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Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 36

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LVI.
Abgang, Reise und Ankunft von Pitou und Sebastian Gilbert

Wir haben gesehen, unter welchen Umständen lange vor der Zeit, in der wir uns befinden, die Abreise Pitous und Gilberts beschlossen worden war.

Da es unsre Absicht ist, für den Augenblick die Hauptpersonen unsrer Geschichte zu verlassen, um den zwei Reisenden zu folgen, so werden unsre Leser erlauben, daß wir in einige Einzelheiten in Betreff ihrer Abreise, des Wegs, den sie nehmen, und ihrer Ankunft in Villers-Cotterets eingehen, wo, wie Pitou nicht bezweifelte, ihr doppelter Abgang eine große Leere zurückgelassen haben mußte.

Gilbert beauftragte Pitou, ihm Sebastian zu holen und zu ihm zu bringen. Zu diesem Ende ließ man Pitou in einen Fiaker steigen, und da man Sebastian dem Pitou anvertraut hatte, so wurde Pitou dem Kutscher anvertraut.

Gilbert und Billot warteten in einer Wohnung, die sie in der Rue Saint-Honoré gemietet hatten.

Gilbert erklärte sodann seinem Sohne, er werde an demselben Abend mit Pitou abreisen, und fragte ihn, ob es ihm sehr angenehm sei, seine großen Wälder wiederzufinden, die er so sehr liebe.

»Ja, mein Vater,« antwortete das Kind, vorausgesetzt, »daß Sie mich in Villers-Cotterets besuchen, oder daß ich Sie in Paris besuche.«

»Sei ruhig, mein Kind,« sagte Gilbert, indem er seinen Sohn auf die Stirne küßte. »Du weißt wohl, daß ich dich zu sehen jetzt nicht mehr entbehren könnte.«

Pitou errötete vor Vergnügen bei dem Gedanken, an demselben Abend abzureisen.

Dann erbleichte er wieder vor Glück, als ihm Gilbert in eine Hand die beiden Hände Sebastians, und in die andre zehn Louisd'or legte.

Eine lange Reihe von Ermahnungen, beinahe alle Gesundheitslehren betreffend, wurde gewissenhaft angehört.

Sebastian schlug seine großen feuchten Augen nieder.

Pitou wog in seiner ungeheuren Tasche seine Louisd'or und lieh sie klingen.

Gilbert gab Pitou, der mit den Funktionen eines Hofmeisters bekleidet war, einen Brief an den Abbé Fortier.

Als die Rede des Doktors beendigt war, sprach Billot ebenfalls.

»Herr Gilbert,« sagte er, »hat dir in Bezug auf Sebastian das Moralische anvertraut, ich betraue dich mit dem Körperlichen.«

»Du hast Fäuste, und du wirst bei Gelegenheit dich ihrer zu bedienen wissen.«

»Ja,« erwiderte Pitou, »und ich habe auch einen Säbel.«

»Mißbrauche ihn nicht,« fuhr Billot fort.

»Ich werde milde sein,« sprach Pitou, »clemens ero.«

»Ein Heros, wenn du willst,« versetzte Billot, »der sich nicht auf den Witz verstand.«

»Ich habe Euch nur noch die Art zu bezeichnen, wie Ihr, Sebastian und du, reisen werdet,« sprach Gilbert.

»Oh!« rief Pitou, »es sind nur achtzehn Meilen von Paris nach Villers-Cotterets, wir werden den ganzen Weg miteinander plaudern.«

Sebastian schaute seinen Vater an, als wollte er ihn fragen, ob es belustigend sei, achtzehn Meilen mit Pitou zu plaudern.

Pitou fing diesen Blick auf.

»Wir werden lateinisch sprechen,« sagte er, »und man wird uns für Gelehrte halten.«

Das war der Traum des unschuldigen Geschöpfes.

Wie viele andre hätten mit zehn doppelten Louisd'or in der Tasche gesagt:

»Wir werden Pfefferkuchen kaufen.«

Gilbert hatte einen Augenblick des Zweifels.

Er schaute Pitou an, dann Billot.

»Ich verstehe,« sagte der Letztere. »Sie fragen sich, ob Pitou ein Führer sei, und Sie zögern, ihm Ihr Kind anzuvertrauen.«

»Oh!« erwiedert Gilbert, »nicht ihm vertraue ich es an.«

»Wem denn?«

»Gott.«

Man beschloß, daß man sich, ohne etwas an Pitous Plane zu ändern, der dem jungen Gilbert, ohne zu große Anstrengung eine Reise voller Zerstreuungen versprach, am andern Morgen auf den Weg begeben wolle.

