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Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 29

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XLI.
Der Schwiegersohn

Die Verbindung war bald bewerkstelligt, man hatte auf beiden Seiten dieselbe Eile.

Einige von den Sinnreichen, die wir auf der Grève gesehen, brachten dem Schwiegersohn am Ende eines Spießes den Kopf seines Schwiegervaters.

Herr Berthier kam mit dem Kommissär durch die Rue Saint-Martin. Er saß in seinem Wagen.

Unter Geschrei, Gezisch und Drohungen fuhr Berthier Schritt für Schritt weiter und sprach ruhig mit dem Wähler Riviere, dem Kommissär, den man nach Compiègne abgesandt hatte, um ihn zu retten.

Das Volk hatte mit dem Wagen angefangen und zuerst dessen Verdeck zerbrochen, so daß Berthier und der Kommissär entblößt und allen Blicken und Streichen ausgesetzt waren.


Unterwegs hörte er sich an seine Verbrechen erinnern, von der Wut des Volkes erläutert und noch vergrößert.

Er hatte Paris aushungern wollen.

Er hatte befohlen, den Roggen und den Weizen grün abzuschneiden; dadurch war der Preis des Getreides gestiegen, und er hatte ungeheure Summen eingenommen.

Man hatte bei ihm ein Portefeuille erwischt; in diesem fanden sich mordbrennerische Briefe, Befehle zum Niedermetzeln, der Beweis, daß zehntausend Patronen an seine Agenten ausgeteilt worden seien.

Das waren entsetzliche Albernheiten; doch es ist ja bekannt, daß die Menge, wenn sie einmal den Paroxismus ihres Zorns erreicht hat, die wahnsinnigsten Neuigkeiten für wahr ausgiebt.

Berthier war noch ein junger Mann von dreißig bis zweiunddreißig Jahren, elegant gekleidet, beinahe lächelnd unter den Streichen und Beleidigungen; mit vollkommener Sorglosigkeit sah er um sich her die schändlichen Anschlagszettel an, die man ihm zeigte, und plauderte ohne Prahlerei mit Riviere.

Zwei über seine Gelassenheit aufgebrachte Menschen wollten ihn erschrecken und aus seiner Haltung bringen. Sie stellten sich jeder auf einen Fußtritt des Wagens und hielten Berthier das Bajonett ihrer Flinte auf die Brust.

Aber mutig bis zur Verwegenheit, ließ sich Berthier dadurch nicht aus der Fassung bringen und sprach fortwährend mit dem Wähler.

Tief gereizt durch diese Verachtung, die so seltsam mit Foulons Angst kontrastierte, brüllte die Menge um den Wagen her und wartete mit Ungeduld auf den Augenblick, wo sie statt einer Drohung einen Schmerz auferlegen könnte.

Da heftete Berthier seinen Blick auf etwas Ungestaltes, Blutiges, das man vor ihm schüttelte, und erkannte plötzlich den Kopf seines Schwiegervaters, der sich bis zur Höhe seiner Lippen neigte. Man wollte ihn den Kopf küssen lassen.

Herr Riviere schob mit seiner Hand den Spieß entrüstet auf die Seite. Berthier wandte sich nicht einmal um.

So kam man auf die Grève, und der Gefangene wurde den Wählern im Stadthause übergeben.

Die Menge nahm ihre Stellung auf den guten Plätzen, bewachte alle Ausgänge, traf ihre Vorkehrungen und bereitete neue Stricke am Kloben der Laterne.

Als Billot Berthier sah, der ruhig die große Treppe des Stadthauses hinaufstieg, weinte er bitterlich.

Pitou, der das Ufer verlassen hatte und wieder zum Quai hinaufgestiegen war, sobald er glaubte, die Hinrichtung sei vorüber, kauerte sich erschrocken hinter eine Bank.

Berthier, als hätte es sich gar nicht um ihn gehandelt, war mittlerweile in den Ratssaal eingetreten und plauderte vertraut mit den Wählern, von denen er die Mehrzahl kannte.

Diese entfernten sich von ihm mit dem Schrecken, der schüchterne Seelen ergreift, wenn sie mit einem Menschen, der beim Volke verhaßt ist, in öffentliche Berührung treten soll.

Berthier sah sich auch bald beinahe allein mit Bailly und Lafayette. Er ließ sich alle Einzelheiten von der Hinrichtung Foulons erzählen; dann zuckte er die Achseln und sagte:

»Ja, ich begreife das: man haßt uns, weil wir die Werkzeuge sind, mit denen man das Volk gefoltert hat.«

»Man wirft Ihnen große Verbrechen vor, mein Herr,« sprach Bailly mit strengem Ton,

»Mein Herr,« erwiderte Berthier, »wenn ich alle Verbrechen begangen hätte, die man mir vorwirft, so wäre ich ein wildes Tier oder ein Teufel; doch, wie ich glaube, wird man mich richten, und dann wird es klar werden.«

»Allerdings,« sprach Bailly.

