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Kitabı oku: «Black», sayfa 17

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Der Chevalier drückte die Hände auf das Gesicht, er vermochte seinen Schmerz nicht zu verbergen.

»Ihr Schmerz tut mir weh,« setzte Gratien hinzu; »aber mein Entschluss ist unwiderruflich. Ich halte es daher für gut, Ihnen Platz zu machen. Wir sind auf der Station, ich will den Courier ersuchen, mich mitzunehmen.«

Der Postwagen hielt an und der junge Offizier stieg aus, ohne dass ihn der Chevalier durch ein Wort, eine Gebärde zurückzuhalten suchte.

»Jetzt,« sagte Louville, »dürfte es Zeit sein, uns gegenseitig gute Nacht zu wünschen; ich will die Zeit, die Sie mir geraubt, wieder einzubringen suchen.«

»Ich will indes die Gefälligkeit, von der Sie mir so viele Beweise gegeben, noch einmal missbrauchen,« erwiderte der Chevalier mit Ironie: »Ich ersuche Sie um die Adresse Ihres Freundes.«

»Warum?« fragte Louville.

»Ich möchte noch einmal versuchen, sein Herz zu rühren.«

»Es wird Ihnen nichts nützen; Sie haben ja gehört, dass sein Entschluss unwiderruflich ist.«

»Ich werde nicht nachlassen; ein Vater wird nie müde, für sein Kind zu bitten – und Therese ist beinahe mein Kind.«

»Ich sage Ihnen ja, es wird Ihnen nichts helfen!«

»Nun, dann bitte ich um Ihre Adresse.«

»Um meine Adresse! Sie wollen mich doch nicht ins Ehejoch bringen?«

»Ich bitte um Ihre Karte!« wiederholte der Chevalier.

»Mille cigarres!« Sie nehmen ja eine fast herausfordernde Miene an! Sie sind doch nicht der selige St. Georges?«

»Nein, ich bin ein friedliebender Mann, der ein Feind aller Raufereien ist und sich nur höchst ungern entschließt, das Blut eines Mitmenschen zu vergießen.«

»Nun, dann schlafen Sie ruhig, mein lieber Herr, und plagen Sie mich nicht länger um ein Stück Karton, das Ihnen in Ihrer friedlichen Stimmung ganz unnütz sein würde.«

Louville legte seinen Kopf in die Ecke des Wagens und bald darauf fing er an zu schnarchen.

Der Chevalier La Graverie schlief nicht; er sann den noch übrigen Teil der Nacht darüber nach, was er zu seinem Bruder sagen sollte, und wie er die Spuren von Theresens Geburt auffinden könnte. Er war so sehr in Gedanken vertieft, dass es ihm ungeachtet seines Widerwillens gegen das Rückwärtsfahren gar nicht einfiel, den von Gratien verlassenen Platz einzunehmen.

Am andern Morgen um fünf Uhr hielt der Wagen auf dem Posthofe zu Paris.

Der Chevalier fand sich wieder mit seinen beiden Reisegefährten zusammen. Er hätte gern noch einen Versuch gemacht, das Gespräch wieder auf Therese zu lenken, aber Louville ließ ihm nicht Zeit dazu; er nahm Gratiens Arm, und Beide entfernten sich in Begleitung eines Trägers, der das Gepäck fortschaffte.

Der Chevalier ließ einen Fiaker kommen. Der Kommissionär, der einen Reisekoffer zu den Füßen des Chevaliers sah, brachte den Koffer auf den Bock und erhielt von dem in Gedanken vertieften Chevalier einen Frank für seine Bemühung.

Der Chevalier ließ Black zuerst in den Fiaker steigen und nahm dann schlotternd neben ihm Platz, denn er war ohne Mantel abgereist, und in der Früh war’s sehr kühl.

Wohin fahren Sie?« fragte der Kutscher.

»In die Rue de Varennes. Nr. **,« antwortete der Chevalier.

V
Wie der Baron de La Graverie die Gebote des Evangeliums auslegte und ausübte

Obgleich es erst halb sechs Uhr war, so kam es dem Chevalier de la Graverie doch nicht in den Sinn, den seinem Bruder zugedachten Besuch aufzuschieben.

