Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 37
LVIII.
Pitou als Revolutionär
Pitou wollte, nachdem er den ersten Pflichten des Gehorsams entsprochen hatte, die ersten Bedürfnisse seines Herzens befriedigen.
Um das Gehorchen ist es eine sehr angenehme Sache, wenn just der Befehl des Herrn für denjenigen, welcher gehorcht, alle geheimen Wünsche erfüllt.
Er schlug also einen kräftigen Schritt an, folgte dem Gäßchen, das von Pleux nach der Straße von Lonnet führt und warf sich dann querfeldein, um schneller zu dem Pachthofe von Pisseleux zu gelangen.
Doch bald wurde sein Lauf ruhiger; jeder Schritt rief eine Erinnerung in ihm zurück.
Wenn man in den Ort zurückkehrt, wo man geboren ist, geht man auf dem Pfad seiner Jugend. Auf jedem Schritte findet man im Schlage seines Herzens eine Erinnerung.
Den ganzen Weg entlang versammelte Pitou die Vergangenheit um sich, und kam mit einer Seele voll von Erinnerungen nach dem Pachthofe der Mutter Billot.
Als er hundert Schritte vor sich den langen Kamm der Dächer erblickte, als er die alten Ulmen sah, als er den entfernten Lärm des Viehs, der Hunde, der Wagen horte, richtete er seinen Helm auf seinem Kopfe zurecht, befestigte den Dragonersäbel an seiner Seite und suchte sich eine mutige Haltung zu geben, wie es sich für einen Verliebten und einen Militär geziemt.
Niemand erkannte ihn anfangs.
Ein Knecht ließ die Pferde an dem Teiche trinken.
Er hörte Geräusch, wandte sich um und erblickte durch den zerzausten Kopf einer Weide Pitou, oder vielmehr einen Helm und einen Säbel.
Der Knecht war ganz erstaunt, als Pitou an ihm vorüberkam und rief:
»He! Barnaut! guten Morgen, Barnaut!«
Pitou ging lächelnd weiter.
Doch der Knecht war nicht beruhigt; Pitous wohlwollendes Lächeln war unter seinem Helme begraben geblieben.
Zugleich erblickte die Mutter Billot durch das Fenster des Speisezimmers den Militär. Sie stand auf.
Damals lebte man auf dem Lande in Besorgnis; es verbreiteten sich erschreckliche Gerüchte; man sprach von Räubern, welche die Wälder umhieben und die Ernten noch grün abschnitten.
Was bedeutete die Ankunft dieses Soldaten? war es Angriff, war es Hilfe?
Die Mutter Billot hatte Pitou mit einem einzigen Blick in seinem Gesamtwesen umfaßt, sie fragte sich: warum so bäuerische Hosen zu einem so glänzenden Helme? Und sie neigte sich in ihren Mutmaßungen ebensosehr auf die Seite des Verdachts als auf die Seite der Hoffnung.
Der Soldat, wer er auch sein mochte, trat in die Küche ein.
Die Mutter Billot ging dem Ankömmling zwei Schritte entgegen.
Pitou, um seinerseits in der Höflichkeit nicht zurückzubleiben, nahm seinen Helm ab.
»Ange Pitou!« rief sie, »Ange hier!«
»Guten Morgen, Frau Billot,« antwortete er.
»Ange! O! mein Gott, wer hätte das erraten; du bist also in Militärdiensten?«
»O! in Diensten!« versetzte Pitou lachend.
Dann schaute er umher, suchend, was er nicht sah.
Die Mutter Billot lächelte; sie erriet den Zweck von Pitous Umherschauen.
Sie sagte einfach:
»Du suchst Katharine?«
»Ja, Frau Billot, um ihr mein Kompliment zu machen,« erwiderte Pitou.
»Sie läßt Wäsche trocknen. Auf, setze dich, schau mich an und sprich mit mir.«
»Das will ich wohl,« erwiderte Pitou, und er nahm einen Stuhl.
Nun gruppierten sich um ihn bei den Thüren und auf den Stufen der Treppen alle Mägde und Knechte des Pachthofes, herbeigezogen durch die Erzählung des Stallknechtes.
Und bei jeder neuen Ankunft hörte man flüstern:
»Das ist Pitou . . .«
»Ja, er ist es!«
Pitou ließ auf seinen alten Kameraden einen wohlwollenden Blick umherlaufen. Sein Lächeln war eine Liebkosung für die Mehrzahl.
