Kitabı oku: «Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3», sayfa 6
Da aber Pitou schlecht geschlafen hatte, so erwachte er spät. Nichtsdestoweniger beschloß er, seinen Leseplan in Ausführung zu bringen. Es war sieben Uhr; der Pächter sollte erst um neun Uhr zurückkehren; kam er indessen auch zurück, so konnte er einer Beschäftigung, die er selbst empfohlen, nur Beifall spenden.
Er stieg eine kleine Leiter hinab und setzte sich auf eine Bank unter dem Fenster von Katharine. War es der Zufall, der Pitou gerade an diesen Ort geführt hatte, oder kannte er die beziehungsweisen Situationen dieses Fensters und dieser Bank? So viel ist gewiß, daß Pitou, der wieder seine Werktagskleidung, die man durch eine andere ersetzen noch nicht Zeit gehabt hatte, nämlich seine schwarzen Hosen, seinen grünen Kittel und seine geröteten Schuhe trug, die Broschüre aus seiner Tasche zog und zu lesen anfing.
Wir möchten nicht behaupten, die Anfänge dieser Lesung haben stattgefunden, ohne daß sich die Augen des Lesers zuweilen vom Buche nach dem Fenster abwandten, da aber das Fenster in seinem Rahmen von Kapuzinern und Winden durchaus kein Brustbild von einem jungen Mädchen bot, so hefteten sich die Augen von Pitou am Ende unabänderlich auf das Buch.
Insofern jedoch seine Hand es versäumte, die Blätter umzuschlagen, und insofern diese Hand sich um so weniger bewegte, je tiefer seine Aufmerksamkeit zu sein schien, konnte man allerdings glauben, sein Geist sei anderswo und er träume, statt zu lesen.
Plötzlich kam es Pitou vor, als fiele auf die bis dahin durch die Morgensonne beleuchteten Seiten ein Schatten. Dieser Schatten war zu dicht, um der einer Wolke zu sein, und konnte also nur von einem undurchsichtigen Körper herrühren; es giebt aber so reizend anzuschauende undurchsichtige Körper, daß Pitou sich rasch umwandte, um zu sehen, wer derjenige wäre, welcher ihm die Sonne auffing.
Pitou täuschte sich. Es war in der That ein undurchsichtiger Körper, der ihm denjenigen Teil des Lichtes und der Wärme entzog, den Diogenes von Alexander forderte. Doch dieser undurchsichtige Körper bot, statt reizend zu sein, im Gegenteil einen sehr unangenehmen Anblick.
Es war ein Mann von fünfundvierzig Jahren, noch länger und hagerer als Pitou, in einem Kleid, das beinahe so abgetragen war, als das seinige; er neigte den Kopf über seine Schulter und schien eben so neugierig zu lesen, als Pitou dies zerstreut that.
Pitou war sehr erstaunt; ein freundliches Lächeln erschien auf den Lippen des schwarzen Mannes und zeigte einen Mund, in dem nur vier Zähne blieben, zwei oben und zwei unten, die sich kreuzten und wetzten wie die Hauzähne eines Wildschweins.
»Amerikanische Ausgabe,« sagte dieser Mann mit näselnder Stimme, Format in Oktav: Von der Freiheit der Menschen und der Unabhängigkeit der Nationen. – Boston 1788.
Während der schwarze Mann so sprach, öffnete Pitou die Augen mit einem stufenweisen Erstaunen, so daß, als der Mann zu sprechen aufhörte, die Augen von Pitou die größte Entwickelung, zu der sie gelangen konnten, erreicht hatten.
»Boston 1788. So ist es, mein Herr,« wiederholte Pitou.
»Es ist die Abhandlung des Doktors Gilbert,« sagte der schwarze Mann.
»Ja, mein Herr,« erwiderte Pitou artig, und er stand auf, denn er hatte immer sagen hören, es sei unhöflich, sitzend mit einem Höheren zu reden, und in dem noch naiven Geist von Pitou hatte jeder Mensch einen Vorrang vor ihm anzusprechen.
Doch während er aufstand, bemerkte Pitou beim Fenster etwas Rosiges, Bewegliches, was ihm zublinzelte. Dieses Etwas war Mademoiselle Katharine. Das Mädchen schaute ihn auf eine seltsame Weise an und machte sonderbare Zeichen.
»Mein Herr, ohne unbescheiden zu sein,« fragte der schwarze Mann, der, da er dem Fenster den Rücken zugewendet hatte, dem was vorging völlig fremd geblieben war, »mein Herr, wem gehört dieses Buch?« Und er deutete mit den Fingern, jedoch ohne sie zu berühren, auf die Broschüre.
