Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 34
LI.
Der Abend des 5. Oktober
Gilbert warf einen Blick auf die anwesenden Personen, ging ehrerbietig auf Marie Antoinette zu und sprach: In Abwesenheit ihres erhabenen Gemahls, wird mir die Königin erlauben, ihr die Nachrichten mitzuteilen, die ich bringe.
»Sprechen Sie, mein Herr,« erwiderte Marie Antoinette. »Als ich Sie so rasch kommen sah, rief ich meine ganze Stärke zu Hilfe, denn ich habe vermutet, daß Sie eine herbe Kunde bringen.«
»Würde es die Königin vorgezogen haben, wenn ich sie hätte überrumpeln lassen? In Kenntnis gesetzt, wird die Königin mit dem sie charakterisierenden gesunden Verstande und sicheren Urteil der Gefahr entgegengehen, und dann wird die Gefahr vielleicht vor ihr zurückweichen.«
»Lassen Sie hören, mein Herr, was für eine Gefahr ist es?«
»Madame, sieben bis achttausend Weiber sind von Paris abgegangen und kommen bewaffnet nach Versailles.«
»Sieben bis achttausend Weiber!« versetzte die Königin mit einer Miene der Verachtung.
»Ja, aber sie haben wohl unterwegs angehalten, und werden ihrer fünfzehn bis zwanzigtausend sein, wenn sie hier ankommen.«
»Und was wollen sie?«
»Sie haben Hunger, Madame, und kommen, um vom König Brot zu verlangen.«
Die Königin wandte sich gegen Charny um.
»Ah! Madame, sagte der Graf, was ich vorhergesehen habe, ist geschehen.«
»Was ist zu thun?« fragte Marie Antoinette.
»Man muß den König von allem benachrichtigen,« erwiderte Gilbert.
Die Königin drehte sich rasch wieder um und rief:
»Den König! Oh! nein. Ihn in Gefahr setzen, wozu soll das nützen?«
Dieser Ausruf sprang mehr aus dem Herzen Marie Antoinettes, als daß er besonnen davon ausging. Es war die ganze Offenbarung des Mutes der Königin, ihres Bewußtseins von einer Schwäche, die sie ihrem Gatten weder hätte zutrauen, noch Fremden verraten sollen.
Aber war Charny ein Fremder? oder war Gilbert ein Fremder?
Nein! Schienen diese zwei Männer nicht im Gegenteil von der Vorsehung erwählt, der eine, um den König, der andre, um die Königin zu beschirmen?
Charny antwortete zugleich der Königin und Gilbert, er gewann wieder seine ganze Selbstbeherrschung, denn er hatte seinen Stolz zum Opfer gebracht.
»Madame,« sagte er, »Herr Gilbert hat recht, man muß den König benachrichtigen, der König ist noch geliebt, er wird sich den Weibern zeigen, sie anreden und entwaffnen.«
»Aber wer wird es übernehmen, den König zu benachrichtigen?« versetzte die Königin. »Der Weg ist sicherlich schon abgeschnitten, und das ist ein gefährliches Unternehmen.«
»Der König ist im Walde von Meudon? Ja, und wenn, wie das wahrscheinlich ist, die Straßen . . .«
»Die Königin wolle in mir nur einen Mann des Krieges sehen,« unterbrach Charny einfach. »Ein Soldat ist gemacht, um getötet zu werden.«
Und nachdem er so gesprochen, wartete er nicht auf die Antwort, hörte nicht auf den Seufzer; er ging rasch hinab, schwang sich auf ein Pferd der Garden, und jagte mit zwei Reitern nach Meudon.
Kaum war er, durch ein letztes Zeichen den Abschied erwidernd, den ihm Andrée aus dem Fenster zusandte, verschwunden, als ein entferntes Geräusch, das dem Brausen der Wogen an einem Sturmtage glich, die Königin horchen machte. Es schien von den entferntesten Bäumen der Pariser Straße aufzusteigen, die man von dem Zimmer aus bis zu den letzten Häusern von Versailles im Nebel sich entrollen sah.
Bald wurde der Himmel drohend für den Blick, wie er es für das Ohr war; ein weißer, scharfer Regen fing an, den Nebel zu durchstreifen.
Und dennoch, trotz dieser Drohungen, füllte sich Versailles mit Menschen.
Die Kundschafter folgten sich im Schlosse. Jeder Kundschafter verkündigte eine zahlreiche, von Paris kommende Kolonne, und jeder fühlte, sich der Freuden und leichten Siege an den vorhergehenden Tagen erinnernd, der eine wie einen Gewissensbiß, der andre wie einen Schrecken in seinem Innern.