Wie alle Leute, die schwer einen Entschluss fassen, mochte der Chevalier, sobald er sich aus seiner behaglichen Ruhe aufgerüttelt, weder zögern noch warten.

Überdies hielt er die Fragen, die er dem Baron vorlegen wollte, für so wichtig, dass er nicht zweifelte, alle Türen des Hotels de la Graverie würden sich vor ihm auftun.

Der Baron hatte eine andere Wohnung bezogen; er bewohnte ein großes Haus in der Straße St. Guillaume, eines jener geräumigen Gebäude, deren weite Räume gemeiniglich auffallend abstechen gegen den kleinlichen Luxus und die sparsame Lebensweise der heutigen Bewohner.

Der Fiaker hielt vor einem großen Hausthor, dessen schweren Klopfer der Kutscher zu wiederholten Malen ertönen ließ.

Es blieb Alles still im Hause.

Der Kutscher pochte noch stärker; endlich ließ sich an einem kleinen Fenster neben dem Haustore eine belfernde Stimme vernehmen, die aber erst lange parlamentirte, ehe sie sich entschloss, die Schnur zu ziehen.

Der Chevalier stieg aus, bezahlte seinen Kutscher, rief Black, der sogleich zu Rekognoszieren begann, und wandte sich an eine baumwollene Zipfelmütze, denn von dem Kopfe, den dieselbe bedeckte, war hinter einer aus dem Guckfenster gehaltenen Kerze nichts zu sehen.

»Ist der Herr Baron de la Graverie sichtbar?« fragte der Chevalier.

»Was beliebt?« fragte der Pförtner.

Der Chevalier wiederholte seine Frage.

»Sie sind nicht bei Trost, mein lieber Herr,« rief der Haubenkopf aus dem Guckfenster; »sagen Sie mir gefälligst wie viel Uhr es ist.«

Der Chevalier zog seine Uhr hervor und bot seine ganze Sehkraft auf, um in dem Dämmerlicht den Zeiger zu erkennen.

»Sechs Uhr, mein Freund – oder meine liebe Frau,« sagte der Chevalier, »denn die Kerze brennt so trübe, das, ich wahrhaftig nicht weiß, welchem Geschlechte Sie angehören, und ob ich das Vergnügen habe, mit dem Hausmeister oder der Hausmeisterin meines Bruders zu sprechen.«

»Was, Sie sind der Bruder des Herrn Baron?« sagte der Haubenkopf erstaunt, und die Bewegung der Kerze bewies, dass die magere Hand, welche den schmutzigen Leuchter hielt, dieses Erstaunen teilte. »Kommen Sie doch herein, gnädiger Herr; es ist kalt draußen, ich fühle an meiner Nase, dass ich den Schnupfen bekomme.«

»Wäre es nicht einfacher, wenn Sie mich zu meinem Bruder führten?«

»Zu Ihrem Bruder?« erwiderte der Kopf; »das geht nicht, mein lieber gnädiger Herr. Der Kutscher steht erst um sieben Uhr auf; bei dem Kammerdiener wird es erst um acht Uhr Tag, und es wird elf Uhr, bis der Herr Baron rasiert, frisiert, gepudert und angekleidet ist. Sie müssen sich gedulden. Kommen Sie doch herein!«

Bei diesen Worten zog sich der Kopf zurück und das Guckfenster wurde geschlossen.

Aber gleich darauf tat sich die Tür auf und öffnete dem Chevalier das warme qualmende Stübchen.

