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Kitabı oku: «Black», sayfa 15

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»Die Ähnlichkeit zwischen den Zwillingen war so groß, dass ich getäuscht worden war; erst am andern Morgen gestand mir Gratien Alles.«

»O der Elende!« sagte der Chevalier de la Graverie entrüstet.

»Er hatte mich nicht aus eigenem Antriebe, sondern auf den Rat seines Freundes Louville getäuscht.«

»Ich kenne ihn,« sagte der Chevalier. »Erzähle weiter, liebes Kind.«

XII
Wo der Chevalier de la Graverie einen Entschluss fasst

Therese fuhr in ihrer Erzählung fort. Das Ende der Geschichte war einfach und traurig; wir wollen es dem Leser mit wenigen Worten erzählen.

Gratien, der aus freien Stücken eines so sträflichen Betruges unfähig, war von Louville dazu überredet worden.

Das Regiment hatte bald darauf Befehl erhalten, die Garnison zu wechseln. Louville hatte seinen Freunde Gratien eingeredet, es sei für ihn eine Ehrensache, Chartres nicht zu verlassen, ohne Theresens Geliebter gewesen zu sein. Die beiden jungen Leute hatten nun gemeinschaftlich die Falle gestellt, in welcher das arme Mädchen gefangen worden war.

Therese war vierundzwanzig Stunden in einem an Wahnsinn grenzenden Gemütszustand gewesen. Als sie wie. der zur Besinnung kam, stand die Alte, welche ihr die Tür geöffnet, vor ihrem Bette. Sie sagte ihr, dass sie in dieser auf ein Jahr gemieteten Wohnung bleiben könne; alle Meubeln gehörten ihr.

Sie hatte ihr außerdem einen Brief von Gratien und eine Summe Geldes zu übergeben.

Therese verstand anfangs nicht, was man zu ihr sagte. Nach und nach aber ward sie einer ruhigen Überlegung fähig und sie erkannte ihre Lage.

Abends vorher war das Regiment abmarschiert und Gratien war fort – sie war verlassen, und für die geraubte Ehre bot man ihr eine Wohnung, Möbeln und Geld.

Sie war außer sich vor Schmerz und Beschämung; sie kleidete sich rasch an, wies der Frau das Geld und den Brief zurück und verließ eilends das Haus.

Aber was sollte sie anfangen? Sie wusste es selbst nicht. In das Magazin zurückkehren konnte sie nicht; womit hätte sie ihre Abwesenheit entschuldigen, wie ihre Rückkehr, ihren Schmerz erklären sollen?

Sie hatte dreißig bis vierzig Francs bei sich; dies war ihr ganzes Vermögen. Sie dachte wohl an den Tod, aber es fehlte ihr jetzt der Mut, den sie bei dem ersten Selbstmord, versuche gehabt hatte.

Sie wankte, einer Ohnmacht nahe, durch die Straßen der Stadt. Viele Vorübergehende fragten sie: »Was fehlt Ihnen, mein Kind?«

»Nichts!« antwortete Therese und setzte ihren Weg fort.

In dieser Antwort lag ein so tiefer Schmerz, dass man sie mit einer gewissen Ehrerbietung weiter gehen ließ. – Der wahre Schmerz hat immer etwas Ehrfurchtgebietendes.

So wankte sie fort, ohne zu wissen wohin.

Sie kam in die Vorstadt. Ihre Tränen brachen unaufhaltsam hervor, und sie suchte einen einsamen Ort, um ungestört weinen zu können.

Sie befand sich vor einer Tür, sie trat in einen schmalen dunklen Gang.

Wie lang? sie dort blieb und weinte, hätte sie nicht sagen können. Sie hatte sich auf die unterste Stufe einer Treppe gesetzt.

Sie wurde durch einen leisen Schlag auf die Schulter aus ihrer Betäubung geweckt. Eine alte Frau, die im Hause wohnte, hatte im Zwielicht eine menschliche Gestalt gesehen

Therese blickte auf, ohne ihre Tränen zu trocknen. Dieser ungeheuchelte Schmerz rührte die alte Frau. Sie fragte teilnehmend, was sie wünsche und ob sie ihr einen Dienst erweisen könne.

Therese antwortete mit einer halben Lüge; sie sagte, sie sei eine Weißnäherin und suche, von ihrer Prinzipalin entlassen, eine Wohnung.

