Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 39
Um das Gleichgewicht herzustellen, setzte er seinen Helm auf.
Diese Seelengröße elektrisierte die Versammlung; man kam überein, Boniface sei ein Lümmel, ein dummer Kerl, ein Einfaltspinsel, unwürdig, an der Verhandlung der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen.
Demzufolge stieß man ihn aus.
»Ihr seht das Bild der Revolutionen von Paris,« sprach sodann Pitou. »Wie es Herr Prudhomme oder Loustalot gesagt hat, ich glaube, es ist der tugendhafte Loustalot . . . ja, er ist es, ich bin dessen sicher:
»Die Großen scheinen uns nur groß, weil wir auf den Knieen sind; stehen wir auf!«
Dieser Spruch hatte nicht die geringste Beziehung zu der Lage der Dinge. Doch vielleicht gerade deshalb brachte er eine wunderbare Wirkung hervor.
Der Skeptiker Boniface, der ungefähr zwanzig Schritte entfernt stand, war davon betroffen, kam demütig herbei und sagte zu Pitou:
»Du mußt uns nicht böse sein, Pitou, wenn wir die Freiheit nicht so gut kennen, als du.«
»Das ist nicht die Freiheit,« erwiderte Pitou. »Das sind die Menschenrechte.«
Dieses Wort fiel als zweiter Keulenschlag, mit dem Pitou die Versammlung zum zweiten Mal niederschmetterte.
»Pitou»« sprach Boniface, »du bist entschieden ein Gelehrter, und wir bezeigen dir unsre Ehrfurcht.«
Pitou verbeugte sich.
»Ja,« sagte er, »die Erziehung und die Erfahrung haben mich über Euch gestellt, und wenn ich soeben ein wenig hart mit Euch sprach, so geschah es aus Freundschaft für Euch.«
Der Beifallssturm brach los. Pitou sah, daß er sich kühn in die Brust werfen konnte.
»Ihr habt von Arbeit gesprochen,« sagte er; »aber wißt Ihr wohl, was Arbeit ist? Für Euch besteht die Arbeit im Holzspalten, im Schneiden der Ernte, im Buchelnlesen, im Binden der Garben, im Setzen von Steinen und Befestigen derselben durch Mörtel . . . Das ist die Arbeit für Euch. Nun! Ihr täuscht Euch, ich allein arbeite mehr, als Ihr alle, denn ich denke auf Eure Emanzipation, sinne Tag und Nacht auf Eure Freiheit und Gleichheit. Ein einziger von meinen Augenblicken ist so viel wert, als hundert von Euren Tagen. Die Ochsen, die arbeiten, thun alle dasselbe; aber der Mensch, der denkt, übertrifft alle Kräfte der Materie. Ich allein bin so viel wert, als Ihr alle.«
»Seht Herrn von Lafayette: das ist ein magerer, blonder Mann, nicht viel größer als Claude Tellier; er hat eine spitzige Nase, kleine Beine, und Arme wie dieses Stuhlbein; was die Hände und Füße betrifft, so lohnt es sich nicht der Mühe, davon zu sprechen, es wäre ebensogut, gar keine zu haben. Nun! dieser Mann hat zwei Welten auf seinen Schultern getragen, eine mehr als Atlas, und seine Hände, sie haben die Ketten Amerikas und Frankreichs gebrochen . . .«
»Da nun seine Arme dies gethan haben, Arme so schwach wie Stuhlbeine, so beurteilt einmal, was erst die meinigen werden thun können.«
Und dieses sprechend zeigte Pitou seine Arme, die so knorrig waren, wie Stechpalmenstämme.
Nach dieser Vergleichung hielt er inne, überzeugt, ohne besonderen Redeschluß, eine ungeheure Wirkung hervorgebracht zu haben.
Er hatte sie wirklich hervorgebracht.
LXII.
Pitou als Verschwörer
Pitou hatte sich nach seiner Entdeckung am Saume des Waldes von einer großen Verachtung gegen die Dinge dieser Welt ergriffen gefühlt.
Er, der gehofft hatte, die kostbare und seltene Pflanze, die man Liebe nennt, in seinem Herzen blühen zu lassen; er, der mit einem Helme und Säbel in seine Heimat zurückgekommen war, stolz, Mars mit Venus zu verbinden, wie sein berühmter Landsmann Demoustier in seinen Briefen an Emilie über die Mythologie gesagt hatte, – er fühlte sich, sobald er sah, daß es in Villers-Cotterets und seiner Umgegend mehr Verliebte gab, als ihm nötig schien, sehr bestürzt und unglücklich.
Er, der einen so thätigen Anteil an dem Kreuzzuge der Pariser gegen die Edelleute genommen, fand sich gegenüber dem Landadel, vertreten durch Herrn Isidor Charny, äußerst klein.
