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Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 38

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LX.
Was Pitou bestimmt, den Pachthof zu verlassen und nach Haramont, seiner einzigen und wahren Heimat zurückzukehren

Sich in die Stellung einer ersten Magd fügend, hatte die Mutter Billot ihre Arbeit, ohne es absichtlich zur Schau zu tragen und ohne Bitterkeit, mit gutem Willen wieder aufgenommen. Die Rührigkeit, die in dem landwirtschaftlichen Herrschaftskreis einen Augenblick unterbrochen war, fing nun wieder an, dem Innern eines summenden und arbeitenden Bienenkorbs zu gleichen.

Während man das Pferd für Katharine sattelte, kehrte diese nach dem Hause zurück und warf dabei einen Seitenblick auf Pitou, dessen Leib unbeweglich blieb, während sein Kopf sich drehte wie eine Wetterfahne und der Bewegung des jungen Mädchens folgte, bis es in seinem Zimmer verschwunden war.

Was will Katharine in ihrem Zimmer thun? fragte sich Pitou.

Armer Pitou, was sie thun will! Sie will sich die Haare ordnen, eine weiße Haube aufsetzen, einen feineren Strumpf anziehen.

Dann, als diese Ergänzung der Toilette beendigt war, und sie ihr Pferd unter dem Hause stampfen hörte, ging sie hinab, küßte ihre Mutter und ritt weg.

Müßig, schlecht befriedigt durch den kurzen, halb mitleidigen, halb gleichgültigen Blick, den Katharine bei ihrem Abgange auf ihn gerichtet hatte, konnte sich Pitou nicht entschließen, so in der Bangigkeit zu bleiben.

Seitdem er Katharine wiedergesehen, schien es ihm, als könne er ihr Leben durchaus nicht entbehren.

Als Pitou den Tritt des abgehenden Pferdes vernahm, lief er nach der Thüre. Er erblickte nun Katharine, einem schmalen Querwege folgend, der vom Pachthofe nach der Landstraße von La Ferté-Milon führte und unten an einem kleinen Berge ausmündete, dessen Gipfel sich im Walde verliert.

Von der Schwelle dieser Thüre aus sandte er dem Mädchen ein Lebewohl voll Bedauern und Demut zu.

Doch kaum war dieses Lebewohl mit Hand und Herz abgesandt, als Pitou etwas überlegte.

Katharine hatte ihm wohl verbieten können, sie zu begleiten, aber sie konnte ihm nicht verbieten, ihr zu folgen.

Katharine konnte wohl zu Pitou sagen: Ich will Sie nicht sehen; aber sie konnte nicht zu ihm sagen: Ich verbiete Ihnen, mich anzuschauen.

Pitou überlegte also, daß ihn, da er nichts zu thun hatte, nichts in der Welt verhindere, unter dem Walde am Wege hin zu gehen, den Katharine machen würde. Ohne gesehen zu werden, würde er sie so von fern durch die Bäume im Auge behalten können.

Es waren vom Pachthofe nur anderthalb Meilen nach La Ferté-Milon. Anderthalb Meilen für den Hinweg, anderthalb Meilen für den Herweg, was war das für Pitou?

Übrigens gelangte Katharine zur Straße auf einer Linie, die einen Winkel mit dem Walde bildete. Wenn er die gerade Linie nahm, so ersparte Pitou eine Viertelmeile. Es blieben also nur noch zwei und eine halbe Meile, um nach La Ferté-Milon zu gehen und von dort zurückzukommen.

Kaum hatte Pitou diesen Plan ausgedacht, als er ihn in Ausführung brachte.

Während Katharine die Landstraße erreichte, erreichte Pitou, hinter den hohen Roggen gebückt, den Wald.

So lief er eine Viertelmeile und dann erblickte er die Lichtung, die die Landstraße bildete. Hier blieb er stehen und lehnte sich an eine ungeheure Eiche an, die ihn völlig verbarg. Er war sicher, Katharine zuvorgekommen zu sein.

Und dennoch wartete er zehn Minuten, eine Viertelstunde sogar, und sah niemand.

Hatte sie etwas im Pachthofe vergessen und war dahin zurückgekehrt? Das war möglich.

Mit der größten Vorsicht näherte er sich der Straße und streckte seinen Kopf hinter einem dicken Baum vor. Er dehnte seinen Blick bis zur Ebene aus, die ihm die Schärfe der Linie zu sehen erlaubte, sah aber nichts.

Pitou lief weiter. Entweder war sie noch nicht angekommen: und dann würde er sie in den Pachthof eintreten sehen; oder sie war zurückgekehrt: und dann würde er sie herauskommen sehen.