Gilbert hätte seinen Sohn in einem der öffentlichen Fuhrwerke, die in jener Zeit den Dienst von Paris noch der Grenze versahen, oder sogar in einem eigenen Wagen nach Villers-Cotterets schicken können; aber man weiß, wie sehr er für den jungen Sebastian die Vereinsamung des Geistes fürchtete, und nichts vereinsamt die Träumer so sehr, als das Rollen und das Geräusch des Wagens.

Er begnügte sich also damit, daß er die zwei Kinder bis Bourget führte, und ihnen die unter einer schönen Sonne ausgestreckt liegende Straße mit ihren doppelten Reihe von Bäumen bezeichnend, öffnete er seine Arme und sprach:

»Geht.«

Pitou ging also mit Sebastian ab; dieser wandte sich sehr oft um und sandte Gilbert Küsse zu, der mit gekreuzten Armen auf der Stelle stand, wo ihn sein Sohn verlassen hatte, und ihm mit den Augen folgte, wie er einem Traume gefolgt wäre.

Pitou schickte sich an, seine Aufgabe, die zugleich das Amt eines Hofmeisters und einer Gouvernante in sich vereinigte, gewissenhaft zu erfüllen.

Er führte übrigens den kleinen Sebastian voll Selbstvertrauen weiter; die Dörfer, wegen der so nahen und neuen Ereignisse in Paris noch voll Bewegung und Schrecken, durchwanderte er ruhig. Denn obgleich wir die Ereignisse bis zum 5. und 6. Oktober erzählt haben, verließen doch Pitou und Sebastian Paris schon gegen Ende Juli.

Pitou hatte als Kopfputz seinen Helm und als Waffe seinen großen Säbel beibehalten. Das war alles, was er bei den Ereignissen vom 13. und 14. Juli gewonnen; doch diese doppelte Trophäe genügte seinem Ehrgeiz, und genügte sogar, indem sie ihm ein furchtbares Aussehen gab, für seine Sicherheit.

Ausgerüstet mit diesen zwei mächtigen Kräften, die er zwei starken Fäusten, einer seltenen Freundlichkeit des Lächelns und einem äußerst interessanten Appetit beizufügen wußte, reiste Pitou also sehr angenehm auf der Straße nach Villers-Cotterets.

Für die auf die Politik Neugierigen hatte er Neuigkeiten; übrigens fabrizierte er sie auch zur Not, denn er hatte in Paris gewohnt, wo diese Art Fabrikation zu jener Zeit merkwürdig war.

Er erzählte, wie Herr Berthier ungeheure vergrabene Schätze hinterlassen, und welche die Gemeinde eines Tags ausgegraben habe. Wie Herr von Lafayette, das Muster jedes Ruhmes, der Stolz des provinzialen Frankreichs, nur noch ein halb abgenutzter Gliedermann sei, dessen Schimmel die Witzbolde beköstige! Wie Herr Bailly, den Lafayette mit seiner innigen Freundschaft beehre, gleich andren Personen seiner Familie, ein Aristokrat sei, und, wie böse Zungen sagen, noch etwas andres.

Wenn er dies alles erzählte, erregte Pitou Stürme des Zorns; aber er besaß das quos ego aller Stürme; er erzählte ungedruckte Anekdoten von der Österreicherin.

Diese unversiegbare Lebendigkeit verschaffte ihm eine ununterbrochene Reihe vortrefflicher Mahlzeiten bis Vauciennes, dem letzten Dorfe auf dem Wege, ehe man nach Villers-Cotterets kam.

Da Sebastian, im Gegenteil wenig oder nichts aß, da er gar nicht sprach und überdies ein bleiches, kränkliches Kind war, so bewunderte jeder, indem er sich für Sebastian interessierte, die Väterlichkeit von Pitou, der das Kind liebkoste, hätschelte, pflegte und noch obendrein seinen Teil aß, ohne daß er etwas zu suchen schien, als die Gelegenheit, ihm angenehm zu sein.

In Vauciennes angekommen, schien Pitou zu zögern, er schaute Sebastian an und kratzte sich am Kopf. Das war seine Art, seine Verlegenheit auszudrücken.

Sebastian kannte Pitou genug, um mit diesem Umstand vertraut zu sein.

»Nun! was giebt es, Pitou?« fragte Sebastian.

»Sebastian,« erwiderte Pitou, »wenn es dir gleich wäre, und wenn du nicht zu müde wärest, so würden wir, statt unsern Weg gerade verfolgen, über Haramont nach Villers-Cotterets gehen.«

Und während Pitou, der ehrliche Junge, diesen Wunsch ausdrückte, errötete er, wie Katharine, einen nicht minder unschuldigen Wunsch ausdrückend, errötet wäre.