»Nun!« fuhr Berthier fort, »das ist alles, was ich wünsche. Man hat meine Korrespondenz, man wird sehen, welchen Befehlen ich gehorcht habe, und die Verantwortlichkeit wird auf diejenigen zurückfallen, denen sie gebührt.«

Die Wähler schauten auf den Platz hinaus, von wo furchtbares Geschrei aufstieg.

Berthier begriff die Antwort.

Da durchschnitt Billot die Menge, die Bailly umgab, näherte sich dem Intendanten, bot ihm seine redliche große Hand und sagte:

»Guten Tag, Herr von Sauvigny.«

»Ah! du bist es, Billot,« rief Berthier lachend, indem er mit einer festen Hand die ihm dargebotene Hand ergriff; »Du willst also in Paris Aufruhr treiben, mein braver Pächter, du, der du dein Getreide auf den Märkten von Villers-Cotterets, von Crevy und von Soissons so gut verkauftest?«

Trotz seiner demokratischen Bestrebungen konnte Billot nicht umhin, die Ruhe dieses Mannes zu bewundern, der in solcher Weise scherzte, während sein Leben an einem Faden hing.

»Nehmen Sie Ihre Plätze ein, meine Herren,« sprach Bailly zu den Wählern, wir wollen die Instruktion gegen den Angeklagten beginnen.

»Gut,« sagte Berthier, »nur muß ich Sie darauf aufmerksam machen, meine Herren, daß ich erschöpft bin; seit zwei Tagen habe ich nicht geschlafen; von Compiègne nach Paris bin ich heute gestoßen, geschlagen, gezerrt worden; wenn ich zu essen verlangte, bot man mir Heu, was nicht sehr erfrischend ist; lassen Sie mir einen Ort anweisen, wo ich schlafen kann, und wäre es nur eine Stunde.«

In diesem Augenblick ging Lafayette aus dem Saal, um sich zu erkundigen. Er kam niedergeschlagener als je zurück.

»Mein lieber Bailly,« sagte er, »die Erbitterung ist bis auf den höchsten Grad gestiegen. Herrn Berthier hier behalten heißt sich einer Belagerung aussetzen; das Stadthaus verteidigen heißt den Wütenden den Vorwand geben, den sie verlangen; das Stadthaus nicht verteidigen heißt die Gewohnheit annehmen, nachzugeben, so oft man es angreifen wird.«

Während dieser Zeit hatte sich Berthier auf eine Bank gesetzt und dann gelegt.

Er schickte sich an, zu schlafen.

Die wütenden Schreie gelangten zu ihm durch das Fenster, störten ihn aber nicht; sein Gesicht bewahrte die Ruhe des Mannes, der alles vergißt, um den Schlaf über sein Bewußtsein sich lagern zu lassen.

Bailly beriet sich mit den Wählern und mit Lafayette.

Lafayette sammelte rasch die Stimmen, wandte sich an den Gefangenen, der einzuschlafen anfing, und sagte zu ihm:

»Mein Herr, wollen Sie sich bereit halten.«

Berthier stieß einen Seufzer aus, erhob sich auf seinen Ellenbogen und fragte:

»Wozu bereit?«

»Diese Herren haben beschlossen, daß Sie nach der Abbaye gebracht werden sollen.«

»Nach der Abbaye? gut,« sagte der Intendant. »Doch,« fügte er bei, indem er die verlegenen Richter anschaute, deren Verlegenheit er begriff, »machen wir auf die eine oder die andere Art ein Ende.«

Lange zurückgehalten, drang auf einmal wieder ein Ausbruch des Zorns und der Ungeduld von der Grève empor.

»Nein, meine Herren, nein, wir werden ihn in diesem Augenblick nicht gehen lassen,« rief Lafayette.

Bailly faßte einen Entschluß, er ging mit zwei Wählern auf den Platz hinab und gebot Stillschweigen.

Das Volk wußte so gut, als er, was er sagen würde; da es aber die Absicht hatte, das Verbrechen wiederzubeginnen, so wollte es nicht einmal den Vorwurf hören, und als Bailly den Mund öffnete, erhob sich aus der Menge ein ungeheures Geschrei und brach seine Stimme, bevor sie sich nur hatte vernehmbar machen können.

