Kitabı oku: «Zobel», sayfa 4

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Einen Spitzenplatz hatte „Tschik“ mit seiner Mannschaft angestrebt, am Ende einer enttäuschenden Saison waren alle froh, den Klassenerhalt gesichert zu haben. Zu den wenigen erfreulichen Erscheinungen zählte Rainer Zobel. Wie von seinem DFB-Trainer Udo Lattek vorhergesagt, eroberte er sich einen Stammplatz, stand in 33 von 34 Spielen in der Startelf und schoss auch vier Tore. Sein Trainer hielt ihn jetzt für so stabil, dass er Zobel künftig ohne seine Ration Ochsenblut aufs Feld schickte.

Von einem rundum gelungenen ersten Jahr konnte trotzdem nicht die Rede sein. Seine Schulkarriere lag auf Eis, der Verein fühlte sich an die mündlich gegebene Zusage nicht mehr gebunden, ein regelmäßiger Unterrichtsbesuch ließ sich angeblich nicht mit den Anforderungen an einen Bundesligaspieler verbinden. Seinem Vater machte das mehr zu schaffen als ihm selbst. Otto Zobel ärgerte sich über seine Gutgläubigkeit, er hätte sich die Zusage schriftlich geben lassen sollen und alles hätte seine Ordnung gehabt. So dachte ein Staatsdiener. Es war schon ein dubioses Milieu, in das sein Sohn da hineingeraten war.

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Josip Skoblar war ein Typ nach Zobels Geschmack. Was für ein Fußballer! Einen besseren hatte er noch nicht gesehen. Beim 4:1 in Hamburg, einem der wenigen wirklich guten Spiele der abgelaufenen Saison, hatte der Kroate den Ball mit dem Rücken zum Tor angenommen, sich kurz gedreht und dann in den Winkel geschossen. Aus über 20 Metern! Zobel stand mit offenem Mund auf dem Platz, dieses Tor würde er nie vergessen. Bei jedem anderen hätte er von Glück oder Zufall gesprochen, nicht aber bei Skoblar, einem Weltklassespieler mit entsprechendem Repertoire. Der konnte so etwas.

Und er konnte noch viel mehr. Von ihm lernte Zobel auch, sich gegen die einschlägigen Raubeine der Liga zur Wehr zu setzen. Verteidiger wie Otto Rehhagel und Uwe Klimaschewski vom 1. FC Kaiserslautern oder die Bremer Sepp Piontek und Horst-Dieter Höttges waren für ihre von hinten angesetzte Grätsche zu Recht gefürchtet. Zwar ließ es sich bei diesen Attacken nie ganz vermeiden, dass sie gelegentlich auch den Ball trafen, aber in erster Linie sollten die Knochen der gegnerischen Stürmer etwas davon haben. Rechtzeitiges Hochspringen war die Lösung, klärte Skoblar Zobel auf, auch wenn es vielleicht ein bisschen feige aussehen würde: „Ein Spieler auf dem Arsch ist langsam, bleib also oben“, ermahnte er den Neuling. Fast noch wichtiger als das Hochspringen war die Landung, denn vom zweiten Teil der Lektion hing ab, ob sich die Haudegen danach anderer Mittel bedienten: „Wenn Du wieder auf den Boden kommst, achte darauf, dass Du die Hände der Verteidiger triffst. Wenn Dir das gelingt, hast Du für den Rest des Spiels Ruhe.“ Ganz Hartnäckige müsse man darauf hinweisen, beim nächsten Mal in ihrem Gesicht zu landen. Solche Fälle seien aber selten, beruhigte ihn Skoblar.

Auch von seinem zweiten Sturmpartner schaute sich Zobel einiges ab, er lernte überhaupt mehr vom Beobachten seiner neuen Kollegen als vom Training. Jupp Heynckes war sehr torgefährlich und antrittsschnell, seine direkte Art zu spielen beeindruckte den Neuling. Wäre da nur nicht diese Verbissenheit gewesen, Heynckes war ihm eine Spur zu ehrgeizig. Gut drei Jahre älter als Zobel war er für eine fast schon anstößig hohe Ablösesumme von 275.000 Mark aus Mönchengladbach nach Hannover gewechselt und davon überzeugt, dass Fußball auf hohem Niveau vor allem eines bedeutete: jeden Tag und in jedem Training hart an sich zu arbeiten. Ganz falsch konnte er damit nicht liegen, immerhin hatte ihn diese Berufsauffassung bis in die Nationalmannschaft gebracht. Aber taugte der als Vorbild?

