Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 30
»Pitt,« las Pitou, »doch was ist das, Pitt?«
»Ich will es euch erklären,« erwiderte Gilbert.
XLIII.
Die Pitt
»Pitt,« sprach Gilbert, »dies ist der Sohn von Pitt.«
»Ah!« sagte Pitou, »gerade wie in der h. Schrift; es giebt also einen Pitt den Ersten und einen Pitt den Zweiten.«
»Ja, und dieser Pitt der Erste, meine Freunde . . . Höret wohl, was ich Euch sagen werde:«
»Dieser Pitt der Erste war dreißig Jahre lang der geschworene Feind Frankreichs; er bekämpfte aus seinem Kabinette heraus, an das ihn die Gicht fesselte, Montcalm und Vaudereuil in Amerika, den Bailly von Suffren und d'Estaing auf dem Meere, Noailles und Broglie auf dem Festlande. Dieser Pitt der Erste hatte den Grundsatz gehabt, man müsse die Franzosen von Europa entthronen; dreißig Jahre hindurch nahm er uns, eine um die andre, alle unsre Kolonien, eines um das andre, alle unsre Kontors, das ganze Uferland von Indien, fünfzehnhundert Meilen in Kanada; dann, als er sah, daß Frankreich zu drei Vierteln zu Grunde gerichtet war, stiftete er seinen Sohn gegen dasselbe an, um es vollends zu Grunde zu richten.
»Ah! ah! sagte Billot, sichtbar interessiert, »also der Pitt, den wir haben . . .«
»Ganz richtig,« sprach Gilbert, »das ist der Sohn des Pitt, den Ihr schon kennt, Vater Billot, den Pitou kennt, den das Weltall kennt und der im vorigen Mai dreißig Jahre alt gewesen ist.«
»Dreißig Jahre?
»Ihr seht, ob er seine Zeit gut angewendet hat, meine Freunde . . . nun, schon seit sieben Jahren regiert er in England, sieben Jahre bringt er die Theorien seines Vaters in Ausführung.
»Wir haben also noch einige Zeit an ihm,« versetzte Billot.
»Ja, um so mehr, als der Lebensatem bei den Pitt kräftig ist. Laßt mich einen Beweis davon geben.«
»Im Jahre 1778 lag unser Feind im Sterben. Die Aerzte hatten ihm angekündigt, sein Leben hänge nur noch an einem Faden, und die geringste Anstrengung würde diesen Faden zerreißen. Man stritt damals im vollen Parlament über die Frage, ob man die amerikanischen Kolonien ihrem Verlangen gemäß nicht freigeben sollte, um den Krieg zu unterdrücken, der von den Franzosen angeregt, den ganzen Reichtum und alle Soldaten Großbritanniens zu verschlingen drohte.«
»Das war in dem Augenblick, wo Ludwig XVI., unser guter König, dem von der ganzen Nation der Titel: wahrer Vater der französischen Freiheit, erteilt worden war, feierlich die Unabhängigkeit Amerikas anerkannt hatte; dort, auf den Schlachtfeldern und im Rate waren das Schwert und das Genie der Franzosen überwiegend gewesen. England ließ Washington, das heißt dem Haupte der Insurgenten, die Anerkennung der amerikanischen Nationalität anbieten, wenn sich die neue Nation gegen die Franzosen umdrehen und sich mit England verbinden wollte.«
»Aber mir scheint,« sagte Billot, »das war kein redlicher Vorschlag, weder um ihn zu machen, noch um ihn anzunehmen.«
»Mein lieber Billot, man nennt das Diplomatie, und in der politischen Welt bewundert man sehr diese Art von Ideen. Nun denn! Billot, für so unmoralisch Sie die Sache hielten, vielleicht hätte man, trotz Washingtons, des Redlichsten der Menschen, Amerikaner gefunden, die geneigt gewesen wären, um den Preis dieser schmählichen Einräumung gegen England den Frieden zu erkaufen.