Diese Erzählung war keineswegs unwahrscheinlich; nur ein so großer Schmerz um ein so kleines Missgeschick hätte auffallend scheinen können.

»Können Sie denn gut arbeiten?« fragte die alte Frau.

Therese zeigte ihr, ohne zu antworten, ein von ihr selbst gesticktes Halstuch. – Es war ein Meisterstück.

»Gut,« sagte die Alte, »wenn man so arbeiten kann, muss man nicht verzagen.«

Therese antwortete nicht.

»Sie suchen also eine Wohnung?« fragte die Alte weiter.

Therese nickte.

»Es ist gerade eine ganz eingerichtete und billige Wohnung im Hause zu haben; es ist freilich nichts Schönes, aber für achtzehn Francs monatlich kann man keinen Palast verlangen; man muss nur den ersten halben Monat mit neun Francs vorausbezahlen.«

Therese nahm zwei Fünffrancsstücks aus der Tasche.

»Bezahlen Sie,« sagte sie.

»Aber Sie wissen ja nicht, ob Ihnen die Wohnung gefallen wird —«

»Sie wird mir gefallen,« antwortete Therese.

»Dann kommen Sie mit mir,«

Die Alte ging zuerst hinauf. Therese folgte ihr. Die Alte ging in den zweiten Stock zu der Hauseigentümerin.

Der Handel wurde schnell abgeschlossen, denn die einzige Frage, welche an die Mieter gerichtet wurde, war: »Können Sie vorausbezahlen?« Wer die Frage bejahen konnte, war willkommen.

Zehn Minuten nachher wohnte Therese in der Dachstube, wo sie der Chevalier de la Graverie fand.

Noch denselben Tag ließ sie durch die alte Frau die notwendigen Erfordernisse zum Sticken kaufen. Ihr noch übriges Geld reichte für die Bedürfnisse einer Woche hin.

Den dritten Tag verkaufte die gute Alte einen von Therese gestickten Kragen samt Manschetten und brachte ihr zehn Francs, Therese gab ihr zwei für ihre Mühe.

Sie hatte berechnet, dass sie mit fünfundzwanzig Sous täglich leben, dagegen drei Francs verdienen konnte; sie hatte daher nicht Ursache, für ihren Lebensunterhalt besorgt zu sein.

Im ersten Monate ersparte sie fünfzig Francs. Aber die Alte führte seit einigen Tagen gar sonderbare Reden; sie meinte, ein hübsches Mädchen könne leicht reich werden, es sei eine Torheit sich mit Sticken die Augen zu verderben und kümmerlich in einem Dachstübchen zu leben; dann klagte sie, dass sie für die Stickereien keinen Absatz mehr finde, die Arbeit werde nur mit der Hälfte des früheren Preises bezahlt.

Therese hörte alle diese Reden ziemlich gleichgültig an; sie konnte ja selbst mit der Hälfte des Arbeitslohnes ihr Leben fristen.

Eines Abends endlich erklärte sich die Alte deutlicher, sie sprach von einem jungen Manne, der Therese gesehen und ihr seine Anträge mache.

Therese schaute von ihrer Arbeit auf und erwiderte mit Abscheu und Entrüstung:

»Ich verstehe Sie. Gehen Sie und lassen Sie sich nicht wieder vor mir blicken.«

Die Alte wollte sich entschuldigen; aber Therese, die in ihrem Dachstübchen eben so stolz war wie eine Prinzessin in ihrem Palast, wies ihr noch einmal die Tür und zwar mit so gebieterischem Tone, dass sich die Alte beschämt entfernte.

Therese musste nun ihre Arbeiten selbst in den Weißwarenhandlungen ausbieten. Sie wurde als die erste Arbeiterin aus dem Magazin der Demoiselle Francotte erkannt; und man machte ihr recht vorteilhafte Anträge, aber Therese mochte sich nicht in einem Magazin zur Schau ausstellen.

Überdies kannte sie sich über ihren Zustand nicht länger täuschen, sie sehnte sich vor allem nach Einsamkeit.

So lebte sie bis zu der Zeit, wo die Cholera in Chatres ausbrach. Die arme Therese wurde Krankenwärterin in der schwer heimgesuchten Vorstadt.