Unruhig und sich einander anschauend, nahmen die Soldaten langsam ihre Waffen. Trunkenen ähnlich atmeten die Offiziere, demoralisiert durch die sichtbare Unruhe der Soldaten und das Gemurre der Menge, mühsam die ganz mit Unglück beladene Luft, von der sie umgeben waren.
Die Gardes-du-corps, ungefähr dreihundert Mann, stiegen kalt und mit jenem Zögern zu Pferde, das den Mann des Schwertes erfaßt, wenn er begreift, er werde es mit Feinden zu thun haben, deren Angriff unbekannt ist.
Was war gegen Weiber zu thun, die drohend und mit Waffen abgegangen sind, aber durch Hunger und Müdigkeit entwaffnet ankommen, so daß sie nicht mehr imstande sind, den Arm aufzuheben!
Aufs Geratewohl stellen sie sich aber auf, ziehen ihre Säbel und warten.
Endlich erscheinen die Weiber; sie kommen auf zwei Straßen; auf der Hälfte des Weges hatten sie sich getrennt; die einen waren durch Saint-Cloud, die anderen durch Sèvres gezogen.
Ehe man sich getrennt, hatte man acht Brote ausgeteilt: das war alles, was man in Sèvres gefunden.
Zweiunddreißig Pfund Brot für siebentausend Personen.
Als sie nach Versailles kamen, konnten sie sich kaum fortschleppen; mehr als drei Viertel hatten ihre Waffen auf den Straßen umhergestreut. Maillard hatte das letzte Viertel bewogen, die seinigen in den ersten Häusern der Stadt zu lassen.
Als sie in die Stadt eintraten, sagte er:
»Auf, damit man nicht bezweifelt, daß wir Freunde des Königtums sind, laßt uns singen: Vive Henri IV.!«
Und mit einer ersterbenden Stimme, die kaum die Kraft hatte, Brot zu verlangen, sangen sie das königliche Lied.
Die Verwunderung war auch groß im Palaste, als man, statt der Schreie und Drohungen, Lieder hörte, als man besonders die schwankenden Sängerinnen – der Hunger gleicht der Trunkenheit – ihre abgezehrten, bleichen, beschmutzten, von Regen und Schweiß triefenden Gesichter an die vergoldeten Gitter anlehnen sah, – Tausende von erschrecklichen Gestalten übereinander gestellt, dem erstaunten Auge die Anzahl der Gesichter durch die Zahl der Hände verdoppelnd, die sich krampfhaft an den Gitterstangen anhalten und bewegen.
Dann brach von Zeit zu Zeit aus dem Schoße dieser Gruppen trauriges Geheul hervor; aus der Mitte dieser mit dem Tode ringenden Gesichter sprangen Blitze.
Von Zeit zu Zeit lassen auch alle diese Hände das Gitter los, an dem sie sich fest halten, und strecken sich durch die Zwischenräume nach dem Schlosse aus.
Die einen offen und zitternd, diese bitten.
Die anderen geballt und straff, diese drohend.
Oh! das Gemälde war ein düsteres.
Der Regen und der Koth, dies auf Seiten des Himmels und der Erde.
Der Hunger und die Drohung, dies auf Seiten der Belagernden.
Das Mitleid und der Zweifel, dies auf Seiten der Vertheidiger.
In Erwartung Ludwigs XVI. läßt die Königin, voll Fieber und Entschlossenheit, die Verteidigung anordnen; allmählich haben sich die Höflinge, die Offiziere, die hohen Staatsbeamten um sie gruppiert.
Unter ihnen erblickte sie Herrn von Saint-Priest, Minister von Paris.
»Sehen Sie, was die Leute wollen, mein Herr,« sagte sie zu ihm.
Herr von Saint-Priest geht hinab, durchschreitet den Hof, tritt ans Gitter und fragt die Weiber:
»Was wollt Ihr?«
»Brot! Brot! Brot!« antworteten gleichzeitig tausend Stimmen.
»Brot!« entgegnete Herr von Saint-Priest heftig, »als Ihr nur einen Herrn hattet, fehlte es Euch nicht an Brot. Jetzt, da Ihr zwölfhundert habt, seht, wie weit Ihr gekommen seid.«
Und er zieht sich unter dem Geschrei der Ausgehungerten zurück und befiehlt, das Gitter geschlossen zu halten.
Doch eine Deputation kommt herbei, und vor dieser wird man wohl das Gitter öffnen müssen.
Maillard ist in der Nationalversammlung im Namen der Weiber erschienen; er hat es dahin gebracht, daß der Präsident mit einer Deputation von zwölf Weibern dem König Vorstellungen machen wird.