»Aber Lord Chatam, der Vater von Pitt, dieser ans Krankenbett Gebannte, dieser Sterbende, dieses Gespenst, das schon bis an die Kniee ins Grab getreten war, gab seinen Arm seinem Sohn William Pitt, damals ein junger Mensch von neunzehn Jahren, und seinem Schwiegersohn; er hatte kostbare Kleider angezogen, eine Hülle, die seiner gerippähnlichen Magerkeit zu spotten schien. Bleich wie ein Gespenst, das Auge halb tot unter den erschlaffenden Lidern, ließ er sich zu seiner Bank führen, während alle Lords, erstaunt über die unerwartete Erscheinung, sich bewunderungsvoll verbeugten, wie es der römische Senat bei der Rückkehr des schon toten und vergessenen Tiberius hätte thun können.
»Stillschweigend, mit einer tiefen Aufmerksamkeit hörte er die Rede von Lord Richmond, dem Urheber des Antrags, und als dieser geendigt hatte, stand Chatam auf, um zu antworten.
»Da fand dieser tote Mann die Kraft, um drei Stunden zu sprechen; er fand Feuer in seinem Herzen, um den Blitz seiner Blicke zu entzünden; er fand in seiner Seele Töne, die alle Herzen bewegten.
»Es ist wahr, er sprach gegen Frankreich, er hauchte seinen Landsleuten den Haß ein, er hatte alle seine Kräfte und sein ganzes Feuer heraufbeschworen, um das Land, den verhaßten Nebenbuhler des seinigen, zu Grunde zu richten und zu verschlingen. Er verbot, daß Amerika als unabhängig anerkannt würde, er verbot die ganze Verhandlung und schrie: Krieg! Krieg! Er erklärte, es sei die Pflicht jedes Engländers, eher zu Grunde zu gehen, als zu dulden, daß eine Kolonie sich vom Mutterlande loßreiße.
»Er endigte seine Rede, schleuderte seine letzte Drohung hin und fiel, wie vom Schlage getroffen, nieder.
»Er hatte nichts mehr auf dieser Welt zu thun; man trug ihn verscheidend weg. Einige Tage nachher war er tot.
»Ho! ho! riefen gleichzeitig Billot und Pitou, was für ein Mann ist dieser Lord Chatam!«
»Das war der Vater des jungen Mannes von dreißig Jahren, der uns beschäftigt, sprach Gilbert, Chatam starb mit siebzig Jahren. Sein Sohn ist der Mann, der Großbritannien regiert, der zu dieser Stunde Ludwig XVI. einen tödlichen Haß geschworen hat; der Verfasser der Abhandlung von 1778; derjenige endlich, welcher nicht frei atmen wird, solange es in Frankreich noch eine geladene Flinte und eine volle Tasche giebt. Fangt Ihr an zu begreifen?«
»Ich begreife, daß er Frankreich sehr haßt. Ja, das ist wahr, aber ich sehe noch nicht recht . . .«
»Nun, so leset diese vier Worte.«
Und er reichte das Papier Pitou.
»Englisch,« versetzte dieser.
»Do not mind the money,« »seht nicht auf das Geld,« sagte der Doktor. »Und später, da er auf dieselbe Ermahnung zurückkommt:
»Heißt sie das Geld nicht sparen und mir keine Rechenschaft ablegen.«
»Dann bewaffnen sie,« sagte Billot.
»Nein, sie bestechen.«
»An wen ist dieser Brief gerichtet?«
»An jedermann und an niemand. Dieses Geld, das man giebt, ausstreut, verschwendet, man giebt es Bauern, Arbeitern, Elenden, Leuten endlich, die uns die Revolution verderben werden.«
Vater Billot neigte das Haupt. Dieses Wort erklärte viele Dinge.
»Hätten Sie de Launay mit einem Kolbenschlag getötet?«
»Nein.«
»Hätten Sie Flesselles mit einem Pistolenschuß umgebracht?
»Nein.«
»Hätten Sie Foulon gehenkt?«
»Nein.«
»Hätten Sie das blutige Herz von Berthier auf den Tisch der Wähler gebracht?«
»Schändlichkeit!« rief Billot. Das heißt, wie strafbar auch dieser Mensch sein mochte, ich hätte mich in Stücke hauen lassen, um ihn zu retten; und zum Beweise mag dienen, daß ich in seiner Verteidigung verwundet worden bin, und ohne Pitou der mich nach dem Ufer des Flusses zog . . .