Da Bailly sah, daß es ihm unmöglich sei, auch nur ein einziges Wort zu artikulieren, kehrte er nach dem Stadthause zurück, verfolgt von den Schreien:

»Berthier! Berthier!«

Dann drangen andre Schreie durch diesen durch. Man brüllte:

»An die Laterne! An die Laterne!«

Als Lafayette Bailly zurückkommen sah, eilte er ihm entgegen. Er ist jung, er ist glühend, er ist geliebt. Was der Greis mit seiner Volkstümlichkeit von gestern nicht hat erlangen können, wird er, der Freund von Washington und Necker, ohne Zweifel, mit dem ersten Wort erlangen.

Doch vergebens drang der Volksgeneral in die Gruppen der Wütendsten; vergebens sprach er im Namen der Gerechtigkeit und Menschlichkeit. Nicht eines von seinen Worten wurde gehört.

Von Stufe zu Stufe zurückgestoßen, kniete er auf der Freitreppe des Stadthauses nieder und beschwor diese Tiger, die er seine Mitbürger nannte, ihre Nation nicht zu entehren, sich selbst nicht zu entehren, die Schuldigen nicht zu Märtyrern zu erheben, denen das Gesetz einen Teil Ehrlosigkeit mit einem Teil Bestrafung schuldig sei.

Als er beharrlich fortfuhr, gelangten die Drohungen bis zu ihm, doch er kämpfte gegen die Drohungen. Einige Rasende zeigten ihm dann die Faust und hoben ihre Gewehre gegen ihn empor.

Er ging ihren Streichen entgegen, und ihre Waffen senkten sich.

Aber wenn man Lafayette bedroht hatte, so bedrohte man Berthier noch viel mehr.

Wie Bailly, so kehrte auch Lafayette besiegt ins Stadthaus zurück.

Alle Wähler waren Augenzeugen gewesen, wie machtlos Lafayette gegen den Sturm angekämpft; damit war ihr letzter Wall niedergestürzt.

Sie beschlossen, die Wache des Stadthauses sollte Berthier nach der Abbaye führen.

Das hieß Berthier in den Tod schicken.

»Endlich!« sagte Berthier, als der Beschluß gefaßt war.

Und er schaute alle diese Menschen mit tiefer Verachtung an und stellte sich unter die Wachen, nachdem er Bailly und Lafayette durch ein Zeichen gedankt und Billot die Hand gereicht hatte.

Bailly wandte seinen Blick voll Thränen, Lafayette seine Augen voll Entrüstung ab.

Berthier stieg die Treppe des Stadthauses mit demselben Schritte hinab, mit dem er sie heraufgestiegen war.

In dem Augenblick, wo er auf der Freitreppe erschien, machte ein entsetzliches, vom Platze ausgehendes Geschrei selbst die steinernen Stufen, auf die er den Fuß setzte, zittern.

Doch, verächtlich und unempfindlich, schaute er alle diese flammenden Augen mit ruhigen Augen an, zuckte die Achseln und sprach die Worte:

»Wie seltsam ist dieses Volk! Was hat es so zu brüllen!«

Er hatte nicht vollendet, als er schon diesem Volke gehörte. Schon auf der Freitreppe rissen ihn grimmige Fäuste aus der Mitte der Wachen heraus. Eiserne Haken zogen ihn an, sein Fuß glitt aus, und er rollte in die Arme seiner Feinde.

Dann riß eine unwiderstehliche Woge den Gefangenen auf dem mit Blut besudelten Wege fort, auf dem Foulon zwei Stunden zuvor geschleppt worden war.

Schon saß ein Mensch, mit dem Stricke in der Hand, auf der unseligen Laterne.

Doch ein andrer Mensch hatte sich an Berthier angeklammert, und dieser Mensch teilte wütend, wahnsinnig, Schläge und Verwünschungen an die Henker aus.

Er schrie:

»Ihr werdet ihn nicht töten!«

Es war Billot, den die Verzweiflung toll gemacht hatte, und zwar toll wie zwanzig Menschen.

Den einen rief er zu:

»Ich bin einer von den Siegern der Bastille!«

Und einige, die ihn wirklich kannten, ließen in ihren Angriffen nach.

Zu andern sagte er:

»Laßt ihn richten; ich hafte für ihn; läßt man ihn entwischen, so werdet Ihr mich statt seiner henken.«

Armer Billot, armer ehrlicher Mann! Die Wellen rissen ihn fort, ihn und Berthier, wie ein Wetterwirbel in seinen weiten Kreisen eine Feder und einen Strohhalm von hinnen trägt.

Er flog und wußte nicht wie und wo, bis er an Ort und Stelle war.