In dem Augenblick, wo die Deputation, Mounier an der Spitze, aus der Versammlung weggeht, kommt der König im Galopp beim Schloß an.
Charny hat ihn im Walde von Meudon getroffen.
»Ah! Sie sind es, mein Herr?« fragte ihn der König. »Wollen Sie zu mir?«
»Ja, Sire.«
»Was geht denn vor? Sie sind sehr rasch geritten.«
»Sire, zehntausend Weiber sind zu dieser Stunde in Versailles, sie kommen von Paris und verlangen Brot.«
Der König zuckte die Achseln, doch mehr mit einem Gefühle des Mitleids, als der Verachtung.
»Ach!« sagte er, »wenn ich Brot hätte, so würde ich nicht warten, bis sie nach Versailles kämen und von mir verlangten.«
Doch ohne eine andre Bemerkung zu machen, warf er nur einen schmerzlichen Blick nach der Stelle, wo sich die Jagd entfernte, die er zu unterbrechen genötigt war, und sprach:
»Kehren wir nach Versailles zurück, mein Herr.«
Er war, wie wir erwähnt haben, eben angekommen, als gewaltige Schreie auf dem Paradeplatz erschauen.
»Was ist das?« fragte der König.
»Sire,« rief Gilbert, bleich wie der Tod eintretend, »es sind Ihre Garden, die unter der Anführung von Herrn Georges von Charny den Präsidenten der Nationalversammlung und die Deputation, die er zu Ihnen geleitet, angreifen.«
»Unmöglich!« sagte der König.
»Hören Sie die Schreie derer, die man ermordet. Sehen Sie, sehen Sie, alles flieht.«
»Lassen Sie öffnen,« wiederholte Ludwig XVI. »Ich werde die Deputation empfangen. Die Paläste der Könige sind Freistätten.«
»Ach!« versetzte Marie Antoinette, »ausgenommen vielleicht für die Könige.«
LII.
Die Nacht vom 5. auf den 6. Oktober
Charny und Gilbert stiegen die Stufen hinab.
»Im Namen des Königs!« ruft der eine.
»Im Namen der Königin!« ruft der andre.
Und beide fügten bei:
»Oeffnet die Thore!«
Doch dieser Befehl ist nicht so bald vollzogen, als man den Präsidenten der Nationalversammlung im Hofe niedergeworfen und mit Füßen getreten hat.
An seiner Seite sind zwei Weiber von der Deputation verwundet worden.
Gilbert und Charny eilen hinzu; diese zwei Männer, der eine oben von der Gesellschaft, der andre unten von derselben ausgegangen, sind in einer und derselben Mitte zusammengetroffen.
Der eine will die Königin aus Liebe für die Königin retten der andre will den König aus Liebe für das Königtum retten.
Sobald die Gitter geöffnet waren, stürzten die Weiber in den Hof; sie warfen sich in die Reihen der Garden, in die Mitte der Soldaten des Regiments Flandern; sie drohen, sie bitten, sie schmeicheln. Wie soll man Weibern widerstehen, die Männer anflehen im Namen ihrer Mütter und ihrer Schwestern?
»Platz, meine Herren, Platz der Deputation!« ruft Gilbert.
Und alle Reihen öffnen sich, um Mounier und die unglücklichen Weiber, die er dem König vorstellen will, durchzulassen.
Von Charny, der vorausgelaufen ist, benachrichtigt, erwartet der König die Deputation in dem Zimmer zunächst der Kapelle.
Mounier wird im Namen der Nationalversammlung sprechen.
Louison Chambry, die junge Blumenhändlerin, die den Appell geschlagen hat, wird im Namen der Weiber sprechen.
Mounier sagt ein paar Worte zum König und stellt ihm die junge Blumenhändlerin vor.
Diese macht einen Schritt vorwärts, will sprechen, kann aber nur die Worte stammeln:
»Sire, Brot!«
Und ohnmächtig fällt sie nieder.
»Zu Hilfe!« ruft der König, »zu Hilfe!«
Andrée eilt hinzu und reicht dem König ihren Flacon.
»Oh! Madame,« spricht Charny mit dem Tone des Vorwurfs zur Königin.
Die Königin erbleicht und zieht sich in ihre Gemächer zurück.
»Lassen Sie die Equipagen bereit halten,« sagte sie, »der König und ich gehen nach Rambouillet ab.«
Während dieser Zeit kam die arme junge Person wieder zu sich; als sie sich in den Armen des Königs sah, der sie an Salzen riechen ließ, stieß sie einen Schrei der Scham aus und wollte ihm die Hand küssen.
Doch der König hielt sie zurück.
