Kitabı oku: «Black», sayfa 11
IV
Die beiden Unterlieutenants
Die beiden jungen Offiziere waren die nächsten Nachbarn des Chevalier de la Graverie, der, ohne es zu wollen, zum Vertrauten der gegenseitig mitgeteilten Geständnisse gemacht wurde.
Der eine Unterlieutenant mochte vierundzwanzig bis fünfundzwanzig Jahre als sein, und hatte trotz seiner braunroten Haare ein recht angenehmes, ziemlich schön geformtes Gesicht. Der Andere war was man einen »schönen Soldaten« zu nennen pflegt. Er hatte fünf Fuß sechs Zoll, breite Schultern und eine so schmale Taille, dass die Neider behaupteten, er wende dieselben künstlichen Hilfsmittel an, wie das schöne Geschlecht. Die weiten Hosen schienen mit Crinolinen gefüttert zu sein, die Brust war ohne Zweifel stark wattiert. Das Gesicht war ein Gemisch von zartem und lebhaftem Roth, von Violett und Blau. Diese letzte Farbe kam von dem sorgfältig rasierten schwarzen Bart. Ein sehr hervorragender Bestandteil dieses schon durch seine verschiedenen Nuancen merkwürdigen Gesichtes war ein steif gewichster Schnurrbart, der in einiger Entfernung von schwarz gebeiztem Holz zu sein schien. Die Augen standen fast weiter hervor als die Stumpfnase, und gaben auf den ersten Blick zu erkennen, dass der Geist an Wachstum weit hinter dem Körper zurückgeblieben war. Das Lächeln, welches auf den dicken Lippen des Unterlieutenants schwebte, war nicht geistreich, verrieth aber einen hohen Grad von Selbstgefälligkeit.
»Ich muss gestehen, lieber Freund,« sagte dieser junge Offizier zu seinem Kameraden, »dass Sie sehr naiv sind. Was! seit einem Monat besuchen Sie eine Grisette in ihrem Zimmer; sie ist hübsch, und Sie sind keineswegs hässlich; sie ist achtzehn Jahre, und Sie sind auch kein alter Knasterbart; sie gefällt Ihnen, Sie gefallen ihr – und Sie sind noch im ersten Stadium einer rein platonischen Liebe! Wissen Sie wohl, lieber Gratien, dass Sie dadurch nicht nur sich selbst, sondern das ganze Offizierkorps, vom Obersten bis zum Stabstrompeter. lächerlich machen?«
»Ach, lieber Louville,« antwortete der Andere, »nicht Jedermann besitzt Ihre Keckheit. Ich will mich für keinen großen Sieger ausgeben, und überdies genügt die Anwesenheit eines Dritten, um mich in dem Augenblick, wo mein Liebesfeuer am stärksten auflodert, ganz verzagt zu machen.«
»Wie? die Anwesenheit eines Dritten!« sagte der junge Offizier, der von seinem Kameraden Louville genannt wurde, indem er sich durch vorsichtiges Betasten überzeugte, dass sein Schnurrbart noch die gehörige Festigkeit und die mit großer Sorgfalt gedrehten Spitzen hatte. »Sie sagten mir ja, die Kleine wohne ganz allein; sie habe das Glück, ein Kind des Zufalls zu sein, weder Eltern noch Geschwister, weder Vettern noch Basen zu besitzen; kurz die schönen Momente ihres Daseins würden durch keine düsteren Wolken verfinstert. Sie versicherten, man dränge ihr keinen ehrsamen Tischler oder Kupferschmied zum Ehemanne auf, und es stehe ihr völlig frei, mit einem Offizier, zumal mit einem Unterlieutenant, glücklich wie eine Königin zu sein.«
»Ich habe Ihnen die Wahrheit gesagt, Louville,« antwortete Gratien; »sie steht ganz allein in der Welt.«
»Nun, was steht Ihnen denn im Wege? Mademoiselle Francotte, die Inhaberin des Putzladens, ist wohl gar neugierig zu hören, was Sie dem hübschen Kinde zuflüstern?«
Gratien schüttelte den Kopf.