Pitou war im Begriff zu antworten, da gelangten zu ihm die von einer beinahe flehenden Stimme gesprochenen Worte:
»Sagen Sie, es gehöre Ihnen.«
Der schwarze Mann, der ganz Auge war, hörte diese Worte nicht.
»Mein Herr,« antwortete Pitou majestätisch, »dieses Buch gehört mir.«
Der schwarze Mann schaute empor, denn er fing an zu bemerken, daß ihn von Zeit zu Zeit die erstaunten Blicke von Pitou verließen, um sich zu einem besondern Punkte zu erheben. Er sah das Fenster; doch Katharine hatte dessen Bewegung erraten und war rasch wie ein Vogel verschwunden.
»Nach was schauen Sie denn da oben?« fragte er.
»Ah! mein Herr,« erwiderte Pitou lächelnd, »erlauben Sie mir, Ihnen zu bemerken, daß Sie sehr neugierig sind. Curiosus oder vielmehr avidus cognoscendi, wie der Abbé Fortier, mein Lehrer, sagte.«
»Sie sagen also,« sprach der Frager, »ohne daß er im geringsten durch die Probe des Wissens eingeschüchtert schien, die Pitou in der Absicht gegeben hatte, dem Fremden eine höhere Idee von sich beizubringen, Sie sagen also, das Buch gehöre Ihnen?«
Pitou blinzelte so mit dem Auge, daß sich das Fenster wieder in seinem Lichtstrahl befand. Der Kopf von Katharine erschien abermals und machte ein bejahendes Zeichen.
»Ja, mein Herr,« antwortete Pitou. »Sollten Sie begierig sein, es zu lesen? Avidus legendi libri oder legendae historiae?«
»Mein Herr,« sprach der schwarze Mann, »Sie scheinen mir sehr über dem Stande zu sein, den Ihre Kleider bezeichnen: Non dives vestitu sed ingenio. Demzufolge verhafte ich Sie.«
»Wie, Sie verhaften mich?« rief Pitou, »im höchsten Maße erstaunt.«
»Ja,« mein Herr, »ich bitte also, folgen Sie mir.«
Pitou schaute nicht mehr in die Luft, sondern um sich her, und erblickte zwei Sergeanten, die aus der Erde zu kommen schienen.
»Nehmen wir das Protokoll auf, meine Herren, sprach der schwarze Mann.«
Der Sergeant band mit einem Strick die Hände von Pitou und in seinen Händen das Buch des Doktors fest.
Dann band er Pitou selbst an einen Ring, der unter dem Fenster angebracht war.
Pitou wollte aufschreien, doch er hörte, wie dieselbe Stimme ihm zuflüsterte: »Lassen Sie machen.«
Pitou ließ also mit einer Folgsamkeit machen, welche die Sergeanten und besonders den schwarzen Mann entzückten, so daß sie ohne irgend ein Mißtrauen in das Haus des Pächters eintraten, die zwei Sergeanten, um einen Tisch zu holen, der schwarze Mann . . . wir werden später erfahren, warum.
Kaum waren die Sergeanten und der schwarze Mann in das Haus eingetreten, als die Stimme sich hören ließ.
»Heben Sie die Hände auf,« sagte die Stimme.
Pitou hob nicht nur die Hände, sondern auch den Kopf empor und erblickte das bleiche, erschrockene Gesicht von Katharine; sie hielt ein Messer in der Hand: Noch mehr . . . noch mehr . . . sagte sie.
Pitou erhob sich auf den Fußspitzen.
Katharine neigte sich hinaus; die Klinge berührte den Strick, und Pitou erlangte die Freiheit seiner Hände wieder.
»Nehmen Sie das Messer,« sagte Katharine, »und durchschneiden Sie den Strick, der Sie am Ring festhält.«
Pitou ließ sich das nicht zweimal sagen; er durchschnitt den Strick und war völlig frei.
»Hier ist ein Doppel-Louisd'or,« sagte Katharine; »Sie haben gute Beine, retten Sie sich; gehen Sie nach Paris und benachrichtigen Sie den Doktor.«
Sie konnte nicht mehr sprechen; die Sergeanten erschienen wieder, und der Doppel-Louisd'or fiel zu den Füßen von Pitou.
Pitou raffte ihn behende auf. Die Sergeanten waren in der That auf der Thürschwelle; sie verweilten hier einen Augenblick, erstaunt, Pitou, den sie kurz zuvor so gut gebunden, frei zu sehen. Bei ihrem Anblick sträubten sich die Haare auf dem Haupte von Pitou, und er erinnerte sich verworren des in crinibus angues der Eumeniden.