»Ich habe große Eile,« sagte der Chevalier, der sich nicht entschließen konnte, die Schwelle der Stube zu überschreiten, »ich habe etwas sehr Wichtiges mit meinem Bruder zu reden.«

»Ich würde meinen Platz verlieren, wenn ich Ihren Wunsch erfüllen wollte. O nein, der Herr Baron hält zu sehr auf Etikette, man muss seinen Befehlen pünktlich gehorchen.«

»Ich nehme die Verantwortung auf mich, liebe Frau, denn ich sehe jetzt, dass Sie dem weiblichen Geschlechte angehören. Hier ist ein Louisd’or für Ihre Bemühung.«

Die Hausmeisterin streckte die Hand aus, um das Goldstück in Empfang zu nehmen; aber das Gespräch wurde durch ein lautes Gepolter im Hofe unterbrochen In dieses Gepolter mischten sich lautes Gebell und Angstgeschrei von aufgescheuchtem Geflügel. Die Hausmeisterin eilte in den Hof und rief:

»O mein Gott, was ist denn den Cochinchina-Hühnern des Herrn Baron geschehen?«

Der Chevalier, der Black nicht bei sich sah, ahnte sogleich was geschehen war. Kaum hatte die Hausmeisterin den Hof betreten, so brachte Black seinem Herrn einen gewaltigen großen Hahn, dessen herabhängender, baumelnder Kopf hinlänglich bewies, dass er bereits des Todes verblichen war.

Es war wirklich ein prächtiger Hahn von der damals noch sehr seltenen Cochinchina-Race.

Der Chevalier fasste den Hahn bei den Füßen und bewunderte ihn, während Black sein Opfer schmunzelnd betrachtete und mit seinem eben vollbrachten Meisterstücke ungemein zufrieden zu sein schien.

Aber die Hausmeisterin schien keineswegs geneigt, die Bewunderung des Herrn und die Befriedigung des Hundes zu theilen, denn sie begann ein klägliches Geschrei.

Alle Fenster im Hofe werden nun hell und an jedem Fenster erscheint ein mit einem Tuch umwundener oder mit einer Nachtmütze bedeckter Kopf.

Es war die Dienerschaft des Baron de la Graverie.

Jeder Kopf ließ eine Stimme von verschiedener Höhe, aber von ziemlich gleicher Stärke hören, und jede Stimme fragte unwillig nach der Ursache des Tumultes, der so viele brave Leute in ihrem Schlummer störe.

Daraus entstand ein wahrer Höllenlärm, welcher bald durch das helle Klingen einer heftig gezogenen Glocke übertönt wurde.

»Der Herr Baron ist erwacht!« riefen alle dienstbaren Geister einstimmig und mit einer Präzision, als ob diese Worte einstudiert wären. Der Tumult hörte nun plötzlich auf, und dies gab dem Chevalier einen hohen Begriff von der im Hause seines Bruders herrschenden Ordnung.

»Madame Wilhelm,« sagte der Kammerdiener, indem er seine Zipfelmütze abnahm und seine kahle, blanke Glatze zum Vorschein brachte; »melden Sie dem Herrn Baron, was vorgefallen ist und erklären Sie ihm, wie fremde Leute zu dieser nächtlichen Stunde in das Hotel kommen.«

»Ich getraue mich nicht,« antwortete die Hausmeisterin.

»Ich will gehen!« sagte der Chevalier.

»Wer sind Sie?« fragte der Kammerdiener.

»Wer ich bin? Ich bin der Chevalier de la Graverie, und will meinen Bruder besuchen.«

»So! der Herr Chevalier!« sagte der Kammerdiener. »Bitte tausendmal um Verzeihung, dass ich mich im tiefsten Negligee vor Ihnen präsentiere. Erlauben Sie, dass ich mich schnell ankleide, ich werde dann die Ehre haben, Sie zu Ihrem Herrn Bruder zu führen.«

Ein paar Minuten nachher erschien der alte Diener an der Tür des Vorsaals und empfing den Chevalier mit vielen und tiefen Bücklingen.

Er führte ihn zuerst eine breite steinerne Treppe mit eisernem Geländer hinauf und durch einige Zimmer, deren Meubles einst vergoldet, später aber aus Sparsamkeit weiß angestrichen worden waren. Dann klopfte er leise an eine Tür, trat ein und meldete mit pomphaftem Tone, als ob er einen fremden Gesandten zu einem Minister führte:

»Der Herr Chevalier de la Graverie!«

Der Baron de la Graverie lag in einem ziemlich armseligen Bett ohne Vorhänge. Wie alle Edelleute, welche die schwere Prüfung der Auswanderung überstanden hatten, war der Baron gewohnt geworden, alle Behaglichkeit des Lebens zu verschmähen. Außer dem Bett bestand die ganze Einrichtung des Zimmers in einer Kommode, einem Schreibtisch von Mahagoniholz, einem Nachttisch und einigen Stühlen.