Eines Morgens, als sie aufstand, um eine kranke Nachbarin zu pflegen. schwanden ihr selbst plötzlich die Kräfte. Der schwarze Engel hatte sie mit seinem Flügel berührt.

Wir haben gesehen, in welchem Zustande sie der Chevalier fand.

Dies war die Geschichte Theresens. Seit fünf Monaten hatte sie Gratien nicht gesehen und nichts von ihm gehört.

Von dem Ringe, den sie am Finger trug, wusste sie nur dass man ihr dringend empfohlen hatte, ihn sorgfältig zu bewahren, als ein Zeichen, an welchem sie vielleicht ihre Familie wieder erkennen könne.

Dritter Band

I
Wo der Chevalier de la Graverie einen Entschluß faßt.
(Fortsetzung.)

Der Chevalier de la Graverie hatte der Erzählung Theresens mit gespannter Aufmerksamkeit zugehört. Als sie von dem Verluste Blacks sprach, errötete der Chevalier und er fühlte tiefe Reue, als er bedachte, welche traurige Folgen dieser Verlust für Theresen gehabt hatte. Er küsste ihre Hände und sank vor ihr auf die Knie.

»Therese,« sagte er, »Gott ist gütig. Er legt uns wohl zuweilen Prüfungen auf, aber glaube mir, liebes Kind, seine Barmherzigkeit hat mich nicht ohne Absicht an Dich gewiesen, und von heute an, ich schwöre es Dir, soll dein Glück das Ziel meiner Bestrebungen sein.«

»Ach, mein Glück!« erwiderte Therese, welche sich diese Gefühlsaufwallung nicht zu erklären wusste. »Sie vergessen, dass es für mich kein: Glück mehr gibt. Mein Glück wäre die Vereinigung mit Henri gewesen und ich bin auf immer von ihm getrennt.«

»Es wird sich finden,« sagte der Chevalier in der freudigen Überzeugung, dass das Glück, welches ihn die Tochter Mathildens so unerwartet wiederfinden ließ, nicht auf halbem Wege, stehen bleiben könne. »Henri ist ja nicht der Einzige in der Welt, sein Bruder Gratien ist ja auch noch da.«

»Bei ihm würde ich das Glück nicht finden,« sagte Therese, »er könnte nur begangenes Unrecht wieder gut machen.«

»Es wäre aber doch schon etwas,« meinte der Chevalier.

Therese schüttelte den Kopf,

»Wie können Sie glauben,« sagte sie, »dass ein reicher junger Edelmann eine arme Waise heiraten werde? Er hat mich als ein Spielzeug betrachtet. Der Tochter eines Grafen oder Marquis würde er diese Schmach gewiss nicht angetan haben.«

Der Chevalier fühlte einen Stich durchs Herz; seine Augen sprühten Feuer, es war das erste Mal, dass er Rachegedanken hatte. Gegen Pontfarcy war er nie so aufgebracht gewesen wie gegen Gratien. Er erinnerte sich mit einer gewissen Freude, wie gut er auf seiner Reise in Mexiko schießen gelernt hatte. Dann machte er unwillkürlich die famose Finte, die er von dem Kapitän Dumesnil gelernt und die der Letztere einem neapolitanischen Fechtmeister abgelauscht hatte.

Warum er an Alles dies dachte? Darüber war er mit sich selbst noch nicht im Klaren; aber er dachte daran.

Therese blieb nachdenkend und traurig; sie sah weder das zornige Gesicht ihres Gönners noch seine Handbewegung, mit der er die Finte ausführte. Das lange Gespräch hatte ihre Kräfte erschöpft und ihre letzten Worte wurden von dem trockenen Husten unterbrochen, der den Chevalier de la Graverie schon so sehr beunruhigt hatte.

Der Chevalier verschob daher die weiteren Fragen auf eine andere Zeit.

Er hatte bemerkt, dass Therese den Familiennamen Henris und Gratiens nicht ein einziges Mal ausgesprochen und sie immer nur bei ihren Taufnamen genannt hatte. Aber um Gratien aufzufinden und, zur Rede zu stellen, brauchte der Chevalier seinen Familiennamen nicht zu wissen. Er kannte das Regiment, in welchem der junge Offizier diente, er konnte im Kriegsministerium leicht erfahren, wo dieses Regiment in Garnison war und das Gesicht Gratiens hatte sich seinem Gedächtnis; so tief eingeprägt, dass er ihn gewiß auf den ersten Blick wieder erkennen würde.