Die Sergeanten und Pitou blieben einen Moment in der Lage des Hasen und eines stehenden Hundes: sie schauten sich unbeweglich an. Wie aber bei der geringsten Bewegung des Hundes der Hase aufpackt, so machte bei der ersten Bewegung der Sergeanten Pitou einen wunderbaren Sprung und befand sich auf der andern Seite einer Hecke.
Die Sergeanten stießen einen Schrei aus, der den Gefreiten, der eine kleine Kassette unter seinem Arm trug, herbeilaufen machte. Der Gefreite verlor seine Zeit nicht mit Redensarten und fing an, Pitou nachzulaufen. Die zwei Sergeanten thaten dasselbe. Doch sie waren nicht stark genug, um wie Pitou über eine Hecke von drei und einem halben Fuß Höhe zu springen, und sahen sich daher genötigt, einen Umweg zu machen.
Als sie aber an die Ecke der Hecke kamen, erblickten sie Pitou auf mehr als fünfhundert Schritte in der Ebene; er steuerte geradeswegs auf den Wald zu, von dem er kaum eine Viertelmeile entfernt war, und den er folglich in wenigen Minuten erreichen mußte.
In diesem Augenblicke wandte sich Pitou um, und als er die Sergeanten erblickte, die ihn mehr zur Befreiung ihres Gewissens, als in der Hoffnung, ihn zu erreichen, verfolgten, verdoppelte er seine Schnelligkeit und verschwand bald am Saume des Waldes.
Pitou lief so noch eine Viertelstunde; er würde zwei Stunden gelaufen sein, wenn es nötig gewesen wäre: er hatte den Atem des Hirsches, wie er auch dessen Geschwindigkeit hatte.
Doch nach Verlauf einer Viertelstunde, als er instinktartig dachte, er sei außer Gefahr, blieb er stehen, atmete, horchte, und nachdem er sich versichert hatte, daß er ganz allein war, sagte er:
»Es ist unglaublich, daß so viele Ereignisse in drei Tagen Raum haben konnten.«
Dann schaute er abwechselnd seinen Doppel-Louisd'or und sein Messer an und sprach:
»Oh! ich hätte gerne Zeit haben mögen, um meinen Doppel-Louisd'or zu wechseln und zwei Sous Mademoiselle Katharine zurückzugeben, denn ich befürchte sehr, dieses Messer schneidet unsere Freundschaft ab. Gleichviel,« fügte er bei, da sie mich hat heute nach Paris gehen heißen, so gehe ich dahin.
Und nachdem er sich orientiert und erkannt hatte, daß er sich zwischen Boursonne und Yvors befand, wählte er einen kleinen durch den Wald gehauenen Pfad, der ihn in gerader Linie zu den Heiden von Gondreville führen mußte, welche die Straße nach Paris durchzieht.
VIII.
Warum der schwarze Mann zu gleicher Zeit mit den zwei Sergeanten in das Haus des Pächters eingetreten war
Kehren wir nun zum Pachthof zurück und erzählen die Katastrophe, von der die Episode von Pitou nur die Entwickelung war.
Gegen sechs Uhr morgens kam ein Polizeiagent von Paris in Begleitung von zwei Sergeanten in Villers-Cotterets an; er erschien beim Polizeikommissär und ließ sich die Wohnung des Pächters Billot bezeichnen.
Fünfhundert Schritte vom Pachthof bemerkte der Gefreite einen Knecht, der auf dem Felde arbeitete, er näherte sich ihm und fragte ihn, ob er Herrn Billot zu Hause fände. Der Knecht antwortete, Herr Billot kehre nie vor neun Uhr, das heißt vor der Stunde seines Frühstücks zurück. Doch in diesem Moment schlug der Knecht zufällig die Augen auf, deutete mit dem Finger auf einen Reiter, der in einer Entfernung von ungefähr einer Viertelmeile mit einem Schäfer plauderte, und sagte:
»Ah! dort ist gerade Herr Billot.«
»Jener Reiter?«
»Er ist es.«
»Mein Freund,« sprach der Gefreite, »wollen Sie Ihrem Herrn wohl ein Vergnügen machen?«
»Das würde ich sehr gern thun.«
»So gehen Sie und sagen Sie ihm, ein Herr von Paris erwartet ihn im Pachthofe.«
»Oh!« rief der Bauer, »sollte es der Doktor Gilbert sein?«
»Gehen Sie immerhin,« sagte der Gefreite.
Der Bauer ließ sich das nicht zweimal sagen; er lief querfeldein, während die Gefreiten und die zwei Sergeanten sich hinter einer halb zerfallenen Mauer, beinahe dem Thore des Pachthofes gegenüber, in den Hinterhalt legten.