Er lief nun auf der sandigen Rückseite der Straße, wo es sanfter zu gehen war, als er plötzlich stehen blieb.

Das Pferd Katharines war ein Paßgänger, hatte die Straße verlassen, um einem kleinen Fußpfade zu folgen, an dessen Eingang man auf einem Posten las:

»Fußpfad der Straße von La Ferté-Milon nach Boursonne.«

Pitou schlug die Augen auf und erblickte am entgegengesetzten Ende des Pfades, in einer großen Entfernung in den bläulichen Horizont des Waldes getaucht, das weiße Pferd und den roten Rock Katharines.

Es war, wie gesagt, in einer großen Entfernung; aber für Pitou gab es keine Entfernungen!

»Ah!« rief Pitou, abermals in den Wald stürzend, »sie geht also nicht nach La Ferté-Milon, sondern nach Boursonne.«

»Und ich täusche mich doch nicht. Sie hat mehr als zehnmal La Ferté-Milon gesagt; man hat ihr Aufträge nach La Ferté-Milon gegeben. Die Mutter Billot hat selbst von La Ferté-Milon gesprochen.«

Und während er dies sagte, lief Pitou immer; er lief mehr und mehr; lief wie einer, der keine Milz hat.

Durch den Zweifel, diese erste Hälfte der Eifersucht, angetrieben, lief Pitou wie ein Pferd.

Kein Löwe hätte diesen grimmigen Willen, seine Beute zu erreichen, gehabt.

Als Pitou Katharine erblickte, hatte er mehr als eine halbe Meile zu machen; er ließ ihr aber, während er die halbe Meile zurücklegte, nicht Zeit, eine Viertelmeile zu machen.

Sein Lauf hatte also das Doppelte der Geschwindigkeit von der eines Pferdes im Trabe erlangt.

Endlich erreichte er eine der ihrigen parallele Linie.

Man war nicht mehr fünfhundert Schritte vom entgegesetzten Saume des Waldes; diese Lichtung, die man durch die Bäume erblickte, war Boursonne.

Katharine hielt an. Pitou hielt an.

Es war Zeit, dem armen Teufel fing der Atem an auszugehen.

Nicht mehr bloß deswegen, um Katharine zu sehen, folgte ihr Pitou; er folgte ihr auch, um sie zu beobachten.

Sie hatte gelogen. In welcher Absicht?

Gleichviel; um wieder ein gewisses Übergewicht über sie zu erlangen, mußte er sie auf frischer That ertappen.

Pitou drang mit gesenktem Kopfe durch das Farnkraut und die Dornen, zerbrach die Hindernisse mit seinem Helm und wandte, wo es not that, seinen Säbel an.

Da aber Katharine nur noch im Schritte ritt, so drang von Zeit zu Zeit das Geräusch der gebrochenen Zweige bis zu ihr und machte zugleich das Pferd und die Gebieterin die Ohren spitzen.

Da hielt Pitou, der Katharine nicht aus den Augen verlor, an und schöpfte Atem; er zerstörte den Verdacht.

Doch das konnte nicht lange fortdauern, und es dauerte auch nicht fort.

Pitou hörte plötzlich das Pferd Katharines wiehern, und auf dieses Wiehern antwortete ein andres Wiehern.

Das zweite Pferd, das wieherte, vermochte man aber noch nicht zu sehen.

Doch wie es auch sein mochte, Katharine schlug Cadet mit ihrer Stechpalmreitgerte, und Cadet, der einen Augenblick geschnauft hatte, schlug den starken Trab an.

Infolge der vermehrten Schnelligkeit traf sie nach Verlauf von fünf Minuten mit einem Reiter zusammen, der ihr mit demselben Eifer entgegeneilte, mit dem sie ihm entgegengekommen.

Katharine hatte sich so rasch und so unerwartet vorwärts bewegt, daß der arme Pitou, ohne sich zu rühren, an derselben Stelle geblieben war und sich nur auf die Fußspitzen erhoben hatte, um weiter zu sehen.

Es war fast zu sehr entfernt, um etwas genauer zu sehen.

Doch wenn er es nicht sah, so war das, was Pitou wie einen elektrischen Schlag fühlte, die Freude und das Erröten des Mädchens, es war das Beben, das ihren ganzen Körper bewegte, es war das Sprühen ihrer gewöhnlich so sanften, so ruhigen, und nun so funkelnden Augen. Er sah auch nicht so genau, wer der Reiter war, um seine Züge zu unterscheiden. Doch da er an seiner Haltung, an seinem Jagdrock von grünem Sammet, an seinem Hut mit breiter Rundschnur, an seiner freien und anmutigen Kopfbedeckung erkannte, daß er der höchsten Klasse der Gesellschaft angehören mußte, so richtete sich sein Geist sogleich auf den hübschen jungen Mann, auf den schönen Tänzer von Villers-Cotterets zurück. Sein Herz, sein Mund, alle seine Fibern bebten zugleich und murmelten den Namen Isidor von Charny.

