Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 4
Aus dieser Scene ging eine Wirkung hervor, die Mademoiselle Angélique entfernt nicht vorhersah, und die Pitou sicherlich ebenso wenig erwartete.
V.
Ein philosophischer Pächter
Pitou lief, als ob ihm alle Teufel der Hölle auf den Fersen wären, und war in einem Augenblick außerhalb der Stadt.
Als er sich um die Ecke des Kirchhofs wandte, wäre er beinahe mit der Nase auf das Hinterteil eines Pferdes gefallen.
»Ei! mein Gott,« sagte eine sanfte Stimme, »wohin laufen Sie denn so, Herr Ange? Sie haben uns so erschreckt, daß Cadet beinahe durchgegangen wäre.«
»Ah! Mademoiselle Katharine,« rief Pitou, mehr seine eigenen Gedanken, als die Frage des Mädchens beantwortend, »ah! Mademoiselle Katharine, welch ein Unglück, mein Gott, welch ein Unglück!«
»Jesus! Sie machen mir bange,« sagte das Mädchen, sein Pferd mitten auf der Straße anhaltend. »Was giebt es denn, Herr Ange?«
»Es giebt,« antwortete Pitou, als ob er ein Sündengeheimnis enthüllen sollte, »es giebt, daß ich nicht Abbé sein werde, Mademoiselle Katharine.«
Doch statt sich in dem Sinne zu gebärden, den Pitou erwartete, schlug die Billotte ein gewaltiges Gelächter auf.
»Sie werden nicht Abbé sein?« sagte sie.
»Nein,« antwortete Pitou bestürzt; es scheint, das ist unmöglich.
»Nun! so werden Sie Soldat,« versetzte Katharine.
»Soldat?«
»Allerdings. Mein Gott! man muß wessen einer solchen Kleinigkeit nicht in Verzweiflung geraten! Anfangs glaubte ich, Sie hätten mir den Tod Ihrer Mademoiselle Tante zu verkündigen.«
»Ah!« sprach Pitou mit Empfindung, es ist gerade dasselbe für mich, wie wenn sie tot wäre, da sie mich fortjagt.
»Verzeihen Sie, es fehlt Ihnen die Befriedigung, sie beweinen zu können,« entgegnete Katharine.
Und sie lachte auf das heiterste, was bei Pitou abermals ein Aegernis bereitete.
»Haben Sie denn nicht gehört, daß sie mich fortjagt!« rief der Schüler in Verzweiflung.
»Ei! desto besser!«
»Sie sind sehr glücklich, daß Sie so lachen können, und das beweist, daß Sie einen äußerst angenehmen Charakter haben, da der Kummer der andern keinen großen Eindruck auf Sie macht.«
»Und wer sagt Ihnen denn, daß ich Sie, wenn Ihnen ein wahres Unglück zustieße, nicht beklagen würde, Herr Ange Pitou.«
»Sie würden mich beklagen, wenn mir ein wahres Unglück zustieße? Sie wissen also nicht, daß ich keine Mittel mehr habe?«
»Abermals desto besser!« rief Katharine. Pitou wußte gar nicht mehr, was er denken sollte.
»Und essen!« sagte er, »man muß doch essen, Mademoiselle! besonders ich, der ich immer Hunger habe.«
»Sie wollen also nicht arbeiten,« Herr Pitou?
»Arbeiten! was? Herr Fortier und meine Tante Angélique haben mir mehr als hundertmal wiederholt, ich tauge zu nichts. Ah! wenn man mich zu einem Tischler, oder zu einem Stellmacher in die Lehre gethan hätte, statt einen Abbé aus mir machen zu wollen! Hören Sie Mademoiselle Katharine,« fügte Pitou mit einer Gebärde der Verzweiflung bei, »es ruht offenbar ein Fluch auf mir.«
»Ach!« sprach Katharine mitleidig, denn sie kannte, wie jedermann, die klägliche Geschichte von Pitou, »es ist etwas Wahres an dem, was Sie da sagen, mein lieber Herr Ange, doch warum thun Sie Eines nicht?«
»Was?« fragte Pitou, der sich an den zukünftigen Vorschlag von Katharine anklammerte, wie ein Ertrinkender sich an einen Weidenzweig anklammert. »Sprechen Sie, was?«
»Sie haben einen Gönner, wie mir scheint.«
»Den Herrn Doktor Gilbert.«
»Sie waren der Klassenkamerad seines Sohnes, da er, wie Sie, beim Abbé Fortier erzogen worden ist.«
»Ich glaube wohl, und ich habe es mehr als einmal verhindert, daß er geprügelt wurde.«
»Nun denn! warum wenden Sie sich nicht an seinen Vater? Er wird Sie nicht verlassen.«
»Ah! ich würde das sicherlich thun, wenn ich wüßte, was aus ihm geworden ist. Aber vielleicht weiß es Ihr Vater, Mademoiselle Billot, da der Doktor Gilbert sein Grundherr ist.«
»Ich weiß, daß er ihm einen Teil der Pachtgelder nach Amerika zu schicken hatte, und daß er das andere einem Notar in Paris übergeben mußte.«
»Ah!« sagte Pitou seufzend, nach Amerika; »das ist sehr fern.«
»Sie würden nach Amerika gehen?« fragte das Mädchen, beinahe erschrocken über den Entschluß von Pitou.