»Mein schönes Kind,« sagte er, »lassen Sie mich Sie küssen, Sie sind es wohl wert.«
»Oh! Sire, Sire, da Sie so gut sind, so geben Sie den Befehl,« erwiderte das Mädchen.
»Welchen Befehl?« fragte der König.
»Den Befehl, Korn kommen zu lassen, damit die Hungersnot aufhöre.«
»Mein Kind,« sprach der König, »ich will wohl den Befehl, den Sie verlangen, unterzeichnen, aber wahrhaft, ich befürchte, daß er Sie nicht viel nützt.«
Der König setzte sich an einen Tisch und fing an zu schreiben, als man plötzlich einen vereinzelten Flintenschuß und darauf ein ziemlich lebhaftes Kleingewehrfeuer hörte.
»Oh! mein Gott! mein Gott!« ruft der König, »was giebt es denn wieder? Sehen Sie nach, Herr Gilbert.«
Ein zweiter Angriff hatte auf eine andre Gruppe von Weibern stattgefunden, und dadurch wurde der Flintenschuß und das Kleingewehrfeuer herbeigeführt.
Der vereinzelte Flintenschuß war von einem Manne aus dem Volk abgefeuert worden und hatte den Arm des Herrn von Savonnieres, Leutnants der Garden, in dem Augenblick zerschmettert, als dieser denselben erhob, um auf einen Soldaten einzuhauen, der sich gegen eine Baracke geflüchtet und mit seinen beiden ausgestreckten, unbewaffneten Armen ein Weib, das hinter ihm auf den Knieen lag, zu beschirmen suchte.
Auf diesen Flintenschuß hatten von Seiten der Garden fünf bis sechs Karabinerschüsse geantwortet.
Zwei Kugeln trafen: eine Frau fällt tot nieder.
Eine andre trägt man schwer verwundet weg.
Das Volk erwidert das Feuer, und zwei Gardes-du-corps fallen von ihren Pferden.
In demselben Augenblick hört man: »Platz! Platz!« rufen. Es sind Männer von Faubourg Saint-Antoine; sie kommen, drei Kanonen mit sich schleppend, an und pflanzen ihr Geschütz dem Gitter gegenüber auf.
Zum Glück strömt der Regen, die Lunte wird vergebens ans Zündloch gehalten, das durchnäßte Pulver will nicht fangen.
In diesem Augenblick flüstert eine Stimme Gilbert die Worte ins Ohr:
»Herr von Lafayette kommt und ist nur noch eine halbe Meile von hier entfernt.
Gilbert sucht vergebens, wer ihm diese Nachricht gebracht hat; doch, woher sie auch kommen mag, die Nachricht ist gut.
Er schaut umher und sieht ein Pferd ohne Herrn; dieses Pferd ist das von einem der zwei Gardisten, die getötet worden sind. Er springt darauf und reitet in der Richtung von Paris im Galopp hinweg.
Das zweite Pferd ohne Reiter will ihm folgen; doch kaum hat es zwanzig Schritte auf dem Platze gemacht, so wird es am Zaum zurückgehalten. Gilbert glaubt, man errate seine Absicht und wolle ihn verfolgen. Er wirft, während er sich entfernt, einen Blick rückwärts.
Kein Mensch denkt ans Verfolgen, man hat Hunger; man will essen, und man tötet das Pferd mit Messerstichen.
Das Pferd fällt, und ist in einem Augenblick in zwanzig Stücke zerschnitten.
Während dieser Zeit hat man, wie Gilbert, dem König gesagt, daß Herr von Lafayette komme.
Er hatte Mounier die Annahme der Menschenrechte unterzeichnet.
Er hatte Louison Chambry den Befehl, Korn kommen zu lassen, unterzeichnet.
Mit diesem Dekret und diesem Befehle versehen, der, wie man dachte, alle Geister beruhigen mußte, schlugen Maillard, Louison Chambry und ein Tausend Weiber wieder den Weg nach Paris ein.
Bei den ersten Häusern der Stadt begegneten sie Lafayette, der, die Nationalgarde führend, im Geschwindschritt herbeikam.
»Es lebe der König!« rufen Maillard und die Weiber, indem sie ihre Dekrete über ihre Kopfe emporheben.
»Was sagten Sie denn von Gefahren, die Seine Majestät laufe?« fragte Lafayette erstaunt.
»Kommen Sie, kommen Sie, General,« ruft Gilbert, der ihn fortwährend antreibt. »Sie werden es selbst beurteilen.«
Lafayette beeilte sich.
Die Nationalgarde zieht unter Trommelschlag in Versailles ein. Beim ersten Rasseln der Trommeln, das man im Schlosse vernimmt, fühlt der König, daß man ehrerbietig seinen Arm berührt.