Er war es in der That.

Pitou stieß einen Seufzer aus, der einem Gebrülle glich, drang abermals in das Gestrüppe und gelangte bis auf eine Entfernung von zwanzig Schritten zu den jungen Leuten, die indessen zu sehr aufeinander aufmerksam waren, um sich darum zu bekümmern, ob das Geräusch, das sie hörten, von einem vierfüßigen oder einem zweifüßigen Tiere herrührte.

Der junge Mann drehte sich indessen gegen Pitou um, erhob sich auf dem Steigbügel und schaute mit einem unbestimmten Blicke umher; doch um der Erspähung zu entgehen, warf sich Pitou sogleich auf den Bauch und drückte das Gesicht gegen die Erde.

Dann kroch er, wie eine Schlange, noch einen Raum von zehn Schritten weiter, gelangte so in den Bereich der Stimmen und horchte.

»Guten Morgen, Herr Isidor,« sagte Katharine.

»Herr Isidor,« murmelte Pitou, »ich wußte es wohl.«

Da fühlte er es auf seinem armen Herzen wie das ungeheure Gewicht eines Pferdes, als ob es ihn mit Füßen getreten hätte!

Da fühlte er durch Mark und Seele die ungeheure Ermüdung von all der Arbeit, die der Zweifel, das Mißtrauen und die Eifersucht ihn seit einer Stunde hatten durchmachen lassen.

Einander gegenüber hatten die beiden jungen Leute den Zügel fallen lassen und sich bei den Händen genommen; sie hielten sich aufrecht und bebend, stumm und lächelnd, während die zwei Pferde, ohne Zweifel aneinander gewöhnt, sich mit den Nüstern liebkosten und mit ihren Füßen auf dem Moose der Straße spielten.

»Sie sind heute verspätet, Herr Isidor,« sagte Katharine, das Stillschweigen unterbrechend.

»Heute!« murmelte Pitou, es scheint, an den andern Tagen ist er nicht verspätet.

»Das ist nicht meine Schuld, liebe Katharine,« erwiderte der junge Mann; ich bin durch einen Brief von meinem Bruder zurückgehalten worden, der mir heute früh zugekommen ist, und auf den ich mit umgehendem Kurier antworten mußte. Doch seien Sie unbesorgt, morgen werde ich pünktlicher sein.«

Katharine lächelte, und Isidor drückte die Hand noch zärtlicher, die man ihm überließ.

Ach! das waren eben so viele Dornen, die das Herz des armen Pitou bluten machten.

»Sie haben also frische Nachrichten von Paris?« fragte sie.

»Ja.«

»Nun, ich auch,« sprach sie lächelnd. »Haben Sie mir nicht eines Tags gesagt, wenn zwei Personen, die sich lieben, etwas Aehnliches begegne, so nenne man das Sympathie?«

»Ganz richtig, und wie haben Sie Nachrichten erhalten, meine schöne Katharine?«

»Durch Pitou.«

»Was ist das, Pitou?« fragte der junge Adelige mit einer unbefangenen, heiteren Miene.

»Sie wissen es wohl,« sagte sie: »Pitou, der arme Junge, den mein Vater im Pachthofe aufgenommen hatte und der mir an einem Sonntag den Arm gab.«

»Ah! ja,« versetzte der Edelmann; derjenige, »welcher Kniee hat wie Serviettenknoten.«

Katharine lachte. Pitou fühlte sich gedemütigt, in Verzweiflung. Er schaute seine in der That Knoten ähnlichen Kniee an, indem er sich auf seine beiden Hände stützte und sich erhob; dann fiel er mit einem Seufzer wieder auf seinen Bauch nieder.

»Ah!« sagte Katharine, »zerreißen Sie mir nicht zu sehr meinen armen Pitou. Wissen Sie, was er mir vorhin vorgeschlagen hat?«

»Nein; erzählen Sie mir das ein wenig, meine Schönste.«

»Nun! er wollte mich nach La Ferté-Milon begleiten.«

»Wohin Sie nicht gingen?«

»Nein, da ich wußte, daß Sie mich hier erwarteten, während ich beinahe auf Sie gewartet habe.«

»Ah! wissen Sie, daß Sie da ein königliches Wort gesagt haben, Katharine?«

»Wahrhaftig, ich vermutete es nicht.«

»Warum haben Sie den Vorschlag dieses schönen Ritters nicht angenommen? er hätte uns belustigt.«

»Vielleicht nicht immer,« antwortete Katharine lachend.