Ach! ein so schöner Junge, ein Mann imstande, beim ersten Anblick zu gefallen, ein Kavalier, der eine lederne Hose und eine Sammetweste trug!
Wie mit einem solchen Manne kämpfen! Wie gegen einen solchen Nebenbuhler in die Schranken treten! Wie sollte er gleichzeitig die Last der Scham und der Bewunderung ertragen, zwei Gefühle, die im Herzen des Eifersüchtigen eine doppelte Qual sind.
Pitou kannte also die Eifersucht, eine unheilbare Wunde, die mit ihren furchtbaren Schmerzen dem naiven, redlichen Herzen unsres Helden bisher unbekannt war.
Ein derart zerrüttetes Herz bedarf einer sehr tiefen Philosophie, um seine gewöhnliche Ruhe wiederzuerlangen.
War Pitou ein Philosoph, er, der am ersten Tage, nachdem ihn dieses schreckliche Gefühl erfaßt, den Gedanken hatte, Krieg gegen die Kaninchen und Hasen des Herzogs von Orleans zu führen, und am zweiten Tage herrliche Reden hielt?
Hatte sein Herz die Härte des Kieselsteins, aus dem jeder Schlag einen Funken springen macht, oder einfach den sanften Widerstand des Schwamms, der die Fähigkeit hat, die Thränen einzuschlucken und ohne Verwundung im Schlage der Unfälle weich zu werden?
Nachdem er seinen Besuch erhalten und seine Reden beendigt hatte, war Pitou durch seinen Appetit genötigt, zu geringeren Sorgen herabzusteigen; er kochte sein Kaninchen, aß es und bedauerte, daß es kein Hase war.
Nach dem Mahle war Pitou in den Wald gegangen, um sich ein hübsches Winkelchen zum schlafen zu suchen.
Es ist erklärlich, daß der Unglückliche, sobald er nicht mehr von der Politik sprach und sich wieder mit sich selbst allein befand, unablässig das Schauspiel des Herrn Isidor in seinem Liebeshandel mit Mademoiselle Katharine vor Augen hatte.
Die Natur, die beinahe immer dem befriedigten Magen zulächelt, machte zu Pitous Gunsten eine Ausnahme, und kam ihm wie eine weite, schwarze Wüste vor, in der nur noch Kaninchen, Hasen und Rehe blieben. Sobald er unter den großen Bäumen seines heimatlichen Waldes verborgen war, begeisterte sich Pitou durch ihren Schatten und ihre Kühle in seinem heldenmütigen Entschluß, aus den Augen Katharines zu verschwinden; sie frei zu lassen, sich nicht übermäßig über ihre Bevorzugungen zu betrüben, sich nicht tiefer, als es sich geziemte, durch die Vergleichung demütigen zu lassen.
Es war eine sehr schmerzliche Anstrengung, Mademoiselle Katharine nicht mehr zu sehen; aber ein Mann mußte ein Mann sein.
Die Frage beschränkte sich indessen nicht allein hierauf.
Es handelte sich hier nicht gerade darum, Mademoiselle Katharine nicht mehr zu sehen, sondern nicht mehr von ihr gesehen zu werden.
Was würde aber ein Hindernis dagegen sein, daß von Zeit zu Zeit der lästige Verliebte, wenn er sich sorgfältig verberge, im Vorübergehen die schöne Spröde erblickte? Nichts.
Was war die Entfernung von Haramont nach Pisseleux? Kaum anderthalb Meilen.
So feig es von Seiten Pitous wäre, nach dem, was er gesehen, sich um die Gunst von Katharine zu bewerben, so geschickt wäre es, fortwährend über ihre Handlungen und Thaten durch eine Leibesübung, in die sich Pitous Gesundheit vortrefflich schicken würde, auf dem Laufenden zu bleiben.
Dabei hatten die hinter Pisseleux liegenden und bis nach Boursonne sich erstreckenden Bezirke des Waldes Ueberfluß an Hasen.
Pitou würde bei Nacht dahin gehen, um seine Schlingen zu legen, und am andern Morgen würde er von einem Hügel herab die Ebene erforschen und die Ausgänge von Mademoiselle Katharine belauern. Das war sein Recht, das war bis auf einen gewissen Grad seine Pflicht, so wie er vom Vater Billot mit Vollmachten versehen war.
Auf diese Art durch sich selbst gegen sich selbst gestärkt, glaubte Pitou das Seufzen aufgeben zu können. Als der Abend kam, legte er ein Dutzend Schlingen und streckte sich auf dem noch von der Sonne des Tages erwärmten Heidekraut aus.
Hier schlief er wie ein Mensch in der Verzweiflung.