»Und du kommst von Paris, Ange?« fuhr die Gebieterin des Hauses fort.
»Geradeswegs, Frau Billot.«
»Wie geht es unserm Herrn?«
»Sehr gut, Frau Billot.«
«Wie geht es in Paris?«
»Sehr schlecht Frau Billot.«
»O!«
Und der Kreis der Zuhörer zog sich enger zusammen.
Pitou schüttelte den Kopf und ließ ein Schnalzen der Zunge hören, das sehr demütigend für die Monarchie war.
»Die Königin?«
Pitou antwortete diesmal durchaus nichts.
»Oh!« machte Frau Billot.
»Laß hören, fahre fort, Pitou,« sprach die Pächterin.
»Ei! fragen Sie mich,« antwortete Pitou, dem daran lag, in Katharines Abwesenheit nicht alles zu sagen, was er Interessantes zu berichten hatte.
»Warum hast du einen Helm?« fragte Frau Billot.
»Das ist eine Trophäe,« erwiderte Pitou.
»Was ist das, eine Trophäe, mein Freund?« versetzte die gute Frau.
»Ah! es ist wahr, Frau Billot,« antwortete Pitou mit einem Protektorslächeln, »Sie können nicht wissen, was eine Trophäe ist. Eine Trophäe, das ist, wenn man einen Feind besiegt hat, Frau Billot.«
»Du hast also einen Feind besiegt, Pitou?«
»Einen!« rief Pitou verächtlich, »ah! meine gute Frau Billot, Sie wissen also nicht, daß wir zwei, Herr Billot und ich, die Bastille genommen haben?«
Dieses magische Wort elektrisierte die Zuhörer. Pitou fühlte den Atem der Anwesenden in seinen Haaren und ihre Hände auf der Lehne seines Stuhles.
»Erzähle, erzähle ein wenig, was unser Mann gethan hat,« sagte Frau Billot, ganz stolz und zugleich ganz zitternd.
Pitou schaute, ob Katharine noch nicht komme, sie kam nicht.
Er nahm es fast als eine Beleidigung, daß Mademoiselle Billot den Nachrichten zulieb, frisch von einem solchen Kourier gebracht, ihre Wäsche nicht verließ.
Er schüttelte den Kopf und fing an seine Unzufriedenheit merken zu lassen.
»Das giebt eine sehr lange Erzählung,« sagte er.
»Und du hast Hunger?« fragte Frau Billot.
»Vielleicht wohl.«
»Durst!«
»Ich sage nicht nein.«
Sogleich beeiferten sich Knechte und Mächte, so daß Pitou unter seinen Händen Becher, Brot, Fleisch, Früchte aller Art fand, ehe er über die Tragweite seines Verlangens nachgedacht hatte.
Pitou hatte eine heiße Leber, wie man auf dem Lande sagt, das heißt, er verdaute schnell; aber so schnell er auch verdaute, er konnte noch nicht mit dem Hahn der Tante Angélique, dessen letzter Bissen erst seit einer halben Stunde verzehrt war, zu Ende gekommen sein.
Die Bedienung war gegen seinen Wunsch so rasch, daß das, was er verlangt hatte, ihn nicht so viel Zeit gewinnen ließ, als er hoffte.
Er sah, daß er sich einer äußersten Anstrengung unterziehen mußte, und fing an zu essen. Aber wie groß auch sein guter Wille war, in dieser Arbeit fortzufahren, nach einem Augenblick sah er sich genötigt, anzuhalten.
»Was hast du?« fragte Frau Billot?
»Ach! ich habe . . .«
»Zu trinken, für Pitou.«
»Ich habe Äpfelmost, Frau Billot.«
»Vielleicht ist dir aber der Branntwein lieber?«
»Der Branntwein?«
»Ja, hast du dich in Paris daran gewöhnt, solchen zu trinken?«
Die brave Frau dachte, während seiner zwölftägigen Abwesenheit habe Pitou Zeit gehabt, sich zu verderben.
Pitou wies diese Annahme stolz zurück.
»Ich – Branntwein?« sagte er, nie.
»So sprich.«
»Wenn ich spreche, so werde ich für Mademoiselle Katharine wieder von vorn anfangen müssen, und das ist lang,« erwiderte Pitou.