»Ich, Mademoiselle Katharine? Nie! nie! Wenn ich wüßte, wo und was ich essen sollte, so befände ich mich sehr wohl in Frankreich.«
»Sehr wohl,« wiederholte Katharine.
Pitou schlug die Augen nieder. Das Mädchen schwieg. Dieses Stillschweigen dauerte einige Zeit. Pitou war in Träumereien versunken, die den Abbé Fortier, einen logischen Mann, sehr in Erstaunen gesetzt hätten.
Von einem dunkeln Punkte ausgegangen, hatten sich diese Träumereien aufgeklärt; dann wurden sie verworren, obgleich glänzend wie Blitze, deren Ursprung verborgen, deren Quelle verloren ist.
Cadet hatte sich indessen im Schritt in Marsch gesetzt, und Pitou ging neben Cadet, eine Hand auf einen der Körbe gestützt. Katharine aber, die ihrerseits träumte wie Pitou seinerseits, ließ die Zügel auf dem Halse ihres Renners hängen, ohne daß sie befürchtete, er konnte durchgehen. Ueberdies gab es kein Ungeheuer auf dem Wege, und Cadet war von einer Rasse, die keine Ähnlichkeit mit den Pferden von Hippolyt hatte.
Pitou blieb maschinenmäßig stehen, als das Pferd stehen blieb. Man war vor dem Pachthof angekommen.
»Ah! Du bist es, Pitou,« rief ein Mann von mächtiger Gestalt, der ziemlich stolz vor einer Lache aufgepflanzt war, wo er sein Pferd trinken ließ.
»Ei! mein Gott! ja, Herr Billot, ich bin es.«
»Abermals begegnet diesem armen Pitou ein Unglück, sagte Katharine, während sie vom Pferde sprang, ohne sich darum zu bekümmern, ob ihr auffliegender Rock die Farbe ihrer Kniebänder zeigen würde. Seine Tante jagt ihn fort.«
»Und was hat er denn wieder der alten Betschwester gethan?« fragte der Pächter.
»Es scheint, ich bin nicht stark genug im Griechischen,« antwortete Pitou.
Er prahlte, der Geck; im Lateinischen, hätte er sagen müssen.
»Nicht stark genug im Griechischen?« fragte der Mann mit den breiten Schultern, »und warum willst du stark im Griechischen sein?«
»Um den Theokrit zu erklären und die Iliade zu lesen.«
Und wozu würde es dir nützen, den Theokrit zu erklären und die Iliade zu lesen?
»Das würde mir helfen Abbé zu werden.«
»Bah! versetzte Herr Billot; kann ich Griechisch? kann ich Lateinisch? kann ich Französisch? kann ich schreiben? kann ich lesen? Verhindert mich das, zu säen, zu ernten und einzufahren?«
»Ja, doch Sie, Herr Billot, Sie sind nicht Abbé, Sie sind Ackermann, agricola, wie Virgil sagt. O fortunatos nimium . . .«
»Nun, glaubst du denn, ein Ackermann komme einem Pfaffen nicht gleich, sprich doch, schlimmer Chorknabe, besonders wenn dieser Ackermann sechzig Morgen Land in der Sonne und eintausend Louisd'or im Schatten hat?«
»Man hat mir immer gesagt, Abbé zu sein, sei das beste, was es auf der Welt gebe; es ist wahr,« fügte Pitou auf seine angenehmste Weise lächelnd bei, »ich hörte nicht immer auf das, was man mir sagte.«
»Und das war nicht schlecht, sondern recht. Du siehst, daß ich Verse mache, wenn ich mich damit befasse. Mir scheint, es ist in dir der Stoff, um etwas Besseres zu werden als ein Abbé, und es ist für dich ein Glück, wenn du diesen Stand nicht ergreifst, besonders in diesem Augenblick. Siehst du, in meiner Eigenschaft als Pächter verstehe ich mich auf die Zeit, und die Zeit ist schlecht für die Abbés.«
»Bah!« versetzte Pitou.
»Ja, es wird Sturm geben,« sprach der Pächter. »Glaube also mir. Du bist ehrlich, du bist geschickt.«
Pitou verbeugte sich sehr geehrt, denn zum ersten Male in seinem Leben hatte man ihn geschickt genannt.