Berthier, den man rückwärts fortgeschleppt und aufgehoben hatte, wandte sich, als er sah, daß man anhielt, um, schlug die Augen auf und erblickte den schändlichen Strang, der über seinem Kopfe baumelte.

Durch eine ebenso heftige, als unerwartete Anstrengung machte er sich von den Händen, die ihn festhielten, los, riß einem von der Nationalgarde eine Flinte aus den Händen und ging mit Bajonettstößen auf seine Henker los.

Doch in einer Sekunde trafen ihn tausend Streiche von hinten, er fiel, und tausend Stöße tauchten aus einem Kreise auf ihn nieder.

Billot war unter den Füßen der Mörder verschwunden.

Berthier hatte keine Zeit zu leiden. Sein Blut entströmte aus unzähligen Wunden seines Leibes. Da konnte Billot ein Schauspiel sehen, das noch greulicher war, als alles, was er bis jetzt erblickt. Er sah einen Menschen seine Hand in die offene Brust des Leichnams tauchen und das noch rauchende Herz herausziehen.

Derselbe steckte dann dieses Herz an die Spitze seines Säbels, trug es mitten unter der brüllenden Menge, die sich auf seinem Wege vor ihm öffnete, und legte es auf die Tafel des großen Rates nieder, wo die Wähler ihre Sitzungen hielten.

Billot, der eiserne Mann, konnte diesen Anblick nicht ertragen; zehn Schritte von der unseligen Laterne fiel er auf einen Weichstein nieder.

Lafayette, als er diese schändliche, seiner Autorität, der Revolution, die er lenkte, oder vielmehr zu lenken geglaubt hatte, zugefügte Beleidigung sah, Lafayette zerbrach seinen Degen und warf die Stücke davon den Mördern an den Kopf.

Pitou hob den Pächter auf, trug ihn in seinen Armen weg und flüsterte ihm ins Ohr:

»Billot! Vater Billot, nehmen Sie sich in acht; wenn sie sehen, daß Sie sich übel befänden, so würden die Mörder Sie für einen Mitschuldigen halten und auch umbringen . . . Das wäre schade . . . ein so guter Patriot! . . .«

Hernach zog er ihn nach dem Flusse fort, wobei er ihn so gut, als es ihm möglich war, vor den Blicken einiger Hitz- und Murrköpfe verbarg.

Neuntes bis zwölftes Bändchen

XLII.
Billot fängt an zu bemerken, daß nicht alles rosa bei den Revolutionen ist

Billot, der mit Pitou an allen ruhmwürdigen Opferfeierlichkeiten teilgenommen hatte, fing an zu bemerken, daß die Hefe kam. Als er bei der Kühle des Flusses wieder zum Bewußtsein gelangt war, sagte Pitou zu ihm:

»Herr Billot, ich sehne mich nach Villers-Cotterets zurück; und Sie?«

Diese Worte erweckten, wie eine frische Empfindung von Tugend und Ruhe, den Pächter wieder, so daß er abermals die Stärke fand, durch die Volksmassen sich hindurchzuarbeiten und sich von der Schlächterei zu entfernen.

»Komm,« sagte er, »du hast recht.«

Und er entschloß sich, Gilbert aufzusuchen, der in Versailles wohnte und, ohne seit der Reise des Königs nach Paris zur Königin zurückgekehrt zu sein, der rechte Arm von Necker geworden war, der wieder in das Ministerium eintrat und, den Roman seines Lebens für die Geschichte aller verlassend, die Wohlfahrt zu organisieren suchte, indem er das Elend generalisierte.

Pitou folgte ihm wie immer.

Beide wurden in das Kabinett eingeführt, wo der Doktor arbeitete.

»Doktor,« sagte Billot, »ich kehre nach meinem Pachthofe zurück.«

»Und warum dies?« fragte Gilbert.

»Weil ich Paris hasse.«

»Ach! ja, ich begreife,« sprach Gilbert kalt: »Sie sind müde.«

»Abgemattet.«

»Sie lieben die Revolution nicht?

»Ich möchte sie gern beendigt sehen.«

Gilbert lächelte traurig.

»Sie fängt ja erst an»« sagte er.

»Ho!« machte Billot.

»Das setzt Sie in Erstaunen, Billot?« sprach Gilbert.

»Was mich in Erstaunen setzt, ist Ihre Kaltblütigkeit.«

»Mein Freund, fragte Gilbert, wissen Sie, woher bei mir diese Kaltblütigkeit kommt?«

»Sie kann nur von einer Überzeugung kommen.«

»Ganz richtig.«

»Und was für eine Überzeugung ist das?«

»Erraten Sie.«

»Es werde alles gut endigen?«

Gilbert lächelte noch trauriger als das erstemal.