»Oh! das ist wahr,« sagte Pitou, »ohne mich hätte er eine schlimme Viertelstunde durchzumachen gehabt, der Vater Billot.«
»Nun denn! Sehen Sie, Billot, es giebt viele Leute, die handeln werden, wie Sie, wenn sie nur eine Unterstützung in ihrer Nähe fühlen. Ueberläßt man sie aber den bösen Beispielen, dann arten sie aus, werden boshaft, grimmig, wütend; und wenn einmal das Uebel geschehen ist, dann macht es niemand ungeschehen.«
»Aber,« entgegnete Billot, »ich gebe zu, daß Herr Pitt, oder vielmehr sein Geld, an dem Tode Flesselles, Foulons, Berthiers Anteil gehabt hat, welchen Nutzen wird er daraus ziehen?«
Gilbert lachte auf jene stille Art, welche die Einfältigen in Erstaunen setzt, und die Denker beben macht.
»Welchen Nutzen er daraus ziehen werde, fragen Sie? Ich will es Ihnen sagen: Sie lieben die Revolution sehr, nicht wahr? Sie, der Sie im Blute gewatet sind, um die Bastille zu nehmen?«
»Ja, ich liebte Sie.«
»Wohl, nun lieben Sie sie weniger. Nun sehnen Sie sich nach Villers-Cotterets, nach der Ruhe Ihrer Ebene, nach dem Schatten Ihrer großen Wälder zurück.«
»Frigida Tempe,« murmelte Pitou.
»Oh! ja. Sie haben recht,« sprach Billot.
»Nun denn! Sie, Vater Billot, Sie, der Pächter, der Grundeigentümer, Sie, das Kind der Ile-de-France und folglich ein alter Franzose, Sie repräsentieren den dritten Stand, Sie sind von dem, was man die Majorität nennt. Sie aber sind der Sache überdrüssig.«
»Ich gestehe es.«
»Dann wird die Majorität überdrüssig werden wie Sie! Und eines Tages strecken Sie die Arme den Soldaten des Herrn von Braunschweig oder des Herrn Pitt entgegen, die im Namen dieser zwei Befreier Frankreichs kommen werden, um Ihnen die gesunden Lehren zurückzugeben.«
»Nie.«
»Bah! warten Sie doch!«
»Flesselles, Berthier und Foulon waren im Grunde Schurken,« wagte Pitou einzuwenden.
»Wahrhaftig! wie Herr von Sartines und Herr von Maurepas Schurken waren; wie es Herr d'Argenson und Herr Philippeaux vor ihnen waren, wie Herr Law einer war, wie es die Duvernye, die Leblanc und die Pairs waren; wie Herr Fouquet einer, wie Mazarin ein andrer war; wie Samblancey, wie Enguerand von Marigny Schurken waren; wie Herr von Brienne einer für Herrn von Calonne, und Herr von Calonne einer für Herrn Necker ist, – und wie Herr Necker einer für das Ministerium sein wird, das wir in zwei Jahren haben werden.«
»Ho! ho! Doktor,« murmelte Billot, »Herr Necker ein Schurke, niemals.«
»Wie Sie, mein lieber Billot, ein Schurke für den kleinen Pitou sein würden, wenn ein Agent des Herrn Pitt imstande wäre, ihm unter dem Einfluß von einem Schoppen Branntwein und zehn Franken für den Tag, gewisse Theorieen im Aufruhrmachen beizubringen. Dieses Wort Schurke, sehen Sie, mein lieber Billot, ist das Wort, mit dem man in der Revolutionszeit den Menschen bezeichnet, der anders denkt, als man selbst denkt; wir sind bestimmt, es alle zu tragen, mehr oder weniger. Einige werden es soweit tragen, daß es ihnen ihre Landsleute noch auf ihr Grab schreiben, andre noch weiter, daß die Nachwelt den Beinamen bestätigen wird. Das ist es, mein lieber Billot, was ich sehe, und was Sie nicht sehen. Billot, Billot, die redlichen Leute dürfen sich also nicht zurückziehen.«
»Bah!« erwiderte Billot, »wenn die redlichen Leute sich zurückzögen, so würde die Revolution darum nichtsdestoweniger ihren Fortgang nehmen; sie ist einmal entfesselt!«
Ein neues Lächeln trat auf die Lippen Gilberts.