Die Kühle der Nacht weckte ihn auf. Er untersuchte seine Schlingen, noch war nichts gefangen; aber Pitou zählte gewöhnlich nur auf den Wechsel am Morgen. Da er indessen seinen Kopf ein wenig beschwert fühlte, so beschloß er, nach seiner Wohnung zurückzukehren und am andern Vormittag wieder zu kommen.
Doch diesen Tag, der für ihn so leer an Ereignissen und Intriguen vorübergegangen, hatten die Bewohner des Fleckens damit zugebracht, daß sie nachgedacht, und Kombinationen gemacht.
Um die Mitte dieses Tages, den Pitou im Walde verträumte, hätte man können die Holzhauer sich auf ihre Aexte stützen, die Drescher mit ihren Flegeln in der Luft bleiben, die Tischler den Hobel auf dem glatten Brette anhalten sehen.
An allen diesen verlorenen Augenblicken war Pitou schuld. Pitou hatte die Uneinigkeit in den Geistern, die schon durch die verworrenen Gerüchte aufgeregt waren, vollends angefacht.
Und er, der Urheber dieser Unruhen, erinnerte sich ihrer nicht einmal mehr.
Doch in der Stunde, wo er nach seiner Wohnung zurückkehrte, erblickte er, obgleich es zehn Uhr geschlagen hatte, und zu dieser Stunde in der Regel nicht ein Licht mehr angezündet, nicht ein Auge mehr offen war, in der Umgebung seines Hauses einen ungewöhnlichen Auftritt. Es waren sitzende, stehende und gehende Gruppen.
Die Haltung jeder dieser Gruppen hatte eine ungewöhnliche Bedeutung.
Ohne zu wissen warum, stellte sich Pitou vor, diese Leute sprechen von ihm.
Und als er in die Straße kam, waren alle wie von einem elektrischen Schlage getroffen und zeigten sich ihn einander.
»Was haben sie denn?« fragte sich Pitou; »ich habe doch meinen Helm nicht aufgesetzt!«
Und er ging bescheiden in seine Wohnung hinein, nachdem er da und dort gegrüßt hatte.
Er hatte indessen die schlecht zusammengefügte Thüre des Hauses noch nicht geschlossen, als er an das Holz klopfen zu hören glaubte.
Pitou zündete kein Licht an, ehe er sich niederlegte; das Licht war ein zu großer Luxus für einen Menschen, der, da er nur eine ärmliche Lagerstätte besaß, sich im Bette nicht irren, und da er keine Bücher hatte, nicht lesen konnte.
Er war indessen sicher, daß man an seine Thüre klopfte.
Er hob die Klinke auf. Zwei junge Leute von Haramont traten vertraulich bei ihm ein.
»Ah! Du hast kein Licht, Pitou,« sagte der eine von ihnen.
»Nein,« antwortete Pitou, »wozu?«
»Um hier zu sehen.«
»Oh! ich sehe in der Nacht: ich bin Tagblinder.«
Und um dies zu beweisen, fügte er bei:
»Guten Abend, Claude, guten Abend Desiré.«
»Nun! sagten diese, da sind wir, Pitou.«
»Das ist ein angenehmer Besuch; was wollt Ihr von mir, meine Freunde?«
»Komm doch an die Helle,« sagte Claude.
»An die Helle von was?« es scheint kein Mond.
»An die Helle des Himmels.«
»Du hast also mit mir zu sprechen?«
»Ja, wir haben mit dir zu sprechen, Ange,« erwiderte Claude, indem er einen bezeichnenden Nachdruck auf diese Worte legte.
»Vorwärts,« erwiderte Pitou.
Alle drei verließen das Haus.
Sie gingen so bis zum ersten Kreuzwege des Waldes, wo sie stehen blieben, ohne daß Ange Pitou wußte, was man von ihm wollte.
»Nun?« fragte Pitou, als er sah, daß seine Gefährten Halt machten.
»Siehst du, Ange,« sagte Claude, »da sind wir, ich und Desiré Maniquet, wir beide, die wir die Leute in der Gegend leiten, willst du mit uns sein?«
»Wozu?« fragte Pitou, indem er sich hoch aufrichtete, um was zu thun?
»Um eine Verschwörung zu machen,« flüsterte ihm Claude ins Ohr.
»Ah! ah! wie in Paris,« versetzte Pitou kichernd.
Es ist nämlich eine Thatsache, daß er vor dem Wort und vor dem Echo des Wortes selbst mitten im Walde bange hatte.
»Sprich, erkläre dich,« sagte er.
»Vernimm, wie sich die Sache verhält; nähere dich, Desiré, du, der du von Natur Wildschütze bist und alle Geräusche des Tages und der Nacht, der Flur und des Waldes kennst, schau', ob man uns nicht gefolgt ist; horche, ob man uns nicht bespäht.«
Desiré nickte mit dem Kopf, beschrieb um Pitou und Claude einen Kreis, so leise als es der eines Wolfes ist, der sich um eine Schafherde dreht.