»Nein, im Gegenteil, von der Überzeugung, es werde alles schlecht endigen.«

Billot gab einen Schrei von sich.

Pitou aber sperrte die Augen ungeheuer weit auf: er fand die Beweisführung wenig logisch.

»Lassen Sie hören,« sprach Billot, indem er sich mit seiner schweren Hand hinter dem Ohr kratzte; »denn ich verstehe nicht recht, wie mir scheint.«

»Nehmen Sie einen Stuhl, Billot,« sagte Gilbert, »und setzen Sie sich nahe zu mir, so nahe, daß uns niemand hört.«

Billot gehorchte.

»Und ich, Herr Gilbert,« fragte schüchtern Pitou, indem er andeutete, er sei bereit, sich zu entfernen, wenn es der Doktor wünsche.

»Bleibe,« sprach der Doktor, »du bist jung, höre.«

Pitou öffnete die Ohren in gleichem Umfang mit der Größe seiner Augen.

Es war ein seltsames Schauspiel, das Schauspiel einer solchen geheimen Versammlung, gehalten von diesen drei Personen im Cabinet von Gilbert, bei einem von Briefen, Papieren, frischen Druckschriften und Zeitungen überladenen Tisch, vier Schritte von einer Thüre, welche, ohne eindringen zu können, Bittsteller und Kläger, zurückgehalten von einem beinahe blinden und einarmigen alten Schreiber, belagerten.

»Erklären Sie sich, Herr. Warum wird alles schlecht endigen?«

»Billot, wissen Sie, was ich in diesem Augenblick mache, mein Freund?«

»Sie schreiben, aber den Sinn dieser Zeilen kann ich nicht erraten, ich, der ich nicht einmal lesen kann.«

Pitou erhob schüchtern den Kopf und warf einen Blick auf das Papier, das vor dem Doktor lag.

»Das sind Ziffern,« sagte er.

»Ja, das sind Ziffern. Nun denn! diese Ziffern sind zugleich der Ruin und das Heil von Frankreich.«

»Morgen gedruckt, werden diese Ziffern im Paläste des Königs, im Schlosse der Adeligen und in den Hütten der Armen den vierten Teil von ihren Einkünften fordern.«

»Wie?« machte Billot.

»Oh! meine arme Tante Angélique,« murmelte Pitou, »was für ein Gesicht wird sie schneiden!«

»Was sagen Sie hierzu, mein Braver?« fuhr Gilbert fort. »Man macht Revolutionen, nicht wahr? Nun, sie müssen bezahlt werden!«

»Das ist richtig,« antwortete Billot heldenmütig. »Gut, es sei, man wird sie bezahlen.«

»Bei Gott!« sprach Gilbert, »Sie sind ein überzeugter Mann, und Ihre Antwort hat nichts, was mich in Erstaunen setzt. Aber diejenigen, welche nicht überzeugt sind  . . .«

»Diejenigen, welche es nicht sind?«

»Ja, was werden die thun?«

»Sie werden Widerstand leisten,« sprach Billot mit einem Ton, der sagen wollte, er würde kräftig widerstehen, wenn man den vierten Teil seines Einkommens von ihm fordern sollte, um ein seiner Überzeugung entgegengesetztes Werk zu vollbringen.

»Dann Kampf,« versetzte Gilbert.

»Doch die Majorität ist da, um ihren Willen durchzusetzen«

»Also Unterdrückung.«

Anfangs sah Billot Herrn Gilbert mit einem Blicke des Zweifels an; dann glänzte ein verständiger Blitz in seinem Auge.

»Warten Sie Billot,« sprach der Doktor, »ich weiß, was Sie mir sagen wollen. Die Adeligen und die Geistlichkeit haben alles, nicht wahr?«

»Das ist gewiß. Auch die Klöster  . . .«

»Die Klöster?«

»Die Klöster haben Überfluß.«

»Notum certumque,« brummte Pitou.

»Die Adeligen bezahlen keine verhältnismäßigen Abgaben. So bezahle ich, ein Pächter, mehr als das Doppelte der Steuern, die die drei Brüder von Charny, meine Nachbarn, bezahlen, welche miteinander mehr als zweimalhunderttausend Livres Einkünfte haben.«

»Aber sprechen Sie,« fuhr Gilbert fort, »glauben Sie, die Adeligen und die Priester seien weniger Franzosen als Sie?«

Pitou spitzte die Ohren bei diesen Worten, die damals als Ketzerei klangen, wo der Patriotismus nach der Solidität der Ellenbogen auf der Grève gemessen wurde.