»Nein,« erwiderte er seufzend. »Die Francotte lässt ihr dieselbe Freiheit wie den übrigen Arbeiterinnen.«
»Dann ist es wohl die Vermieterin des Zimmers?«
»Nein.«
»Oder eine eifersüchtige Freundin? Dieses Hindernis; will ich aus dem Wege räumen.«
»Wie so?«
»Ich will sie lieben, und wäre sie so hässlich wie eine Vogelscheuche. Was sagen Sie dazu? Mehr kann man doch von einem Freunde nicht verlangen.«
»Sie Habens nicht erraten, lieber Freund.«
»Mille cigarres«! was ist es denn?«
»Sie werden mich auslachen, Louville. Wissen Sie, was mir die Zunge lähmt, wenn ich süße Worte sprechen will? Wissen Sie, was mir Zwang antut, meine feurige Liebe mit einem kalten Sturzbade übergießt, mich zu einer albernen, lächerlichen Rolle verurteilt? Ich wette, dass Sie es nicht erraten.«
»Nur heraus damit, Gratien. Sie wissen ja, dass ich noch nie ein Rätsel oder einen Rebus erraten habe.«
„So hören Sie. Dieses Hindernis! welches meinen Wünschen im Wege steht, welches Therese bis jetzt in Schutz genommen hat und auch künftig in Schutz nehmen wird, ist ein großer schwarzer Jagdhund, der ihr nie von der Seite geht.«
»Was?« sagte der Chevalier sich aufrichtend.
»Was beliebt, mein Herr?« sagte Louville, den Chevalier ansehend; »hat man Sie etwa auf den Fuß getreten?«
»Nein,« erwiderte der Chevalier kleinlaut.
Louville wendete sich zu Gratien und murrte:
»Fürwahr, die Spießbürger sind unausstehlich! – Nicht wahr, ich habe nicht recht verstanden?«
»O ja, es ist wirklich so wie ich sage.«
Louville brach in ein lautes Gelächter aus, dass die Fenster des Kaffeehauses klirrten.
Der Chevalier benutzte den Augenblick, wo der junge Offizier sich zurücklehnte und den Bauch hielt, um den beiden Offizieren den Rücken zu kehren, ihnen aber zugleich näher zu rücken.
»Ha, ha, ha, das ist köstlich!« sagte Louville, als er seine Heiterkeit endlich etwas zu zügeln vermochte. »Der Drache der Hesperiden ist um Ihretwillen wieder lebendig geworden. Wahrhaftig, es ist zum Totlachen!«
Gratien biss sich in die Lippen,«
»Ich war auf diesen Ausbruch der Heiterkeit gefasst,« sagte er. »Aber ich versichere, dass ich nicht scherze. Wenn ich einige sentimentale Worte riskiere, so fängt der verwünschte Hund an zu knurren, als ob er seine Herrin warnen wollte. Wenn ich mich nicht abschrecken lasse, so bellt er so laut, dass ich, um von Therese verstanden zu werden, aus Leibeskräften schreien muss: Mein Engel, ich liebe, ich vergöttere Dich!«
»Nun, dann müssen Sie die Worte durch eine lebhafte, beredte Pantomime ersehen,« sagte Louville.
»Durch eine Pantomime? Das ist noch schlimmer. Der verwünschte Hund kann keine Pantomime leiden. Wenn ich mir eine mehr oder minder lebhafte Gebärde erlaube, so knurrt und bellt er nicht mehr, er weist mir die Zähne. Wenn ich mich dadurch nicht abschrecken lasse, beißt er mich, und das ist verdammt lästig, wenn man eine Liebeserklärung machen will. Das Unangenehmste aber ist, dass ich in dem grotesken Kampfe, der aus der Verschiedenheit unserer Ansichten entsteht, vor meiner Angebeteten sehr lächerlich erscheinen muss.»
