Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 41
Eine ehrerbietige Einwilligung war die Antwort der Schar.
»Es bleiben uns sechs Stunden Tag. Das ist mehr, als wir brauchen, um nach Villers-Cotterets zu gehen, unsre Angelegenheit abzumachen und zurückzukehren.«
»Vorwärts, Marsch!« rief Pitou.
Der Generalstab des Heeres von Haramont setzte sich sogleich in Bewegung.
Als aber Pitou den Brief von Billot noch einmal las, um sich zu überzeugen, so viel Ehre sei kein Traum, fand er darin folgende Worte von Gilbert, die ihm entgangen waren:
»Warum hat Pitou vergessen, dem Herrn Doktor Gilbert Nachrichten von Sebastian zu geben?«
»Warum schreibt Sebastian nicht an seinen Vater?«
LXV.
Pitou siegt
Der Abbé Fortier, der wackere Mann, vermutete entfernt nichts, weder von dem Sturm, den ihm diese tiefe Diplomatie vorbereitete, noch von dem Ansehen, das Ange Pitou bei den Häuptern der Regierung genoß. Er beschäftigte sich gerade damit, daß er Sebastian zu beweisen suchte, die schlechten Gesellschaften seien der Untergang jeder Tugend und jeder Unschuld; Paris sei ein Abgrund; selbst die Engel würden dort zu Grunde gehen, wenn sie nicht gleich jenen, die sich auf dem Wege nach Gomorrha verirrt hatten, rasch zum Himmel empor stiegen. Und indem er Pitous Besuch, als den eines gefallenen Engels tragisch auffaßte, ermahnte er Sebastian mit aller ihm zu Gebote stehenden Beredsamkeit, ein guter und echter Royalist zu bleiben.
Unter einem guten und echten Royalisten verstand der Abbé Fortier durchaus nicht, was der Doktor Gilbert darunter verstand.
Er vergaß, der gute Abbé, daß in Betracht dieser Verschiedenheit im Verstehen derselben Worte seine Propaganda eine schlimme Handlung war, da er unwillkürlich den Geist des Sohnes gegen den des Vaters zu bewaffnen suchte. Doch fand er in Sebastian hiefür keinen guten Boden.
Eine seltsame Erscheinung! in dem Alter, wo die Kinder noch der weiche Ton sind, von dem der Dichter spricht, wo jedes Siegel, das man auf sie drückt, sein Gepräge zurückläßt, besaß Sebastian durch die Entschlossenheit und Zähigkeit des Gedankens bereits etwas Männliches.
War das der Sohn der aristokratischen Natur, die bis zum Abscheu einen Plebejer verachtet hatte?
Oder war es wirklich die Aristokratie des Plebejers, in Gilbert bis zum Stoicismus getrieben?
Der Abbé Fortier war nicht imstande, ein solches Geheimnis zu ergründen; er wußte, daß der Doktor ein etwas exaltierter Patriot war; er versuchte es, mit der versöhnenden Naivität der Geistlichen, ihm seinen Sohn für das Wohl des Königs und die Ehre Gottes zu reformieren.
Während Sebastian sehr aufmerksam schien, horchte er nicht auf diese Ratschläge; er dachte gerade an die unbestimmten Visionen, die ihn unter den großen Bäumen des Parkes von Villers-Cotterets seit einiger Zeit wieder überfallen hatten, wenn der Abbé Fortier seine Zöglinge nach dem Clouis-Steine, dem St. Huberts-Brunnen oder nach Latour-Aumont führte. Er vertiefte sich in die Sinnenblendungen, die ihm ein zweites Leben neben seinem natürlichen Leben bildeten, ein betrügliches Leben von poetischen Glückseligkeiten neben der unempfindlichen Prosa seiner Studien- und Schultage.
Plötzlich öffnete sich die Thüre der Rue de Soissons mit einer gewissen Heftigkeit und gewährte mehreren Menschen Eingang. Diese Menschen waren der Maire der Stadt Villers-Cotterets, der Adjunkt und der Sekretär der Mairie.
Hinter ihnen erschienen zwei Gendarmeriehüte, und hinter diesen fünf bis sechs Köpfe von Neugierigen.
Beängstigt, ging der Abbé gerade auf den Maire zu.
»Was giebt es denn, Herr Longpre?« fragte er.
»Herr Abbé,« antwortete in ernstem Tone der Maire, »haben Sie Kenntnis von dem neuen Dekret des Kriegsministeriums?«
»Nein, Herr Maire.«
»So bemühen Sie sich, es zu lesen.«
Der Abbé nahm die Depesche und las sie.
Während er las, erbleichte er.
»Nun?« fragte er ganz bewegt.
