckst und verderbliche Gedanken in der Menschenbrust liest, richte Du mich! Tu’ mir, was ich verdiente! Nur lass mich nicht ganz ohne Hoffnung, ohne Versöhnung von hinnen gehen!«
Weinend hielten die Brüder sich umschlungen. Das Ungeheure, Unmittelbare hatte Edward niedergeworfen.
»Verzeih’ mir, William! O verzeih’, ich —«
Ohnmächtig glitt er zu Williams Füßen nieder. — —
Es war ein langer, schwerer Traum, ein tiefer Schlaf, aus dem er erwachte. Wie Blumenduft und Frühlingsodem wehte es ihn an. —
Als er das Auge aufschlug, blendete ihn Lichterglanz. Feierlich und wehmütig, sanft wie Orgelton und Engelssänge umtönte es ihn. Zweie, die still neben ihm gesessen, William und jener furchtbare Mann aus dem finstern Gemache, standen vor ihm.
»Sieh auf«, sagte der Alte, und unaussprechliche Freude durchglühte sein Gesicht, das schneeige Locken umwallten. »Die Bruderliebe hat Dich gerettet und erneut. Sei neugeboren für das Leben und fühle das Glück, ein Mensch zu sein. Dann wirst Du wert des Bruderbundes sein, der hier uns eint, wert der Arbeit, die wir hier treiben, und würdig des Lohns, den Dir der Meister einst geben wird, der Erde und Meer, den Glühwurm wie den Sternenreigen gemacht hat! Auch ich, den sie den Esquire Welby nennen, hatte einst einen Bruder, den Geldgier, Neid, Eifersucht und gemeine Triebe dahin geführt, die Hand gegen mich zu heben. Er starb, glücklich und versöhnt. In der Liebe schönen Taten hat er ausgelöscht, was er gewesen, und sein Leib ruht in dem finstren Gemache an der Stelle von allen Erdenkämpfen aus, wo Du Deine Schuld bekannt hast. Über seiner Asche sollten alle die bekennen und alle die büßen, die gleich ihm gefehlt, das war sein letzter Wille. Erhebe Dich, Wiedergeborener! Vergessen, begraben ist, was Du gewesen!«
William umarmte Edward und zog ihn empor.
In langem, schmerzvoll-seligem Weinen hing Edward an seinem Halse und wollte ihn gar nicht lassen.
»Ermanne Dich und werde fröhlich. Hier wirst Du lernen, Jeanys wert und selbst im größten Lebensschmerz beglückt zu werden«, flüsterte William.
Edward ergriff hastig des Esquire Hand und presste sie an seine Lippen.
»Auf meinen Knien möchte’ ich Euch danken, Sir!«
»Hier gibt es keine Sirs, nichts Reiches und nichts Hohes, nur Brüder. Schließ’, was Du hier erlebt und erleben wirst, als Heiligtum in Deines Herzens Tiefe. Nur Deine Taten sollen draußen beweisen, was Du geworden bist; folge mir!«
Ein hohes Portal sprang auf, eine Fülle von Licht strömte herein. Edward glaubte, er sei einer der Erlösten im Paradiese, und aller Erdenjammer falle von ihm ab. —
Die Brüder waren drei Tage später nach Cravenhaus zurückgekehrt. Das Erstaunen des Hauses, namentlich Doderidges und Jeanys, über Edwards Veränderung war ganz unbeschreiblich. Seine Hingebung, ja Unterordnung gegen William, seine Freundlichkeit und eine Art von Demut, die er sonst nicht gekannt, dazu eine heitere, männliche Ruhe und Klarheit ließen ihn fast als ein anderes Wesen erscheinen. Er zeigte plötzlich für Dinge Wärme und Teilnahme, welche er sonst übersehen hatte, namentlich für das Wohlbefinden und Glück derer, die seines Vaters Brot aßen. Kurz, Cravenhaus ward im Laufe der Zeiten unmerklich eine Stätte, wo Glück und Zufriedenheit zu wohnen begannen.