»Und es ist Ihnen nicht gelungen, die Freundschaft dieses Vierfüßlers zu gewinnen?«
»Nein.«
»Aber, mille eigares«! Als wir noch das Gymnasium besuchten, wo wir uns, beiläufig gesagt, ungeheuer langweilten, lasen wir ja in dem »Cygne de Monleon,« wie ihn unser Professor nannte, es gebe irgendwo einen Bäcker, der Kuchen für den Cerberus lieferte —«
»Black ist unbestechlich.«
Der Chevalier stutzte, ohne dass es die beiden Offiziere bemerkten.
»Ich stecke die Taschen voll Leckerbissen,« fuhr Gratien fort; »er frisst sie mit Dank, aber er ist jeden Augenblick bereit, mich wie meine Geschenke zu behandeln.«
»Schläft er denn nicht? Und geht er nie aus?«
»Vor vierzehn bis zwanzig Tagen war er einen Nachmittag und eine Nacht abwesend; ich hoffte, er werde nicht wiederkommen, aber er kam wieder.«
»Und seitdem?«
»Ist er noch nicht von der Stelle gegangen. Der verwünschte Hund muss wirklich mit übersinnlichem Gesichtsvermögen begabt sein.«
»Ich glaube vielmehr,« erwiderte Louville, »dass Ihre Therese weit schlauer ist, als Sie glauben: sie wird den Hund eigens dazu abgerichtet haben.«
»Kurz und gut,« sagte Gratien, »meine Geduld ist zu Ende, und ich bin fürwahr geneigt, meine Bewerbungen einzustellen.«
»Das sollten Sie nicht tun.«
»Ich möchte Sie wohl an meiner Stelle sehen.«
Der Chevalier lauschte mit der größten Aufmerksamkeit,
»An Ihrer Stelle, lieber Gratien,« antwortete Louville, »würde ich Fräulein Therese samt allen Herren Unterlieutenants diesen Abend zum Souper einladen, um in Gegenwart Aller zu ermitteln, wie viel Champagner eine an klares Wasser gewöhnte Grisette trinken kann, ohne unter den Tisch zu fallen.«
Der Chevalier bekam eine Gänsehaut, ohne zu wissen warum.
»Ach, lieber Louville, Sie kennen Therese nicht!« sagte Gratien mit einem Seufzer.
»Aber ich kenne Andere,« erwiderte Louville, indem er sich den Schnurrbart strich; »eine Grisette ist der andern gleich.«
»Sie vergessen den Hund,« entgegnete Gratien.
»Der Hund!« sagte Louville höhnisch lachend. »Für wen macht man denn vergiftete Klöße und gebackene Schwämme?«
Der Chevalier fuhr vom Stuhl auf, als er diese Worte hörte.
»Wahrhaftig,« sagte Louville so laut, dass ihn der Chevalier verstehen konnte, »dieser Spießbürger scheint von der Tarantel gestochen zu sein.«
Dabei warf er einen Seitenblick auf den Chevalier, in der Erwartung, Gelegenheit zum Streit zu finden.
Aber der Chevalier that ihm den Gefallen nicht; er war zu neugierig, die Fortsetzung dieses Gesprächs zu hören.
»Nein,« sagte Gratien, »solche Mittel sind mir zuwider; ich bin ein Jagdfreund und will lieber das Mädchen verlieren, als diesem prächtigen Hunde etwas zu Leide tun.«
»Das ist brav von ihm,« sagte Dieudonné für sich, ohne sich umzusehen.
»Gut, lieber Gratien,« sagte Louville, »stelle deine Bewerbungen bei der schönen Therese ein; ich will dann sehen ob ich glücklicher bin als Sie.«
»Aha, ich soll Ihnen meinen Platz abtreten,« sagte Gratien, dessen Gesicht sich verfinsterte.