Josip Skoblar kam seinem Ideal schon deutlich näher. Er war ebenfalls Nationalspieler, sah die Dinge aber ein bisschen entspannter und ließ den Fußballgott ab und zu auch mal einen guten Mann sein. Wie Heynckes trainierte auch sein Sturmpartner nach eigenen Prinzipien, eines war, dass seine Klasse nicht davon abhing, beim Intervallsprint ganz vorne mit dabei zu sein. Wann immer er es für richtig hielt, schaltete er im Training einen Gang zurück. Zobel fand diese Einstellung durchaus mannschaftsdienlich, denn ein Josip Skoblar mit müden Beinen nützte niemandem etwas. Er konnte sich bei Hannover 96 einiges erlauben, war aber trotzdem ein Star ohne Allüren, ohne das übliche Gehabe. Auch das gefiel Zobel.

Einmal brachte Skoblar ihn allerdings schwer in Bedrängnis. Der Jugoslawe hatte mal wieder genug vom Lauftraining gehabt und wollte sich für heute vom Dienst verabschieden: „Komm Rainer, wir fahren.“ Zobel traute seinen Ohren nicht. Für solche Eskapaden war er noch nicht lang genug bei 96, er gehörte zu denen, die sich bei der Massage nach dem Training ganz hinten anstellen mussten. „Ich kann hier nicht so einfach weg, ich muss mitlaufen“, antwortete er. Skoblar sah das anders: „Trainer“, rief er „Tschik“ zu, „ich mache Schluss für heute.“ Dann zeigt er auf Zobel: „Und der Junge hier ist auch genug gelaufen.“ Cajkovski nickte den beiden zu, wenig später saßen sie frisch geduscht in Skoblars Citroen DS und fuhren dorthin, wo größtmögliche Aufmerksamkeit garantiert war: ins Café Kröpcke. Zentraler ging es in Hannover nicht. Dass so etwas nicht zur Regel werden durfte, war ihm schon klar, trotzdem war er stolz, sich mit dem unumstrittenen Star der Mannschaft an einem so prominenten Ort zeigen zu dürfen.

In seiner zweiten Saison musste Zobel seinen Platz im Sturm räumen, der Verein hatte mit Zvezdan Cebinac einen weiteren Jugoslawen verpflichtet. Der Rechtsaußen war 1968 mit dem 1. FC Nürnberg Meister geworden und ein Jahr später als Absteiger zu den Niedersachsen gewechselt. Das sollte ihm erst einmal einer nachmachen. Noch ungewöhnlicher war aber eine andere Geschichte, die Cebinac während seiner gesamten Karriere begleitete: Angeblich hatte er 1965 erfolgreich ein Probetraining beim 1. FC Köln absolviert, allerdings nicht für sich, sondern für seinen weniger talentierten Zwillingsbruder. Srdan Cebinac konnte die ersten Eindrücke von ihm oder seinem Bruder jedenfalls nie bestätigen und kam nur auf drei Spiele für die Kölner. Bei Hannover 96 war man sich aber sicher, den Richtigen verpflichtet zu haben und hoffte auf eine deutlich bessere Platzierung als im Vorjahr.

Zobel wechselte ins defensive Mittelfeld; wo er spielte, war und blieb für ihn zweitrangig. Im Rampenlicht durften gerne andere stehen. Ansonsten änderte sich nicht viel: Die für viel Geld eingekauften Stars blieben unter den Erwartungen. Die Niedersachsen starteten gut in die neue Saison und standen nach sieben Spieltagen mit 10:4-Zählern ziemlich weit vorne, dann brach die Mannschaft zusammen. Bis zur Winterpause holte sie nur noch drei Punkte und beendete die Hinrunde auf Platz 16, Cajkovski musste gehen. Er verabschiedete sich mit einem 0:5 in Mönchengladbach: „Hannover war doch gar nicht in der Lage, mitzuhalten“, urteilte Günter Netzer, andere sprachen von einem „Offenbarungseid“.