Vor Allem aber wollte der Chevalier ermitteln, ob die Hoffnungen, die er auf das Geheimnis der Geburt Theresens gegründet, zu verwirklichen wären. Er fand in der Zuneigung zu der armen Waise so reine Freuden und einen so mächtigen Zauber, dass er die sorgfältigsten Nachforschungen anzustellen beschloss. Er musste indes Theresens völlige Wiederherstellung abwarten, um sie ohne Besorgnis, fremden Händen anvertrauen zu können.

II
Wo der Chevalier de la Graverie durch das Ärgernis, welches er in der tugendhaften Stadt Chartres hervorgerufen, beunruhigt wird

In einer Stadt wie Chartres konnte ein so wichtiges Ereignis, wie die Aufnahme eines jungen Mädchens in das Haus eines durch Stand und Vermögen angesehenen Hagestolzen, nicht unbemerkt bleiben. Die Bemerkungen jedes Einzelnen gaben diesem Ereignis bald ganz kolossale Verhältnisse, und nach acht Togen war dasselbe völlig entstellt.

Der Chevalier de la Graverie. der durch seine Sonderbarkeiten schon längst verdächtig gewesen war, wurde daher im Munde der Gevattern und Klatschschwestern ein abscheulicher Wüstling, der kein Bedenken trug, ein von ihm entführtes Mädchen zum öffentlichen Ärgernis in sein Haus auszunehmen; kurz, er ward in der öffentlichen Meinung ein Mann, den kein ehrsamer Chartrenser auf der Straße grüßen, geschweige mit ihm umgehen dürfte.

Als Therese auf dem Wege der Genesung war, sann sie mit zärtlicher Sorge auf Alles, was dem Manne, den sie als ihren Wohltäter betrachtete und wie einen Vater liebte, gefallen konnte. Sie bat ihn dringend, wieder seinen täglichen Spaziergang zu machen, den sie im Interesse seiner Gesundheit für notwendig hielt. Der Chevalier tat Alles was sie wünschte, und wie ein seit sehr langer Zeit zum ersten Male wieder aufgezogenes Uhrwerk setzte er sich in Bewegung, um zwischen Frühstück und Diner zwei Stunden spazieren zu gehen.

Diese Spaziergänge wurden in Gesellschaft Blacks gemacht, der mit seinem Herrn ganz übereinstimmte und der glücklichste Hund von der Welt zu sein schien.

Der Chevalier war, wie gesagt, vor Allem darauf bedacht, das Geheimnis von Theresens Geburt zu erforschen. Einen Entschluss zu fassen, war keineswegs leicht für einen Mann, der bisher träg und sorglos in den Tag hinein gelebt hatte. Als er den Entschluss wirklich gefasst hatte, handelte es sich um die Art und Weise ihn in Ausführung zu bringen.

Diese Gedanken beschäftigten ihn auf seinen Spaziergängen. Was hatte er zu tun, um das vorgesteckte Ziel zu erreichen?

Er war immer so zerstreut, so mit der Ausführung seines Planes beschäftigt, dass er die Liebkosungen und Freudensprünge Blacks kaum beachtete. Eben so wenig bemerkte er anfangs, dass sich seine Bekannten, die oft bei ihm zu Gaste gewesen waren, das Ansehen gaben, als ob sie ihn nicht sähen, um ihn nicht zu grüßen.

Eines Tages jedoch, als er minder zerstreut war als gewöhnlich, bemerkte er zu seinem Befremden, dass eine alte Dame seinen höflichen Gruß nur mit herablassendem Kopfnicken und höhnischem Gesicht erwiderte. Wie alle Menschen, die sich in einem beschränkten Kreise bewegen, war er um das Urteil der Welt sehr besorgt, und der Gedanke, dass er die öffentliche Achtung verscherzt habe, erfüllte ihn mit Schrecken.

Er hatte nicht genug Kraft und Selbstbeherrschung, um seine Verstimmung zu verbergen und Therese, die ihn geschickt auszufragen wusste, löste bald das Rätsel.

Der Chevalier erzählte ihr ganz einfach und ohne alle Bemerkungen die Untröstlichkeit der alten Dame.