Sebastian begriff.

»Ach! ja,« sagte er, »dort ist unsre arme Mutter Pitou gestorben.«

»Komm, mein Bruder, komm.«

Pitou drückte Sebastian an sein Herz, daß er ihn beinahe erstickt hätte, nahm das Kind bei der Hand und fing an auf dem Querwege, längs dem Wuala-Thale, so hastig zu laufen, daß der arme Sebastian nach hundert Schritten keuchte und ihm zu sagen genötigt war:

»Zu schnell, Pitou, zu schnell!«

Pitou hielt an; er hatte nichts bemerkt, denn er war seinen gewöhnlichen Schritt gegangen.

Er sah Sebastian bleich und atemlos.

Er nahm ihn in seine Arme, wie der heilige Christoph das Jesuskind genommen hatte, und trug ihn weiter.

Auf diese Art konnte Pitou so rasch gehen, als er wollte.

Da es nicht das erste Mal war, daß Pitou Sebastian trug, so ließ ihn Sebastian gewähren.

So kam man nach Largny. Als Sebastian in Largny bemerkte, wie Pitou unter seiner Last zu keuchen begann, so sagte er, er habe genug ausgeruht, und erklärte sich bereit, mit Pitou beliebig zu gehen.

Voll Großmut mäßigte Pitou seinen Schritt.

Eine halbe Stunde nachher war Pitou am Eingang vom Dorfe Haramont, seinem hübschen Geburtsort.

Hier angelangt, schauten die zwei Knaben umher, um sich zurecht zu finden.

Das erste, was sie erblickten, war das Kruzifix, das die Frömmigkeit des Volks gewöhnlich an den Eingang der Dörfer stellt.

Ach! selbst in Haramont fühlte man den seltsamen Fortschritt, den Paris zum Atheismus gemacht hatte. Die Nägel, die am Kreuze den rechten Arm und die Füße von Christus festhalten sollten, waren zerbrochen, vom Roste zerfressen.

Christus hing nun am linken Arm festgehalten, und niemand hatte den frommen Gedanken gehabt, das Symbol dieser Freiheit, dieser Gleichheit und dieser Bruderschaft, die man so stark predigte, wieder an den Platz zu bringen, wohin es die Juden gebracht hatten.

Pitou war nicht gottesfürchtig, aber dieser vergessene Christus beklomm sein Herz. Er suchte in einer Hecke eine von jenen dünnen und wie Eisendraht zähen Lianen, legte seinen Helm und seinen Säbel aufs Gras, kletterte am Kreuze hinauf, und band den rechten Arm des göttlichen Märtyrers wieder an sein Querholz fest, küßte ihm die Füße und stieg hinab.

Während dieser Zeit betete Sebastian unten am Kreuze auf den Knieen liegend. Für wen betete er? Wer weiß es!

Vielleicht für jenes Traumgesicht seiner Kindheit, das er wohl unter den großen Bäumen des Waldes wiederzufinden hoffte, für jene unbekannte Mutter, die nie unbekannt ist.

Nachdem diese Handlung vollbracht war, setzte Pitou wieder seinen Helm auf den Kopf und schnallte seinen Säbel um.

Nachdem er sein Gebet vollendet, machte Sebastian das Zeichen des Kreuzes und nahm Pitou wieder bei der Hand.

Beide traten dann in das Dorf ein und wanderten nach der Hütte, wo Pitou geboren war, wo Sebastian gesäugt worden.

Pitou kannte Haramont wohl, aber er konnte die Hütte nicht wieder finden. Er mußte sich erkundigen; man zeigte ihm ein Häuschen von Stein mit einem Schieferdach.

Der Garten des Häuschens war durch eine Mauer geschlossen.

Die Tante Angélique hatte das Haus ihrer Schwester verkauft, und der neue Eigentümer hatte infolge seines Besitzrechtes alles niedergerissen: die alten übertünchten Mauern von Erde, die alte Thüre mit ihrer Oeffnung, um die Katzen durchzulassen; die alten Fenster mit ihren Scheiben halb von Glas, halb von Papier, worauf sich Pitous schülerhaften Schreibereien befanden; das Strohdach mit seinem grünlichen Moos und seinen fetten Pflanzen, die auf dem Gipfel wachsen und blühen.

Die Thüre war geschlossen, und auf der äußeren Schwelle dieser Thüre stand ein großer Hund, der Pitou die Zähne wies.