Nach einem Augenblick hörte man den Galopp eines Pferdes: Billot kam an.
Er ritt in seinen Hof, stieg ab, warf den Zügel einem Stallknechte zu und stürzte in die Küche, überzeugt, das erste, was er sehen würde, wäre der unter dem weiten Mantel des Kamins stehende Doktor Gilbert; doch er sah nur Frau Billot, die mitten in der Küche saß und ihre Enten mit der ganzen Sorgfalt und der ganzen Pünktlichkeit rupfte, die diese schwierige Operation erfordert.
Katharine war in ihrem Zimmer beschäftigt, eine Haube für den nächsten Sonntag zurecht zu richten; Katharine sorgte, wie man sieht, lange vorher; doch für die Frauen ist, wie sie sagen, das Vergnügen, sich mit ihrem Putz zu beschäftigen, beinahe eben so groß, als das, sich wirklich zu putzen.
Billot blieb auf der Schwelle stehen und schaute umher.
»Wer verlangt nach mir?« sagte er.
»Ich,« antwortete eine flötenartige Stimme in der Nähe.
Billot wandte sich um und erblickte den schwarzen Mann und die zwei Sergeanten.
»Potz tausend!« rief er, indem er zwei Schritte rückwärts machte, »was wollen Sie?«
»Oh! mein Gott, beinahe nichts, mein lieber Herr Billot, antwortete der Mann mit der Flötenstimme, eine Haussuchung in Ihrem Pachthofe vornehmen, das ist das Ganze.«
»Eine Haussuchung!« rief Billot.
Billot warf einen Blick nach seiner Flinte, die über dem Kamin hing, und sagte dann:
Seitdem wir eine Nationalversammlung haben, glaubte ich, wir seien nicht mehr solchen Plackereien ausgesetzt, die einer anderen Zeit angehören und nach einer anderen Regierung riechen. Was wollen Sie von mir, der ich ein friedlicher und rechtschaffener Mann bin?
Die Agenten aller Polizei der Welt haben das miteinander gemein, daß sie nie auf die Fragen ihrer Opfer antworten. Nur, während sie dieselben durchsuchen, verhaften, binden und knebeln, beklagen sie einige, und das sind die gefährlichsten, weil sie die besten zu sein scheinen.
Derjenige, welcher bei dem Pächter Billot erschien, war aus der Schule der Tapin und der Desgres, ganz in Süßigkeit eingemachter Leute, die immer eine Thräne für diejenigen haben, welche sie verfolgen, aber dennoch ihre Hände nie gebrauchen, um sich die Augen abzuwischen.
Der Erwähnte winkte, während er einen Seufzer ausstieß, den zwei Sergeanten mit der Hand; sie näherten sich Billot, der einen Sprung rückwärts machte und die Hand ausstreckte, um seine Flinte zu ergreifen. Doch seine Hand wurde von der Waffe abgewendet, – die in diesem Augenblick doppelt gefährlich, insofern sie sogleich denjenigen, welcher sich ihrer bediente, und den, gegen welchen sie gerichtet war, töten konnte, – und zwischen zwei kleinen, aber durch den Schrecken starken und durch das Flehen mächtigen Händen eingeschlossen.
Katharine war nämlich auf das Geräusch aus der Stube herausgetreten und zu rechter Zeit angekommen, um ihren Vater vor dem Verbrechen der Rebellion gegen das Gericht zu bewahren.
Als der erste Augenblick vorüber war, leistete Billot keinen Widerstand mehr. Der Gefreite befahl, ihn in einen Saal des Erdgeschosses, Katharine in eine Stube des ersten Stocks einzuschließen: Frau Billot hielt man für so harmlos, daß man sich nicht mit ihr beschäftigte und sie in ihrer Küche ließ. Wonach der Gefreite, der sich als Herrn des Platzes sah, Sekretäre, Kommoden und Schränke durchsuchte.
Billot, als er allein war, wollte fliehen. Doch wie die meisten Stuben des Erdgeschosses, so war auch die, in der er eingeschlossen, vergittert. Der schwarze Mann hatte das Gitter mit dem ersten Blick bemerkt, während es Billot, auf dessen Geheiß es angebracht worden war, vergessen hatte.
Durch das Schloß erblickte er den Gefreiten und seine zwei Leute, die das ganze Haus umkehrten.