»Nun, Herr Abbé, die Herren der Nationalgarde von Haramont sind da und erwarten eine Waffenauslieferung.«
Der Abbé machte einen Sprung, als wollte er die Herren von der Nationalgarde verschlingen.
Da näherte sich Pitou, der dachte, der Augenblick, sich zu zeigen, sei gekommen, gefolgt von seinem Leutnant und seinem Sergeanten.
»Hier sind sie!« sagte der Maire.
Die Gesichtsfarbe des Abbés war vom Weißen ins Rote übergegangen.
»Diese Bursche!« rief er, »diese Taugenichtse!«
Der Maire war ein guter Mann, er hatte noch keine entscheidende politische Meinung; er verdarb es mit keiner Partei und wollte sich weder mit Gott, noch mit der Nationalgarde entzweien.
Die Schmähungen des Abbés Fortier erregten bei ihm ein schallendes Gelächter, mit dem er die Lage beherrschte.
»Ihr hört, wie der Abbé die Nationalgarde von Haramont behandelt,« sagte er zu Pitou und seinen zwei Offizieren.
»Das ist so, weil uns der Abbé Fortier als Kinder gesehen hat und immer noch für Kinder hält,« erwiderte Pitou mit seiner melancholischen Sanftmut.
»Diese Kinder sind aber Männer geworden,« sprach mit dumpfem Tone Maniquet, indem er seine verstümmelte Hand gegen den Abbé ausstreckte.
»Und diese Männer sind Schlangen!« rief der gereizte Abbé.
»Und Schlangen, die beißen werden, wenn man sie verletzt,« sagte der Sergeant Claude.
Der Maire ahnte in diesen Drohungen nur die zukünftige Revolution.
Der Abbé erriet darin das Martyrium.
»Sprecht, was will man von mir?« sagte er.
»Man will einen Teil von den Waffen, die Sie hier haben,« antwortete der Maire, der alles zu versöhnen suchte.
»Diese Waffen gehören nicht mir,« entgegnete der Abbé.
»Wem gehören sie denn?«
»Sie gehören seiner Hoheit dem Herzog von Orleans.«
»Einverstanden, Herr Abbé,« versetzte Pitou; »doch das ist kein Hindernis.«
»Wie, das ist kein Hindernis?« rief der Abbé.
»Nein, wir verlangen dessen ungeachtet die Waffen.«
»Ich werde an den Herrn Herzog schreiben!« sprach der Abbé majestätisch.
»Der Herr Abbé vergißt, daß das umsonst aufschieben heißt,« sagte leise der Maire. »Der Herr Herzog, wenn man ihn um Rat fragt, wird erwidern, man müsse den Patrioten nicht nur die Flinten von seinen Feinden, den Engländern, sondern auch die Kanonen von seinem Ahnherrn Ludwig XIV. geben.«
Von dieser Wahrheit war der Abbé schmerzlich betroffen.
Er murmelte:
»Circumdedisti me hostibus meis.«
»Ja, Herr Abbé,« sagte Pitou, »das ist wahr; doch nur mit Ihren politischen Feinden; denn wir hassen in Ihnen nur den schlechten Patrioten.«
»Dummkopf,« rief der Abbé im Augenblick der Aufregung, die ihm eine gewisse Beredsamkeit verlieh, »gefährlicher Dummkopf! Wer von uns ist der gute Patriot, ich, der ich die Waffen für den Frieden des Vaterlandes behalten will, oder du, der du sie für die Zwietracht und den Bürgerkrieg verlangst! wer ist der gute Sohn. ich. der ich mich an den Olivenbaum halte, um unsere gemeinschaftliche Mutter zu huldigen, oder Du, der Du das Eisen suchst, um ihr den Schoß zu zerreißen?«
Der Maire wandte sich ab, um seine Gemütsbewegung zu verbergen, und während dem machte er dem Abbé ein kleines hinterhältisches Zeichen, das besagen wollte:
»Sehr gut.«
Der Adjunkt, ein neuer Tarquinius, schlug mit seinem Stocke Blumen ab.
Pitou war aus dem Sattel gehoben.
Als sie dies sahen, falteten seine zwei Subalterne die Stirne.
Sebastian allein, das Spartanerkind, war unempfindlich.
Er näherte sich Pitou und fragte:
Um was handelt es sich denn?
Pitou erklärte es ihm mit zwei Worten.
»Ist der Befehl unterzeichnet?«
»Vom Minister, vom General Lafayette, und geschrieben von der Hand deines Vaters.«
»Warum zögert man dann, zu gehorchen?« sprach stolz das Kind.
Und in seinen erweiterten Augensternen, in seinen bebenden Nasenflügeln, in der Strenge seiner Stirne offenbarte er den unversöhnlichen Herrschgeist der zwei Rassen, die ihn geschaffen hatten.