»Du kannst also ohne dieses deinen Lebensunterhalt verdienen,« fuhr der Pächter fort.
Während sie die Hühner und die Tauben niedersetzte, horchte Katharine mit Interesse auf das Gespräch, das sich zwischen Pitou und ihrem Vater entsponnen hatte.
»Meinen Lebensunterhalt verdienen?« versetzte Pitou; »das kommt mir schwierig vor.«
»Was kannst du thun?«
»Ich kann Leimruten stellen und Schlingen legen! ich ahme ziemlich gut den Gesang der Vögel nach, nicht wahr, Mademoiselle Katharine?«
»Oh! was das betrifft, das ist wahr, er singt wie ein Fink.«
»Ja, doch dies alles ist noch kein Gewerbe,« erwiderte der Vater Billot.
»Das sage ich ja, beim Blitz!«
»Du fluchst? das ist schon gut.«
»Wie, ich habe geflucht!« rief Pitou; »ich bitte um Verzeihung, Herr Billot.«
»Oh! keine Ursache, das begegnet mir auch zuweilen. Ei! Donner Gottes, fuhr er fort, indem er sich gegen sein Pferd umwandte, willst du ein wenig ruhig sein! diese verteufelten Percherons können doch nicht einen Augenblick still halten. Sprich,« fügte er sodann wieder zu Pitou, »bist du träge?«
»Ich weiß es nicht; ich habe nie etwas anderes getrieben, als Lateinisch und Griechisch, und . . .«
»Ich muß sagen, das habe ich nicht besonders eifrig angegriffen.«
»Desto besser, das beweist, daß du noch nicht so dumm bist, als ich glaubte.«
Pitou riß die Augen in einer erschrecklichen Dimension auf: es war das erste Mal, daß er diese Ordnung von Ideen bekennen hörte, die alle Theorien, die er bis dahin gehört, umstürzte.
»Ich frage dich,« sagte Billot, »ob du bei der Strapaze träge seist.«
»Oh! bei der Strapaze, das ist etwas anderes, antwortete Pitou; nein, nein, nein, ich würde zehn Meilen machen, ohne müde zu werden.«
»Gut, das ist schon etwas; läßt man dich noch um einige Pfunde abmagern, so kannst du Läufer werden.«
»Abmagern?« versetzte Pitou, während er seine dünne Gestalt, seine langen knochigen Arme und seine langen, pfahlartigen Beine anschaute; »Herr Billot, mir scheint, ich sei schon mager genug.«
»Wahrhaftig, mein Freund,« sagte der Pächter lachend, »du bist ein Schatz.«
Das war ebenfalls das erste Mal, daß man Pitou zu einem so hohen Preis angeschlagen hatte. Er ging auch von einem Erstaunen zum andern über.
»Höre mich,« fuhr der Pächter fort, »ich frage dich, ob du träge bei der Arbeit seist?«
»Bei welcher Arbeit?«
»Bei der Arbeit im Allgemeinen.«
»Ich weiß es nicht; ich habe nie gearbeitet.«
Das Mädchen lachte; doch diesmal nahm der Vater Billot die Sache im Ernst.
»Diese Schufte von Priestern!« rief er, seine dicke Faust gegen die Stadt ausstreckend; »so erziehen sie die Jugend in der Faulenzerei und der Unbrauchbarkeit. Ich frage, wozu kann ein solcher Bursche seinen Brüdern nützen?«
»Oh! nicht zu viel, das weiß ich wohl. Zum Glück habe ich keine Brüder.«
»Keine Brüder? ich meine die Menschen im allgemeinen. Willst du zufällig sagen, es seien nicht alle Menschen Brüder?«
»Oh! doch; überdies steht das im Evangelium.«
»Und gleich?« fuhr der Pächter fort.
»Ah! das ist etwas anderes; wenn ich mit dem Abbé Fortier gleich gewesen wäre, so hätte er mir nicht so oft die Rute und die Schulgeißel gegeben; und wenn ich meiner Tante gleich gewesen wäre, so hätte sie mich nicht fortgejagt.«
»Ich sage dir, daß alle Menschen gleich sind,« sprach der Pächter, »und wir werden das wohl den Tyrannen beweisen.«
»Tyrannis!« rief Pitou.