»Großes Kind!« sagte er, »wer verläßt den Pflug, wer spannt die Pferde aus, und sagt: Gut, der Pflug bedarf meiner nicht, er wird seine Furche ohne mich ziehen. Aber, mein Freund, diese Revolution, wer hat sie denn gemacht? die ehrlichen Leute, nicht wahr?«
»Frankreich schmeichelt sich damit. Mir scheint, Lafayette, Bailly, Necker sind ehrliche Männer; mir scheint, Herr Elie und Herr Hullin, Herr Maillard, welche mit mir kämpften, sind ehrliche Leute; mir scheint endlich, Sie selbst . . .«
»Nun denn, Billot, wenn die ehrlichen Leute sich zurückziehen, wer wird dann arbeiten? Diese Elenden, diese Mörder, diese Schurken, die Lohnknechte von den Handlangern des Herrn Pitt.«
»Antworten Sie ein wenig hierauf, Vater Billot,« sagte Pitou überzeugt.
»Nun denn,« erwiderte Billot, »man wird sich bewaffnen und sie niederschießen wie Hunde.«
»Wer wird sich bewaffnen?«
»Jedermann.«
»Billot, Billot, wollen Sie sich nur eines Umstandes erinnern, mein guter Freud, wollen Sie sich erinnern, wie man das, was wir in diesem Augenblicke treiben, nennt?«
»Das nennt man Politik, Herr Gilbert.«
»Wohl, in der Politik giebt es kein absolutes Verbrechen, man ist ein Schurke oder ein redlicher Mann, je nachdem man die Interessen desjenigen, welcher uns beurteilt, verletzt oder ihnen dient. Sobald wir einmal so weit sein werden, nehmen wir uns in acht, Billot. Es sind Leute am Sterz und Pferde an den Strängen des Pfluges. Er geht, Billot, er geht, und zwar ohne uns.«
»Das ist erschrecklich,« sagte der Pächter. »Doch wenn er ohne uns geht, wohin wird er gehen?«
»Gott weiß es!« erwiderte Gilbert, »ich weiß es nicht.«
»Nun denn! wenn Sie es nicht wissen, Sie, der Sie ein Gelehrter sind, Herr Gilbert, um so viel weniger kann ich es wissen, ich, der ich ein Ungelehrter bin. Ich entnehme also hieraus das beste, was wir, Pitou und ich, thun können. Wir kehren nach Pisseleux zurück. Wir werden wieder zum Pfluge greifen, ich meine den wahren Pflug, den von Eisen und Holz, mit dem man die Erde umwühlt, und nicht den von Fleisch und Knochen, genannt das französische Volk, das hinten ausschlägt, wie ein zuchtloses Pferd. Wir werden Getreide bauen, statt Blut zu vergießen, und frei und freudig als Herren bei uns leben. Kommen Sie, kommen Sie, Herr Gilbert! Teufel, ich mag gern wissen, wohin ich gehe.«
»Einen Augenblick Geduld, mein wackeres Herz, sprach Gilbert, nein, ich weiß nicht, wohin ich gehe, ich habe es Ihnen gesagt, und ich wiederhole es; doch ich gehe und will immer gehen. Meine Pflicht ist vorgeschrieben, mein Leben gehört Gott; aber meine Werke sind eine Schuld, die ich dem Vaterland zu bezahlen habe. Ich verlange bloß, daß mir die Stimme meines Gewissens zurufen kann: Gehe, Gilbert, du bist auf gutem Wege! Das ist alles, was ich brauche. Täusche ich mich, so werde die Menschen mich bestrafen, aber Gott wird mich freisprechen.«
»Zuweilen strafen aber die Menschen sogar diejenigen, welche sich nicht täuschen. Sie sagten es vorhin.«
»Und ich sage es noch. Gleichviel; ich harre aus, Billot. Irrtum oder nicht, ich fahre fort. Gott behüte mich, daß ich behaupte, das Ereignis werde meine Ohnmacht nicht beweisen; aber vor allem, Billot, der Herr hat gesagt: Friede den Menschen von gutem Willen. Seien wir also diejenigen, welchen der Herr seinen Frieden verspricht. Schau, Herrn Lafayette an, sowohl in Amerika als in Frankreich nützt er schon den dritten Schimmel ab, diejenigen nicht zu rechnen, welche er noch abnutzen wird; schau Herrn Bailly an, der seine Lunge abnutzt, schau den König an, de seine Popularität abnutzt. Nutzen wir uns ein wenig ab, mein Freund; bleibe bei mir, Billot.«
»Wozu, wenn wir das Böse nicht verhindern?«
»Billot, wiederhole dieses Wort nie, denn ich würde dich weniger schätzen. Du hast Fußtritte, hast Faustschläge, Kolbenstreiche, du hast selbst Bajonettstiche bekommen, als du Foulon und Berthier retten wolltest.«
»Ja und sogar viel,« antwortete der Pächter, indem er mit der Hand über seine noch schmerzenden Glieder strich.