Der Abbé hörte die Worte, die aus dem Munde des Kindes kamen, schauerte und neigte das Haupt.
»Drei Generationen von Feinden gegen uns,« murmelte er.
»Auf, Herr Abbé,« sagte der Maire, »man muß sich ergeben.«
Der Abbé machte einen Schritt, mit seinen Schlüsseln klirrend, die er durch einen Ueberrest von klösterlicher Gewohnheit an seinem Gürtel trug.
»Nein! tausendmal nein!« rief er; »es ist nicht mein Eigentum, und ich werde den Befehl meines Herrn abwarten.«
»Ah! Herr Abbé!« rief der Maire, der sich einer Mißbilligung nicht enthalten konnte.
»Das ist Rebellion,« sprach Sebastian zum Priester; »nehmen Sie sich in acht, lieber Herr.«
»Tu quoque!« murmelte der Abbé, indem er sich in seine Soutane hüllte, um die Geberde Cäsars nachzuahmen.
»Auf, Herr Abbé,« sagte Pitou, »seien Sie ruhig, diese Waffen werden für das Glück des Vaterlandes wohl versorgt sein.«
»Schweige, Judas!« erwiderte der Abbé, »du hast bereits deinen alten Meister verraten, warum solltest du das Vaterland nicht verraten?«
Durch sein Gewissen niedergeschmettert, beugte Pitou die Stirne. Was er gethan, war nicht der Ausfluß eines guten Herzens. Doch während er den Kopf senkte, sah er von der Seite seine zwei Leutnants an, die darüber, daß sie einen so schwachen Chef hatten, unwillig zu sein schienen.
Pitou begriff, daß, wenn er seine Wirkung verfehlte, sein Blendwerk zerstört war.
Der Stolz spannte die Feder dieses mutigen Streiters der französischen Revolution. Er erhob daher das Haupt und sprach:
»Herr Abbé, so unterwürfig ich auch gegen meinen alten Lehrer bin, so werde ich doch diese beleidigenden Worte nicht ohne Kommentar vorübergehen lassen.«
»Ah! Du kommentierst nun,« sagte der Abbé, der Pitou durch seine Spöttereien außer Fassung zu bringen hoffte.
»Ja, ich kommentiere, Herr Abbé, und Sie werden sehen, daß meine Kommentare richtig sind,« fuhr Pitou fort. »Sie nennen mich einen Verräter, weil Sie mir unwirsch die Waffen verweigert haben, um die ich Sie neulich, den Oelzweig in der Hand, ersuchte, und die ich Ihnen heute mit Hilfe eines Befehls der Regierung entreiße. Nun denn, Herr Abbé, ich will lieber dem Anscheine nach meine Pflichten verraten, als meine Hand geboten haben, um mit Ihnen die Gegenrevolution zu begünstigen. Es lebe das Vaterland! Zu den Waffen! zu den Waffen!«
Der Maire machte Pitou das Seitenstück zu dem Zeichen, das er dem Abbé gemacht hatte, und das besagen wollte:
»Ah! sehr gut! sehr gut!«
Diese Rede hatte in der That für den Abbé ein niederschmetterndes, für die übrigen Anwesenden dagegen ein elektrisierendes Resultat.
Der Maire schlich sich davon und bedeutete seinem Adjunkten durch einen Wink —, er möge bleiben.
Der Adjunkt hätte sich gern wie der Maire aus dem Staube gemacht; doch die Abwesenheit der zwei Hauptautoritäten der Stadt wäre sicherlich bemerkt worden.
Er folgte also mit seinem Schreiber den Gendarmen, die den drei Nationalgardisten nach dem Museum folgten, in dem Pitou Weg und Steg kannte, Pitou, der im Schloß aufgezogen worden war.
Springend wie ein junger Löwe, lief Sebastian den Patrioten auf der Spur nach.
Die andern Schüler schauten ganz verdutzt zu.
Als der Abbé die Thüre seines Museums geöffnet hatte, fiel er vor Zorn und Scham halb tot auf den zunächst stehenden Stuhl.
Sobald sie in das Museum eingetreten waren, wollten die Gehilfen Pitous alles plündern; aber die ehrliche Schüchternheit des Kommandanten der Nationalgarde trat abermals dazwischen. Er machte eine Berechnung der seinen Befehlen untergebenen Leute, und da es dreiunddreißig waren, so befahl er, dreiunddreißig Flinten zu nehmen. Und da man in den Fall kommen konnte, schießen zu müssen, und Pitou hiebei nicht zurückzubleiben gedachte, so nahm er für sich eine vierunddreißigste Flinte, eine wahre Offiziersflinte, etwas kürzer und leichter als die andern, eine Flinte, die, ihrem Kaliber nach, ebensowohl das Schrot auf ein Kaninchen oder auf einen Hasen, als die Kugel gegen einen falschen Patrioten oder einen echten Preußen lenken konnte.