»Und zum Belege dient, daß ich dich zu mir nehme.«
»Sie nehmen mich zu sich, mein lieber Herr Billot, nicht wahr, um meiner zu spotten, da Sie solche Dinge sagen?«
»Nein. Sprich, was brauchst du, um zu leben?«
»Ei! drei Pfund Brot ungefähr im Tage.«
»Und nebst deinem Brot?«
»Ein wenig Butter oder Käse.«
»Ah! ah! ich sehe, daß du nicht schwer zu ernähren bist. Nun denn! man wird dich ernähren.«
»Herr Pitou, sagte Katharine, haben Sie nichts anderes von meinem Vater zu verlangen?«
»Ich? oh, mein Gott, nein.«
»Und warum sind Sie denn hierher gekommen?«
»Weil Sie kamen.«
»Ah! das ist ganz galant, doch ich nehme das Kompliment nur für das an, was es wert ist. Sie sind gekommen, Herr Pitou, um sich bei meinem Vater nach Ihrem Gönner zu erkundigen.«
»Oh! das ist wahr. Wie drollig! ich hatte das vergessen.«
»Du meinst den würdigen Herrn Gilbert? sagte der Pächter mit einem Ton, der den Grund der tiefen Achtung bezeichnete, die er für seinen Grundherrn hegte.«
»Ganz richtig, erwiderte Pitou, doch ich bedarf seiner nicht mehr, und da Herr Billot mich zu sich nimmt, so kann ich ruhig seine Rückkehr von Amerika abwarten.«
»In diesem Fall wirst du nicht lange zu warten haben, mein Freund, denn er ist zurückgekehrt.«
»Ah!« rief Pitou, »und wann dies?«
»Ich weiß das nicht genau, aber ich weiß, daß er vor acht Tagen in Havre war, denn es steckt dort in meinen Holftern ein Päckchen, das von ihm kommt. Er hat es bei seiner Ankunft, an mich adressiert, und es ist mir heute morgen in Villers-Cotterets zugestellt worden.«
»Wer sagt Ihnen denn, es sei von ihm, mein Vater?«
Es war ja ein Brief in dem Päckchen.
»Entschuldigen Sie, mein Vater,« versetzte lächelnd Katharine, »ich glaubte, Sie könnten nicht lesen. Ich sage Ihnen das, Papa, weil Sie sich rühmen, daß Sie es nicht können!«
»Ja wohl, ich rühme mich dessen! man soll sagen können: »»Der Vater Billot ist niemand etwas schuldig, nicht einmal einem Schulmeister. Der Vater Billot hat sein Glück durch sich selbst gemacht!«« Das soll man sagen können! Ich habe also den Brief nicht gelesen, sondern der Quartiermeister der Gendarmerie, den ich traf.«
»Und was steht in diesem Brief, mein Vater? Nicht wahr, er ist immer noch mit uns zufrieden?«
»Urteile selbst.«
Und der Pächter zog aus seiner ledernen Tasche einen Brief, den er seiner Tochter reichte.
Katharine las:
Mein lieber Herr Billot!
»Ich komme aus Amerika, wo ich ein Volk gefunden habe, das reicher, größer und glücklicher ist, als das unsere. Das rührt davon her, daß es frei ist, während wir es nicht sind. Doch wir gehen auch einer neuen Zeit zu, und jeder muß daran arbeiten, den Tag zu beschleunigen, wo das Licht scheinen wird. Ich kenne Ihre Grundsätze, mein lieber Herr Billot; ich weiß, welchen Einfluß Sie auf die anderen Pächter, und besonders auf die ganze brave Bevölkerung von Arbeitern und Ackerleuten üben, denen Sie nicht als ein König, sondern als ein Vater befehlen. Pflanzen Sie ihnen die Grundsätze der Aufopferung und der Brüderschaft, die ich in Ihnen erkannt habe, ein. Die Philosophie ist allgemein, alle Menschen müssen ihre Rechte und ihre Pflichten beim Scheine ihrer Kerzen lesen. Ich sende Ihnen ein kleines Buch, in dem alle diese Pflichten und alle diese Rechte bezeichnet sind. Das Buch ist von mir, obgleich mein Name nicht auf dem Titel steht. Verbreiten Sie die Grundsätze desselben: es sind die der allgemeinen Gleichheit. Lassen Sie das Buch an den langen Winterabenden vorlesen. Das Lesen ist die Nahrung des Geistes, wie das Brot die Nahrung des Körpers ist.
»An einem dieser Tage werde ich Sie besuchen und Ihnen eine neue Art der Pachtung vorschlagen, die in Amerika sehr üblich ist. Sie besteht darin, daß die Ernte zwischen dem Pächter und dem Grundeigentümer geteilt wird, was mir mehr nach den Gesetzen der Urgesellschaft und besonders nach dem Herzen Gottes zu sein scheint.
Gruß und Brüderschaft.
Honoré Gilbert,Bürger von Philadelphia.
»Ho! ho!« rief Pitou, »das ist ein Brief, der mir gut abgefaßt zu sein scheint.«
»Nicht wahr?« sagte Billot.