Er dreht sich um: es ist Andrée.
»Ah! Sie sind es, Frau von Charny?« sagt er. »Was macht die Königin?«
»Sire, die Königin läßt Sie inständig bitten, wegzufahren und die Pariser nicht zu erwarten. An der Spitze Ihrer Garden und der Soldaten vom Regiment Flandern werden Sie überall durchkommen.«
»Ist das Ihre Ansicht, Herr von Charny?«
»Ja, Sire, wenn Sie zugleich über die Grenze gelangen werden, wenn nicht, so ist es besser, hier zu bleiben.«
Der König schüttelte den Kopf.
Er bleibt, nicht weil er den Mut, zu bleiben, sondern weil er nicht die Kraft hat, zu gehen.
Ganz leise murmelt er: »Ein flüchtiger König!«
Dann wendet er sich an Andrée:
»Sagen Sie der Königin, sie möge allein wegfahren.«
Andrée entfernte sich, um den Auftrag zu besorgen.
Fünf Minuten nachher trat die Königin ein und stellte sich neben den König.
»Was wollen Sie hier, Madame?« fragte Ludwig XVI.
»Mit Ihnen sterben, mein Herr!« antwortete die Königin.
»Ah!« murmelte Charny, »hier ist sie wirklich schön.«
Die Königin bebte, sie hatte gehört.
»Ich glaube in der That, ich würde besser daran thun, zu sterben, als zu leben!« sagte sie.
In diesem Augenblick wurde der Marsch der Nationalgarde unter den Fenstern des Palastes selbst geschlagen.
Gilbert trat hastig ein.
»Sire,« sagte er zum König, »Eure Majestät hat nichts mehr zu befürchten: Herr von Lafayette ist da.«
Der König liebte Herrn von Lafayette nicht, aber er begnügte sich damit, daß er ihn nicht liebte.
Bei der Königin war es anders, sie haßte ihn aufrichtig und verbarg ihren Haß nicht. So geschah es, daß Gilbert auf diese Nachricht, die er für eine der glücklichsten hielt, keine Antwort erhielt.
Aber Gilbert war nicht der Mann, der sich durch das königliche Stillschweigen einschüchtern ließ.
»Hat Eure Majestät gehört?« sprach er mit festem Tone zum König. »Herr von Lafayette ist unten und stellt sich zu den Befehlen Eurer Majestät.«
Die Königin blieb fortwährend stumm.
Der König machte eine Anstrengung gegen sich selbst.
»Man sage ihm, daß ich ihm danke, und lade ihn in meinem Namen ein, heraufzukommen.«
Ein Offizier verbeugte sich und ging ab.
Die Königin machte drei Schritte rückwärts.
Doch mit einer beinahe gebieterischen Gebärde hielt sie der König zurück.
Die Höflinge bildeten zwei Gruppen.
Charny und Gilbert blieben beim König.
Alle anderen wichen, wie die Königin, zurück und stellten sich hinter sie.
Man hörte den Tritt eines einzigen Menschen, und Herr von Lafayette erscheint im Thürrahmen.
Unter dem Stillschweigen, das bei seinem Anblick eintrat, sprach eine Stimme, die der Gruppe der Königin angehörte, die Worte:
»Da ist Cromwell.«
Lafayette lächelte.
»Cromwell wäre nicht allein zu Karl I. gekommen,« sagte er.
Ludwig XVI. wandte sich gegen die furchtbaren Freunde um, die ihm den Mann, der ihm eben zu Hilfe eilt, als einen Feind bezeichnen wollten.
Dann sagte er zu Herrn von Charny:
»Graf, ich bleibe. Sobald Herr von Lafayette hier ist, habe ich nichts mehr zu befürchten. Heißen Sie die Truppen sich gegen Rambouillet zurückziehen.

Die Nationalgarde wird die äußeren Gräben, die Gardes-du-corps werden die des Schlosses besetzen.«
Hernach wandte er sich an Lafayette und sprach:
»Kommen Sie, General, ich habe mit Ihnen zu reden.«
Und als Gilbert einen Schritt machte, um sich zu entfernen, fügte er bei:
»Doktor Sie sind nicht zu viel, kommen Sie.
Die Königin schaute ihnen nach, und als die Thüre wieder geschlossen war, sagte sie:
Ach! heute mußte man fliehen; heute war es noch Zeit. Morgen wird es vielleicht zu spät sein!
Und sie ging ebenfalls in ihre Gemächer.
Mittlerweile schlug ein gewaltiger Schein an die Scheiben des Palastes.