Ueberdies wählte er sich einen geraden Degen, wie der von Lafayette, den Degen von irgend einem Helden von Fontenoy oder Philippsburg, den er in seinen Gürtel steckte.
Seine zwei Kollegen luden jeder zwölf Flinten auf ihre Schultern, und unter dieser ungeheuren Last bogen sie sich nicht, so wahnsinnig war ihre Freude.
Pitou lud sich das übrige auf.
Man zog durch den Park, denn man wollte nicht durch Villers-Cotterets gehen, um das Aufsehen zu vermeiden.
Uebrigens war dies der kürzeste Weg, der den Vorteil bot, daß er den drei Offizieren jede Gelegenheit benahm, Parteigängern von einer der ihrigen entgegengesetzten Ansicht zu begegnen. Pitou fürchtete den Kampf nicht, und die Flinte, die er sich für den Fall eines Kampfes gewählt hatte, bezeugte seinen Mut. Aber Pitou war ein Mann der Ueberlegung geworden, und seitdem er überlegte, hatte er bemerkt, daß, wenn eine Flinte ein Mittel zur Verteidigung eines Menschen ist, Flinten in größerer Anzahl dies nicht sind.
Unsre Helden liefen also, beladen mit dieser Beute, durch den Park und erreichten ein Rondel, wo sie anhalten sollten. Erschöpft, triefend von Schweiß brachten sie endlich das kostbare Depot, das ihnen das Vaterland, vielleicht ein wenig blindlings anvertraut hatte, in Pitous Wohnung.
An demselben Abend fand eine Versammlung der Nationalgarde statt, und der Kommandant Pitou übergab jedem Soldaten eine Flinte, wobei er zu ihnen, wie die Mütter der Spartaner zu ihren Söhnen in Beziehung auf den Schild, sagte:
»Mit, oder darauf.«
Es herrschte nun in dieser kleinen, durch Pitous Genie so umgewandelten Gemeinde eine Rührigkeit, ähnlich der eines Ameisenhaufens am Tage eines Erdbebens.
Die Freude, eine Flinte zu besitzen, war bei dieser wesentlich wilddiebischen Völkerschaft, welche die lange Unterdrückung durch Aufseher in eine wahre Jagdwut versetzt hatte, so groß, daß Pitou in ihren Augen als eine Art irdischer Gottheit erschien.
Man vergaß seine langen Beine, seine langen Arme, seine dicken Kniee und seinen großen Kopf; man vergaß endlich seine seltsamen Lebensvorgänge, und er war und blieb der Schutzgeist der Gegend während der ganzen Zeit, die der blonde Phöbus brauchte, um der schönen Amphitrite seinen Besuch zu machen.
Am andern Tag beschäftigten sich die Enthusiasten einzig und allein damit, daß sie ihre Waffen als instinktartige Kenner untersuchten, handhabten, probierten und putzten.
In seine Stube zurückgezogen wie der große Agamemnon unter sein Zelt, beschäftigte sich Pitou, während die andern putzten, mit Nachdenken; während jene sich die Hände schunden, zermarterte er sich das Gehirn.
Woran dachte Pitou? Zum Völkerhirten geworden, dachte Pitou an die hohle Nichtigkeit der Größen dieser Welt. Es kam in der That der Augenblick, wo von diesem ganzen mit so großer Mühe errichteten Gebäude nichts aufrecht stehen bleiben sollte.
Die Flinten waren seit dem vorhergehenden Tage übergeben. Man hatte diesen Tag dazu angewendet, um sie in geeigneten Stand zu setzen. Morgen sollte er seine Soldaten im Exerzieren unterrichten, – und Pitou kannte nicht das erste Kommando vom Laden in zwölf Tempos. Er hatte immer seine Flinte geladen, ohne die Tempos zu zählen und wie es ihm gerade möglich war.
Was das Manövrieren betrifft, so war das noch schlimmer.
Was ist aber ein Kommandant der Nationalgarde, der das Laden in zwölf Tempos nicht versteht und das Manövrieren nicht zu kommandieren weiß?
Seinen Kopf in seine Hände versenkt, das Auge starr, den Leib unbeweglich, dachte Pitou also nach.
Oh! die Zeit schreitet fort, morgen rückt heran, und morgen wird dieses Nichts, das ich bin, in seiner ganzen Nichtigkeit erscheinen.