»Es ist immer besser, ihn einem Freunde, als einem Fremden abzutreten.«
»Der Meinung bin ich nicht,« erwiderte Gratien, »ich möchte auch Ihre Eigenliebe schonen und Ihnen die Beschämung eines Korbes ersparen.«
»Glauben Sie denn, Therese sei die erste spröde Zierpuppe, die mir in den Weg gekommen?«
»Ich weiß wohl, Louville, dass Sie ein großer Sieger sind,« sagte Gratien mit einem Lächeln, das nicht ganz frei von Ironie war; »aber ich glaube kaum, dass Sie ihr gefallen werden.«
»Das wollen wir doch sehen!« erwiderte Louville, dessen Gesicht kirschrot wurde. »Da Sie es darauf ankommen lassen, so schwöre ich Ihnen, das Mädchen wird mein sein. Und um Ihnen zu beweisen, welches Vertrauen ich in Ihre Ungeschicktheit setze, lasse ich Ihnen noch acht Tage ganz freie Hand, erst in acht Tagen werde ich anfangen zu attackieren.«
»Auch wenn ich Sie bitte es zu unterlassen?
»Allerdings; Sie nahmen so eben einen gewissen Ton an, der mir in den Magen gefallen ist.«
»Und was soll aus dem Hunde werden, fragte Gratien mit gezwungenem Lächeln.
»Der Hund soll schon diesen Abend aus dem Wege geräumt werden,« antwortete Louville; »Sie sollen in diesen acht Tagen ganz freie Hand haben.«’
Der Chevalier, der ein Glas Zuckerwasser schlürfte, glaubte zu ersticken, als er die Worte Louvilles hörte.
»Schon diesen Abend?« wiederholte Gratien, der nicht wusste, ob er den Antrag seines Kameraden annehmen oder ablehnen sollte.
»Haben Sie nicht diesen Abend, um neun Uhr bei der Porte Morano ein Stelldichein mit Theresen?« sagte Louville. »Gehen Sie hin, und ich verspreche Ihnen, dass Sie ganz ungestört mit Ihrem Täubchen girren können, ohne dass Sie fürchten dürfen, von Monsieur Black wie ein Spießbürger von St, Malo behandelt zu werden.«
Der Chevalier de la Graverie hörte nicht länger zu. Er stand auf, sah nach seiner Uhr und entfernte sich mit sehr bemerkbarer Bestürzung aus dem Kaffeehaus.
Er war so zerstreut, dass ihm ein Kellner nachlief und ihn höflich an die Bezahlung erinnerte.
»Sie haben Recht, lieber Freund,« sagte der Chevalier sich an die Stirn schlagend. »Hier sind fünf Francs; bezahlen Sie meine Zeche und behalten Sie den Rest für sich. «
Dann lief er so schnell fort wie es mit so kurzen Beinchen möglich war.
Er konnte nicht zweifeln, dass der Liebling seines Herzens in großer Gefahr schwebe, und dieser Gefahr beschloss er vorzubeugen.
V
Wo der Chevalier de la Graverie große Herzensangst fühlt
Die Äußerungen des jungen Offiziers über die wunderbare Klugheit des schwarzen Jagdhundes hatten die Aufmerksamkeit Dieudonné’s in hohem Grade erregt. Im Laufe des Gespräches zwischen den beiden Unterlieutenants stiegen die Seelenwanderdungsgedanken wieder in ihm auf. Er konnte natürlich nicht zweifeln, dass der Jagdhund, in dessen Besitz er zu kommen wünschte, kein anderer als Black und dass Therese die Herrin desselben sei.
Er entschloss sich daher ohne Zögern, das arme Tier gegen die bösen Anschläge des Unterlieutenants Louville zu beschützen. Es war in der Tat keine Zeit zu verlieren, denn der Racheplan gegen Black sollte schon denselben Abend zur Ausführung kommen.
Dieudonné nahm daher den zur Porte Morand führenden Weg, um Therese vor der Gefahr zu warnen, die zugleich ihre Tugend und ihren Keuschheitswächter bedrohte. Da ihm überdies an dem Leben Blacks noch mehr lag, als an der Tugend des Mädchens, so nahm er sich vor, ihr für den Hund ein hübsches Sümmchen zu bieten.