Dann kam er zurück und sagte:
»Sprich, wir sind allein.«
»Meine Kinder,« sprach Claude, »alle Gemeinden Frankreichs wollen, wie uns Pitou gesagt hat, unter den Waffen und auf dem Fuß von Nationalgarden sein.«
»Das ist wahr,« versetzte Pitou.
»Nun, warum sollte Haramont nicht unter Waffen sein, wie die andern Gemeinden?«
»Ei! Du hast es gestern gesagt, Claude, als ich den Antrag stellte, uns zu bewaffnen,« erwiderte Pitou. Haramont ist nicht unter den Waffen, weil es keine Flinten hat.«
»Oh! die Flinten, das beunruhigt uns nicht, da du weißt, wo es welche giebt.«
»Ich weiß es, ich weiß es,« sagte Pitou, der Claude kommen sah und die Gefahr begriff.
»Nun wohl»« fuhr Claude fort, »wir haben uns heute beraten, alle wir patriotischen jungen Leute der Gegend.«
»Gut.«
»Und wir sind unser dreiunddreißig. Verstehst du das Exerzieren?« fragte Claude.
»Bei Gott!« erwiderte Pitou, der nicht einmal das Gewehr schultern konnte.
»Gut. Und du kannst das Manöver?«
»Ich habe zehnmal den General Lafayette mit vierzigtausend Mann manövrieren sehen,« antwortete Pitou verächtlich.
»Sehr gut,« versetzte Desiré, der es müde war nicht zu reden, und, ohne sehr anspruchsvoll zu sein, wenigstens auch ein Wort anbringen wollte.
»Willst du uns also kommandieren?« fragte Claude.
»Ich!« rief Pitou, indem er einen Sprung des Erstaunens machte.
»Du selbst,« antworteten die zwei Verschwörer.
Und sie schauten Pitou fest an.
»Oh! Du zögerst,« versetzte Claude.
»Aber . . .«
»Du bist also kein guter Patriot?« sagte Desiré.
»Oh, gewiß bin ich das.«
»Du hast also Angst vor etwas?«
»Ich, ein Sieger der Bastille, ein Dekorierter!«
»Du bist dekoriert!«
»Ich werde es, wenn die Medaillen geschlagen sind. Herr Billot hat mir versprochen, die meinige in meinem Namen in Empfang zu nehmen.«
»Sprich, nimmst du unsern Vorschlag an?« fragten Desiré und Claude.
»Ja, ich nehme ihn an,« sagte Pitou, fortgerissen durch seine Begeisterung und vielleicht auch durch sein Gefühl des Stolzes, das in ihm erwachte.
»Das ist abgeschlossen!« rief Claude; »von morgen an kommandierst du uns.«
»Was werde ich Euch kommandieren?«
»Das Exerzieren.«
»Und die Flinten?«
»Du weißt ja, wo sie sind.«
»Ah! ja, beim Abbé Fortier.«
»Allerdings.«
»Nur ist der Abbé Fortier imstande, sie mir zu verweigern.«
»Dann wirst du es machen, wie es die Patrioten im Invalidenhause gemacht haben: Du wirst sie nehmen.«
»Ich ganz allein?«
»Du wirst unsre Unterschriften haben, und überdies werden wir im Notfalle Arme zuführen, wir werden, wenn es sein muß, Villers-Cotterets aufwiegeln.«
Pitou schüttelte den Kopf.
»Der Abbé Fortier ist halsstarrig!« sagte er.
»Bah! Du warst sein Lieblingsschüler; er wird nicht imstande sein, dir etwas abzuschlagen.«
»Man sieht wohl, daß Ihr ihn nicht kennt,« erwiderte Pitou mit einem Seufzer.
»Wie, du glaubst, der Alte würde sich sträuben?«
»Er würde sich gegen eine Schwadron von Royal-Allemand sträuben. Das ist ein hartnäckiger, injustum et tenacem . . . Ah! es ist wahr,« unterbrach sich Pitou, »Ihr könnt nicht einmal Lateinisch.«
Doch die zwei Haramonter ließen sich weder durch die Citation, noch durch die Apostrophe blenden.
»Ah! bei meiner Treue,« sprach Desiré, »da haben wir einen schönen Anführer gewählt, Claude; er hat vor allem Angst.«
Claude schüttelte den Kopf.
Pitou bemerkte, daß er seine hohe Stellung gefährdet hatte. Er erinnerte sich, daß das Glück die Kühnen liebt.
»Nun! es sei,« sagte er, »man wird sehen.«
»Du übernimmst es also, die Flinten herbeizuschaffen?«
»Ich übernehme es . . . den Versuch zu machen.«
Ein Gemurmel der Befriedigung trat an die Stelle von einem leichten mißbilligenden Gemurre, das sich erhoben hatte.