»Komm,« sagte er mit Thränen in den Augen, »komm, Sebastian; komm an einen Ort, wo ich wenigstens sicher bin, daß sich nichts verändert hat.«

Und er zog Sebastian nach dem Friedhofe fort, wo seine Mutter begraben war.

Er hatte recht, der arme Junge; hier hatte sich nichts verändert; nur war das Gras so hoch gewachsen, daß er das Grab seiner Mutter nicht gleich zu erkennen vermochte.

Zum Glück war zu gleicher Zeit mit dem Grase eine Trauerweide gewachsen. Er ging gerade auf diesen Baum zu und küßte die Erde, die er beschattete, mit derselben instinktartigen Frömmigkeit, mit der er die Füße des Kruzifix geküßt hatte.

Der Aufenthalt der zwei Knaben dauerte lange, und der Tag rückte vor.

Man mußte dieses Grab, das einzige, was sich des armen Pitou zu erinnern geschienen hatte, verlassen.

Als er es verließ, hatte Pitou den Gedanken, einen Zweig von der Trauerweide abzubrechen und an seinen Helm zu stecken; doch in dem Augenblick, wo er ihn abbrechen wollte, hielt er inne. Es kam ihm vor, als wäre es ein Schmerz für seine arme Mutter, wenn er den Zweig von einem Baume abbräche, dessen Wurzeln vielleicht den schlecht zusammengefügten tannenen Sarg umschlangen, in dem ihr Leichnam lag.

Er küßte noch einmal die Erde, nahm wieder die Hand von Sebastian und entfernte sich.

Alle Welt war auf dem Felde oder im Walde, nur wenige Personen hatten Pitou gesehen, und durch seinen Helm und seinen großen Säbel entstellt, hatte ihn von diesen Personen niemand erkannt.

Er schlug den Weg nach Villers-Cotterets ein. Sebastian folgte ihm nachdenkend und stumm wie er.

Man kam nach Villers-Cotterets gegen fünf Uhr abends.

LVII.
Wie Pitou, der von seiner Tante verflucht und zum weggejagt worden war wegen Barbarismus und zweier Solécismen, abermals von ihr verflucht und weggejagt wird wegen eines Huhns mit Reis

Pitou kam nach Villers-Cotterets durch die Fasanerie des Parks; er ging durch den Tanzsaal, der an den Werktagen leer steht, zu dem er drei Wochen vorher Katharine geführt hatte.

Ach! wie mancherlei hatte sich während dieser drei Wochen nicht nur für Pitou, sondern für ganz Frankreich ereignet.

Dann folgte er der langen Allee von Kastanienbäumen, erreichte den Schloßplatz und klopfte an die Hinterthüre des College des Abbés Fortier.

In einem Augenblick verbreitete sich durch die Stadt das Gerücht, Pitou sei mit dem jungen Sebastian Gilbert angekommen, beide seien durch die Hinterthüre des Abbés Fortier eingetreten, Sebastian sei ungefähr derselbe wie bei seinem Abgang, aber Pitou trage einen Helm und einen großen Säbel.

Infolgedessen scharte sich eine Menge bei der großen Thüre zusammen, denn man dachte, wenn Pitou beim Abbé Fortier durch die kleine Thüre des Schlosses eingetreten sei, so werde er wohl durch die große Thüre der Rue de Soissons herauskommen. Das war sein Weg, um zum Pleux zu gehen.

Pitou hielt sich in der That beim Abbé Fortier nur so lange auf, als er brauchte, um in die Hände seiner Schwester den Brief des Doktors, Sebastian Gilbert und fünf doppelte Louisd'or, bestimmt zur Bezahlung seiner Pension, zu übergeben.

Die Schwester des Abbés Fortier hatte anfangs gewaltig bange, als sie durch die Gartenthüre den furchtbaren Soldaten hereinkommen sah; bald aber erkannte sie unter dem Helme des Dragoners das freundliche, redliche Gesicht, das sie ein wenig beruhigte. Der Anblick der fünf doppelten Louisd'or beruhigte sie ganz und gar.

Diese Angst der armen, alten Mademoiselle war um so leichter erklärlich, als der Abbé Fortier ausgegangen war, um seine Zöglinge spazieren zu führen, und sie sich völlig allein im Hause befand.

Pitou verabschiedete sich von Sebastian und ging weg, während er ganz nach Art eines militärischen Windbeutels sich den Helm auf den Kopf setzte.

Als sich Sebastian von Pitou verabschiedete, vergoß er etliche Thränen, obgleich die Trennung nicht lange dauern sollte und seine Gesellschaft nicht erquicklich war; aber die Heiterkeit, die Milde, die ewige Gefälligkeit hatten das Herz des jungen Gilbert gerührt. Pitou hatte etwas von der Natur jener großen, guten Neufundländer Hunde, die uns zuweilen ermüden, am Ende aber doch, indem sie uns lecken, unsern Zorn entwaffnen.