»Aber wenn sie sich nicht von ihm trennen will?« sagte er seufzend, während er weiter trabte. »Nun, dann verdopple ich den Preis und biete ihr dreihundert, vier- fünfhundert Francs. Sac a papier. Mich dünkt, dass eine Grisette um fünfhundert Francs noch weit mehr gibt als ihren Hund. – Und wenn sie den Hund nicht hergeben will, so muss ich auf ein anderes Mittel sinnen. Morbleu, ich will nicht zugeben, dass der arme Black, in dessen Haut vielleicht mein braver Dumesnil gefahren ist, vergiftet werde.«
Der arme Chevalier musste wohl sehr aufgebracht sein, um zweimal in einem Atem zu fluchen; denn er musste schon zum Äußersten getrieben werden, ehe er sich so weit vergaß.
Aber als er an die Porte Morand kam, fand er die Promenade verödet. Er sah sich nach allen Seiten um, ohne einen verspäteten Spaziergänger zu bemerken. Es hatte so eben neun geschlagen und zu dieser Stunde geht ganz Chartres zu Bette.
Er begann zu fürchten, dass er nicht recht verstanden. Während er die Minuten zählte, fühlte er alle Herzensqualen eines Liebenden, der den Gegenstand seiner Wahl vergebens erwartet.
Der Chevalier hörte Fußtritte im Dunkeln. Er bemerkte die Umrisse einer weiblichen Gestalt unter der Torwölbung.
Er wollte auf sie zueilen, aber es gesellte sich eine andere Gestalt zu ihr. Es war zu spät. Therese war nicht mehr allein. Vermutlich war Gratien bei ihr.
Der Chevalier wurde ungeduldig. Er musste zu den Kunstgriffen der Fallensteller in den amerikanischen Urwäldern und der Indianer seine Zuflucht nehmen, und dies stimmte weder mit seinen Gewohnheiten noch mit seinem Charakter überein.
Unglücklicher Weise war keine Minute zu verlieren, wenn er nicht bemerkt werden wollte. Er stieg daher die Böschung des Walles hinunter und legte sich platt nieder.
Der kalte feuchte Rasen rief mancherlei abkühlende Betrachtungen in ihm hervor. Es war wirklich der Augenblick seine Leidenschaft zu beklagen. Der Chevalier beklagte sie von ganzem Herzen, aber er blieb ruhig auf dem betauten Grase liegen.
Inzwischen kamen die beiden jungen Leute über die Brücke und gingen zehn Schritte an ihm vorüber.
Es war wirklich das junge Mädchen, welches Dieudonné am Morgen verfolgt; es war wirklich der rothaarige Offizier, dessen vertrauliche Mitteilungen er belauscht hatte.
Black ging gravitätisch hinter ihnen her, als ob er sich der Wichtigkeit seines Hüteramtes bewusst gewesen wäre.
Der junge Offizier sprach ziemlich leise, aber mit sehr lebhaften Gebärden. Therese schien aufmerksam zuzuhören; ihre Haltung war traurig und niedergeschlagen.
Von Zeit zu Zeit wurde der schwarze Jagdhund neben dem lichteren Kleide seiner Herrin sichtbar und er suchte ihre Hand, um eine Liebkosung zu erhaschen.
Plötzlich hörte der Chevalier die Fußtritte eines mit großer Vorsicht über die Brücke gehenden Mannes.
Er sah sich um, aber der Neu ankommende mochte wohl gebückt hinter der Brustwehr gehen, denn es war nichts zu unterscheiden.
In diesem Augenblick kamen die beiden Spaziergänger wieder zurück; das Geräusch, welches die Aufmerksamkeit Dieudonné’s erregt hatte, hörte nun plötzlich auf.