»Ah!« rief er, »was macht Ihr denn da?«
»Sie sehen es wohl, mein lieber Herr Billot,« antwortete der Gefreite, »wir suchen etwas, was wir noch nicht gefunden haben.«
»Ihr seit aber Banditen, Schurken, Diebe vielleicht.«
»Oh! mein Herr,« antwortete der Gefreite, »Sie thun uns unrecht, wir sind ehrliche Leute, wie Sie, nur stehen wir im Solde Seiner Majestät und sind folglich genötigt, ihre Befehle zu vollziehen.«
»Die Befehle Seiner Majestät!« rief Billot; »König Ludwig XVI. hat euch Befehle gegeben, meinen Sekretär zu durchsuchen und in meinen Kommoden und Schränken das Oberste zu unterst zu lehren?«
»Ja.«
»Seine Majestät,« sprach Billot, »Seine Majestät, als im vorigen Jahre die Hungersnot so groß war, daß wir schon daran dachten, unsere Pferde zu verzehren. Seine Majestät, als uns vor zwei Jahren der Hagel am 13. Juli unsere Ernte zerschlug, Seine Majestät geruhte nicht, sich um uns zu bekümmern. Was hat sie denn heute mit meinem Pachthof zu thun, den sie nie gesehen, und mit mir, den sie nicht kennt?«
»Sie werden mir verzeihen, mein Herr,« sagte der Gefreite, indem er die Thüre vorsichtig ein wenig öffnete und seinen vom Polizeileutnant unterzeichneten, aber dem Gebrauche gemäß mit dem Eingang: Im Namen des Königs, versehenen Befehl vorzeigte, »Seine Majestät hat von Ihnen sprechen hören, und wenn sie Sie nicht persönlich kennt, so weisen Sie darum doch nicht die Ehre zurück, die sie Ihnen anthut, und empfangen Sie diejenigen, welche in ihrem Namen erscheinen, mit Anstand.«
Und mit einer artigen Verbeugung und mit einem kleinen freundschaftlichen Augenwink schloß der Gefreite die Thüre wieder, wonach die Ausspäherei ihren Fortgang nahm.
Billot schwieg und ging mit gekreuzten Armen, wie ein Löwe im Käfig, in der Stube umher; er fühlte sich gefangen und in der Gewalt dieser Menschen.
Das Werk der Durchsuchung wurde stillschweigend fortgesetzt. Diese Menschen schienen vom Himmel gefallen zu sein. Niemand hatte sie gesehen als der Taglöhner, der ihnen den Weg gezeigt. In den Höfen hatten die Hunde nicht gebellt; der Anführer der Häscher mußte unter seinen Genossen ein Meister sein von Kraft und nicht zum erstenmal bei der Ausführung eines ähnlichen Handstreichs.
Billot hörte das Seufzen seiner in der Stube über ihm eingeschlossenen Tochter. Er erinnerte sich ihrer prophetischen Worte, denn es unterlag keinem Zweifel, daß der Grund der Verfolgung, die den Pächter traf, das Buch des Doktors war.
Es hatte indessen neun Uhr geschlagen, und Billot konnte durch sein vergittertes Fenster, einen nach dem andern, seine Knechte zählen, die von der Arbeit zurückkamen. Bei diesem Anblick begriff er, daß im Falle eines Zusammenstoßes wohl die Stärke, wenn auch nicht das Recht, auf seiner Seite wäre. Diese Überzeugung machte das Blut in seinen Adern kochen. Er hatte nicht die Geduld, sich länger zu bewältigen, packte die Thüre beim Handgriff und rüttelte einmal so gewaltig daran, daß er mit ein paar ähnlichen Erschütterungen das Schloß gesprengt hätte.
Die Polizeiagenten öffneten sogleich und sahen den Pächter hoch aufgerichtet und drohend auf der Schwelle erscheinen; überall war das Oberste zu unterst gekehrt.