Zwei bis drei Personen eilten nach dem Waschhause, um Mademoiselle Katharine zu holen.
Doch während alle Welt nach einer Seite lief, wandte Pitou maschinenmäßig die Augen nach der Treppe, die in den ersten Stock führte, und da der Wind von unten einen Luftzug nach oben gemacht hatte, so erblickte er durch eine offene Thüre Katharine, die aus einem Fenster schaute.
Katharine schaute nach dem Walde, in der Richtung von Boursonne. Sie war dergestalt in ihr Schauen vertieft, daß die Bewegung im Innern des Hauses sie gar nicht berührte; ihre ganze Aufmerksamkeit war im Gegenteil von etwas anderm in Anspruch genommen.
»Ah! ah!« sagte er leise seufzend für sich, nach dem Walde nach Boursonne, nach Herrn Isidor von Charny; ja so ist es.«
Und er stieß einen zweiten Seufzer aus, der noch kläglicher, war, als der erste.
In diesem Augenblick kamen die Boten, nicht nur vom Waschhause, sondern von allen Orten, wo Katharine sein konnte, zurück.
»Nun?« fragte Frau Billot.
»Wir haben sie nicht gesehen.«
»Katharine! Katharine!« rief Frau Billot.
Das Mädchen hörte nichts.
Pitou wagte es nun, zu sprechen.
»Frau Billot,« sagte er, »ich weiß wohl, warum man Mademoiselle Katharine nicht im Waschhause gefunden hat.«
»Warum hat man sie nicht dort gefunden?«
Ei! weil sie nicht dort ist.
»Du weißt also, wo sie ist?«
»Ja.«
»Wo ist sie?«
»Sie ist oben.«
Und er nahm die Pächterin bei der Hand, ließ sie die drei ersten Stufen der Treppe hinaufsteigen und zeigte ihr Katharine, die auf dem Rande des Fensters im Rahmen der Winden und des Epheus saß.
»Sie macht sich das Haar zurecht,« sagte die gute Frau.
»Ach! nein, es ist ganz zurecht gemacht,« antwortete Pitou schwermütig.
Die Pächterin schenkte der Schwermut Pitous keine Aufmerksamkeit und rief mit starker Stimme:
»Katharine! Katharine!«
Das Mädchen bebte überrascht, schloß rasch sein Fenster und fragte:
»Was giebt es?«
»Ei! so komm doch, Katharine,« rief die Mutter Billot, die nicht an der Wirkung zweifelte, die ihre Worte hervorbringen würden. »Ange ist von Paris angekommen.«
Pitou horchte mit Bangen auf die Antwort, die Katharine geben würde.
»Ah!« machte sie kalt.
So kalt, daß dem armen Pitou das Herz sank.
»Ah!« sprach sie, als sie den Boden berührte, »er ist es.«
Pitou verbeugte sich schamrot und schauernd. Er hat einen Helm, sagte eine Magd der jungen Gebieterin ins Ohr.
Pitou hörte das Wort und studierte die Wirkung davon im Gesichte Katharines.
Ein reizendes Gesicht, vielleicht ein wenig bleich geworden, aber noch mehr voll und sammetartig.
Katharine zeigte aber für Pitous Helm keine Bewunderung.
»Ah! er hat einen Helm,« sagte sie, »wozu?«
Diesmal gewann die Entrüstung die Oberhand im Herzen des ehrlichen Jungen.
»Ich habe einen Helm und einen Säbel,« sprach er mit Stolz, »weil ich mich geschlagen und Dragoner und Schweizer getötet habe, und wenn Sie daran zweifeln, so werden Sie Ihren Vater fragen, Mademoiselle Katharine . . . so ist es.«
Katharine war so zerstreut, daß sie nur den letzten Teil von Pitous Antwort zu hören schien.
»Wie geht es meinem Vater?« fragte sie, »und warum kommt er nicht mit Ihnen zurück? Sind die Nachrichten von Paris schlecht?«
»Sehr schlecht,« erwiderte Pitou.
»Ich glaubte, es sei alles in Ordnung gebracht,« versetzte Katharine.
»Ja, das ist wahr; doch alles ist wieder in Unordnung geraten.«
»Hat nicht zwischen Volk und König eine Verständigung stattgefunden? Ist nicht Herr Necker zurückberufen worden?«
»Es handelt sich wohl um Herrn Necker,« erwiderte Pitou anmaßend.