»Sie haben recht,« sprach Isidor, indem er auf die schöne Pächterin von Liebe glänzende Augen heftete.

Und er verbarg den errötenden Kopf des Mädchens in seinen Armen, mit denen er sie umfing.

Pitou schloß die Augen, um nicht zu sehen; aber er hatte vergessen, die Ohren zu schließen; das Geräusch eines Kusses gelangte zu ihm.

Pitou faßte sich voll Verzweiflung bei den Haaren; als er wieder zu sich kam, hatten die jungen Leute ihre Pferde in Schritt gesetzt und entfernten sich langsam.

Die letzten Worte, die Pitou hörte, waren:

»Ja, Sie haben recht, Herr Isidor, lassen Sie uns eine Stunde beisammen bleiben; ich werde diese Stunde auf den Beinen meines Pferdes wieder einholen und,« fügte sie lachend bei, »es ist ein gutes Tier, das nichts ausplaudern wird.«

Dies war alles, die Erscheinung verschwand, die Dunkelheit trat in Pitous Seele ein, wie sie in der Natur eintrat, und der arme Junge wälzte sich im Grase und überließ sich den natürlichen Zuckungen seines Schmerzes.

Die Kühle der Nacht brachte ihn wieder zu sich.

»Ich werde nicht nach dem Pachthofe zurückkehren,« sagte er; »ich würde dort gedemütigt, schmählich behandelt; ich würde das Brot einer Frau essen, die einen andern Mann liebt, und zwar, ich muß es gestehen, einen Mann, der viel schöner, reicher und eleganter ist, als ich. Nein, mein Platz ist nicht in Pisseleux, sondern in Haramont, in meiner Heimat, wo ich vielleicht Leute finden werde, die nicht bemerken, daß ich Kniee habe, Serviettenknoten ähnlich.«

Nachdem er so gesprochen, rieb sich Pitou seine guten langen Beine und wanderte gen Haramont, wohin ihm, ohne daß er es vermutete, sein Ruf und der seines Helmes und seines Säbels vorangegangen waren, und wo seiner, wenn nicht das Glück, doch wenigstens ruhmwürdige Geschicke harrten.

Doch bekanntlich ist es nicht das Attribut der Menschheit, vollkommen glücklich zu sein.

LXI.
Pitou als Redner

Als er indessen abends gegen zehn Uhr nach Villers-Cotterets kam, nachdem er um sechs Uhr morgens abgegangen war, und im Zwischenraume die ungeheure Wanderung gemacht hatte, begriff Pitou, so traurig er sich fühlte, es wäre besser, im Gasthofe zum Dauphin in einem Bette, als unter freiem Himmel am Fuße einer Buche oder einer Eiche des Waldes zu schlafen.

Denn in Haramont in einem Hause zu schlafen, wenn er dort um halb elf Uhr abends erst ankäme, daran war nicht zu denken; seit anderthalb Stunden waren alle Lichter ausgelöscht und alle Thüren geschlossen.

Pitou kehrte also im Gasthause zum Dauphin ein, wo er für dreißig Sous ein vortreffliches Bett, einen vierpfündigen Laib Brot, ein Stück Käse und einen Krug Aepfelmost bekam.

Pitou war zugleich abgemattet und verliebt, lahm und in Verzweiflung; daraus erfolgte zwischen dem Physischen und Moralischen ein Kampf, in dem das Moralische, anfangs siegend, am Ende unterlag.

Das heißt von elf Uhr bis zwei Uhr morgens seufzte, stöhnte Pitou, drehte er sich im Bette um, ohne schlafen zu können; um zwei Uhr aber schloß er, durch die Müdigkeit besiegt die Augen, um sie erst um sieben Uhr wieder zu öffnen.

Als Pitou das Gasthaus zum Dauphin verließ, bemerkte er, daß sein Helm und Säbel abermals die öffentliche Aufmerksamkeit erregten.

Er sah sich auch wirklich, als er ungefähr hundert Schritte gemacht hatte, als den Mittelpunkt einer Versammlung.

Pitou hatte entschieden eine ungeheure Popularität in der Gegend erlangt.

Einige Einwohner von Villers-Cotterets, die Pitou am Tage vorher vom Abbé Fortier, in der Rue de Soissons, bis zur Thüre der Tante Angélique geleitet hatten, beschlossen, um die Huldigung fortzusetzen, Pitou von Villers-Cotterets nach Haramont zu geleiten.

Dies thaten sie, und als es die Einwohner von Haramont sahen, so fingen sie an, ihren Landsmann zu seinem wahren Werte zu schätzen.