»Nicht wahr, mein Freund, Sie glauben es nicht. Sie können es nicht anerkennen, daß die Adeligen und diese Priester, die alles verschlingen und nichts wiedergeben, ebenso gute Patrioten seien als Sie?«

»Das ist wahr.«

»Irrtum, mein Lieber, Irrtum. Sie sind es mehr, und ich will es Ihnen beweisen»«

»Ho! ho! ich leugne das.«

»Wegen der Privilegien, nicht wahr?«

»Bei Gott!«

Warten Sie.«

»Oh! ich warte.«

»Nun denn! ich gebe Ihnen die Versicherung, Billot, daß binnen drei Tagen der privilegierteste Mensch in ganz Frankreich derjenige sein wird, welcher nichts besitzt.«

»Wieso?« fragte der Pächter.

»Hören Sie, Billot diese Adeligen und die Geistlichen, die Sie der Selbstzucht bezichtigen, fangen an, von dem Patriotismus-Fieber ergriffen, zu werden, das die Runde in Frankreich zu machen im Begriff ist. In diesem Augenblick versammeln sie sich wie die Schafe am Rande des Grabens; sie beraten sich; der Kühnste springt schon morgen, übermorgen, vielleicht heute Abend. Und nach ihm werden alle andren springen.«

»Was meinen Sie damit,« Herr Gilbert?

»Damit meine ich, ihren Vorrechten entsagend, werden sie als Lehensherren ihre Bauern frei geben, als Grundherren auf ihre Pachtzinse verzichten, als Adelige mit den Taubenhäusern ihre Tauben loslassen.«

»Ho! ho!« rief Pitou erstaunt, »Sie glauben, sie werden dies alles frei geben?«

»Oh!« sagte Billot leuchtend, »das ist die glänzende Freiheit. Hernach aber, wenn wir alle frei sind, was werden wir thun?«

»Ah!« versetzte Billot ein wenig verlegen, »was wir thun werden? man wird sehen.«

»Oh! das ist das äußerste Wort,« rief Gilbert. »Man wird sehen!«

Er stand mit einer düsteren Miene auf und ging einige Augenblicke stillschweigend auf und ab; dann kehrte er zum Pächter zurück, nahm dessen schwielige Hand mit einem Ernste, der einer Drohung glich, und sprach:

»Ja, man wird sehen. Ja, wir werden alle sehen, du wie ich, ich wie du, er wie ich. Und daran dachte ich gerade vorhin, als du bei mir die Kaltblütigkeit fandst, die dich so sehr in Erstaunen gesetzt hat.«

»Sie erschrecken mich! Das Volk einig, sich umfangend, sich gegenseitig anschließend, um zur allgemeinen Wohlfahrt beizutragen, das ist ein Gegenstand, der Sie verdüstert, Herr Gilbert?«

Dieser zuckte die Achseln.

Dann fuhr Billot seinerseits fragend fort:

»Was werden aber Sie von sich selbst sagen, wenn Sie heute zweifeln, nachdem Sie, der neuen Welt die Freiheit gebend, in der alten alles dazu vorbereitet haben?«

Billot, erwiderte Gilbert, du hast, ohne es zu vermuten, ein Wort ausgesprochen, das den Sinn des Rätsels enthält. Dieses Wort, das Lafayette ausspricht und das niemand, vielleicht er selbst nicht begreift, ja, wir haben der neuen Welt die Freiheit gegeben.

»Ihr Franzosen? Das ist schön!«

»Das ist schön, aber es wird sehr teuer sein,« erwiderte Gilbert traurig.

»Bah! das Geld ist ausgegeben, die Rechnung ist bezahlt,« sprach Billot heiter. »Ein wenig Gold, wie Blut, und die Schuld ist abgetragen.«

»Ein Blinder!« versetzte Gilbert, »ein Blinder muß es sein, der in dieser Morgenröte des Westens den Keim des Untergangs von uns allen nicht sieht! Warum sollte ich die Leute anklagen, ich, der ich ihn ebensowenig gesehen habe als sie? Der neuen Welt die Freiheit gegeben haben, Billot, ich fürchte es sehr, heißt die alte zu Grunde gerichtet haben.«

»Rerum novus nascitur ordo,« sprach Pitou mit einer großen revolutionären Dreistigkeit.

»Stille, Kind,« sagte Gilbert.

»War es denn schwieriger, die Engländer zu unterwerfen, als die Franzosen zu beruhigen?« fragte Billot.