»Das hat aber doch das Volk zufrieden gestellt, nicht wahr?«
»So gut zufrieden gestellt, daß das Volk im Zuge ist, sich Gerechtigkeit widerfahren zu lassen und alle seine Feinde zu töten.«
»Alle seine Feinde!« rief Katharine erstaunt. »Und wer sind denn die Feinde des Volks?«
»Die Aristokraten.«
Katharine erbleichte.
»Was nennt man denn Aristokraten?« fragte sie.
»Ei! diejenigen, welche große Güter haben, – diejenigen, welche schöne Schlösser haben, – diejenigen, welche alles haben, während wir nichts haben.«
»Ferner, ferner, sagte Katherine ungeduldig.
»Die Leute, welche die schönen Pferde und die schönen Wagen haben, während wir zu Fuß gehen.«
»Mein Gott!« rief das Mädchen entsetzlich erbleichend.
Pitou bemerkte diese Veränderung in ihren Zügen.
»Ich nenne Aristokraten Personen von Ihrer Bekanntschaft.«
»Von meiner Bekanntschaft?«
»Von unsrer Bekanntschaft?« fragte die Mutter Billot.
»Aber wen denn?« fragte Katharine.
»Herrn Berthier von Sauvigny, zum Beispiel, der Ihnen die goldenen Ohrringe geschenkt hat, die Sie an dem Tage trugen, wo Sie mit Herrn Isidor tanzten.«
»Nun?«
»Nun! ich habe die Leute gesehen, die sein Herz fraßen, ich, der ich mit Ihnen spreche!«
Ein entsetzlicher Schrei drang aus der Brust aller hervor. Katharine warf sich auf den Stuhl zurück.
»Du hast das gesehen?« sagte die Mutter Billot vor Entsetzen.
»Und Herr Billot hat es auch gesehen!«
»Ach! mein Gott.«
»Ja,« fuhr Pitou fort, »zu dieser Stunde muß man alle Aristokraten von Paris und Versailles getötet oder verbrannt haben.«
»Das ist gräßlich,« murmelte Katharine.
»Gräßlich! und warum denn? Sie sind doch keine Aristokratin. Sie, Frau Billot?«
»Herr Pitou,« sprach Katharine mit einer düstern Energie, »mir scheint, Sie waren nicht so grimmig, ehe Sie nach Paris abgingen.«
»Und ich bin es nicht mehr, Mademoiselle,« erwiderte Pitou sehr erschüttert, »aber . . .«
»Dann rühmen Sie sich nicht der Verbrechen, welche die Pariser begehen, da Sie kein Pariser sind, und da Sie diese Verbrechen nicht begangen haben.«
»Ich habe sie so wenig begangen, daß Herr Billot und ich, während wir Herrn Berthier verteidigten, beinahe umgebracht worden wären.«
»Oh! mein Vater! mein braver Vater! daran erkenne ich ihn!« rief Katharine begeistert.
»Mein würdiger Mann!« sprach die Mutter Billot mit feuchten Augen. »Ei! was hat er denn gethan?«
Pitou erzählte die erschreckliche Szene auf der Grève, Billots Verzweiflung und seinen Wunsch, nach Villers-Cotterets zurückzukehren.
»Warum ist er denn nicht gekommen?« sprach Katharine mit einem Ausdruck, der Pitous Herz tief bewegte, wie eine von den unglücklichen Prophezeiungen, womit einst die Wahrsager so tief in die Gemüter einzudringen wußten.
Die Mutter Billot faltete die Hände.
»Herr Gilbert hat es nicht gewollt,« antwortete Pitou.
»Herr Gilbert will also, daß man meinen Mann töte?« versetzte die Mutter Billot schluchzend.
»Will er, daß das Haus meines Vaters zu Grunde gehen soll?« fügte Katharine mit demselben Tone finsterer Schwermut bei.
»Oh! nein!« rief Pitou. »Herr Gilbert und Herr Billot sind miteinander übereingekommen. Herr Billot wird noch einige Zeit in Paris bleiben, um die Revolution zu Ende zu bringen.«
»Sie beide allein wollen das?« fragte die Mutter Billot.