»Ho! ho!« dachte Pitou: »diese Leute schreiben mir schon vor, noch ehe ich ihr Anführer bin. Wie wird es sein, wenn ich es erst wirklich bin.«
»Den Versuch machen,« sagte Claude, den Kopf schüttelnd, – »oh! das ist nicht genug.«
»Wenn es nicht genug ist,« antwortete Pitou, »so thue mehr, ich trete dir mein Kommando ab; reibe dich immerhin am Abbé Fortier und seiner Schulgeißel.«
»Es ist wohl der Mühe wert, mit einem Säbel und Helm von Paris zurückzukommen, um vor einer Schulgeißel Angst zu haben,« sagte Maniquet verächtlich.
»Ein Säbel und Helm sind kein Harnisch, und wenn sie ein Harnisch wären, so hätte der Abbé Fortier mit seiner Schulgeißel doch wohl rasch die Blöße des Harnisches gefunden.«
Claude und Desiré schienen die Bemerkung zu begreifen.
»Auf, Pitou, mein Sohn,« sprach Claude.
(Mein Sohn ist ein auf dem Lande ein sehr üblicher Freundschaftsausdruck).
»Gut, es sei,« sagte Pitou, »doch, alle Teufel! ich fordere Gehorsam.«
»Du sollst sehen, wie gehorsam wir sein werden,« rief Claude, Desiré mit dem Auge zublinzelnd.
»Nur übernimm die Herbeischaffung von Flinten,« sprach Desiré.
»Das ist abgemacht,» versetzte Pitou, »im Grunde sehr beängstigt; aber der Ehrgeiz fing an, ihm ein kühnes Vorgehen zu raten.«
»Du versprichst es?«
»Ich schwöre es.«
Pitou streckte die Hand aus, seine zwei Freunde thaten dasselbe, und so wurde beim Sternenschein, in einer Lichtung, im Departement der Aisne durch die drei Haramonter, unschuldige Nachtreter Wilhelm Tells und seiner Freunde, der Aufstand erklärt.
Pitou erschaute allerdings am Ende seiner Mühewaltungen das Glück, sich stolz mit den Ehrenzeichen eines Kommandanten der Nationalgarde bekleidet zu zeigen, und diese Ehrenzeichen schienen ihm ganz geeignet, bei Mademoiselle Katharine, wenn nicht Gewissensbisse, doch wenigstens Reflexionen hervorzubringen.
Geweiht durch den Willen seiner Wähler, kehrte Pitou, von den Mitteln und Wegen träumend, seinen dreiunddreißig Mann Nationalgarde Waffen zu verschaffen, in seine Wohnung zurück.
LXIII.
Worin man das monarchische Prinzip durch den Abbé Fortier und das revolutionäre Prinzip durch Pitou vertreten sieht
In dieser Nacht war Pitou so ganz und gar von der großen Ehre erfüllt, die ihm zuteil geworden, daß er darüber vergaß, nach seinen Schlingen zu sehen.
Am Morgen rüstete er sich mit seinem Helm und Säbel und begab sich auf den Weg nach Villers-Cotterets.
Es schlug sechs Uhr, als Pitou auf dem Schloßplatz ankam und bescheiden an die kleine Thüre klopfte, die in den Garten des Abbés Fortier führte.
Pitou hatte stark genug geklopft, um sein Gewissen zu beruhigen, und leise genug, daß man ihn nicht im Hause hörte.
Er hoffte, sich so eine Viertelstunde Frist zu geben und wollte während dieser Zeit seine Anrede, die er für den Abbé Fortier bestimmt hatte, mit einigen Blumen der Redekunst ausschmücken.
Sein Erstaunen war groß, als er sah, daß man, so sanft er geklopft hatte, die Thüre öffnete; doch dieses Erstaunen hörte auf, sobald er Sebastian Gilbert erkannte.
Der junge Mensch ging im Gärtchen spazieren und studierte seine Lektion beim ersten Strahl der Morgensonne.
Sebastian gab einen Freudenschrei von sich, als er Pitou gewahrte.
Sie umarmten sich; dann war das erste Wort des Kindes:
»Hast du Nachrichten von Paris?«
»Nein, und du?« versetzte Pitou.
»Ah! ich, ich habe; mein Vater hat mir einen reizenden Brief geschrieben.«
»Ah!« machte Pitou.
»Es steht darin ein Wort für dich,« fügte Sebastian bei.
Und er zog den Brief aus der Brust und reichte ihn Pitou.
»N.S. Billot empfiehlt Pitou, die Leute vom Pachthofe nicht zu langweilen oder zu zerstreuen.«
Oh! seufzte Pitou, das ist bei meiner Treue eine sehr unnötige Ermahnung. Ich habe auf dem Pachthofe niemand mehr zu quälen oder zu belustigen.