»Aber was sucht ihr denn bei mir?« rief Billot. »Sagt es, oder beim Teufel, ich schwöre, daß ich Euch zwinge, es zu sagen.«
Die allmählige Rückkehr der Leute des Pachthofes war einem Mann von so geübtem Auge, wie das des Gefreiten, nicht entgangen. Er hatte die Knechte gezählt und die Überzeugung erlangt, er könnte im Falle eines Zusammenstoßes das Schlachtfeld nicht wohl behaupten. Er näherte sich daher Billot mit einer Höflichkeit, die noch honigsüßer als gewöhnlich, bückte sich bis auf den Boden und sprach:
»Ich will es Ihnen sagen, lieber Herr Billot, obgleich das gegen unsere Gewohnheiten ist. Wir suchen bei Ihnen ein Buch, das den Umsturz predigt, eine aufrührerische Broschüre, die von unseren königlichen Zensoren verboten worden ist.«
»Ein Buch bei einem Pächter, der nicht lesen kann?«
»Darüber darf man sich nicht wundern, wenn Sie der Freund des Verfassers sind und er es Ihnen geschickt hat.«
»Ich bin nicht der Freund des Doktors Gilbert,« erwiderte der Pächter, »ich bin sein ergebenster Diener; Freund des Doktors, das wäre eine zu große Ehre für einen armen Pächter meiner Art.«
Dieser unüberlegte Ausfall, in dem sich Billot dadurch verriet, daß er gestand, er kenne nicht nur den Verfasser, was als ganz natürlich erscheinen mußte, da der Verfasser sein Grundherr war, sondern auch das Buch, sicherte dem Agenten den Sieg. Er richtete sich auf, nahm seine liebenswürdigste Miene an, berührte den Arm von Billot mit einem Lächeln, das sein Gesicht wie durch einen Querschnitt zu teilen schien, und sprach:
»Du bist's, der ihn genannt – kennen Sie diesen Vers, mein guter Herr Billot?«
»Ich kenne keine Verse.«
»Er ist von Herrn Racine, einem sehr großen Dichter.«
»Nun, was bedeutet dieser Vers?« fragte Billot ungeduldig.
»Er bedeutet, daß Sie sich verraten haben.«
»Ich? Wie dies?«
»Indem Sie zuerst Herrn Gilbert nannten, welchen wir nicht zu nennen so diskret gewesen sind.«
»Das ist wahr,« murmelte Billot.
»Sie gestehen also?«
»Ich werde mehr thun.«
»Oh! mein lieber Herr Billot, Sie sind allzu gütig; was werden Sie thun?«
»Wenn es dieses Buch ist, was Sie suchen, und wenn ich Ihnen sage, wo Sie es finden können,« erwiderte der Pächter mit einer Unruhe, die er nicht völlig verbergen konnte, »werden Sie dann aufhören, alles umzukehren?«
Der Gefreite gab den zwei Häschern ein Zeichen.
»Ganz gewiß,« sagte er, »da dieses Buch der Gegenstand der Haussuchung ist. Nur werden Sie uns vielleicht ein Exemplar eingestehen, während Sie zehn haben?« fügte er mit seiner lächelnden Grimasse bei.
»Ich habe nur eines, das schwöre ich Ihnen.«
»Lieber Herr Billot, sprach der Gefreite, wir sind verpflichtet, die genaueste Nachforschung zu halten. Gedulden Sie sich also noch fünf Minuten; wir sind nur arme Agenten, die Befehle von der Behörde erhalten haben, und Sie werden sich nicht gern dem widersetzen, daß Leute von Ehre, – es gibt in allen Ständen, lieber Herr Billot, – Sie werden sich nicht gern dem widersetzen, daß Leute von Ehre ihre Schuldigkeit thun.«
Der schwarze Mann hatte den rechten Ton gefunden. So mußte man mit Billot sprechen.
»Thun Sie es, aber geschwinde,« sagte er.
Und er wandte ihnen den Rücken zu.
Der Gefreite machte ganz sachte die Thüre zu und drehte nicht minder sachte den Schlüssel einmal um. Billot ließ ihn, die Achseln zuckend, gewähren, denn er war sicher, die Thüre an sich ziehen zu können, sobald er wollte.
Der schwarze Mann gab seinerseits den Häschern ein Zeichen und sie gingen ans Geschäft, und in einem Augenblick hatten alle drei, ihre Thätigkeit verdoppelnd, Bücher, Papiere und Wäsche geöffnet, entfaltet, entziffert.
Plötzlich erblickte man hinten in einem geöffneten Schranke ein Kistchen von Eichenholz mit eisernem Beschlag. Der Gefreite fiel darüber her, wie ein Geier über seine Beute. Schon beim Anblick, schon beim Geruch, schon bei der Berührung allein erkannte er ohne Zweifel das, was er suchte, denn rasch verbarg er das Kistchen unter seinem Mantel und bedeutete den zwei Häschern durch ein Zeichen, die Sendung sei erfüllt.
Gerade in diesem Augenblick wurde Billot ungeduldig: er blieb vor seiner geschlossenen Thüre stehen.
»Aber ich sage euch, daß ihr es nicht finden werdet, wenn ich euch nicht bezeichne, wo es ist,« rief er. »Es ist ganz unnötig, alle meine Sachen um nichts und wieder nichts unter einander zu werfen. Was Teufels! ich bin kein Verschwörer! Hört ihr mich? Antwortet, oder beim Gewitter! ich gehe nach Paris und beklage mich dort beim König, bei der Nationalversammlung, bei aller Welt!«
In jener Zeit setzte man den König noch vor das Volk.