»Nein, mit Herrn von Lafayette und Herrn Bailly.«
»Ah!« rief die Pächterin mit Bewunderung, »sobald er mit Herrn von Lafayette und Herrn Bailly ist . . .«
»Wann gedenkt er zurückzukommen?« fragte Katharine.
»Oh! was das betrifft, ich weiß es nicht.«
»Und du, Pitou, wie bist du denn zurückgekommen?«
»Ich, ich habe Sebastian Gilbert zum Abbé Fortier geführt, und ich bin hierherkommen, um die Instruktionen von Herrn Billot zu überbringen.«
Pitou erhob sich nach diesen Worten, nicht ohne eine gewisse diplomatische Würde, die, wenn nicht von den Dienstboten, doch wenigstens von den Gebietern begriffen wurde.
Die Mutter Billot stand auch auf und entließ ihre Leute. Katharine, die sitzen geblieben war, suchte bis in die Tiefe der Seele Pitous Gedanken zu erforschen, bevor sie noch über seine Lippen kamen.
»Was wird er mir sagen lassen?« fragte sie sich.
LIX.
Frau Billot dankt ab
Um den Willen des geehrten Vaters zu hören, vereinigten die zwei Frauen ihre ganze Aufmerksamkeit. Pitou wußte wohl, daß die Aufgabe ziemlich schwierig war; er hatte die Mutter Billot und Katharine bei der Arbeit gesehen; er kannte die Gewohnheit des Befehlens der einen, die unbändige Unabhängigkeit der andern.
Katharine, ein so sanftes, ein so arbeitsames, ein so gutes Mädchen, hatte gerade durch die Wirkung dieser Eigenschaften eine ungeheure Gewalt über alle im Pachthofe erlangt; und was ist der Herrschgeist andres, als der feste Wille, nicht zu gehorchen?
Pitou, indem er seinen Auftrag auseinandersetzte, wußte ganz genau, welches Vergnügen er der einen, und welchen Kummer er der andern bereiten würde.
Auf die Nebenrolle zurückgewiesen, kam ihm die Mutter Billot wie eine unregelmäßige, alberne Sache vor. Das vergrößerte Katharine in den Augen Pitous, und unter den gegenwärtigen Umständen bedurfte Katharine dessen nicht.
Aber Pitou repräsentierte im Pachthofe einen von den Herolden Homers, einen Mund, ein Gedächtnis, und nicht einen Verstand. Er drückte sich in folgenden Worten aus:
»Frau Billot, es ist die Absicht Herrn Billots, daß Sie sich so wenig als möglich plagen.«
»Wieso?« fragte die gute Frau erstaunt.
»Was bedeutet das Wort plagen?« fragte die junge Katharine.
»Das bedeutet,« antwortete Pitou, »daß die Verwaltung eines Pachthofes wie der Ihrige eine Regierung voller Sorgen und Arbeiten ist; es sind Händel zu machen . . .«
»Nun?« versetzte die gute Frau. »Bezahlungen, Feldgeschäfte, Ernten . . .«
»Wer sagt das Gegenteil?«
»Sicherlich niemand,« Frau Billot; »doch um die Händel zu machen, muß man reisen.«
»Ich habe mein Pferd.«
»Um zu bezahlen, muß man sich streiten.«
»Oh! ich habe einen guten Schnabel!«
»Für die Feldgeschäfte . . .«
»Bin ich nicht gewohnt, die Leute zu beaufsichtigen?«
»Und um zu ernten! oh! das ist etwas andres; man muß für die Arbeiter die Küche besorgen, den Fuhrleuten helfen . . .«
»Für das Beste meines Mannes erschreckt mich dies alles nicht, rief die würdige Frau.«
»Aber, Frau Billot . . .«
»So viel Arbeit . . . und . . . ein wenig Alter . . .«
»Ah!« machte die Mutter Billot, indem sie Pitou schief anschaute.
»Helfen Sie mir doch, Mademoiselle Katharine,« sagte der arme Junge, da er sah, daß seine Kräfte in demselben Maße abnahmen, als die Lage schwieriger wurde.
»Ich weiß nicht, was ich thun soll, um Ihnen zu helfen,« erwiderte Katharine.
»Nun! so hören Sie!« sprach Pitou. »Herr Billot hat nicht Frau Billot gewählt, um sich so wehe zu thun . . .«
»Wen denn?« unterbrach sie ihn, zitternd zugleich vor Bewunderung und vor Ehrfurcht.