»Miss Jeany«, sagte bald nach seiner Rückkehr Edward, »habe ich Euch wehe getan, verzeiht mir wie eine Christin. Was Leidenschaft gefehlt, lasst es Demut büßen. Ihr hattet Recht. Wer den Bruder nicht einmal liebte, wie will der sonst wem Liebe einflößen! Eine gute Lehre, die ich zu Herzen nahm, Gott segne Euch dafür.«
Sie errötete tief und gab ihm die Hand. —
»Wenn Ihr mit Reue Euer Herz erfüllet, dann hat sie der Engel des Herrn auch vor des Ewigen Thron getragen. Sie wird Euch Früchte tragen, dessen seid gewiss!«
William und Edward arbeiteten noch oft zusammen in der Grubstreet, und mancher stand noch in jener dunklen Kammer auf der Stelle, wo der Bruder des Esquire Welby von allen seinen Irrtümern ausruhte.

Viertes Kapitel
Das Jahr 1630 ging zu Ende, und was hatte sich in der kurzen Spanne Zeit seit Jakobs Tode nicht in England und der übrigen Welt verändert? Man lebte in einer Epoche der Metamorphosen, und die Geschicke schritten rasch. Dem blödsinnigen Regierungsdogma des Vaters war Carl I. treu gefolgt, nur mit schärferer, mannhafterer Konsequenz. Drei Parlamente waren eröffnet und fortgeschickt worden, die Puritaner hatten in Scharen am Pranger gestanden und Nasen oder Ohren verloren. Die Presbyterianer waren durch Lauds Liturgie und die Einführung papistischer Gebräuche verletzt, Mitglieder des Parlaments waren verhaftet, ungesetzliche Steuern, Schiffs-, Tonnen- und Gewichtsgelder zwangsweise erhoben worden. Und doch stand das Parlament trotziger, mächtiger da als je, denn die Opposition war in Vorahnung ihres gewissen Sieges nur allgemeiner, offener, furchtloser geworden. Seinen Liebling Buckingham hatte Carl I. vor den beschimpfenden Anklagen des Parlaments mit all seiner Macht doch nicht retten können, denn an Villiers Namen klebte die Lächerlichkeit der missglückten Expeditionen von Cadix und Rochelle. Das Messer des Puritaners Felton allein überhob ihn der sicheren Verurteilung.
Königtum und Volkswille standen fortan im Entscheidungskampfe einander gegenüber, Verständigung war unmöglich geworden. Seit Carl seinen Liebling und Jugendgefährten durch den Mordstahl verloren, und dieses Volk über die Tat laut jubeln gekonnt, hielt er jedes Mittel der Gewalt und des Betrugs für Recht, um ein Land niederzuwerfen, dem er alles Gewissen und jegliche Treue absprach. Sicher hätte er es auch augenblicks und mit Energie getan, hätte alle Opposition im Blute der Redner erstickt, und England wäre wahrscheinlich die absoluteste Monarchie Europas geworden, aber ihm fehlten Geld und Soldaten, ein großes, schlagfertiges Heer, das seinem Augenwinke allein gehorchte. Um beides sich zu schaffen, musste er deshalb notgedrungen den langen Weg der Intrige gehen, ebenso entwürdigend wie gefährlich. Denn je schlaueren, weiteren Umweg er zu demselben nahm, um seine wahren Absichten zu verbergen, umso mehr musste er sich in Widersprüche verwickeln und von seinem Ziele entfernen. In Deutschland hatte Wallenstein die protestantischen Fürsten gänzlich gedemütigt, Tilly hingegen das dänische Hilfsheer bei Lutter am Baremberge geschlagen.
Christian von Braunschweig, der seit der Schlacht am weißen Berge Elisabeths Handschuh als ihr Paladin am Hute durch alle Schlachten getragen, war seinen vielen Wunden zu Wolfenbüttel erlegen, Ernst von Mansfeld, vor Wallenstein auf der Flucht, hatte, als er zu Schiffe von Venedig nach London wollte, zu Zara seinen Tod gefunden, Christian Wilhelm von Brandenburg, in schlesisch Friedberg überwunden, war zu Bethlen Gabor, Christian von Dänemark aber auf seine Inseln entwichen und hatte mit dem Kaiser demütig Frieden geschlossen. Alles war stumm gemacht. Habsburgs Gewalt ragte von den Alpen bis zu den Fjorden, und Imperator Ferdinand hatte im Siegerhochmut das Restitutionsedikt erlassen, das alle Kirchengüter in Deutschland der römischen Kurie zurückgab! Die Gräuel der Verwüstung, die allgemeine Verwünschung, das Klagen selbst der getreuen katholischen Stände war so groß geworden, Ferdinand fürchtete den eigenen Generalissimus selbst so sehr, dass er Wallenstein nun entließ und 18.000 Reiter abdankte. —
Schweigen des Todes herrschte auf germanischer Erde, das Volk hatte ja fast nichts mehr als seine Armut und seine Wunden. Da hob sich’s wie ein tröstliches Frühlingsatmen über die zertretene deutsche Erde!