Auf dem Kamin standen zwei übersilberte Leuchter und zwei Porzellanvasen, zu beiden Seiten des Spiegels hingen verschiedene Medaillons, welche Ludwig XVIII., Carl X. und den Dauphin darstellten. Dies waren alle Verzierungen dieses unwohnlichen Zimmers, welches dem Reichtum des Herrn vom Hause und dem Luxus der ihn umgebenden Dienerschaft keineswegs entsprach.

Als der Kammerdiener den Chevalier meldete, stützte sich der Baron auf den Ellenbogen, schob mit der linken Hand ein bis auf die Augen herabgehendes Schnupftuch und fragte ohne die mindeste freundliche Begrüßung:

»Wo in aller Welt kommen Sie denn her, Chevalier? Jamin, ein Tabouret für meinen Bruder!«

Der arme Chevalier fühlte sich sehr schmerzlich berührt durch diesen kalten Empfang. Es waren wohl fünfzehn Jahre her, dass er seinen älteren Bruder nicht gesehen, und wie auch das Benehmen des Letzteren gewesen sein mochte, so hatte er doch nicht ohne tiefe Rührung an das bevorstehende Wiedersehen gedacht; er war so entrüstet über die Gleichgültigkeit, mit welcher ihn der Baron de la Graverie empfing, dass er anfangs kein Wort sprach.

Der Baron war um so redseliger.

»Par la sambleu! sagte er und musterte seinen Bruder mit frivoler Neugierde.

»Ich mache Ihnen nicht dasselbe Kompliment, Baron,« erwiderte der Chevalier;

»ich finde zu meinem Vergnügen, dass Sie noch eben so aussehen, wie an dem Tage, als wir uns zum letzten Male sahen.«

Er sagte die Wahrheit: der Baron de la Graverie war früh gealtert; aber seine Runzeln, seine grauen Haare hatten sich nicht vermehrt – vermutlich eine Folge der Sorglosigkeit, die er mit allen Egoisten gemein hatte.

»Was führt Sie denn zu mir, Chevalier?« setzte der Baron hinzu; »Sie müssen in einer sehr wichtigen Angelegenheit kommen, da Sie zu einer so ungebührlichen Stunde mein Haus erstürmen. Wo kommen Sie her? Mein Notar, bei welchem ich mich zuweilen nach Ihren Vermögensverhältnissen und zugleich nach Ihrem Befinden erkundigte, sagte mir, wenn ich nicht irre, dass Sie in Chartres und in Meaux wohnen, ich weiß es nicht mehr genau – ich glaube in Chartres, nicht wahr?«

»Ja, ich wohne in Chartres.«

»Nun, wie lebt man dort? Sind die Gutgesinnten zahlreich? Hat Philipp von Orleans viele Freunde? In Paris nagt ein unheilbarer Krebsschaden an der Gesellschaft: die »Gazette de France« fängt an zu faseln, Chateaubriand und Fitzjames werden liberal, und viele Leute von Familie gehen zu den Orleanisten über. Kurz, wir leben in einer kläglichen Zeit. Erst gestern nannte die Quotidienne eine Unzahl der vornehmsten Männer, Herzoge und Marquis, deren Großväter in der Kutsche des Königs gesessen und die sich nicht entblöden, mit Eisen und Steinkohlen zu handeln.«

»Wenn es Ihnen gefällig ist, Baron,« erwiderte der Chevalier, »so wollen wir später von den öffentlichen Angelegenheiten reden; für jetzt habe ich von Privatsachen zu sprechen.«

»Gut, gut!« sagte der Baron etwas unwillig, »nach Belieben. Aber was rührt sich denn an Ihrer Seite?«

»Es ist mein Hund; achten Sie nicht weiter darauf.«

»Seit wann, lieber Chevalier, macht man denn mit einer solchen Eskorte Besuche bei einem älteren Bruder? Ein Hund gehört in den Hundestall und wenn er von guter Race ist, so lässt man ihn durch den Jägerburschen bringen, wenn man ihn zeigen will. Er wird meinen Teppich beschmutzen!«

Der Teppich des Baron de la Graverie war sehr fadenscheinig und schien bisher gegen Schmutz jeder Art sehr gleichgültig gewesen zu sein.