Das kam von einem ungeheuren Feuerherd, wo man die Stücke des toten Pferdes braten ließ.
LIII.
Die Nacht vom 5. auf den 6. October
Die Nacht war ziemlich ruhig; die Nationalversammlung blieb bis um drei Uhr morgens in Sitzung. Ehe die Mitglieder sich trennten, schickten sie zwei von ihren Gerichtsdienern ab, die Versailles durchliefen, die Zugänge des Schlosses besichtigten und die Runde im Parke machten.
Alles war ruhig oder schien ruhig zu sein.
Die Königin hatte um Mitternacht durch das Gitter von Trianon hinausgehen wollen, aber die Nationalgarde hatte sich geweigert, sie passieren zu lassen.
Sie hatte Befürchtungen geäußert, und man hatte ihr erwidert, sie sei in Versailles mehr in Sicherheit, als überall anderwärts.
Demzufolge hatte sie sich in ihre kleinen Gemächer zurückgezogen, und sich in der That beruhigt gefühlt. Vor ihrer Thüre hatte sie Georges von Charny gefunden. Er war bewaffnet und stützte sich auf eine kurze Flinte.
Da näherte sie sich ihm und sagte:
»Ah! Sie sind es, Baron?«
»Ja, Madame.«
»Immer treu?«
»Bin ich nicht auf dem Posten?«
»Wer hat Sie dahin gestellt?«
»Mein Bruder, Madame.«
»Und wo ist Ihr Bruder?«
»Beim König.«
»Warum beim König?«
»Weil er das Haupt der Familie ist, wie er gesagt hat, und weil er in dieser Eigenschaft das Recht hat, für den König zu sterben, der das Haupt des Staats ist.«
»Ja,« sagte Marie Antoinette mit einer gewissen Bitterkeit, »während Sie nur das Recht haben, für die Königin zu sterben.«
»Es wird eine große Ehre für mich sein, Madame, wenn Gott mir erlaubt, daß ich je diese Pflicht erfülle,« erwiderte der junge Mann, indem er sich verbeugte.
Die Königin machte einen Schritt, um sich zurückzuziehen, aber ein Verdacht erfaßte sie in ihrem Herzen.
Sie blieb stehen, wandte den Kopf halb um und fragte:
»Und . . . die Gräfin, wie ist es ihr ergangen?«
»Die Gräfin, Madame, ist vor zehn Minuten zurückgekommen und hat sich ein Bett im Vorzimmer Eurer Majestät aufschlagen lassen.«
Die Königin biß sich auf die Lippen.
Man konnte diese Familie Charny anrühren, in welchem Punkte man wollte, man fand sie nie außerhalb ihrer Pflicht.
»Ich danke, mein Herr,« sprach die Königin mit einem reizenden Zeichen der Hand und des Kopfs, »ich danke Ihnen, daß Sie so gut über der Königin wachen. Sie werden in meinem Auftrage Ihrem Bruder danken, daß er so gut über dem König wacht.«
Nach diesen Worten ging sie hinein. Im Vorzimmer fand sie Andrée, sie war noch nicht zu Bette gegangen, sondern stand ehrerbietig da und wartete. Marie Antoinette konnte nicht umhin, ihr die Hand zu reichen.
»Gräfin, ich habe soeben Ihrem Schwager Georges gedankt,« sagte sie. »Ich habe ihn beauftragt, Ihrem Manne zu danken, ich danke Ihnen ebenfalls.«
Andrée verneigte sich und trat auf die Seite, um die Königin vorübergehen zu lassen, die in ihr Schlafzimmer zurückkehrte.
Die Königin hieß sie nicht folgen. Diese Ergebenheit, aus der sich, wie man fühlte, die Zuneigung zurückgezogen hatte, und die dennoch, so eifrig sie war, bis zum Tode stand hielt, bereitete der Königin ein Mißbehagen.
Um drei Uhr morgens war alles ruhig.
Gilbert war mit Herrn von Lafayette, der zwölf Stunden zu Pferde gesessen und vor Müdigkeit sich kaum mehr halten konnte, aus dem Schlosse weggegangen. Gilbert war vor der Thüre Billot begegnet, der mit der Nationalgarde gekommen war; er hatte Gilbert wegreiten sehen und dachte, Gilbert könnte seiner dort bedürfen.
Durch den Bericht ihrer Gerichtsdiener beruhigt, hatte sich die Nationalversammlung selbst zurückgezogen. Man hoffte, diese Ruhe würde nicht gestört werden, doch man rechnete schlecht.
Fast bei allen Volksbewegungen, welche die großen Revolutionen vorbereiten, tritt eine Pause ein, wo man glaubt, alles sei beendigt, und man könne ruhig schlafen.