»Ja, mein lieber Vater,« sprach Katharine, »doch ich bezweifle, ob der Gendarmerieleutnant Ihrer Ansicht ist.«
»Und warum dies?«
»Weil meines Dafürhaltens dieser Brief nicht nur den Doktor Gilbert, sondern auch Sie gefährden kann.«
»Bah!« sagte Billot, »du hast immer Angst; nichtsdestoweniger ist hier die Broschüre, und dein Geschäft, Pitou, ist völlig gefunden. Am Abend wirst du lesen.«
»Und am Tage?«
»Am Tage wirst du die Schafe und die Kühe hüten. Hier ist indessen deine Broschüre,« sagte der Pächter.
Und er zog aus seinen Holftern eine von jenen kleinen Broschüren mit roter Decke, wie man sie in großer Anzahl in jener Zeit mit und ohne Erlaubnis der Behörden veröffentlichte.
Nur wagte in letzterem Fall der Verfasser die Galeere.
»Lies mir den Titel hievon, Pitou, damit ich einstweilen vom Titel sprechen kann, bis ich vom Werte spreche. Du wirst mir das übrige später lesen.«
Pitou las auf der ersten Seite die Worte, die der Gebrauch seitdem sehr unbestimmt und sehr unbedeutend gemacht hat, die aber in jener Zeit einen tiefen Widerhall in allen Herzen fanden:
Von der Unabhängigkeit des Menschen und von der Freiheit der Nation.
»Was sagst du dazu, Pitou?« fragte der Pächter.
»Mir scheint, Herr Billot, die Unabhängigkeit und die Freiheit, das ist dasselbe; mein Gönner wäre von Herrn Fortier wegen dieses Pleonasmus aus der Schule gejagt worden.«
»Pleonasmus oder nicht, dieses Buch ist das eines Mannes,« erwiderte der Pächter.
»Gleichviel, mein Vater,« sagte Katharine mit jenem wunderbaren Instinkt der Frauen, »ich bitte Sie inständig, verbergen Sie es. Ich weiß, daß ich zittere, wenn ich es nur sehe.«
»Und warum soll es mir schaden, wenn es seinem Verfasser nicht geschadet hat?«
»Was wissen Sie davon, mein Vater; dieser Brief ist vor acht Tagen geschrieben worden, und das Päckchen konnte nicht acht Tage brauchen, um von Havre hierherzukommen. Ich habe heute morgen auch einen Brief erhalten.«
»Von wem?«
»Von Sebastian Gilbert, der uns seinerseits schreibt; er beauftragt mich sogar, viele Dinge seinem Milchbruder Pitou zu sagen; ich hatte den Auftrag vergessen.«
»Nun?«
»Nun, er schreibt, seit drei Tagen erwarte man in Paris seinen Vater, der ankommen sollte und nicht ankommt.«
»Die Mademoiselle hat recht,« sagte Pitou, »mir scheint, dieser Verzug ist beunruhigend.«
»Schweige, Furchtsamer, und lies die Abhandlung, des Doktors,« rief der Pächter; »dann wirst du nicht nur ein Gelehrter, sondern auch ein Mensch werden.«
Man sprach so in jener Zeit, denn man war bei der Vorrede von jener großen griechischen und römischen Geschichte, welche die französische Nation, zehn Jahre hindurch in allen ihren Phasen: Aufopferungen, Ächtungen, Siegen und Sklaverei, kopierte.
Pitou schob das Buch mit einer so feierlichen Geberde unter den Arm, daß er vollends das Herz des Pächters gewann.
»Sage nun, hast du zu Mittag gegessen?« fragte Billot,
»Nein, Herr,« antwortete Pitou, die halb religiöse, halb heroische Stellung behauptend, die er, seitdem er das Buch empfangen, angenommen hatte.
»Er wollte eben essen, als er fortgejagt wurde,« sagte das Mädchen.
»Nun denn!« sprach der Pächter, »verlange von der Mutter Billot die Kost des Pachthofes, und morgen wirst du deine Funktionen antreten.«
Pitou dankte mit einem beredten Blick Herrn Billot und trat, geführt von Katharine, in die Küche ein, welcher Teil des Hauses unter der unumschränkten Herrschaft von Frau Billot stand.
VI.