Cäsar in den Wäldern des rauen Gallien, Hannibal in den schneebedeckten Alpen, Columbus auf einem unbekannten Ocean verirrt, überlegten nie feierlicher i, Angesichte des Unbekannten, widmeten nie tiefer ihren Geist Deis ignostis, diesen furchtbaren Gottheiten, die das Geheimniß des Todes und des Lebens haben, als es Pitou während dieses langen Tages that.
»Oh!« sprach Pitou, »die Zeit schreitet fort, morgen rückt heran, und morgen wird in seiner ganzen Nichtigkeit dieses Nichts erscheinen, das ich bin.
Morgen wird der große Kriegsheld, der die Bastille genommen hat, als ärmlicher Wicht von der ganzen Versammlung der Haramonter behandelt werden, wie . . . ich weiß nicht mehr wer, von der ganzen Versammlung der Griechen behandelt worden ist.
»Morgen ausgezischt! während ich heute ein Triumphator bin.
»Das wird nicht sein. Das kann nicht sein. Katharine würde es erfahren, und ich wäre entehrt.
Pitou schöpfte einen Augenblick Atem.
»Was kann mir da heraushelfen?« fragte er sich.
»Die Kühnheit! die Dreistigkeit.«
»Nein, nein, die Dreistigkeit dauert eine Minute, und das Exerzitium nach preußischer Manier hat zwölf Tempos.
»Welch eine sonderbare Idee ist es auch, die Franzosen das Exerzieren auf preußische Manier zu lehren.
»Wenn ich sagte, ich sei ein zu guter Patriot, um Franzosen das Exerzieren auf preußische Manier zu lehren, und ich erfinde ein andres mehr nationales Exerzitium?
»Nein, ich würde mich verwickeln und in eine neue Verlegenheit geraten.
»Ich habe wohl auf dem Markte von Villers-Cotterets einen Affen gesehen. Dieser Affe machte das Exerzitium; aber er machte es wahrscheinlich wie ein Affe ohne Regelmäßigkeit.
»Ah!« rief er plötzlich, ein Gedanke.
Und auf der Stelle fing er an, den Raum zu durchschreiten, als ihn eine Betrachtung wieder aufhielt.
»Mein Verschwinden würde Erstaunen erregen,« sagte er; »benachrichtigen wir meine Leute.«
Und er öffnete die Thüre, rief Claude und Desiré, und sprach zu ihnen:
»Verkündigt übermorgen als den ersten Tag für das Exerzieren.«
»Warum nicht morgen?« fragten die zwei Subalternoffiziere.
»Weil Ihr beide müde seid, erwiderte Pitou, und ehe ich die Soldaten instruiere, will ich zuvor die Anführer instruieren. Und dann fügte Pitou in strengem Tone bei, ich bitte Euch, gewöhnt Euch daran, im Dienste immer zu gehorchen, ohne Bemerkungen zu machen.«
Claude und Desiré verbeugten sich.
»Es ist gut,« sprach Pitou, »sagt das Exerzieren auf übermorgen, morgens um vier Uhr, an.«
Die Offiziere verbeugten sich abermals und gingen weg, und da es neun Uhr abends war, legten sie sich zu Bette.
Pitou ließ sie gehen. Dann, als sie sich um die Ecke gedreht hatten, lief er in der entgegengesetzten Richtung fort und erreichte in fünf Minuten das dunkelste Dickicht des Waldes.
Sehen wir, was die rettende Idee von Pitou war.
XLVI.
Der Vater Clouis und der Clouis-Stein, oder wie Pitou ein Taktiker wurde und ein stattliches Aussehen hatte
Pitou lief so ungefähr eine halbe Stunde und drang immer weiter in den wildesten und tiefsten Teil des Waldes ein.
Es stand da unter diesen hohen, drei Jahrhunderte alten Stämmen, an einem ungeheuren Felsen angelehnt und mitten in furchtbarem Gestrüppe, eine vor ungefähr vierzig Jahren erbaute Hütte, die von einem Menschen bewohnt wurde, der es in seinem eigenen Interesse verstanden hatte, sich mit einem gewissen geheimnisvollen Dunkel zu umgeben.
Halb in die Erde gegraben, halb außen aus Zweigen und unbeschlagenem Holze geflochten, empfing diese Hütte Luft und Licht nur durch ein schräges im Dache angebrachtes Loch.
Den Wohnungen der Zigeuner ziemlich ähnlich, verriet sich diese Hütte zuweilen den Blicken durch den blauen Rauch, der aus ihrem First emporströmte.
Sonst hätte, die Waldhüter, die Jäger, die Wildschützen und die Bauern der Umgegend ausgenommen, niemand erraten, daß sie einem Menschen als Aufenthaltsort diene.