Während dieser schrecklichen Nacht kam noch ein Antrieb hinzu, er ging von zwei Scharen aus, von denen die eine am Abend, die andre in der Nacht in Versailles angekommen war.
Die erste kam aus Hunger und verlangte Brot.
Die andere kam aus Haß und forderte Rache.
Wir wissen, wer die erste Schar anführte, Maillard und Lafayette.
Wer führte nun die zweite an? Die Geschichte nennt niemand. Doch in Ermangelung der Geschichte nennt die Sage:
Marat!
Wir kennen ihn, wir sahen ihn beim Hochzeitsfeste Marie Antoinettes auf der Place Louis XV. Beine abschneiden. Wir sahen ihn auf dem Platze vor dem Stadthause die Bürger nach dem Platze der Bastille treiben.
Wir sehen ihn endlich in der Nacht umherschleichen, gleich den Wölfen, die um die Schafpferche kriechen und warten, bis der Schäfer eingeschlafen ist, um ihr blutiges Werk zu wagen.
Verriere!
Diesen nennen wir zum erstenmal. Er war ein ungestalter Zwerg, ein häßlicher Buckeliger, auf unmäßigen Beinen. Bei jedem Sturme, der den Grund der Gesellschaft aufwühlte, sah man den blutigen Gnom mit dem Schaume aufsteigen und sich auf der Oberfläche bewegen, zwei oder dreimal sah man ihn in erschrecklichen Epochen in Paris erscheinen, auf einem schwarzen Rosse hockend, ähnlich einer Gestalt der Apokalypse oder einem von jenen ungeheuerlichen Teufeln, wie sie die Fantasie eines Callot erzeugte, um den heiligen Antonius zu versuchen.
Eines Tags stellte er sich in einem Klub auf den Tisch und griff Danton an, bedrohte ihn sogar. Das war zur Zeit, wo die Popularität des Mannes vom 2. September zu wanken anfing. Unter dieser giftigen Anklage fühlte sich Danton verloren, verloren wie der Löwe, der zwei Daumen breit von seinen Lippen den häßlichen Kopf einer Schlange erblickt. Er schaute umher und suchte eine Waffe oder eine Stütze. Er erblickte zum Glück einen andern Buckeligen, packte ihn unter seinen Schultern, hob ihn auf und stellte ihn auf den Tisch seinem Feind gegenüber.
»Mein Freund,« sagte er, »antworten Sie diesem Herrn, ich trete Ihnen das Wort ab.«
Man brach in ein Gelächter aus, und Danton war gerettet.
Wenigstens für diesmal.
Es waren also, wie die Sage es behauptet, Marat, Verriere, und dann noch: Der Herzog von Aiguillon.
Der Herzog von Aiguillon, das heißt einer von den Hauptfeinden der Königin.
Der Herzog von Aiguillon als Weib verkleidet.
Wer sagt das? Alle Welt.
Der Abbé Delille und der Abbé Maury, zwei Abbés, die sich so wenig gleichen.
Dem ersten schreibt man den bekannten Vers zu:
En homme, c'est un lâche; en femme, un assasin.16
Beim Abbé Maury ist es etwas andres.
Vierzehn Tage nach den Ereignissen begegnete ihm der Herzog von Aiguillon auf der Terrasse der Feuillans und wollte ihn anreden.
»Geh deines Weges, Schmutziger,« spricht der Abbé Maury.
Und er entfernte sich majestätisch vom Herzog.
Diese drei Männer kamen also, wie man sagt, gegen vier Uhr morgens in Versailles an. Sie führten die zweite Schar, diese bestand aus Menschen, die nach denjenigen kommen, welche kämpfen, um zu siegen, sie kommen, um zu rauben und zu morden.
Bei der Bastille hatte man wohl ein wenig gemordet, aber man hatte gar nicht geraubt. Versailles bot eine schöne Entschädigung, die man sich nehmen konnte.
Gegen halb fünf Uhr morgens bebte das Schloß mitten in seinem Schlafe. Ein Flintenschuß war vom Marmorhofe aus abgefeuert worden.
Fünf- bis sechshundert Menschen waren plötzlich beim Gitter erschienen, und sich anreizend, antreibend, hatten sie mit einer gemeinschaftlichen Anstrengung das Gitter erstiegen und gesprengt.
Dann hatte der Flintenschuß der Schildwache Lärm gemacht.
Einer von den Angreifenden war tot niedergestürzt. Sein blutiger Leichnam streckte sich auf dem Pflaster aus.
Dieser Schuß zerspaltete die Gruppe der Räuber, von denen es die einen auf das Silberzeug des Schlosses, die andren, wer weiß! auf die Krone des Königs abgesehen hatten.