Eines milderte den Kummer Sebastians: daß ihm Pitou versprach, er werde ihn oft besuchen.

Als Pitou das Haus verließ, fand er ungefähr zwanzig Personen, die auf ihn warteten. Sein seltsamer Putz, dessen Beschreibung schon die ganze Stadt durchlaufen hatte, war teilweise der Versammlung bekannt. Da man ihn so von Paris zurückkommen sah, so nahm man an, Pitou habe sich geschlagen, und man wollte Neuigkeiten von ihm erfahren.

Diese Neuigkeiten gab Pitou mit seiner gewöhnlichen Majestät; er erzählte die Einnahme der Bastille, die Heldenthaten Billots und Maillards, Elies und Hullins; er erzählte, wie Billot in die Gräben der Festung gefallen war, und wie er ihn herausgezogen; wie man, endlich Herrn Gilbert gerettet, der seit acht Tagen zu den Gefangenen gehört hatte.

Die Zuhörer wußten ungefähr schon alles, was ihnen Pitou erzählte, denn sie hatten diese Einzelheiten in den Zeitungen gelesen; aber so interessant ein Journalist in dem, was er schreibt, sein mag, so ist er es doch niemals in dem Grade, wie ein erzählender Augenzeuge, den man unterbrechen kann und der wieder aufnimmt, den man befragen kann und der antwortet.

So kam es, daß einer der Anwesenden, nachdem Pitou ungefähr eine Stunde lang Details vor den Zuhörern gegeben hatte, endlich auf dem Gesichte Pitous einige Unruhe bemerkte und sagte:

»Ah! er ist müde, der arme Pitou, und wir halten ihn hier auf den Beinen, statt ihn zu seiner Tante Angélique zurückkehren zu lassen. Die liebe, arme alte Mademoiselle, wie glücklich wird sie sein, ihn wiederzusehen!«

»Ich bin nicht müde,« erwiderte Pitou, »ich habe Hunger.«

Vor dieser naiven Erklärung trat dann die Menge, die die Bedürfnisse des Magens von Pitou respektierte, ehrerbietig auseinander, und Pitou konnte, gefolgt von einigen Neugierigen, den Weg nach dem Hause der Tante Angélique nehmen.

Die Tante war abwesend, sie machte ohne Zweifel ihre Runde in der Nachbarschaft, und die Thüre war geschlossen.

Mehrere Personen boten Pitou nun an, er möge bei ihnen die nötige Nahrung zu sich nehmen, aber Pitou schlug es stolz aus.

»Du siehst wohl, mein guter Pitou, daß die Thüre deiner Tante geschlossen ist,« sagte man zu ihm.

»Die Thüre einer Tante ist nie imstande vor einem unterwürfigen und hungrigen Neffen geschlossen zu bleiben,« sprach er pathetisch.

Und er zog seinen großen Säbel, dessen Anblick die Weiber und die Kinder zurückweichen machte, schob das Ende davon zwischen den Riegel und die Schließkappe des Schlosses, drückte kräftig, und die Thüre öffnete sich zur großen Verwunderung aller Anwesenden, welche die Heldenthaten Pitous nicht mehr in Abrede zogen, sobald sie ihn so verwegen sich dem Zorne der alten Mademoiselle aussetzen sahen.

Das Innere des Hauses war genau dasselbe wie zur Zeit von Pitou: der bekannte lederne Lehnstuhl nahm königlich die Mitte der Stube ein, ein paar verkrüppelte Sessel bildeten den hinkenden Hof des großen Lehnstuhls; im Hintergrunde war der Brotkasten, rechts der, Speiseschrank und der Kamin.

Pitou trat mit einem sanften Lächeln in das Haus ein, er hatte nichts gegen diese armseligen Möbel; im Gegenteil, es waren Freunde aus seiner Kindheit. Sie waren allerdings beinahe so hart als die Tante Angélique; doch wenn man sie öffnete, fand man wenigstens etwas Gutes in ihnen, während man, wenn man die Tante Angélique geöffnet hätte, sicherlich das Innere noch viel trockener und schlechter als das Äußere gefunden haben würde.

Pitou verlor keine Zeit und ging gerade auf den Brotkasten und den Speiseschrank zu.