»Ja, mein lieber Herr Billot, wir hören Sie, und wir sind ganz bereit, uns Ihren vortrefflichen Gründen zu fügen. Sagen Sie uns, wo das Buch ist, und sobald wir uns überzeugt haben, daß Sie nur dieses einzige Exemplar besitzen, so werden wir es in Beschlag nehmen, und uns sodann ganz einfach entfernen.«
»Wohl denn!« erwiderte Billot, »dieses Buch ist in den Händen eines ehrlichen Jungen, dem ich es heute morgen anvertraut habe, um es zu einem Freunde zu bringen.«
»Und wie heißt dieser ehrliche Junge?« fragte mit aller Einfalt der schwarze Mann.
»Ange Pitou. Er ist eine arme Waise, die ich aus Barmherzigkeit bei mir aufgenommen habe, und die gar nicht weiß, von was das Buch handelt.«
»Ich danke, lieber Herr Billot,« sprach der Gefreite, indem er die Wäsche wieder in den Schrank warf, und den Schrank über der Wäsche, aber nicht mehr über dem Kistchen schloß. Aber wo ist, wenn es beliebt, dieser liebenswürdige Junge?«
»Ich glaube ihn bei meiner Rückkehr, bei den Feuerbohnen, unter dem Laube bemerkt zu haben. Gehen Sie, nehmen Sie das Buch, aber thun Sie ihm kein Leid an.«
»Ein Leid, wir! oh! lieber Herr Billot, Sie kennen uns schlecht! Wir würden keiner Fliege ein Leid anthun.«
Und sie rückten gegen den bezeichneten Ort vor. Bei den Feuerbohnen angelangt, gewahrten sie Pitou, den sein großer Wuchs noch furchtbarer erscheinen ließ, als er in Wirklichkeit es war. Da der Gefreite nun dachte, die zwei Häscher würden, um mit dem jungen Riesen fertig zu werden, seiner Hilfe bedürfen, so machte er seinen Mantel los, wickelte das Kistchen darein und verbarg das Ganze in einer nah gelegenen dunkeln Ecke. Doch Katharine, die an der Thüre horchte, unterschied unbestimmt die Worte: Buch, Doktor und Pitou. Als sie den Sturm, den sie geahnt hatte, losbrechen sah, kam ihr auch der Gedanke, seine Wirkung zu schwächen. Da flüsterte sie Pitou zu, er möge sich als Eigentümer des Buches erklären. Was weiter vorfiel, haben wir bereits gesagt, wir haben gesagt, wie Pitou von dem Gefreiten und seinen Leuten gebunden, geknebelt, und sofort von Katharine, die den Augenblick benützte, wo die Häscher hineingingen, um einen Tisch, und der schwarze Mann, um seinen Mantel und das Kistchen zu holen, in Freiheit gesetzt wurde. Ebenso wie Pitou, über eine Hecke springend, die Flucht ergriff, aber wir haben nicht gesagt, daß der Gefreite als ein Mann von Geist diese Flucht benützte.
In der That, da die dem Gefreiten anvertraute doppelte Sendung vollbracht war, bot die Flucht von Pitou dem schwarzen Mann und seinen zwei Agenten eine vortreffliche Gelegenheit, selbst zu entfliehen.
Der schwarze Mann, obgleich er keine Hoffnung hatte, den Flüchtigen einzuholen, trieb daher seine zwei Häscher durch die Stimme und durch sein Beispiel an, so daß jeder, der sie durch den Klee, das Getreide und die Luzerne hätte fliegen sehen, diese drei Menschen für die erbittertsten Feinde des armen Pitou gehalten haben würde, während sie im Grunde ihres Herzens seine langen Beine segneten.
Doch kaum war Pitou in den Wald eingedrungen, kaum hatten sie dessen Saum erreicht, als sie hinter einem Gebüsch stehen blieben. Wahrend ihres Laufes waren zwei weitere Agenten zu ihnen gestoßen, die sich in der Umgegend des Pachthofes verborgen hielten und erst in dem Fall, daß ihr Anführer rufen würde, herbeieilen sollten.
»Bei meiner Treue,« sagte der Gefreite, »es ist ein Glück, daß dieser Bursche nicht das Kistchen gehabt hat, statt das Buch zu haben. Wir wären genötigt gewesen, die Post zu nehmen, um ihn zu erwischen. Großer Gott! das ist nicht der Kniebug eines Menschen, sondern eine Hirschsehne.