Und dennoch wohnte hier seit vierzig Jahren ein ehemaliger Jagdaufseher, mit Gnadengehalt verabschiedet, dem aber der Herzog von Orleans, der Vater von Louis Philipp, die Erlaubnis gegeben hatte, im Walde zu bleiben, eine Uniform zu tragen und alle Tage auf einen Hasen oder ein Kaninchen einen Schuß zu thun.
Das Federwild und das Hochwild waren ausgenommen.
Der gute Mann war neunundsechzig Jahre alt; er hatte sich anfangs Clouis und dann bei allmählicher Zunahme des Alters Vater Clouis genannt.
Von seinem Namen hatte der ungeheure Felsen, an den seine Hütte angelehnt war, die Taufe erhalten: man nannte ihn Clouis-Stein.
Er war bei Fontenoy verwundet worden, und infolgedessen hatte man ihm das Bein abnehmen müssen. Darum hatte er, frühzeitig verabschiedet, vom Herzog von Orleans die erwähnten Privilegien erhalten.
Der Vater Clouis besuchte keine Städte und kam nur einmal alle Jahre nach Villers-Cotterets; dies geschah, um 365 Ladungen Pulver und Blei zu kaufen.
An demselben Tag trug er zu Herrn Corau, Hutmacher in der Rue de Soissons, 365 Bälge, zur Hälfte von Hasen, zur Hälfte von Kaninchen; wofür ihm der Hutmacher 75 Livres gab.
Und wenn wir sagen 365 Bälge, so irren wir uns nicht um einen einzigen; denn der Vater Clouis, dem das Recht auf einen Schuß im Tage erteilt worden war, hatte es so eingerichtet, daß er mit jedem Schuß einen Hasen oder ein Kaninchen erlegte.
Von dem Fleisch der Tiere lebte er, mochte er es nun essen oder verkaufen. Überdies machte der Vater Clouis einmal im Jahr eine kleine Spekulation.
Der Felsen, an den seine Hütte angelehnt war, hatte einen wie ein Dach abhängigen Platz. Diese geneigte Fläche bot in ihrer größten Ausdehnung einen Raum von ungefähr achtzehn Fuß.
Der Vater Clouis verbreitete durch die Vermittlung der guten Weiber, die ihm seine Hasen oder Kaninchen abkauften, in den umliegenden Dörfern allmählich die Ansicht: die Mädchen, die am Feiertage des heiligen Ludwig, dreimal auf dem Felsen von oben bis unten rutschen, werden im Verlauf des Jahres verheiratet.
Im ersten Jahre kamen viele junge Mädchen, doch wagte nicht eines zu rutschen.
Im zweiten Jahre wagten es drei solche junge Personen, – zwei wurden im Verlaufe des Jahres verheiratet. Was die dritte betrifft, so behauptete der Vater Clouis kühn: wenn es ihr an einem Manne gefehlt, so sei es aus keinem andern Grund geschehen, als daß sie nicht mit demselben Vertrauen gerutscht, wie die andern.
Im folgenden Jahre liefen alle Mädchen der Umgegend herbei und rutschten.
Der Vater Clouis erklärte nun: es würde für so viele Mädchen auf einmal nie genug junge Männer geben; dennoch würde sich ein drittel der Rutscherinnen, und das waren die Gläubigsten, verheiraten.
Viele heirateten wirklich. Von diesem Augenblick an war der heiratliche Ruf des Clouis-Steins gegründet, und alle Jahre hatte der heilige Ludwig ein doppeltes Fest, ein Fest in der Stadt und ein Fest im Walde.
Nun verlangte der Vater Clouis ein Privilegium. Da man nicht den ganzen Tag rutschen konnte, ohne zu essen und zu trinken, so war es anfangs ein Monopol für den 25. August, Speisen und Getränke an die Rutscher und die Rutscherinnen zu verkaufen; denn es war den jungen Männern gelungen, die Mädchen zu überreden, man müsse, um die Kraft des Felsens unfehlbar zu machen, miteinander und besonders zu gleicher Zeit rutschen.
In dieser Weise lebte der Vater Clouis seit fünfunddreißig Jahren. Die Gegend behandelte ihn, wie die Araber ihre Marabuts behandeln. Er war ein Gegenstand der Legende geworden.
Was aber besonders die Jäger beschäftigte und die Jagdaufseher vor Neid bersten machte, war die erwiesene Thatsache, daß der Vater Clouis im Jahre nur 365 Schüsse that, und daß er mit diesen 365 Schüssen 183 Hasen und 182 Kaninchen erlegte.