Neben Cajkovski verließ auch Josip Skoblar den Verein, er wechselte zu Olympique Marseille und zeigte sich dort deutlich treffsicherer. Er schoss in der folgenden Saison 44 Tore und stellte damit einen immer noch gültigen Saisonrekord in der ersten französischen Liga auf. In Hannover aber waren viele froh, ihn und den Trainer los zu sein: „Der Jugo-Spuk hat ein Ende“, titelte der Boulevard, jetzt ging es nur noch darum, den Abstieg zu vermeiden.

Tschiks Nachfolger hieß Hans Pilz, er hatte zuvor 1860 München trainiert und galt als ganz harter Knochen. Gesellige Kochabende und Restaurantbesuche waren vorerst nicht zu erwarten, auch war nicht mehr von einem fröhlichen Trainer und einer fröhlicher Mannschaft die Rede. Pilz hatte als Fallschirmspringer und Oberleutnant bereits eine militärische Laufbahn hinter sich und war es gewohnt, dass seine Anweisungen befolgt wurden. Der Ton wurde dem Tabellenstand angepasst und spürbar rauer: „Die Spieler haben so etwas wie Ausgangssperre und stehen unter ständiger Beobachtung“, stellte er zum Einstand klar. Mit Disziplin, Harmonie und Einsatz wollte er den Klassenerhalt erreichen, auch das Auftreten außerhalb des Platzes war ihm wichtig: „Unrasiert kommt mir keiner mehr zum Training“, mahnte er seine Spieler.

Immerhin mussten sie nicht zum Friseur, Zobel durfte seine Haare weiter etwas länger tragen, ohne seinen Trainer allerdings mit den in Mode gekommenen Mähnen der 68er-Avantgarde zu provozieren. Auch mit politischem Engagement hielt er sich wie die allermeisten Profis zurück. In der Bundesliga fielen die Frisuren zwar dem Zeitgeist entsprechend etwas üppiger aus, größere Gefahren drohten aus diesem Milieu aber nicht. Mochten die Wände der Republik manchmal wackeln, das Haus des Deutschen Fußball-Bundes stand auf solidem Fundament und war so schnell nicht zum Einsturz zu bringen.

Ganz unpolitisch war Zobel aber nicht. Im Sommer 1969 kündigten die Hannoverschen Verkehrsbetriebe „Üstra“ eine saftige Fahrpreiserhöhung an, darauf regte sich in der gesamten Stadt Protest, aus dem die „Aktion Roter Punkt“ entstand. Den klebten sich Autofahrer an ihre Scheibe und zeigten damit an, dass sie Passanten kostenlos mitnahmen. Von heute auf morgen verlor die „Üstra“ mehr als die Hälfte ihrer Kundschaft, der Kampf um die begehrten Sitzplätze in Bus und Bahn war bis auf Weiteres ausgesetzt. Zobel beteiligte sich an der Aktion und hatte auf dem Weg zum Training und zurück regelmäßig wildfremde Menschen mit an Bord seines BMW 1602. Nach wochenlangen Protesten, Demonstrationen und Sitzblockaden, bei denen es auch zu Ausschreitungen und Festnahmen kam, nahm die „Üstra“ die Fahrpreiserhöhung zurück und Zobel konnte sich wieder den Regeln unterwerfen, die der Fußballbetrieb diktierte.

Mit einem roten Punkt war der Abstiegskampf jedenfalls nicht zu bestehen und die Spieler verstanden schnell, dass der neue Trainer Engagement vor allem dann zu schätzen wusste, wenn es sich auf dem Fußballplatz zeigte. Die Profis erschienen pünktlich und gepflegt zu den täglichen Einheiten, sie hängten sich mächtig rein. Nach ein paar Wochen konnte Pilz erste Fortschritte erkennen: „Hannover steigt nie ab. Die Burschen trainieren so hart, dass ihnen das Blut aus den Stiefeln läuft.“