»Er hat jemand gewählt, der stärker ist. Er hat Mademoiselle Katharine gewählt.«
»Meine Tochter Katharine, um das Haus zu regieren!« rief die Mutter mit einem Ausdruck von Mißtrauen und unbeschreiblicher Eifersucht.
»Unter Ihren Befehlen, meine Mutter,« sagte errötend hastig das junge Mädchen.
»Nein, nein,« entgegnete Pitou, der, sobald er einmal die Bahn gebrochen, auch geradezu auf das Ziel losging, »nein, ich vollziehe den Auftrag ganz und gar. Herr Billot betraut und bevollmächtigt an seiner Stelle, für jede Arbeit und alle Angelegenheiten des Hauses, – Mademoiselle Katharine.«
Jedes von diesen Worten, von der Wahrheit betont, drang der Hausfrau ins Herz, und diese Natur war so gut, daß, statt eine herbere Eifersucht und einen brennenderen Zorn darauf zu ergießen, die Gewißheit ihrer Hintansetzung sie gefaßter, gehorsamer, mehr von der Unfehlbarkeit ihres Mannes durchdrungen fand.
Konnte sich Billot täuschen? Konnte man Billot nicht gehorchen?
Das waren die zwei einzigen Beweisgründe, die sich die wackere Frau gegen sich selbst gab.
Und ihr ganzer Widerstand hörte auf.
Sie schaute ihre Tochter an, in deren Augen sie nur Vertrauen, guten Willen für das Gelingen, unveränderliche Zärtlichkeit und Ehrfurcht las. Sie gab durchaus nach.
»Herr Billot hat recht,« sagte sie; »Katharine ist jung, sie hat einen guten Kopf, sie ist sogar starrköpfig.«
»Oh! ja,« sprach Pitou im Glauben, er schmeichle der Eitelkeit von Katharine, während er zugleich ein Witzwort auf sie abschoß.
»Katharine,« fuhr die Mutter Billot fort, »Katharine wird flinker auf den Beinen sein, als ich; sie wird besser ganze Tage den Arbeitern nachzulaufen imstande sein. Sie wird besser verkaufen; sie wird sicherer einkaufen. Sie wird sich Gehorsam zu verschaffen wissen!«
Katharine errötete.
»Wohlan!« fuhr die gute Frau fort, ohne daß sie nur einen Seufzer zu unterdrücken nötig hatte, »Katharine wird ein wenig auf den Feldern umherlaufen! sie wird die Börse führen, man wird sie immer unterwegs sehen . . . meine Tochter wird nun in einen Jungen verwandelt sein . . .«
Mit der Miene eines von sich eingenommenen Menschen entgegnete Pitou:
»Fürchten Sie nichts für Mademoiselle Katharine; ich bin da, und ich werde sie überallhin begleiten.«
Dieses freundliche Anerbieten, mit dem Pitou ohne Zweifel Effekt zu machen hoffte, zog ihm von Katharine einen so seltsamen Blick zu, daß er ganz verblüfft war.
Das Mädchen errötete, nicht wie die Frauen, denen man Vergnügen macht, sondern in jener gesprenkelten Schattierung, die, durch ein doppeltes Anzeichen die doppelte Thätigkeit der Seele verratend, zugleich den Zorn und die Ungeduld, den Wunsch, zu sprechen, und das Bedürfnis, zu schweigen, bezeichnet.
Pitou war kein Mensch von Welt, er fühlte dies nicht. Da er aber begriffen hatte, daß die Röte Katharines keine vollständige Einwilligung war, so fragte er mit einem angenehmen Lächeln, das seine mächtigen Zähne unter seinen dicken Lippen enthüllte:
» Wie? Sie schweigen, Mademoiselle Katharine?«
»Sie wissen also nicht, Herr Pitou, daß Sie eine Albernheit gesagt haben?«
»Eine Albernheit!« versetzte der Verliebte.
»Wahrlich!« rief die Mutter Billot, »braucht denn meine Tochter eine Leibwache?«
»Aber in den Wäldern!« versetzte Pitou mit einer so naiv gewissenhaften Miene, daß es ein Verbrechen gewesen wäre, darüber zu lachen.
»Gehört das auch zu den Instruktionen meines Mannes?« fuhr die Mutter Billot fort, die damit gegen Pitou einige Geneigtheit zum Witz zeigte.