»Fürchten Sie nichts, Baron,«antwortete der Chevalier sehr bescheiden, denn er sah wohl ein, dass er seinen altern Bruder bei guter Laune erhalten musste; »Black ist sehr reinlich, und ich habe ihn mitgenommen, weil er mich selten verlässt – er ist mein Freund.«

»Ein seltsamer Geschmack, sich Freunde unter den Hunden zu suchen!«

Der Chevalier hatte große Lust zu antworten, dass aufrichtige Freundschaft unter den Menschen, so selten und wahre Zuneigung bei den Tieren viel leichter zu finden sei, aber er widerstand der Versuchung und schwieg.

Unglücklicherweise war der Baron de la Graverie mit Black noch nicht fertig.

»Sehen Sie doch, Chevalier,« sagte er, »was Ihr verwünschter Hund in den Pfoten hält!«

Der Chevalier sah sich so rasch um, dass Black glaubte, sein Herr winke ihn zu sich. Der Hund nahm daher den erwürgten, und in der Verwirrung ganz vergessenen Hahn wieder auf und trat in den Lichtkreis, den die Lampe um das Bett verbreitete.

Es war der Beruf des braven Black, zu erwürgen und zu apportieren, er bildete sich daher nicht wenig auf seine Heldentat ein und hielt den Hahn hoch empor.

Als der Baron den tobten Cochinchina-Hahn erblickte, richtete er sich im Bett auf.

»Diable!« eiferte er, »Ihre dumme Bestie hat ein schönes Meisterwerk vollbracht! Ein Cochinchina-Hahn, den ich von London bezogen und mit zwölf blanken Louisd’or bezahlt habe! Sie hätten wahrlich etwas Besseres tun können, Chevalier, als in solcher Begleitung hierher zu kommen! Ich sollte meine Leute rufen Und die verwünschte Bestie aufhängen lassen!«

»Black aufhängen lassen!« erwiderte der Chevalier, entrüstet über diese Drohung. »Ich habe Ihnen schon gesagt, Baron, dass dieser Hund mein Freund ist, und ich werde ihn nötigenfalls mit meinem Leben verteidigen!«

Der Chevalier war von seinem Tabouret aufgesprungen, ergriff dasselbe und hielt es hoch empor, als ob er sich im Angesicht eines Feindes befunden hätte. Der Baron war höchst erstaunt über diese drohende Haltung, denn er hatte seinen Bruder immer nur als einen zaghaften, unschlüssigen Menschen gekannt.

»Sind Sie denn von der Tarantel gestochen, Chevalier?« sagte der Baron de la Graverie; »ich habe Sie nie in einer so heroischen Stimmung gesehen. Sie sind ja ein ebenso gefährlicher Gast wie Ihr Hund! – Reden Sie,« setzte er hinzu und warf einen Blick auf den unglücklichen Hahn, den Black inzwischen auf den Boden gelegt hatte, als ob er seinem Herrn nötigenfalls beistehen wollte; »sagen Sie geschwind, was Sie zu mir führt.«

Der Chevalier stellte das Tabouret wieder an seinen Platz und gab seinem Hunde einen beruhigenden Wink.

»Ich wünsche etwas über Madame de la Graverie zu erfahren,« sagte er.

Wenn der Blitz in das Schlafzimmer eingeschlagen hätte, so würde sich der Baron nicht mehr gewundert haben, als über diese unerwartete Frage.