Drei Spieltage vor Schluss sah es aber noch ziemlich düster aus. 96 war bei den Bayern mit 2:7 schwer unter die Räder gekommen, hatte nur noch einen Punkt Vorsprung auf die Abstiegsränge. Dann kam Borussia Mönchengladbach, gegen den Tabellenführer waren sie in der Hinrunde bekanntlich ebenfalls kläglich eingegangen. Bei halbwegs erfreulichem Saisonverlauf eigentlich ein Kassenschlager, aber die Mannschaft hatte ihr Publikum mittlerweile so nachhaltig vergrault, dass das Niedersachsenstadion mit 30.000 Zuschauern nicht einmal mehr zur Hälfte gefüllt war. Die machten jedoch einen Lärm für 60.000 und trugen so dazu bei, dass die Heimelf ein 1:0 über die Zeit rettete. Hannover 96 hatte an diesem Tag gleich doppeltes Glück, denn zeitgleich verlor 1860 München gegen Werder Bremen, der Abstand zu den letzten beiden Plätzen war wieder gewachsen. Eine Woche später war nach einem 3:3 in Frankfurt der Klassenerhalt unter Dach und Fach. Die Mannschaft schenkte Hans Pilz „als Dank für die großartige Trainerleistung“ ein Autoradio. Seine Mission war damit erfolgreich beendet.

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Für die neue Spielzeit hatte bereits Helmuth Johannsen unterschrieben, auch er zählte zu den Großen seiner Branche, spätestens seit er drei Jahre zuvor Eintracht Braunschweig völlig überraschend zur deutschen Meisterschaft geführt hatte. Noch während der laufenden Saison unter Hans Pilz hatte Johannsen damit begonnen, seinen künftigen Kader zusammenzustellen. Rainer Zobel spielte in seinen Planungen eine wichtige Rolle. Obwohl er ins defensive Mittelfeld wechseln musste, war er in seinem zweiten Bundesligajahr Stammspieler geblieben, und mit gerade einmal 21 Jahren ein Mann der Zukunft. So einen ließ man nicht ziehen.

Auch Zobel zog es nirgendwo hin, bis zu dem Tag, an dem er zu einem Gespräch in die Clausewitzstraße 2 gebeten wurde. Dort, auf der Geschäftsstelle von Hannover 96, traf er auf den Präsidenten Alfred Strothe und seinen künftigen Trainer. Helmuth Johannsen kam sofort zur Sache, bescheinigte Zobel eine erfreuliche Entwicklung und machte ihm ein Angebot, von dem er glaubte, dass es ähnlich erfreulich war: „Wir würden Sie gerne noch ein weiteres Jahr behalten. Sie kriegen das gleiche Gehalt wie bisher und bleiben Lehrling.“

Zobel ließ sich zunächst nichts anmerken, wusste aber, dass er einen solchen Vertrag niemals unterschreiben würde. Zu den 1.200 Mark, die sein Ausbildungsvertrag vorsah, kam bisher noch einmal in etwa dieselbe Summe an Prämien, am Ende eines durchschnittlichen Monats landete er irgendwo zwischen 2.400 und 2.700 Mark. Eine Menge Geld, allemal genug, um seinen VW Käfer aus Uelzener Zeiten aufs Altenteil zu schicken und sich einen BMW zu leisten. Autos waren wichtig, sie markierten den Platz innerhalb der Hierarchie. Mit den Schlitten der Stars konnte er noch nicht mithalten, aber dass er kein Lehrling mehr war, verrieten nicht nur seine Leistungen auf dem Platz, sondern auch die 105 PS, die sein 1602er auf die Straße brachte.

„Ich habe jetzt zwei Jahre fast komplett durchgespielt“, kommentierte Zobel das Angebot kühl. „Ich finde, die Ausbildung ist damit beendet.“ Was denn sei, wenn er nicht unterschreibe? Seine Gesprächspartner hatten mit etwas mehr Begeisterung gerechnet, Johannsen fand schon die Frage unverschämt und änderte die Tonlage: „Du unterschreibst diesen Vertrag hier oder Dein Nachfolger steht schon vor der Tür.“ Zobel blieb ruhig, fragte, ob er mal telefonieren dürfe und verschwand für ein paar Minuten im Büro des Präsidenten. „Und? Was hat Dein Vater gesagt?“, wollte Alfred Strothe wissen, nachdem das Telefonat beendet war. Er nahm das kurze Gefecht zwischen Trainer und Spieler nicht weiter ernst, der Zobel war eben ein junger Kerl, einer, der gelegentlich Widerworte gab, aber sich auch wieder einkriegte. „Mein Vater hat gar nichts gesagt, aber mein Nachfolger kann gerne reinkommen.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich Zobel. Er hätte noch erzählen können, mit wem er soeben gesprochen hatte, aber die Atmosphäre war auch so frostig genug. Am anderen Ende der Leitung war Robert Schwan, der Manager des FC Bayern. Sein Trumpf im Vertragspoker! Strothe und Johannsen wussten von nichts und auch Zobel ging bis zu diesem Gespräch nicht davon aus, dass er sein Blatt ausreizen würde.