Einst hätte sich Pitou auf die Schwelle der geschlossenen Thüre gesetzt und demütig auf die Rückkehr der Tante Angélique gewartet. Wäre sie zurückgekehrt, so hätte er sie mit einem sanften Lächeln gegrüßt und ihr Platz gemacht, um sie vorüber zu lassen, nachdem sie eingetreten, wäre er auch eingetreten und hätte dann das Brot und ein Messer geholt, um sich seinen Teil abschneiden zu lassen.

Heute, da Pitou ein Mann geworden, machte er es nicht mehr so, er öffnete ruhig den Brotkasten, zog aus seiner Tasche sein breites Messer, nahm das Brot und schnitt um die Ecke ein Stück ab, das ein gutes Kilogramm hätte wägen mögen.

Hernach, ohne etwas von seiner Ruhe zu verlieren, öffnete er den Speiseschrank.

Es kam Pitou wohl einen Augenblick vor, als höre er das Brummen der Tante Angélique; aber der Speiseschrank ächzte auf seinem Scharnier, und dieses Geräusch, das die ganze Macht der Wirklichkeit hatte, erstickte das andre, das nur vom Einfluß der Phantasie erzeugt war.

Zur Zeit, wo Pitou zum Hause gehörte, verschanzte sich die geizige Tante hinter Widerstandsvorräten: das war der Käse von Maroles oder der dünne Speck, umgeben von grünen Blättern eines ungeheuren Kohls. Doch seitdem dieser fabelhafte Esser die Gegend verlassen hatte, bereitete sich die Tante trotz ihres Geizes gewisse Gerichte, die für eine Woche ausreichten und denen es nicht an einem gewissen Werte gebrach.

Bald war es ein gedämpftes Rindfleisch, umgeben von Moorrüben und Zwiebeln, im Fett vom vorhergehenden Tag gekocht; bald ein Ragout von Hammelfleisch und weißen Rüben mit schmackhaften Kartoffeln; bald ein Kalbsfuß, den man mit Zipollen und Schalotten, in Essig eingemacht, würzte. Bald war es ein riesiger Pfannkuchen mit Schnittlauch und Petersilie bestreut, oder mit Speckschnitten emailliert, wovon eine einzige für das Mahl der Alten, selbst an Tagen ihres großen Appetits genügte.

Die ganze Woche hindurch sprach die Tante Angélique diesen Gerichten mit Bescheidenheit zu, und machte an dem kostbaren Stück nur gerade nach den Bedürfnissen des Augenblicks Bresche.

Alle Tage freute sie sich, daß sie so gute Dinge allein zu verzehren habe, und während der Woche dachte sie jedesmal an ihren Neffen Ange Pitou, so oft sie die Hand in die Schüssel streckte und den Bissen an ihre Lippen führte.

Pitou hatte Glück. Er traf einen Tag, wo die Tante Angélique in Reis einen alten Hahn gekocht hatte; dieser Hahn war, obgleich umgeben von einer kräftigen Scheidewand von Teig, so gesotten, daß die Knochen das Fleisch verlassen hatten und das Fleisch beinahe zart geworden war.

Das Gericht war köstlich. Pitou hatte nicht einmal die Artigkeit, ein Ach! der Bewunderung von sich zu geben, als er dieses herrliche Gericht sah.

Durch die Pariser Küche verwöhnt, vergaß der Undankbare, daß nie eine solche Herrlichkeit den Speiseschrank der Tante Angélique bewohnt hatte.

Er hielt sein Stück Brot in der rechten Hand, faßte die Schüssel mit der linken und hielt sie durch den Druck seines breiten Daumens im Gleichgewicht, den er bis an das erste Glied in ein kompaktes Fett von vortrefflichem Geruch tauchte.

In diesem Augenblick kam es Pitou vor, als stellte sich zwischen das Licht der Thüre und ihn ein Schatten.

Er wandte sich lächelnd um, denn Pitou war eine von jenen naiven Naturen, bei denen sich die Befriedigung des Herzens im Gesichte ausprägt.

Dieser Schatten war der Körper der Tante Angélique.

Früher hätte Pitou beim Anblick der Tante Angélique die Schüssel fallen lassen, und während sich die Tante Angélique in Verzweiflung gebückt haben würde, um die Trümmer ihres Hahns und die Teilchen von ihrem Reis aufzulesen, wäre er ihr über ihren Kopf gesprungen und, sein Brot unter seinem Arme haltend, entflohen.

Aber Pitou war nicht mehr derselbe; sein Helm und sein Säbel veränderten ihn weniger im Äußern, als ihn sein Umgang mit den großen Philosophen der Zeit in moralischer Hinsicht geändert hatte.