Mehr als einmal hatten vornehme Herren von Paris, als sie, vom Herzog von Orleans auf einige Tage nach dem Schlosse eingeladen, von der Geschichte des Vaters Clouis erzählen hörten, diesem je nach ihrer Freigebigkeit einen Louisd'or oder einen Thaler in seine plumpe Hand gedrückt und das seltsame Geheimnis eines Mannes zu erforschen gesucht.
Doch der Vater Clouis hatte ihnen keine andre Erklärung zu geben gewußt, als die, daß er sich bei dem Heere daran gewöhnt, mit der mit einer Kugel geladenen Flinte auf jeden Schuß einen Mann zu töten; was er aber mit der Kugel auf einen Mann gethan, fand er noch viel leichter auszuführen mit einem Schrotschuß auf ein Kaninchen oder einen Hasen.
Und diejenigen, welche lächelten, wenn sie ihn so sprechen hörten, fragte er:
»Warum schießen Sie, wenn Sie nicht sicher sind, daß Sie treffen?«
»Aber,« sagte man zu ihm, »warum hat Ihnen der Herzog von Orleans, der Vater, der doch kein Filz war, nur einen einzigen Schuß für den Tag bewilligt?«
»Weil mehr zu viel gewesen wäre, und weil er mich wohl kannte.«
Die Seltsamkeit dieses Schauspiels und diese sonderbare Theorie trugen dem alten Einsiedler, ein Jahr in das andre gerechnet, ungefähr zehn Louisd'or ein.
Da er aber ebensoviel mit seinen Kaninchenbälgen und mit dem Feiertag, den er selbst gestiftet, verdiente und alle fünf Jahre nur ein Paar Jagdstiefel, und alle zehn Jahre einen Rock kaufte, so war der Vater Clouis durchaus nicht unglücklich.
Im Gegenteil, es ging die Sage, er habe einen verborgenen Schatz, und derjenige, welcher ihn beerbe, werde kein schlechtes Geschäft machen.
Das ist die seltsame Person, die Pitou mitten in der Nacht aufsuchte, als ihm der treffliche Gedanke kam, der ihn seiner peinlichen Verlegenheit entziehen sollte.
Doch um den Vater Clouis zu treffen, durfte man nicht ungeschickt sein.
Clouis lag auf seinem Bette von Heidekraut, einem vortrefflichen, aromatischen Lager, das ihm der Wald im Monat September gab und das erst in dem darauf folgenden September erneuert werden durfte.
Es mochte etwa elf Uhr sein, das Wetter war klar und kühl.
Um zur Hütte des Vaters Clouis zu kommen, mußte man durch ein so dichtes, undurchsichtiges Gestrüppe dringen, daß dem Einsiedler jedesmal das Geräusch der Brüche einen Besuch zum voraus verkündigte.
Pitou machte viermal mehr Lärm als eine andre Person. Der Vater Clouis erhob das Haupt und schaute, denn er schlief nicht. Er war an diesem Tage in einer grimmigen Laune. Ein furchtbarer Unfall war ihm begegnet und machte ihn unzugänglich für seine freundlichsten Mitbürger.
Der Unfall war in der That furchtbar. Seine Flinte, die ihm fünfunddreißig Jahre zu Schrotschüssen gedient hatte, war ihm beim Schießen auf ein Kaninchen zersprungen. Das war der erste Fehlschuß, den er seitdem gethan.
Doch das unversehrte Kaninchen, war für den Vater Clouis nicht die schlimmste Unannehmlichkeit, die ihm widerfahren. Zwei Finger seiner linken Hand waren durch die Explosion zerrissen worden. Clouis hatte seine Finger mit zerriebenen Kräutern und Blättern wieder geflickt, doch seine Flinte hatte er nicht wieder flicken können.
Um sich aber eine andre Flinte zu verschaffen, mußte der Vater Clouis einen Griff in seinen Schatz thun. Und welches Opfer er auch für ein neues Gewehr brachte, wenn er auch die ungeheure Summe von zwei Louisd'or aufwandte, wer weiß, ob dieses Gewehr auf jeden Schuß töten würde, wie das, welches so unglücklicherweise zersprungen war?
Pitou kam, wie man sieht, zu einer schlimmen Stunde.
In dem Augenblick, wo Pitou die Hand auf die Klinke der Thüre legte, ließ auch der Vater Clouis ein Knurren hören, das den Kommandanten der Nationalgarde von Haramont zurückweichen machte.
War es ein Wolf, war es eine Bache, was die Stelle des Vaters Clouis eingenommen hatte?
Pitou zögerte auch, einzutreten.
»He! Vater Clouis!« rief er.
»Was!« machte der Menschenfeind.
Pitou war beruhigt, er hatte die Stimme des würdigen Einsiedlers erkannt.