Ein paar Tage vorher hatte ihn Udo Lattek angerufen, der die Bayern seit ein paar Monaten trainierte. Auch er wollte über Zukünftiges sprechen und man verabredete sich spontan, da die Bayern vor dem Spiel beim SV Werder ganz in der Nähe ihr Quartier bezogen hatten. Robert Schwan würde auch dabei sein, teilte ihm sein früherer U19-Nationaltrainer noch mit. Lattek hatte Zobels Entwicklung genau verfolgt und wusste, dass dessen Vertrag in Hannover auslief. Genau der richtige Zeitpunkt, um ihn nach München zu holen.

Die sportliche Perspektive war verlockend. Beim FC Bayern sollte er Teil einer jungen Mannschaft um die Achse Maier, Beckenbauer und Müller werden, mit der Lattek den deutschen Fußball in den nächsten Jahren zu dominieren gedachte. Internationale Erfolge waren nicht automatisch eingepreist, aber sehr wahrscheinlich. Zobel fühlte sich geschmeichelt, war sich aber nicht sicher, ob die Bayern für so große Ziele einen wie ihn brauchten. So unbekümmert und selbstbewusst er auch war, er kannte den Kader des FC Bayern ziemlich genau. Dass er in München so regelmäßig zum Einsatz kommen würde wie bei Hannover 96, war alles andere als selbstverständlich. „Gehöre ich denn zur Stammformation?“, wollte er von seinem künftigen Trainer wissen. Lattek hielt sich bedeckt, für Versprechungen sei es noch zu früh. Das war Zobel zu wenig: „Sie sind doch der Trainer. Sie können das entscheiden. Sie haben mir damals auch versprochen, dass ich bei Hannover 96 spiele.“

An diesem Punkt schaltete sich Robert Schwan ins Gespräch ein. Für den Manager der Bayern war es völlig neu, dass ein junger Spieler bei einem Angebot dieses Vereins nicht sofort nach einem Kugelschreiber fragte, bevor es sich jemand anders überlegte: „Du bist aber ganz schön frech“, wies er Zobel zurecht, allerdings auf eine eher gutmütige Art. Schwan fand es sogar sympathisch, wenn es ihm nicht zu leicht gemacht wurde, und der hier war doch mal einer, der nicht nur gut Fußball spielen konnte, sondern auch selbstbewusst genug war, sich nicht unter Preis zu verkaufen. So einen konnten sie gebrauchen! Und als Schwan mitteilte, dass sein Grundgehalt bei etwa 10.000 Mark monatlich liegen würde, waren zwar noch nicht alle Zweifel ausgeräumt, aber Zobel hielt es für wahrscheinlich, dass man sich einigen könnte. Es ging ihm aber nicht nur ums Geld. Natürlich würde er mehr verdienen, aber sein bisheriger Verein hätte sich bei Weitem nicht so ins Zeug legen müssen wie die Münchener, um ihn zu halten. Er war in Hannover Stammspieler, innerhalb der Mannschaft nicht nur anerkannt, sondern beliebt und dass es nicht weit ins heimische Uelzen zu seinen Eltern und Freunden war, spielte in seinen Überlegungen auch eine gewichtige Rolle. Es sprach eine ganze Menge für 96, nur der neue Trainer nicht. Bei dem würde er keinen Stich mehr machen, da war sich Zobel sicher. Das gab den Ausschlag. Noch nie hatte er sich so von oben herab behandelt gefühlt wie in diesem kurzen Gespräch auf der Geschäftsstelle. „Mein Nachfolger kann reinkommen.“ Zobel freute sich, dass ihm im richtigen Moment der passende Satz eingefallen war. Johannsen aber war und blieb tief beleidigt.