»Oh!« sagte Katharine, »das wäre das Gewerbe eines Faulenzers, das mein Vater Herrn Pitou nicht geraten haben kann, und das Herr Pitou von meinem Vater nicht angenommen hätte.«
Pitou ließ erschrocken seine Augen von Katharine zur Mutter Billot laufen; sein ganzes Gerüste stürzte zusammen.
Katharine, ein echtes Weib, begriff Pitous schmerzliche Täuschung.
»Herr Pitou,« sagte sie, »haben Sie in Paris die Mädchen so ihre Ehre bloßstellen sehen, daß sie immer Jungen hinter sich schleppten?«
»Sie sind aber kein Mädchen,« entgegnete Pitou, »da Sie die Gebieterin des Hauses sind.«
»Vorwärts! genug geschwatzt!« rief ungestüm die Mutter Billot, die Gebieterin des Hauses hat viele Dinge zu thun. »Komm, Katharine, daß ich dir nach den Befehlen deines Vaters das Haus übergebe.«
Da begann vor den Augen des erstaunten, unbeweglichen Pitou eine Zeremonie, der es weder an Größe, noch an Poesie in ihrer ländlichen Einfachheit gebrach.
Die Mutter Billot zog ihre Schlüssel vom Bund, händigte einen nach dem andern Katharine ein und übergab ihr das Verzeichnis der Wäsche, der Flaschen, der Möbel und der Vorräte. Sie führte ihre Tochter zu dem alten Sekretär von eingelegter Arbeit vom Jahre 1738 oder 1740, in dem der Vater Billot seine Papiere, seine Louisd'or und den ganzen Schatz und die Archive der Familie verwahrte.
Katharine ließ sich ernst mit der Vollmacht und den Geheimnissen bekleiden; sie befragte ihre Mutter mit Scharfsinn, dachte bei jeder Antwort nach und schien die Unterweisung in die Tiefen ihres Gedächtnisses und ihrer Vernunft wohl zu verschließen.
Nach Untersuchung der Gegenstände des Hauses ging die Mutter Billot zum Vieh über, das man mit großer Genauigkeit in Augenschein nahm.
Doch das war eine einfache Förmlichkeit.
Bei diesem Zweige der Bewirtschaftung hatte das Mädchen schon längst die spezielle Verwaltung.
Den Kopf gesenkt, die Hände hängend, in Gedanken zerstreut, folgte Pitou maschinenmäßig dem Mädchen und seiner Mutter bei ihrem Musterungsgange.
Man hatte kein Wort an ihn gerichtet. Er war da wie ein Wächter im Theater, und sein Helm trug nicht wenig dazu bei, ihm eigentümlich den bizarren Anschein zu geben.
Man ließ sodann Knechte und Mägde die Revue passieren.
Die Mutter Billot befahl, einen Halbkreis zu bilden, in dessen Mitte sie sich stellte.
»Meine Kinder,« sagte sie, »unser Herr kommt noch nicht von Paris zurück; doch hat er uns einen Stellvertreter gewählt.«
»Das ist meine Tochter Katharine hier, die noch im Alter der fröhlichen Jugend und ungeschwächten Stärke steht; ich, ich bin alt und habe einen schwachen Kopf. Der Herr hat wohl gethan. Die Gebieterin des Hauses ist nun Katharine. Das Geld giebt und empfängt sie. Ihre Befehle werde ich zuerst einholen und vollziehen; diejenigen von Euch, die ungehorsam wären, hätten es mit ihr zu thun.«
Katharine fügte kein Wort bei. Sie küßte ihre Mutter zärtlich. Die Wirkung dieses Kusses war größer als alle Phrasen. Die Mutter Billot weinte.
Alle Knechte begrüßten die neue Herrschaft durch Zuruf.
Sogleich trat Katharine in Funktion und verteilte die Dienste. Jeder empfing seinen Auftrag und ging weg, um ihn mit dem guten Willen auszuführen, mit dem man beim Anfang einer Regierung zu Werke geht.