»Mir ist das Auge beinahe ausgeschlagen worden,« sagte Pitou.
»Und alles dies umsonst,« fügte Billot bei.
»Nun, wenn Ihr statt zu zehn oder zwanzig von Eurem Mute zu sein, zu zweihundert, dreihundert gewesen wäret, so würdet ihr den Unglücklichen seinem gräßlichen Tode entrissen und der Nation eine Schmach erspart haben. Darum, statt daß du nach dem Lande zurückkehrst, das ziemlich ruhig ist, darum verlange ich von dir, soweit ich etwas von dir verlangen kann, mein Freund, daß du in Paris bleibest, damit ich unter der Hand einen starken Arm, ein rechtschaffenes Herz habe, damit ich meinen Geist und mein Werk auf dem redlichen Probierstein deines gesunden Verstandes und deiner reinen Vaterlandsliebe erprobe, damit endlich du, – wenn ich statt Gold, das wir nicht haben, die Liebe für das Vaterland und das öffentliche Wohl verbreite, – bei einer Menge unglücklicher Verirrter mein Agent sein mögest; damit du mein Stab seist, wenn ich am Ausglitschen bin, mein Stock, wenn ich zu schlagen habe.«
»Der Hund eines Blinden,« sagte Billot mit einer erhabenen Einfachheit.
»Ganz richtig,« erwiderte Gilbert mit demselben Tone.
»Nun denn, ich nehme das an,« sprach Billot; »ich werde sein, was Sie verlangen.«
»Ich weiß, daß du alles verlässest, Vermögen, Frau, Kinder, Glück! Doch sei unbesorgt, das wird nicht für lange sein.
»Und ich,« fragte Pitou, »was werde ich thun?«
»Du,« erwiderte Gilbert, indem er den naiven, kräftigen, auf seinen Verstand sich wenig einbildenden Jungen anschaute, »du wirst nach Pisseleux zurückkehren, um die Familie Billots zu trösten und ihr die heilige Sendung zu erklären, die er übernommen hat.«
»Auf der Stelle!« rief Pitou, indem er bei dem Gedanken, zu Katharine zurückzukehren, vor Freude zitterte.
»Billot,« sagte Gilbert, »geben Sie ihm Ihre Anweisungen.«
»Höre,« sprach Billot.
»Katharine ist von mir zur Gebieterin des Hauses ernannt. Verstehst du?«
»Und Frau Billot?« versetzte Pitou, ein wenig erstaunt über diese Hintansetzung der Mutter zu Gunsten der Tochter.
»Pitou,« sprach Gilbert, nachdem er den heimlichen Leitgedanken Billots an einer dem Familienvater zur Stirne gestiegenen, leichten Röte schnell erraten hatte, erinnere dich des arabischen Sprichworts: »Hören ist gehorchen.«
Pitou errötete ebenfalls; er hatte seine Unbescheidenheit beinahe begriffen und gefühlt.
»Katharine ist der Geist der Familie,« sprach Billot ohne Umstände, um seine Gedanken zu punktieren.
Gilbert verbeugte sich beipflichtend.
»Ist das alles?« fragte der Junge.
»Für mich, ja,« antwortete Billot.
»Aber nicht für mich,« sagte Gilbert.
»Pitou, du wirst mit einem Briefe von mir nach dem College Louis-le-Grand gehen; du wirst diesen Brief dem Abbé Berardier einhändigen; er wird dir Sebastian übergeben, und du wirst ihn zu mir bringen. Wenn ich meinen Sohn umarmt habe, führst du ihn nach Villers-Cotterets, wo du ihn dem Abbé Fortier übergiebst, damit er mir nicht zu viel Zeit verliert. An den Sonntagen und Donnerstagen wird er mit dir ausgehen; laß ihn, ohne etwas zu fürchten, durch Wald und Flur wandern; es taugt mehr für meine Ruhe und für seine Gesundheit, wenn er dort ist.«
»Ich habe begriffen,« rief Pitou, darüber entzückt, zugleich die Freundschaften aus der Kinderzeit und die unbestimmten Regungen eines gereifteren Gefühls in sich zu finden, das bei dem zauberhaften Namen Katharines in ihm erwachte.