Jahre später trafen im Niedersachsenstadion zwei Prominentenmannschaften aufeinander, die Bundesliga feierte ihren 20. Geburtstag. Beckenbauer, Netzer, Overath, Seeler, Müller und so weiter waren gekommen, wirklich das Beste, was die Liga in ihren ersten beiden Jahrzehnten zu bieten hatte. Zobel hatte auch eine Einladung erhalten. Seine Freude, diesem erlesenen Kreis anzugehören, war deutlich größer als sein Unmut darüber, dass bei seiner Mannschaft Helmuth Johannsen auf der Bank sitzen würde. Ein herzliches Wiedersehen war kaum zu erwarten. Zobel fuhr mit geringen Erwartungen nach Hannover, aber selbst die wurden unterboten. Johannsen schüttelte in der Kabine jedem die Hand, an Zobel ging er vorbei, ohne ihm auch nur die leiseste Beachtung zu schenken. Als er die Mannschaftsaufstellung bekanntgab, nannte er nur zehn Namen. Dann eben nicht, dachte sich Zobel, streifte sein Trikot mit der Nummer acht über und verließ mit den anderen die Kabine.

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Bevor die Meister des Jahres 2017 zu ihrem letzten Spiel der Saison den Platz betraten, gehörte die Aufmerksamkeit den Helden von gestern. 75.000 Zuschauer in der „Allianz-Arena“ waren in Feierstimmung und jubelten auch, als der Stadionsprecher seinen Namen vorlas: „Deutscher Meister 1974, Rainer Zobel!“ Für jede Meisterschaft wurde ein Spieler aufgerufen, eine Legende, wie es hieß. Fühlte sich gut an, obwohl er das alles auch ein bisschen überdreht fand. Das Spiel allein reichte offenbar nicht mehr, um die Leute in die Stadien zu locken, der moderne Fußball lebte auch bei seiner Inszenierung weit über seine Verhältnisse.

Um ihn war es in letzter Zeit etwas ruhiger geworden, seine Trainerkarriere im Profifußball gehörte nach fast 30 Jahren der Vergangenheit an. Anschließend hatte Zobel noch den FC Wenden in Braunschweig trainiert, eine eher private Gefälligkeit, obwohl ihn die Sache auch sportlich reizte. Die Mannschaft nannte sich nicht ohne einen gewissen Stolz „Die Untrainierbaren“ und weckte mit dieser Selbsteinschätzung Zobels Ehrgeiz. Das konnte er so nicht stehen lassen und stieg mit ihnen in die Bezirksliga auf. Von der Wertigkeit kein so großer Unterschied zu den anderen Titeln, die er als Trainer geholt hatte, auch wenn ihm das kaum einer abnahm. Aber es stimmte nun einmal, ihm ging es vor allem darum, seine Vorstellungen vom Fußball zu vermitteln, Talente zu erkennen und zu fördern, Mannschaften aufzubauen und zu entwickeln. Wenn ihm das gelang, war der Blick auf die Tabelle oder Titel zweitrangig.

Aber wegen seiner Erfolge als Trainer hatten sie ihn nicht nach München eingeladen und auf den Platz gerufen, sondern für dieses außergewöhnliche Jahr 1974, als sie Deutscher Meister und Europapokalsieger wurden. Dieser Triumph überstrahlte nach wie vor alles, was er in seiner Karriere erlebt hatte. Mit einem Lächeln betrat er den Rasen und stellte sich neben „Kaiser“, „Katsche“ und „Bulle“, Franz Beckenbauer, Hans-Georg Schwarzenbeck und Franz Roth. Die waren vor ihm dran gewesen, alle drei ebenso überschwänglich bejubelt. Beckenbauer hatte stellvertretend die Ovationen für die längst verstorbenen Meister von 1932 entgegengenommen, anschließend für die von 1969, als die Bayern zum ersten Mal in der Bundesliga den Titel gewannen. Schwarzenbeck für 1972, Roth für 1973, danach kam Zobel. Auch er trug einen roten Jancker, darunter ein weißes Leinenhemd und eine graue Flanellhose, der Anzug der Vereinslegenden.

Vor ein paar Jahren, er war noch Trainer in Ägypten, hatte ihn jemand vom FC Bayern angerufen und sich als Legendenbeauftragter vorgestellt. Was es inzwischen für Jobs gab! Als er 1970 von Hannover nach München wechselte, wären sie über einen Co-Trainer froh gewesen. Neben dem Coach gab es noch einen Masseur und der knetete sie oft mit Seife durch. Aber zu diesem Zeitpunkt waren sie ja auch noch keine Legenden. Gleich zweimal musste er zur Einkleidung nach München fliegen, zum Herrenausstatter Hirmer. Erst zum Maß nehmen, dann zur Anprobe. Die ließen sich nicht lumpen. Wie wurde man eigentlich zur Legende? Zobel hatte den Beauftragten damals nicht gefragt. Dass es etwas mit Erfolgen zu tun hatte, verstand sich von selbst. Aber wie viele Meisterschaften oder Pokale mussten es sein, um diesen Status zu erlangen? Spieler wie Wolfgang Dremmler oder Wolfgang Grobe, die wie er in Braunschweig lebten, hatten mit den Bayern auch einiges gewonnen, ohne deswegen einen Termin beim Herrenausstatter zu bekommen.