Statt erschrocken vor seiner Tante zu fliehen, näherte er sich ihr mit einem anmutigen Lächeln, streckte die Arme aus, umfing sie, obgleich sie dem Drucke zu entweichen suchte und schloß die alte Mademoiselle an seine Brust, während seine Hände, die eine beladen mit dem Brot und mit dem Taschenmesser, die andre mit der Schüssel und dem Hahn in Reis, sich hinter ihrem Rücken kreuzten.

Dann, als er diesen Akt des Nepotismus vollbracht hatte, atmete er mit der ganzen Fülle seiner Lunge und sprach:

»Nun wohl, ja, Tante Angélique, es ist der arme Pitou.«

Bei diesem ungewohnten Umfangen hatte sich die alte Mademoiselle vorgestellt, Pitou, von ihr auf frischer That ertappt, habe sie ersticken wollen, wie Herkules einst den Anteus erstickt hatte.

Sie atmete also ihrerseits wieder frei, als sie sich von diesem gefährlichen Drucke befreit sah.

Nur war der Tante nicht entgangen, daß Pitou beim Anblick des Hahns nicht einmal seine Bewunderung geoffenbart hatte.

Aber eines benahm der Tante Angélique den Atem noch ganz anders, nämlich, daß Pitou, der es früher, wenn sie in ihrem ledernen Lehnstuhl thronte, nicht einmal gewagt hatte, sich auf einen der verstümmelten Sessel oder der hinkenden Schemel, von denen er umgeben war, zu setzen, – daß Pitou, nachdem er sie umarmt, sich bequem in ihren Lehnsessel setzte, die Schüssel zwischen seine Beine stellte und sie in Angriff zu nehmen begann.

Mit seiner mächtigen Rechten hielt er das Messer mit breiter Klinge, einen wahren Spatel. Mit der andern Hand hielt er ein Stück Brot, drei Finger breit, sechs Zoll lang, mit dem er gegen den Reis der Schüssel losfegte, während das Messer in seiner Dankbarkeit das Fleisch auf das Brot trieb.

Die schreckliche Bangigkeit der Tante Angélique zu schildern, ihre Verzweiflung mit Worten auszudrücken, wäre unmöglich.

Sie glaubte jedoch einen Augenblick, schreien zu können,

Pitou lächelte mit einer so bezaubernden Miene, daß der Schrei der Tante Angélique ihr auf den Lippen verschied.

Da versuchte sie es, auch zu lächeln, in der Hoffnung, das grimmige Tier zu beschwören, das man Hunger nennt, und das gerade in den Eingeweiden ihres Neffen hauste. Doch die hungrigen Eingeweide Pitous blieben taub und stumm.

Als sie mit ihrem Lächeln zu Ende war, weinte die Tante.

Das belästigte Pitou ein wenig, aber es verhinderte ihn durchaus nicht, zu essen.

»Ho! ho! meine Tante,« sagte er, »wie gut sind Sie, daß Sie so aus Freude über meine Ankunft weinen. Ich danke, meine gute Tante, ich danke. Und er aß weiter.«

Die französische Revolution hatte offenbar diesen Menschen völlig entartet.

Er verschlang drei Viertel des Hahns, ließ ein wenig Reis auf dem Grunde der Schüssel und sprach:

»Nicht wahr, meine gute Tante, der Reis schmeckt Ihnen besser? Er ist zarter für Ihre Zähne; ich lasse Ihnen den Reis.«

Bei dieser Aufmerksamkeit, die sie ohne Zweifel für einen Spott hielt, wäre die Tante Angélique beinahe erstickt. Sie rückte entschlossen auf den jungen Pitou zu, riß ihm die Schüssel aus den Händen und stieß eine Lästerung aus, die zwanzig Jahre später ein Grenadier von der alten Garde vortrefflich vervollständigt hätte.

Pitou gab einen Seufzer von sich.

»O! meine Tante, nicht wahr, Sie beklagen Ihren Hahn?«

»Der Schurke!« rief Tante Angélique; »ich glaube gar, er spottet meiner.«

Pitou stand aber auf und sprach majestätisch:

»Meine Tante, es ist durchaus nicht meine Absicht, nichts zu bezahlen; ich habe Geld. Ich werde mich, wenn Sie wollen, bei Ihnen als Kostgänger einmieten, nur muß ich mir das Recht vorbehalten, selbst die Rechnung zu machen.«

»Schuft!« rief die Tante Angélique.