Er stand auf, und nahm von Gilbert, der lächelte, und von Billot, der träumte, Abschied.
Dann lief er weg, um Sebastian Gilbert, seinen Milchbruder, beim Abbé Berardier zu holen.
»Und wir,« sagte Gilbert zu Billot, »wir wollen arbeiten.«
XLIV.
Medea
Auf die furchtbaren moralischen und politischen Aufregungen in Versailles war ein wenig Ruhe gefolgt.
Der König lebte wieder frisch auf, und während er zuweilen an das dachte, was sein bourbonischer Stolz bei dieser Fahrt nach Paris zu leiden gehabt hatte, tröstete er sich mit dem Gedanken seiner wiedererlangten Volksbeliebtheit.
Während dieser Zeit organisierte Herr Necker und verlor ganz sachte seine Popularität.
Was den Adel betrifft, so fing er an, seinen Abfall oder seinen Widerstand vorzubereiten.
Das Volk wachte und wartete.
In sich selbst zurückgezogen, überzeugt, daß sie der Zielpunkt alles Hasses sei, machte sich die Königin mittlerweile sehr klein, sie verstellte sich; denn sie wußte wohl, daß sie, während sie der Zielpunkt von vielen Gehässigkeiten, zugleich auch das Ziel von vielen Hoffnungen war.
Seit der Reise des Königs nach Paris hatte sie Gilbert kaum wiedergesehen.
Einmal übrigens war er ihr in dem Vorzimmer, das nach den Gemächern des Königs führt, begegnet.
Und hier, da er sich tief vor ihr verbeugte, fing sie zuerst das Gespräch an.
»Guten Morgen, mein Herr,« sagte sie. »Sie gehen zum König?«
Dann fügte sie mit einem Lächeln bei, unter dem eine gewisse Färbung von Ironie durchdrang: »Als Rat oder als Arzt?«
»Als Arzt, Madame,« antwortete Gilbert. »Ich habe heute den Dienst.«
Sie winkte Gilbert, ihr zu folgen. Beide traten in einen kleinen Salon ein, der vor dem Zimmer des Königs kam.
»Nun! mein Herr,« sagte sie, »Sie sehen wohl, daß Sie mich täuschten, als Sie mir neulich, bei Gelegenheit der Fahrt nach Paris, versicherten, der König laufe keine Gefahr.«
»Ich, Madame?« versetzte Gilbert erstaunt.
»Allerdings; ist nicht auf den König geschossen worden?«
Wer sagt dies, Madame?
»Alle Welt, mein Herr, und besonders diejenigen, welche die arme Frau beinahe unter die Räder des Wagens Seiner Majestät haben fallen sehen. Wer das sagt? Herr von Beauvau, Herr d'Estaing, die Ihren zerrissenen Rock, Herr Gilbert, Ihren durchlöcherten Busenstreif gesehen haben.«
»Madame!«
»Die Kugel, die Sie gestreift hat, mein Herr, konnte den König wohl töten, wie sie die arme Frau getötet hat; denn die Mörder wollten weder Sie, noch die arme Frau töten.«
»Ich glaube nicht an ein Verbrechen,« erwiderte Gilbert zögernd.
»Das mag sein. Doch ich, ich glaube daran,« sprach die Königin, Gilbert fest anschauend.
»In jedem Fall, wenn es ein Verbrechen gewesen ist, darf man es nicht dem Volke zuschreiben.«
Die Königin heftete ihren Blick noch schärfer auf Gilbert.