Bevor er sich mit dieser Frage näher auseinandersetzen konnte, wurde schon der nächste Spieler aufgerufen, einer, der diese Bezeichnung zweifellos verdient hatte: „Deutscher Meister 1980“, kündigte der Stadionsprecher feierlich an: „Paul Breitner.“ Es gab Zeiten, da nannten sie ihn beim FC Bayern Rädelsführer, Revoluzzer, Anarchist. Und auch Breitner hatte kräftig ausgeteilt: „Es tut mir leid, jemals für diesen Verein gespielt zu haben.“ Sie schlugen sich, rauften sich zusammen und schlugen sich wieder. Aber dem Ruf zum großen Familientreffen folgten sie alle. Wahrscheinlich waren sie wirklich so etwas wie eine Familie, Uli Hoeneß bemühte dieses Bild ja häufig. Auch in vielen Familien sah es nach außen sehr viel freundlicher aus, als es der Wirklichkeit entsprach, aber was sagte das schon? Wenn die Familie der Ort war, an dem Harmonie und Streit, Rücksichtnahme und Gleichgültigkeit, Fürsorge und Neid ihren Platz hatten und man sich im Großen wie im Kleinen vergeben konnte, dann war der FC Bayern sogar eine sehr vorbildliche Familie. Die niemanden hängen ließ, auch wenn er sich abfällig über sie geäußert oder sich gar von ihr losgesagt hatte. Der Weg zurück stand jedem offen.

Zobel war schon am Tag vor der Meisterfeier angereist. Im Hotel hatten ihn die meisten Ehemaligen erkannt, einigen jüngeren Legenden musste er sich vorstellen. Sechs Jahre hatte er für die Bayern gespielt, in einer Mannschaft, die sich in dieser Zeit kaum veränderte. Er hatte so ziemlich jeden Winkel der Welt bereist, in teuren Hotels übernachtet und mit Beckenbauer oder Müller, Hoeneß oder Breitner, Hansen oder Roth sehr viel mehr Zeit verbracht als mit seiner Frau und seinem Sohn. Mit ihnen war er erst Pokalsieger geworden, dann Meister und schließlich Europacupsieger. Sie hatten eine Ära begründet, aber auch für sie galt: Nichts ist für die Ewigkeit. Und schon gar nicht der Erfolg.

Zobel war mit den Bayern zur Nummer eins Europas aufgestiegen. Als er den Verein 1976 verließ, waren sie in der Bundesliga nur noch Mittelmaß und auch die europäische Vorherrschaft ging ihrem Ende entgegen. Aber die Zeiten, in denen es nicht nach Wunsch lief, waren nur von kurzer Dauer. Auch der FC Bayern musste sich ab und zu von seinen eigenen Ansprüchen erholen, um dann mit voller Kraft zurückzukehren. Als Zobel neben all den anderen auf dem Rasen der „Allianz-Arena“ stand, war er stolz, Teil dieser Familie, Teil dieses Vereins zu sein. Eines Vereins, der die Verdienste derer nicht vergaß, die ihn so groß gemacht hatten. Sie hatten ihm ein Trikot mit seinem Namen und der Nummer acht überreicht, seiner Nummer. Vor über 40 Jahren war er mit ihr zum letzten Mal für die Bayern aufgelaufen, kaum einer hatte von seinem Abschied Notiz genommen. Aber vergessen hatten sie weder ihn noch seine Rückennummer. Und das berührte ihn.

Dann kamen die Meister von 2017 aufs Feld, angeführt von Philipp Lahm. Der Kapitän machte heute sein letztes Spiel, hatte Pokale und Trophäen in den Händen gehalten, die Zobel nur zu vertraut waren. Der feine Unterschied: Lahm war Weltmeister, damit konnte er nicht dienen. Als die Tür zur Nationalmannschaft offenstand und er nur durchgehen musste, machte er sie wieder zu.

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