»Gut, Ihr seid da,« sagte er.
Dann that er einen Schritt in das Innere der Hütte, machte seinen Bückling vor ihrem Eigentümer und sagte freundlich:
»Guten Morgen, Vater Clouis.«
»Wer ist da?« fragte der Verwundete.
»Ich, Pitou.«
»Wer Pitou?«
»Ich, Ange Pitou von Haramont, Ihr wißt?«
»Nun? was geht das mich an, daß Ihr Ange Pitou von Haramont seid?«
»Ho! ho!« sprach Pitou scherzend, »er ist nicht guter Laune, der Vater Clouis; ich habe ihn schlecht aufgeweckt.«
»Sehr schlecht aufgeweckt. Ihr habt recht.«
»Was muß ich denn thun?«
»Oh! das Beste, was Ihr thun könnt, ist, daß Ihr geht.«
»Ei! ohne ein wenig zu reden?«
»Worüber reden?«
»Ueber einen Dienst, den Ihr mir leisten sollt, Vater Clouis.«
»Ich leiste keinen Dienst umsonst.«
»Und ich, ich bezahle diejenigen, welche man mir leistet.«
»Das ist möglich, doch ich, ich kann keinen mehr leisten.«
»Warum nicht?«
»Ich schieße nichts mehr.«
»Wie, Ihr schießt nichts mehr? Ihr, der Ihr auf jeden Schuß tötet; das ist nicht möglich, Vater Clouis.«
»Geht,« sage ich Euch, »Ihr langweilt mich.«
»Höret mich an, und Ihr werdet es nicht bereuen.«
»Sprecht, doch macht nicht viel Worte . . . was wollt Ihr?«
»Ihr seid ein alter Soldat?«
»Weiter!«
»Nun! Vater Clouis, Ihr sollt mich das Exerzieren lehren.«
»Seid Ihr verrückt?«
»Nein, ich habe im Gegenteil mein ganzes Gehirn. Lehrt mich das Exerzieren, Vater Clouis, und wir werden über den Preis reden.«
»Ah! dieses Tier ist offenbar verrückt,« sprach ungeschlacht der alte Soldat, während er sich auf seinem dürren Heidekraut aufrichtete.
»Vater Clouis, ja oder nein? Lehrt mich das Exerzieren, wie man es bei der Armee thut, in zwölf Tempos, und verlangt von mir, was Euch gefällt.«
Der Alte erhob sich auf ein Knie, heftete sein fahles Auge auf Pitou und fragte:
»Was mir gefällt?«
»Ja.«
»Nun! was mir gefällt ist eine Flinte.«
»Ah! das macht sich vortrefflich, ich habe vierunddreißig Flinten.«
»Du hast vierunddreißig Flinten?«
»Und die vierunddreißigste, die ich für mich genommen, wird Euch wohl taugen. Es ist ein hübsches Sergeantengewehr mit dem Wappen des Königs in Gold auf der Schwanzschraube.«
»Und wie hast du dir diese Flinte verschafft? Ich hoffe, du hast sie nicht gestohlen.«
Pitou erzählte ihm seine Geschichte offenherzig und redlich.
»Ich begreife,« sagte der alte Jagdaufseher. Ich will dich wohl das Exerzieren lehren, doch ich habe ein Übel an den Fingern.«
Und er erzählte seinerseits Pitou den Unfall, der ihm begegnet war.
»Gut!« sprach Pitou, »kümmert Euch nicht mehr um Eure Flinte. Sie ist ersetzt. Ach! es handelt sich nur um Eure Finger . . . Das ist nicht wie mit den Flinten, ich habe keine vierunddreißig.«
»Oh! was die Finger betrifft, das ist nichts, und wenn du mir versprichst, daß die Flinte morgen hier sein wird, so komm.«
Und er stand sogleich auf.
Der Mond im Zenit ergoß Ströme weißer Flammen auf die Lichtung, die sich vor dem Hause ausdehnte.
Wer in dieser Einsamkeit die zwei schwarzen Schatten auf der gräulichen Fläche hätte gestikulieren sehen, wäre nicht imstande gewesen, sich eines geheimnisvollen Schreckens zu erwehren.
Der Vater Clouis nahm seinen Flintenstumpf und zeigte ihn seufzend Pitou. Zuerst unterwies er ihn in der Haltung des Militärs.
Es war übrigens etwas Seltsames, das plötzliche Geraderichten des großen Greises, der durch die Gewohnheit, in Gebüschen zu gehen, immer gebückt war und nun, wiederbelebt durch die Erinnerung an das Regiment und den Stachel des Exerzierens sein Haupt mit der weißen Mähne über breiten, wohlbefestigten Schultern schüttelte.