»Ah!« sagte sie, »und wem muß man es denn zuschreiben? Sprechen Sie.«
»Madame,« fuhr Gilbert, den Kopf schüttelnd fort, »ich sehe und studiere das Volk. Das Volk, wenn es in Revolutionszeiten mordet, das Volk tötet mit seinen eigenen Händen; es ist dann der Tiger in Wut, der gereizte Löwe. Der Tiger und Löwe nehmen keine Mittelsperson, keine Agenten zwischen der Gewalt und dem Opfer; sie töten, um zu töten; sie vergießen das Blut, um es zu vergießen; sie lieben es, ihren Zahn damit zu färben, ihre Klaue darein zu tauchen.«
»Davon sind Foulon und Berthier Zeugen, nicht wahr? Aber ist nicht Flesselles mit einem Pistolenschuß getötet worden? Ich habe es wenigstens sagen hören; doch im Ganzen«, fuhr die Königin mit Ironie fort, vielleicht ist das nicht wahr, wir sind so sehr von Schmeichlern umgeben, wir gekrönten Häupter.«
Gilbert schaute seinerseits die Königin fest an und sagte:
»Oh! bei diesem glauben Sie ebensowenig als ich, Madame, daß ihn das Volk getötet hat. Bei diesem gab es Leute, die dabei interessiert waren, daß er starb.«
Die Königin dachte nach.
»Das ist in der That möglich,« sprach sie.
»Somit . . .« versetzte Gilbert, indem er sich verbeugte, als wollte er die Königin fragen, ob sie ihm noch etwas zu sagen habe.
»Ich begreife, mein Herr,« sprach die Königin, während sie den Doktor sanft durch eine beinahe freundliche Gebärde zurückhielt. »Wie dem auch sein mag, lassen Sie mich Ihnen sagen, daß Sie den König mit Ihrer Kunst nie so thatsächlich retten werden, als Sie ihn mit Ihrer Brust gerettet haben.«
Gilbert verbeugte sich zum zweiten Mal.
Doch da er sah, daß die Königin blieb, blieb er auch.
»Ich hätte Sie wiedersehen sollen,« sagte sie nach einer Pause von einem Augenblick.
»Eure Majestät bedurfte meiner nicht . . .«
»Sie sind bescheiden.«
»Ich möchte es nicht sein.«
»Warum?«
»Wäre ich weniger bescheiden, so wäre ich auch weniger schüchtern und folglich mehr geeignet, meinen Freunden zu dienen oder Feinden zu schaden.«
»Warum sagen Sie: Meine Freunde, und sagen Sie nicht: Meine Feinde?«
»Weil ich keine Feinde habe, oder vielmehr, weil ich es nicht anerkennen will, daß ich welche habe, wenigstens von meiner Seite.«
Die Königin schaute ihn erstaunt an.
»Damit will ich sagen,« fuhr Gilbert fort, »diejenigen seien allein meine Feinde, welche mich hassen; ich aber hasse niemand.«
»Weil?«
»Weil ich niemand mehr liebe, Madame.«
»Sind Sie ehrgeizig, Herr Gilbert?«
»Ich habe einen Augenblick gehofft, es zu werden, Madame, und diese Leidenschaft ist in meinem Herzen nicht zur Reife gekommen.«
»Es bleibt Ihnen jedoch eine,« sprach die Königin mit einer Art von ironischer Feinheit.
»Mir, Madame? Und welche, bei Gott?«
»Die . . . Vaterlandsliebe.«
Gilbert verbeugte sich.
»Oh! das ist wahr,« sprach er, »ich bete mein Vaterland an und werde ihm alle Opfer bringen.«
»Ach!« sagte die Königin mit einem unbeschreiblichen Zauber der Schwermut, »es gab eine Zeit, wo ein Franzose diesen Gedanken nie mit den Worten ausgedrückt hätte, deren Sie sich eben bedienten.«
»Was will die Königin damit sagen?« fragte er.
»Ich will damit sagen, mein Herr, daß es in der Zeit, von der ich rede, unmöglich war, sein Vaterland zu lieben, ohne zugleich seinen König und seine Königin zu lieben.«
Gilbert errötete, verbeugte sich und fühlte in seinem Herzen etwas wie einen Schlag von jener Elektrizität, welche die Königin in ihren verführerischen Vertraulichkeiten von sich ausströmte.