»Über Madame de la Graverie,« erwiderte er; »mich dünkt, lieber Dieudonné, das » Sie diese Erkundigung ein bisschen spät einziehen.«

»Ja, das ist wahr,« antwortete der Chevalier; »ich gestehe, dass es schicklicher von mir gewesen wäre, diese Erkundigungen gleich nach meiner Rückkehr einzuziehen; aber ich habe andere Sorgen —«

»Vermutlich die Sorge um Ihre eigene werte Person,« unterbrach ihn der Baron; »denn aus den Nachrichten, die ich über Sie erhalten, und aus Ihrer Beleibtheit lässt sich leicht schließen, dass Sie für Ihren Magen sehr gut gesorgt haben und dass es Ihnen an Zeit fehlte, sich um Ihren Bruder und um Ihre Gemahlin zu kümmern.«

»Kurz und gut, Baron, ich wünsche jetzt zu wissen, was nach meiner Abreise aus Mathilde geworden.«

»Mein Gott! was soll ich Ihnen sagen? Ich sah sie nur einmal, als die Angelegenheiten, deren Leitung Sie mir übertragen, zu ordnen waren, und ich muss gestehen, dass ich sie willfähriger fand als ich erwartete: sie war ziemlich vernünftig und begriff die eigentümliche Lage, in welche sie durch ihren Fehltritt gekommen war; sie fügte sich ziemlich bereitwillig in Alles, was ich in meiner Eigenschaft als Haupt der Familie verlangte.«

»Aber was für Bedingungen glaubten Sie ihr denn stellen zu müssen?« fragte der Chevalier, der mit Vergnügen sah, dass sein Bruder dem Verhör, welches er mit ihm abhalten wollte, entgegenkam. Zum Unglück war der Baron ein besserer Diplomat als der Chevalier; an der Verlegenheit seines jüngeren Bruders bemerkte er, dass et mit seiner Frage eine Nebenabsicht verband, und er beschloss, von den Verhandlungen mit seiner Schwägerin nichts zu sagen.

»Mein Gott!« erwiderte er in dem unbefangensten Tone von der Welt, »ich erinnere mich jetzt nicht mehr daran; so viel ich mich entsinne, war es das Versprechen, Ihren Namen nicht mehr zu führen, und endlich die Zustimmung zu dem Act, durch welchen mir für den Fall, dass Sie kinderlos sterben würden, Ihr Vermögen zufallen sollte.«

»Aber Mathilde war ja in gesegneten Umständen,« entgegnete der Chevalier;

»wie konnte sie sich entschließen, diesen Act, der ihr Kind dem Elend preisgab, zu unterzeichnen?«

»Eben die Leichtigkeit, mit der sie ihre Zustimmung gab, würde Ihnen beweisen, dass die gegen sie erhobenen Beschuldigungen gerecht und gegründet waren: sie wagte es ja nicht, das Vermögen, welches sie als das Erbteil ihres Kindes betrachten musste, zu verteidigen.«

»Aber was ist aus dem Kind geworden?« fragte der Chevalier entschlossen.

»Aus dem Kind? ich weiß ja nicht einmal, dass sie ein Kind gehabt hat. Glauben Sie denn, ich hätte Zeit gehabt, eine solche Kreatur bei ihren Liebesabenteuern zu beobachten? Ich weiß nicht was aus ihr geworden ist, ich habe nur erfahren, dass sie zwei Jahre nach der Geburt ihres Kindes gestorben ist; ich habe den Totenschein in meinem Schreibtische. Das Kind hat vielleicht gar nicht gelebt, denn sonst würde man mich gewiß ins Mitleid gezogen haben, um dem armen Wurm zu helfen: meine Gutherzigkeit ist ja allgemein bekannt.«

»Sie irren sich, Baron,« erwiderte der Chevalier verletzt durch die Geringschätzung, mit welcher sein Bruder von der einst so innig geliebten Person sprach, »das Kind lebt, es ist ein schönes Mädchen, das Ebenbild seiner Mutter.«

Der Chevalier sah wohl ein, dass er seinem Bruder dadurch einen schmerzlichen Schlag versetzte, und er stellte die noch bezweifelte Sache als gewiß dar.