Da bist Du, Leu’ aus Mitternacht,
Du starker Held gekommen,
Des Kaiseradlers Übermacht
Hast Du von uns genommen! —
Gustav Adolph, der Schwedenkönig, war mit 15.000 Mann zu Usedom am 24. Mai als Erlöser protestantischer Lehre ans Land gestiegen, hatte Stettin und dann ganz Pommern dem kaiserlichen General Torquato entrissen, mit Mecklenburg sich verbunden, Demmin, Kolberg, Frankfurt an der Oder genommen, Kursachsen hatte sich ihm in die Arme geworfen, und die protestantischen Fürsten hoben schüchtern ihre gebeugten Häupter wieder. —
Es war dem englischen Hofe längst kein Geheimnis mehr, dass Frankreich heimlich mit Schweden verbunden sei, Gustav Adolph aber von König Carl ein Hilfscorps erwarte, das seine Gemahlin Maria Leonore mit schwedischen Truppen vereint nach Deutschland führen sollte. Carl I. hatte ein weit lebendigeres Gefühl für die Schmach und das Unglück seiner Schwester; sein ritterlicher Stolz hatte sich längst empört gegen die feige Vorsicht seines Vaters.
Die Pfalz zurückzuerobern und Elisabeth in Heidelberg wieder residieren zu sehen, war deshalb einer seiner ersten Gedanken gewesen, als er den Purpur auf seinen Schultern fühlte. Die unglückliche Doppelsinnigkeit, das Familienlaster der Stuarts, aber die Manier, nie gerade und offen auf eine gerechte Sache loszugehen und sich ihr ungeteilt zu widmen, sondern Carls Absicht, mit dem Guten auch das Profitable, mit dem Edlen das Arglistige zu verbinden und dieselben Truppen, welche seiner Schwester helfen sollten, zugleich zur Pflanzschule eines Heeres zu machen, das, in deutschen Schlachten geschult, seinen Engländern alle Gelüste des Selfgovernements austreiben sollte, war bisher schuld gewesen, dass ihm keines von beiden zu erreichen glückte. Schon einmal in den Niederlanden hatte er heimlich werben lassen, aber das Parlament war dahinter gekommen, hatte ihm den Beutel dicht vor dem Griffe zugezogen und, um den Sturm der allgemeinen Empörung zu beschwören, den die Entdeckung seiner eigentlichen Absicht hervorgerufen, hatte er die Soldaten in Holland auseinandergehen lassen und die »Bitte um Recht« den Gemeinen gewähren müssen. Jetzt stand die Sache bei weitem günstiger. Mochte man Carl’n auch hassen und misstrauen, jedes englische Herz schlug in Begeisterung und Entzücken Gustav Adolph, dem Horte des Protestantismus, entgegen. Ihm wollte man gern das Blut seiner Söhne und sein Geld, aber ihm allein, anvertrauen. Zwar hatte Jakob die Kriegsgelder, welche zur Hilfsleistung für Elisabeth mehrmals gebilligt worden, sinnlos verschwendet, um Whitehall zu bauen und seine Günstlinge zu mästen, aber Buckingham war nun tot, Carl hatte keinen Liebling mehr, und Whitehall war ja erbaut. Als der König daher dem Parlament den Vertrag mit Gustav Adolph vorlegte, in welchem der Schwedenkönig für Englands Hilfe sich anheischig machte, den protestantischen Glauben, sei’s selbst mit seinem eigenen Blute, wieder herzustellen und Kurpfalz für Friedrich V. zurückzugewinnen, votierte man sogleich 6000 Mann nebst Ausrüstung, Geldern und Schiffen. Dass diese Macht allerdings von Marquis von Hamilton, die Reiterei aber von dem Ritter von Scott, also zweien Schotten und eifrigsten Anhängern Carls, kommandiert werden sollte, es ferner auch kein Geheimnis blieb, wie man zur Reiterei nur junge Edelleute der strengsten königlichen Partei zuließ, erregte neuen Verdacht und heftiges Murren.