»Madame,« erwiderte Gilbert, »ich darf mich rühmen, daß ich die Monarchie mehr als irgend jemand liebe.«
»Sind wir in einer Zeit, mein Herr, wo es genügt, dies zu sagen, und wäre es nicht besser, es zu thun?«
»Madame,« entgegnete Gilbert erstaunt, »ich bitte Eure Majestät, zu glauben, daß ich alles, was der König oder die Königin befehlen wird . . .«
»Sie werden es thun, nicht wahr?«
»Sicherlich, Madame.«
»Damit, daß Sie es thun, werden Sie nur eine Pflicht erfüllt haben, mein Herr,« sprach die Königin, die unwillkürlich wieder ein wenig von ihrem gewöhnlichen Stolze annahm.
»Madame . . .«
»Gott, der den Königen die Allmacht gegeben hat,« fuhr Marie Antoinette fort, »hat sie von der Verbindlichkeit freigesprochen, gegen die, welche nur ihre Pflicht erfüllen, dankbar zu sein.«
»Ach! ach! Madame,« entgegnete Gilbert, »die Zeit naht heran, wo Ihre Diener mehr als Ihre Dankbarkeit verdienen werden, wenn sie nur ihre Pflicht thun wollen.«
»Was meinen Sie damit, mein Herr?«
»Ich meine, Madame, daß Sie in diesen Tagen der Unordnung und der Zerstörung vergebens da Freunde suchen werden, wo sie Diener zu finden gewohnt sind. Bitten Sie Gott, Madame, er möge Ihnen andre Diener, andre Stützen, andre Freunde schicken, als die, welche Sie haben.«
»Kennen Sie solche?«
»Ja, Madame.«
»So bezeichnen Sie mir sie.«
»Madame, ich, der ich mit Ihnen spreche, war gestern Ihr Feind.«
»Mein Feind, und warum dies?«
»Weil Sie mich einsperren ließen. – Heute, Madame, bin ich Ihr Diener.«
»Und der Endzweck, warum Sie mein Diener geworden sind? Es liegt nicht in Ihrer Natur, mein Herr, so schnell Meinungen, Glauben oder Neigungen zu wechseln. Sie sind ein tiefer Mann in den Erinnerungen, Herr Gilbert, Sie wissen Ihre Rache fortdauern zu lassen. Auf! nennen Sie mir den Endzweck Ihrer Veränderung.«
»Madame, Sie haben mir soeben vorgeworfen, ich liebe mein Vaterland zu sehr.«
»Man liebt es nie zu sehr, mein Herr; es handelt sich nur darum, zu wissen, wie man es liebt. Ich, ich liebe mein Vaterland. (Gilbert lächelte.) Oh! keine falsche Auslegung, mein Herr; mein Vaterland ist Frankreich, ich habe es adoptiert. Eine Deutsche durch das Blut, bin ich Französin durch das Herz. Ich liebe Frankreich; doch ich liebe es durch den König. Und Sie? Nicht wahr, bei Ihnen ist es nicht dasselbe? Sie lieben Frankreich einzig und allein Frankreichs wegen.«
»Madame,« antwortete Gilbert, »ich würde der Achtung gegen Eure Majestät ermangeln, wenn ich der Freimütigkeit ermangelte.«
»Oh!« rief die Königin, «abscheuliche, gräßliche Zeit, wo alle Leute, die redlich zu sein behaupten, zwei Dinge von einander trennen, die sich niemals trennen lassen, zwei Prinzipien, die immer miteinander gegangen sind: Frankreich und sein König. Doch haben Sie nicht ein Trauerspiel von einem Ihrer Dichter, in dem eine von allen verlassene Königin gefragt wird: Was bleibt Euch? Worauf sie antwortet: Ich! Nun denn, ich bin wie Medea, ich bleibe mir, und wir werden sehen.«
Und sie ging zornig weiter und ließ Gilbert ganz erstaunt zurück. Sie hatte durch den Hauch ihres Zornes eine Ecke des Schleiers vor ihm gelüftet, hinter dem sich das ganze Werk der Gegenrevolution ausarbeitete.
»Ah!« sagte er zu sich selbst, während er beim König eintrat, »die Königin geht mit einem Projekt um.«
»Oh!« sagte die Königin zu sich selbst, während sie in ihre Gemächer zurückkehrte, »es ist offenbar nichts mit diesem Menschen zu machen. Er hat wohl Stärke, aber keine Ergebenheit.
Arme Fürsten! bei denen das Wort Ergebenheit gleichbedeutend ist mit Knechtsinn.