»Neue Welt,« wiederholte Gilbert, »das heißt reiner Platz, glatter Tisch; keine Gesetze, keine Mißbräuche, keine Ideen, aber auch keine Vorurteile. In Frankreich dreißigtausend Quadratmeilen für dreißig Millionen Menschen, das heißt: im Falle einer Teilung des Platzes kaum für jeden eine Wiege und ein Grab. Dort, in Amerika finden sich zweimalhunderttausend Quadratmeilen für drei Millionen Menschen; ideale Grenzen mit der Wüste, das heißt der Raum mit dem Meer, mit der Unermeßlichkeit; bei diesen zweimalhunderttausend Meilen haben wir auf tausend Meilen schiffbare Flüsse, Urwälder, das heißt alle Elemente des Lebens, der Zivilisation und der Zukunft. Oh! wie leicht ist es, Billot, wenn man Lafayette heißt und den Degen zu führen versteht, wenn man Washington heißt und die Überlegenheit des Geistes besitzt, wie leicht ist es, gegen Mauern von Holz, von Stein, von Erde oder von Menschenfleisch zu kämpfen! Wenn man aber, statt zu gründen, zerstört, wenn man in der alten Ordnung der Dinge, die man angreift, einstürzende Mauern von Ideen, und hinter die Trümmer dieser Mauern selbst so viele Leute und so viele Interessen sich flüchten sieht; wenn man, nachdem man den Gedanken gefunden hat, wahrnimmt, man werde dieses Volk, um ihm den Gedanken beizubringen, erst decimieren müssen, decimieren vom erinnerungsvollen Greise bis zum schülerhaften Kinde, vom monumentalen Gedächtnis an bis zum keimenden Instinkt: dann, o dann, Billot, ist es eine Aufgabe, die diejenigen beben macht, welche jenseits des Horizonts sehen. Billot, ich habe ein scharfes Gesicht, und ich bebe.«

»Verzeihen Sie, mein Herr, sagte Billot mit seinem gesunden Verstand, Sie beschuldigten mich vorhin, ich hasse die Revolution, und nun machen Sie mir sie abscheulich.«

»Habe ich dir denn gesagt, ich verzichte?«

»Errare humanum est,« murmelte Pitou, »sed perseverare diabolicum

Und er zog seine Füße mit den Händen an sich.

»Ich werde dennoch beharrlich sein, fuhr Gilbert fort, »denn während ich die Hindernisse sehe, erschaue ich auch das Ziel, und das Ziel ist glänzend; es ist nicht nur die Freiheit Frankreichs, die ich träume, es ist die Freiheit der ganzen Welt. Es ist nicht nur die physische Gleichheit, es ist die Gleichheit vor dem Gesetz; es ist nicht nur die Verbrüderung zwischen den Bürgern, es ist die Verbrüderung zwischen den Völkern. Ich werde dabei meine Seele aushauchen und meinen Leib lassen, fügte Gilbert schwermütig bei; doch gleichviel, der Soldat, den man zur Erstürmung einer Festung schickt, sieht die Kanonen, sieht die Kugeln, die man hinein ladet, sieht die Leute, die man ihnen gegeben hat; er fühlt, daß dieses Stück Eisen ihm die Brust durchbohren wird, – aber er geht, die Festung muß genommen sein. Nun denn! wir sind alle Soldaten, Vater Billot. Vorwärts! und auf unsern umhergestreuten Leibern möge eines Tags die Generation vorwärts schreiten, deren Vorhut dieses Kind hier ist.«

»Ich weiß wahrhaftig nicht, warum Sie verzweifeln,« Herr Gilbert, »etwa weil ein Unglücklicher auf der Grève ermordet worden ist?«

»Warum hast du dann Abscheu? Gehe, Billot, morde auch.«

»Ah! was sagen Sie,« Herr Gilbert!«

»Ei! man muß konsequent sein  . . . Du bist ganz bleich, ganz zitternd gekommen, Du, der Du so muthig und so stark bist, und hast mir gesagte ich bin abgemattet; ich habe Dir in’s Gesicht gelacht, Billot und nun, wenn ich Dir erkläre, warum Du bleich, warum Du abgemattet warst, lachst Du Deinerseits über mich.«

»Sprechen Sie! lassen Sie mir aber vor Allem die Hoffnung, daß ich geheilt, getröstet nach meinem Lande zurückkehren werde.«