Dann fügte er leise, noch stärker seufzend, bei:
»Diese Worte hätte man an Herrn Isidor richten sollen.«
Bald aber faßte er sich wieder, gab Sebastian den Brief zurück und fragte:
»Wo ist der Abbé?«
Der Knabe horchte, und obgleich die ganze Breite des Hofes und ein Teil des Gartens ihn von der Treppe trennten, die unter den Füßen des würdigen Priesters krachte, sagte er:
»Ah! er kommt gerade herab.«
Pitou ging vom Garten in den Hof, und hörte nun den schweren Tritt des Abbés.
Der würdige Lehrer kam, seine Zeitung lesend, die Treppe herab.
Seine getreue Schulgeißel hing an seiner Seite wie ein Schwert am Gürtel eines Kapitäns.
Die Nase auf dem Papier, denn er kannte die Zahl seiner Stufen und jeden Vorsprung oder jede Vertiefung seines alten Hauses auswendig, – ging er gerade auf Ange Pitou zu, der seinem politischen Gegner gegenüber die möglichst majestätische Haltung angenommen hatte.
Der Abbé Fortier, früher Almosenier oder Unteralmosenier des Schlosses, wie wir schon anderswo zu bemerken Gelegenheit gehabt, war mit der Zeit und besonders mit jener geduldigen Beharrlichkeit der Geistlichen, der einzige Verwalter von allem geworden, was man bei der Theaterökonomie die Accessorien (Zubehör) des Hauses nennt.
Außer seinen heiligen Gefäßen, der Bibliothek und der Gerätekammer, hatte er zur Aufbewahrung die alten Jagdrequisiten des Herzogs von Orleans, Louis Philipp, Vater von Philipp, den man seitdem Egalité nannte, erhalten. Einige von diesen Equipagen stammten aus der Zeit Ludwigs XIII. und Heinrichs III. Alle diese Gerätschaften waren von ihm in einer Gallerie des Schlosses, die man ihm zu diesem Zweck eingeräumt hatte, künstlerisch aufgestellt worden. Und um ihnen einen malerischen Anblick zu verleihen, hatte er sie mit Spießen, Dolchen, Degen, mit Schwertern und Musketen von eingelegter Arbeit aus der Zeit der Ligue geschmückt.
Die Thüre dieser Gallerie war furchtbar beschirmt durch zwei kleine Kanonen von versilberter Bronze, die Ludwig XIV. seinem Bruder Monsieur geschenkt hatte.
Ueberdies waren etwa fünfzig von Joseph Philipp aus dem Gefecht bei Quessant als Trophäen zurückgebrachte Musketen der Munizipalität geschenkt worden; und die Munizipalität, die dem Abbé Fortier freie Wohnung gab, hatte diese Musketen, mit denen sie nichts zu thun wußte, in ein Zimmer des Schulhauses bringen lassen.
Das war der Schatz, den Fortier hütete, und der von Ange Pitou bedroht wurde.
Das kleine Arsenal des Schlosses war in der Gegend berühmt genug, daß man es ohne Kosten zu erwerben suchte.
Pitou verbeugte sich artig vor dem Abbé Fortier und begleitete seinen Gruß mit jenem kleinen Husten, das die Aufmerksamkeit der zerstreuten oder der beschäftigten Leute in Anspruch nimmt.
Der Abbé Fortier hob die Nase von seiner Zeitung auf.
»Sieh da, Pitou,« sagte er.
»Ihnen zu dienen, wenn ich dazu fähig wäre, Herr Abbé,« erwiderte Pitou mit Höflichkeit.
Der Abbé legte seine Zeitung zusammen und steckte sie in seinen Gürtel auf der seiner Schulgeißel entgegengesetzten Seite.
»Oh! ja; doch das ist das Unglück,« sagte der Abbé, höhnend, »Du bist nicht dazu fähig.«
»Oh! Herr Abbé!«
»Verstehst du, Herr Heuchler?«
»Oh! Herr Abbé!«
»Verstehen Sie, Revolutionär?«
»Gut, gut; sehen Sie, noch ehe ich gesprochen, geraten Sie in Zorn gegen mich. Das heißt sehr schlecht anfangen, Herr Abbé.«
Sebastian, der wußte, was der Abbé Fortier seit zwei Tagen zu jedermann über Pitou gesagt hatte, wollte lieber dem Streite, der unfehlbar sogleich zwischen seinem Freunde und seinem Lehrer ausbrechen mußte, nicht beiwohnen und verschwand.
Als sich Sebastian entfernte, sah ihm Pitou mit einem gewissen Schmerze nach. Er war zwar kein sehr starker Verbündeter, aber doch ein Junge von derselben politischen Gesinnung wie er.