Ungeachtet seiner Schlauheit und Selbstbeherrschung erblasste der Baron.

»Vermutlich eine verschmitzte Dirne« erwiderte er, »die Ihre Leichtgläubigkeit missbraucht, denn was Sie mir da sagen, ist unmöglich.«

Der Chevalier erzählte nun ausführlich die ganze Geschichte Theresens. Der Baron ließ ihn, ausreden; dann sagte er achselzuckend:

»Ich sehe, Chevalier, dass die Jahre an Ihrem Verstand nichts verändert haben. Sie sind von Sinnen, Mathilde hat kein Kind nachgelassen. Sie können sich darauf verlassen.«

Der Chevalier war seiner Sache selbst noch nicht gewiss, aber er blieb doch bei seiner Behauptung.

»Entschuldigen Sie, Baron,« erwiderte er, »trotz der Ehrerbietung, die ich Ihnen als dem Haupt der Familie schuldig bin, finde ich Ihre Behauptung nicht stichhaltig gegen die – »gegen die Beweise, die ich in Händen habe, wollte er sagen; aber seine Ehrlichkeit sträubte sich gegen diese Unwahrheit und nach kurzem Besinnen sagte er: »gegen meine gegründeten Vermutungen. Ich glaube im Gegenteil, dass Mathilde ein Kind hinterlassen hat, und ich habe fast die Gewissheit, dass dieses Kind das oben erwähnte Mädchen ist.«

»Sie werden sich doch nicht einfallen lassen, dieses Mädchen in unsere Familie einzuführen?«

»Allerdings,« erwiderte der Chevalier, den die Selbstsucht seines Bruders empörte, »ich habe die Absicht, meiner Tochter meinen Namen zu geben, sobald es mir möglich ist, der Welt zu beweisen, dass Therese meine Tochter ist; für mich selbst ist es schon genügend erwiesen.«

»Ihre Tochter! Sie meinen vermutlich: die Tochter des Lieutenants Pontfarcy.«

»Meine Tochter oder die Tochter meiner Frau, wie Sie es nehmen wollen, Baron. Ich handle ganz ohne Eigenliebe und menschliche Rücksicht; sie mag mir angehören oder nicht, das gilt mir gleich – nicht wahr, Black? Für die Welt und nach dem Gesetz ist sie meine Tochter. Auch meinem Herzen steht sie nahe: ich habe Mathilde unendlich geliebt, sie hat mich sehr glücklich gemacht, und ich bin entschlossen, ihr lebendes Ebenbild um jeden Preis zu erkaufen. Jetzt erklären Sie sich: wollen Sie mir sagen was Sie darüber wissen, oder nicht?

»Ich weiß nichts, gar nichts!« antwortete der Baron; »und wenn ich auch etwas wüsste, würde ich nichts sagen; denn mir, als dem Haupt der Familie, liegt es ob, die Ehre des Namens, den ich führe, zu wahren, und diese Ehre soll durch Ihre Torheit nicht gefährdet werden.«

»Der Name ist nicht Alles hienieden,« entgegnete der Chevalier: »oft sind die Vorurteile der Gesellschaft im Widerspruch mit den Geboten des Evangeliums —«

»Sie erwarten also,« unterbrach ihn der Baron, indem er sich wieder im Bett aufrichtete, »Sie erwarten also nur einen Beweis von der Geburt dieses Mädchens, um zu vergessen, dass die Mutter Ihren Namen entehrt, Ihr Leben vergiftet, Sie aus Ihrem Heimatland vertrieben hat! Ich will Ihnen einen neuen Beweis von der Nichtwürdigkeit dieses Weibes geben: Sie haben bis jetzt geglaubt, Pontfarcy sei ihr einziger Anbeter gewesen, Sie irren sich; raten Sie, wer der andere war – der Kapitän Dumesnil, der Orest, dessen Pylades Sie waren!«

»Ich habe es gewusst,« erwiderte der Chevalier gelassen. Der Baron erschrak.

»Was!« sagte er, »Sie wussten es?«

Der Chevalier nickte bejahend.