»Das Land, höre, Billot, da ist unsere ganze Hoffnung. Das Land. – eine schlafende Revolution, die sich alle tausend Jahre rührt und dem Königthum den Schwindel gibt, so oft sie sich rührt. Das Land wird sich auch rühren, wenn die Stunde kommt, die vorhin von Dir erwähnten schlecht erworbenen Güter, welche den Adel oder die Geistlichkeit verschlämmen, zu kaufen oder zu erobern. Doch um das Land zur Ernte der Ideen anzutreiben, muß man den Bauern zur Eroberung der Erde antreiben. Der Mensch, indem er Eigenthümer wird, wird frei. Uns, den bevorzugten Arbeitern, für welche Gott den Schleier der Zukunft zu lüften einwilligt, uns die furchtbare Arbeit, die,nachdem sie dem Volke die Freiheit gegeben, ihm das Eigenthum geben wird  . . . Hierbei, Billot, gute Arbeit und schlechte Belohnung vielleicht, aber thätige mächtige Arbeit, voller Freuden und Schmerzen, voll des Ruhmes und der Verleumdung; dort kalter, ohnmächtiger Schlaf in Erwartung eines Erwachens, das auf unsere Stimme stattfinden, einer Morgenröthe, welche von uns kommen wird  . . . Ist das Land einmal wach, dann wird unsere blutige Arbeit beendigt sein, und seine friedliche Arbeit beginnen.«

»Welchen Rat geben Sie mir also, Herr Gilbert?«

»Willst du deinem Vaterlande, der Nation, deinen Brüdern, der Welt nützlich sein, so bleibe hier; nimm einen Hammer und arbeite in der Werkstätte Vulkans, wo die Blitze für die Welt geschmiedet werden.«

»Bleiben, um morden zu sehen, um vielleicht dazu zu kommen, daß ich selbst morde?«

»Wieso? versetzte Gilbert mit einem bleichen Lächeln. Du morden, Billot, was sagst du denn da?«

»Ich sage, daß, wenn ich hier bleibe, wie Sie mich dazu auffordern,« rief Billot ganz zitternd, ich sage, daß der erste, den ich einen Strick an eine Laterne binden sehe, ich sage, daß ich diesen mit meinen Händen aufhänge.«

Gilbert vollendete sein feines Lächeln.

»Ah! Du verstehst mich, und du bist nun auch Mörder,« sagte er.

»Ja, Mörder von Schurken.«

»Sprich, Billot, du hast Losme, de Launay, Flesselles, Foulon und Berthier ermorden sehen?«

»Ja.«

Welche Namen erhielten sie von jenen, durch die sie ermordet wurden?

»Schurken, ja, aber ich habe recht,« versetzte Billot.

»Du wirst recht haben, wenn du aufhängst, ja; doch wenn du gehenkt bist, so wirst du unrecht haben.«

Billot neigte das Haupt unter diesem Keulenschlage, doch plötzlich erhob er es voll Adel wieder und sprach:

»Werden Sie behaupten, diejenigen, welche wehrlose und unter dem Schutz der öffentlichen Ehre stehende Personen ermorden, seien Franzosen, wie ich einer bin?«

»Ah!« erwiderte Gilbert, »das ist etwas andres. Ja, es giebt in Frankreich mehrere Arten von Franzosen. Es giebt vor allem das französische Volk, von dem Pitou ist, von dem ich bin, von dem du bist; ferner giebt es die französische Geistlichkeit und dann den französischen Adel. Drei Arten von Franzosen in Frankreich. Jeder ein Franzose aus seinem Gesichtspunkt, nämlich aus dem Gesichtspunkt seiner Interessen, und zwar abgesehen vom König von Frankreich, einem Franzosen auf seine Weise. Ah! Billot, hier siehst du, in der verschiedenen Manier, Franzose zu sein, in der verschiedenen Manier aller dieser Franzosen, eben hierin steckt der Grund der Revolution. Du wirst Franzose sein auf deine Art, der Abbé Maury wird Franzose sein auf eine andre Art als du, Mirabeau wird Franzose sein auf eine andere Art als der Abbé Maury, der König endlich wird Franzose sein auf eine andre Art als Mirabeau. Nun! Billot, mein vortrefflicher Freund, Mann mit dem redlichen Herzen und dem gesunden Verstande, du bist soeben in den zweiten Teil der Frage, die ich behandle, eingegangen  . . .. Mache mir das Vergnügen und wirf einen Blick auf dieses,« fügte Gilbert bei.

Und er reichte dem Pächter ein gedrucktes Papier.

»Was ist das?« fragte Billot, während er das Papier nahm. »Ei! Sie wissen wohl, daß ich nicht lesen kann.«

»So sage es du, Pitou.«

Pitou stand auf, erhob sich auf den Fußspitzen und schaute über die Schulter des Pächters.

Das ist nicht französisch, sagte er; das ist nicht lateinisch, das ist auch nicht griechisch.

»Das ist englisch,« erwiderte Gilbert.

»Ich verstehe das Englische nicht,« sprach hoffärtig Pitou.

»Ich verstehe es,« sagte Gilbert, »und ich werde euch dieses Papier übersetzen; doch leset die Unterschrift.«

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