»Sie sehen, lieber Herr Chevalier,« sagte Therese, »mein trauriges Geschick bringt Alle, die sich meiner annehmen, in Verlegenheit, aber ich werde nicht zugeben, dass Sir noch länger ein Opfer Ihrer Güte bleiben.«

»Wie so?« fragte der Chevalier betroffen.

»Ja,« antwortete Therese, »ich bin genesen und kann wieder arbeiten; ich will mich entfernen – Sie werden mir erlauben, Ihnen von Zeit zu Zeit zu danken für Alles was Sie an mir getan, und Ihnen zu beweisen, dass ich Sie als den Retter meines Lebens stets hochachten und verehren werde.«

Der Chevalier erblasste.

»Du willst fort, Therese?« sagte er.

»Du willst mich allein lassen? Nein, das kannst, das darfst Du nicht! Mein Gott! was soll aus mir werden, wenn ich allein bin?«

»Haben Sie denn nicht allein gelebt ehe Sie mich kennen lernten?«

fragte Therese.

»Ja, ehe ich Dich kennen lernte,« erwiderte der Chevalier; »aber jetzt ist mir deine Anwesenheit zur süßen Gewohnheit geworden. – O! ich habe auch geliebt, zuerst deine —«

Er stockte. Therese sah ihn erstaunt an.

»Sie war ein reizendes Wesen, ich war so glücklich,« fuhr der Chevalier fort; »ich glaubte es nicht zu überleben, als sie —«

»Als sie starb?« fragte Therese.

»Ja,« antwortete der Chevalier, »als sie starb, – denn Treulosigkeit, Verrat, Vergessenheit ist der Tod!«

»O ja. Ich weiß es wohl,« sagte Therese, in Tränen ausbrechend.

»Bin ich denn von Sinnen?« sagte der Chevalier, sich an die Stirn schlagend.

»Mein Gott! sie weint – das ist die Folge meiner Unachtsamkeit!«

»Nein, nein!« erwiderte Therese, »Sie sind der beste Mann von der Welt; wenn man Ihnen Schmerz gemacht hat, so hat Niemand das Recht, von Leiden verschont zu bleiben.«

»Ja,« sagte der Chevalier mit Wehmut, »man hat mir viel Schmerz bereitet, liebes Kind, zum Glück hatte ich einen Freund, der mir sehr teuer war. Ich denke noch immer mit inniger Liebe an ihn – nicht wahr, Black?«

Black, der den Chevalier eben ansah, als ob er geahnt hätte, dass von ihm die Rede sein werde, kam freundlich näher und schmiegte sich an seinen Herrn.

Therese suchte zu erraten, was Black mit dem eben erwähnten Freunde zu tun habe und wie der Hund zum Zeugen dieser Freundschaft aufgerufen werden könne. Aber das war ein Rätsel, das sie nicht zu lösen vermochte und dessen Erklärung selbst dem Chevalier sehr schwer geworden wäre.

Der Chevalier hielt den Kopf Blacks mit beiden Händen und sah seinen Liebling an.

»Nein, armer Dumesnil,«

sagte er, den Hund liebkosend, »sei unbesorgt, ich werde dich nie verlassen, wenn mir auch die ganze Stadt Chartres den Rücken kehrt und alle alten Damen der Welt finstere Gesichter schneiden.«

Therese sah den Chevalier mit einer gewissen Besorgnis an.

Hatte dieser treffliche, herzensgute Mann Anwandlungen von Wahnsinn? Auf jeden Fall musste es ein stiller, harmloser Wahnsinn sein, und Therese fasste den Vorsatz, sich nie zu fürchten.

Sie nahm nach einer langen Pause das Wort:

»Es muss aber sein, Herr Chevalier.«

»Was muss sein?« fragte er, aus seinen Gedanken erwachend.