Pitou, der allein geblieben, näherte sich am Schlusse Katharine und sagte zu ihr:
»Und ich?«
»Ah!« antwortete sie, »ich habe Ihnen nichts zu befehlen.«
»Wie, ich soll also bleiben, um nichts zu thun?«
»Was wollen Sie thun?«
»Was ich vor meinem Abgang that.«
»Vor Ihrem Abgang waren Sie von meiner Mutter aufgenommen.«
»Aber Sie sind die Gebieterin, geben Sie mir Arbeit.«
»Ich habe keine für Sie, Herr Ange.«
»Warum nicht?«
»Weil Sie ein Gelehrter, ein Herr von Paris sind, dem diese bäuerischen Arbeiten nicht anstehen.«
»Ist es möglich!« rief Pitou.
Katharine machte ein Zeichen, das besagen wollte: Es ist so.
»Ich, ein Gelehrter!« wiederholte Pitou. »Aber sehen Sie doch meine Arme, Mademoiselle Katharine.«
»Gleichviel.«
»Ei, Mademoiselle Katharine,« sprach der arme Junge in Verzweiflung, »warum sollten Sie mich denn unter dem Vorwand, ich sei ein Gelehrter, nötigen, Hungers zu sterben? Sie wissen also nicht, daß der Philosoph Epiktet diente, um zu essen, daß der Fabeldichter Aesop sein Brot im Schweiße seines Angesichts aß? Das waren doch gelehrtere Leute als ich, diese zwei Herren.«
»Was wollen Sie? das ist nun so.«
»Aber Herr Billot hat mich als einen angenommen, der zu seinem Hause gehörte; er schickt mich von Paris zurück, um abermals dazu zu gehören.«
»Es mag sein, mein Vater konnte Sie nötigen, Arbeiten zu verrichten, die ich Ihnen aufzulegen nicht wagen würde.«
»Legen Sie sie mir nicht auf.«
»Ja, dann werden Sie müßig gehen, und das vermöchte ich Ihnen nicht zu erlauben. Mein Vater hatte als Herr das Recht, zu thun, was mir als einer bloßen Stellvertreterin verboten ist. Ich verwalte sein Gut, sein Gut muß eintragen.«
»Nun ja, da ich arbeiten will, werde ich eintragen; Sie sehen wohl, Mademoiselle Katharine, Sie drehen sich in einem fehlerhaften Kreise.«
»Wie beliebt?« versetzte Katharine, die die großen Phrasen von Pitou nicht verstand. »Was ist ein fehlerhafter Kreis?«
»Man nennt einen fehlerhaften Kreis ein schlechtes Raisonnement. Nein, lassen Sie mich auf dem Pachthof und geben Sie mir die Frohnen, wenn Sie wollen. Sie werden dann sehen, ob ich ein Gelehrter und ein Faulenzer bin. Uebrigens haben Sie Bücher zu führen und Register in Ordnung zu halten. Das Rechenwesen schlägt eben in mein Fach.«
»Das ist meiner Ansicht nach keine genügende Beschäftigung für einen Mann,« erwiderte Katharine.
»Dann bin ich also zu nichts nütze?«
»Leben Sie immerhin hier,« sprach Katharine gelinder, »ich werde nachdenken, und wir wollen sehen.«
«Sie verlangen nachzudenken, um zu wissen, ob Sie mich behalten sollen? Aber was habe ich Ihnen denn gethan, Mademoiselle Katharine? Ah! Sie waren früher nicht so.«
Katharine zuckte unmerklich die Achseln.
Sie hatte Pitou keine guten Gründe anzugeben, und nichtsdestoweniger ermüdete sie offenbar seine Beharrlichkeit.
Sie brach auch das Gespräch ab und sagte:
»Genug hiermit, Herr Pitou; ich gehe nach La Ferté-Milon.
»Dann sattle ich eiligst Ihr Pferd,« Mademoiselle Katharine.
»Durchaus nicht; bleiben Sie im Gegenteil. Sie verbieten, daß ich Sie begleite?«
»Bleiben Sie,« sprach Katharine gebieterisch.
Pitou blieb an seinen Platz genagelt, neigte das Haupt und preßte nach innen eine Thräne zurück, die sein Augenlid brannte, als wäre sie von siedendem Oel gewesen.
Katharine ließ Pitou, wo er war, ging weg und gab einem Knechte des Pachthofes den Befehl, ihr Pferd zu satteln.
»Ah!« murmelte Pitou, »Sie finden mich verändert, Mademoiselle Katharine, doch Sie sind es, und zwar ganz anders als ich.«