Hirtengedichte
Frau Billot war eine dicke Mama von fünfunddreißig bis sechsunddreißig Jahren, kugelrund, frisch, fleischig, herzlich; sie trabte ohne Unterschied vom Taubenhaus zum Hühnerhaus, vom Schafstall zum Kuhstall, inspizierte ihre Öfen, ihre Kessel und ihren Braten, beurteilte mit einem einzigen Blick, ob alles an seinem Platze stand, und nach dem Geruch allein, ob Thymian und Lorbeer in den Kasserollen in genügender Quantität verteilt waren; brummte aus Gewohnheit, aber ohne die entfernte Absicht, daß ihnen ihre Brummerei unangenehm sein sollte, gegen ihren Mann, den sie ehrte, wie den höchsten Potentaten, ihre Tochter und gegen ihre Taglöhner, die sie speiste, wie keine Pächterin auf zehn Meilen in der Runde die ihrigen speiste. Es fand sehr große Konkurrenz statt, um bei Herrn Billot unterzukommen. Aber auch hier waren leider, wie im Himmel, im Vergleich zu denen, die erschienen, viele Berufene und wenig Auserwählte.
Wir haben gesehen, daß Pitou, ohne berufen zu sein, auserwählt worden war. Das war ein Glück, das er zu seinem wahren Wert schätzte, besonders als er das goldgelbe Brot sah, das man zu seiner Linken legte, den Äpfelmostkrug, den man zu seiner Rechten stellte, und das Stück gesalzene Fleisch, das man ihm vorsetzte. Seit der Zeit, wo er seine arme Mutter verloren, und das war fünf Jahre her, hatte Pitou selbst an Festtagen keine solche Kost genossen.
Voll Dankbarkeit fühlte auch Pitou in demselben Maße, in dem er das Brot verschluckte und das gesalzene Fleisch mit einem reichlichen Aufguß von Äpfelmost befeuchtete, seine Bewunderung für den Pächter, seine Achtung für dessen Frau und seine Liebe für ihre Tochter zunehmen. Ein einziger Umstand quälte ihn: das war die demütigende Funktion, der zufolge er am Tage die Schafe und die Kühe hüten sollte, eine Funktion, die so wenig im Einklang mit der stand, welche ihm für den Abend vorbehalten war und die Belehrung der Menschheit über die erhabensten Grundsätze der Gesellschaft und der Philosophie zum Zwecke hatte. Pitou träumte davon nach seinem Mittagessen, doch selbst in dieser Träumerei machte sich der Einfluß des vortrefflichen Mahles fühlbar. Pitou sing an, die Dinge unter einem ganz andern Gesichtspunkte zu betrachten, als er dies nüchtern gethan hatte. Die Funktionen eines Schäfers und Kuhhirten, die er als so sehr unter seiner Person ansah, waren von Göttern und Halbgöttern verrichtet worden.
In einer der seinigen ungefähr ähnlichen Lage, nämlich von Jupiter aus dem Olymp weggejagt, wie er, Pitou, durch seine Tante Angélique vom Pleux weggejagt worden, hat sich Apollo zum Hirten gemacht und die Herden von Admetos gehütet; allerdings war Admetos ein König-Hirte, Apollo war aber auch ein Gott.
Herkules war etwas wie Kuhhirte gewesen, da er, wie die Mythologie sagt, die Kühe von Geryon am Schweif gezogen; und ob man die Kühe am Schweif oder am Kopf führt, das ist ein Unterschied in den Gewohnheiten von demjenigen, welcher sie führt, und nichts anderes; im ganzen bleibt er immer ein Kuhführer oder Kuhhirte.
Mehr noch, jener von Virgil erwähnte Titerus, der am Fuße einer Buche liegt und sich in so schönen Versen zu der Ruhe, die ihm Augustus bereitet hat. Glück wünscht, war auch ein Schäfer. Ferner war ein Schäfer jener Mecibeus, der sich so poetisch darüber beklagt, daß er seinen Herd verlassen soll.
Sicherlich sprachen alle diese Leute gut genug Lateinisch, um Abbés zu werden, und dennoch wollten sie lieber ihre Ziegen den bittern Geißklee abweiden sehen, als Messe lesen oder Vesper singen. Es mußte also, im ganzen genommen, der Stand eines Hirten auch seine Reize haben. Wer hielt übrigens Pitou ab, ihm die Würde und die Poesie zurückzugeben, die er verloren? Wer hielt Pitou ab, den Palämons und Menalkes der umliegenden Dörfer Gesangskämpfe vorzuschlagen? Niemand. Sicherlich hatte Pitou mehr als einmal auf dem Chor gesungen, und wenn er nicht von dem Abbé Fortier, der ihn sogleich mit seiner gewöhnlichen Strenge der Würde als Chorknabe entsetzte, beim Austrinken des Weines der Meßkännchen ertappt worden wäre, so konnte ihn dieses Talent weit führen. Er verstand es allerdings nicht, die Hirtenflöte zu blasen, aber er wußte in allen Tonarten das Röhrchen zu spielen, was sich ungemein gleichen mußte. Er schnitt zwar seine Flöte nicht selbst aus Röhren von ungleicher Größe, aber aus Zweigen vom Lindenbaum und vom Kastanienbaum machte er Pfeifen, deren Vollkommenheit ihm den Beifall seiner Kameraden eintrug. Pitou konnte also Schäfer sein, ohne sich zu sehr herabzuwürdigen; er stieg zu diesem in neuerer Zeit schlecht geschätzten Stande nicht herab, er hob ihn vielmehr zu sich hinauf.