Allerdings war der Boden schon bereitet, um den Samen aufzunehmen. Der erste Durchzug von Pitou, so rasch er gewesen, hatte doch eine Spur in den Geistern zurückgelassen: sein Helm und sein Säbel waren denen, die ihn im Zustande einer leuchtenden Erscheinung gesehen, im Gedächtnis geblieben.

Daher umgaben ihn die Einwohner von Haramont auch mit allen Zeichen der Hochachtung und baten ihn, seine kriegerische Rüstung niederzulegen und sein Zelt unter den vier Linden aufzuschlagen, die den Platz des Dorfes beschatteten.

Pitou ließ sich um so leichter herbei, hierzu einzuwilligen, als es seine Absicht war, seinen bleibenden Aufenthalt in Haramont zu nehmen. Er nahm daher zum Obdach ein Zimmer an, das ein kriegerisch Gesinnter des Dorfes ganz möbliert an ihn vermietete.

Möbliert mit einem Bett von Brettern, mit einem Strohsack und einer Matratze; möbliert mit zwei Kästen, einem Tische und einem Wasserkrug.

Das Ganze wurde vom Eigentümer selbst jährlich zu sechs Livres, das heißt zum Preise von zwei Schüsseln Hahn mit Reis angeschlagen.

Nachdem dieser Preis festgestellt war, nahm er Besitz von der Wohnung, wobei er denen, die ihn begleitet hatten, zu trinken bezahlte, und da ihm die Ereignisse nicht weniger als der Aepfelwein zu Kopf gestiegen waren, so hielt er ihnen auf der Schwelle seiner Thüre eine Rede.

Sie war ein großes Ereignis, diese Rede von Pitou; es bildete auch ganz Haramont einen Kreis um das Haus.

Pitou war ein wenig Gelehrter und kannte dies Schönreden; er wußte die acht Worte, mit denen zu jener Zeit die Ordner der Nationen, wie sie Homer nannte, die Volksmassen in Bewegung setzten.

Von Herrn Lafayette bis Pitou war es allerdings weit, aber von Haramont bis Paris, welche Entfernung! Moralisch gesprochen, wohl verstanden!

Pitou debütierte mit einem Eingang, mit dem sogar der Abbé Fortier nicht unzufrieden gewesen wäre.

»Bürger,« sprach er, »Mitbürger, dieses Wort ist süß auszusprechen, ich habe es schon zu andern Franzosen gesagt, denn alle Franzosen sind Brüder; hier glaube ich es aber zu wahren Brüdern zu sagen, und ich finde in meinen Landsleuten von Haramont eine ganze Familie.«

Die Frauen, – es fanden sich einige unter den Zuhörern, und das waren nicht die am besten gestimmten – Pitou hatte noch zu dicke Kniee und zu kleine Waden, um mit dem ersten Blick ein weibliches Auditorium für sich einzunehmen, – die Frauen dachten bei dem Worte Familie an den armen Pitou, das Waisenkind, an diesen armen Verlassenen, der seit dem Tode seiner Mutter sich niemals satt gegessen hatte. Und das Wort Familie von diesem Jungen ausgesprochen, der keine hatte, bewegte bei mehreren von ihnen die empfindliche Fiber, die den Thränenbehälter schließt.

Nachdem der Eingang beendigt war, fing Pitou die Erzählung, den zweiten Teil seiner Rede an.

Er sprach von seiner Reise nach Paris, von den Aufständen mit den Büsten, von der Einnahme der Bastille und der Rache des Volks. Er schlüpfte leicht über den Anteil weg, den er am Kampfe auf dem Platze des Palais-Royal und im Faubourg Saint-Antoine genommen hatte; doch je weniger er sich rühmte, desto mehr wuchs er in den Augen seiner Landsleute.

Nachdem die Erzählung beendigt war, kam Pitou zur Beweisführung, dieser zarten Operation, an der Cicero den wahren Redner erkannte.

Er bewies, daß die Leidenschaften des Volks gerade durch die Aufkäufer erregt worden waren. Er sagte ein paar Worte von den Herren Pitt, Vater und Sohn; er erklärte die Revolution durch die dem Adel und der Geistlichkeit bewilligten Privilegien; er forderte endlich das Volk von Haramont auf, insbesondere zu thun, was das französische Volk im allgemeinen gethan hatte: nämlich, sich gegen den allgemeinen Feind zu vereinigen. Dann ging er von der Beweisführung zum Schluß durch eine von jenen erhabenen Bewegungen über, die allen großen Rednern gemein sind.

Er ließ seinen Säbel fallen, und indem er ihn wieder aufhob, zog er ihn scheinbar aus Unachtsamkeit aus der Scheide.