Es war aber eine unzweifelhafte Prärogative der Krone, die Anführer des Heeres nach Belieben zu ernennen und die Truppen nach Gutdünken zusammenzusetzen. Auch lag auf der Hand, dass die Qualifikation zum Reiterdienste fast ausschließlich in den Reihen des Adels zu suchen sei. Die Vorbereitung zu dieser Expedition war nun in vollem Gange, das Land aber hegte jedenfalls die Hoffnung, dass Englands Söhne unter dem schwedischen Löwenbanner den alten, nationalen Waffenruhm aus Elisabeths Tagen besser erneuern würden, wie unter Buckingham vor Rochelle und Cadix. — —
Die Brüder Craven saßen eines Abends, wie sie jetzt sehr oft zu tun pflegten, in ernstem Gespräche beisammen. Der alte Sir William verherrlichte eben eine Beratung und Aldermansessen mit seiner Person, Maggy war aber auf ihrem Zimmer, wo ihr Jeany Doderidge bereitwilligst Unterricht in den ersten Elementen weiblicher Nadelfertigkeit erteilte.
»Edward, ’s ist meine Pflicht, Dich nun auf eine Veränderung vorzubereiten, die ich vordem schon selbstsüchtig und mit phantastischer Sehnsucht gewünscht, die aber gewaltsam und unbedacht zu erzwingen mich Welby abgehalten hat. Nichtsdestoweniger wird sie aber jetzt dennoch eintreten, und zwar mit seinem Willen.«
»Welche Veränderung? Lass mich nicht fürchten, dass ich das Richtige ahne!«
»Vermutlich. — Ich muss weg von England!«
»Und in den deutschen Krieg? Ist Dein alter Traum wieder erwacht, für Elisabeths Sache zu streiten? Wie, hoffst Du, selbst wenn Dir der Esquire seine mächtige Hilfe leiht, des Vaters Widerstand, seinen tiefen Gram und seinen festen Entschluss zu besiegen, dass wir nach ihm einst friedlich beieinanderbleiben und das Geschäft gemeinschaftlich weiterführen sollen? Sind wir darum denn endlich einig und einander so lieb geworden, mein Gott, um — vielleicht für immer — getrennt zu werden?!«
»Wie jedes Geschöpf in sich seinen Zweck, sein Naturgesetz hat, so auch der einzelne Mensch. Dahin drängt’s ihn, er muss ihn erfüllen! Dass er es aber nicht nach seinem eigenen leidenschaftlichen Sinne bloß und verkehrt tue, sondern im Dienste göttlichen Willens, dazu braucht’s schwerer, tränenvoller Prüfungen und Irrtümer, oder eines starken, liebevollen Leiters, dessen Auge weit in die wirren Getriebe des Daseins schaut. Wo Der zu finden ist für mich und Dich, — wir wissen’s! Wäre ich vor Jahren so wild, wie ich wollte, hinausgerannt, ich läge jetzt nutzlos geopfert unter all den Tausenden auf deutscher Flur und hätte nicht einmal — Deine Tränen!«
»Mahne mich nicht dran, William!«
»Nein, Dich an Deinen Irrtum nicht, mich an den meinen mahnen will ich, zu der Betrachtung Anlass geben nur, wie gefahrvoll es ist, dunklen, allmächtigen Seelen trieben rücksichtslos zu folgen, und wie das Beste selbst heillos enden muss, wenn’s übereilt geschieht. Als ich das erste Mal zu jenem wunderbaren Manne ging, von dessen Weisheit, hoher Güte und Gewalt Du so vielfache Beweise an Dir wie anderen erlebtest, er mich nötigte, mein ganzes Herz vor ihm mit all seinen törichten Hoffnungen auszuschütten, erwiderte er mir: ›Wenn das Geschick Dich wirklich ausersehen hat, Elisabeths letzter Hort und Retter zu werden, wenn zwischen Euch, wie Du sagst, das Verhängnis einen Bund der Seele stiften wollte, dann warte auch, bis das Geschick Dich dazu ruft! Es wird das, ist Deine Behauptung wahr, dann gewiss zur rechten Stunde, in rechter Weise, unterm Beifalle aller, die Dich lieben, und zum wahren Besten Elisabeths selbst tun. Du brauchst dann sicher nicht gegen Deines Vaters Willen und in leidenschaftlicher Hast wie ein Abenteurer dem Heimatlande zu entfliehen. Benutze inzwischen die Frist, Dich dazu ganz geschickt zu machen, Dein Herz von Leidenschaften und einer eitlen Liebesraserei zu reinigen, die Dir schlecht ansteht und nur eine Beleidigung des Unglücks dieser hohen, beklagenswerten Frau und Mutter sein würde.