»Ich muss gehen.«

»Ja richtig, Du sprachst davon, liebes Kind, und ich antwortete Dir: Therese, glaubst Du denn, es sei mir möglich, fortan in der Einsamkeit zu leben? Bedenke doch, dass ich ganz verlassen sein würde, wenn Du fort wärst.«

»Das bedenke ich wohl, Herr Chevalier, und in meiner Selbstsucht denke ich zumal, welchen Schmerz mir die Trennung von Ihnen machen würde. Aber diese Trennung ist notwendig wenn ich nicht mehr hier bin, so finden Sie die Freunde wieder, die sich jetzt vor Ihnen zurückziehen und Ihnen ausweichen: wenn ich Ihnen keine Unruhe mehr mache, so werden Sie Ihr früheres ruhiges Leben wieder beginnen.«

»Du sprichst von Unruhe, undankbares Kind! Du musst wissen, dass ich mit Ausnahme der Zeit, wo —« der Chevalier seufzte – « dass ich das Glück erst nach deinem Eintritt in dieses Haus kennen gelernt habe.«

»Ein trauriges Glück,« erwiderte Therese, durch ihre Tränen lächelnd: »Sie haben ja unaufhörlich mit Unruhe und Angst zu kämpfen! Denn mitten in meiner Krankheit, selbst in meinen Fieberphantasten sah ich, wie besorgt Sie um mich waren: Sie widmeten mir so zärtliche Pflege, als ob Sie wirklich mein Vater wären.«

»Dein Vater!« erwiderte der Chevalier; »als ob ich wirklich dein Vater wäre! Wer hat Dir denn gesagt, dass ich es nicht bin?«

»O! ich weiß wohl,« sagte Therese seufzend, »dass nur Ihre Güte Sie zu dieser großmütigen Unwahrheit treibt. Aber wenn es auch Ihr Ernst wäre, so könnte ich mich doch nicht Übereden lassen; wären Sie wirklich mein Vater oder auch nur mein Verwandter, würden Sie mich dann in meiner Kindheit ohne Hilfe, ohne Stütze dem Elende preisgegeben haben? Nein, gewiss nicht! Ich bin für Sie nur eine Fremde. die Sie aus Mitleid in Ihr Haus aufgenommen haben, die Sie adoptieren wollen. Aber Ihre Tochter bin ich leider nicht!«

Der Chevalier schlug die Augen nieder: diese letzten Worte Theresens trafen ihn wie ein Vorwurf, Er verwünschte von ganzem Herzen die Sorglosigkeit, mit welcher er seinem Bruder die Sorge für die Zukunft der Frau von La Graverie überlassen hatte; er verachtete seinen Kleinmut und seine übertriebene Ängstlichkeit, mit der er auf die eigene Selbsterhaltung bedacht war; er konnte nicht begreifen, wie er so viele Jahre leben konnte, ohne sich um Mathilde, die doch seine Frau gewesen war, und um das Kind, das im Grunde doch ein Recht hatte, seinen Namen zu führen, im mindesten zu kümmern.

Diese Unterredung und zumal das darauffolgende Nachdenken hatte seiner trägen Unschlüssigkeit ein Ende gemacht; er fürchtete, Therese werde aus Zartgefühl den Entschluss ausführen, von welchem sie gesprochen, und er betrachtete die Trennung von ihr mit eben so viel Schrecken, wie er an einen nahe bevorstehenden Tod gedacht haben würde. Er entschloss sich daher zu einer Reise nach Paris, um seinen Bruder zu sehen und über das Schicksal Mathildens zu befragen.

Dieser Entschluss kostete freilich große Überwindung. Sein Haus, seine süßen Gewohnheiten, seinen damals frischgrünen duftenden Garten zu verlassen, wäre dem Chevalier noch vor einigen Monaten unmöglich gewesen – es musste seitdem eine große Veränderung in ihm vorgegangen sein, da er Alles, was seinem Herzen teuer war, zurücklassen sollte und sich dennoch zu der Reise entschloss. Er selbst fand diesen Entschluss sehr heroisch, und nur die Hoffnung, sich ein dauerndes Glück zu sichern, vermochte ihn zu der Reise zu bewegen.

Der Entschluss war also gefasst, das Schwierigste war die Ausführung. Der Chevalier verschob die Abreise von einem Tage zum andern. Er hatte einen ganz neuen Reisekoffer mit Wäsche und Kleidern gepackt, so dass er wieder eine Reise nach Papeite hätte machen können; aber der Koffer blieb in einer Ecke seines Zimmers. Der Chevalier brauchte nur den Deckel zu schließen und den Schlüssel in die Tasche zu stecken, aber der Koffer blieb offen. Kurz, der Chevalier reiste nicht ab, obschon er jeden Abend von Therese und Black Abschied nahm.