Wie durch einen ungeheuren Axtstreich getrennt, teilt sich die Woge in zwei Gruppen.
Die eine zieht nach den Gemächern der Königin, die andere geht zur Wohnung des Königs hinauf.
Folgen wir zuerst derjenigen, welche zur Wohnung des Königs hinauf geht.
Habt Ihr das Gewässer bei großen Fluten steigen sehen? Nun! die Volksfluth ist diesem ähnlich, nur daß sie vorrückt, ohne zurückzuweichen.
Die ganze Bewachung des Königs besteht in diesem Augenblick aus dem Mann, der vor der Thüre Schildwache steht, und aus einem Offizier, der hastig aus den Vorzimmern heraustritt, bewaffnet mit einer Hellebarde, die er dem erschrockenen Schweizer entrissen hat.
»Wer da?« ruft die Schildwache, »wer da?«
Und da keine Antwort gegeben wird und die Flut immer mehr steigt, ruft sie zum dritten Male:<(p>
»Wer da?«
Und sie schlägt an.
Der Offizier begreift, was aus einem Schuß in den königlichen Gemächern entstehen muß; er hebt die Flinte auf, stürzt den Angreifenden entgegen und versperrt mit seiner Hellebarde die Treppe in ihrer ganzen Breite.
»Meine Herren! meine Herren! ruft er, was wollt Ihr? was verlangt Ihr?«
»Nichts, nichts,« antworteten spottend mehrere Stimmen. »Lassen Sie uns vorbei; wir sind gute Freunde Seiner Majestät.«
»Ihr seid gute Freunde Seiner Majestät, und Ihr bringt ihr den Krieg . . .«
Diesmal keine Antwort . . . Ein unheimliches Gelächter, das war alles.
Ein Mann packt den Stiel der Hellebarde, die der Offizier nicht loslassen will. Damit er sie loslasse, beißt er ihn in die Hand.
Der Offizier reißt die Hellebarde aus den Händen seines Gegners, packt den eichenen Stiel, läßt ihn mit seiner Kraft auf den Kopf seines Gegners fallen und zerschmettert ihm den Schädel.
Die Heftigkeit des Schlags hat die Hellebarde entzwei gebrochen.
Nun hat der Offizier zwei Waffen statt einer, einen Stock und einen Dolch.
Mit dem Stock schlägt er das Rad, mit dem Dolche stößt er zu. Mittlerweile hat die Schildwache die Thüre des Vorzimmers wieder geöffnet und um Hilfe gerufen.
Meine Herren, meine Herren, ruft die Schildwache; »Herrn von Charny zu Hilfe, zu Hilfe!«
Die Säbel fliegen aus der Scheide, glänzen einen Augenblick beim Scheine der Lampe, die oben auf der Treppe brennt, und durchwühlen rechts und links von Charny die Angreifenden.
Schmerzensschreie werden hörbar, das Blut spritzt, die Flut weicht zurück, rollt die Stufen hinab und entblößt diese, welche beim Rückzuge der Masse nun rot und schlüpfrig erscheinen.
Die Thüre des Vorzimmers öffnet sich zum dritten Mal und die Schildwache ruft:
»Kommen Sie herein, meine Herren, der König befiehlt es.«
Die Gardisten benützen den Augenblick der Verwirrung, der bei der Menge eintritt. Sie stürzen nach der Thüre. Charny geht zuletzt hinein. Die Thüre schließt sich hinter ihm, die zwei großen Riegel gleiten in ihre Schließkappen.
Tausend Stöße geschehen zugleich an diese Thüre; aber man häuft hinter ihr Bänke, Tische, Sessel auf. Sie wird wohl zehn Minuten halten.
Zehn Minuten! Während dieser zehn Minuten wird eine Verstärkung kommen.
Sehen wir, was bei der Königin vorgeht.
Die zweite Gruppe ist nach den kleinen Gemächern gegangen; doch hier ist die Treppe sehr eng, und kaum zwei Personen können nebeneinander durch den Korridor gehen.
Hier wacht Georges von Charny.
Bei dem dritten: »Wer da!« das ohne Antwort geblieben, hat er gefeuert. Auf den Lärm des Schusses öffnet sich die Thüre der Königin.
Andrée schaute bleich, aber ruhig heraus.
»Was giebt es?« fragte sie.
»Madame,« rief Georges, »retten Sie Ihre Majestät, man will ihr ans Leben gehen. Ich bin allein hier gegen Tausend. Doch gleichviel, ich werde so lange als möglich stand halten . . . beeilen Sie sich, beeilen Sie sich!«