»Ja, sprach einer von den Häschern, doch er hatte das Kistchen nicht, nicht wahr, Herr Pas-de-Loup1 Im Gegenteil, es befindet sich in Ihren Händen.«
»Gewiß, mein Freund, hier ist es,« antwortete derjenige, dessen Namen oder vielmehr Zunamen, den man ihm wegen der Leichtigkeit und Schrägheit seines Ganges gegeben, wir zum ersten Mal genannt.
»Dann haben wir ein Recht auf die versprochene Belohnung.«
»Hier ist sie,« sagte der Gefreite. Und er zog aus seiner Tasche vier Louisd'or und verteilte sie unter seine vier Agenten, ohne daß er denjenigen, welche handelnd eingegriffen, einen Vorzug vor denen gab, welche bloß gewartet hatten.
»Es lebe der Herr Leutnant!« riefen die Häscher.
»Es ist nicht schlimm zu rufen: Es lebe der Herr Leutnant! sagte Pas de loup; »doch so oft man das thut, muß man es mit Unterscheidung thun. Nicht der Herr Leutnant bezahlt.«
»Wer denn?«
»Einer von seinen Freunden, oder eine von seinen Freundinnen, ich weiß nicht genau, welcher oder welche, da die betreffende Person anonym zu bleiben wünscht.«
»Ich wette, es ist die Person, die das Kistchen erhält.«
»Rigoulot, mein Freund, ich habe immer behauptet, du seist ein Junge voll Scharfsinn; doch mittlerweile, bis dieser Scharfsinn seine Früchte trägt und seine Belohnung herbeiführt, wollen wir ausreißen; der verdammte Pächter sieht nicht sehr mild und umgänglich aus, und wenn er wahrnimmt, daß das Kistchen fehlt, könnte er uns alle seine Knechte nachsetzen lassen, und das sind Bursche, die ihren Schuß so richtig thun, als der beste Schweizer von der Garde Seiner Majestät«.
Diese Ansicht war wohl die der Majorität, denn die fünf Agenten setzten ihren Marsch unaufhaltsam im Saume des Waldes fort, der sie vor aller Augen verbarg und drei Viertelmeilen von da wieder zur Straße führte.
Die Vorsicht war nicht überflüssig, denn kaum hatte Katharine den schwarzen Mann und die zwei Sergeanten in Verfolgung von Pitou verschwinden sehen, als sie voll Vertrauen zu der Schnellfüßigkeit des Verfolgten, – der, wenn kein Unfall dazwischen trat, seine Verfolger weithin entführen mußte, – die ängstlich lauernden Knechte rief, ihr die Thüre zu öffnen. Die Knechte liefen herbei, und sobald Katharine befreit war, beeilte sie sich, ihren Vater auch in Freiheit zu setzen.
Billot schien zu träumen. Statt aus der Stube zu stürzen, ging er nur mißtrauisch und kehrte von der Thüre mitten in das Zimmer zurück. Es war, als getraute er sich nicht, am Platze zu bleiben, und hätte zugleich bange, seinen Blick auf das von den Agenten gesprengte und geleerte Hausgeräte zu werfen.
»Und sie haben ihm das Buch genommen, nicht wahr?« fragte Billot.
»Ja, mein Vater, doch sie haben ihn nicht genommen.«
»Wen, ihn?«
»Pitou. Er ist entflohen. Und wenn sie ihm immer noch nachlaufen, so müssen sie nun in Cayolles oder in Vauciennes sein.«
»Desto besser! Armer Junge! ich habe ihm das zugezogen.«
»Oh! mein Vater, bekümmern sie sich nicht um ihn, und denken wir an uns. Seien Sie unbesorgt, Pitou wird sich schon heraus helfen. Doch, mein Gott! welche Unordnung! Sehen Sie doch meine Mutter!«
»Oh! mein Weißzeugschrank,« rief Frau Billot. »Sie haben nicht einmal meinen Weißzeugschrank respektiert. Das sind ruchlose Gesellen!«
»Sie haben im Weißzeugschrank gesucht!« rief Billot.
Und er stürzte auf den Schrank zu, den, wie gesagt, der Sergeant sorgfältig wieder geschlossen hatte, und fuhr mit seinen beiden Armen durch die Haufen umgeworfener Servietten.
»Oh!« rief er, »das ist unmöglich!«
»Was suchen Sie, mein Vater?« fragte Katharine.
Billot schaute in einer Art von Geistesverwirrung umher.
»Sieh, ob du es irgendwo findest. Doch nein; in dieser Kommode – nein; in diesem Sekretär auch nicht; übrigens war es da, denn ich hatte es selbst hierher gestellt. Noch gestern habe ich es gesehen. Nicht das Buch suchten diese Elenden, sondern das Kistchen.«