Überdies waren die Schäfereien unter die Leitung von Mademoiselle Billot gestellt, und Befehle aus dem Munde Katharinens erhalten, hieß nicht Befehle erhalten.
Doch Katharine wachte ihrerseits über der Würde von Pitou.
Als an demselben Abend der junge Mann auf sie zutrat und sie fragte, um welche Stunde er abgehen müsse, um mit den Schäfern zusammenzutreffen, antwortete Katharine lächelnd:
»Sie werden nicht abgehen.«
»Warum nicht?« fragte Pitou erstaunt.
»Ich habe meinem Vater begreiflich gemacht, die Erziehung, die Sie erhielten, stelle Sie über die Beschäftigung, die er Ihnen zugeschieden. Sie werden im Pachthofe bleiben.«
»Ah! desto besser,« rief Pitou; »somit werde ich Sie nicht verlassen.«
Der Ausruf war dem naiven Pitou entschlüpft. Doch er war nicht so bald aus seinem Munde, als ihm die Röte bis über die Ohren stieg, während Katharine ihrerseits den Kopf senkte und lächelte.
»Ach! verzeihen Sie, das ist mir unwillkürlich aus dem Herzen gekommen. Sie dürfen mir darum nicht grollen,« sagte Pitou.
»Ich grolle Ihnen auch nicht, Herr Pitou,« erwiderte Katharine, »es ist nicht Ihre Schuld, wenn Sie ein Vergnügen daran finden, bei mir zu bleiben.«
Hier trat ein kurzes Stillschweigen ein. Darüber darf man sich nicht wundern; die zwei armen Kinder hatten sich so viele Dinge in so wenig Worten gesagt!
»Aber ich kann nicht im Pachthofe bleiben, ohne hier etwas zu thun. Was werde ich im Pachthofe thun?« fragte Pitou.
»Sie werden thun, was ich that. Sie werden die Schreibereien, die Abrechnungen mit den Taglöhnern besorgen, die Einnahmen und Ausgaben verzeichnen. Sie können doch rechnen, nicht wahr?«
»Ich weiß meine vier Regeln,« antwortete Pitou stolz.
»Also eine mehr als ich,« sagte Katharine. »Ich habe es nie über die dritte bringen können. Sie sehen wohl, mein Vater wird dabei gewinnen, daß er Sie als Rechnungsführer hat; und da ich meinerseits dabei gewinnen werde, und da Sie Ihrerseits dabei gewinnen werden, so wird alle Welt gewinnen«.
»Und was gewinnen Sie dabei, Mademoiselle Katharine?« fragte Pitou.
»Ich gewinne dabei Zeit, und während dieser Zeit werde ich mir Hauben machen, um hübscher zu sein.«
»Ah!« rief Pitou, »ich finde Sie schon sehr hübsch ohne Haube.«
»Wohl möglich! doch das ist Ihr eigentümlicher Geschmack,« erwiderte lachend das Mädchen. Übrigens kann ich am Sonntag nicht in Villers-Cotterets tanzen, ohne eine Art von Haube auf dem Kopfe zu haben. Das ist gut für die vornehmen Damen, die Puder zu nehmen und mit bloßem Kopfe zu gehen berechtigt sind.«
»Ich finde Ihre Haare schöner, als wenn sie Puder hätten.«
»Ah! ah! ich sehe, Sie sind gekommen, um mir Komplimente zu machen.«
»Nein, Mademoiselle Katharine, das verstehe ich nicht. Beim Abbé Fortier hat man das nicht gelernt.«
»Hat man dort tanzen gelernt?«
»Tanzen?« fragte Pitou erstaunt.
»Ja, tanzen.«
»Tanzen, beim Abbé Fortier? Jesus! Mademoiselle Katharine, ah! ja wohl, tanzen!«
»Also können Sie nicht tanzen?«
»Nein.«
»Nun! so werden Sie mich am nächsten Sonntag zum Tanze begleiten und zusehen, wie Herr von Charny tanzt; er tanzt am besten von allen jungen Leuten der Umgegend.«
»Wer ist das, Herr von Charny?«
»Er ist der Eigentümer des Schlosses Boursonne.«
»Er wird also am Sonntag tanzen?«
»Gewiß.«
»Und mit wem?«
»Mit mir.«
Das Herz von Pitou schnürte sich zusammen, ohne daß er wußte, warum.