Während die beiden jungen Leute umkehrten, hörte der Chevalier deutlich wie ein weicher Gegenstand auf den Erdboden geworfen wurde, und er glaubte einen Ball von der Größe eines Eies mitten auf die Promenade rollen zu sehen. Dann bemerkte er, wie der Unsichtbare, der aber seine Anwesenheit so deutlich kundgab, sich rasch entfernte.
Therese und Gratien waren damals am Ende der Allee.
Der Chevalier berechnete, dass er Zeit hatte seinen Plan auszuführen. Er richtete sich auf und mit einer Behändigkeit, deren er sich nicht fähig gehalten hätte, sprang er in die Allee und suchte mit den Händen den runden Gegenstand, den er für eine vergiftete Lockspeise hielt.
Diese Arbeit war nichts weniger als angenehm, aber nach einigen fruchtlosen Versuchen fand er ein Stück Fleisch, welches aller Wahrscheinlichkeit nach mit Arsenik bestreut war.
Er warf die Lockspeise weg und hörte mit Befriedigung, dass sie in den Fluss fiel.
Aber die arglistige Idee Louvilles rief einen harmlosen, seinem Charakter angemessenen Gedanken in ihm hervor. So wie der »Däumling« Steine streute, die ihm den Weg nach Hause zeigen sollten, wollte er Zuckerstücke auf die Erde werfen, die Black zu ihm führen sollten.
Das sehr wahrscheinliche Gelingen dieser Kriegslist machte ihm allerdings einige Bedenken: er eignete sich einen Hund zu, der ihm nicht gehörte, und raubte der armen Therese zugleich ihren Hüter, ihren Beschützer. Aber wenn er Black nicht sogleich zu sich nahm, so war Black verloren. Er hatte ja auch nicht die Absicht, Black zu stehlen, sondern zu kaufen. Wenn Therese allein gekommen wäre, so würde er sie gewarnt haben. Dies war nun nicht möglich. Die Entführung Blacks wurde daher durch die Umstände gerechtfertigt. Überdies nahm er sich vor, Black nicht zu behalten, ohne dessen Herrin eine glänzende Entschädigung zu geben.
Während der Chevalier, auf der Böschung liegend, Alles dies erwog, sah er die beiden Spaziergänger wieder näherkommen.
Er hatte sich in seiner Erwartung nicht getäuscht. Black freute sich sehr, als er das erste Stück Zucker fand. Er ließ seine Herrin vorausgehen, und statt ihr zu folgen? suchte er das zweite Stück Zucker. So kam er von einem Stück zum andern, bis zu der Stelle, wo ihn der Chevalier erwartete.
Dieudonné pfiff leise und hielt ihm ein Stück Zucker hin.
Black erkannte sogleich einen Freund, mit dessen Benehmen er alle Ursache hatte zufrieden zu sein: er war zu klug und unparteiisch, um das von Mariannen bereitete Sturzbad mit den Zuckerstücken des Chevaliers zu verwechseln. Er kam ohne Misstrauen und sogar mit einiger Freude näher.
Der Chevalier begann ihn durch Liebkosungen zu kirren; dann wand er ihm arg listigerweise sein Schnupftuch um den Hals, machte einen soliden Knoten und fütterte ihn mit Zucker, bis seine junge Herrin, die im eifrigen Gespräch seine Abwesenheit nicht bemerkte, umgekehrt und an ihm vorübergegangen war. Dann ging Dieudonné, den Hund mit sich fortziehend, an der Böschung zur Brücke.
Auf der Brücke bückte er sich, wie Louville getan hatte, so dass er ungesehen die Stadt erreichte.
Als der Chevalier de la Graverie vor seinem Hause war, steckte er leise den Schlüssel in das Schloss und versuchte die Haustür ohne Geräusch zu öffnen. Aber die rostigen Angeln knarrten und hatten als Echo das furchtbare: »Wer ist da?« Mariannens.
Gleich darauf kam die Haushälterin aus der Küche, in der einen Hand ein brennendes Licht haltend, während sie dasselbe mit der andern Hand gegen den Zugluft zu schützen suchte.