Er stieß auch, als er aus dem Rahmen der Thüre verschwand, einen Seufzer aus, kehrte dann zum Abbé zurück und sagte:
»Ah! sprechen Sie, Herr Abbé, warum nennen Sie mich Revolutionär? Bin ich zufällig schuld, daß man die Revolution gemacht hat?«
»Du hast mit denjenigen gelebt, welche sie machen.«
»Herr Abbé,« erwiderte Pitou mit erhabener Würde, »jeder hat ein Recht auf die Freiheit seines Geistes.«
»Ah! ja wohl!«
»Est penes hominem arbitrium, est ratio.«
»Ah!« rief der Abbé, »du kannst Lateinisch, Schulfuchs?«
»Ich kann, was Sie mich gelehrt haben.«
»Ja, durchgesehen, verbessert, vermehrt und verschlimmert mit Barbarismen.«
»Gut, Herr Abbé, Barbarismen! Ei! mein Gott, wer macht keine?«
»Bursche,« sagte der Abbé, sichtbar verletzt durch das Bestreben, zu generalisieren, das Pitous Geist zu haben schien, »glaubst du, ich mache Barbarismen?«
»Sie würden solche in den Augen eines Mannes machen, der ein stärkerer Lateiner wäre als Sie.«
»Seht einmal!« rief der Abbé bleich vor Zorn und dennoch betroffen von diesem Urteil, dem es nicht an einer gewissen Stärke mangelte.
Dann fuhr er schwermütig fort:
»Das ist mit zwei Worten das System von diesen Ruchlosen: sie zerstören und entwürdigen zum Nutzen von wem? sie wissen es selbst nicht; zum Nutzen des Unbekannten. Auf, Krabbe, sprechen Sie offenherzig. Kennen Sie einen, der ein stärkerer Lateiner ist, als ich?«
»Nein; doch es mag welche geben, wenn ich sie auch nicht kenne . . . ich kenne durchaus gar keinen.«
»Beim Henker! ich glaube es wohl.«
Pitou bekreuzte sich.
»Was machst du, leichtsinniger Geselle?«
»Sie fluchten, Herr Abbé, ich bekreuze mich.«
»Ah! Herr Bursche, sind Sie zu mir gekommen, um mich zu tympanisieren?«
»Sie tympanisieren!« widerholte Pitou.
»Gut, du verstehst es also nicht!«
»Doch, Herr Abbé, ich verstehe es. Ah, Ihnen sei es gedankt, man kennt die Wurzeln: tympanisieren, tympanum, Trommel, kommt vom griechischen tympanon, Trommel, Stock oder Glocke.«
Der Abbé war ganz erstaunt.
»Wurzel, typos, Merkzeichen, Spur, und wie Lancelot in seinem Garten von den griechischen Wurzeln sagt, typos, die Form, die sich eindrückt, welches Wort offenbar von typto, ich schlage, kommt.«
»Ah! ah! Schlingel,« rief der Abbé immer mehr verblüfft, »es scheint, du weißt noch etwas, selbst das, was du nicht wußtest.«
»Je nun!« entgegnete Pitou mit einer falschen Bescheidenheit.
»Wie kommt es, daß du zur Zeit, wo du bei mir warst, nie so geantwortet hast?«
»Weil Sie mich zur Zeit, als ich bei Ihnen war, Herr Abbé, völlig stumpfsinnig machten; weil Sie durch Ihren Despotismus in meinem Verstand und meinem Gedächtnis alles zurückpreßten, was seitdem die Freiheit ans Licht gebracht hat. Ja, die Freiheit, wiederholte Pitou hartnäckig, der nun seinen Kopf aufgesetzt hatte, die Freiheit!«
»Ah! Schuft!«
»Herr Abbé, versetzte Pitou mit einer warnenden Miene, die nicht ganz frei von Drohungen war, »Herr Abbé beleidigen Sie mich nicht! Contumelia non argumentum, sagt ein Redner, die Beleidigung ist kein Beweis.«
»Ich glaube, der Bursche hält sich für genötigt, mir sein Lateinisch zu übersetzen,« rief der Abbé wütend.