Das gab ihm den Text zu einem aufrührerischen Antrag, der nach dem Beispiel der Pariser alle Einwohner der Gemeinde zu den Waffen rief.

Die enthusiastischen Haramonter antworteten kräftig. Die Revolution wurde im Dorfe verkündet und mit Zujauchzen begrüßt.

Die Leute von Villers-Cotterets, die der Versammlung beigewohnt hatten, gingen, das Herz angeschwollen vom patriotischen Sauerteig, weg und sangen auf eine für die Aristokraten höchst bedrohliche Weise und mit einer unbändigen Wut:

 
Vive Henri quatre!
Vive ce roi vaillant!
 

Rouget de l'Isle hatte die Marseillaise noch nicht komponiert, und die Föderierten von 90 hatten das alte volkstümliche Ça ira noch nicht wiedererweckt, in Betracht, daß man erst im Jahre der Gnade 1789 war.

Pitou glaubte nur eine Rede gehalten zu haben; er hatte aber eine Revolution gemacht.

Er kehrte in seine Wohnung zurück, bewirtete sich mit einem Stück Schwarzbrot und dem Käserest aus dem Gasthause zum Dauphin, den er sorgfältig in seinem Helme mitgebracht hatte; dann kaufte er Messingdraht, machte sich Schlingen und legte sie, als es Nacht geworden war, im Walde.

In derselben Nacht fing Pitou ein älteres und ein jüngeres Kaninchen.

Gegen ein Uhr nach Mitternacht kehrte er mit dieser ersten Beute zurück, er hoffte wohl eine zweite bei den Fährten vom Morgen zu machen.

Er legte sich nieder, bewahrte aber in seinem Innern noch einen so bittern Rest von dem Schmerz, der seine Beine am Tage vorher so sehr ermüdete, daß er auf der grausamen Matratze, die der Hauseigentümer selbst eine Galette17 nannte, nur sechs Stunden hintereinander hatte schlafen können.

Pitou schlief also von ein Uhr bis sieben Uhr morgens. Die Sonne überraschte ihn schlafend bei offenem Laden.

Durch diesen offenen Laden sahen ihm dreißig bis vierzig Einwohner von Haramont zu, wie er schlief.

Er erwachte, lächelte seinen Landsleuten zu und fragte sie freundlich, warum sie in so großer Anzahl und so frühzeitig zu ihm kämen.

Einer von ihnen nahm das Wort. Es war ein Holzhacker, Namens Claude Tellier.

»Ange Pitou,« sagte er, »wir haben die ganze Nacht überlegt; die Bürger müssen sich in der That, wie du es uns gestern gesagt hast, für die Freiheit bewaffnen.«

»Ich habe es gesagt,« erwiderte Pitou mit einem festen Ton, der verkündigte, er sei bereit, seinen Worten zu entsprechen.

»Nur fehlt es uns an einer Hauptsache.«

»An was?« fragte Pitou mit Teilnahme.

»An Waffen.«

»Ah! das ist wahr!«

»Wir haben aber genug überlegt, um unser Ueberlegen nicht zu verlieren, und wir werden uns um jeden Preis bewaffnen!«

»Bei meinem Abgang, sprach Pitou, waren fünf Flinten in Haramont: drei Kommißflinten, eine Jagdflinte mit einem Lauf und eine andre Jagdflinte mit zwei Läufen.«

»Es sind nur noch vier da, antwortete der Redner, die Jagdflinte ist vor einem Monat aus Altersschwäche zersprungen.«

»Das war die Flinte von Desiré Maniquet,« bemerkte Pitou.

»Ja, und sie hat mir beim Zerspringen sogar zwei Finger mitgenommen,« sagte Desiré Maniquet, indem er seine verstümmelte Hand über seinen Kopf emporhob, »und da mir der Unfall im Kaninchengehege des Aristokraten begegnet ist, den man Herrn von Longuré nennt, so werden mir die Aristokraten das bezahlen.«

Pitou nickte mit dem Kopfe, um anzudeuten, er billige diese gerechte Rache.

»Nun!« sprach Pitou, »mit vier Flinten habt Ihr schon die Mittel, um fünf Männer zu bewaffnen.«

»Wieso?«

»Ja, der Fünfte wird eine Pike tragen; das ist so in Paris: auf vier mit Flinten bewaffnete Männer kommt immer einer mit einer Pike. Die Piken, das ist sehr bequem, das dient um die Köpfe darauf zu stecken, die man abgeschnitten hat.«

»Ho! ho!« rief eine kräftige, heitere Stimme, wir wollen hoffen, »daß wir keine Köpfe abschneiden werden.«

»Nein,« erwiderte Pitou ernst, »wenn wir das Geld der Herren Pitt Vater und Sohn zurückzuweisen wissen. Doch wir waren bei den Flinten; bleiben wir bei der Frage, wie Herr Bailly sagt. Wieviel Männer sind in Haramont fähig, Waffen zu tragen? Habt Ihr Euch gezählt.«

»Ja, wir sind zweiunddreißig.«

»Es fehlen also achtundzwanzig Flinten.«

»Wie wird man sie bekommen?« fragte der dicke Mann mit dem heiteren Gesichte.