»Nehmen wir die Portion zu vier Sous an, ich bin Ihnen ein Essen schuldig, vier Sous für Reis und zwei Sous für Brot, das macht sechs Sous.«

»Sechs Sous!« rief die Tante. »Sechs Sous! das ist allein für acht Sous Reis und für sechs Sous Brot!«

»Auch habe ich den Hahn nicht gerechnet, meine gute Tante, weil er von Ihrem Geflügelhofe ist. Es ist ein alter Bekannter von mir, ich habe ihn sogleich an seinem Kamm erkannt.«

»Er ist dennoch seinen Preis wert.«

»Er ist neun Jahre alt. Ich habe ihn für Sie unter dem Bauche seiner Mutter weggestohlen, er war nicht faustgroß, und Sie haben mich sogar geschlagen, weil ich Ihnen zum Hahn hin nicht auch noch das Korn brachte, um ihn am andern Tag zu füttern. Mademoiselle Katharine hat mir das Korn geschenkt. So war der Hahn mein Eigentum. Ich habe also nur mein eigenes Gut verzehrt; ich hatte das Recht dazu.«

Trunken vor Zorn warf die Tante einen vernichtenden Blick auf diesen Revolutionär. Sie hatte keine Stimme mehr.

»Fort von hier,« brummte sie.

»Auf der Stelle, nachdem ich zu Mittag gespeist, und ohne mir Zeit zu lassen, meine Verdauung zu machen? Ah! das ist nicht artig, meine Tante.«

»Fort!«

Pitou, der sich wieder gesetzt hatte, stand auf; er bemerkte, nicht ohne eine lebhafte Befriedigung, daß sein Magen nicht ein Körnchen Reis mehr hätte fassen können.

»Meine Tante, sprach er majestätisch. Sie sind eine schlechte Verwandte. Ich will Ihnen beweisen, daß Sie dasselbe Unrecht gegen mich begehen, wie früher, daß Sie immer noch so hart und geizig sind. Nun denn! Sie sollen nicht überall von mir sagen können, ich sei ein Mensch, der alles auffresse.«

Er stellte sich auf die Thürschwelle und rief mit einer Stentorstimme, die nicht nur von den Neugierigen, die Pitou begleitet und dieser Scene beigewohnt hatten, sondern auch von Gleichgültigen, die in einer Entfernung von fünfhundert Schritten vorübergingen, gehört werden konnte:

»Ich nehme diese braven Leute zu Zeugen, daß ich zu Fuß von Paris ankomme, nachdem ich die Bastille erstürmt; daß ich müde war; daß ich Hunger hatte; daß ich mich setzte; daß ich bei meiner Verwandten gegessen, und daß man mir so hart meine Nahrung vorgeworfen und mich so unbarmherzig fortgejagt hat, daß ich zu gehen genötigt bin.«

Pitou legte so viel Pathos in diese Rede, daß die Nachbarn gegen die Alte zu murren anfingen.«

»Ein armer Reisender, der neun Meilen zu Fuß zurückgelegt hat,« fuhr Pitou fort, ein redlicher Junge, mit dem Vertrauen von Herrn Billot und Herrn Gilbert beehrt, der Sebastian Gilbert zum Abbé Fortier zurückgebracht hat; ein Sieger der Bastille, ein Freund von Herrn Bailly und vom General Lafayette. Ich nehme euch zu Zeugen, daß man mich weggejagt.«

Das Gemurre nahm zu.

»Und,« fuhr er fort, »da ich kein Bettler bin, da ich, wenn man mir mein Brot vorwirft, es bezahle, so ist hier ein kleiner Thaler, den ich als Bezahlung von dem, was ich bei meiner Tante gegessen, niederlege.«

So sprechend, zog Pitou stolz einen Thaler aus der Tasche und warf ihn auf den Tisch, von wo er vor aller Augen in die Schüssel zurücksprang und halb in den Reis eindrang.

Dieser letzte Zug gab der Alten den Rest, sie neigte das Haupt unter der allgemeinen Verdammung, die sich durch ein langes Gemurre zu erkennen gab. Zwanzig Arme streckten sich gegen Pitou zum Willkomm aus. Dieser verließ die Hütte, schüttelte auf der Schwelle den Staub von seinen Schuhen und verschwand, geleitet von einer Menge Leute, die ihm Tisch und Bett anboten, glücklich, einen Sieger der Bastille, einen Freund von Herrn Bailly und vom General Lafayette zu beherbergen.

Die Tante raffte den Thaler auf, trocknete ihn und legte ihn in die Lade, wo er in Gesellschaft von mehreren andern auf seine Verwandlung in einen alten Louisd'or warten mußte. Doch indem sie diesen, ihr auf eine so sonderbare Art zugekommenen Thaler aufbewahrte, seufzte sie und bedachte, daß Pitou vielleicht das Recht hatte, alles zu essen, da er so gut bezahlte.

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06 aralık 2019
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