‹ — Ich lernte des Lebens wahren Sinn und die Fügungen der ewigen Vorsicht ringsum verstehen, Edward. Sieh, alle Helden des Protestantismus fielen, Mansfeld, Braunschweig; der Dänenkönig floh. Warum denn? Weil sie mehr für sich als um Elisabeth und die Glaubenssache stritten. Alles musste erst öde, die Rat- und Trostlose ganz verlassen, der Kaiser im Übermute ganz verblendet sein und Wallenstein, seinen rechten Arm, von sich getrennt haben, damit Gustav Adolph, der Befreier, erstehen, seine Siegesbahn beschreiten konnte. — Jetzt kommt die Zeit, Deiner Jugend Heldentraum zu reifen, sagte letzthin der Esquire.«
»Er selber schickt Dich hinüber? — Aber wie? — Unter dem gemeinen Fußvolk wirst Du, ein Ritter, doch nicht dienen wollen? Scotts Reiterscharen indes sind so gut wie vollzählig, der ganze junge Adel drängte sich ja dazu. Glaubst Du, da habe es noch Raum für den Sohn — des —?«
Edward brach ab.
»Des Hofschneiders, für den bürgerlichen Edelmann, willst Du fragen! — Sehr wahr. Auch ich habe es mir, habe es dem Esquire gesagt. Er lächelte und meinte, ich solle auch darüber mich beruhigen und nur mein Haus bestellen. Das will ich heut bei Dir!«
»Dein Haus bestellen?«
»Mein und Dein Haus, das Haus unseres Vaters. — Ein Kriegsmann zu sein ist mein Los, das Deine ein friedlicher Bürger. Lasse uns dem genügen und einander brüderlich dazu helfen. Du musst, bin ich fern, mich bei dem Vater ganz ersetzen. Je mehr seine Eitelkeit mich zu seinem Lieblingskinde gemacht hat, desto mehr musst Du es jetzt werden, wir beide wollen in Brüderlichkeit das zu erreichen suchen, was unsere blinden Leidenschaften vordem nie vermochten.«
»Nein«, rief Edward heftig und schmerzvoll. »Glaube nicht, dass ich das will, es noch wollen kann! Seit jenem schrecklichen und doch so schönen Tage, da ich zerschlagen zu Deinen Füßen lag, ist’s unmöglich geworden! Mit Dir im Leben zusammenzustehen, Dich nie mehr zu entbehren, ist mir Bedürfnis, Trost, ist der Inhalt aller Pläne von Glück geworden, die ich nach jener Stunde zu hegen noch berechtigt war. Und dies sollte zerstört, sollte nicht wahr sein?!«
»Es ist wahr und wird nicht zerstört! Wir werden zusammenstehen im Leben! Bezweifelst Du denn das? — Dir bleibt hier eine ebenso ernste, schwere, — ja lächle nur, eine ebenso ritterliche Arbeit, wie dort meiner wartet.«
»Ich verstehe Dich nicht, William? Was kann ich hier tun, als mich in der Gewohnheit des Daseins bewegen, die mir Pflicht ist, meinen Trost, den Leitstern meiner Zukunft aber allein unter denen finden, die in der Grubstreet mit mir — das lichte Gewand der Väter tragen?« —
»Deine Arbeit hier wird doch noch eine andere sein. — Es zittert ein Geist des Zorns und des Unheils durch England, den keine Macht der Welt beschwören kann. Der eine Mann, welcher das vermöchte, König Carl, wird in seiner stolzen Verblendung nur alles Elend beschleunigen. Dunkle Tage werden über das Land kommen, wenn ich fern bin, und Du wirst, wie der Steuermann im Sturme, dem Hause Deines Vaters, der Arche unseres Glückes; durch die Brandung helfen müssen, wenn’s nicht zerschellen soll. Du wirst der einzige dann sein, auf den viel tausend Augen sehen werden, und zu dem meine bange Hoffnung aus der Ferne vielleicht als auf den einzigen Helfer blickt! Denke an meine Worte!«
»Glaubst Du denn, das Parlament werde sich noch aufrührerischer gegen den König erheben, ein Bürgerkrieg entbrennen, wie in den Tagen der Rosen?«