»Wer ist da?« wiederholte Marianne.
»Ich! wer soll’s denn sonst sein?« antwortete der Chevalier, indem er Black zurückschob und sich alle Mühe gab, den neuen Hausgenossen zu verbergen. »Kann ich denn nicht mehr nach Hause kommen, ohne von Ihrer Spioniererei belästigt zu werden?«
»Spioniererei?« wiederholte Marianne. »Sie müssen wissen, Herr Chevalier, dass nur Übeltäter das Auge des Nächsten fürchten.«
In diesem Augenblicke bemerkte sie die Unordnung in den Kleidern ihres Herrn.
»Ach, mein Gott!« sagte sie, erschrocken zurücktretend, als ob sie ein Gespenst gesehen hätte.
»Was ist denn?« sagte der Chevalier, der einen fruchtlosen Versuch machte, an ihr vorüberzugehen.
»Sie sind ja ohne Hut —«
»Steht es mir etwa nicht frei, baarhaupt zu spazieren, wenn mir’s beliebt?«
»Und Ihre Kleider sind ganz mit Kot bedeckt!«
»Ich bin angespritzt worden —«
»Angespritzt? Gerechter Himmel, ist das ein Leben für einen ordentlichen Menschen? In solchem Zustande und so spät nach Hause zu kommen!«
Black, der sich bis dahin ziemlich ruhig verhalten hatte, wurde durch die keifende Stimme Mariannens gereizt, und überdies erkannte er in ihr seine alte Feindin; er begann nun laut zu bellen.
»Gerechter Himmel, ein Hund!« kreischte Marianne. »Und was für ein Hund! Ein kohlrabenschwarzes Vieh mit feurigen Augen! – Halten Sie ihn doch, Herr Chevalier! Sie sehen ja, dass er mich fressen will!«
»Schweigen Sie und lassen Sie mich durch!«
Aber es war nicht die Absicht Mariannens, so nachzugeben.
»Was soll aus uns werden?« eiferte sie mit ziemlich fruchtlosem Bestreben, eine weinerliche Stimme anzunehmen. »Wenn man Sie ansieht, kann man sich schon denken, wie es mit einem solchen Gast im Hause zugehen wird! Ich hoffe wenigstens, dass Sie ihn an die Kette legen werden.«
»An die Kette legen?« erwiderte der Chevalier mit Entrüstung. »Nein, nie.«
»Sie wollen diesen Unhold frei umherlaufen lassen? Sie wollen mich der Gefahr aussetzen, zu jeder Stunde des Tages und der Nacht von ihm gebissen zu werden? Nein, das soll nicht sein!«
Sie nahm ihren Besen und nahm die Haltung eines sich wehrenden Grenadiers der alten Garde an.
»Sie müssen mir erlauben, dieses abscheuliche Tier fortzujagen,« sagte sie, »oder ich verlasse auf der Stelle Ihr Haus!«
Die Geduld des Herrn vom Hause war zu Ende. Er stieß die Haushälterin so unsanft zurück, dass sie das Gleichgewicht verlor und mit einem Zetergeschrei zu Boden fiel.
Das Licht erlosch, aber der Weg war frei.
Der Chevalier schritt über Marianne hinweg und eilte mit jugendlicher Behändigkeit die Treppe hinan, schob den Hund in sein Zimmer und schloss die Tür mit einer Hast, welche seine Freude über den Besitz seines Lieblings deutlich bekundete, Ein Liebender hätte nicht inniger frohlocken können.
Der Chevalier nahm die besten Polster von seinen Sofas und Divans, legte sie neben einander und bereitete daraus ein Lager für Black.
Black machte keine Umstände, er legte sich, trotz seines Schmutzes, behaglich auf die weichen Polster.
Der Chevalier betrachtete ihn zärtlich, bis dass er eingeschlafen war; dann entkleidete er sich und begab sich ebenfalls zur Ruhe.
Dieudonné schlief so süß, wie er seit drei Wochen nicht geschlafen halte.