»Finden Sie sich in dem Wirrwarr zurecht,« setzte der Baron hinzu; »vergessen Sie, wenn Sie können; verzeihen Sie, wenn Sie es wagen!«

»Ich verzeihe, weil es mehr als mein Recht – weil es meine Pflicht ist.«

»Und ich sage Ihnen, Chevalier: man muss schonungslos sein gegen Personen, deren Sünden auf die Gesellschaft zersetzend wirken uns uns in den Abgrund geführt haben, in welchem wir jetzt sitzen.«

»Sie geben sich für einen religiösen Mann aus, Baron, aber Sie vergessen die Worte des Heilands: Wer von Euch ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein auf sie! Von wem war die Rede? von einer Ehebrecherin, von einer jüdischen Mathilde.«

»So! Sie nehmen also die Bibelstellen buchstäblich!«

sagte der Baron.

»Um nicht nutzlos und frevelhaft an Bibelstellen zu deuteln,« erwiderte der Chevalier, »wäre es gewiss besser, dass Therese, vorausgesetzt, dass ihre Abkunft nicht genau zu ermitteln, das Fräulein de la Graverie würde, als wenn das Fräulein de la Graverie die namenlose Therese bliebe.«

»Geben Sie sie ins Kloster, Chevalier, da Sie sich einmal für das Mädchen so interessieren; Sie können ja die Einkaufsumme aus Ihren Mitteln bestreiten.«

»Therese muss, um glücklich zu werden, einen Namen haben, und einen Namen suche ich für sie.«

»Mort diable! bedenken Sie doch, Chevalier, dass sie mit Ihrem Namen zugleich Ihr Vermögen erhält!«

»Das weiß ich.«

»Und Sie wollen Ihre Familie betrügen, meine Söhne, Ihre rechtmäßigen Erben berauben, um einem Mädchen, dessen Vater Sie nicht sind und nicht sein können, Ihr Vermögen zuzuwerfen?«

»Wodurch ist das zu beweisen?«

»Durch den Brief, den ich Ihnen an dem Tage einhändigen wollte, wo ich mich entschloss, Sie von der Treulosigkeit Ihrer Frau in Kenntnis zu setzen – durch den Brief, den Dumesnil trotz meinen Bitten zerriss.

»Sie werden sich erinnern, dass ich den Brief vorgelesen habe.«

»Ja, aber ich habe ihn gelesen, und ich kann versichern, dass Mathilde Herrn von Pontfarcy wegen einer Vaterschaft Glück wünschte, deren Ehre sie ihm ausschließlich zuschrieb.«

»Würden Sie es wirklich mit Ihrem Ehrenwort als Edelmann bekräftigen?« fragte der Chevalier, der seit einer Weile in Gedanken vertieft schien.

»Ja, ich gebe mein Ehrenwort darauf,« sagte der Baron.

»Dann danke ich Ihnen verbindlichst,« sagte der Chevalier tief aufatmend.

»Warum danken Sie mir?«

»Weil Sie mein Gemüt beruhigen; denn da ich die arme Therese unmöglich als meine Tochter anerkennen kann, so will ich mich zu einem Schritt entschließen, an den ich schon gedacht hatte: ich lasse sie mir antrauen. Verlassen Sie sich darauf, Baron; in einigen Monaten wird Ihnen ein pausbackiger Neffe oder eine bildhübsche Nichte beschert werden. Der Baron fuhr wütend in seinem Bette empor.

»Gehen Sie, Chevalier!« eiferte er, »gehen Sie auf der Stelle und betreten Sie mein Haus nie wieder! Merken Sie wohl: wenn Sie den unsinnigen Plan in Ausführung bringen, so werde ich meinen ganzen Einfluss geltend machen, Ihnen die Ausübung der bürgerlichen und Familienrechte untersagen zu lassen.«

Der Chevalier, der immer mehr Mut bekam, schenkte den Drohungen seines Bruders nur geringe Aufmerksamkeit; er nahm seinen Hut und entfernte sich mit Black. Der Baron blieb in unbeschreiblichem Ärger mit seinem Cochinchina-Hahn allein.