»Das ist kein Lateinisch von mir, Herr Abbé, das ist Lateinisch von Cicero, das heißt von einem Manne, der sicherlich gefunden hätte, Sie, im Verhältnis zu ihm, machten ebensoviele Barbarismen, als ich im Verhältnis zu Ihnen habe machen können.«
»Du verlangst wohl nicht, wie ich hoffe,« sagte der Abbé in seinen Grundfesten erschüttert, »du verlangst nicht, daß ich mit dir streite.«
»Warum nicht? wenn aus dem Streite das Licht entsteht?« Abstrusium versis silicum!«
»Ah! ja,« rief Abbé Fortier, »ah! ja, der Bursche ist in der Schule der Revolutionäre gewesen.«
»Nein, da Sie sagen, die Revolutionäre seien blödsinnige und unwissende Menschen.«
»Ja, das sage ich.«
»Dann machen Sie einen falschen Schluß, Herr Abbé, und Ihr Syllogismus ist schlecht gestellt.«
»Schlecht gestellt! ich habe einen Syllogismus schlecht gestellt?«
»Allerdings, Herr Abbé, Pitou spricht und schließt gut; Pitou ist in der Schule der Revolutionäre gewesen, folglich schließen und sprechen die Revolutionäre gut. Das ist gezwungen!«
»Dummkopf! Einfaltspinsel!«
»Belästigen Sie mich nicht mit Worten, Herr Abbé, und Objurgatio imbellum animum arguit, die Schwäche verrät sich durch den Zorn.«
Der Abbé zuckte die Achseln.
»Antworten Sie,« sprach Pitou.
»Du sagst, die Revolutionäre sprechen gut und schließen gut. Führe mir doch einen einzigen von diesen Unglücklichen an, einen einzigen, der schreiben und lesen kann.«
»Ich kann es,« antwortete Pitou mit Sicherheit.
»Lesen, das leugne ich nicht, obwohl! . . . Doch schreiben!«
»Schreiben!« wiederholte Pitou.
»Ja, schreiben ohne Orthographie.«
»Das steht noch dahin.«
»Willst du wetten, daß du unter meinem Diktat nicht eine Seite schreibst, ohne vier Fehler zu machen?«
»Wollen Sie wetten, daß Sie unter meinem Diktat nicht eine halbe Seite schreiben, ohne zwei Fehler zu machen?«
»Ho! ho!«
»Nun also! ich suche Ihnen Partizipien und zurückführende Zeitwörter. Ich werde Ihnen das mit gewissen daß würzen, die ich kenne, und halte die Wette.«
»Wenn ich Zeit hätte,« sagte der Abbé.
»Sie würden verlieren.«
»Pitou, Pitou, erinnere dich des Sprichworts: Pitovius Angelus asinus est.«
»Bah! Sprichwörter, die giebt es über alles mögliche. Kennen Sie das, welches mir beim Vorübergehen die Schilfrohre von Wuala in die Ohren gesungen haben?«
»Nein, aber ich wäre begierig, es kennen zu lernen, Meister Midas.«
»Fortierus abbas forte fortis.«
»Herr!« rief der Abbé aus.
»Freie Uebersetzung: der Abbé Fortier ist nicht alle Tage stark.«
»Zum Glück,» sagte der Abbé, »zum Glück ist es nicht damit abgethan, daß man anschuldigt, man muß beweisen.«
»Ah! Herr Abbé, wie leicht wäre das! Was lehren Sie Ihre Zöglinge?«
»Nun . . .«
»Folgen Sie meiner Schlußkette. Was lehren Sie Ihre Zöglinge?«
»Was ich weiß.«
»Gut, merken Sie sich, daß Sie geantwortet: was ich weiß.«
»Oh! ja, was ich weiß, sprach der Abbé erschüttert; denn er fühlte, daß während seiner Abwesenheit dieser seltsame Streiter sich auf seltsame Hiebe eingeübt hatte. Ja, ich habe es gesagt; weiter?«
»Nun wohl! da Sie Ihre Zöglinge lehren, was Sie wissen, so lassen Sie einmal hören, was Sie wissen!«
»Lateinisch, Französisch, Griechisch, Geographie, Arithmetik, Algebra, Astronomie, Botanik, Numismatik.«
»Was noch mehr?«
»Aber . . .«
»Suchen Sie, suchen Sie.«
»Das Zeichnen.«
»Immer weiter.«
»Die Architektur.«
»Immer weiter.«
»Die Mechanik.«
»Das ist ein Zweig der Mathematik, doch gleichviel, immerzu.«
»Ah! worauf zielen Sie ab?«
»Einfach darauf; Sie haben eine sehr umfassende Rechnung von dem gemacht, was Sie wissen; machen Sie nun auch die Rechnung von dem, was Sie nicht wissen.«
Der Abbé bebte.
»Ah!« sagte Pitou, »ich sehe wohl, das ich Ihnen hierbei helfen muß: Sie verstehen weder Deutsch noch Hebräisch, weder Arabisch noch Sanskrit, vier Muttersprachen. Ich rede nicht von den Unterabteilungen, die zahllos sind. Sie wissen nichts von Naturgeschichte, Chemie, Physik . . .«
»Aber Herr Pitou . . .«
»Unterbrechen Sie mich nicht! Sie wissen nichts von der Physik, von der geradlinigen Trigonometrie, nichts von der Medizin, von der Akustik, von der Schifffahrt; Sie sind unbekannt mit allem, was sich auf die gymnastischen Wissenschaften bezieht.«