»Oh!« versetzte Pitou, »man muß das wissen, Boniface.«

»Was weißt du?«

»Ich weiß, daß man sie sich verschaffen kann. Das Pariser Volk hatte auch keine Waffen. Nun wohl! Herr Marat, ein sehr gelehrter, aber sehr häßlicher Arzt, hat dem Pariser Volke gesagt, wo es Waffen gebe; das Pariser Volk ging dahin, wo Herr Marat sagte, und es fand Waffen.«

»Und wohin hieß Marat die Leute gehen?«

Ins Invalidenhaus.

»Ja, doch wir haben kein Invalidenhaus in Haramont.«

»Ich, ich weiß einen Ort, wo es mehr als hundert Flinten giebt.«

»Und wo dies?«

»In einem der Säle des College von Abbé Fortier.«

»Der Abbé Fortier hat hundert Flinten? Er will also seine Chorknaben, diese kleinen Pfaffennarren, bewaffnen?« versetzte Claude Tellier.

Pitou hatte keine tiefe Zuneigung für den Abbé Fortier; doch dieser heftige Ausfall gegen seinen ehemaligen Lehrer verwundete ihn in seinem Innersten.

»Claude!« rief er, »Claude! Ich habe nicht gesagt, die Flinten gehören dem Abbé Fortier.«

»Wenn sie bei ihm sind, gehören sie ihm.«

»Das Dilemma ist falsch, Claude. Ich bin im Hause von Bastien Godinet, und dennoch gehört das Haus von Bastien Godinet nicht mir.«

»Das ist wahr,« sprach Bastien, welcher antwortete, ohne daß Pitou ihn besonders aufzufordern nötig gehabt hatte.

»Die Flinten gehören nicht dem Abbé Fortier,« sagte Pitou.

»Wem gehören denn die Flinten?«

»Der Gemeinde.«

»Wenn sie der Gemeinde gehören, warum sind sie beim Abbé Fortier?«

»Sie sind beim Abbé Fortier, weil das Haus des Abbés Fortier der Gemeinde gehört, die ihm Quartier dafür giebt, daß er die Messe liest und gratis die Kinder unterrichtet. Da nun dieses Haus der Gemeinde gehört, so hat die Gemeinde wohl das Recht, sich ein Zimmer vorzubehalten, um die Flinten darin aufzubewahren; ha!«

»Das ist wahr,« sprachen die Zuhörer, »sie hat das Recht dazu.«

»Nun aber, hernach, wie werden wir uns diese Waffen verschaffen?« sprich.

Die Frage brachte Pitou in Verlegenheit, er kratzte sich hinter dem Ohr.

»Ja, sprich geschwind»« sagte eine andre Stimme, »wir müssen zur Arbeit gehen.«

Pitou atmete, der letzte, der gesprochen, hatte ihm eine Ausflucht geöffnet.

»Zur Arbeit,« rief Pitou. »Ihr sprecht davon, daß Ihr Euch für die Verteidigung des Vaterlandes bewaffnen wollt, und Ihr denkt an das Arbeiten?«

Und Pitou punktierte seinen Satz mit einem so spöttischen und verächtlichen Gelächter, daß sich die Haramonter gedemütigt anschauten.

»Wir würden wohl, wenn es durchaus notwendig wäre, noch ein paar Tage opfern, um frei zu sein,« sagte eine andre Stimme.

»Um frei zu sein,« entgegnete Pitou, »ist es nicht ein Tag, den man opfern müßte, sondern alle seine Tage.«

»Also,« sagte Boniface, »wenn man für die Freiheit arbeitet, ruht man aus.«

»Boniface,« erwiderte Pitou mit der Miene eines erzürnten Lafayette; »diejenigen werden nie frei sein können, welche nicht die Vorurteile mit Füßen zu treten wissen.«

»Mir, was mich betrifft,« sagte Boniface, »mir ist nichts lieber, als nichts zu arbeiten. Aber, wie macht man es, um zu essen?«

»Ißt man?«

»In Haramont ißt man noch, ja. Ißt man in Paris nicht mehr?«

»Man ißt, wenn man die Tyrannen besiegt hat,« antwortete Pitou. »Hat man am 14. Juli gegessen? Dachte man an diesem Tage daran, zu essen? Nein man hatte nicht Zeit dazu.«