»Also um mit ihm zu tanzen, wollen Sie sich schön machen?«
»Um mit ihm zu tanzen, um mit den anderen zu tanzen, um mit aller Welt zu tanzen.«
»Mit mir ausgenommen.«
»Und warum nicht mit Ihnen?«
»Weil ich nicht zu tanzen verstehe.«
»Sie werden es lernen.«
»Ah! wenn Sie es mir zeigen wollten, Sie, Mademoiselle Katharine, so würde ich es viel besser lernen, als wenn ich Herrn von Charny zuschaue, das versichere ich Sie.«
»Wir werden sehen,« sagte Katharine; »mittlerweile ist es Zeit, zu Bette zu gehen; gute Nacht, Pitou.«
»Gute Nacht, Mademoiselle Katharine.«
Es war Gutes und Schlimmes in dem, was Katharine Pitou gesagt hatte: das Gute, daß er von der Stelle eines Hirten zu der eines Buchhalters erhoben worden war; das Schlimme, daß er nicht tanzen konnte, während es Herr von Charny konnte; nach der Aussage von Katharine tanzte dieser sogar besser als alle anderen.
Pitou träumte die ganze Nacht, er sähe Herrn von Charny tanzen, und er tanze sehr schlecht.
Am andern Tage ging Pitou unter der Leitung von Katharine ans Geschäft; da fiel ihm eines auf: wie nämlich das Studieren bei gewissen Lehrern eine sehr angenehme Sache ist. Nach zwei Stunden war er vollkommen in seiner Arbeit bewandert.
»Ah! Mademoiselle Katharine,« sagte er, »wenn Sie mich das Lateinische gelehrt hätten, statt daß es der Abbé Fortier that, ich glaube, ich hätte keine Barbarismen gemacht.«
»Und Sie wären Abbé geworden?«
»Und ich wäre Abbé geworden.«
»Somit hätten Sie sich in ein Seminar eingeschlossen, in das nie eine Frau hätte kommen können?«
»Ah!« rief Pitou, »daran habe ich nie gedacht, Mademoiselle Katharine . . . ich will lieber nicht Abbé sein.«
Um neun Uhr kam der Vater Billot zurück; er war weggegangen, ehe sich Pitou von seinem Lager erhoben hatte. Jeden Morgen um drei Uhr beaufsichtigte der Pächter persönlich den Abgang seiner Pferde und seiner Fuhrleute; dann lief er bis um neun Uhr auf den Feldern umher, um zu sehen, ob jedermann an seinem Posten sei, und ob alle ihre Arbeit verrichteten; um neun lehrte er zum Frühstück zurück, um zehn Uhr begab er sich abermals von Hause weg; um ein Uhr aß man zu Mittag, und der Nachmittag, wie die Stunden des Vormittags, war der Beaufsichtigung gewidmet. Die Geschäfte des Vaters Billot gingen auch vortrefflich. Er besaß, wie er gesagt hatte, seine sechzig Morgen in der Sonne und eintausend Louisd'or im Schatten,
Beim Frühstück eröffnete der Pächter Pitou, die erste Vorlesung des Werkes von Doktor Gilbert werde in zwei Tagen in der Scheune, um zehn Uhr morgens, stattfinden.
Pitou bemerkte hierauf schüchtern, zehn Uhr morgens sei die Stunde der Messe; aber der Pächter erwiderte, er habe gerade diese Stunde gewählt, um seine Arbeiter auf die Probe zu stellen.
Der Vater Billot war, wie gesagt, Philosoph.
Er haßte die Priester als Apostel der Tyrannei, und fand er eine Gelegenheit, Altar gegen Altar zu errichten, so ergriff er sie voll Eifer.
Frau Billot und Katharine wagten auch einige Bemerkungen; doch der Pächter erwiderte, die Frauen werden in die Messe gehen, wenn sie wollen, in Betracht, daß die Religion für die Weiber gemacht sei; was aber die Männer betreffe, so sollen sie die Vorlesung des Werkes vom Doktor anhören, oder bei ihm austreten.
Der Philosoph Billot war sehr Despot in seinem Hause; Katharine allein hatte das Vorrecht, die Stimme gegen seine Entscheidungen zu erheben; waren aber diese Entscheidungen dergestalt im Geiste des Pächters festgestellt, daß er Katharine antwortete mit finsterer Stirne, so schwieg diese wie die andern.
Nur gedachte Katharine aus den Umständen Nutzen für Pitou zu ziehen. Während sie vom Tische aufstand, bemerkte sie ihrem Vater, um alle die schönen Dinge vorzutragen, die er am zweiten Tage zu sagen habe, sei Pitou sehr ärmlich gekleidet; er spiele die Rolle des Lehrers, der da unterrichte, und der Lehrer dürfe nicht vor seinen Schülern zu erröten haben.