»Ah! ah!« sagten die Eifrigsten, »das mußte schön sein, die Einnahme der Bastille.«

»Essen!« fuhr Pitou verächtlich fort. »Ah! Trinken, da sage ich nicht nein. Es war so heiß, und das Kanonenpulver ist so beißend.«

»Aber, was trank man?«

»Was man trank? Wasser, Wein, Branntwein. Die Weiber hatten diese Sorge übernommen.«

»Die Weiber?«

»Ja, herrliche Weiber, die aus dem Vorderteil ihrer Röcke Fahnen gemacht hatten.«

»Wahrhaftig!« riefen die erstaunten Zuhörer.

»Aber am andern Tage mußte man doch essen?« fragte der Skeptiker.

»Ich leugne das nicht,« antwortete Pitou.

»Dann,« versetzte Boniface triumphierend, »wenn man gegessen hat, hat man auch arbeiten müssen.«

»Herr Boniface,« erwiderte Pitou, »Ihr sprecht von diesen Dingen, ohne sie zu kennen. Paris ist kein Flecken. Es besteht nicht aus einem Haufen Landleuten, die am Herkommen fest hängen, den Gewohnheiten des Bauches ergeben, Obedientia ventri, wie wir Gelehrte uns auf lateinisch ausdrücken. Nein, Paris ist, wie Herr von Mirabeau sagt, der Kopf der Nationen; es ist ein Gehirn, das für die ganze Welt denkt. Ein Gehirn, mein Herr, das ißt nie.«

»Das ist wahr,« dachten die Zuhörer.

»Und dennoch nährt sich das Gehirn, das nicht ißt, ebenso,« fuhr Pitou fort.

»Wie nährt es sich denn?« fragte Boniface.

»Unsichtbar, von der Nahrung des Leibes.«

Hier hörten die Haramonter auf, zu begreifen.

»Kannst du uns das erklären, Pitou?« fragte Boniface.

»Das ist sehr leicht. Paris ist das Gehirn, wie ich gesagt habe; die Provinzen, das sind die Glieder; die Provinzen werden arbeiten, trinken, essen, und Paris wird denken.«

»Dann verlasse ich die Provinz und gehe nach Paris, sprach der Skeptiker Boniface. Geht Ihr mit mir nach Paris, Ihr Leute?«

Ein Teil der Zuhörer brach in ein Gelächter aus und schien sich Boniface anzuschließen.

Pitou bemerkte, er würde durch den Spötter in Mißkredit kommen, und rief:

»Geht doch dahin, geht doch nach Paris! und wenn Ihr dort ein einziges Gesicht findet, das so lächerlich ist als das Eurige, so kaufe ich Euch junge Kaninchen wie dieses hier um einen Louisd'or das Stück ab.«

Und mit einer Hand zeigte Pitou sein Kaninchen, während er mit der andern die paar Louisd'or, die ihm von der Freigebigkeit Gilberts übrig geblieben waren, tanzen und klingen ließ.

Pitou erregte nun ebenfalls Gelächter.

Wonach sich Boniface ganz rot ärgerte.

»Ei! Pitou, du machst wohl den Großprahler, daß du uns lächerlich nennst!«

»Lächerlich bist du,« erwiderte Pitou majestätisch.

»Aber schau' dich doch an,« sagte Boniface.

»Ich mag mich immerhin anschauen,« entgegnete Pitou, »ich werde vielleicht etwas ebenso Häßliches sehen, wie du, aber nie etwas so Dummes.«

Pitou hatte kaum geendigt, als ihm Boniface, – man ist beinahe Stierkämpfer in Haramont, – einen Faustschlag versetzte, den Pitou mit scharfem Auge geschickt parierte und gleichzeitig mit einem echten Pariser Fußtritt erwiderte.

Auf diesen ersten Fußtritt folgte ein zweiter, der den Skeptiker niederwarf.

Dann bückte sich Pitou zu seinem Gegner hinab, als wollte er dem Siege höchst fatale Folgen geben, und jeder eilte schon Boniface zu Hilfe, als sich Pitou wieder erhob und sprach:

»Erfahre, daß die Sieger der Bastille nicht auf Faustschläge kämpfen. Ich habe einen Säbel, nimm einen Säbel und machen wir ein Ende.«

Hernach zog Pitou vom Leder, vergessend oder nicht vergessend, daß es in Haramont nur seinen Säbel und den des Flurschützen gab, der anderthalb Fuß kürzer war als der seinige.

17.Harter, flacher Zwieback für das Schiffsvolk.

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